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58 Film

FOTO: TOBIS 2016

Elle Fanning als Ray in „Alle Farben des Lebens“

Falsche Fährte In dem mit Starbesetzung aufwartenden „Alle Farben des Lebens“ spielt Elle Fanning den Transjungen Ray, der nach seinem Coming-out eine Transition beginnen möchte. Doch die Familie sträubt sich dagegen Alle Farben des Lebens, USA 2015, Regie: Gaby Dellal, mit Elle Fanning, Susan Sarandon, Naomi Watts, ab 08.12. im Kino

> Eigentlich geht es nur um zwei Unterschriften. Ray (Elle Fanning) weiß schon lange, dass er kein Mädchen ist, und möchte endlich mit der ersehnten Testosteronbehandlung beginnen. Als 16-Jähriger braucht er dafür aber die schriftliche Erlaubnis seiner Eltern. Das sieht nach keinem größeren Problem aus, wenn man ihn mit seiner Mutter Maggie (Naomi Watts) und seinen Omas, Dolly (Susan Sarandon) und ihrer Lebensgefährtin Honey (Linda Emond), so einträchtig im Arztzimmer sitzen sieht. Ray hat sein Trans-Coming-out schließlich schon lange hinter sich und hätte es mit seiner liberalen New Yorker Regenbogenfamilie kaum besser treffen können. Zu Hause im kuschelig verkramten Künstlerinnenhaushalt kommt dann aber doch zu Tage, wie brüchig die Akzeptanz ist. Immer wieder rutscht den dreien ein „sie“ oder ein „good girl“ raus, und vor allem die lesbische Oldschool-Feministin Dolly will nicht verstehen, wieso Ray „nicht einfach eine normale Lesbe sein“ kann. Und Maggie, die eigentlich längst im Boot war, legt das zunehmend zerknitterte Formular ein ums andere Mal wieder aus der Hand, weil sie damit hadert, ihre – vermeintliche – Tochter endgültig zu verlieren, und befürchtet, dass Ray diesen Schritt bereuen könnte. Ihr Zögern bleibt nicht die einzige Hürde: Auch Rays völlig ahnungsloser Vater (Tate Donovan) muss unterschreiben, und zu ihm haben die beiden seit über zehn Jahren keinen Kontakt mehr. Der Titel „Alle Farben des Lebens“ klingt zwar so belanglos wie aus dem ZDF-Movietitel-Baukasten zusammengewürfelt, führt aber im Gegensatz zu „About Ray“, wie der Film im Original heißt, nicht auf

die falsche Fährte. Denn Ray, seine Transition und seine Gefühlswelt stehen keineswegs im Mittelpunkt. Wir sehen ihn vor allem als pubertätstypisch launischen Sohn und Enkel, während sein Alltag und die Transphobie außerhalb seiner Familie nur in kurzen Szenen umrissen und durch Ausschnitte aus seinem Videotagebuch ergänzt werden. Genauso viel Raum bekommen auch Maggie und die unnötig aufgeblasene Beziehungsaufarbeitung mit ihrem Ex, die die zweite Filmhälfte dominiert. Und über allem thronen Dolly und Honey, die wie eine lesbische Version der „Muppet Show“-Opas ihre scharfzüngigen Kommentare abfeuern und damit für humorvoll-entlastende Momente sorgen. Dass der Film Verständnis für alle Seiten zeigt, sorgte in den USA für Kritik von Trans*-Seite – auch wenn am Ende alle erwachsenen Charaktere eine Entwicklung durchlebt haben. Wer sich regelmäßig transphobe Sprüche anhören muss, findet es eben nicht witzig, wenn Dolly ihre Intoleranz nonchalant mit „Lesbisch zu sein, bedeutet nicht automatisch, dass du keine Vorurteile hast, sondern nur, dass du glücklich bist“ kommentiert. Der größte Vorwurf an die Regisseurin und Kodrehbuchautorin Gaby Dellal ist aber, dass sie Ray nicht mit einem Trans*schauspieler besetzte. Elle Fanning („Maleficent”) macht ihre Sache zwar großartig, ihr Casting unterstützt aber nun mal das Missverständnis, dass Ray „eigentlich weiblich“ ist. Und wie zum Beweis erklärte Dellal ihre Entscheidung gegenüber der US-Webseite Refinery21 völlig unbedarft damit, dass die Figur eben „noch ein Mädchen“ sei, und freute sich, dass sie mit Fanning „keine blondere, femininere Schauspielerin hätte wählen können. Und genau das interessiert mich!“ Nein, die Britin hat weder Aufklärungsanspruch noch Sendungsbewusstsein. Sie drehte eine hochkarätig besetzte, emotionale Familien-Dramedy zu einem aktuellen Thema, auf das sie durch Zufall stieß (zuvor war die Rolle lesbisch angelegt). Wer auf einen humorvollen Mainstream-Film hofft, der eine Transition authentisch und nachvollziehbar miterleben lässt: Der muss noch gedreht werden. < Karin Schupp


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