B* Ausgabe 4 Preview-Version

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über den tellerrand:  S. 10 KPM Berlin und HB Keramik führen ein altes Handwerk in die Zukunft.

aus dem füllhorn:  S. 22 Zukunftsforscher Dr. Christian Neuhaus kommt unterschiedlichen Zukünften mit Szenarien auf die Spur.

im speicher: S. 26 Die Wasserbetriebe sorgen dafür, dass Berlin nicht ­trockenläuft. Ein Besuch beim größten Wasserversorger Europas.

unterm funkturm:  S. 32 Carsten Jung blickt mit dem neuen Messechef Martin Ecknig auf die Zukunftsperspektiven der Berliner Messe.

* das  businessmagazin  der  berliner  volksbank

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Was (vielleicht) kommt. Wie Unternehmen in die Zukunft schauen.

frühling|sommer 2021



EDITORIAL

Zukunft, ganz nah Nicht nur Visionär Elon Musk träumt den Traum vom Leben auf dem Mars. Und wer weiß – vielleicht werden sich Menschen tatsächlich einmal auf einem anderen Planeten niederlassen. Um solche Fragen geht es nicht, wenn wir in dieser B* die Zukunft heranzoomen. Wir bleiben am Boden, denn Berlin und Brandenburg sind voller spannender Zukunftsthemen. Wie geht es beispielsweise Soloselbständigen und wie schätzen sie ihre Zukunft ein? Wie verbinden Traditionsunternehmen ihre Geschichte mit Zukunft? Und welche Modelle erwarten junge Führungskräfte? Gesprochen haben wir darüber mit kreativen Freiberuflern, mit Gründerinnen, mit dem neuen Chef der Messe Berlin, mit den Geschäftsführern der Königlichen Porzellanmanufaktur – und vielen mehr. Die Ideenvielfalt ist enorm und begeistert uns. Manche bauen ihre Zukunft auf zeitlosen Produkten auf, andere treffen mit neuen Konzepten ins Schwarze. Offen aber bleibt Zukunft immer, sagt einer, der es wissen muss: Dr. Christian Neuhaus ist Lehrbeauftragter für Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Das Gespräch fand auf dem vom Lockdown verwaisten Uni-Campus statt – ein Zeitdokument, so wie auch unser Bericht über die Deutsche Staatsoper. Er zeigt das Theater im Ausnahmezustand: leer und still. Doch das Ensemble ist voller Energie. Es kann volle Säle und analogen Applaus kaum erwarten.

Carsten Jung, Vorstandsvorsitzender

Ähnlich geht es auch uns. In diesem Jahr ist die Berliner Volksbank 75 Jahre alt geworden. Statt mit großen Events feiern wir der Lage angemessen und einfach. Im Fokus: unser Leitgedanke »Zukunft dank Herkunft«. Unsere Zukunft ist mit genossenschaftlichen Wurzeln verbunden. Sie tragen uns. Sie lassen uns tatkräftig sturmfeste Lösungen entwickeln. Und sie erinnern uns immer daran, dass die Berliner Volksbank für ein Miteinander von Mitgliedern, Kunden und Mitarbeitern steht. Die Corona-Pandemie ist ein Stresstest. Sie stellt auch die Reputation von Banken auf den Prüfstand. Banken können Brücken bauen und für Liquidität sorgen. Und wie gut machen sie das? Zu den zehn Instituten, die ihre Kommunikation während des ersten Lockdowns für ihre

Reputation am besten nutzen konnten, zählt auch die Berliner Volksbank. Das hat das IMWF Institut für Management- und Wirtschaftsforschung ermittelt. Ein hoher Anteil Corona-bezogener Beiträge und ausführliche Kommunikation über Unterstützungsangebote schafft Verbindung. Das Businessmagazin B* ist ein wichtiger Teil davon. Ein Medium, mit dem wir in die Tiefe kommunizieren, Expertenwissen Raum geben und Firmenkunden Mehrwert bieten. Und mit dieser Ausgabe wollen wir vor allem eines: Lust auf Zukunft wecken! Ihr Carsten Jung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in B* auf eine geschlechtsspezifische Personenbezeichnung verzichtet. Selbstverständlich beziehen sich die Angaben auf alle Geschlechter.

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Inhalt

10 Für die Ewigkeit Die Manufakturen Hedwig Bollhagen und KPM Berlin bringen ein Traditionshandwerk ins digitale Zeitalter

26 Wasser Marsch! Die Berliner Wasserbetriebe sorgen dafür, dass Berlin nicht auf dem Trockenen liegt

ZUKUNFT

EDITORIAL

6 Frage eins Wie »Imagineure« mit Visionen und Werkzeugen an einer unplanbaren Zukunft arbeiten

3 Carsten Jung über die Kreativität und Zukunftslust von Unternehmen in Berlin und Brandenburg

8 Zukunft ist für mich… Drei Soloselbstständige sprechen über ihre Wünsche und Vor­stellungen

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22 Offene Zukünfte Dr. Christian Neuhaus bildet an der Freien Universität Berlin Zukunftsforscher aus

ZUKUNFT IN ZAHLEN

AUF EIN GLAS MIT …

WIRTSCHAFTSREGION

30 Digitale Perspektiven Zahlen im Bild – wie sich Berlin und Brandenburg für die Zukunft fit machen

32 Zukunftsstand Carsten Jung im Gespräch mit Martin Ecknig über die Berliner Messe

36 Ich bin ein Berliner Jörg Woltmann über 258 Jahre Tradition und Zukunft der KPM Berlin

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KULTOUR

58 Große Glaskugel Das Futurium gibt viele Antworten auf die Frage, wie wir leben wollen

KOLUMNE

KULINARIK SZENARIO ENGAGEMENT

AUSBLICK

40 Reallabor der Energiewende Auf dem EUREF-Campus wird die Energie von morgen erprobt

44 Vernetzte Arbeitswelt Tandemploy entwickelt Software, die Menschen und Wissen miteinander verbindet

46 Staatsoper im Lockdown Ein Interview mit Intendant Matthias Schulz – und ein Spaziergang über stille Bühnen

54 Restaurant im Lockdown Billy Wagner von Nobelhart & Schmutzig über die Wertschätzung von Lebensmitteln und den Restaurantbetrieb als Online-Shop

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AHA-ERLEBNIS

62 Jenseits von Avocados Wie Instagram Unternehmen nach vorn bringen kann

64 Zukunft im Rückspiegel Holm Friebe über prognostische Fehlurteile und Deutungen im Nachhinein 65 IMPRESSUM

66 1 SEKUNDE …

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ZUKUNFT

Frage eins

Ist Zukunft planbar? Häufig, wenn Menschen die Zukunft packen wollten, hat sie Haken geschlagen und sich in eine andere Richtung davongemacht. Und dafür unerwartete Räume geöffnet. TEXT

Olivia Rost ILLUSTRATION

Jan Siemen

2020 war das Jahr, in dem man niemandem mehr erklären musste, was denn bitte Homeoffice sei und ob man da denn wirklich arbeiten würde. Wir kommunizieren via Video Call und Smartphones haben sowieso alle. Die Sorge, außerhalb der Büros nicht produktiv zu ein, hat sich schnell verflüchtigt. Und auch das Zögern von Unternehmen, in eine digitalisierte Infrastruktur zu investieren. Plötzlich geht’s. Der Anschieber für diese Veränderungen ist winzig klein. Es hat dicke Brocken vor den Zukunftsoptimismus gerollt. Und andere weggeschoben. Auf diesen Booster hätten wir gerne verzichtet. Wir wissen ja noch nicht, wie es ausgeht. Zukunft war aber eigentlich schon immer eine unübersichtliche Sache. Je stärker der Wandel, desto größer die Ängste. Und stimmt ja auch. Jede technologische Revolution hat Millionen Jobs zerstört. Aber auch Millionen neuer Stellen hervorgebracht. Wer hätte sich 1990 vorstellen können, dass drei Jahrzehnte später Millionen als Software-Ingenieure, Programmierer oder Web-Designer arbeiten? Wer hätte 1970 daran geglaubt, dass die Welt zwanzig Jahre später ohne eine sie spaltende Grenze auskommt? Und wer im Februar 2020, dass ab März Gesundheitssorge weltweit oberste Priorität erhält, noch vor der Ökonomie? Ein Blick in die Glaskugel auf das heutige Leben hätte Menschen vor 150 Jahren wahrscheinlich verstört und zugleich

begeistert. Viele hätten eingetauscht: gegen unsere Lebenserwartung, die Freiheitsgrade, Freizeit, Gesundheit und Einkommen. Kaum denkbare zivilisatorische Errungenschaften. Aber auch mit kaum denkbaren Folgen. Scheint so, als fordere Zukunft gerade keinen Spaziergang, sondern einen gesellschaftlichen Sprung. Was braucht es, um diesen zu gestalten? Eine Vorstellung von einer wünschenswerten Zukunft, glaubt der Soziologe Harald Welzer. Wissen und Werkzeuge haben wir, und die Ideen gehen uns nicht aus. Welzer verwendet dafür das Zukunftswort „Imagineering“. Etwas visionieren und auch die Werkzeuge nutzen, es zu verwirklichen. An der Zukunft arbeiten wie ein Ingenieur, angetrieben von einer Vision eines guten, wertebasierten, nachhaltigen Lebens. Ist Zukunft planbar? Fiese Frage gerade jetzt, wo doch so viele Pläne gestoppt worden sind. So viel Ungewissheit. So viele Möglichkeiten, außer einer: zurück zum „Normal“, das doch die Ursache für ein Konglomerat an Krisen ist. Etwas Gutes ist vielleicht, dass wir uns wieder ernsthaft Gedanken machen müssen. Als Imagineure an einer nachhaltigen Zukunft schrauben, erneuern und erfinden. In die Glaskugel 2121 schauen und denken: Wogegen würden wir gerne tauschen? ¶

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ZUKUNFT

Zukunft ist für mich …

Die Kunst zu leben Mehr Freiheiten, mehr Ausgleich, mehr Flexibilität: Autonomie gilt als ein Zauberwort in der Arbeitswelt – auch schon vor der Covid-19-Pandemie. Arbeitet es sich in einer digitalisierten, zunehmend individualistischen Welt, in der die Anwesenheitspflicht inzwischen abwesend ist, vielleicht am besten auf eigene Rechnung? Drei Soloselbständige geben einen Ausblick: Auf ihre Arbeit, auf ihr Leben und auf das, was sie von der Zukunft erwarten.

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Julia Reichler FOTOS

Privat

Marcel Schwickerath

Keine Angst vor der Zukunft Marcel Schwickerath ist im Leben Optimist und im Beruf Fotograf. Letzteres selbstständig – seit zehn Jahren: »Zehn Jahre, in denen ich tue, was ich liebe und dafür auch noch Geld bekomme.« Der 39-Jährige fotografiert für verschiedene

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Magazine, Agenturen und Unternehmen. In jedem Jahr seiner Selbstständigkeit sei es ein wenig besser geworden: Spannendere Aufträge. Hochklassigere Kunden. »Da kann man ja nur Lust auf die Zukunft haben«, sagt er. Auch wenn sich in der Fotografie so einiges ge­ändert hat – und ändern wird, so viel ist sicher. »Es wird eine größere Nachfrage nach Bewegtbild geben. Darauf stelle ich mich so langsam ein. Fotos müssen außerdem auf verschiedenen Kanälen funktionieren.« Das heißt: online und offline. Auf einem Magazincover oder bei Instagram. »Ich muss schon beim Fotografieren viel mehr bedenken, wo die Bilder eingesetzt werden können. In den sozialen Medien kann das auch mal quadratisch sein. Oder ein extremes Hochformat. Oft wünschen sich die Kunden außerdem eine größere Masse an Bildern für die verschiedenen Kanäle.« Aber nicht nur beruflich erwartet Marcel Schwickerath einen Wandel. Auch gesellschaftlich bewegt sich in seinen Augen so einiges. »In unserer eigenen Bubble werden wir enger zusammenrücken. Lebensmittel regional einkaufen gehört dazu, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich glaube auch, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis wir wieder dort sind, wo wir vor der Covid19-Pandemie waren. Oder es wird einfach anders sein – beim Reisen zum Beispiel. Viele haben feststellen können, dass es in der eigenen Region ja auch sehr schön sein kann. Gesamtgesellschaftlich sollten wir es unbedingt schaffen, ein größeres Verständnis füreinander zu entwickeln. Und wieder mehr miteinander reden.« Das Leben werde außerdem mobiler und digitaler, meint der Fotograf. Alles kein Grund zur Sorge für Marcel Schwickerath. »Meine Frau ist eher Pessimistin und wir führen viele Gespräche – ich kann also durchaus verstehen, wenn jemand die Dinge von allen Seiten durchdenkt. Eine Angst vor der Zukunft kann ich trotzdem nicht so recht nachempfinden.« ¶ marcel-schwickerath.de


ZUKUNFT

Zukunft ist für mich …

Manou Jacob

Beruf und Berufung Für Manou Jacob ist die Zukunft ein leeres Blatt Papier, das gefüllt werden will. Wichtig ist ihr allein, dass sie den Weißraum so gestalten kann, wie sie es möchte. »Ich bin ein Ost-Kind und für uns war es ein Wunder, als ganz plötzlich die Mauer fiel. Alles ist möglich, denke ich. Ich bin ein Freigeist. Und vor allem: freiheitsliebend«, sagt die Mitte-50-jährige Maskenbildnerin. Die Einschränkungen während der Covid-19-Pandemie haben ihr zugesetzt. »Masken­b ildnerin zu sein ist für mich nicht nur Beruf, es ist Beruf­ung – eine Tätigkeit, die rein handwerklicher und künstlerischer Natur ist – und zwischenmenschlicher. Ich kann mich nicht so einfach umstellen. Und will es auch gar nicht mehr – denn ich weiß, dass ich auch sehr gut bin in meinem Job.« Manou Jacob hat bereits für die Berliner Festspiele ge­arbeitet – mit Joanthan Meese. Oder mit Ai Weiwei. Den großen Namen eben, die sich oft und gern in Berlin tummeln – der Hauptstadt, nicht nur der des Landes, sondern auch der Begabten. »Ich muss aufpassen, dass mir meine Kreativität erhalten bleibt«, sagt Manou Jacob. »Aktiv bleiben – jetzt und in Zukunft.« Jetzt, das heißt: Wenn Manou Jacob nicht als Masken­ bilderin arbeiten kann, dann stattet sie Geschäfte aus – ein Bettengeschäft zum Beispiel. Mit Wolken, die Kunstobjekten gleichen. Oder sie bereitet eine Vernissage

für eine Kunst-Fabrik am Berliner Stadtrand vor. In Zukunft, das kann für Manou Jacob nur heißen: wieder als Maskenbildnerin arbeiten. »Gottseidank habe ich die Erfahrung machen dürfen, dass gute Leute gerne auch mit Leuten arbeiten, die Erfahrung haben. Zu meinem Beruf gehört vor allem Einfühlungsvermögen. Und das kommt vor allem mit der Erfahrung.« Beim Theater gehe es außerdem um Verwandlung: Manou Jacob stellt Charaktere her. »Theater ist uralt und die Menschen lieben es, diese Form der Verwandlung zu erleben. Meine Arbeit ist auf der anderen Seite auch für die Darsteller wichtig. Ich höre oft, ich würde ihnen in ihre Rolle verhelfen.« Eine Alternative hat Manou Jacob dann doch für ihre Zukunft. Oder vielleicht nicht Alternative, sondern Ergänzung: »Ich habe mir vorgenommen, irgendwann ein Buch zu schreiben. Die Geschichten, die ich erlebt habe und noch erleben werde – die muss ich erzählen!« ¶ manoujacob

Martin Schmal

Alles digital Für Martin Schmal ist Zukunft Technik. Mehr Technik. Liegt möglicherweise an seinem Beruf: Der DiplomInformatiker ist Chief Technology Officer bei hausify – einem Startup, das er mi­t­-

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gegründet hat und das eine digitale Kommunikationslösung für kleine und mittelgroße Hausverwaltungen und ihre Bewohner und Dienstleister bietet. Oder einfacher gesagt: Eine Art digitale Pinnwand, die Eigentümer und Mieter über neue Dokumente, Vorgänge oder anstehende Termine informiert. »In den letzten Jahren hat sich die Entwicklung extrem beschleunigt und sie wird es weiter tun. Alles wird digitaler«, meint Martin Schmal und bewertet das – natürlich – überwiegend positiv: »In den meisten Lebensbereichen werden die Dinge dadurch vereinfacht.« Doch das birgt auch Herausforderungen. »Ich werde ja auch älter und frage mich: Kann ich da noch ewig mithalten? Muss ich? Oder will ich überhaupt?« Der Technik-Zweig sei mal ein Pflänzchen gewesen, meint Martin Schmal. Heute sei er ein großer Blumenstrauß. »Mit fortschreitender Entwicklung, mit komplizierteren Produkten bedarf es mehr Spezialisten für jeden Bereich. Bei hausify erlebe ich beinahe wöchentlich Entwicklungen, die es mir ermöglichen, unsere Software noch besser zu machen, effizienter und schneller.« Entscheidend sei es, technisch auf der Höhe zu bleiben. »Es gibt unzählige Beispiele, wo wir was entwickelt haben, das kurze Zeit später bereits überholt war.« Die Covid-19-Pandemie sieht Martin Schmal als Antrieb. »Ich glaube, dass wir gerade eine beschleunigte Optimierung erfahren. Technologisch hochentwickelte Länder werden gestärkt aus dieser Pandemie-Situation hervorgehen. Corona ist eine aufgezwungene Veränderung und jede Veränderung ist eine Chance.« Für den Informatiker zieht sich diese Veränderung bis in die Gesellschaft. »Ich habe das Gefühl, dass die Menschen wieder etwas mehr Respekt voreinander haben. Gerade in Berlin ist der Umgang schon mal ruppiger. Ich erlebe allerdings, dass die Menschen auf der Straße wieder bewusster miteinander umgehen.« ¶ hausify.de

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Unikate für die Ewigkeit Sie behaupten sich mit kostbaren Unikaten an einem schwierigen Markt, beweisen hohes handwerkliches Können und erreichen auf digitalen Vertriebswegen ein diverses und internationales Publikum: Die zwei Unternehmen Hedwig Bollhagen Keramische Werkstätten in Marwitz und die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin haben viel gemeinsam – und könnten doch unterschiedlicher kaum sein. Zwei Manufakturbesuche. TEXT

Olivia Rost FOTOS

Marcel Schwickerath, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, KPM Berlin

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Bauhaus im Geiste Hedwig Bollhagen – Werkstätten für Keramik

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Ritz-Unterglasurmalerei auf einem Teller – handgefertigt in den Hedwig Bollhagen Werkstätten für Keramik.. Drehen einer Aufbewahrungsdose aus der LAB-Serie in der Königlichen Porzellanmanufaktur (KPM Berlin). Ist mit HB-Produkten aufgewachsen: Steffen Blochel, Geschäftsführer der Hedwig Bollhagen International GmbH, vor einem der Brennöfen . Fährt manchmal Produkte aus: Ein Framo, Baujahr 1954-1961, steht vor den HB Werkstätten.

Der himmelblaue Oldtimer vor dem hohen Backsteingebäude ist von einer Staubschicht überzogen, auf der Frontscheibe hat jemand ein Herz in den Staub gemalt. Filmreif, wie fast jeder Winkel der Hedwig Bollhagen Werkstätten für Keramik in Marwitz. Doch die Kulisse lebt. Aggregate rattern, Spindeln drehen sich, in den Gängen stehen Regale, hochgestapelt mit Tellern, Tassen, Vasen und Kannen. Es riecht nach feuchtem Ton, nach Gips und Farben – Materialien mit denen Menschen hier Keramikgeschichte weiterschreiben. Einer von ihnen ist Steffen Blochel, Geschäftsführer der Hedwig Bollhagen International GmbH. Aufgewachsen ist er im Nachbarort, und natürlich stand bei seiner Familie Geschirr von »HB« auf dem Tisch, so wie bei vielen anderen in der DDR. Keramik von Hedwig Bollhagen war begehrte Bückware, sie wurde getauscht, brachte Devisen. Heute werden die »Pötte«, wie die Keramikerin ihre Produkte nannte,

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vor allem von Designliebhabern wegen ihrer vom Bauhaus beeinflussten Formgebung entdeckt. Sie selbst hat nie am Bauhaus studiert und doch dessen Idee auf Keramik übertragen: einfach, zeitlos funktional. 1934 gründete sie die Werkstätten in Marwitz und holte künstlerische Weggefährten vom Bauhaus in den Betrieb, etwa Theodor Bogler, Werner Burri und Charles Crodel, nach deren Entwürfen teils heute noch gefertigt wird. Nur noch wenige Spezialisten In der Dreherei wirft Keramiker Björn Schremmer einen kleinen Klumpen Ton mit ordentlichem Wumms in eine Gipsform auf einer Eindrehspindel. Unter seinen Händen formt sich die Masse auf der rotierenden Scheibe in Sekunden zu einem Deckel für eine Dose. Industriekeramiker wie er können drehen, gießen, glasieren, verputzen. Sie sind gesuchte Multitalente, die immer rarer werden. Die →

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Keramik- und Porzellanindustrie der DDR ging nach der Wende in die Knie. 18.000 Menschen hatten hier einen Job. Heute sind es nur noch wenige Hunderte. Spezialisten wie Simone Baum sind geblieben. Gestern hat sie Milchtassen eingedreht, heute garniert sie Henkel an. Einritzen, anfeuchten, verbinden. Ob der Feuchtegrad von Tasse und Henkel zusammenpassen, erkennt sie an der Färbung des Materials und erfühlt sie mit den Händen, die den Ton verstehen gelernt haben. Seit 20 Jahren ist sie hier, ihr Vater war es sogar stolze 55 Jahre lang, er arbeitete noch mit Hedwig Bollhagen zusammen. Ein Porträt der Matriarchin steht auf einem Stapel mit Keramiken, so wie überall in der Manufaktur. »Wie damals Erich Honecker«, lacht Simone Baum, »nur dass wir sie freiwillig aufstellen«. Bis ein paar Wochen vor ihrem Tod sei sie noch in der Manufaktur rumgelaufen. »Hat sie sich nicht nehmen

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lassen, jedem Guten Morgen zu sagen«, erzählt Simone Baum. »Das war ihr Leben hier, ein Leben für die Keramik.« Das gilt für viele hier. Etwa Diana Weigelt, die im T-Shirt und mit vom Tonschlamm bedeckter Hose vor einer Batterie Gipsformen arbeitet. Vor HB hatte sie schon ein langes Berufsleben in der Ofen- und Kachelfabrik Velten. Als der Betrieb 2016 schloss, fand sie in Marwitz neue Arbeit. Mit ruhiger Hand gießt sie fast flüssigen Tonschlicker in eine Form für eine Gießkanne. Sofort entzieht der Gips dem Ton das Wasser. Die Produkte schwinden und der so genannte Scherben bleibt übrig. Dieser wird verputzt, entgratet und gebrannt. Fast alles hier ist Marke Bollhagen, erklärt Steffen Blochel: »Sie hat über 700 Dekore entworfen, das älteste ist von 1928. Wir entwickeln die Marke behutsam weiter, setzen matte und transparente Farbglasuren ein«.

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Simone Baum ist seit 20 Jahren bei HB und Spezialistin. Hier garniert sie Henkel an Milchkaffeetassen. Eva Schober (l) und Annett Schreiber malen Fayencedekore von Hand in die Glasur. Danach kommen die Keramiken in den zweiten Brand. Die kugelförmige Vase mit der Formnummer W7B wurde Mitte der 30er Jahre vom Bauhauskeramiker Werner Burri entworfen und wird seitdem in Marwitz gefertigt. Früher war Blau die stabilste Farbe für Keramiken. Viele der erfolgreichsten Produkte der HB Werkstätten tragen diese Farbe, die immer per Hand aufgetragen wird. hedwig-bollhagen.de


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Manufaktur pur Über eine steile Holztreppe geht es hoch in die Glasiererei, wo die Produkte aus dem ersten Brand weiß glasiert und dann in Fayence-Technik dekoriert werden. Die Malerinnen ziehen gelb-blaue Streifen über ein bauchiges Kännchen. Einmal mit dem Pinsel wackeln – schon ist das Produkt zweite Wahl. Das sensible Material will in jeder Phase umgarnt werden – das macht Keramik so spannend. Nebenan arbeitet Hashmat, ein junger Maler, der vor fünf Jahren aus Afghanistan nach Brandenburg kam und mit seinem Talent bei HB durchstarten konnte. Freihändig gelingt dem Maler auf einem Teller das für HB charakteristische Ritzmuster, bei dem er mit einem Skalpell kleine Striche und Punkte in eine zuvor aufgetragene schwarze Tonschicht ritzt. Anschließend geht der Teller in den ersten Brand, wird danach transparent glasiert und kommt erneut in einen der großen Elektroöfen. Abkühlen, Kontrollieren, Schleifen – 50 bis 60 Mal wurde eine Keramik bis dahin in die Hand genommen.

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»Dieser Aufwand hat sich nicht immer finanziell getragen«, sagt Betriebsleiter Christian Sacher. »Nach dem Tod von Hedwig Bollhagen 2001 geriet das Unternehmen ins Schlingern, die Produktionskosten überstiegen die Erlöse.« Die Zäsur kam 2013 mit den neuen Eigentümern Lars Dittrich und Alexander Grella. Letzterer strukturierte die Werkstätten um, setzte 2017 Steffen Blochel als Geschäftsführer der Vertriebsgesellschaft ein und investierte in den Online-Shop, mit dem die Produkte finanziell auf Erfolgsspur gingen. In Pandemiezeiten läuft das Geschäft besonders gut. Geschichte im Blick Mittlerweile trägt sich die Manufaktur, die Bestseller laufen immer – das blau-weiße und blau-gelbe Geschirr, die Pünktchen-Serie, das Fadenkaro. Zunehmend kommen junge Leute über Social Media zu HB. Und für die designaffine →

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Unternehmen im Porträt Versiert in allen Techniken: HB-Manufakturist Hashmat beherrscht Fayence-Malerei ebenso wie das Ritz-Unterglasur-Verfahren. Von ihm angeleitet lernen Besucher in Workshops die Grundlagen der Keramikmalerei und können ihre eigenen Dekore auf Geschirrteile bringen.

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Kundschaft ist der Bezug zum Bauhaus attraktiv. Die Werkstätten veranstalten Workshops, und die Rundgänge durch die historische Produktion bieten ein Abenteuer, wie es analoger nicht sein kann. Geschichte erzählen Hedwig Bollhagen, 1907 geboren, spiegelt viele Aspekte eines Jahrhunderts deutscher Geschichte wider. Inhaber Alexander Grella will diese Geschichte noch deutlicher erzählen. Auch die der Gründung, denn Hedwig Bollhagen übernahm 1934 den stillgelegten Betrieb der jüdischen Keramikerin Margarete HeymannLoebenstein, die ihn 1933 schließen musste und an den Generalsekretär des Reichsverbandes des deutschen Handwerks,

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Heinrich Schild, verkaufte. Dieser übertrug die Leitung 1934 an Hedwig Bollhagen. Die Frage, ob sie eine Sympathisantin war, hat das Zeithistorische Institut Potsdam geklärt und widerlegt. Sie bot in den dreißiger Jahren Künstlern, die von den Nazis als entartet diffamiert worden waren, Zuflucht und Arbeit. Und sie entließ einen Ofensetzer, der sich weigerte, die Keramiken ihrer jüdischen Freundin Nora Herz zu brennen. Besucher können Werke von Künstlern, die in den HB Werkstätten k ­ reativ waren, in der ehemaligen Freidreherei anschauen. Mit wechselnden Ausstellungen bewahrt das Team das Erbe – und will zugleich Bollhagens Ideen

Berühmt wurde Hedwig Bollhagen auch durch die Ritz-Unterglasurmalerei. Das Dekor wird mit schwarzer Engobe auf den reinen Scherben aufgetragen, durch SgraffitoTechnik verfeinert und transparent glasiert.

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von zeitlosen Formen und Dekoren in die Zukunft führen. »Weil diese besonderen Keramiken bis heute begeistern, konnte sich unsere Manufaktur als eine der wenigen in Deutschland am Markt behaupten«, sagt Steffen Blochel, der sich keine Gedanken um die Kollektion macht: »Hedwig Bollhagen war äußerst produktiv. Wir haben noch Entwürfe für die nächsten Jahrzehnte.« ¶

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HB Werkstätten für Keramik Hedwig Bollhagen (1907 –2001) besuchte ab 1925 die ­Fachschule für Keramik in Höhr. 1927 übertrug ihr Dr. ­Hermann Harkort die ­Leitung ­seiner Keramikwerkstätten ­in ­Velten-Vordamm. 1934 gründete sie die H ­ B-Werkstätten Marwitz. Sie war ­geprägt von den Bauhaus-­Keramikern ­Theodor Bogler und Werner Burri sowie vom Maler und Bildhauer Charles Crodel. Mit der ­Fayence Vase »Form 1047« ­gewann ­Hedwig Bollhagen auf der ­Pariser Weltausstellung 1937 eine Gold­ medaille. 1972 wurde der Betrieb in der DDR verstaatlicht, Hedwig Bollhagen behielt aber die ­Leitung und übernahm die Werkstätten nach der Wende 1992 wieder selbst. 2006 wurde sie vom Goethe-­Institut ­posthum als einer der bedeutendsten deutschen Designer ausgezeichnet und 2015 wurde ihr Nachlass zum ­nationalen Kulturgut erklärt. ­Dieser ist im Hedwig Boll­hagen ­Museum in Velten zu sehen.


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Weißes Wunder Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin ­ Was Wilhelm Caspar Wegely 1751 vorhatte, muss dem preußischen König gefallen haben: Eine Manufaktur für ­Porzellan wollte der Fabrikant in Berlin errichten. Friedrich II stimmte zu und verfügte sogleich, dass das Rezept zur Porzellanherstellung unter keinen Umständen offenbart werden dürfte. 1763 übernahm der Regent selbst das Unternehmen und gab ihm den Namen Königliche PorzellanManufaktur Berlin (KPM Berlin). Auch heute, Jahrhunderte später, ist das Rezept noch immer geheim. Kaolin, Feldspat, Quartz und gefiltertes Berliner Leitungswasser – mehr ist nicht über die Bestandteile der Rohmasse zu erfahren, die in zahlreichen Schritten in Porzellan verwandelt wird. Diese besondere Art der Fertigung brummt im KPM-Quartier in Berlin-Charlottenburg auch im Lockdown-Winter 2021. Seit König Friedrich II die Manufaktur übernahm, stand sie nie still. Über Jahrhunderte war Porzellan Ausdruck von Reichtum und Macht. Servicegeschirr der KPM Berlin stand in Schlössern, später in großbürgerlichen Wohnungen und in Berliner Senatskanzleien auf dem Tisch. Der buchstäbliche Bruch kam zu Wende­zeiten. Billigimporte aus Asien überschwemmten den Markt. Einrichtungshäuser warfen ihren Kunden Geschirr fast hinterher, und warum 50 Euro für eine Kaffeetasse ausgeben, wenn es den Pott für zwei Euro gibt? Analoge und digitale Welten KPM-Inhaber Jörg Woltmann kann das nicht erschüttern. Er glaubt an die Zeitlosigkeit schöner Tischkultur und er denkt nicht in Jahren, sondern Jahrzehnten. »Für viele Menschen, die gutes Essen schätzen, gehört dazu hochwertiges

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Porzellan«, ist er überzeugt. Und obwohl es vor allem »ein patriotischer Akt« war, hätte der Ur-Berliner ohne diesen Glauben die KPM im Jahr 2006 nicht gekauft und somit vor der Insolvenz bewahrt. Um das Produkt herum hat der Unternehmer eine Erlebniswelt geschaffen, die als Mix aus klassischer Manufaktur, Luxusprodukten und Eventbereichen bis hin zum Hotel ein spezielles KPM- Lebensgefühl vermittelt. Zugleich ist der Porzellanvertrieb →

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Stolz auf die Fähigkeiten seiner rund 200 Mitarbeiter: Jörg Woltmann ist seit 2006 Inhaber der Königlichen Porzellanmanufaktur (KPM) Berlin. kpm-berlin.com

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Aufwändige Dekor­ malerei bei KPM: Charakteristisch für das Service »Kurland« ist die Reliefbordüre.

erfolgreich in der digitalen Welt angekommen. Neben den eigenen Stores erreicht die KPM mit ihrem Onlineshop ein diverses, internationales Publikum, das die vielfältige Kollektion zu schätzen weiß und auch bereit ist, für eine Tasse einen höheren Preis auszugeben. Die Porzellanfertigung ist aufwändig, und in jedem Arbeitsschritt kann sich das empfindliche Material als zickig erweisen, wenn Keramiker wie moderne Alchimisten die graue Rohmasse in strahlend weißes Geschirr verwandeln. Wenn sie mit ihren Händen aus einem Klumpen schlanke Gefäße in die Höhe ziehen. Wenn sie Figuren aus zahlreichen einzeln gegossenen Elementen zusammensetzen oder sie mit mehr als 3.000 Messerschnitten aus einem feuchten Scherben einen Porzellankorb schneiden. Porzellan erfordert Konzentration und Können, auch von den rund 40 Malern der KPM. Sie vollenden Einzelteile mit kunstvollen Dekoren oder tragen hauchfeines Echtgold auf. Meisterhaftes Handwerk, das M ­ enschen hier oft seit Jahrzehnten ausüben, weil es für sie eine Berufung ist. Handmade in Berlin Das Handwerk bleibt zeitlos, das Design führt in die Zukunft. Immer schon. Entwürfe von Karl Friedrich Schinkel, Gerhard Marcks, Trude Petri, Enzo Mari und vielen anderen Künstlern waren stilprägend. Kollektionen wie »Arkadia«, »Urbino« und »Berlin« sind moderne Klassiker. Und Entwicklungen wie die Laborporzellan-Kollektion LAB von KPM-Chefdesigner Thomas Wenzel gehören heute zur Avantgarde. Dabei ist nicht mehr das Kaffeeservice der Star, sondern Einzelstücke wie Mörser, Becher oder ein doppelwandiger Kaffeefilter. →

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Doch keine Kollektion verkörpert die KPM Berlin so wie das 1790 entstandene »Kurland«. »Welches Unternehmen hat ein Produkt, das seit über 230 Jahren Bestseller ist?«, sagt Jörg Woltmann, der sich schon als 28-Jähriger ein Service aus der Serie gekauft hat – und immer noch benutzt. Mit dem Kaffee-To-Go-Becher ist die »Kurland«-Familie im 21. Jahrhundert angekommen – so erfolgreich, dass man mit der Produktion kaum hinterherkomme, erklärt Woltmann. Friedrich II würde staunen. Wohl auch über die »Kurland« Currywurstschale als Liebeserklärung an die Berliner Fastfood-Legende, über Porzellan auf Birkenstock-Sandalen oder in Bugatti-Autos. KPM wusste sich immer in Szene zu setzen, bei Endkunden und Handelspartnern, bei designaffinen Genießern und traditionsbewussten Individualisten.

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Wohnen wie moderne Könige Die KPM ist eine Stadt in der Stadt. Mit Manufaktur, Ateliers und einer Ausstellung. Sie wächst, und man kann in ihr wohnen. 50 Meter von der Manufaktur entfernt hat Jörg Woltmann 2019 das KPM Hotel & Residences gebaut und kurz vor dem Lockdown eröffnet. Ein individuelles Haus mit 173 Zimmern, davon 56 ausgestattet für lange Aufenthalte in Berlin, inklusive KPM-Porzellan.

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Vielleicht habe die Pandemie etwas Gutes, meint Inhaber Woltmann. Dass sich die Menschen auf ein schönes Zuhause und hochwertiges Manufakturporzellan besinnen. Dass sie Produkte »Handmade in Berlin« wertschätzen und Nachhaltigkeit darin erkennen. Würde man eine Tasse in die Erde ein- und in 10.000 Jahren wieder ausgraben – sie sähe sie wohl noch genauso aus wie heute. »Porzellan ist einfach für die Ewigkeit gemacht.« ¶

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Die minimalistisch-technischer Formensprache der LAB Serie ist inspiriert vom KPM Laborpor­ zellan des 20. Jahrhunderts. Feinschliff der Unterseite einer Dose – einer von zahlreichen Schritten der Porzellanfertigung. Mit zehn Qualitätskontrollen wird jedes Objekt von Hand verlesen. Gedreht und sauber geputzt: Fertigung des ­»Kurland« To-go Bechers aus feinstem Porzellan. Das KPM Hotel & Residences ist Teil des ­Gebäudeensembles der KPM. Das Atrium ist als Meeting-Place und als Aufführungsort für ­Kulturveranstaltungen gestaltet.

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KPM Berlin Der preußische König Friedrich II gründete im September 1763 die Königliche PorzellanManufaktur Berlin (KPM Berlin). Sieben Könige und Kaiser prägten das Unternehmen. Im Laufe ihrer Geschichte leistete sich die KPM immer selbstbewusst ihren eigenen künstlerischen Stil mit Entwürfen von Künstlern wie Friedrich E. Meyer, JohannGottfried Schadow, Karl Friedrich Schinkel, Gerhard Marcks, Trude Petri und Enzo Mari. Seit 2006 ist Jörg Woltmann Inhaber der KPM Berlin. Unter der Leitung von Geschäftsführerin Martina Hacker und Kreativleitung von Chefdesigner Thomas Wenzel entsteht Porzellan mit klarer und funktionaler Formen­sprache. Die Porzellanmalerei der KPM hat die UNESCO-­Kommission 2016 in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

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EXPERTENINTERVIEW

Zukunftsforschung – Freie Universität Berlin

Eine Welt mit vielen Zukünften Die Zukunft hat Menschen schon immer fasziniert. An der Freien Universität Berlin lernen Studierende, wie man sie erforscht. Dr. Christian Neuhaus ist Lehrbeauftragter im Masterstudiengang Zukunftsforschung, sein Fachgebiet ist das Einsatzfeld Wirtschaft. Unser Gespräch findet im großen Hörsaal der Freien Universität statt, die wegen des Lockdowns im Winter 2020/21 wie leergefegt ist – ein Szenario, das auch Zukunftsforscher in dieser Breite nicht erarbeitet hatten. Für Christian Neuhaus ein anschaulicher Beleg für die These, dass Zukunft immer offen ist – und in vielen Varianten denkbar. INTERVIEW

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Marcel Schwickerath

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Zukunftsforschung – Freie Universität Berlin

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Dr. Christian Neuhaus vermittelt Grundlagen und Methoden zur ­Er­forschung, Konstruktion und Re­ flexion von Zukunftsvorstellungen. Abgesperrte Sitzreihen im Hörsaal: Im Winter­semester 2020/21 finden die ­Vorlesungen nur online statt.

Herr Dr. Neuhaus, wie lässt sich Zukunft erforschen, wo sie einem doch immer entwischt? Beim Überprüfen ist sie schon wieder Vergangenheit. Dr. Christian Neuhaus Zukunft existiert nicht, man kann sie nicht befragen oder messen, das ist richtig. Alles, was wir haben, sind Vorstellungen von Zukunft, die ich Zukunftsbilder nenne. Ein Zukunftsforscher arbeitet daran, Zukunftsbilder in einer systematischen, reflektierten und aufgeklärten Weise zu erzeugen. Wir alle machen uns permanent Bilder von dem, was kommen könnte – aber eher in einer verkürzten, erratischen Weise. Zukunftsforscher haben gelernt, das professionell zu tun, um später als hauptamtliche Beratende in Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft tätig zu sein. B*

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Bei welchen Themen ist es sinnvoll, Zukunftsbilder herzustellen? Die Themen sind vielfältig, zum Beispiel Zukunft der Arbeit, Globalisierung, Auswirkungen des Klimawandels, Technikfolgenabschätzung – aber auch langfristige Strategieplanung in Unternehmen. Die Ergebnisse unserer Forschung machen mögliche Zukünfte sichtbar und stellen sie zur Diskussion. Der wesentliche Unterschied zum Erstellen eines einzelnen Leitbildes oder einer Prognose ist, dass wir von einer offenen Zukunft ausgehen. Deshalb entwerfen wir multiple Szenarien, die breite gesellschaftliche Fragestellungen berücksichtigen.

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Warum sprechen Sie im Plural von Zukünften? Das ist ein Begriff, über den man vielleicht erstmal stolpert, weil man denkt, es gibt nur eine Zukunft. Doch das stimmt nicht. Es gibt in jeder Situation verschiedene Zukünfte. Schon Ihre Zukunft und meine Zukunft unterscheiden sich, weil unser jeweiliger Betrachtungsstandpunkt ein anderer ist. Für Zukünfte lassen sich unendlich viele Annahmen treffen. Haben Sie Schwerpunkte? Die Leitfragen sind: Was ist das Problem und wer soll – orientiert durch Zukunftsbilder – handeln? Ist es ein Szenario für die Bundeskanzlerin? Für ein Reisebüro? Oder für einen Automobilhersteller, der beispielsweise ein neues Fahrzeug auf den Markt bringen möchte? Die Fragen lauten immer: wozu – und für wen? Am Beispiel Automobilhersteller: Welche Disziplinen beziehen Sie für Zukunftsszenarien mit ein? Insbesondere naturwissenschaftlichtechnische, ökonomische, psychologische und sozialwissenschaftliche Disziplinen. Wir fragen nach den Einsatzzwecken und Käufergruppen. In welcher Welt leben sie heute – und was wirkt auf sie in den kommenden zehn Jahren ein? Politisch, ökologisch, wirtschaftlich? Danach arbeiten wir mehrere Rahmenszenarien aus, also drei oder vier plausible Zukünfte für →

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Dr. Christian Neuhaus Christian Neuhaus ist Dipl.-Kommunikationswirt (HdK Berlin) und Dipl.-Kaufmann (TU Berlin). Promoviert hat er zum Thema »Zukunft im Management« an der Freien Universität Berlin, Institut für Management. Er ist beratend in Zukunfts­forschung und Strategieentwicklung für Unternehmen und andere ­Organisationen tätig. Bis 2015 ­arbeitete er bei der Daimler AG, Research & Development, S ­ ociety and Technology Research Group. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind ­Umfeldanalysen, Zukunfts­ szenarien und Strategieprozesse für Stadt- und Raumentwicklung, Luftfahrtindustrie, Energie­ wirtschaft, ­Medienorganisationen und Konsumgüter-Handel.

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diese Produktfrage. Und schließlich muss es darum gehen, diese Bilder in die strategische Diskussion im Unternehmen zu bringen, damit dieses seine Entscheidungen für die Produktentwicklung treffen kann. B*

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Wenn man sich die vergangenen zehn Jahre anschaut – mit immer schnelleren Veränderungen oder Ereignissen wie die Pandemie – wie weit ist es noch möglich, zuverlässige Szenarien zu entwickeln? Das Jahr 2020 illustriert, dass sich Dinge sehr viel schneller ändern können, als wir das normalerweise erfahren. Es kann immer etwas passieren, das schnell große Wirkung hat. Das wird in der Forschung als Wild Cards, als plötzlich und unerwartet auftretende, gravierende Ereignisse bezeichnet. Selbst ohne sie sind zehn Jahre eine lange Zeit. Es kann sein, dass sich die Zukunft irgendwo zwischen den formulierten Szenarien bewegt. Aber wenn wir einigermaßen gute Arbeit leisten, fangen wir einen großen Korridor von Möglichkeiten ein und sorgen dafür, dass unsere Adressaten in der Lage sind, auch auf andere geänderte Umstände zu reagieren. Hat die Pandemie Ihre Zunft kalt erwischt? Wir haben zuvor in einer Welt gelebt, in der die Gesellschaft Infektionskrankheiten hingenommen hat, etwa die jährliche Grippewelle. Oder Tuber­ kulose, die lange Zeit verschwunden war und dann wiederauftauchte. In den klassischen Listen von Wild Cards, also von gravierenden, wenig wahrscheinlichen Ereignissen, kamen immer schon pandemische Infektionsgeschichten vor. Und sehr wohl hat es auch Krisen­ szenarien und Notfallübungen dazu

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gegeben – neben vielen anderen über Naturkatastrophen, klimatische Veränderungen und Wirtschaftskrisen. Aber ehrlicherweise muss man sagen, dass es in dieser Breite nicht systematisch durchgespielt worden war. B*

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Nehmen diese Ereignisse zu, und wird die Zukunft unvorhersehbarer? Das weiß ich gar nicht, denken Sie an die Weltfinanzkrise 2008 oder an 1989. Das war so unvorhergesehen wie Weniges. Ich bin mit solchen die Gegenwart überhöhenden Aussagen vorsichtig. Auch, weil es zu meiner Grundausstattung in diesem Beruf gehört, zu wissen, dass ständig überraschende Dinge auftauchen. Zukunft ist letzten Endes nicht nur etwas, das wir nicht sehen können – sie existiert einfach nicht. Sie ergibt sich von heute auf morgen. Normalerweise aber nicht mit Ereignissen, die so weite Kreise ziehen, wie die jetzige Pandemie. Faktenresistente Menschen entwerfen – nicht nur – zu Corona ihre eigenen Zukunftsbilder und Erklärungen, was sagen Sie dazu? Grundsätzlich versuchen Menschen, für Ereignisse eine sinnvolle Erklärung zu finden. Das kann geerdet oder unter

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Zukunftsforschung Masterstudiengang, Freie Uni Berlin Der interdisziplinäre Masterstudiengang Zukunftsforschung ist im deutschsprachigen Raum einzigartig. Seit 2010 lernen Studierende die Grundlagen und Methoden zur Erforschung, Konstruktion und Reflexion von Zukunftsvorstellungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Lehrende sind neben Professoren und Professorinnen und Mitarbeitenden unterschiedlicher Fachbereiche der Freien Universität qualifizierte Personen aus anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen und Beratungseinrichtungen. Neben traditionell verwendeten Methoden wie der Delphi-Methode, der Szenario­ technik, der Leitbildanalyse, Roadmaps und anderen Verfahren wie Zukunftswerkstatt oder Design Thinking, greift die Zukunftsforschung auf das Methodenrepertoire sämtlicher sozial-, natur- und computer­ wissenschaftlicher Disziplinen zurück. master-zukunftsforschung.de


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Zukunftsforschung – Freie Universität Berlin

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In Pandemiezeiten leergefegt: Der verlassene Campus der Freien Universität Berlin.

irrationalen Annahmen geschehen. Bis hin zu uralten Mechanismen, die Menschen schon seit Jahrtausenden anwenden, also dass es zwingende Gründe und Leute geben muss, die eine Situation herbeigeführt haben. Eigentlich das gleiche Motiv, mit dem sich Menschen vor einigen tausend Jahren auch die Götter vorstellten. Diskutierte man früher zu fünft in der Kneipe, verhandeln heute 50, 500 oder 5.000 Leute in einem virtuellen Raum Dinge in einer Art, die früher außerhalb des Dorfes nie stattgefunden hat. Das sind Phänomene, die unsere Kommunikation, die letztlich Substanz unserer Gesellschaft ist, in einer nicht unerheblichen Weise beeinflussen. B* CN

War Zukunft früher überschaubarer? In den frühen 1960er Jahren herrschte eine große Technikeuphorie und der Glaube, dass es nicht lange dauern würde, bis Menschen so ziemlich alles unter Kontrolle haben. Auf der anderen Seite gab es klare internationale Konfliktlinien. Die Welt in Westdeutschland war von dem Grundvertrauen geprägt, dass es immer besser wird. Ich denke an die Aussage von Helmut Schmidt 1972, dass fünf Prozent Inflation besser zu ertragen seien als fünf Prozent Arbeitslosigkeit, womit er andeutete, dass sich das eine mit dem anderen beheben lasse. Die Logik dahinter war, dass wir die Instrumente haben, mit denen wir die wirtschaftliche Entwicklung steuern können. Heute wissen wir, das nächste Ding kommt um die Ecke, wir wissen aber nicht was es ist. Das Bewusstsein ist gewachsen, dass wir nicht alles unter Kontrolle halten können und dass viele technischen Lösungen Folgen haben.

Teilweise ist heute die Reflexion über diese Folgen so ausgeprägt, dass darüber manche Entscheidungen sehr lange dauern. B*

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Was lehren Sie, und was können Studie­ rende mit ihrem Master in Zukunfts­ forschung tun? Mein Feld ist Zukunftsforschung mit dem Einsatzfeld Wirtschaft. Die Frage ist hier: Wo und wie werden in Unternehmen langfristig bindende Entscheidungen gefällt, denn erst langfristig bindende Pläne machen die Zukunft relevant. Alle strategischen, alle produktionstechnischen Entscheidungen haben ausgedehnte Prozessen zur Folge, deren Erfolg von Rahmenbedingungen abhängt. Bekomme ich das Personal, das Kapital, die Erlaubnisse? Erhalte ich die gesellschaftliche Legitimität, die ich brauche? Wohin entwickelt sich die Gesellschaft? Studierende lernen, verschiedene Varianten von Zukunft vorstellbar zu machen und die Bilder davon in die Gegenwart zu holen. Sie kennen die methodischen Grundlagen, haben die Werkzeuge. Sind Sie selbst beratend tätig? Potenziell berate ich alle die, die Fragen zum aufgeklärten Umgang mit Zukunft haben, und sich auf langfristig bindende Entscheidungen vorbereiten wollen. Wer seinen oder ihren Umgang mit Zukunftsfragen auf der Höhe der Diskussion etwas professioneller aufstellen möchte, für den oder die stehe ich zur Verfügung. Meine Hauptaktivitäten bestehen allerdings mittlerweile in der Lehre – schon länger an der Freien Universität, gelegentlich an der ETH Zürich und neuerdings an einer Hochschule in Österreich.

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Sie verwenden häufig die Vokabel »aufgeklärt«. Gegen wen wollen Sie sich abgrenzen? »Aufklärung« ist mir wichtig, weil ich versuche, ein Bild von Zukunftsforschung zu vermitteln, das frei von magischem Denken ist, welches da heißt: ich kann ausrechnen, wie es wird. Die richtigen Experten werden mir schon sagen, wie es kommt. Könnte man die Zukunft vorhersagen, würde man zum Beispiel unternehmerisch gar nicht tätig werden können. Unternehmertum beruht darauf, zu gestalten, dafür ist die Offenheit der Zukunft Bedingung. Sind Ihre Absolventen gefragte Arbeitskräfte? Zukunftsforscherinnen und Zukunftsforscher arbeiten in Versicherungen oder in Forschungseinrichtungen, andere in Innovationsabteilungen in Unternehmen im Marketing oder in der Produktionsplanung. In der Politik arbeiten sie an der Vorbereitung von langfristigen Entscheidungen beispielsweise im Bereich Sicherheit mit. Den hauptamtlichen Zukunftsforscher gibt es als Stellenbeschreibung in der Regel nicht. Aber es gibt viele Tätigkeiten, die seit Alters her damit befasst sind, über langfristige Folgen nachzudenken, langfristige Pläne zu entwickeln, langfristige Potenziale zu beurteilen oder Risikosituationen einzuschätzen. Insgesamt hat man erkannt, dass es mit der Kontrollierbarkeit nicht allzu weit her ist, sondern dass die Zukunft offen ist. Früher hatte man gesagt: Wird schon irgendwie gehen. Heute wächst der Bedarf an Orientierung. ¶

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ZUKUNFT

Berliner Wasserbetriebe

Wasser Marsch! Der Klimawandel ist schon vor der Haustür angekommen. Berlin geht das Wasser aus. Wie die Berliner Wasserbetriebe versuchen, den Wasserkreislauf zu stabilisieren. TEXT

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Marcel Schwickerath

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ZUKUNFT

Berliner Wasserbetriebe

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Weil Berlin wächst, wächsen auch die ­Aufgaben der Wasserbetriebe: zwei neue Reinigungsanlagen entstehen. Michael Kempf leitet das Klärwerk in Waßmannsdorf, einen von sechs Standorten der Berliner Wasser­betriebe.

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Michael Kempf weiß, was wir letzten Sommer getan haben. Wann wir unseren Rasen wässerten, den neuen Pool fluteten. Er weiß, wann wir aufstehen. Ob wir uns mit Diclofenac die müden Muskeln eingerieben haben. Er weiß, wenn der Starkregen im Sommer die Kanalisation zum Überlaufen bringt, ohne aus dem Fenster zu schauen. Michael Kempf weiß das alles, weil unser Abwasser bei ihm ankommt, im Klärwerk in Waßmannsdorf, gleich neben der Einflugschneise des BER. Kempf leitet das Klärwerk. Er arbeitet für die Berliner Wasserbetriebe, Europas größtem Wasserversorger. Sein Auftrag ist es, den Wasserkreislauf der Hauptstadt stabil zu halten. Der Job ist sicher, denn Berlin geht das Wasser aus. Kempfs Abwasser wird deshalb immer wichtiger: In Zukunft muss es irgendwann so sauber sein, dass wir es im besten Fall trinken könnten, wenn es Kempfs Klärwerk verlässt.

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Die Anlage in Waßmannsdorf ist eines von sechs Klärwerken in Berlin. Zusammen reinigen sie jeden Tag 624.000 Kubikmeter Toilettenwasser, Badewasser, Regenwasser, Industriewasser, Küchenwasser. Bald schon werden es deutlich mehr sein, denn Berlins Wasserbedarf wird bis 2050 um die Hälfte wachsen, weil jedes Jahr 40.000 Menschen in Hauptstadt und Speckgürtel ziehen. Weil Tesla nicht der einzige Konzern bleiben soll, der →

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ZUKUNFT

Berliner Wasserbetriebe

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sich in der Nähe des neuen Flughafens niederlässt. Und weil der Klimawandel nicht nur die Nachrichten erreicht hat, sondern längst auch das Grundwasser Berlins, aus dem die Wasserbetriebe das Trinkwasser der Hauptstadt filtrieren. „Das Berliner Wasser gehört zum besten in Deutschland", sagt Jörg Simon, Kempfs Chef bei den Wasserbetrieben. Weil nur Grund- und kein Oberflächenwasser aus dem Müggelsee mehr in die Leitung komme. Damit das so bleibt, braucht es Menschen wie Michael Kempf. Zu besichtigen ist der Klimawandel an den Ufern der Brandenburger Seen, Stege und Sprungtürme ragen so weit aus dem Wasser wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen in den sechziger Jahren, die Wasserstände waren noch nie so niedrig. Hat es im lang jährigen Schnitt in der Region 580 Liter auf dem Quadratmeter geregnet, waren es in den letzten Jahren bis auf 2017 deutlich weniger, manchmal nur 400. Die Speicher sind bis hinauf in die sächsische Oberlausitz schon jetzt bedenklich leer. Die Talsperre Spremberg als letzter großer Spreespeicher vor Berlin ist laut dem Brandenburger Landesumweltamt zurzeit nur zu etwa 40 Prozent gefüllt – weit geringer als das für diese Jahreszeit vorgesehene Minimum. Sowohl die Spree als auch Havel und Dahme führen kaum die Hälfte der sonst im Dezember üblichen

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Wassermengen. Wasserverbrauch und Verdunstung steigen in den immer längeren Trockenperioden. Damit die Hauptstadt flüssig bleibt, braucht sie vor allem die Spree. Die soll laut einer Vereinbarung zwischen Berlin, Brandenburg und Sachsen mindestens acht Kubikmeter pro Sekunde in die Hauptstadt bringen. Tatsächlich schafft sie das in den Sommermonaten seit Jahren kaum noch. »Keiner hat damit gerechnet, dass der Klimawandel so schnell über uns hereinbricht«, sagt Kempf. »Irgendwann brauchen wir das gereinigte Abwasser als Ressource hier bei uns, dann muss es noch sauberer sein als heute.« Sagt er mit einem Blick, der kein Wässerchen trüben könnte. Er arbeitet seit 1984 für das kommunale Unternehmen, hat die Teilprivatisierung 1999 miterlebt. Und die Rekommunalisierung nach dem Volksentscheid 2013. Michael Kempf weiß alles übers Wasser, im Studium der Versorgungs- und Energietechnik hat er sich mit dem Spülverhalten beim Toilettengang beschäftigt. Rudolf Virchow und James Hobrecht sind seine Helden, weil sie in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts damit begannen, das Abwasser aus der Stadt zu leiten, zu einer Zeit, als sich die feinen Herren noch im Berliner Schauspielhaus in der Pause noch in einem Bottich erleichterten, den die Nachtammen im Schutz der Dunkelheit in die Spree kippten.

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ZUKUNFT

Berliner Wasserbetriebe

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Rekommunalisierung Am 13. Februar 2011 haben die B ­ erlinerinnen und Berliner ­Geschichte geschrieben: sie h ­ atten nicht nur den ersten Berliner Volksentscheid gewonnen, sondern auch ein Gesetz zur Offenlegung der geheimen Teilprivatisierungsverträge bei den BWB geschrieben. Mit 666 235 Stimmen für den Volksentscheid »Wir Berliner wollen unser Wasser zurück« wurde der politische Druck entfaltet, die im Jahr 1999 vom Berliner Senat an private Konzerne verkauften Anteile an den Berliner Wasserbetrieben zurückzuholen und damit die 2013 vollzogene Rekommunalisierung eingeleitet. Die Nachricht begeisterte nicht nur die Berliner sondern ermutigte Wasseraktive in vielen anderen Städten, ihre Wasserbetriebe wieder in öffentliche Hand zu nehmen. In über 300 Städten weltweit konnte der Privatisierungsirrweg schon gestoppt werden. Die Berliner Wasserbetriebe weisen laut Beteiligungsbericht mit 191,5 Millionen Euro den mit Abstand höchsten Gewinn aller kommunalen Berliner Unternehmen aus.

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In einer vierten und ­fünften Reinigungs­ stufe, mit der dann auch Phosphor und Stickstoff weiter gereinigt werden können ist in Bau. Irgendwann sollen es sieben Stufen sein, ­damit es einmal so sauber ist, dasss man es ab Werk trinken kann. Eine halbe Milliarde Euro verbauen die ­Berliner Wasserbetriebe hier in Waßmannsdorf. 4

Druckrohre der Kanalisation nachkommt. Die Bauarbeiten für eine vierte und fünfte Reinigungsstufe für Flockungsfiltration und Ozonierung, mit der dann auch Phosphor und Stickstoff weiter gereinigt werden können, sind in vollem Gang. »Als ich angefangen habe vor 37 Jahren, hat man ja gerade erst angefangen, sich überhaupt mit Phosphorabbau zu beschäftigen«, sagt Kempf.

bwb.de

Kempf steht in seinem Büro, hinter ihm eine Drohnenaufnahme des Klärwerks auf der grünen Wiese, einst geplant in der Nachwende-Euphorie, als sie den kühnen Prognosen aufgesessen sind und nach der Wende glaubten, dass schon bald sechs Millionen Menschen Trinkwasser brauchen würden. Das Bild sieht so aus, als ob der Anlage ein Lungenflügel fehle, den man dann doch nicht mehr gebraucht hat. Schaut Michael Kempf heute von der Firmenterrasse über das Gelände, dann sieht er eine Großbaustelle. Eine halbe Milliarde Euro verbauen die BWB hier. Weil Berlin mit 20 Jahren Verzögerung doch noch explodiert ist, bekommt das Klärwerk doch noch seinen zweiten Lungenflügel – zwei neue Abwasserreinigungslinien. Dazu noch einen Mischspeicher für 50.000 Kubikmeter Wasser, ein Klotz so groß wie ein Ikea-Markt. Eine Art Wasserparkplatz, der Starkregen wie 2017 aufnehmen soll, damit der nicht die Kloake der Stadt zum Überlaufen bringt, weil die Mikroorganismen der Klärwerke nicht so schnell arbeiten können, wie das Dreckwasser durch die

Noch wird Berlins Abwasser hier in Waßmannsdorf in drei Stufen gereinigt, bevor es in den Teltow-Kanal gepumpt wird und ins Grundwasser zurück versickert. Erst fangen riesige Rechen und Sandfang in den Absatzbecken alles Grobe ab, bevor sich Mikroorganismen biologisch zu 97 Prozent abbauen. Läuft man über die Gitter der Klärbecken, kann man den Bakterien bei der Arbeit zuschauen. Überall brodelt und blubbert es. Schließt man Augen und vor allem die Nase, wähnt man sich am Meer, weil sich die Möwen bis hier her verirren und sich an den letzten Nährstoffen der Berliner Kloake laben. Im Sommer sprießen aus den Baufugen angeblich sogar Tomatenpflanzen, sagt Kempf. Dr. No im alten Bond hätte seine helle Freude an dem Gebräu, wenn er seinen Gegenspieler von der Bildfläche verschwinden lassen müsste. »Hier haben die Bakterien so viel Sauerstoff verzehrt, da gegen Sie unter wie ein Stein«, sagt Kempf. Bald also reinigt Kempf das Abwasser in fünf Stufen, irgendwann, wenn es Senat und Aufsichtsrat beschließen werden es sieben sein. Im Klärwerk Schönerlinde entsteht schon eine Anlage zur Entfernung von Spurenstoffen, etwa zur Reinigung von Medikamentenresten. In Ruhleben eine UV-Filteranlage. »Irgendwann führen die Seen in der Region so wenig Wasser«, sagt Kempf, »dass die Begehrlichkeiten steigen und die Gemeinden darum betteln, unser Abwasser direkt ab Werk zu bekommen. Irgendwann wird es aber auch so sauber sein, dass ich es Ihnen direkt zum Trinken anbieten kann. Neulich haben wir in Schönerlinde schon mal Bier daraus gebraut«. ¶

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ZUKUNFT IN ZAHLEN

Die Digitalisierung wird die Arbeitswelt in Berlin und Brandenburg verändern: Innovationen werden zunehmen, die Arbeitsplatzsicherheit abnehmen. wird abnehmen

2023

2024

kurzfris tiger Nachh oleffek t

altung 2022

16 %

2021

Tierkreiszeichen Stier

wird zunehmen

Innovationstempo

10 %

70 %

Wirtschaftswachstum

13 %

65 %

Anzahl der Beschäftigten

26 %

31 %

Arbeitszufriedenheit

7% verändertes Konsumsverhalten

Laut einer Studie setzt nach der Pandemie wieder eine Normalisierung ein. Auf einen kurzfristigen Nachholeffekt soll eine Kaufzurückhaltung folgen, um dann auf das Niveau von vor der Krise zurückzukehren.

27 %

h Kaufzurück

r Kri

se

50 %

or de au v e v i N

Die Zukunft in Berlin und Brandenburg ist digital

29 %

26 %

Digitale Befragungsplattformen und virtuelle Konferenzen werden in jedem 2. Unternehmen genutzt. Wirklich interaktive Austausch- und Beteiligungs-Tools nur in 2 von 10 Unternehmen.

Horoskope sollen die astrologische Zukunft deuten. Interessierte lesen gern, wie einzigartig, intelligent und liebenswürdig sie laut ihrem Sternzeichen sind. 15.000 Teilnehmer waren Teil einer Studie, die Zusammenhänge zwischen Charakter und Sternzeichen feststellen sollte. Dabei wurde bei niemandem ein Zusammenhang zwischen Sternzeichen und Charakter festgestellt.

Die Entwicklung der Zahlungsmittel:

Quellen: Bundesamt für Statistik / statista.com / Bitkom / Bundesbank / ­Bundesagentur für Arbeit / Amt für Statistik Berlin-Brandenburg / Bain & ­Company ­Studie. Abweichungen der Daten von 2019 bis 2020 aufgrund von Rundungen. ­Illustration: Flaticon.com, Sven Lubenau

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Steinzeit

1500 – 555 v. Chr.

1290

Tausch von natürlichen Waren

Vom Mittelalter bis König Krösus waren Münzen aus Metall

Marco Polo bringt das Papiergeld in die westliche Welt

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ZUKUNFT IN ZAHLEN

Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen liegt bei 83,6, die von Männern bei 78,9 Jahren. Damit hat sie sich seit dem 19. Jahrhundert rasant entwickelt – gegenüber der 1870er Jahren sogar mehr als verdoppelt.

Gewerbeneugründungen 2019 je 10.000 Einwohner: Mit 71 Jahren ist Flamingo Ingo das zur Zeit älteste Tier im Berliner Zoo.

105

54

66

73,4 58,8

Ingo

38,5

Brandenburg

Berlin

83,6

78,9

67,2

56,0

35,6

Deutschland 1870

44% aller unternehmensgründenden Personen

1920

1970

2019

in Berlin sind English-Speaker. Das Verhältnis von Gründerin zu Gründer ist 3:97. Klimafreundliche Mobilität in der Zukunft heißt: Platz sparen. Autos, die von nur einer Person genutzt werden, sollen reduziert werden. Bei dem Transport von 60 Personen von A nach B ist der Platzbedarf mehr als fünf Mal so groß wie im ÖPNV.

76 % 64 %

12,1 %

1,4 % > 50Mbit/s

< 50Mbit/s

64 % der Privathaushalte in

ÖPNV, 6,6 m²

Fahrrad, 60m²

86,5 % Pkw, 414 m²

B

A

Brandenburg können eine Bandbreite von über 50 Mbit/s nutzen. 76 % Gewerbegebiete in Brandenburg haben eine Versorgung von bis zu 50 Mbit/s.

ø 22 Personen, 1,3 m² pro Person

ø 1 Person, 1 m² pro Person

ø 1,3 Personen, 6,9 m² pro Person

1860

1991

1999

2009

2019

2030

Erfindung der elektronischen Überweisung

Kreditkarten werden als Zahlungsmittel eingeführt

Online-Banking ermöglicht Zugang zu Giro- und Sparkonten

Bitcoins werden als Kryptowährung im Internet verwendet

Mit Smartphone und App werden Geldgeschäfte mobil getätigt

Zukünftig könnten Waren biometrisch bezahlt werden

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AUF EIN GLAS

mit Martin Ecknig

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Carsten Jung trifft Martin Ecknig zum Gespräch im GeorgeC.-Marshall-Haus auf dem Messe­gelände unterm Funkturm im Westen der Stadt. messe-berlin.de 1

» Uns stresst nur, wenn man uns nicht machen lässt, was wir können.« Die Messe Berlin ist eine der weltweit umsatzstärksten Messegesellschaften und Betreiber des Messegeländes unter dem Funkturm im Westen der Stadt. Der neue Geschäftsführer, Martin Ecknig, sieht in der aktuellen Situation für die Messen auch große Chancen. Die momentanen Einschränkungen werden zukünftig sogar neue Möglichkeiten für das Messegeschäft mit sich bringen. Über Zukunftsperspektiven spricht Martin Ecknig mit Carsten Jung, dem Vorstandsvorsitzenden der Berliner Volksbank. TEXT

Till Brauckmann FOTOS

Marcel Schwickerath

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Das Marshall-Haus war der Pavillon der USA zur Deutschen Industrieausstellung 1950 und entstand in Rekordzeit. Der Entwurf des Architekten Bruno Grimmek stellt mit seiner großzügigen Verglasung und filigranen Linienführung eine Inkunabel der 50er-Jahre-Architektur dar. Hier treffen sich Martin Ecknig und Carsten Jung »auf ein Glas« – unter besonderen Umständen. Denn immer noch ist Pandemie, immer noch sind persönliche Treffen nur unter strengen Hygieneund Abstandsauf lagen möglich. Der Intensität des Austausches tut das keinen Abbruch.


AUF EIN GLAS

mit Martin Ecknig

Herr Ecknig, was hat Sie bewogen, sich ausgerechnet in diesen Zeiten dem Messegeschäft zuzuwenden? Martin Ecknig Ehrlicherweise habe ich einfach unterstellt, dass es eine gute Zeit nach Corona geben wird. Die Messe Berlin hat außerdem inter­ nationales Renommee, und in der Branche tut sich was. Carsten Jung

CJ

Insbesondere das Messegeschäft lebt ja davon, dass Menschen sich treffen und auch informell austauschen wollen. Man muss sich begegnen, Vertrauen aufbauen. Funktioniert das in Zukunft noch? ME Ich glaube ja. Vielleicht gibt es sogar nach der Pandemie ein ausgeprägtes Nachholbedürfnis. Wir bekommen sehr viel Feedback über das, was im Netz alles nicht geht. Umgekehrt wissen wir aber auch, dass wir mit Onlineformaten Kunden erreichen können, die vorher nicht erreichbar waren. Bei der Eröffnungspresse­ konferenz der Internationalen Grünen Woche waren 900 Journalisten online dabei. Niemals zuvor stießen wir auf ein derart starkes Interesse. Auch können wir bei der ITB Nischenangebote zugänglich machen, für die sich eine Anreise hierher nicht gelohnt hätte. Liegen also angesichts der Erfahrungen mit mobilem Arbeiten hybride Formate zukünftig nahe, bei denen man »vor Ort« und digital kombiniert? ME Wir haben unsere Überlegungen unter der Überschrift »Messe Plus« zusammengefasst: Das starke Standbein der physischen Messe wird komplementär um das ergänzt, was besser

online geht. Die Eintrittsbarrieren sind durch neue Formate extrem niedrig. Ein Beispiel: Wir konnten auf der ersten online ITB, der ITB Berlin NOW, sehr viele Zuschaltungen durch CEOs von Reiseanbietern oder Airlines integrieren, für die sie keine zwei Tage Reise mehr einplanen mussten.

CJ

CJ

Sind die vielen Flächen nicht dennoch eine Herausforderung, auch wenn die Messen wieder stattfinden? ME Grundsätzlich bin ich erstmal froh, dass wir Flächen in dieser Form haben – mitten in der Stadt, nicht irgendwo abgelegen vor den Toren. Bis 2019

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waren wir einer der am höchsten ausgelasteten Messeplätze Deutschlands. Deswegen können wir auch darauf vertrauen, dass wir diese Flächen wieder brauchen werden. CJ

Sehen Sie denn schon wieder mehr Buchungen? Wie ist die längerfristige Perspektive? ME Aus heutiger Sicht kommen wir frühestens 2024 auf ein Niveau, das an die Vor-Coronazeit heranreicht. Leider fehlt uns für eine genauere Planung noch die Gewissheit durch konkrete Buchungen und die daraus resultierenden Antworten auf grundlegende →

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AUF EIN GLAS

mit Martin Ecknig

Fragen wie: Sind die Marketingbudgets dauerhaft gesunken? Oder: Werden sich Reisebeschränkungen in den größeren Unternehmen halten? CJ

Angesichts des aktuellen Impftempos haben wir vermutlich noch länger mit der Pandemie zu tun. Unter welchen Bedingungen können dennoch physische Messen stattfinden? ME Ich gehe davon aus, dass es eine Kombination aus Varianten sein wird: Einerseits Impfnachweise, andererseits Angebote für das Schnelltesten, um das Vertrauen in die Veranstaltung zu stärken. Teilweise haben wir 80 bis 90 Prozent internationale Besucher und Aussteller. Für die brauchen wir auch Lösungen jenseits von zwei­ wöchiger Quarantäne. Das ist entscheidend für das Reiseverhalten. Wie gehen Sie zukünftig mit Besucherandrang um? ME Die Hygiene- und Organisationskonzepte haben wir entweder schon in der Schublade oder können sie schnell erarbeiten. Und wir haben leistungsstarke Partner. Durch den vielen Platz können wir die Zuwegung optimal steuern. Der jetzige Standort des Impfzentrums ist beispielsweise das Ergebnis von Betrachtungen der logistischen Flüsse. Auch Auffindbarkeit und Straßenverkehrsanbindung spielen dabei eine Rolle. Das Handling von Menschenmassen ist unser

Kerngeschäft. Uns stresst nur, wenn man uns nicht machen lässt, was wir können.

CJ

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Meine Mutter war ganz begeistert, wie gut das Impfzentrum am Messedamm funktioniert. Geht so etwas schnell auf­zubauen? ME Das ist ein super Beispiel. Unter hohem zeitlichem und politischem Druck haben wir in der ganzen Stadt sechs Impfzentren pünktlich vor Weihnachten errichtet und damit schneller als am Ende benötigt. Momentan kümmern wir uns hierbei außerdem noch um Facility Management und Catering.

Damit haben wir unter Beweis gestellt, dass so eine Aufgabe bei uns als Messe­gesellschaft richtig aufgehoben ist.

CJ

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CJ

Arbeiten Sie an Messethemen, die in der Vergangenheit vielleicht liegen gelassen wurden? ME Ein gutes Beispiel für zukunftsfähige Themen ist in meinen Augen die digitale Verwaltung. Deswegen betreiben wir gemeinsam mit dem bitkom die »Smart Country Convention«. Aber auch Themen wie Gesundheit oder Reinigung haben Perspektive. Damit kann man derzeit zwar noch nicht


AUF EIN GLAS

mit Martin Ecknig

10 Fragen an … Martin Ecknig im Speed-Small-Talk die ganze Messe füllen. Aber auch eine Grüne Woche hat mal klein angefangen.

Gibt es Überlegungen, was man möglicherweise noch alles mit den Hallen machen kann? ME Nicht nur Überlegungen. In Europa gibt es zwei Arenen, die sich mit dem Thema E-Sports auseinandersetzen. Eine ist in Polen und eine ist hier bei uns. Das ist gar nicht so bekannt. Und auch der erste digitale CDU-Parteitag lief hier bei uns. Unsere multifunktionalen Flächen sind für viele Zwecke und Formate ideal.

Lieblingsgetränk? Ein guter Gin Tonic mit einer Prise frischem Safran aus dem Iran.

CJ

CJ

Was ist Ihr Fazit zur Zukunft der Messen? ME Ausbleibende Messen sind für Unternehmen und besonders für den Mittelstand extrem schmerzlich. In einer DIHK-Umfrage zu den größten Problemen der Pandemie-Situation, landete der Punkt »keine Messen« auf Platz zwei. Die Unternehmen nutzen die jährlichen Messen für Geschäftsabschlüsse und zur Wettbewerbsbeobachtung. Sie führen Nebengespräche und knüpfen vielleicht per Zufall abends an der Hotelbar wertvolle Geschäftskontakte. Der Wegfall all dieser Optionen ist gesamtwirtschaftlich viel gravierender als die unmittelbaren Verluste einer einzelnen Messegesellschaft. Schon deswegen sind wir sicher, dass Messen einer überaus positiven Zukunft entgegengehen. ¶

Welches Buch lesen Sie gerade? Hannah Arendt: Wahrheit und Lüge in der Politik. Was wollten Sie als Kind mal werden? Als Jugendlicher wollte ich etwas mit Datenver­ arbeitung zu tun haben, so hieß das damals noch. Zeitreise – in welcher Epoche landen Sie? Wenn schon Zeitreise, dann bitte in die ­Zukunft, sagen wir mal ins Jahr 2075. Welches ist Ihr nächstes Reiseziel? Im Sommer ist Urlaub an der Nordsee geplant. Wir waren jetzt so viele Jahre in der Welt u ­ nterwegs, jetzt steht erstmal Deutschland oben an. Auf welche Erfindung könnten Sie verzichten? Facebook. Was beeindruckt Sie am meisten? Ehrliche Menschen mit einer eigenen Geschichte. Ihr Lieblingsort in Berlin? Schlosspark in Charlottenburg. Was treibt Sie an? Neugierde und die Möglichkeit zu gestalten. Ihre drei Wünsche für die Zukunft? Für den privaten Teil, ein gutes Leben für m ­ eine ­Kinder, Gesundheit für meine Frau und mich – und, dass Hertha BSC ein Big City Club wird.

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WIRTSCHAFTSREGION

Jörg Woltmann

»Berlin ist einfach meine Stadt« Luxus und Bodenständigkeit sind für ihn kein Widerspruch: Jörg Woltmann ist Inhaber der Königlichen PorzellanManufaktur Berlin und ein Unternehmer alter Schule. Seit 2006 führt er die KPM in die Zukunft – als eine von nur noch wenigen Porzellanmanufakturen in Deutschland. Ein Gespräch über Bauchentscheidungen, Vertrauen und Dankbarkeit. INTERVIEW

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Marcel Schwickerath

Herr Woltmann, schmeckt Ihnen Kaffee aus einer handgefertigten Tasse besser? Jörg Woltmann Das ist kein Werbespruch. Der Kaffee aus einer KPM-Tasse schmeckt besser, weil keine Maschine sie so fein fertigen könnte, wie wir das in Handarbeit tun. In so einer Tasse stecken 29 Arbeitsschritte, das fühlt man auch. Ich gehe jeden Tag mit Demut durch die Manufaktur und sehe, was hier geleistet wird. Ich selbst bin ja kein Porzelliner, wie die Fachleute für Porzellanherstellung bezeichnet werden. B*

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Wie kommt ein Bankier zum Porzellan? Das war ein patriotischer Schritt. Als die KPM vor der Insolvenz stand, dachte ich, das kann nicht sein. Und dann habe ich mich innerhalb einer →


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Woche zum Kauf entschieden – und das ausdrücklich vor der Insolvenz. Wer bekommt schon die Chance, ein so tolles Kulturgut zu retten? Mir geht es im Leben nicht immer nur ums Geldverdienen. Wichtig ist, dass man mal später im Himmel viel zu erzählen hat. B* JW

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Es war eine Bauchentscheidung? Mein bester Berater ist mein Bauch, 80 Prozent meiner Entscheidungen sind von ihm gesteuert. Ich liege zwar nicht immer richtig, aber will mich auch nicht verbiegen. Wenn es schief geht, dann trage ich zum großen Teil die Konsequenzen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Was haben Sie auf den Weg gebracht? Das Wichtigste war, das Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, dann behutsam das Unternehmen zu entwickeln und auch zusammen mit dem Fachhandel in die Zukunft zu führen. Es geht ja darum, ein Kulturgut, ein Handwerk, zu erhalten. Wie aufwändig das ist und mit welch hohen Kosten das verbunden ist, war mir zuvor nicht bewusst. Deshalb habe ich eine Stiftung gegründet, die jetzt die kulturellen Aufgaben übernimmt und beispielsweise das Manufaktur-Archiv pflegt, sodass das operative Geschäft der Manufaktur nicht belastet wird. Denn man bedenke, dass in der KPM über 250 Jahre Tradition und preußische Kulturgeschichte stecken. Ich sage immer: Ich habe ein Unternehmen, was vorher sieben Kaiser und Könige besessen haben. Schon bei Ihrer Mutter stand KPM auf dem Sonntagstisch. Ich wusste bereits als kleines Kind, dass es wertvolles Geschirr war. Denn wenn sonntags von KPM Porzellan gegessen wurde, brauchte ich den Tisch nicht zu decken und abzuräumen. Das Bewusstsein für den

Wert blieb. Nachdem ich mein erstes Unternehmen verkauft hatte, legte ich mir drei Dinge zu: ein schönes Auto, eine schöne Uhr und ein KPM »Kurland«-Service für acht Personen. Heute habe ich eine Autosammlung und eine Uhrensammlung, aber was meine KPM-Stücke betrifft, so ist es immer noch das erste Service. Geht etwas kaputt, kann man es immer wieder nachkaufen. B* JW

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Wie sind Sie aufgewachsen? Ich bin ohne Vater groß geworden. Meine Mutter hatte eine Schneiderei in einer großen Berliner Wohnung, es gab fünf oder sechs Mitarbeiterinnen. Mein Bruder fuhr mit dem Fahrrad die Kleider aus und ich brachte die Schecks zur Bank. Unabhängig sein, selbst gestalten wollte ich schon immer. Aber ich habe erstmal alles durchgezogen: Banklehre und Betriebswirtschaftsstudium. Man weiß ja nie, wofür man es mal braucht. Die Geschäftsführerin Martina Hacker ist Ihre Sparringspartnerin bei der KPM, wie würden Sie Ihre Führungskultur beschreiben? Das müssten andere beurteilen. Ich bin grundsätzlich ein Teamplayer und habe mit Frau Hacker ein sehr offenes, kollegiales Verhältnis. Ich halte mich nicht für Zwerg Allwissend, sondern habe in allen Unternehmen kompetente leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind in ihrem Fachbereich oft kompetenter als ich. Ich denke, ein Unternehmer ist nicht derjenige, der etwas kann, sondern er findet die Menschen, die etwas können. Man hört, Sie setzen sich auch mal zu ihren Mitarbeitern in die Produktion und essen Mettbrötchen zusammen. Über was reden Sie? Ja klar redet man miteinander über dies und das. Wir haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die schon 25,

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30 oder 40 Jahre hier arbeiten. Grundsätzlich bin ich ein Unternehmer alter Schule, akzeptiere jeden Menschen und verfüge – so glaube ich – über eine hohe soziale Kompetenz. Vertrauen ist ganz wichtig, und das bekomme ich zurück. Die Menschen hier wissen, wie viel ich investiere, wie viel Zeit ich mir nehme und Gedanken mache, das Unternehmen nach vorne zu bringen. B*

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Wie ist die KPM Berlin bislang durch die Pandemie gekommen? Dank unseres Onlineshops sehr viel besser, als wir es am Anfang befürchtet hatten. Was natürlich fehlt, sind Touristen in unseren KPM Stores. Doch der Online-Verkauf hat sich so toll entwickelt, wie ich es nicht erwartet hatte. Am Anfang war ich skeptisch, ich dachte, Porzellan ist ein haptisches Produkt, man muss es anfassen. Aber wir haben viele Liebhaber, die unsere Qualität kennen und daher kaufen. Wir sind alle viel mehr zuhause. Verändert sich dadurch auch die Tischkultur?


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Vielleicht denken Menschen darüber nach, was Freundschaften, Familie und ein schön gestaltetes Zuhause für sie bedeuten. Und vielleicht wird auch Nachhaltigkeit in Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Das wird sich mittel- bis langfristig positiv auf die Manufakturbranche auswirken. Man darf nicht vergessen: KPM-Porzellan ist fürs Leben. Man muss es jeden Tag benutzen, nicht nur zu besonderen Anlässen. Es ist vielleicht nicht so günstig, aber seinen Preis wert. Sie können eine Tasse nicht für 19 Euro verkaufen, wenn 25 Menschen in 14 Tagen daran arbeiten. Das genießt man ganz anders und hat einen ganz anderen Bezug dazu.

Wie decken Sie die steigende Nachfrage? Wir sind eine Weltfirma, aber wir können nur eine bestimmte Anzahl von Porzellanstücken herstellen. Porzellan der KPM Berlin ist für einige ein »must have«. Nehmen Sie den KaffeeTo-Go-Becher, da können wir fast gar nicht so viel herstellen, wie er nachgefragt wird. Wir wollen aber nicht die größte Manufaktur werden, sondern als die beste Manufaktur wahrgenommen werden. Es ist selbstverständlich, dass wir nicht im Ausland, sondern hier am Manufakturstandort herstellen. Es muss sich tragen, dann ist die Welt in Ordnung.

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Royales Porzellanensemble fürs Büro: ­KPM-­Porzellan hat Jörg Woltmann ­immer begleitet – für ihn ist es Ausdruck von Lebens­kultur und Nachhaltigkeit.

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habe ich zwischen fünf und acht. Das ist meistens meine Frau, die anruft, wo ich bleibe. Ich versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, zu delegieren, Vertrauen in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu geben. B*

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Woraus ziehen Sie bei Ihrem anstreng­ enden Lebenswandel Kraft? Ich sage immer: Die Weisheit liegt im Weglassen des Unwesentlichen. Was ist denn unwesentlich? Über Dinge, die vergangen sind, rege ich mich nicht auf. Ich schaue positiv in die Zukunft. Eine gewisse Entschleunigung brauche ich auch. Offiziell habe ich kein Handy. Also natürlich ich habe eins, aber es gibt nur fünf Menschen, die meine Handynummer haben. Eingehende Anrufe im Monat

Ideen wie aus der Porzellan­pistole geschossen: Jörg Woltmann ist seit 2006 alleiniger ­Inhaber der KPM Berlin.

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Sie haben enorm viel erlebt. Wofür sind Sie dankbar? Dankbar bin ich dafür, dass ich gesund bin, dass sich unternehmerisch alles positiver entwickelt, als ich jemals geglaubt habe und dass ich ein sehr gutes Familienleben habe. Meine Frau und ich lachen viel zusammen. Als ich letztens mal um 17 Uhr nach Hause kam, sagte sie: Was machst denn Du hier? – Entschuldigung, ich wohne hier. – Aber doch nicht um diese Zeit! Sie sind Berliner durch und durch. Was lieben Sie an der Stadt? Ich liebe diese Stadt über alles. Ich bin nie aus weggegangen und habe alle meine Unternehmen hier gegründet. Den Mauerbau und den Mauerfall habe ich miterlebt. Die amerikanischen Präsidenten, die Berlin besucht haben,

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konnte ich live sehen. Das ist einfach meine Stadt. Berlin ist nie fertig, es passiert immer was. Es ist so ein Glücksgefühl, zu erleben, wie diese Stadt zusammengewachsen ist. Berlin ist einfach Berlin. ¶

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Jörg Woltmann ist 1947 in Berlin geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine Lehre zum Bankkaufmann im Bankhaus Hermann Lampe. Danach studierte er Betriebswirtschafts­lehre und machte sich in der Finanzdienstleistungsbranche selbstständig. Mit 32 Jahren gründete er die Privatbank Allgemeine Beamten Bank, wo er bis heute aktives Vorstandsmitglied ist. 2006 übernahm er die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM Berlin) und gründete zehn Jahre später die »Stiftung Königliche PorzellanManufaktur Berlin« zur Förderung von Kunst und des Kulturgutes. 2011 erhielt er das Verdienst­kreuz am Bande der Bundes­republik Deutschland und 2015 wurde er mit dem Verdienstorden des ­Landes Berlin ausgezeichnet.

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ENGAGEMENT

Europäisches Energieforum, Berlin

Reallabor der Energiewende Der Euref-Campus in Berlin-Schöneberg ist ein Zukunftsort. Seit 2008 hat sich hier eine hochkarätige Mischung aus Global Players, Start-ups, Forschungsinstituten, Thinktanks und Fachverbänden angesiedelt. Gemeinsam wollen sie die Energiewende vorantreiben, den Klimawandel bekämpfen und nachhaltige Lösungen entwickeln für die Welt von morgen. Der Campus ist Ideenlabor und Experimentierfeld zugleich. TEXT

Ernestine von der Osten-Sacken FOTOS

Florian Büttner, Marcel Schwickerath 1

78 Meter hoch ist das Wahrzeichen des Euref-Campus Berlin. Und obwohl sein Skelett aus stabilem Stahl besteht, wirkt das Bauwerk filigran. Als der berühmte Gasometer in Berlin-Schönberg 1913 in Betrieb genommen wurde, konnte er in einer teleskopartig ausfahrbaren Glocke bis zu 160.000 Kubikmeter Gas speichern und war damit einer der größten Behälter seiner Art in Europa. 1995 wurde der Gasometer stillgelegt. Doch inzwischen hat er neue Bedeutung erlangt: »Das ikonische Gebäude steht wie kein anderes in Berlin für das Thema Energie. Es hat daher das Thema für den Euref-Campus Berlin vorgegeben«, erläutert Karin Teichmann, Mitglied des Vorstands und Sprecherin der Euref AG.

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Fruchtbarer Boden für Ideen Als Euref-Chef Reinhard Müller das rund 5.000 Quadratmeter große Areal rund um den Gasometer 2007 von der Gasag erwarb, stand bereits das Konzept, hier einen Zukunftsort wachsen zu lassen. Ein Reallabor der Energiewende und eine Erprobungsplattform für die Mobilität der Zukunft. Seitdem ist viel geschehen: Mehr als 150 Unternehmen haben sich auf dem Campus angesiedelt, darunter Big Player wie die Deutsche Bahn oder Schneider Electric Deutschland ebenso wie zahlreiche klein- und mittelständische Unternehmen. Seit April ist auch die Gasag-Gruppe mit ihrer Zentrale an den Standort zurückgekehrt, Start-ups wie der

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Lebensmittel-Rettermarkt Sirplus nahmen hier ihren Anfang. Eng verzahnt arbeitet die Wirtschaft auf dem Euref-Campus mit Verbänden und Forschungseinrichtungen zusammen. So ist etwa die Technische Universität Berlin mit einem An-Institut und zwei Masterstudiengängen auf dem Gelände vertreten. Und in Thinktanks wie dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change oder der vom ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer mitgegründete TMG Research gGmbH beschäftigen sich renommierte Experten intensiv mit den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Eine hochkarätige Mischung – und zugleich ein fruchtbarer Boden für Ideen.


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Europäisches Energieforum, Berlin

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Standort mit Perspektive: Der Euref-Campus Berlin steht für Klimaschutz, ­Nachhaltigkeit und die Mobilität der Zukunft. Hier entstehen Ideen. Und sie werden auf dem ­Campus auch umgesetzt, denn Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten eng zusammen.

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Euref-Campus Berlin Seit 2008 haben sich auf dem 5.000 Quadratmeter großen A ­ real mehr als 150 Unternehmen, Institu­tionen und wissenschaft­ liche Ein­richtungen angesiedelt. Rund 5.000 Beschäftigte arbeiten und forschen am Thema Energieund Mobilitätswende. Die von der Gasag Solution plus konzipierte und b ­ etriebene Energie­zentrale versorgt das ­Gelände seit 2014 klimaneutral. Architektonisch vereint das Areal denkmalgeschützte ­Gebäude, darunter Bauten von Alfred ­Messel (Pergamon­museum) und als »Green Buildungs« zertifizierte moderne Neubauten in einem energieeffizienten Gesamtkonzept. Der berühmte Gasometer wird noch bis Mitte 2023 saniert. Er soll als zentraler Veranstaltungsort e ­ rhalten bleiben, aber künftig auch ­Büroflächen enthalten. Mit Abschluss der ­Sanierung gilt das Euref-Gelände als fertiggestellt.

Klimaneutrale Energieversorgung »Wir wollen beweisen, dass die Ener­giewende machbar ist«, erläutert Karin Teichmann die Zielsetzung des EurefCampus. »Auf unserem Gelände sitzen viele schlaue Leute. Es geht uns darum, die richtigen Akteure zusammenzubringen und zu zeigen, was mit Produkten, die bereits auf dem Markt erhältlich sind, erreicht werden kann.« In puncto CO2-Emission belegt der Campus das bereits: Seit 2014 ist der EurefCampus klimaneutral – und erfüllt damit schon heute das Klimaziel der Bundesregierung, die Treibhausgasemission bis 2050 um bis zu 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.

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Herzstück der Energieversorgung auf dem Gelände ist die von der Gasag Solution Plus konzipierte und betriebene Energiewerkstatt. Die Anlage zeigt wie die Energieversorgung von Quartieren heute schon aussehen kann. Emissionsfrei versorgt sie die Gebäude auf dem Euref-Campus mit Strom, Wärme und Kälte. Zentrales Element der Anlage ist ein biomethanbetriebenes Blockheizkraftwerk. Dieses erzeugt zum einen grünen Strom, der in das Berliner Stromnetz eingespeist wird. Zum anderen versorgt es die Räume auf dem Gelände über unterirdische Fernwärmerohre mit Wärme oder Kälte. Zwei kleinere Blockheizkraftwerke produzieren den Strom für den Betrieb →

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der Energiezentrale sowie des Smart Grids, an das die e ­ Ladestationen auf dem Campus angeschlossen sind. Über Power-to-Heat /  Power-to Cold–Technologie kann die Energie­­zentrale außerdem überschüssige Energie aus Solarparks oder Windkraftanlagen speichern und diese später entweder zum Erhitzen oder Kühlen von Wasser einsetzen. Gesteuert wird die Speicheranlage über ein selbstlernendes System. Nur E-Mobile auf dem Campus Ein weiteres zentrales Forschungsthema des Euref-Campus Berlin ist die Mobilitätswende. »Wir sind kein öffentliches Straßenland. Das heißt, wir können auf unserem G elände Testfahrzeuge

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ungestört fahren lassen«, erklärt Karin Teichmann. Das heißt konkret: Konventionell betriebene Fahrzeuge müssen draußen bleiben, E-Mobile dürfen überall fahren. So sorgt etwa eine autonome Kehrmaschine des Schweizer Start-ups Enway auf dem Campus für Sauberkeit. Und der selbstfahrende Elektrokleinbus »Emily«, produziert vom französischen Unternehmen EasyMile, unternahm 2017 bis 2018 auf dem Euref-Gelände seine ersten Fahrten – bevor er unter anderem auf ein digitales Testfeld der BVG in Berlin-Reinickendorf entlassen wurde. »Wir sind eben ein Reallabor«, so Karin Teichmann. »Bei uns werden neue Ideen ausprobiert – und dann gehen sie raus in die Welt.«


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Synergien, Kontakte, Sichtbarkeit Der Euref-Campus bietet den hier ansässigen Akteuren noch weitere wichtige Vorteile. Zum Beispiel Sichtbarkeit. Denn in nicht von Corona geprägten Zeiten besuchen das Gelände rund 100.000 Menschen jährlich, darunter internationale Fachdelegationen aus Wirtschaft und Politik. Wertvoll sind auch die Synergien, die auf dem Campus auf kurzem Wege im partnerschaftlichen Miteinander entstehen. Das bestätigt auch Thomas Steinbeck, Area Sales Manager Nord-Ost bei der Firma Mennekes, die auf dem EurefCampus einen Showroom für ihre intelligenten eMobilty-Ladelösungen betreibt: »Unser Unternehmen profitiert vom innovativen Spirit auf dem Gelände und sieht im Euref-Campus den idealen Ort, um E-Mobility und die Mobilitätswende stärker voranzutreiben.« Und wie geht es weiter mit dem Zukunftsort Euref Berlin? »Mit dem Abschluss des Gasometer-Ausbaus zum Büro- und Veranstaltungsort Mitte 2023 wird der Campus fertiggestellt sein. Dann ist er per Definition ein Jetzt-Ort«, sagt Karin Teichmann. Ein zweiter EurefCampus entsteht in Erweiterung des Konzepts gerade in Düsseldorf. Neue Mobilität, Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien werden dort ebenfalls Forschungsthemen sein. Auch die Zukunft hat also eine Zukunft. ¶

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Im Showroom von Mennekes: Früh übt sich, wer später einmal ein echtes eMobil fahren will. Das Wahrzeichen des EurefCampus ist der Gasometer (im Hintergrund). Ebenso wie der Wasserturm von Alfred Messel (vorn) steht er unter Denkmalschutz. Herzstück der Energieversorgung auf dem Gelände: die von der Gasag Solution Plus konzipierte und betriebene Energiewerkstatt. Auch in Pandemie-Zeiten ist hier einiges los, denn geforscht wird immer. So ist etwa die TU Berlin auf dem Euref-Campus mit einem An-Institut und zwei Masterstudiengängen vertreten. euref.de

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Tandemploy

» Noch flexibler geht immer!«

Interessen. Es geht also nicht nur darum, was man kann, sondern auch darum, was man können möchte. »Wir machen im Prinzip nichts anderes als: Zuhören. Wir wollen rauskitzeln, wo die Potenziale der Leute in den Unternehmen liegen«, sagt Anna Kaiser. Je größer ein Unternehmen, desto weniger weiß man schließlich über die Stärken und Talente im Kollegium. Projekt-Teams formieren sich auf diesem Weg nicht mit den üblichen Verdächtigen. Sondern mit denen, die wirklich am besten geeignet sind. Talent-Marketplace nennt man sowas. Und auch wenn das eigene Unternehmen zu klein ist für die Software – 500 Beschäftigte sollten es schon sein – so arbeiten Anna Kaiser, Jana Tepe und ihre 22-köpfiges Team in höchstem Maße flexibel (natürlich). »Wir sind auf der ganzen Welt verstreut. Teilweise arbeiten unsere Mitarbeitenden in Jobsharing-Tandems. Jeder Kollege, jede Kollegin kann die wöchentliche Stundenzahl selbst auswählen«, erzählt Jana Tepe und Anna Kaiser ergänzt: »Uns haben die letzten Monate die Augen geöffnet: Noch flexibler geht immer! Wir dachten vor der Pandemie schon an der Spitze von dem zu stehen, was ‚New Work‘ ausmacht. Aber nein – wir stellen gerade fest: Man muss alles immer wieder aufs Neue hinterfragen. Wichtig ist: Jede und jeder entscheidet für sich. Diese Flexibilität brauchen wir. Am Ende geht es ganz viel um Vertrauen.«

Wer heute von der Zukunft der Arbeit spricht, der lebt meist noch in der Vergangenheit. Denn das, was in der Regel unter Zukunft der Arbeit verstanden und das, was allgemein mit »New Work« beschrieben wird – das funktioniert doch längst. So viel wissen Anna Kaiser und Jana Tepe, Gründerinnen des erfolgreichen TechUnternehmens Tandemploy, sicher. Ganz sicher sogar seit der Covid-19-Pandemie. TEXT

Julia Reichler FOTO

Tandemploy

Flexibilität trifft es am besten. Flexibilität bei der Arbeitszeit. Flexibilität beim Arbeitsort. Flexibilität in Denkmustern, Gewohnheiten, Strukturen. »Mir hat eine Gesprächspartnerin kürzlich gesagt: ‚New Work‘ ist ganz viel Mensch«, sagt Anna Kaiser. »Am Ende geht es einfach darum, dass wir alles, was wir über gute, produktive und gesunde Arbeit wissen, endlich mal umsetzen.« Gemeinsam mit ihrer Mitgeschäftsführerin Jana Tepe hat sie Tandemploy gegründet. Zu Beginn war das Unternehmen der beiden Frauen eine Jobsharing-Plattform – Jobsharing ist ein Arbeitszeitmodell, bei dem sich zwei oder mehr Arbeitnehmer mindestens eine Vollzeitstelle teilen. Die Plattform gibt es heute nicht mehr, Jobsharing ist aber noch immer ein Teil von Tandemploy. »Wir haben eine Matchingplattform entwickelt für Projektteams, für Mentoring-Tandems, für Kurzeinsätze in anderen Abteilungen oder einfach nur für LunchDates. Mittlerweile haben wir um die zehn Themen und davon ist Jobsharing nur noch eines«, erklärt Jana Tepe. Dasselbe Prinzip wie bei der Online-Partnersuche – die Software der Frauen vernetzt in einem Unternehmen gezielt Menschen und deren Wissen. Vom kleinen Mittelstand bis zum DAX-Konzern. Das funktioniert so: Die Software fragt in einem ersten Schritt nach den bereits vorhandenen Kompetenzen und nach beruflichen Wünschen und

Anna Kaiser setzt sich auch auf politischer und gewerkschaftlicher Ebene für eine vernetzte, innovative und zukunftsgewandte Arbeitswelt ein. Sie sitzt im Ethikbeirat HR-Tech und im Beirat »Junge Digitale Wirtschaft", der die Bundesregierung zu aktuellen Fragen der digitalen Transformation berät. Seit wenigen Monaten ist sie außerdem Vizepräsidentin des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft. Grundsätzlich ist die Unternehmerin der Meinung, dass es Aufgabe der Wirtschaft ist, visionär vorauszugehen. „Wir wissen seit vielen Dekaden, wie Politik funktioniert und dürfen nicht warten, bis alles geregelt ist.« Erst wenn es der Wirtschaft nicht mehr gelänge Rahmenbedingungen zu schaffen, müsse sich die Politik einmischen. Jana Tepe ergänzt: »Auch als junges Startup mit wenig Geld haben wir uns nie Gedanken darüber gemacht, ob bei zwei Teilzeit-Mitarbeitenden mehr Sozialabgaben fällig werden als bei einer Vollzeit-Stelle.« Die beiden Unternehmerinnen haben festgestellt: Die Leute sind motivierter, bleiben gesünder, arbeiten produktiver. Es zahlt sich einfach aus. »Damit die Unternehmen im Controlling gar nicht erst anfangen zu rechnen, haben wir uns in diversen Gremien und Think Tanks trotzdem dafür stark gemacht, dass es finanziell egal sein muss, wie viele sich eine Stelle teilen.« Überhaupt plädieren beide dafür, dass es mehr menschelt. »Wir müssen unsere Möglichkeiten ausschöpfen, damit es für uns Menschen auf dieser Welt insgesamt einfach besser, schöner oder gerechter wird. Davon profitieren am Ende auch die Unternehmen.« ¶

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SZENARIO

Staatsoper Unter den Linden

» Oper ist das Gegenteil von Langeweile« Matthias Schulz, Intendant der Staatsoper Unter den Linden steuert das 278 Jahre alte Haus mit digitalen Premieren und Online-Angeboten durch die Pandemie. Es gilt, Sehnsucht zu wecken für die Zeit nach Corona. Warum Schulz findet, dass die Oper eine Zukunft hat? Ganz einfach: weil sie alle Sinne berührt! Ein Gespräch über Geistervorstellungen, Netflix und die Kraft der Musik. INTERVIEW

Kirsten Küppers FOTO

Marcel Schwickerath Will Vorfreude wecken: Intendant Matthias Schulz.

Herr Schulz, wie geht es Ihnen? Wir sind stolz, wie kreativ das Haus auf die Situation des Lockdowns reagiert hat – aber lustig ist das nicht.

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Was passiert denn jetzt gerade in der Staatsoper? Wir proben weiter, es ist wichtig für das Haus, einen Motor zu behalten. Dabei gilt natürlich ein strenger Hygieneplan: Es muss Maske getragen werden. Für jeden Künstler muss es eigenes Schminkzeug geben. Wenn der Chor dabei ist, muss genau geplant werden, wie die Wege sind, damit keine Pulks entstehen. Teilweise arbeiten wir nur mit 36 ­C horisten statt mit 80, das Orchester wird stark re­duziert. Die Streicher müssen 1,5 Meter Abstand halten, die Bläser 2 Meter. Natürlich sind das alles heftige Eingriffe in die Inszenierung, da muss viel kreative Arbeit geleistet

Grüße in die Welt und halten digital den Kontakt zu unserem Publikum. Schön ist, dass dabei auch ein Dialog entsteht. Aber am Ende geht es darum, die Leute dafür zu begeistern, ins Haus zu kommen. Denn Oper entsteht nun mal im Raum. Es braucht das gemeinsame Erleben, die Verstärkung durch das Publikum. Dieses Authentische ist durch nichts zu ersetzen.

werden, um trotzdem einen tollen Opernabend zu präsentieren.

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Was war das Verrückteste, das Sie im vergangenen Jahr erlebt haben? Wir haben Mitte Dezember mit »Lohen­grin« ganz große Oper auf die Bühne gebracht. Der Regisseur hat auf die Situation reagiert und das Fremde, die Utopie in den Vordergrund gestellt. So, dass es nicht seltsam wirkt, wenn alle mit Abstand agieren. Und auch mit nur 40 Musikern konnten wir einen tollen Klang erzeugen. Eine Geistervorstellung abzuhalten ohne Publikum und nur fürs Fernsehen – und dass trotzdem so eine Atmosphäre entstand – das hatte etwas Magisches! Was lernen sie daraus für die Zukunft? Wir haben gleich zu Beginn des Lockdowns jeden Tag aktuelle und historische Produktionen online gezeigt. Auch sonst schicken wir andauernd

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Netflix unterhält die Leute aktuell auch ganz gut. Letztendlich kann man sich heute fast alle großen künstlerischen Meister­ werke auch im Internet angucken. Dennoch haben Menschen die große Faszination, sie echt zu erleben. Und da liegt auch die Zukunftschance der Oper, wo ja alle Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Haben Sie Angst vor der Zukunft? Ich habe tiefes Vertrauen in die Kraft


SZENARIO

Staatsoper Unter den Linden

der Oper. Was sich über so viele Jahrhunderte entwickelt hat, lässt sich nicht durch eine Pandemie in die Knie zwingen. Allerdings muss ihr Platz in der Gesellschaft immer wieder neu verteidigt werden. Kultur ist für die Sinnstiftung und die Empathiefähigkeit einer Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Wenn Strukturen erstmal beschädigt sind, ist es schwer, diese wieder zurückzuholen. B*

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Sie glauben, die Kunst könnte durch die Pandemie Schaden nehmen. Es kann Langzeitfolgen haben, wenn viele, die auf dem Weg zu einem künstlerischen Beruf sind, sich jetzt anders entscheiden. Im Dezember sind Sie als Intendant bestätigt worden. Was machen Sie konkret, um neues Publikum in die Oper zu holen? Das fängt damit an, dass man dieses 278 Jahre alte Haus ganz einfach

betreten kann. An der Abendkasse kann man zum Beispiel für 15 Euro Karten auf allen Plätzen erhalten. Darüber hinaus hat das Kinder- und Jugendprogramm eine große Wichtigkeit. Zum Beispiel das Opern-Kinder­ orchester, wo 7- bis 12-jährige Kinder ein großes Orchester bilden. Wir haben in sechs Bezirken Kinderopernhäuser aufgebaut, wo sehr niedrigschwellig Musiktheater vermittelt wird. Dieses Projekt wurde 2020 mit dem die OPUS KLASSIK -Preis für Nachwuchsförderung ausgezeichnet. Dazu kommt der Kinder- und den Jugendchor. Wir öffnen die Proben für Schulklassen, haben Workshops, Kinderkonzerte. Unser Ziel ist es, dass jedes Schulkind unser Haus mindestens einmal besucht hat. Wir möchten die Oper möglichst weit in die Stadt hinaus leuchten lassen. Gerade in diesen Zeiten, aber auch langfristig, spielen der Ausbau von Streamingangeboten sowie unsere Kommunikation über die Social Media-Kanäle, zusätzlich eine wichtige Rolle. B* MS

Reicht das aus? Natürlich ist es wichtig, auch in der künstlerischen Planung Risiken einzugehen, immer wieder neue Akzente zu setzen. Wir geben sehr regelmäßig neue Opern in Auftrag, wie Violetter Schnee, und ermöglichen damit zeitgenössische Auseinandersetzungen. Außerdem haben wir kürzlich André Heller als Regisseur und den Modedesigner Arthur Arbesser als Kostüm­ designer für den »Rosenkavalier« geholt. Das sind zwei, die nicht schon seit Jahrzehnten in der Oper tätig waren. Solche Öffnungen muss die Oper wagen. Auch Formate wie »Out of the opera«, bei dem wir Pop-UpKonzerte ins Bars quer durch Berlin gespielt haben, aber auch die Netzwerke unserer Hauptpartner helfen uns sehr, unseren Publikumskreis zu erweitern.

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Wie erklären Sie einem Teenager, dass er in die Oper gehen soll? Oper ist ja von allem zu viel – das ist spannend, da gibt es so viel zu entdecken. Oper ist einfach das Gegenteil von Langeweile. Sie haben selbst fünf Kinder. Gehen die auch in die Oper? Im Moment geht am liebsten die 10-Jährige. Aber das ist auch unsere Diva. Apropos Diva: Haben Sie Angst vor Daniel Barenboim? Wir pflegen einen sehr offenen Austausch. Als ich hier angefangen habe, gab es im Jugendbereich viele Akzente zu setzen. Die Barocktage sind neu. Wir haben neue Werke zeitgenössischer Oper geholt, neue Regienamen, neue Dirigenten. Das alles ist auch im Austausch mit Daniel Barenboim passiert. Hat Berlin zu viele Opernhäuser? Berlin ist so eine große Stadt. Wenn wir bald vier Millionen Einwohner haben, könnten wir auch vier Opernhäuser vertragen. Immerhin haben Sie jetzt schon mal eine neue U-Bahn vor der Tür. Im neuen U-Bahnhof ist auch die bekannte Sternenkuppel von Schinkel zu finden. Das ist toll. Wie in unserer Inszenierung der Zauberflöte von August Everding, wo das historische Schinkel-Bühnenbild eine Sternenkuppel für die Königin der Nacht bildet. In der Gegenwart des Berliner öffentlichen Nahverkehrs ist die Staatsoper also angekommen. Und die Zukunft? Hat Oper eine Chance? Vielleicht liegt im Anachronistischem der Oper ihre größte Aussicht auf Erfolg. Dass sie echt ist und alle Sinne berührt. ¶

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SZENARIO

Staatsoper Unter den Linden

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Oper im Dornröschenschlaf Wegen der Pandemie musste die Staatsoper Unter den Linden alle Vorstellungen absagen und auf digitale Angebote ausweichen. Die Mehrheit der 587 Mitarbeiter ist in Kurzarbeit. Ein Rundgang durch eine prachtvolle Institution, die auf die Zukunft wartet. TEXT

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SZENARIO

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Hoffen im Halbdunklen auf lebendigere Zeiten: die Vor­ räume des Opernsaals. Die 278 Jahre alte Staats­oper Unter den Linden in Pandemie-Zeiten. Wo sonst Musik die Laune beflügelt, herrscht jetzt Stille: Der Apollosaal. 3

Es muss erst jemand das Licht einschalten, bevor etwas passiert. Bevor das geschieht, was an diesem trüben Montag im Januar nicht mehr zu erwarten war. Das, was Oper vielleicht am Ende ausmacht. Die Staatsoper Unter den Linden im Januar 2021 ist ein Ort wie in Watte gepackt, solange die Pandemie das Land fest im Griff hat. Alle Vorstellungen fallen aus. Wann der Betrieb wieder aufgenommen werden kann, ist unklar. Der Intendant radelt jeden Morgen in sein Büro, die Pressesprecherin ist da, ein paar

Damen aus der Kostümabteilung, vereinzelte Techniker, Musiker, Sänger, Regisseure, die den Probenbetrieb aufrechterhalten, so gut das unter den geltenden Hygienevorschriften geht. Aber die Mehrheit der 587 Mitarbeiter ist in Kurzarbeit, wartet ab, was kommt. Entsprechend ruhig ist es im Haus. Kein Instrument ist zu hören, es werden keine Arien geschmettert, keine Tänzer flattern übers Parkett, die Flure sind still. Die Kantine hat ihren Betrieb eingestellt. Draußen fällt Schnee. Der weite Innenhof ist leer bis auf zwei frierende

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Raucher­innen, die sich in eine windgeschützte Ecke drängeln. Ein abgedimmter Kulturbetrieb, keine Geräusche. Am 13. Dezember hat das Ensemble die Premiere von »Lohengrin« aufgeführt mit reduziertem Orchester und Chor zwar, mit Sängern, die Abstand halten, aber immerhin mit Bühnenbild, Kostümen, Requisiten. Showtime, so sehr es eben gerade erlaubt ist. – Nur, dass kein einziger Zuschauer im Publikum saß. Die Vorstellung fand lediglich vor Kameras statt. Die Staatsoper hat an diesem Abend eine Menge Selfies geschickt bekommen. Von. →

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Staatsoper Unter den Linden

Die Proben zur Komödie ­»Pinocchios Abenteuer« finden auch zu CoronaZeiten statt.

Leuten, die sich selbst fotografiert haben, wie sie mit Hut und Abendkleid im Wohnzimmer sitzen, ein Glas Rotwein in der Hand und dabei im Live-Stream hören, wie Elsa von Brabant sich in Intrigen verstrickt, alle romantische Liebe zerstört. Große Tragik, fantastische Musik. Die ganze Welt hat über die sozialen Medien kommentiert, wie sehr der Gesang sie berührt, hat Herzchen gepostet, Danke in virtuelle Räume getippt. Oper zeigt Wirkung, selbst digital. Die nächste Opernpremiere wird »Jenufa« sein. Die Pressesprecherin läuft. →

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vor in den Probenraum, wo ein großes Tuch als Bühnenbild von der Decke hängt. Auch diese Oper wird nur als digitale Vorstellung zu sehen sein. Sie hastet weiter, ahnt, dass die Menschen allmählich müde werden, immer nur auf Bildschirme zu starren. Dass sie sich das echte Erlebnis wünschen. Immer mehr. Die Staatsoper postet trotzdem YouTube-Filme, in denen berühmte Stars erzählen, wie sie eine Arie proben, sendet Neujahrsgrüße auf Instagram, stellt Orchest­e rmitglieder in Kurzvideos vor, versucht das Interesse aufrecht zu erhalten, so lange es geht. Auch deshalb zeigt die Pressesprecherin an diesem Montag den Tunnel vor, den sie seit der Sanierung des Hauses 2017 haben. Der Tunnel ist 68 Meter lang und dank dieses Ungetüms können sie jetzt ein komplettes Bühnenbild unterirdisch von einem Gebäude ins nächste fahren, von der Probebühne in den

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eigentlichen Opernsaal. Früher geschah das mit einem Traktor, der die Strecke draußen auf der Straße bewältigte. Noch viel früher mit Pferdfuhrwerken. Jetzt passiert das zehn Meter unter der Erde per elektrisch betriebener Lastzüge. Eine futuristische Maschinerie, die beweist, dass dieses Haus noch viel vorhat. Drüben im eigentlichen Opernhaus, im Foyer und in den Gängen, die zum Parkett und den Rängen des Zuschauersaals führen, ist es dunkel. Keiner da, Licht aus. Die Pressesprecherin ruft »Huch«, tastet an der Wand entlang, ihr Handy leuchtet.

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Es dauert ein paar Minuten, es muss erst jemand kommen und Schalter drücken. Als die Kronleuchter tatsächlich anspringen und das Foyer und die Gänge feierlich strahlen, als die ganze königlichpreußische Übertreibung, die Ornamente, der Pomp zu wirken beginnen und dazu im Kopf dann auch die Musik angeht, Stimmen und Bilder einsetzen – ist das der Moment, wo Funken fliegen. Wo Zukunft leicht und einfach nur herrlich ist. Oper bewegt. Was für ein Glück. ¶


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Eine Bühne im Wartezustand: Auch hinter den Kulissen ist im Lockdown wenig los. Leere Ränge im großen Opernsaal. Derzeit setzt das Haus auf digitale ­Veranstaltungen. staatsoper-berlin.de

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Nobelhart & Schmutzig

Vielleicht waren wir auch zu selbstgefällig Billy Wagner ist Wirt. Er betreibt das Berliner Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig. Wir sprechen mit ihm über Veränderung, die Kunst der Improvisation und die Wertschätzung für Lebensmittel. TEXT

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Marcel Schwickerath

Herr Wagner, seit nun schon über einem Jahr haben Sie ein Restaurant, aber keine Gäste mehr. Wie lebt es sich damit? Billy Wagner Erstmal war das ein richtiger Mist, weil die Situation dich physisch und psychisch total angreift – und alle anderen auch, weil wir etwas erleben, was unsere Generation so noch gar nicht erlebt hat. Wir reden ja inzwischen über ein Jahr Stillstand. Wenn man sich dann aber vorstellt, dass Deutschland über drei Jahre bombardiert wurde man jeden Tag immer wieder in den Luftschutzbunker musste – was das mit den Leuten gemacht hat? Insofern finde ich es auch unternehmerisch wahnsinnig interessant, dass unsere Generation B*

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Billy Wagner ist längst kein Gastgeber mehr. Corona hat ihn zum Logistik-Unternehmer gemacht. Restaurant ohne Gäste: Seit Monaten werden keine Platten aufgelegt. nobelhartundschmutzig.com

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auch mal einen Dämpfer bekommt. In gewisser Weise ist es auch gut, die Dinge ein wenig durcheinander zu bringen. Vielleicht waren wir auch zu selbstgefällig.

öffnen darf. So bekommt man unser lokales Essen nicht mehr nur hier bei uns, sondern plötzlich auch in Kiel oder Konstanz. B*

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Wie meinen Sie das? Verstehen Sie mich nicht falsch, wenn wir uns das hätten aussuchen können, hätte mir diese Pandemie gestohlen bleiben dürfen. Die ganzen Toten und Kranken, das ist wirklich sehr schlimm. Wir als Unternehmen haben immerhin 40.000 Euro Lohnkosten im Monat, die müssen erstmal verdient werden. Aber vor einem Jahr waren wir ein super effizientes Restaurant mit einer Marge von zehn, zwölf Prozent. Das war richtig gut. Da gab es keine Not, irgendetwas zu verändern. Veränderung entsteht immer aus einer Not. Irgendwie. Wie immer in der Menschheitsgeschichte. Heute betreiben wir einen florierenden Online-Shop mit angeschlossenem Restaurant, das sicher bald wieder

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Was bleibt davon? Ganz viel, weil zwei Dinge passiert sind. Fast jeder hat sich inzwischen mal bei Lieferando oder Wolt etwas zu essen bestellt, und nicht unbedingt nur Fastfood oder Pizza. Das war vorher nicht so. Und zugleich haben sich die Leute auf einmal damit beschäftigt, was es denn wann und wo online gibt. Dabei sind sie nicht nur auf ihr Lieblingsessen gestoßen, sondern auch noch auf das selbst abgefüllte Sauerkraut oder die gute Haselnusspaste. Genau dahin wird sich auch unser Online-Shop entwickeln – zu einer Plattform für all die leckeren Dinge, die es in Berlin und Brandenburg noch zu entdecken gibt. All die spannenden neuen Produkte, die man auch in ein Glas oder eine Tüte abfüllen oder darin haltbar

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machen kann. Darüber hinaus werden wir auch andere handwerklich hergestellte Produkte anbieten. Das nennen wir dann Berliner Fenster. Und wer weiß, was daraus in Zukunft noch alles entsteht, wenn wir diese Improvisationskultur, die wir alle gerade haben, nicht versiegen lassen. B*

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Sie haben sich mit anderen Berliner Gastronomen im Netzwerk »Die Gemeinschaft« verbündet, um für eine neue Esskultur einzutreten. Worum geht es Ihnen? Es geht uns um mehr Wertschätzung gegenüber gutem Essen und der Zeit, die wir dafür aufbringen möchten und können. Das ist eine gesellschaftliche Frage, die wir uns stellen. Eine alleinerziehende Mutter wird es sich kaum leisten können, Wacholderöl für 10,50 Euro in Ihrem Online Shop einzukaufen. Ich glaube nicht, dass gutes Essen zu teuer ist. Es ist doch eher so, dass andere Lebensmittel viel, viel, viel zu →

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günstig sind. Der gute Apfelsaft, der in so einem neuen Fünf-Liter-Sack 15 Euro kostet, mutet doch erst dann teuer an, wenn man zwei Liter Saft-Konzentrat beim Aldi für 25 Cent bekommt. Und außerdem ist doch längst bewiesen, dass es nicht teurer sein muss, gutes Essen zu kochen, wenn man das Schiff komplett neu denkt. B*

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Wo wird dieses neue Denken schon umgesetzt? Zum Beispiel hat sich die Kantine Zukunft zum Ziel gesetzt, die Berliner Gemeinschaftsgastronomie in Kantinen, Mensen, Kitas oder Krankenhäusern kostenneutral zu verbessern. Dabei kommen mindestens 60 Prozent Bio-Produkte auf den Tisch. Das heißt automatisch weniger Fleisch, das Gemüse wird zum Star. Dafür braucht es mehr regionale und saisonale Produkte und eine Renaissance des Kochhandwerks. Schmecken kann man das zum Beispiel im Krankenhaus Havelhöhe. Fleisch gibt

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es dort nur zwei, drei Mal die Woche. Und wenn, dann nur Gutes von der Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und von Biohöfen. Brot und Brötchen haben Demeter-Qualität, Gemüse liefern Höfe aus der Gegend, Salat kommt vom Bauern nebenan. Aber das ist etwas, was die meisten Köche nie gelernt haben, weil sie immer nur beim Händler einkaufen.

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Auf den Tischen, an denen Wagner normalerweise 40 Gäste bewirtet, stapeln sich Einweckgläser und Kartonagen für den Versand zum Kunden. Wagners gute Zutaten finden so den Weg in Deutschlands Küchen. In der »Gemeinschaft« setzt sich Wagner gemeinsam mit anderen Spitzengastronomen für die Wertschätzung von Lebensmitteln und ihrer Produzenten ein.

BW

Was würden Sie als erstes ändern, wenn Sie nicht Wirt, sondern Politiker wären? Ich würde darüber nachdenken, wer welche Subventionen bekommt und warum. Die heutige Denke stammt noch aus der Zeit nach dem Krieg, als alle Hunger hatten und man entschied, dass Lebensmittel ständig verfügbar und günstig sein müssen. Heute gibt es 60 Milliarden Euro Subventionen jedes Jahr in der EU. Wieso ist dabei nicht Bio der Normalfall? Wieso fördern wir noch immer einen Schlachthof mit einer Quote von 10.000 Hühnern am Tag? Es müsste

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natürlich Anreize geben für den gut arbeitenden Betrieb. Mit den richtigen Subventionen sähe die Rechnung für die alleinerziehende Mutter auch wieder anders aus. B* BW

Was knapp ist, wird mehr wertgeschätzt? Genau. Dafür müsste sich aber unser Selbstverständnis ändern. Den Menschen muss man doch erst wieder beibringen, wo Essen herkommt und was Qualität bedeutet. Und da reden wir nicht darüber, dass irgendjemand Kaviar und Gänseleber essen muss, sondern einfach nur darüber, wie eine gute Kartoffel schmeckt. Das fängt ja schon in der Schule an, nicht nur in der Mensa, vor allem im Lehrplan. Wieso unterrichtet man nicht Essen in den unterschiedlichsten Fächern? Wieso geht man denn nicht her und redet in Erdkunde darüber, was wo wächst? Warum errechnet man ein Rezept nicht in Mathe und lernt in Biologie, wie die Zutaten dafür entstehen? ¶

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Zurück in die Zukunft Das Futurium am Alexanderufer ist wie eine große Glaskugel. Auf die Frage wie wir leben wollen, serviert es einem nicht nur eine Antwort. 2 TEXT

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Marcel Schwickerath

» Was braucht denn dieser ­Fahrstuhl so lange?!« »Schafe.« »Bitte was?« » Die letzten Wochen haben doch die Schafe auf dem Dach geweidet.« »Und?« » Heute geht‘s aufs Nachbar­gebäude – mit dem Fahrstuhl.« »Ist das zu glauben?«

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»Wird mein Roboter mit mir alt?«, ist eine von ­hunderten Fragen, mit denen die Be­sucher im Futurium ­kon­frontiert werden. 2019 eröffnet, empfing das Haus der Zukunft vor Corona mehr als 600.000 Besucher im Jahr. »Wie wollen wir leben« prangt als Frage aller Fragen an der Außenhaut aus Glas. futurium.de

Was sich wie eine Szene aus Bladerunner liest, ist eine Zukunft von vielen Zukünften, die mir das Futurium an diesem Tag serviert. Eine andere: die Apokalypse. War schon, leider. Nur ich habe überlebt und hänge nun hier allein in der Zukunft ab. Dort wo sich früher, vor Corona, jeden Tag tausende Besucher tummelten, fühle ich mich wie Will Smith in »I’m Legend«. Meine Kinder mussten draußen bleiben. Sie warten mit ihrem Tablet in der Gegenwart, die Homeschooling auf dem Vorplatz zur Zukunft befiehlt. Wenigstens scheint die Sonne, sie taucht das Haus der Zukunft in gleißendes Licht. Draußen hat es 20 Grad. Frühling im Februar. Wollen wir so leben?

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Wie wollen wir leben? Steht fett an der Glas-Fassade. Das ist die große Frage, die dieses 58 Millionen teure Gebäude seit 2019 beantworten helfen soll. Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, gegründet als Haus der Zukunft gGmbh. Und das macht es ganz gut. Denn je länger man sich von der Zukunft ansaugen lässt, desto mehr Fragen sausen einem, beschleunigt von der Menschheitsgeschichte im Eingangsbereich durchs Hirn: Welche Lebensräume werden neu entstehen? Wann verliebt sich mein Smartphone in mich? Muss ich in Zukunft noch arbeiten? Wird mein Roboter mit mir alt? Für den Moment denke ich, wenn wir uns bald in unsere Smartphones verlieben, brauchen wir zumindest keine neuen Lebensräume mehr. Und wenn ich nicht mehr arbeiten muss, muss ich dann immer Homeschooling machen? Ob mein Roboter mit mir alt wird, ist mir gerade wurscht, wenn er doch nur unterrichten könnte. »Dieses Haus soll vor allem zum Denken anregen«, sagt Stefan Brandt. Wer die eine Antwort oder Zukunftsprognose →

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suche, der sei falsch hier. »Wir sind keine Glaskugel«, sagt der Direktor des Futuriums. Als promovierter Musikwissenschaftler war er früher unter anderem Berater bei McKinsey und Vorstand der Hamburger Kunsthalle. »Wir bieten Menschen aber die Chance, sich mit Zukunft auseinanderzusetzen, ihre eigene Phantasie in Gang zu bringen, sich selber etwas vorzustellen«, sagt Brandt. »Futures Literacy«, nennt das der Mann, der mit dem Futurium die selbstgesetzte Vorgabe von 200.000 Besuchern im Jahr weit übertroffen hat. Fast 600.000 kamen in den ersten zwölf Monaten, und selbst im Corona-Jahr 2020 sind es rund 280.000 gewesen. Er selbst hält sich am liebsten im Großstadtdschungel auf, einer übergroßen Holzskulptur über die Stadt der Zukunft, die ein Algorithmus entworfen hat und an einen Organismus erinnert. Dort hat es nicht nur Schafe auf dem Dach, sondern auch schwimmende Gemüsebeete, vertikale Bauernhöfe, Häuser aus Pilzen, Städte aus Bambus und na klar, ein Hotel auf dem Mars. Total recall! Der Mars ist mir grad echt zu viel. Ich würde lieber wissen, ob Schule digital auch aus der Uckermark geht, damit ich auch von dort aus arbeiten könnte und nicht immer Freitag und Sonntag im Stau stehen muss. Ich schau mal eben nach den Kids, öffne ihnen die App Kinderzeitmaschine, sie sollen sich um Luthers Reformation kümmern und rausfinden, ob es damals schon Papiergeld und eine Schreibmaschine gab oder nicht. Zurück in die Zukunft. »Corona hat die Reise noch einmal beschleunigt«, sagt Stefan Brandt. Es gehe etwa um die Frage, wie wir künftig unsere Güter produzieren wollen. »Was bedeutet es, wenn ein T-Shirt durch zwölf Länder transportiert wird und dann bei uns zum Schleuderpreis verkauft wird? Was aber heißt es umgekehrt für die Globalisierung, die ja auch ihre guten Seiten hat, wenn wir alles auf lokale Produktionsketten umstellen?« Was er mache, wenn die Zukunft schon da ist, frage ich.

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»Wir entwickeln unsere Ausstellung stetig weiter, wir nennen das Liquidität«, sagt er. »Wir wollen jedes Jahr ein größeres Thema neu reinbringen. Das nächste wird Mobilität sein.« Was für ihn die größten Herausforderungen der Zukunft sind? Neben dem Klimawandel sei das auf jeden Fall die Zukunft der Demokratie. »Welches Gesellschaftsmodell vertreten wir – und wie schaffen wir es, die langfristigen Fragen auch tatsächlich langfristig anzugehen, ohne dabei unsere freiheitlichen Entscheidungsspielräume zu verlieren?« Das erfordere Alternativen zum derzeitigen Diktat der Kurzfristigkeit und natürlich einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Ich bekomme eine Pushup-Mitteilung aus dem Clubhouse: Come Speed Date und get matched. Aha? Na wenigstens reden

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die Menschen im Lockdown wieder miteinander, Menschen, die sonst vielleicht hier in der Schlange stehen, wenn sie auf den Einlass in die Zukunft warten, sich aber eigentlich nichts sagen würden. Dass sie sich nun online hören, ohne sich zu sehen, das hätte im Dezember ja auch noch keiner gedacht. Ich schlendere noch ein wenig durch die Ausstellung, entdecke eine Skulptur der Künstlerin Sonja Alhäuser aus Margarine. Es zeigt Figuren aus einer anderen Zeit, die wenigsten sind wohlgenährt und erreichen das dargebotene Essen, andere


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Selbst die Sitzgelegenheiten im ­Futurium muten futuristisch an. Beschleunigt von der Menschheits­geschichte sausen einem schon im Eingangsbereich die ganz ­großen Fragen durchs Hirn: Welche ­Lebensräume werden neu entstehen? Wann verliebt sich mein Smartphone in mich? Oder. Wie sieht das Glück der Zukunft aus? Die Stadt der Zukunft besteht aus ­schwimmenden Gemüsebeete, ­vertikalen ­Bauernhöfe, Häusern aus ­Pilzen, Wolkenkratzern aus Bambus und einem Hotel auf dem Mars. Der »Großstadtdschungel« dominiert eine der Hallen. Es ist eine ­übergroße Holzskulptur über die Stadt der ­Zukunft, die ein Algorithmus ent­ worfen hat und die an einen Organismus erinnert.

gehen leer aus. Wohlstandsfett und Überfluss, aber schöner als die Butterberge der EU, denke ich. Ein Stück weiter werden mir Heuschreckenburger schmackhaft gemacht. Danke, nein. Dann will ich lieber die Welt retten vor dem Klimawandel. Ich entscheide mich in dem interaktiven Spiel, CO2 gleich in der Atmosphäre aufzufangen und verliere. Im hinteren Teil der Ausstellung wartet eine gigantische Schaukel auf mich. Hier soll es um Entschleunigung gehen, und ich verstehe sofort, warum. Umrankt bin ich von Fragen wie: »Findet uns die Zeit? oder »Wie große ist meine Welt?«

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Meine ist im Lockdown relativ klein. Vergeblich suche ich nach der Bildung der Zukunft hier im Futurium. Ich frage mich, wenn dieser Glaskasten seit November leer steht, warum lässt man nicht jeden Tag zwei Schulklassen hier rein? Eine bessere Kinderzeitreisemaschine wird es nicht geben. Sollen sie doch in Mathe ausrechnen, wie viel Kalorien ein Heuschreckenburger hat, wie viele Heuschrecken ich brauche, um die bald acht Milliarden Menschen satt zu bekommen. In Bio könnten sie sich überlegen, was die Schafe auf dem Dach zu essen brauchen und wie und wo das wachsen soll. Und in Geisteswissenschaften könnten sie von mir aus noch die Demokratie retten. So schaukelnd in der Zukunft hätte ich die Gegenwart fast vergessen. Ich muss runter, das Tablet ist gleich leer. ¶

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AHA-ERLEBNIS

Instagram für Unternehmen

Mehr als Avocadobrote Sinn ergibt Instagram für jedes Unternehmen. Die Frage ist nur, wie

Ist meine Zielgruppe auf ­Instagram unterwegs?

es genutzt wird. Da gibt es viel Richtig und viel Falsch, und beides hängt

Vertrauen auf­bauen oder ein weiter Vertriebsweg?

von einigen Faktoren ab – Faktoren, die sich identifizieren lassen. Drei

Präsent sein oder Visitenkarten-Account?

Journalistinnen machen genau das in ihrem Unternehmen »folgerichtig«.

Nische ausfindig machen und Communitiy formen.

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Julia Reichler

Fokussierung auf ­starke Inhalte und regelmäßig Zeit und Geld investieren.

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Linda Meiers

Die Idee ist auf einem Konzert entstanden: AnnenMayKantereit, Anfang 2018. Katrin Puvogel, Christina ­Calaminus und Clare Devlin – drei Freundinnen, Mitte zwanzig, Digital Natives, die zusammen studiert, zusammen gewohnt und zu-­ sam­m en gearbeitet haben – wollten ihr eigenes Ding machen. Alle drei lebten zu diesem Zeitpunkt in unterschiedlichen Städten. Hamburg, Dortmund, Köln. Luftlinie: Dreihundertsechsundfünfzig Kilometer. Aber was macht das schon, wenn das gemeinsame Unternehmen in erster Linie digital funktionieren soll? »Für uns war entscheidend, die Themen zu vereinen, die uns Spaß machen und in denen wir kompetent sind«, sagt Clare Devlin. Alle drei haben ihren Bachelor in Journalistik an der Technischen Universität in Dortmund gemacht. Zwei von drei haben in ihrem Master einen

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Marketingschwerpunkt gelegt. Heute arbeiten sie zur Hälfte als Journalistinnen und zur anderen Hälfte für »folgerichtig«. Marke mit Emotionen verbinden »folgerichtig« ist eine Social-MediaBeratung, die sich auf Instagram fokussiert. Neben Workshops und Vorträgen, die vor allem analog ablaufen, bieten die drei Frauen Onlinekurse an. »Wir nutzen Instagram seit Tag eins und können sehr gut einschätzen was funktioniert und was nicht. Wir profitieren außerdem von dem, was wir im Journalismus gelernt haben – dem klassischen Storytelling.« Geschichten erzählen, die Marke mit Emotionen verbinden: so funktioniert modernes Marketing. Instagram ist niederschwellig und unkompliziert. Eigentlich also die ideale Plattform dafür. Auch dank der mehr als 21 Millionen User in

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Deutschland, weltweit sind es sogar rund eine Milliarde. »Instagram ist ein Medium, das gleichwertig wie andere betrachtet werden sollte – es ist komplex und hat eine hohe Reichweite«, betont Clare Devlin. Unternehmen: Wer ist die Zielgruppe, was das Ziel? Fünfzehn Millionen Unternehmen weltweit hatten im Juli 2017 ein Instagramprofil. Heute sind es rund 25 Millionen. Es geht schon lange nicht mehr nur um Avocadobrote, den makellos inszenierten Cappuccino oder den letzten Urlaub. Neunzig Prozent der Instagram-User folgen mindestens einem Unternehmen. »Es ist wichtig, sich zu fragen: Ist meine Zielgruppe auf Instagram unterwegs? Und was ist eigentlich mein persönliches Ziel – will ich nur gefunden werden?


AHA-ERLEBNIS

Instagram für Unternehmen

STANDORT RE-POST MUSIK @ ERWÄHNUNG 20

Will ich meine Produkte verkaufen? Will ich Vertrauen auf bauen? Zumindest ein Visitenkarten-Account sollte jedes Unternehmen haben«, empfiehlt Clare Devlin. Visitenkarten-Account, das heißt: Das Unternehmen präsentiert sich, ohne wirklich aktiv zu sein. »Instagram wird von Google gut gerankt. Man wird auffindbar.« Was zählt: Eine aktive Community und Content mit Mehrwert Das Pendant zum VisitenkartenAccount ist der Community-Kanal. »Jedes Unter­n ehmen, egal welcher Größe, kann Instagram als Plattform nutzen. Alles, was Vertrauen benötigt, funktioniert«, ist Clare Devlin überzeugt. Dabei ist nicht automatisch erfolgreicher, wer mehr Follower hat. Viel wichtiger ist es eine starke, aktive Community zu formen. Neben der Fokussierung auf das, was das eigene Unter-

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nehmen von der Konkurrenz unterscheidet ist der Schlüssel dorthin: Content mit Mehrwert. »Wer Instagram wirklich ordentlich machen will, muss Zeit und in gewisser Form auch Geld investieren.« Je aktiver und regelmäßiger Beiträge online gehen, die einen starken Inhalt haben, desto schneller wächst das Interesse – und das Vertrauen. Aktivität schafft Wachstum Genau wie im echten Leben ist Netzwerken entscheidend. »Unternehmen müssen herausfinden, wer in ihrer Nische unterwegs ist und wie sie diese Menschen für sich begeistern können. Also: bei anderen Kanälen kommentieren, A ­ ktionen teilen, auf Stories antworten – mit den Menschen in Kontakt treten. Je regelmäßiger das geschieht, desto schneller wächst der Kanal«, rät Clare Devlin. Auch

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# HASHTAG

Katrin Puvogel, Christina ­Calaminus und Clare Devlin (v.l.) machen ­Journalismus und Instagram-­Marketing mit @folge_richtig

wer all das umsetzt muss Zeit und Geduld haben – organisches Wachstum funktioniert nicht von heute auf morgen. Instagram ist für Clare Devlin und ihre beiden Mitstreiterinnen nur der Beginn. »Was dort funktioniert, funktioniert vom Handwerk her auch bei anderen sozialen Medien. Es ist wie ein Baukastensystem«, sagt Clare Devlin. Drei Mitarbeiterinnen haben die Frauen bereits eingestellt, 2021 wollen sie weiter expandieren. Folgerichtig. ¶

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KOLUMNE

Holm Friebe

Zukunft im Rückspiegel Das Paradox der Stabilität könnte man so formulieren: Stabil ist nicht stabil. Oder: Stabil allein ist nicht stabil genug. Verwechselt man Stabilität mit schierer Härte, landet man bei etwas sehr

Prognose aus dem Jahr 1943, es werde in Zukunft einen Weltmarkt für »maximal fünf Computer« geben. Bis hin zum Fettnäpfchen des späteren TelekomChefs Ron Sommer, der 1990 als Manager bei Sony zu Protokoll gab: »Das Internet ist eine Spielerei für Computerfreaks, wir sehen darin keine Zukunft.« So doof waren selbst die Experten früher! Zum Glück sind wir heute schlauer.

Starrem, Sprödem. TEXT

Holm Friebe ILLUSTRATION

Dirk Uhlenbrock

»It’s all just little bits of history repeating« singt Shirley Bassey. Und bietet damit ein komfortables Deutungsmuster für die Zukunft an. Ähnlich wie es schon beim Prediger Salomon nachzulesen steht: »Nichts Neues unter der Sonne«. Zukunft wäre danach nichts anderes als die Wiederkehr des Ewiggleichen, alter Wein in neuen Schläuchen, die Vergangenheit in grün. Das Elektroauto? War zur vorletzten Jahrhundertwende schon verbreiteter als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Die Corona-Pandemie? Nur der Neuaufguss der Spanischen Grippe, die Europa hundert Jahre zuvor heimgesucht hatte. Das Problem dieser scheinbar abgeklärten und gut abgehangenen Sichtweise auf den Lauf der Dinge, ist, dass sie immer nur »ex post« funktioniert: in der Rückspiegel-Perspektive. Im Nachhinein wollen es die Auguren schon vorher gewusst haben. Nur eben im Nachhinein. Aber mit

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dem Rückspiegel navigieren ist schwierig. Das weiß jeder Autofahrer. Akademisch heißt dieser Rückschaufehler »hindsight bias«: ein blinder Fleck in der Prognostik, ein korrumpierter Möglichkeitssinn, der aus der Neigung folgt, Erfahrungswissen linear fortzuschreiben und die Zukunft in der Vergangenheit zu suchen. Die Liste der prognostischen Fehlurteile ist lang (und lässt sich immer wieder zur Belustigung der Nachgeborenen zitieren). Angefangen bei der epischen Fehleinschätzung Charles H. Duells, dem Leiter der US-Patentbehörde. Er fand 1899, man könne die Patentämter getrost dicht machen: »Alles, was man erfinden kann, ist schon erfunden worden«. Über die dem langjährigen IBMChef Thomas J. Watson Jr. zugeschriebene

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Die Pointe hier ist, dass die allerwenigsten – Experten, Trend- und Zukunftsforscher eingeschlossen – wirklich die Konsequenzen aus vergangenem Versagen ziehen und schlauer, klüger oder gar weiser werden. An der Klippe der Gegenwart zur Zukunft scheitern wir – wie Sisyphos, der seinen Stein den Berg hinauf rollt – jeden Tag aufs Neue (wer Corona und die Folgen vor 2020 richtig auf dem Zettel hatte, kann sich ausgenommen fühlen). Wenn uns das dynamische Geschehen seit Ausbruch der Pandemie eines lehrt, dann, dass die Zukunft Überraschungen satt in petto hat und der Lauf der Dinge dem Hakenschlag eines Hasen gleicht. Es kommt anders als man denkt. Nein, noch anders! Dieselben Gelehrten, Visionäre und Kapazitäten, die vom »Freak Accident«, von der »Wild Card«, resp. vom »Black


IMPRESSUM

B* — das Businessmagazin der Berliner Volksbank Im Web: businessmagazin.berliner-volksbank.de und als App »B* Businessmagazin« in allen App Stores

Swan« Corona kalt erwischt wurden, während sie gerade eine andere Sau durchs mediale Global Village trieben, wissen – unangekränkelt und unbelehrbar – heute schon wieder ganz genau, wie die Zeit nach Corona (können wir überhaupt davon ausgehen, dass es eine «Zeit nach Corona« geben wird?) aussehen wird: Little bits of history repeating. Die einen, beispielsweise der Psychologe Stephan Grünewald, Gründer des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold, sind sich sicher: Der in diversen Lockdowns verordnete und erprobte Rückzug ins Private ist erst der Auftakt zu einem »neuen Biedermeier«. Angeleitet durch den Verzicht stellen die Menschen vieles an Konsum-, Freizeit- und Reisetätigkeit in Frage. An deren Stelle treten neue Selbsttechniken und familiäre Sinnproduktion: Kochen, Gärtnern, Handarbeit, Hausmusik. »Viele haben schöne Erfahrungen in ihrer näheren Umgebung gemacht, das stärkt die Bindung an die Region«, skizziert Grunewald die kommende neue Häuslichkeit und Heimeligkeit. Kann sein. Es kann aber auch genau das Gegenteil eintreten, so wie es der Sozialepidemiologe Nicholas Christakis von der Yale-Universität prophezeit: Wenn die Impfungen erst einmal ihre Breitenwirkungen entfalten, holen die Menschen das Versäumte nach und lassen – genau wie nach der spanischen Grippe vor hundert Jahren – die Puppen tanzen und alle Hemmungen fallen. Spätestens 2024 werden wir die neuen »Roaring Twenties« erleben, gekennzeichnet durch »hemmungslos soziale Kontakte, auch sexueller Natur«, »verschwenderischen Konsum« und eine hedonistische »Abkehr von der Religiosität«. Neues Biedermeier vs. Roaring Twenties: Aussage gegen Aussage. Wahrscheinlich wird keine dieser Prognosen Recht

HERAUSGEBER Berliner Volksbank eG, Postanschrift: 10892 Berlin Tel.: 030 3063-3300, berliner-volksbank.de

VERANTWORTLICH IM SINNE DES PRESSERECHTS Frauke van Bevern, Bereichsleiterin Marke und Kommunikation frauke.vanbevern@berliner-volksbank.de PROJEKTLEITUNG Frauke van Bevern, Gudela Noack CHEFREDAKTION Olivia Rost REDAKTION, TEXT, PROJEKTMANAGEMENT Till Brauckmann, Susanne Litty, Olivia Rost mail@siegerbrauckmann.de AUTOREN Till Brauckmann, Kirsten Küppers, Ernestine von der Osten-Sacken, Marcus Pfeil, Julia Reichler, Olivia Rost GASTAUTOR Holm Friebe EDITORIAL Carsten Jung, Vorstandsvorsitzender

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Holm Friebe, geboren1972, ist Volkswirt, Designtheoretiker und Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin. Er arbeitet als Marken- und Strategieberater sowie Autor und Kolumnist, unter anderem jahrelang für die Berliner Zeitung. Seit 2006 veröffentlicht er populäre Wirtschaftsund Wissenschaftsbücher mit wechselnden Co-Autoren. Zu seinen Formatentwicklungen zählen das Grimme-Preis-prämierte Weblog Riesenmaschine, PowerpointKaraoke und die Direkte Auktion. Friebe lehrt an Kunsthochschulen, spricht auf Kongressen und Konferenzen zu den Themen seiner Bücher und moderiert Workshops, Panels und Podiumsdiskussionen.

behalten. Weil – so viel können wir aus der Geschichte lernen – Prognosen in den seltensten Fällen eintreten, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen. Oder es wird noch etwas ganz anderes passieren, womit im Vorfeld mal wieder niemand gerechnet haben wird, was im Nachhinein aber alle haben kommen sehen. ¶

TITELBILD Marcel Schwickerath FOTOGRAFIE Florian Büttner, Frauke van Bevern, KPM Berlin, Linda Meiers, Jurgen Ostarhild, Olivia Rost, Marcel Schwickerath, Tandemploy, Timotheus Theisen, Bildrechte Porträt Hedwig Bollhagen: Deutsche Stiftung Denkmalschutz ILLUSTRATION Jan Siemen, Dirk Uhlenbrock, siegerbrauckmann* CREATIVE DIRECTION Till Brauckmann ART DIRECTION, LAYOUT, SATZ Simon Hafenbradl, Sven Lubenau LEKTORAT Thorsten Tynior, paratexte.de DRUCK X-PRESS Grafik & Druck GmbH, x-press.de Klimaneutraler Druck mit 100% Ökostrom BERATUNG DES PROJEKTMANAGEMENTS Hans-Erich Bilges Publizistisches Büro Bilges Kurfürstendamm 215, 10719 Berlin REALISATION siegerbrauckmann* Büro für Wirtschaftskommunikation Kurfürstendamm 215, 10719 Berlin mail@siegerbrauckmann.de siegerbrauckmann.de ERSCHEINUNGSWEISE Halbjährlich Alle Beiträge und Abbildungen sind urheber­ rechtlich geschützt. Nachdruck, Übernahme in digitale Medien sowie Vervielfältigung auf Datenträger nur nach vorheriger Zustimmung durch die Berliner Volksbank eG. B* 05 erscheint im Herbst 2021. KONTAKT Wenn Sie Fragen zum Inhalt des Magazins haben, ­Anregungen äußern oder zusätzliche ­Exemplare a ­ nfordern möchten, wenden Sie sich bitte an: business@berliner-volksbank.de Weitere Business-Themen unter: berliner-volksbank.de/business-spot

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1 SEKUNDE BERLIN

17:51: 02 Uhr am 29.11.2020, Am Kupfergraben, Berlin Mitte — Foto: Frauke van Bevern



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