Blutverlust auf der Neugeborenenintensivstation: Herausforderungen und Kompromisse bei der Behandlun

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Blutverlust auf der Neugeborenenintensivstation: Herausforderungen und Kompromisse bei der Behandlung der verletzlichsten Patienten

Um die verletzlichsten Patienten auf der Neugeborenenintensivstation (NICU) optimal zu versorgen, müssen zahlreiche Herausforderungen gemeistert und Kompromisse eingegangen werden. So kann die Erhebung von ärztlich benötigten Informationen einen gewissen Nachteil für Patienten beinhalten. Beispielsweise muss das Personal in der Regel Blut abnehmen, um überprüfen zu können, ob die Beatmungsunterstützung für ein Neugeborenes ausreicht. Dies kann jedoch Blutverlust, Schmerzen und ein Infektionsrisiko zur Folge haben

Warum müssen Frühgeborene auf der NICU beatmet werden?

Die Versorgung Frühgeborener erfordert 1) die Belüftung der nicht ausgereiften Lunge sowie 2) den Schutz des Gehirns vor intraventrikulären Blutungen und anderen Komplikationen.

Um zu beurteilen, ob die Beatmung, die diese Patienten erhalten, angemessen ist, müssen Mediziner entsprechende Messwerte im Blut bestimmen, und überwachen. Zu den wichtigsten gehört das Kohlendioxid (CO2).

Der CO2-Wert kann sich bei Neugeborenen rasch verändern und muss daher unbedingt überwacht werden, da zu hohe (Hyperkapnie) oder zu niedrige Werte (Hypokapnie) sowie Schwankungen mit intraventrikulären Blutungen in Verbindung gebracht werden1. Diese Komplikation tritt bei 25 %2 – 42 %3 der Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g auf.

Um zu gewährleisten, dass die CO2-Werte in einem sicheren Bereich bleiben und um optimale Ergebnisse für die Patienten auf der NICU zu erreichen, müssen die CO2-Werte engmaschig kontrolliert werden.

Wie wird das CO2 auf der NICU bestimmt?

Der Goldstandard für die Messung des CO2 ist die Blutentnahme; Arterielle Blutgase (BGA) und kapillare Blutentnahmen aus der Ferse werden in der NICU am häufigsten durchgeführt.

Blutgasanalysen sind zwar genau, sie zeigen jedoch nur eine Momentaufnahme. Phasen, in denen die CO2-Werte im Blut zu hoch oder zu tief sind, werden allenfalls verpasst. Häufige Blutentnahmen gehen zudem mit einem Infektionsrisiko einher, verursachen Schmerzen und Stress und führen zu iatrogenen Blutverlusten: Blutverlust, der durch eine medizinische Untersuchung oder Behandlung verursacht wird.

Warum ist der iatrogene Blutverlust erheblich?

Blutentnahmen und insbesondere Fersenblutentnahmen werden normalerweise als keine großen Blutverluste wahrgenommen. Bei Neugeborenen ist dies jedoch als kritisch zu betrachten, da deren Blutvolumen sehr gering ist. In einer Studie wurde festgestellt, dass in den ersten sechs Lebenswochen wöchentlich 30 % des Blutvolumens des Neugeborenen für Laboruntersuchungen entnommen wurden4

Die Bedeutung eines solchen Blutverlustes auf der NICU ist nicht zu unterschätzen. In einer anderen Studie hieß es: “Um die Relationen noch deutlicher aufzuzeigen, 6-7ml Blut, die einem 1 kg schweren Neugeborenen entnommen werden, entsprechen einem Blutverlust von 450 ml bei einem Erwachsenen.”5

In den ersten sechs Lebenswochen werden Neugeborenen wöchentlich bis zu 30 % ihres zirkulierenden Blutvolumens für Laboruntersuchungen entnommen.

Wenn der Blutverlust so erheblich ist, warum wird dann so häufig Blut abgenommen?

In Studien wurde aufgezeigt, dass die meisten Blutentnahmen zur Bestimmung der Blutgase, der pH-Werte sowie einiger Elektrolyte erfolgen, um das Ansprechen auf die Behandlung und/oder die aktuelle Beatmung zu überwachen.

Der Bereich der auf der Neonatologie wahrscheinlich am schnellsten geändert werden kann, ist die Reduktion der Blutmenge sowie der Anzahl an Blutentnahmen. Dadurch wird das Risiko der neonatalen Anämie automatisch gesenkt und der Transfusionsbedarf sowie Komplikationen werden bedeutend reduziert

Gemäß einer Analyse werden bei Neugeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht im Laufe einer Woche durchschnittlich knapp 57 Blutgasmessungen durchgeführt.6 Bedauerlicherweise werden dabei bis zu 63 % des entnommenen Blutes nicht verwendet.4

Die Analysen des pH-Wertes und der Blutgase sind der wichtigste Grund für Blutentnahmen auf der NICU.

Transfusionen, Blutverluste und andere problematische Aspekte von Blutentnahmen

Blutentnahmen gelten als wichtigster nicht-physiologischer Treiber der perinatalen Blutarmut (Anämie),5 was durch den direkten Zusammenhang und die hohen Korrelationswerte zwischen dem entnommenen und dem transfundierten Blutvolumen belegt wird.5,7

Es ist unumstritten, dass gerade bei verletzlichen Patienten das entnommene Blut im Endeffekt ersetzt werden muss. Bluttransfusionen bei Neugeborenen gehen jedoch mit zahlreichen Risiken und Komplikationen einher, einschließlich Infektionen, Gefäßüberlastung, Lungenverletzungen sowie Sensibilisierung.8

Bei erwachsenen chirurgischen Patienten wurden Transfusionen sogar mit einer erhöhten Sterblichkeit in Verbindung gebracht.9,10

Transfusionen stehen in einem komplexen Zusammenhang mit der nekrotisierenden Enterokolitis (NEC). Eine Metaanalyse hat aufgezeigt, dass durch Transfusionen das Risiko für die Entwicklung dieser Erkrankung verdoppelt wird.11 Eine weitere Metaanalyse besagt, dass „die Inzidenz der transfusionsassoziierten nekrotisierenden Enterokolitis (TANEC) zwischen 20 % - 35 % der NEC-Fälle ausmacht. Zudem verweisen Berichte darauf, dass Säuglinge mit einer TANEC ein höheres Risiko für die Entwicklung der chirurgischen NEC haben.“12

Patienten mit einer TANEC haben meistens eine höhere Mortalität, einen längeren Krankenhausaufenthalt, und die Wahrscheinlichkeit einer Operation ist höher als bei Patienten mit einer nicht-transfusionsassoziierter NEC.11 Es liegen Hinweise vor, die Transfusionen mit der Verschlechterung von intraventrikulären Blutungen in Zusammenhang bringen.13

Die Pflegeteams auf der NICU sind auf die Informationen, die Blutentnahmenliefern, angewiesen. Dabei müssen Mediziner die Folgen des iatrogenen Blutverlustes und andere Risiken, die mit diesen Blutentnahmen einhergehen, umfassend berücksichtigen und sorgfältig abwägen.

Wie kann der Blutverlust auf der NICU reduziert werden?

Auch wenn diese Informationen ein düsteres Bild zeichnen, gibt es Optionen und Strategien, die ein besseres Blutmanagement auf der NICU ermöglichen, wo bereits kleine Veränderungen eine grosse Wirkung auf diese verletzlichen Patienten haben können.

In einer Studie, die im Journal of Maternal-Fetal and Neonatal Medicine publiziert wurde, berichten Counsilman et al. vom Leiden University Medical Centre über Strategien, die sie zur Verringerung des iatrogenen Blutverlustes auf ihrer NICU eingeführt hatten. Dazu gehören beispielsweise die Verwendung von Plazenta- und Nabelschnurblut zur Verringerung des Blutverlustes am ersten Lebenstag sowie die Einführung der transkutanen CO2-Überwachung zur Reduktion von Blutentnahmen.

Die Studie ergab, dass «extrem Frühgeborene im ersten Lebensmonat fast einen Drittel ihres gesamten Blutvolumens infolge von vielfachen Blutentnahmen für

1. Hochwald O, Borenstein-Levin L, Dinur G, Jubran H, Ben-David S, Kugelman A. Continuous Noninvasive Carbon Dioxide Monitoring in Neonates: From Theory to Standard of Care. Pediatrics. 2019;144(1):e20183640. doi:10.1542/ peds.2018-3640

2. Database of Very Low Birth Weight Infants Born in 2012. Burlington, VT: Vermont Oxford Network, 2013. Nightingale Internet Reporting System, accessed April 4, 2014.

3. Ahn SY, Shim SY, Sung IK. Intraventricular Hemorrhage and Post Hemorrhagic Hydrocephalus among Very-Low-Birth-Weight Infants in Korea. J Korean Med Sci. 2015;30 Suppl 1(Suppl 1):S52-S58. doi:10.3346/ jkms.2015.30.S1.S52

4. Carroll PD, Widness JA. Nonpharmacological, blood conservation techniques for preventing neonatal anemia–effective and promising strategies for reducing transfusion. Semin Perinatol. 2012;36(4):232-243. doi:10.1053/j.semperi.2012.04.003

5. Widness JA. Pathophysiology of Anemia During the Neonatal Period, Including Anemia of Prematurity. Neoreviews. 2008;9(11):e520. doi:10.1542/neo.9--e5206.

6. Alves-Dunkerson JA, Hilsenrath PE, Cress GA, Widness JA. Cost analysis

RF-012573-_Erscheinungsdatum: 05/2022

Laboruntersuchungen verlieren.»

Zudem stellten Counsilman et al. fest, dass „Blutsparende Systeme und patientennahe Sofortdiagnostik mittels arterieller Katheter ... oder die transkutane CO2-Messung dazu beitragen könnten, den hohen Blutverlust im Zusammenhang mit der mechanischen Beatmung zu vermindern.“

Die Bedeutung der transkutanen CO2-Überwachung

Transkutane Monitore ermöglichen die nichtinvasive Bestimmung der CO2Werte der Patienten, sodass weniger Blutentnahmen erforderlich sind – ohne dass wir dadurch diesen kritischen Wert aus den Augen verlieren.14 Obwohl Blutentnahmen entscheidende Werte liefern und wahrscheinlich immer Teil der NICU sein werden, sind Anstrengungen zur Reduzierung unnötiger Blutverluste im besten Interesse des Patienten. NICU’s auf der ganzen Welt handeln bereits in diesem Sinne.

Counsilman et al. stellten in ihrer Studie fest, dass “Der Bereich, der auf der Neonatologie wahrscheinlich am schnellsten geändert werden kann, ist die Reduktion der Blutmenge sowie der Anzahl an Blutentnahmen. Dadurch wird das Risiko der neonatalen Anämie automatisch gesenkt und der Transfusionsbedarf sowie Komplikationen werden bedeutend reduziert.“

of a neonatal point-of-care monitor. Am J Clin Pathol. 2002;117(5):809818. doi:10.1309/04WC-GFVE-M7T34MGY

7. Valieva OA, Strandjord TP, Mayock DE, Juul SE. Effects of transfusions in extremely low birth weight infants: a retrospective study. J Pediatr. 2009;155(3):331-37.e1. doi:10.1016/j. jpeds.2009.02.026

8. Whitehead, N.S., Williams, L.O., Meleth, S. et al. Interventions to prevent iatrogenic anemia: a Laboravtory Medicine Best Practices systematic review. Crit Care 23, 278 (2019). https://doi.org/10.1186/s13054-0192511-9

9. Wedel C, Møller CM, Budtz-Lilly J, Eldrup N. Red blood cell transfusion associated with increased morbidity and mortality in patients undergoing elective open abdominal aortic aneurysm repair. PLoS One. 2019;14(7):e0219263. Published 2019 Jul 11. doi:10.1371/journal. pone.0219263

10. Kertai MD, Tiszai-Szûcs T, Varga KS, Hermann C, Acsády G, Gal J. Intraoperative use of packed red blood cell transfusion and mortality in patients undergoing abdominal or thoracoabdominal aortic aneurysm surgery. J Cardiovasc Surg (Torino). 2009;50(4):501-508.

Für weitere Informationen zu transkutaner Überwachung kontaktieren Sie uns bitte. sentec.com

11. Mohamed A, Shah PS. Transfusion associated necrotizing enterocolitis: a meta-analysis of observational data. Pediatrics. 2012;129(3):529-540. doi:10.1542/peds.2011-2872

12. Gephart SM. Transfusion-associated necrotizing enterocolitis: evidence and uncertainty. Adv Neonatal Care. 2012;12(4):232-236. doi:10.1097/ANC. 0b013e31825e20ee

13. Baer VL, Lambert DK, Henry E, Snow GL, Christensen RD. Red blood cell transfusion of preterm neonates with a Grade 1 intraventricular hemorrhage is associated with extension to a Grade 3 or 4 hemorrhage. Transfusion. 2011;51(9):1933-1939. doi:10.1111/ j.1537-2995.2011.03081.x

14. Mukhopadhyay S, Maurer R, Puopolo KM. Neonatal Transcutaneous Carbon Dioxide Monitoring–Effect on Clinical Management and Outcomes. Respir Care. 2016;61(1):90-97. doi:10.4187/respcare.04212

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