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»Banner der Zeit«

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Fast ein Volkslied

Fast ein Volkslied

Die Geschichte des Metronoms

Das Metronom von Johann Nepomuk Mälzel, Paris 1815. Wien, Kunsthistorisches Museum

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Von Gisela Auchter

Mit einiger Sicherheit wären zu allen Zeiten ganze Heerscharen von Musikschülern und -schülerinnen vor diesem kleinen Monster am liebsten davongelaufen, um sich dem Zwang zur Genauigkeit zu entziehen. Aber auch ausgewiesene Profimusiker haben sich schon vor 200 Jahren die Zähne an ihm ausgebissen und drohten zu verzweifeln. Wir sprechen von einem kleinen hölzernen Gerät von kaum mehr als 20 cm Höhe, dem Metronom – einem „Banner der Zeit“.1 Dabei bietet es nichts weiter als eine verlässliche Möglichkeit, mit seiner Hilfe eine möglichst eindeutige Tempobestimmung bei der Wiedergabe eines Musikstücks zu erzielen. Im Lexikon wird es beschrieben als „ein Gerät, das die Anzahl der Schläge in der Minute bestimmt. Es hat ein von einem Uhrwerk bewegtes Pendel mit einem auf einer Skala verschiebbaren Gewicht…“2 Der Metronom-Körper, in den das mechanische System eingebaut ist, ist zudem ein idealer Resonanzraum. Ein Nachteil: Durch ihn wird das Geräusch, das beim Einrasten der Hemmung entsteht, verstärkt. Das wird oft als laut, störend und Nervosität hervorrufend von den Musizierenden empfunden. Auch ich selbst erinnere mich gut an dieses laute und lästige „Tik, Tak“, vor dem auch ich gerne davongelaufen wäre. Aber zum Einstudieren eines vorgegebenen Rhythmus‘ war und ist es hilfreich.

Seit etwa 1820 wird in unzähligen Kompositionen von ihren Schöpfern das Zeitmaß überwiegend nach dem „Metronom Mälzel“ (1772–1838) angegeben. Jedoch schon einige Zeit davor gab es ernsthafte Versuche, die Tempobestimmung in den Griff zu bekommen. So wie zum Beispiel der französische Theologe und Musiktheoretiker Marin Mersenne (1588–1648) oder

Das Fadenmetronom von Thomas Mace, um 1650

Quelle: MGG. 1989. Bd. 9

Joachim Quantz (1697–1773), Flötenlehrer Friedrichs des Großen. Beide favorisierten den menschlichen Herz- und Pulsschlag als mögliche Tempobestimmung, während der Schritt eines mittelgroßen Menschen eine Option aus noch früherer Zeit war. Zum anderen gab es auch zahlreiche Bemühungen für die Entwicklung technischer Konstruktionen. Um 1650 schlug dann der in Cambridge geborene Thomas Mace (um 1613–1709?) in seinem Hauptwerk zur englischen Musizierpraxis Musick’s Monument den Gebrauch eines Fadenpendels vor. Danach konnte man durch das Aufhängen einer Kugel oder eines anderen runden Gegenstands, vor eine Skala gehängt, das Spieltempo vorgeben (s. Abb.). Thomas Mace wird deshalb als eigentlicher Vater des Metronoms angesehen.3 Diese Technik, per Fadenpendel das Tempo zu bestimmen, führte natürlich zu weiteren Überlegungen und letztendlich zur Erfindung eines moderneren, handlicheren Taktmessers.

Das Metronom schließlich, wie wir es heute kennen, wurde von Johann Nepomuk Mälzel 1815 entwickelt und ein Jahr später in Paris patentiert. Der begnadete, ideenreiche Erfinder, geschäftstüchtige Konstrukteur mechanischer Musikinstrumente, immerwährender Sucher nach seinem nächsten Coup, schließlich zum Kaiserlichen Hofkammermaschinisten in Wien aufgestiegen, wurde 1772 in Regensburg geboren und starb nach einem abenteuerlichen Leben 1838 in Venezuela. Er gilt als der eigentliche Erfinder des Metronoms, das den Musizierenden erstmals ermöglichte, wirklich den genauen Tempoangaben eines Komponisten folgen zu können und damit dessen Vorgaben gerecht zu werden.

Beethoven gehörte als einer der Ersten zu den Benutzern eines Mälzelschen Metronoms. Komponist und Erfinder kannten sich auch persönlich. Im Frühjahr 1812 soll Beethoven anlässlich eines geselligen Abschiedsessens, an dem auch Johann Nepomuk Mälzel teilgenommen hat, den Scherz-Kanon „Ta ta ta…“ komponiert haben. Das war zu einem Zeitpunkt, als Mälzel mit seiner Erfindung noch gar nicht an die Öffentlichkeit getreten war.

Quelle: MGG. 1989. Bd. 9

„Ta ta ta … lieber Mälzel, leben Sie wohl, sehr wohl! Banner der Zeit. Großer Metronom!“ – so lautet der vollständige Kanontext.4

Ein von Mälzel hergestelltes Hörrohr für

Beethoven. Quelle: Geck, M.: Beethoven. Reinbek b. Hamburg 1996

Heute rätselt man allerdings darüber, ob dieser Abend überhaupt stattgefunden hat. Aber den Kanon gibt’s, und auch die von Mälzel für Beethoven gefertigten Hörrohre. Viel hat die Nachwelt darüber nachgedacht und gestritten, in welchem Tempo Beethoven seine Sinfonien gespielt haben wollte. Seine Interpreten und Dirigenten verzweifelten schier an den irrwitzig schnellen Tempoangaben des bereits fast Ertaubten. Sollte das Metronom falsch angezeigt haben? Sollte Beethoven es schlichtweg falsch abgelesen oder auch auf Grund seiner Erkrankung nicht wirklich gehört haben? Sollte er die Tempoangaben unter statt über dem Gewicht an der Zahlen-Skala abgelesen haben? Möglich wäre es gewesen. Das Gewicht an der Skala war damals ein Dreieck, dessen Spitze nach unten zeigte. Nachträglich ergänzte Beethoven alle damals bereits veröffentlichten Sinfonien mit Metronom-Werten, um seine eigene Idealvorstellung anzuzeigen. Auf dem Manuskript der Neunten Sinfonie jedenfalls hat er „108 oder 120 Mälzel“ notiert. Das deutet zumindest auf eine Unsicherheit hin, wie man das Metronom abzulesen habe.5 Es ist gut vorstellbar, dass nicht gleich jeder sofort mit dieser Neuheit umgehen konnte.

Das Metronom zur Zeit seiner Erfindung bedeutete für die musizierende Gesellschaft einen Umbruch in Richtung Fortschritt. Im heutigen digitalen Zeitalter genügt ein schlichtes Smartphone.

Das Metronom heute

Quelle: Die Musik. 1000 Jahre illustrierte Musikgeschichte. München 1983, S. 103

Quellen: Geck, Martin: Ludwig van Beethoven. Reinbek b. Hamburg 1996 (rowohlts monographien 570)

Goebels, Franzpeter: Das Metronom. In: Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG). Bd. 9. München 1989. Sp. 234 ff.

https://br-klassic.de Mälzel

Strünkelnberg, Thomas: Beethoven ausgebremst. In: SÜDKURIER vom 26.01.2021

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