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Fast ein Volkslied

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Das „Wiegenlied“ von Johannes Brahms

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Von Birgit Westphal

„ Guten Abend, gut’ Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlupf unter die Deck’: Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.“

Es wird in der heutigen Zeit wohl nur noch selten vorkommen, doch ist es wenigstens eine bleibende romantische Vorstellung, dass Kinder von ihren Müttern in den Schlaf gesungen werden. Auch wenn heutzutage als Einschlafhilfe für Kleinkinder meist die digital-musikalische Version oder gar das Fernsehen gewählt wird, bleibt zumindest in den noch vorhandenen Spieluhren in den Kinderzimmern ein Hauch von Nostalgie erhalten.

Eine kleine musikalische Ikone – von einem der großen Komponisten der abendländischen Musik kunstvoll eingerahmt – erinnert an diese „gute alte Zeit“: das „Wiegenlied“ von Johannes Brahms (1833–1897), dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 125. Mal jährt. Es ist eigentlich vieles zugleich: ein altes Kinder- und Volkslied, aber auch ein Kunstlied der Romantik, das von Brahms in

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eine klassische Fassung für Singstimme mit Klavierbegleitung gebracht wurde, ebenso wie ein Gedicht deutschsprachiger Volkspoesie. Das „Wiegenlied“, im englischsprachigen Raum auch als „Brahm’s Lullaby“ bekannt, gehört auch heute noch zu den bekanntesten Schlafliedern.

Diese erste Strophe des Liedes mit spätmittelalterlichen Wurzeln erschien in ihrer heute bekannten Form erstmals 1808 unter dem Titel „Gute Nacht, mein Kind!“ im dritten Band der von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegebenen Sammlung poetischer Fundstücke „Des Knaben Wunderhorn“. Die darin enthaltene Pflanzenmetaphorik erschließt sich allerdings heutzutage nicht mehr unmittelbar: Die Rosen sollen ein schützendes Dach bilden, und die „Näglein“ – eine veraltete, regional aber auch heute noch gebräuchliche Bezeichnung für Gewürznelken – sollen einen Schutz darstellen, da sie wegen ihrer ätherischen Öle gegen Ungeziefer und Krankheitserreger eingesetzt wurden. Der Schutzwunsch bezieht sich dabei allgemein auf einen geliebten Menschen.

Eine weitere Textstelle, die für heutige Hörer ebenfalls nicht unmittelbar verständlich ist, ist die Wendung „Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt“. Damit soll nicht die Assoziation verbunden sein, dass das Aufwachen am folgenden Morgen von einer Willkürentscheidung Gottes abhängen könnte. Tatsächlich soll diese Formulierung einfach die Demutshaltung zum Ausdruck bringen, dass die Zukunft in Gottes Hand liegt.

Die zweite Strophe des Liedes stammt indes aus einer anderen Quelle, und zwar aus der 1849 erschienenen Sammlung „Alte und neue Kinderlieder“ des Philologen und Volksliedersammlers Georg Scherer (1824–1909), wodurch das Lied einen „weihnachtlichen Charakter“ erhält:

„Guten Abend, gut’ Nacht, von Englein bewacht, die zeigen im Traum dir Christkindleins Baum. Schlaf nun selig und süß, schau im Traum’s Paradies.“

Johannes Brahms komponierte sein „Wiegenlied“ im Juli 1868 in Bonn und widmete es der befreundeten Bertha Faber anlässlich der Geburt ihres zweiten Sohns „zu allzeit fröhlichem Gebrauch“. Er kannte sie von einem Frauenchor, den er ein Jahrzehnt zuvor in Hamburg geleitet hatte. Im Begleitschreiben vom 15. Juli 1868 an das Ehepaar Faber beschreibt Brahms, wie er sich die häusliche Situation des Wiegenlied-Singens vorstellt: „Frau Bertha wird nun gleich sehen, dass ich das Wiegenlied gestern ganz bloß für ihren Kleinen gemacht habe; sie wird es auch, wie ich, ganz in Ordnung finden, dass, während sie den Hans in Schlaf singt, der Mann sie ansingt und ein Liebeslied murmelt.“

In der neueren Volksliedforschung findet sich die Vermutung, das Kinderlied sei aus einem früheren Liebeslied entstanden – wie ja die Sprache der Verliebten häufig spielerisch anklingt und manchmal geradezu kindlich anmuten kann. Wie auch immer: Nicht zuletzt verbinden schließlich nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene mit dem Zubettgehen und dem Schlafen häufig angenehme Gefühle. Das „Wiegenlied“ erschien noch im Jahr 1868 als Nr. 4 von Brahms’ Sammlung „Fünf Lieder für eine Stimme“ op. 49 im Druck. In der ersten Auflage umfasste es nur die erste Strophe. Als Textvorlage diente Brahms der Abdruck

Quelle: wdr.de/stichtag/stichtag8774.html

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im „Deutschen Kinderbuch“ (1848) von Karl Simrock, einem Onkel von Brahms’ Verleger. Da der Text dort ohne Quellenhinweis abgedruckt wurde, erkannte Brahms zunächst nicht, dass das Gedicht auch schon in „Des Knaben Wunderhorn“ enthalten ist, wodurch die Erstausgabe folgerichtig mit dem Quellenhinweis „aus Simrock’s Kinderbuch“ auf der Titelseite versehen wurde. Auf die zweite, von Georg Scherer gedichtete Strophe des Liedes wurde Brahms von einem Freund indes erst zu einem späteren Zeitpunkt aufmerksam gemacht mit der Folge, dass das vollständige Strophenlied erst ab 1874 erschien.

Bei der Melodie des „Wiegenlieds“ hat sich Brahms an eine alte Volksweise angelehnt, wodurch das Pianissimo-Lied volksliedhaft schlicht gehalten ist. Dennoch zeigen bestimmte Stellen, dass das Werk als Kunstlied eigentlich für die Aufführung durch eine ausgebildete Stimme gedacht ist, so beim Oktavsprung ( … unter die Deck’: Morgen früh, …), der inhaltlich auch als „Weckruf“ gedeutet werden kann. Geprägt ist das Lied von dem rhythmischen Kontrast zwischen der Melodiestimme und der synkopierten Oberstimme der Klavierbegleitung als Ausdruck des sanften Schaukelns der Wiege. Öffentlich aufgeführt wurde das Lied erstmals am 22. Dezember 1869 in Wien durch die Opernsängerin Marie Luise Dustmann-Meyer (Gesang) und Clara Schumann (Klavier).

Das „Wiegenlied“ von Johannes Brahms wird oftmals als „das schönste aller Wiegenlieder“ bezeichnet. Gerühmt wird dabei vor allem die meisterhafte Verbindung von Kunst- und Volkslied. Obwohl es im Laufe der Zeit unzählige vokale und instrumentale Bearbeitungen erfahren hat, ist es mit seiner ursprünglichen bürgerlich-häuslichen Fassung quasi eine Momentaufnahme des 19. Jahrhunderts und wurde durch einen Komponisten vom Rang eines Johannes Brahms zu einer kunstvollen, aber doch auch volkstümlichen Musikikone.

Quellen: Kaspar, Peter Paul: Wer hat das Ave Maria geklaut? Die wechselvolle Geschichte musikalischer Ohrwürmer. Salzburg 2016. S. 123–126 https://de.wikipedia.org/wiki/Guten_Abend_gut’_Nacht

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