SI_2010_04

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Notabene

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Haiti – ein armes und gebeuteltes Land

Peter Scholl-Latour

ie weltweite Anteilnahme und das Ausmass der an Autonomie, das Präsident Sarkozy ihnen anbot, in einer Spenden setzen all jene ins Unrecht, die an der Volksabstimmung massiv abgelehnt. Menschheit verzweifeln und sich über deren un­ Die Erdbebenkatastrophe von Haiti hat Barack ­Obama er­sättliche Habgier entrüsten. Der wirkliche Be­ die Gelegenheit geboten, mit den gewaltigen Mitteln, die weis globaler Solidarität wird jedoch erst dann ihm zur Verfügung stehen, die Führung der internationalen erbracht sein, wenn nach dem Verscharren der Leichenberge Rettungs­aktion zu übernehmen. Der afroamerikanische und nach Instandsetzung einer minimalen Infrastruktur Präsident der USA fühlte sich schon durch seine Hautfarbe die Grundlagen eines Neuanfangs für diese unglückliche Insel­ motiviert, seinen haitianischen Brüdern, die mit einer Million Elendsflüchtlingen in den USA eine neue Heimat gefunden hälfte der Karibik gesucht werden. Schon vor der unbeschreiblichen Erdbebenkatastrophe lebte haben, energisch beizustehen. Als wirksames Instrument die­ dieses Land in Elend und Rückständigkeit, galt es als das Armen­ ser Rettungsaktion musste er sich auf die amerikanischen haus der westlichen Hemisphäre. Es liegt eine Art Fluch über Streitkräfte verlassen, zumal jede haitianische Polizeigewalt dieser von Schwarzafrikanern und Mulatten bevölkerten Repu­ erloschen war und blutiges Chaos drohte. Dieser unentbehrliche Einsatz der US-Marines blik, die bereits 1804, also kurz nach der Gründung in Port-au-Prince weckt jedoch schmerzliche Erin­ der USA, ihre Unabhängigkeit von der französischen «Es liegt nerungen. Hatten doch die Nordamerikaner im Kolonialherrschaft proklamierte. In Nordamerika eine Art Laufe des 19. Jahrhunderts die Kolonialherrschaft wurde die Sklaverei erst sechzig Jahre später als Folge des mörderischen Sezessionskrieges abge­ Fluch über der Fran­zosen durch eine ruchlose Plünderung der kleinen Republik durch ihre Wirtschaftskonzerne, schafft. In Brasilien dauerte diese Geissel der dieser zumal durch die berüchtigte United Fruit, ersetzt. Menschheit gar bis zum Befreiungsedikt von 1884. Zwischen 1915 und 1932 hatten sogar amerikani­ Die Haitianer verdankten ihren Ausnahme­ Republik» zustand den Menschenrechtserlassen der Französischen sche Besatzungstruppen eine Art Protektorat errichtet. Revolution. Umso betrüblicher, dass ihre frühe Emanzipation In trister Erinnerung bleibt vor allem die diabolische Erschei­ aus der Ausbeutung durch den weissen Mann von Unheil, nung des «Papa Doc», des schwarzen haitianischen Diktators wirtschaftlichem Chaos und neuer Tyrannei begleitet war. François Duvalier, dessen Terrorregime von den Yankees gedul­ Die Vertreibung der französischen Grossgrundbesitzer brachte det wurde, weil er als Bollwerk gegen die kommunistischen eine prekäre Freiheit, denn die Plantagen wurden parzelliert. Umtriebe Fidel Castros auf der Nachbarinsel Kuba nützlich Eine kümmerliche Subsistenzwirtschaft war die Folge. Die war. Ähnlich grosse Willkür wurde unlängst noch durch den hemmungslose Abholzung verwandelte die einst ertragreiche zum Tyrannen entarteten «Armenpriester» Aristide ausgeübt. Berglandschaft der Kaffeeplantagen und Zuckerrohrfelder in Als schliesslich die Blauhelme der Vereinten Nationen unter eine trostlose ausgelaugte Steppe, deren karge Ackerkrume bra­silianischem Kommando ein Minimum an Recht und Ord­ durch tropische Regengüsse fortgespült wurde. nung wiederherstellen wollten, scheiterte die Weltorganisation Die Yankees aus den benachbarten USA blickten damals auf Haiti ähnlich kläglich wie die früheren humanitären Inter­ mit Verachtung auf dieses seltsame Staatsgebilde frankofoner ventionen der Uno im Kongo oder in Kambodscha. «Nigger», wo die Staatsstreiche und die Militärkutsche sich in Um in Haiti nicht nur die Ruinen der jüngsten Heim­suchung ­rascher Folge ablösten und die Mulatten der Masse ihrer tief­ zu beseitigen, sondern um dieser von Anfang an miss­lungenen schwarzen Landsleute eine andere Form der Knechtung und politischen Konstruktion endlich aus ihrer unsäg­lichen Misere Entrechtung auferlegten. So paradox es klingt, jene Franzö­si­ herauszuhelfen, bedürfte es einer starken ordnenden Macht. sche-Antillen-Inseln Guadeloupe und Martinique, wo die ­weisse Aber ein wohlwollender Despot ist ebenso wenig in Sicht wie Vorherrschaft sich behauptete und die heute als vollgültige einst eine vernünftige Schirmherrschaft, die dieser armen, aber Departements der Metropole ihren farbigen Einwohnern das zutiefst stolzen Nation ein Leben in Würde und eine erträgliche volle Bürgerrecht der Fünften Republik und deren grosszügige Existenz zusichern könnte.  soziale Gesetzgebung bescheren, verfügen über einen un­ vergleichlich höheren Lebensstandard als die heroischen Nach­ Peter Scholl-Latour, 85, Nahost-Experte und Autor. barn der Republik Haiti. Sie haben noch unlängst ein Grösseres Sein neustes Buch: «Die Angst des weissen Mannes. Ein Abgesang»

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