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Schriften der Internationalen

Castellio Gesellschaft

Peter Litwan

Arm, und doch reich

Die ältesten gedruckten Nachrichten über Sebastian Castellio

Schriften der Internationalen Castellio Gesellschaft

Herausgegeben vom Vorstand der Internationalen Castellio Gesellschaft

Konzeption und Redaktion: Prof. Dr. Brigitte Hilmer

Wissenschaftlicher Beirat:

Prof. Dr. David Amherdt

Dr. Christine Christ-von Wedel

Prof. Dr. Mariano Delgado

Prof. Dr. Henriette Harich

Dr. Peter Litwan

Prof. Dr. Barbara Mahlmann-Bauer

Dr. Uwe Plath

Prof. Dr. Seraina Plotke †

Band 4

Arm, und doch reich

Die ältesten gedruckten Nachrichten über Sebastian Castellio

Schwabe Verlag

Die Publikation wurde durch die Lucius und Annemarie Buckhardt Stiftung und die Sturzenegger-Jeanfavre Stiftung gefördert.

Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Korrektorat: Julia Müller, Leipzig

Gestaltungskonzept: icona basel gmbh, Basel

Cover: Lena Klein, Bern

Satz: mittelstadt 21, Vogtsburg-Burkheim

Druck: Prime Rate Kft., Budapest

Printed in the EU

Herstellerinformation: Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, St. Alban-Vorstadt 76, CH-4052 Basel, info@schwabeverlag.ch Verantwortliche Person gem. Art. 16 GPSR: Schwabe Verlag GmbH, Marienstraße 28, D-10117 Berlin, info@schwabeverlag.de

ISBN Printausgabe 978-3-7965-5450-6

ISBN eBook (PDF) 978-3-7965-5451-3

DOI 10.24894/978-3-7965-5451-3

Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt.

rights@schwabe.ch www.schwabe.ch

Einleitung

1. Conrad Lycosthenes, Theodor Zwinger, Johannes Oporin und ihre Beziehung zu Sebastian Castellio

2. Die verschiedenen Auflagen des Theatrvm vitæ hvmanæ und seine Nachahmungen

3. Exkurs 1: Die in der Universitätsbibliothek Basel vorhandenen Exemplare des Theatrvm vitæ hvmanæ

4. Ein neues Ordnungsschema

4.1

Lycosthenes und Zwinger

5. Die ältesten gedruckten Nachrichten über Sebastian Castellio nach den Einträgen im Theatrvm vitæ hvmanæ

5.1 Bildung, Lebensweise, Tod

5.2 Oporin, Bibel, Hinweis auf das Epitaph

5.3 Bestattung, Schuldentilgung

5.4 Iova für Deus

6. Das Bild Castellios nach den Beiträgen in Zwingers Theatrvm vitæ hvmanæ

7. Der Wortlaut des Epitaphs für Sebastian Castellio im Kreuzgang des Basler Münsters

8. Ort und Dauer der Anbringung des Epitaphs für Sebastian Castellio im Kreuzgang

9. Exkurs 2: Das Epitaph für Theodor Zwinger und die Frage der Sonderdrucke von Epitaph-Texten

10. Äusserungen über Castellio in gebundener Form

10.1 Fridericus Furius Caeriolanus

10.2 Hieronymus Wolf

10.3 Paulus Cherler

10.3.1 Elegia funebris

10.3.2 Alivd brevis epitaph

10.3.3 Alivd heroicum

10.3.4 Sebastianvs Castalio

10.4 Anonymus

10.5 Epigraphe

10.6 Scaevola Sammarthanus

11. Die abnehmende Bedeutung der Armut als Merkmal von Castellios Biografie

Brief des Jean Gaspar de Lambert an Sebastian Castellio aus Orange, 16. Dezember 1563

Abbildungen

und Literatur des 16.–18. Jahrhunderts

Literatur und Ausgaben ab dem 19. Jahrhundert

Über die äusseren Lebensumstände von Sebastian Castellio (1515–1563) sind wir dank der Schrift Ein Biographischer Versuch nach den Quellen von Jakob Maehly und den Monografien von Ferdinand Buisson, Hans R. Guggisberg und Miriam van Veen sowie vieler Aufsätze, die sich Einzelproblemen widmen, soweit sie aus zeitgenössischen Berichten und den wenigen vorliegenden Akten bekannt sind, gut und umfassend unterrichtet. Dabei fällt auf, dass immer wieder mit kurzen Belegen – meist nur Satzfragmenten – aus dem umfassenden Werk Theatrvm vitæ hvmanæ des Theodor Zwinger (1533–1588) zitiert wird. Es drängt sich deshalb auf, die Spuren von Castellios Leben aus diesem monumentalen Werk herauszulösen, ihren Zusammenhang darzulegen, in Verbindung zu den bekannten Daten zu bringen und darzustellen, was Zwinger wohl gewusst, aber nicht ausformuliert hat. Ziel und Zweck dieser Untersuchung ist es nicht, Zwingers Notate als Biografie des savoyardischen Philologen und – auch wenn ihm diese Bezeichnung von vielen abgesprochen wird – kritischen Theologen1 zu lesen: Es geht darum zu zeigen, was Menschen, die nicht direkt mit Castellio Kontakt hatten, schon kurz nach seinem Tod über ihn lesen konnten.

Dieses Unterfangen bedingt, dass zunächst das persönliche Verhältnis zwischen dem Biografen und dem Dargestellten geklärt wird. Bei der Entstehung des genannten Werkes spielen auch der Stiefvater Zwingers, Konrad Lycosthenes, und sein Onkel, Johannes Oporin, eine Rolle. Bedeutend ist Castellios Beziehung gerade zu diesem. Eine Darstellung dieser Verhältnisse trägt zum Verständnis des Werks und des Stellenwerts der Einträge über Castellio bei.

1 Was auch gar nicht Zwingers Absicht war; vgl. Gilly (1977) bes. 63 und 136, Guggisberg (1997) 228 f.

Abb. 1: Sebastian Castellio

Von Bedeutung für die Einordnung der biografischen Notizen sind die verschiedenen Auflagen und die bedeutenden Veränderungen, die dieses Werk im Verlauf seines Erscheinens erfahren hat. Zunächst werden die einzelnen Auflagen vorgestellt und charakterisiert. Dabei wird auch ein Blick auf die Werke anderer Autoren geworfen, die Bücher mit dem gleichen oder einem ähnlichen Titel, aber mit anderem Inhalt veröffentlicht und damit da und dort Verwirrung gestiftet haben.

In einem ersten Exkurs erlaubt ein Blick auf die Exemplare der vier Auflagen, die zur Sammlung der Universitätsbibliothek Basel gehören, aufschlussreiche Erkenntnisse über die Besitzverhältnisse und die Bedeutung, welche die jeweiligen Besitzer den Büchern zugemessen haben. Daraus lassen sich allgemeine Beobachtungen zur Buchgeschichte gewinnen.

In groben Zügen wird sodann die Methode, die Zwinger seiner Arbeit zugrunde gelegt hat, skizziert. Kurz wird erörtert, wie Zwinger seine Auflagen stetig ausgebaut und verbessert hat. Im Rückblick auf die Entwicklung der Beiträge über Castellio und auf Angaben zu unterschiedlichen Themen in den verschiedenen Auflagen lassen sich Erkenntnisse über Zwingers Arbeitsweise gewinnen: Welche Auswahl hat er getroffen und welche Veränderungen vorgenommen? Über die Gründe dafür sind natürlich nur Vermutungen möglich; in Kapitel 6 sollen wenigstens Andeutungen dazu gemacht werden. Diesen Prozess im Einzelnen darzustellen, sprengt den Rahmen der vorliegenden Publikation. Diese Aufgabe soll einer späteren Untersuchung vorbehalten sein.

Im anschliessenden Hauptteil werden alle Stellen, die sich auf die Biografie Castellios beziehen, in extenso zitiert, übersetzt und kommentiert. Dabei wird vor allem Bezug auf zeitgenössische Quellen (Briefe, Berichte, Akten) genommen und die moderne Sekundärliteratur vor allem als Fundgrube für Belege herangezogen. Die Einträge Zwingers sollen in ihrer Ganzheit und Abfolge innerhalb des Gesamtwerks erfahrbar gemacht und mit belegbaren Daten ergänzt werden. Bezüge zwischen den einzelnen Stellen ermöglichen einen Blick auf grössere Zusammenhänge.

Im Anschluss daran wird das Epitaph für Castellio, von dem Zwinger nur die Existenz, nicht aber den Wortlaut nennt, dargestellt und angesichts der mehrfachen, nicht ganz wortgetreuen Überlieferung die Frage nach der ursprünglichen Fassung diskutiert. Sodann wird das weitere Schicksal der heute nicht mehr sichtbaren Tafel verfolgt. Neue, resp. bisher nicht beachtete Texte oder Bemerkungen in bekannten Dokumenten haben in der Frage des originalen Textes, der Anbringung und Dauer der Anbringung des Epitaphs für Castellio zu neuen Einsichten geführt. Ältere Arbeiten des Verfassers2 werden damit korrigiert. In einem zweiten Exkurs wird zur Bestätigung von in den Kapiteln 7

2 Litwan (2018) und (2024).

und 8 gemachten Bemerkungen ein kurzer Blick auf die Epitaphe für Theodor Zwinger und Elisabeth Holtzach geworfen.

Erste Beurteilungen Castellios in dichterischer Form lagen schon kurz nach seinem Tod vor. Sie werden als lateinische Texte mit deutscher Übersetzung und kurzen Einführungen geboten. Eine besondere Bedeutung dürften dabei die Elegia funebris und weitere Texte des Paulus Cherler3 gehabt haben, die in den meisten der weit über 100 Ausgaben der Dialogorum sacrorum libri IV abgedruckt sind und also weite Verbreitung gefunden haben.

Editorischer Vorbericht

Lateinische Texte und Zitate sind wie alle Werktitel kursiv gesetzt. Deutsche und französische Zitate stehen in Anführungsstrichen.

Eine Normalisierung von v und u sowie ii und ij in den lateinischen Drucken und Briefen ist nicht durchgeführt; sie würde eine einheitliche Schreibweise vortäuschen, die nicht gegeben ist.

Wenn auf Spalten auf der gleichen Seite verwiesen wird, bezeichnet hochgestelltes a die linke, hochgestelltes b die rechte Spalte. In Drucken, in denen nicht nach Seiten, sondern nach Lagen gezählt wird, und in handschriftlichen Texten bezeichnet hochgestelltes r die Vorder-, hochgestelltes v die Rückseite. Handschriftliche, nicht publizierte Texte, aus denen zitiert ist oder die erwähnt sind, sind in den Anmerkungen mit der Signatur der besitzenden Bibliothek angeführt.

Bei den lateinischen Versen ist im Distichon der Pentameter eingezogen; in der deutschen Übersetzung, die ja keine metrische ist, ist jeweils das Distichon als Einheit aufgefasst und deshalb innerhalb der zweiten Zeile fortlaufend gedruckt.

In den Quellen abgekürzte Vornamen werden mit []-Klammern ergänzt. Ergänzungen des Herausgebers innerhalb von Texten stehen in <>-Klammern.

Die Siglen für abgekürzte Literatur-Nachweise in den Anmerkungen sind vor dem Literaturverzeichnis aufgeführt.

Abweichend davon gilt Folgendes:

Um die aufwändige Wiederholung der Titel der einzelnen Ausgaben des Theatrvm vitæ hvmanæ zu vermeiden, sind diese immer nur mit der fett gedruckten Jahreszahl ihres Erscheinens angeführt.

In Kapitel 5 sind an Stelle der oft verwendeten Begriffe Volumen, Liber und Titulus die Abkürzungen Vol., Lib., Tit. gesetzt.

3 Vgl. Kapitel 10.3.

Es bleibt die angenehme Pflicht zu danken: Carmen Cardelle de Hartmann, Laura Carloni, Anne Nagel, Stefano Bassetti, Lorenz Heiligensetzer, Andreas Calleriotti, Roland Fankhauser, Manfred Flieger, Pierre Périat, Rudolf Wachter und Frank Zimmermann für Auskünfte in Einzelfragen; den Mitgliedern des Beirats für wertvolle Kritik; Christine Christ-von Wedel für anregende Gespräche im Lesesaal der Universitätsbibliothek Basel; Kathrin Schäublin für die Durchsicht der Übersetzungen; Martin Steinmann für die unverzichtbare Hilfe bei der Entzifferung schwierig lesbarer Briefe; den stets hilfreichen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren der Bibliotheken und Archive in Basel, Liestal und Zürich. Arlette Neumann vom Verlag Schwabe hat von Anfang an das Projekt aufmerksam begleitet, Brigitte Hilmer hat den Weg in die Publikationsreihe der „Internationale Castellio-Gesellschaft“ geebnet; ihrem Engagement verdankt die vorliegende Publikation viel. Dank gebührt auch den Stiftungen für die Unterstützung und Förderung der Drucklegung. Doch ohne die langmütige Geduld meiner Frau Beatrice wäre das Buch nicht entstanden: Ihr sei es deshalb gewidmet.

1. Conrad Lycosthenes, Theodor Zwinger, Johannes Oporin und ihre Beziehung zu Sebastian Castellio

In der Mitte des 16. Jahrhunderts lebten in Basel auf relativ engem, durch die Stadtmauer begrenztem Raum wohl etwa 10 000 Menschen. Diejenigen, die sich in ähnlichen Bereichen aufhielten und beschäftigten, in unserem Fall im Bereich von Universität und Buchdruck, sind sich mehr oder weniger zwangsläufig in irgendeinem Zusammenhang oder zufällig begegnet. Für die vier im Titel von Kapitel 1 genannten Männer allerdings hat es darüber hinaus sehr präzise biografische Gründe für Begegnung, ja Zusammenarbeit gegeben. Conrad Lycosthenes (1518–1561) aus Ruffach im Elsass ist nach seinen Studien in Heidelberg nach Basel gekommen, wo er 1542 am Paedagogium die Professur für Latein und an der Universität die für Logik antrat. 1545 übernahm er das Diakonat zu St. Leonhard. Seit 1554 rechtsseitig gelähmt, hat er sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und vornehmlich als Herausgeber betätigt. So hat er u. a. 1551 unter dem Titel Elenchus scriptorum omnium […] Conrad Gessners berühmtes Literaturverzeichnis Bibliotheca universalis von 1545 als erweiterte Neuauflage herausgegeben. Darin äussert er sich lobend über Castellios dialogos sacros libri 4 – so seine Schreibweise des Titels, die insofern übernommen ist, als im weiteren Verlauf dieser Arbeit statt des umständlichen Titels Dialogorum sacrorum libri quattuor meist von den Dialogi oder Dialogi sacri die Rede ist –, mit denen nach Castellio, dem jugendlichen Alter (tenellæ ætati) der Schüler angepasst, die Geschichten der Bibel so elegant dargeboten werden, dass nichts geeigneter zur Lehre der Frömmigkeit und der Sprache beitragen kann (nihil ad pietatis ac linguæ rationem accomodatius parari posse uideatur). Lobend äussert er sich auch zu dessen Bibelübersetzung mit den erklärenden Anmerkungen zu schwierigeren Stellen (difficiliorum loco­

Abb. 2: Conrad Lycosthenes

rum declarationibus).4 Nach der Publikation weiterer Anthologien historischer und juristischer Texte scheint er sich mit der Idee getragen zu haben, eine farraginem5 infinitam theatri vitæ humanæ6 herauszugeben, einen Schauplatz sozusagen, auf dem man „Schauens Würdiges“ darstellen konnte.7 Dazu ist es aber nicht gekommen. Es blieb bei den fundamenta, den Grundlagen (wie sich Adam8 ausdrückt), die Lycosthenes in 15 Jahren eifriger Sammeltätigkeit angehäuft habe. Im Alter von 42 Jahren habe er jedoch einen weiteren Schlaganfall erlitten, der ihm zeitweise die Sprache geraubt und schliesslich zu seinem Tod geführt hat.9 Darauf habe sein Stiefsohn, der ihn schon in der Zeit der Krankheit unterstützt habe, die Arbeit aus persönlicher Ehrerbietung (privata pietate) und als Dank für die merita, die ihm sein Stiefvater habe zugutekommen lassen, und mehr noch des allgemeinen Nutzens (publica imprimis utilitate) wegen weitergeführt. Er hat die nach der Formulierung im Vorwort rohe und ungeordnete Masse (vel chaos potius10) geordnet und nach philosophischen Grundsätzen (philosophiæ ductu) gegliedert und damit das Werk in die Form gegossen, in der es heute vorhanden ist. Dabei orientiert er sich an der Terminologie des Theaters, wo der gesamte Stoff, die fabula, in Akte (libri) und diese in Szenen (exempla) gegliedert ist.

Dieser Stiefsohn ist Theodor Zwinger11 (1533–1588). Er war durch seine Mutter ein Neffe des weitherum bekannten Buchdruckers Johannes Oporin (1507–1569). Nach dem frühen Tod von Zwingers Vaters (1538) hat sich jener zusammen mit dem Stiefvater Conrad Lycosthenes, den die Witwe geheiratet hat, des Jungen angenommen, der sich wohl dann und wann in der Werkstatt des Onkels aufgehalten oder umgesehen hat. Dort hat er gewiss Kontakt zu Sebastian Castellio geknüpft, der seit 1545 – vielleicht schon Ende 1544 – in Basel lebte und als Korrektor bei Oporin tätig war. Dass Zwinger nach seinem abrupten Weggang aus der Vaterstadt (1548) zunächst drei Jahren in der Druckerei der Gebrüder Godefroy und Marcellin Beringer in Lyon12 tätig war, ist von dieser

4 Lycosthenes (1551) Sp. 973.

5 farrago, eig. Mischfutter, allerlei; hier wohl im Sinn von Anthologie.

6 Herzog (1778) 258.

7 Vgl. Rusterholz (1970) 15.

8 Adam (1620: Theologi) 363.

9 Adam bezieht sich bis in einzelne Formulierungen auf die præfatio des Theatrvm und einen Eintrag über Lycosthenes, den Zwinger in sein Werk aufgenommen hat: 1565 (vgl. editorische Notiz), 1225; 1571, 2674; 1586, 528.

10 Adam (1620: Medici) 306.

11 Nach wie vor fehlt trotz manchen Untersuchungen zu Einzelthemen eine wissenschaftliche Biografie von Theodor Zwinger. Die Angaben, die man etwa bei Adam (wie Anm. 8), im HLS, in diversen Nachschlagewerken und verschiedenen elektronischen Medien findet, sind allzu dürftig. Am ausführlichsten fündig für einen Überblick wird man bei Portmann (1965) und (1988).

12 Baudrier (1895) Bd. 3, 31–54, bes. 34.

Abb.

Konstellation her sicher kein Zufall. Er hat dort reiche medizinische, historische, juristische, theologische und philosophische Literatur kennen gelernt. Möglicherweise hat ein kurz vor seinem Eintritt in dieser Druckerei erschienenes Werk des Petrus Ramus, die Aristotelicæ animadversiones, seinen weiteren Lebensweg bestimmt. Mit dem in Lyon verdienten Geld konnte er sich zwei Jahre lang bei dem eben Genannten in Paris dem Studium der Philosophie widmen. Nach der Rückkehr aus Paris wird er in Basel vor dem Weiterzug nach Padua wieder mit Castellio zusammengetroffen sein, der gerade in jener Zeit (Mai 1553) auf den Griechisch-Lehrstuhl der Universität berufen worden war. In Italien hat Zwinger Medizin, Philosophie und Griechisch studiert und als Sekretär seinen Lebensunterhalt verdient. Als promovierter Mediziner und Philosoph kehrte er 1559 nach Basel zurück. Nach Castellios Tod hat er (s. Kapitel 5.3) dessen Lehrstuhl für Griechisch übernommen. 1571 wurde er Professor für Ethik und 1580 für theoretische Medizin. Zusammen mit seinem Freund Felix Platter gilt er als Begründer der berühmten Basler Mediziner-Schule. Von seinem monumentalen Werk Theatrvm vitæ hvmanæ wird im Folgenden zu handeln sein.

Johannes Oporin13 gehört zu den Druckern, die den Ruhm Basels weit über ihre Grenzen hinaus getragen haben. Dabei hat er sich auch als Philologe und Professor an der Universität einen Namen gemacht und ist immer wieder mit aussergewöhnlichen Drucken, die seinen weiten Horizont belegen, bekannt geworden: der Mitwirkung beim Erstdruck von Johannes Calvins Christianæ religionis institutio von 1536, der ersten lateinischen Übersetzung des Korans (gegen politische Widerstände) von 1542/43 und zur gleichen Zeit mit Andreas Vesalius’ De humani corporis fabrica. Damit hat er sich in politischen Kreisen nicht nur Freunde geschaffen. Auf der ande13 Steinmann (1967).

3: Theodor Zwinger
Abb. 4: Johannes Oporin

Lycosthenes, Zwinger, Oporin und ihre Beziehung zu Castellio

ren Seite hat er mit Grossauflagen immer wieder seine Existenz aufs Spiel gesetzt. Dennoch hat er Bedürftige unterstützt, wie Andreas Iociscus14 in seiner Vita Oporini von 1569 ausdrücklich hervorgehoben hat: et plurimis alijs doctis certi subsidij loco semper Oporinus fuit („[…] auch sehr vielen anderen Gelehrten war Oporin immer ein Ort der sicheren Hilfe“).15 Das hat auch Castellio erfahren,16 der als mittelloser Flüchtling finanziell von Oporin unterstützt worden ist, indem dieser ihm zunächst als Korrektor, später als Autor Arbeit verschafft hat; im Lauf der Jahre sind in dessen Offizin doppelt so viele Werke von Castellio gedruckt worden wie in den acht anderen Druckereien Basels zusammen.

14 Andreas Iociscus (? – 1569) aus Grünberg studierte in Breslau, Wittenberg, Heidelberg und Basel; zuletzt war er Professor der Ethik in Strassburg. Den Lebenslauf des Oporin konnte er selbst nicht mehr vortragen, weshalb diese Aufgabe der Strassburger Patrizier Johann Heinrich Hainzel (immatrikuliert in Basel 1568/69) übernahm. Die Notiz bei Iociscus (1569) fol. B VIv

15 Iociscus (1569) fol. B VIv

16 Vgl. Kapitel 5.2.

2. Die verschiedenen Auflagen des

Nachahmungen17

Theatrvm vitæ hvmanæ und seine

1565 ist das Theatrvm vitæ hvmanæ („Schaubühne des menschlichen Lebens“) in einer ersten Ausgabe cum gratia & priuilegio Cæs. Maiest. & Christianiss. Galliarum (sic) Regis bei Johannes Oporin erschienen. Es umfasst in 19 libri 1428 Seiten; davon enthalten 31 eine præfatio und 23 eine series titulorum; dazwischen eingeschoben ist eine zweiseitige dispositio18 der 19 libri, in der im grossen Überblick die Gliederung des Gesamtwerkes dargestellt ist. Das Verzeichnis series titulorum zeigt in einzelnen Büchern durch unterschiedliche Schriftgrösse und Buchstabenwahl der Titel eine klare Gliederung, ohne allerdings den überresp. untergeordneten Gruppierungen neue Bezeichnungen zu geben, so dass zwischen libri und tituli mehrere nicht näher bezeichnete Unterteilungen vorhanden sind. Den libri untergeordnet sind zunächst wenige, mit römischen Lettern bezeichnete Gruppierungen, die ihrerseits in mehrere tituli aufgeteilt sind. Diese wiederum sind, wie die Abb. 11, 12 und 13 zeigen, ohne neue Bezeichnungen weiter unterteilt, so dass man von subtituli sprechen müsste, unter denen die einzelnen exempla, oft in Untergruppen aufgeteilt, aufgeführt sind. Auf weitere tituli oder exempla ähnlichen Inhalts wird (selten) mit consule oder vide hingewiesen. Abgeschlossen ohne Paginierung ist diese Ausgabe mit einem elenchus titulorum ordine alphabetico digestorum („Ein Verzeichnis der in alphabetischer Reihenfolge gegliederten Titel“); hier sind nur die den exempla übergeordneten tituli, nicht aber die übergeordneten subtituli verzeichnet. Die im Verzeichnis genannten Titel entsprechen jedoch da und dort nicht genau der Formulierung der Titel im Gesamtwerk, was gelegentlich die Suche erschwert, zumal da und dort die Reihenfolge der tituli in der series titulorum nicht den Angaben in den dispositiones entspricht.

Jedem liber ist eine dispositio und ein kurzes Vorwort vorangestellt. Selten (z. B. mitten in liber III vor dem titulus de providentia, S. 251 f.) ist vor einem neuen Abschnitt eine eigene dispositio eingeschoben. Einträge zu Personen oder

17 In Ergänzung zur editorischen Notiz steht bei fälschlich genannten Drucken oder Umarbeitungen die fett gedruckte Jahreszahl kursiv.

18 Das ist die Bezeichnung der stammbaumähnlichen Darstellung, aus der die Abhängigkeiten der einzelnen libri und tituli (ab 1571 volumina, libri, tituli) untereinander erkennbar ist (vgl. Kapitel 4.1).

zu Ereignissen der Zeitgeschichte sind wenige zu finden getreu dem Hinweis auf dem Titelblatt: Das Werk sei ein „ein Spiegel des menschlichen Lebens beinahe aller Dinge, die einem Menschen begegnen können […] von Konrad Lycosthenes schon vor langer Zeit begonnen, jetzt aber von Theodor Zwinger mit Fleiss, Eifer und Aufwand fortgeführt“ (Vitæ humanæ speculum omnium fere eorum, quæ in hominem cadere possunt […] A CONRADO LYCOSTHENE Rubeaquense […] iampridem inchoatum: nvnc vero THEODORI ZVINGERO […] opera, studio & labore […] deductum), es enthalte historische Beispiele für gute und schlechte Ereignisse, passend zu den Lehren der moralischen Philosophie.

Gewidmet ist diese erste Auflage Johannes, Christoph und Esaia Weitmoser, den Söhnen des Christoph Weitmoser (1506–1558), der durch die Gold- und Silberbergwerke in Gastein zu Reichtum gekommen war und kurz vor seinem Tod Oporin mit 1000 Talern vor einem drohenden Konkurs gerettet hat. Wohl deshalb hat ihn Oporin 1558 in Gastein besucht.19 Die Verbindung zu Oporin entstand dadurch, dass zwei Söhne Weitmosers – Johannes und Christoph II. – in Begleitung ihres Lehrers Hermannus Pincierus (1521–1591) im Juni 1557 bei Oporin untergebracht waren.20 Seine Beziehung zu deren Vater geht auf das bergmännische Interesse des Basler Arztes und Philologen Philippus Bechius (1521–1560) aus deren Wittenberger Zeit zurück.21 Bechiusʼ Übersetzung von Georg Agricolaʼs De re metallica war 1557 bei Hieronymus Froben erschienen. Die Widmung von 1565 wird beschlossen mit ΟΥΡΩι Κ `

εἰρησίῃ: mit Wind und Ruder!)22; sie deutet an, dass nur das Zusammenspiel von eigener Kraft (Ruder, Arbeit) und glücklicher Fügung (Windunterstützung, Finanzen) Erfolg bringt. In einem Brief an Zwinger23 macht der Schreiber deutlich, dass Johannes Weitmoser diese Widmung mit grosser Freude akzeptiert hat und sich sicher noch persönlich bedanken wird.

1571 erschien eine zweite Auflage Cum priuilegio Cæsareo ad decennium, & Gallorum Regis septennium in der Officina Frobeniana. Dass Zwinger an dieser zweiten Auflage und darin – neu im Vergleich zu 1565 – einem Namen-Register arbeitete, nimmt der befreundete Arzt Johannes Crato von Krafftheim (1519–1585) erfreut zur Kenntnis.24 Wieder ist – deutlich weniger ausführlich – auf die Vorarbeit des Lycosthenes verwiesen, aber plus myriade EXEMPLORUM auc­

19 Iociscus (1569) fol. C IIIv

20 Näheres dazu in einem Aufsatz, der in den „Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde“ erscheinen wird.

21 Jenny (1994) und (1995) und in den Anmerkungen zu AK Nr. 4547.

22 Dieses Symbolum verwendet Zwinger auch im Eintrag zu seinem Dekanat 1564 in der Matrikel der Medizinischen Fakultät der Universität Basel und in seinem Haus am Nadelberg. Vgl. Dill (2010).

23 Johannes Sentelius (immatrikuliert 1557, Matrikel 2, 121) am 8. Juni 1562, UBB UBH Frey-Gryn Mscr II 26:349.

24 Brief vom 28. Oktober 1570, UBB UHB Frey-Gryn Mscr. II 8:463.

tum, methodice digestum accurate recognitum. Accessit ELENCHUS TRIPLEX, Methodi scilicet, Titulorum & exemplorum („[…] mit mehr als zehntausend Beispielen vermehrt, sorgfältig durchgesehen und nach einer Methode gegliedert.“ In der ersten Auflage ist noch bescheiden auf eine Ordnung hingewiesen. „Zugefügt ist ein dreifaches Verzeichnis der Anlage, der Titel und Beispiele“). Das Werk ist also beträchtlich erweitert und nach einer klaren, verfeinerten Methode gegliedert: Die libri sind nicht mehr die oberste Gliederung, sondern erste Unterteilung der neu eingerichteten Volumina. Der Umfang ist neu auf 20 Volumina angewachsen; die ihrerseits je in mehrere libri unterteilt sind. Eine grafische Verbesserung erfährt das Werk dadurch, dass die exempla durch Längsstriche voneinander abgesetzt sind. Diese zweite Auflage umfasst zunächst 34 Seiten proscenia („Vorspiel“, also Vorwort nach der Theaterterminologie des Titels); nach 340625 Seiten mit den exempla folgt ein Supplementum von 49 Seiten mit der Bezeichnung: SYLVA Titvlorum & Exemplorvm quorundam, in Dispositione totius Operis, seu casu, seu consilio, uel loco suo motorum, uel certe omissorum („Sammlung von einigen Titeln und Beispielen, die in der Anordnung des ganzen Werkes, sei es durch Zufall oder aus Absicht, entweder von ihrer [ursprünglichen] Stelle gerückt oder mit Absicht ausgelassen worden sind“). Diese Nachträge in

25 Die drei Bände zählen die Seiten durchgehend.

Abb. 5a: Titelblatt 1565
Abb. 5b: Titelblatt 1571

1586 zu finden, gelingt wegen der Neugliederung der Stoffe in der dritten Auflage nur vereinzelt, auch weil sie nicht im Index exemplorum aufgeführt sind. Der Eintrag etwa über Onias auf S. 3436 (in 1571) gehört zu Vol. IX, Lib. II; in 1586 erscheint er aber in Vol. X, Lib. II auf S. 2403; dort viel ausführlicher. Der Eintrag über Darius auf S. 3442 (in 1571) gehört zu Vol. XIV, Lib. II. Nach dem Verweis Vide Tit. Subditi müsste er in 1586 auf S. 3498 zu finden sein; stattdessen steht eine viel ausführlichere Fassung in Vol. I, Lib. III auf S. 255.

Die Indices umfassen insgesamt 310 Seiten. Wieder ist jedem Volumen und jedem Liber eine dispositio der Tituli und ein kurzes Vorwort vorangestellt. Eine bedeutende Erleichterung in der Handhabung stellt der Elenchus exemplorum dar, weil darin alphabetisch alle behandelten Personen mit den sie betreffenden exempla aufgeführt sind, was in der 1. Ausgabe noch fehlt und jene im Grunde wenig leserfreundlich macht. Hinweise auf weitere Tituli erscheinen häufig; sie sind meist mit vide oder consule eingeleitet; oft steht eine kleine Hinweishand dabei. In den Einführungstexten zu den exempla sind immer wieder – mit Seitenzahlen oder Lokalisierung nach Vol. und Lib. – Verweise auf ähnliche oder weiterführende Texte gegeben; auch sie sind oft durch eine Hinweishand gekennzeichnet.

Ein Vergleich dieser mit der nächsten Auflage ermöglicht einen Blick in die Art und Weise, wie Zwinger sein Werk erweitert und umgestaltet hat: In 1571 Vol. XVII, Lib. VII, S. 2596 etwa ist unter dem Titel tempus conviviorum, prandii et coenae („Zeit für Gastmähler, Frühstück und Mittagessen“) in einer dispositio kurz mit 7 exempla auf unterschiedliche Essenszeiten hingewiesen; in 1586, Vol. XVIII, Lib. III, S. 4328 f. ist diesem Thema zunächst ein längerer Text mit dem Hinweis auf Lib. 5, cap. 21 des Alex[ander]26 gewidmet, dem 14 exempla folgen, welche die exempla der älteren Auflage z. T. aufnehmen und z. T. umstellen. Der Text nach Alex[ander] kann als die ausführliche Vertextlichung der dispositio der älteren Auflage gelesen werden.

Gewidmet ist auch diese Auflage den Söhnen von Weitmoser. Der Text der Widmung entspricht mit einigen Erweiterungen dem in der ersten Auflage. Neu ist der Hinweis, dass es sich um eine zweite, verbesserte Auflage handelt:

ΔΕΥΤΕΡΟΝ ΑΜΕΙΝΟΝ (= zum zweiten Mal, verbessert). Mit einer gewissen Zurückhaltung hat Crato in seinem Brief vom 27. Februar 1569 auf diese Bearbeitung mit dem Hinweis auf die ausbleibende Hippokrates-Arbeit reagiert, die doch so viel wichtiger sei.27

1572 wurde in Paris eine bearbeitete Ausgabe herausgebracht. Wie die Spaltenzählung 1–1168 und 1–1150 zeigt, ist sie offenbar als 2-bändiges Werk

26 Alexander ab Alexandro, eigentlich Alessandro Alessandri (1461 [Neapel]–1523 [Rom]), Jurist, Philologe. Sein Werk repräsentiert das Wissen im humanistischen Italien. Sein Werk mit dem Titel Genialium dierum libri sex erschien erstmals 1522 in Rom.

27 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. II 4:43.

gedacht.28 Die dispositiones sind 1565 entnommen; exempla finden sich aus 1565 und 1571, z. T. in veränderter Reihenfolge.29 Ein ausführlicher Index rerum & verborum erleichtert das Auffinden von gesuchten Texten.

157730 erschien in Antwerpen unter dem gleichen Titel Magnum Theatrum vitæ humanæ eine Folge von 6 querformatigen Stichen des Hans Vredeman de Vries (1527–1604), in der er, unterlegt mit französischen und niederländischen Versen moralischen Inhalts die menschlichen Lebensalter mit antiken Säulenordnungen in Verbindung brachte. Damit ist trotz der Ähnlichkeit der Titel der inhaltliche Unterschied zwischen den beiden Werken deutlich. Wie weit de Vries Zwingers Werk kannte oder gar aus ihm schöpfte, ist ungeklärt.

1586 folgte eine dritte Auflage mit dem leicht veränderten Titel Theatrvm hvmanæ vitæ non sine privilegio bei Eusebius Episcopius. Sie ist deutlich gekennzeichnet als tertiatione (3. Auflage) und mit dem Hinweis Nouem VOLUMINIBUS locupletatum, interpolatum, renovatum, also um 9 volumina erweitert, ergänzt, erneuert. Entsprechend ist ihr Umfang weiter angewachsen: Nach 36 Seiten proscenia folgen 4373 Seiten Text und 341 Seiten Register. In dieser Auflage stehen weiterhin vor jedem Volumen und jedem Liber eine dispositio der Tituli, allerdings haben die Libri kein eigenes Vorwort mehr. Hinweise auf weitere Lemmata sind mit vide oder Consule und nachfolgendem Titulum / Tit. / locum mit oder ohne Hinweishand bezeichnet. Vol. XXVIII, in dem politische Verhältnisse abgehandelt werden, enthält ausführliche Listen von Pharaonen, Kaisern, Königen der verschiedensten Länder und (römischen) Konsuln. Bezeichnenderweise fehlen Päpste und andere kirchliche Würdenträger (vgl. unten Kapitel 6).

Diese Auflage ist nicht als Gesamtwerk einer bestimmten Person gewidmet, sondern jedes Volumen hat einen besonderen Dedikationsträger.31 Der Grund für diese Änderung lässt sich aus den Briefen des Hieronymus Wolf32 an Theodor Zwinger erahnen: Am 26. April 157133 schreibt er, dass die Weitmosers offenbar in Geldnot seien (fortunas eorum afflictas esse) und die Zeit für literarische Unterstützung deshalb kaum günstig sei (talibus temporalibus literata munera parum grata). Am 4. August 157234 rät er, sich bei den Weitmoser-Söhnen zu beklagen (literis lacessendos esse censeo), da sie undankbar seien. Und noch

28 Im Exemplar der Kantonsbibliothek Luzern (Signatur A. 86. b fol.) sind beide Teile in einem Band gebunden.

29 Der Text 1571, 2698 steht in t. 2, 1088; der Text 1571, 2808 steht in t.2, 978.

30 Eine weitere Ausgabe erschien 1638.

31 Ein Beispiel unten in Kapitel 6. Eine (geplante) Auflistung aller Widmungsträger ergäbe wohl ein eindrückliches Bild der vielfältigen Beziehungen Zwingers in ganz Europa.

32 Zur Person vgl. Einleitung zu Kapitel 10.2.

33 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. I 11:334.

34 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. I 11:342; typisch für Wolf mit dem griechischen Zitat ἀμνάμωνες

übersetzt als Marginalie von Konrad

am 26. November des gleichen Jahres35 stellt er ernüchtert fest, es sei ärgerlich, für das grosszügige Geschenk, d. h. die Widmung, keine Antwort zu bekommen (de grata remuneratione liberali nihil audire molestum est).

Wie verschiedene Briefe an Zwinger zeigen, war bekannt, dass er in den 1570er-Jahren an einer weiteren Auflage arbeitete. Simon Scheibe schreibt am 29. März 157736, er wisse, dass Zwinger sich ganz der Arbeit an der Erneuerung und Erweiterung des Theatrvm widme (te in Theatro restaurando et amplificando totum adhuc esse) und er sicher sei, dass er bei der Nachwelt für diese mühevolle Arbeit verdientermassen Lob ernten werde (laudem, quam ex opere isto operoso apud omnem posteritatem perpetuo mereberis). Und am 16. Oktober 157937 drückt er die Gewissheit aus, dass dieses Werk – grösser als die Ilias – nicht nur historisch Interessierten, sondern allen gebildeten Männern zugutekommen werde. Hieronymus Mercurialis (1530–1606), auch er Arzt, berichtet am 15. Mai 158238, dass alle Italiener dieses Werk haben wollen. Später bittet er um ein Exemplar, aber nicht als Gegengeschenk (ἀντίδωρον), da ihm ja kein Geschenk (δῶρον) vorausgegangen sei.39 Demgegenüber mahnt Adam Knouff am 3. September 158240, über dieser Arbeit nicht den Hippokrates zu vernachlässigen, der doch für die Studierenden weitaus nützlicher sei. Kritisch sieht das Unternehmen auch Johannes Crato, der am 15. Mai 158341 meint, dass Zwinger seine Kräfte lieber wieder den hippokratischen Schriften zuwenden solle, auch wenn diese Arbeit zweifellos vielen Freude bereite und nütze.42 Er wundert sich am 22. Juni 158443, dass Zwinger so viel Mühe für dieses Werk aufwende und Zeit und geistige Kräfte verbrauche (miratus sum te tantum operæ in hac editione sumere atque tempus et ingenij vires consumere); eine Sorge, die er am 14. Juli wiederholt. Und der Korrespondenz von Parthenios (i. e. Girolamo Donzellini, um 1513–1587)44 mit Zwinger ist der Wunsch des Italieners zu entnehmen, dieses Werk in Italien auflegen zu können. Donzellini war als (Pest-)Arzt mehrmals in Konflikt mit der Inquisition in Venedig geraten und wurde schliesslich in der Lagune ertränkt. Pfister, Bibliothekar der UBB: immemores enim sunt mortales antiqua vero gratia dormit („Denn die Menschen sind vergesslich, und die übliche Dankbarkeit schläft freilich“).

35 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. I 11:140.

36 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. II 4:272.

37 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. II 4:283.

38 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. V 4:193; vielleicht stammt der Brief erst aus dem Jahr 1585.

39 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. II 4:209; Jahreszahl im Falz nicht lesbar.

40 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. II 4:148r/v.

41 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. II 23:141.

42 Vgl. Anm. 27.

43 UBB UBH Frey-Gryn Mscr. II 4:63 und 64.

44 Portmann (1973), Palmer (1993), Celati (2014).

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