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ANTIKE NACH DER ANTIKE ANTIQUITY AFTER ANTIQUITY

JAN B. MEISTER

CRISTINA MURER

SERAINA RUPRECHT ( HG.)

Die Spätantike als Rezeptionsepoche

Antike nach der Antike

Antiquity afterAntiquity

Herausgegebenvon Daniel Barbu, ConstanzeGüthenke, Karin Schlapbach, Thomas Späth und Adrian Stähli

Band 6

DieSpätantike als Rezeptionsepoche

Schwabe Verlag

Die Druckvorstufe dieser Publikation wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt.

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© 2026 bei den Autor:innen;Zusammenstellung © 2026 Jan B. Meister, Cristina Murer, Seraina Ruprecht, veröffentlicht durch Schwabe Verlag Basel, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz

Abbildung Umschlag:Canaletto (Giovanni Antonio Canal), Ansicht des Konstantinsbogens mit dem Kolosseum (1742–1745). Courtesy of Getty’sOpen Content Program (https://www.getty.edu/art/ collection/object/103RAX)

Korrektorate: Anja Borkam, Langenhagen;Katherine Bird, Berlin;Camille Semenzato, La Côte-aux-Fées

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Layout: icona basel gmbh, Basel

Satz: 3w+p, Rimpar

Druck: Prime Rate Kft., Budapest

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ISBN Printausgabe 978-3-7965-5321-9

ISBN eBook (PDF)978-3-7965-5322-6

DOI 10.24894/978-3-7965-5322-6

Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt.

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Für Stefan Rebenich, Lehrer, Mentor, Freund

Jan B. Meister, CristinaMurer und Seraina Ruprecht: Die Spätantike als Rezeptionsepoche. Zur Rezeption einer rezipierenden Epoche ..

TeilI

Die Spätantike alsrezipierte Epoche

Jan B. Meister: «Inden meisten Bildnissen dieser Zeit herrscht teils eine natürlicheHässlichkeit…». Neuzeitliche Rezeptionen spätantiker Körper.

Mischa Meier: Attila in Venedig.Der hunnische Italienzug im Jahr 452 und die Konstruktioneiner venezianischenFrühgeschichte.

Wolfram Kinzig: «Insua magnanimitate ac suavitate». Hieronymus im Denken der Päpste Benedikt XV., Benedikt XVI. und Franziskus

Arnaldo Marcone: Tra Peterson eSchmitt. Il problema della liquidazione della teologia politica

John Weisweiler: Republikanismus, Monarchismus und Aristokratie zwischen Spätantike und Spätmoderne

Teil II

Die Spätantike als rezipierende Epoche

Bruno Bleckmann: Zäsuren in der profangeschichtlichen Geschichtsschreibung der Spätantike.Zueinem Aspekt der Epochendiskussion

Hartwin Brandt: Zeit- und Epochenbewusstseinbei Zosimos?.

Jan N. Bremmer: Innovative Reception. The Case of Jerome’sLife of Hilarion

Sebastian Schmidt-Hofner: Sextus Pomponius’ Enchiridion und die Politik der römischen Rechtsgeschichte in der Spätantike

11

63

Peter Heather: Christianity and the Later Roman Empire. ACase Study in Transformation and Reception

Seraina Ruprecht: Christliche Freundschaft. Zur Transformation eines klassischen Konzeptes

Cristina Murer: DieÄsthetikdes Fragments. Spolien und Centonen in der Spätantike ..

Hartmut Leppin: Menander im Kloster. Zu den syrischen Sententiae Menandri

List of Authors

Der vorliegende Band zielt darauf ab, aus rezeptionsgeschichtlicher Perspektive einen neuen Blick auf dieals «Spätantike» bekannte Epoche zu werfen. Ausgangspunkt war dabei dieThese, dass die Spätantike in doppelter Hinsicht eine «Rezeptionsepoche» ist:Einerseits wird sieerstdurchdie spätere Rezeption als Epochedefiniert,andererseits zeichnet sich dieEpoche selbst durcheine verstärkte Rezeptionstätigkeit aus.Die Pointeliegt unseres Erachtens darin, dass geradediese Rezeptionstätigkeit als Zeichen fehlender Innovation und Erstarrung(miss‐)interpretiertwurde, um den Charakter der Epoche als «Spät»-Zeit zudefinieren. Ziel war es, diese «Rezeption einer rezipierenden Epoche»als Ausgangspunkt zu nehmen, um über dieKonstruktivität von Epochen zu reflektieren, aber auch dieimmense Kreativität, diemit Rezeptions- oder Transformationsakten einhergeht.

Viele Personen und Institutionen haben zum Gelingen dieses Vorhabens beigetragen. Dank gilt in erster Linie dem Schweizerischen Nationalfonds, der die Forschungskooperation im Rahmen des Programms Scientific Exchanges großzügig gefördertund eine Publikation im Open-Access-Format ermöglicht hat.Dankgebührt ferner dem Maxund ElsaBeer-BrawandFonds sowie dem Centrefor Global Studies der Universität Bern,die eine für den gemeinsamen Austausch essentielle TagungimFrühjahr 2022 gefördert haben. Die Universität Bern und die Abteilung für Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike boten uns eine ideale Arbeitsumgebung und unterstützten uns tatkräftig bei der Organisation und Durchführung.

Ein großer Dank gebührtCyrill Ackermann, der das Manuskript gründlich lektoriert, vereinheitlicht und uns vor vielen Fehlern bewahrt hat. Danken möchten wir ferner LeonardKiener, der uns bei der Endredaktion ebenso effizient wie kompetent assistierthat, und Ginny Wheeler, die uns alle englischen Abstracts korrigierthat. Den Herausgeberinnen und Herausgebern der Reihe Antike nach der Antike danken wir für dieAufnahme unseres Bandes und die wertvollen Hinweise, ebenso wie Arlette Neumann-Hartmann und dem anonymen Gutachter bzw. der anonymen Gutachterin.

Gewidmet sei der Band Stefan Rebenich, der sich große Verdienste um die Erforschung der Spätantikesowie der Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte erworben hat und dem die editores wie auch dieBeiträger in enger Freundschaft verbunden sind.

Jan B. Meister,Cristina Murer, Seraina Ruprecht Bern und Tübingen, im August 2025

Die Spätantike als Rezeptionsepoche

Zur Rezeption einer rezipierenden Epoche

Ein literarischer HöhepunktinJacob Burckhardts Die Zeit Constantin’sdes Großen ist der siebte Abschnitt über «Alterung des antiken Lebens und seiner Cultur».1 Burckhardt zeichnet dort ein düsteres Bild vom «Greisenleben der antiken Welt», das sich vorab darin zeige, dass man das Vergangene höher schätze als die Gegenwartund dass «die ganze freie Literatur des zweiten, dritten und vierten Jahrhunderts ohne Noth von keinem Menschen und keinem Gegenstande spricht, der über das Ende der römischen Republik herabreicht».2 Aus dem historischen Befund eines starken Vergangenheitsbezugs der Epoche, die später als Spätantikebezeichnet werden sollte, leitet Burckhardt die Diagnoseder «Alterung»als Epochencharakteristikum ab. Die Aneignung des Vergangenen in der Spätantike verschränkt sich so mit der Konzeptualisierung der Spätantike als eigener Epoche in der Moderne.

Es ist eine Banalität, dass jede Epochenzuschreibung eine künstliche Satzung ist.3 So ist selbstverständlich auch dieSpätantike keine essentialistische Größe, sondern das Produkt verschiedener Wissenstraditionen, die sich erst im 20. Jahrhundert zu einem breiter akzeptierten Epochenbegriff verdichten.4 Wie alle Epochen ist die Spätantike daher eine «Rezeptionsepoche»indem Sinne, dass sie erst im Zuge späterer Rezeption(en)als Epoche konstituiert wurde. Wie aber die Passage aus Jacob Burckhardts Werk zeigt, ist die moderne Rezeption der Spätantike ihrerseits stark geprägt von einer vermeintlichen oder tatsächlichen innerantiken Rezeption:Die in verschiedenen Bereichen zu beobachtende Selbstverortung der Spätantikeineiner langen Kulturtradition und die damit verbundene Aneignung und Rezeption der Vergangenheit begünstigten die negative Charakterisierung dieser Zeit als eine Epoche des Niedergangs, die wenig Neues hervorgebracht hat und als «Spätzeit»amEnde der Antike steht. Diese innerantikeRezeption,die ihrerseits für die moderne Rezeption der Epocheprägend wurde, macht dieSpätantikesomit zu einer «Rezeptionsepo-

1 Burckhardt 2013 [1852/1853], 209–238.

2 Burckhardt 2013 [1852/1853], 212.

3 Vgl. hierzu (mit einem Fokus auf die Epocheneinteilung in Mittelalter und die Renaissance) den schwungvollen Essay von Le Goff 2016.

4 Herzog2002, 334–345;Liebeschuetz 2004;Ward-Perkins 2007, 9–13;Rebenich 2021a, 192–206;Lizzi Testa 2017, 9–38.

che»imdoppelten Sinn. Daraus leitet sich die heuristische Ausgangsfrage ab, umdie sich die hier versammelten Beiträge gruppieren:Ziel ist es, die sich verschränkenden Ebenen von Rezeption in der Spätantike und Rezeption der Spätantike vergleichend in den Blick zu nehmen.

Das Konzept der «Rezeptionsepoche»bringt diese doppelte Rezeption begrifflich auf den Punkt. Im Folgenden soll zunächst auf die theoretischen Prämissen eingegangen und diskutiertwerden, was unter «Rezeption»überhaupt zuverstehen ist, und wie sich der hier gewählte Ansatz zur sogenannten Transformationstheorie verhält. Anschließend wird der Charakter der Spätantike als rezipierte Epoche herausgearbeitet, um dann die Spätantike als rezipierende Epoche zu analysieren. Dieser zweigleisige Ansatz ermöglicht eine umfassende Betrachtung der Wechselwirkungen und Dynamiken, die in der Spätantike wirksam waren. Unter Berücksichtigung beider Perspektiven soll abschließend die Frage gestellt werden, welche Möglichkeiten und Grenzen das hier vorgeschlagene Konzept der «Rezeptionsepoche»für die Charakterisierung der Spätantike als Epoche birgt– und ob es vielleicht nicht notwendig ist, gerade in Kenntnis der problematischen Konstruktivität dieses Epochencharakters,die Spätantike als Denkkategoriezuverabschieden.

1. Rezeption als Transformation –

Theoretische Prämissen

Was ist unter «Rezeption»zuverstehen?Konzeptionell hat sich die Rezeptionsforschung schon längst von der Idee verabschiedet, dass «Rezeption»eine passive Wahrnehmung beschreibt;schließlich geht jede Form der Wahrnehmung mit einem Akt der Interpretation, Einordnung und (Um‐)Deutung durch die Rezipierenden einher. Dieeng mitden Namen von Hans Robert Jauß und Wolfgang Isler verbundene «Rezeptionsästhetik» propagierte daher ab den 1960er Jahren aus einer stark literaturwissenschaftlich geprägten Perspektive heraus, Literaturund Kunst nicht in Hinblick auf ihre Produktionsbedingungen und ihre intendierte Aussage, sondernauf ihre Wirkung hin zu untersuchen. Der Fokus wurde also vom «Sender»auf den «Empfänger»verlegt, und man fragte nicht mehr allein nach der «Produktionsästhetik», sondern auch nach der «Rezeptionsästhetik».5

Diese sich in verschiedenen Spielarten manifestierende Betonung der Rezeption als eigenständiger Akt, der sich nicht aus einer essentialistisch festgeschriebenen Wirkungsabsicht des rezipierten Objekts ableiten lässt, hat sich weitgehend durchgesetzt, wurde aber in den letzten Jahren produktiv weiterentwickelt. Hier ist insbesondereder zwischen 2005 und 2016 aktive Berliner Son-

5 Vgl. u. a. Warning 1975 und Kemp 1992.

Meister, Cristina Murer und Seraina Ruprecht

derforschungsbereich 644 Transformationen der Antike hervorzuheben, der mit der «Transformationstheorie» ein konzises Theorieangebot zur Untersuchung von Rezeptionsphänomenen und kulturellem Wandel erarbeitete.6 Die Transformationstheorie stellt keinGegenmodell, sondern eine Weiterentwicklung und gleichzeitig eine Radikalisierung bisheriger Rezeptionsforschung dar.7 Hierzu wird einerseits der Untersuchungsbereich ausgeweitet. Konzentrierten sich rezeptionsästhetische Ansätze vor allem auf die Wirkungsgeschichte von künstlerischen und literarischen Werken, so nimmt die Transformationstheorie «Kultur»imweitesten Sinne in den Blick:Der Anspruch des Berliner SFBs war es, nichtetwa nur einzelne antike Werke in ihrerNachwirkung zu betrachten, sondern die Transformation «der Antike»als Ganzes zu thematisieren. Andererseits wird mit dem Begriffder «Transformation»das passive «Rezipieren» auch terminologisch beseitigt:Antikewird nicht einfach rezipiert und «wirkt», sondern sie wird «gemacht».8 Indem sich eine «Aufnahmekultur»auf eine «Referenzkultur»(in diesem Fall dieAntike) bezieht, diese in sich aufnimmt und mit Kontext und Sinn versieht, wird –soder Ansatz –diese «Referenzkultur» überhaupt erst hervorgebracht. Gleichzeitigdefiniert sich die Aufnahmekultur selbst in ihrem Verhältniszur Referenzkultur –sei es durch die Betonung der Differenz, der Ähnlichkeitoder als Produkt einer genealogischen Entwicklung.9 Aufnahme- und Referenzkultur bringen sich also in einem mit dem Neologismus «Allelopoiese»bezeichneten Prozess gegenseitig hervor.10

Die Transformationstheorieals speziell für dieErforschung der Antikenrezeption entwickelter Ansatz hat sich als ausgesprochen fruchtbar erwiesen:Die verschiedenen «Transformationstypen»bieten ein heuristisches Instrumentarium, das es erlaubt, Transformationsakte präzise zu beschreiben und zu analysieren.11 Gleichzeitigwird, was für das Anliegen des vorliegenden Bandes zen-

6 Zum Konzept siehe Böhmeetal. 2011;dort speziellBöhme 2011.

7 Siehe hierzu v. a. Bergemann et al. 2011, 41 f.; für eine engl. Version siehe Bergemann et al. 2019

8 So Böhme 2011,9.Für beides gibt es (natürlich)Vorläufer:Das Konzept eines «Nachlebens» der Antike, wie es etwa programmatisch Wind 1934 darlegte, hat ebenfalls einen sehr holistischen Kulturbegriff und unterstreichtdie aktive «Auseinandersetzung»mit der Antike als zentralesMoment (ebd., xi). Die Betonung des «Erinnerns», «Nachwirkens»und des «Erbes» (ebd., xf.), ebenso wie der Umstand, dass in der englischen Übersetzung nicht von «Nachleben», sondern von «Survival of the Classics»die Rede ist, zeigen aber doch, dass die Transformationstheorie mit ihrem radikalen Konstruktivismus hier einen entscheidenden Schritt weitergeht.

9 Zu den verschiedenen Transformationstypen (wie Fokussierung, Ausblendung, Ignoranz, Negation oder Übersetzung)siehe Bergemann et al.2011, insbesondere 47–56.

10 Zur «Allelopoiese»als «Pointe»der Transformationstheorie siehe Böhme 2011, 8f 11 Dazu oben Anm. 9. Die neuere englischsprachige Forschung geht in eine ähnliche Richtung, vgl. insbesondere Hardwick 2003, die «reception studies»von der älteren Prämisse der

tral ist, die Interdependenz zwischen Aufnahme- und Referenzkultur zum Gegenstand der Betrachtung:Andersals bei älteren rezeptionsgeschichtlichen Ansätzen ist das «Rezipierte»eben nicht etwas Gegebenes, das lediglich von einem Betrachter im Rahmen seines zeitgegebenen Horizontes interpretiert und gedeutet wird, sondernkann durch dieRezeption selbst verändert bzw. eben «transformiert»werden –wobei dieWechselbeziehung zwischen Aufnahmeund Referenzkultur im Einzelfall zu klären ist.12 Diese Interdependenz ist es, die hier von besonderem Interesse ist und die wir als Instrumentarium nutzen wollen, um die Frage nach dem Epochencharakter der Spätantike als «Rezeptionsepoche» neu zu stellen.

Unsere These ist, dass dieWahrnehmung der Spätantike als rückwärtsgewandte, passiv rezipierende Epoche den Blick der Moderne auf diese Zeit wesentlich mitgeprägt hat und so, im Sinne einer Transformation, die Spätantike als eigenständige Epoche überhaupt erst hervorgebracht hat. Umgekehrt soll gefragt werden, inwieferneshier eine «dynamis»inder Referenzkultur gab,13 also die Spätantike tatsächlich verstärktauf Vergangenes rekurrierte, und inwieweit dies aus moderner Sicht ebenfalls als produktive Transformation gesehen werden kann und erst aus der Rückschau in einen passiven Akt der Rezeption transformiert wurde. Für dieses heuristische Modell zur analytischen Beschrei-

«classical tradition»absetzt und eine Reihe von Begriffen aufführt (ebd., 9f.), die verschiedene Rezeptionsakte beschreiben und viele Überschneidungen zu den «Transformationstypen» aufweisen. Die Typologisierung von Hardwick ist allerdings deutlich knapper und allgemeiner. Vgl. ferner Hardwick/Stray 2008;für deutschsprachige Vorläufer, die in eine ähnliche Richtung gehen, siehe den einschlägigen DNP-Artikel zu «Rezeptionsformen»von Cancik/ Mohr 2002.

12 Dazu und zur Abgrenzung gegenüber der Rezeptionsästhetik siehe Bergemann et al. 2011, 41 f.

13 Böhme 2011, 16 f. thematisiert das Problem, dass das Konzept der Allelopoiese mit ihrer Wechselseitigkeit eine «schwer bestimmbare energeia,eine agency»antiker Quellen, Objekte und Monumente impliziere. Er spricht hierbei von einer «Paradoxie», bei der einerseits der Antike eine «Potentialität und Vermögen (dynamis)zukommt», andererseits könne die Antike aber auch gerade dadurch wirken, weil sie nicht mehr vorhanden ist (frei nach Nora bringt Böhme dies auf die Formel:«Nur deshalb spricht man so viel von der Antike, weil es sie nicht mehr gibt»). Die Transformationstheorie tendiert dazu, diese dynamis der Antike eher gering zuveranschlagen, was auch daran liegt, dass die Theorie nicht spezifisch für die Wissenschaftsgeschichte entwickeltwurde. Wichtig ist daher Böhmes Betonung der jeweils unterschiedlichen Geltungsansprüche(ebd., 18–21): Während man bei einem künstlerischen Fortschreiben der Antike von einer «interpretatio moderna»sprechen könne, sei bei der Generierung wissenschaftlichen Wissens eher eine «interpretatio historica»amWerk (ebd., 19);dass bei Letztererdie dynamis der antiken Objekte stärker ins Gewicht fällt, versteht sich, allerdings warnt BöhmezuRecht vor einer zu schematischen Gegenüberstellung von «wissenschaftlichem Verfahren»und «kreativer Transformation», die in der Praxis eben doch viele Überschneidungen aufweisen.

bung des konstruierten Epochencharaktersder Spätantike schlagen wir den Begriff «Rezeptionsepoche»vor.

Der Rezeptionsbegriff wird dabei bewusst beibehalten, und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund ist pragmatisch:Denn ein Problem der Transformationstheorie ist, dass das kulturwissenschaftlicheTransformationsmodell nur bedingt jenem der Sozialwissenschaften entspricht, die unter «Transformation» einen Prozess des Umbruchs, der Destabilisierung, der Veränderung und der Restabilisierung gesellschaftlicher Ordnungen verstehen.14 Ein solches Verständnis von«Transformation»ist gerade für die Spätantike als Umbruchsund Transformationszeitinder Forschung weitverbreitet.15 In Bezug auf die Spätantike von einer «Transformationsepoche»zusprechen, würde daher unweigerlich zu Missverständnissen führen. Entscheidender ist jedoch der zweite Grund:Schließlich ist es gerade nicht das Produktiv-Dynamische, das der Spätantike den Charakter einer Spätzeit gab, sondern, wie es bei Burckhardt deutlich wird, das Bild einer alternden, durch «bloß äußerliche[…] Wiederholung»16 undfehlende Innovation gekennzeichneten Zeit. Die Spätantike als Rezeptionsepochezubezeichnen ist daher auch eine bewusste Polemik, die dazu einladen soll, diese vermeintlich passive Rezeption (sowohl innerantik wie auch nachantik)mit dentheoretischenAngeboten der Transformationstheorie zudekonstruieren und zu dynamisieren.

2. Die Spätantike alsrezipierte Epoche

Jede Epocheneinteilung ist eine nachträgliche Transformation. Doch während etwa das «Mittelalter»schon sehr früh als eigene Epoche zwischen «Antike» und «Renaissance»gesehen wurde, ist dieSpätantike tatsächlich «spät»,dasie als Epocheerst im Verlauf des 19. oder gar erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts «entdeckt» bzw. transformativ«hervorgebracht»wurde.17 Die Spätantike als Endpunkt der Antike gleicht damitder Archaik, die als Frühzeit ebenfalls erst

14 Zu Differenzen und Ähnlichkeiten dieses Ansatzes zur kulturwissenschaftlichen (rezeptionsgeschichtlichen) Transformationstheorie siehe Böhme2011, 26–33.

15 Giardina 1999, 171;Liebeschuetz 2006. Paradigmatisch für eine komplexe Schilderung der Transformationensteht das monumentaleBuch zur «Völkerwanderung»von Meier 2019, der freilich (ebd., 1091)auch vor der «Einebnungskraft»warnt, die dem Begriff innewohne und ihm die «analytische Trennschärfe»zunehmen drohe (schließlich finde Wandel immer statt).

16 Burckhardt 2013 [1852/1853]221 [298].

17 Zur dieser «Entdeckung einer neuen Epoche»siehe Rebenich 2021a, 192–206. Vgl. auch Anm. 4.

im 20. Jahrhundertals eigene Epoche «entdeckt»wurde.18 Jacob Burckhardt, der zu beiden Epochen publiziert hatte, noch bevor diese zu eigentlichen Epochen wurden, bringt diegegensätzliche Konzeption dieser beiden Pole der Antikeauf den Punkt:Die ZeitKonstantins ist eine Zeit der Alterung, während die Frühzeit Griechenlands von einer dynamischen «agonalen»Adelskultur geprägt ist,19 und während in der Frühzeitdie Menschen schön sind und das Konzept der «Kalokagathie» entsteht, werden dieMenschen der Spätzeit –genau wie ihre bildlichen Repräsentationen –hässlich.20

Diese Epochencharakterisierung baut jedoch auf deutlich älteren Diskursen auf. Seit dem Humanismus und bis ins 20. Jahrhundert wurden die letzten beiden Jahrhundertedes (West‐)Römischen Reiches vielfach in einem Niedergangs- und Dekadenznarrativgeschildert.21 Das prominenteste Werk hierzu ist die sechsbändige History of the Decline and Fall of theRoman Empire,die Edward Gibbon bereits zwischen 1776 und 1788 publizierte.22 Ein ähnlich monumentales, wenn auch weniger wirkmächtiges Werk veröffentlichte Otto Seeck rund 100 Jahre später. Im Gegensatz zu Gibbonsah Seeck in seiner ebenfalls sechsbändigen Geschichtedes Untergangs der antiken Welt,die er zwischen 1895 und 1920 verfasst hatte, nicht dieBarbaren und auch nicht das Christentum als ursächlich für das Ende des Imperium Romanum.Vielmehr diagnostizierte er eine «innere Krankheit»,die zu einer «Ausrottung der Besten»geführt und den

18 Dazu grundlegend Heuß 1946;ähnlich bzw. noch ausgeprägter als bei der Spätantike (s. u.) war auch für die Archaik die kunsthistorischeEinteilung als Zeit des «archaischen», «vorklassischen»Stilsfür die Epochenbezeichnung prägend, siehe Heuß 1946, 26 sowie grundlegend Most 1989;eine kritische Reflexion des Epochencharakters der Archaik bietet Walter 2013.

19 Besonders deutlich wird der Epochencharakter bei Burckhardt 2012, 74–170 [1902 erstmals in der Überarbeitung von Jacob Oeri aus dem Nachlass erschienen], wo der «agonale und coloniale Mensch»zeitlich gesondert zwischen dem «heroischen Menschen»und dem «Menschen des V. Jahrhunderts»behandeltwird. Zu Jacob Burckhardts Griechischer Culturgeschichte als konzeptionelleWegbereiterin für die Archaik als Epoche siehe Murray 2006 und zuden problematischen Konzeptionen des «Agonalen»und der «Kalokagathie»als Charakteristikum dieser Zeit Meister 2020, 177–185.

20 Burckhardt 2013 [1852/1853], 215–217, vgl.dazu den Beitrag von Jan Meister in diesem Band.

21 Zu diesem beliebten Motiv in Literatur und Kunst vgl. den Beitrag von John Weisweiler indiesem Band. Siehe auch Giardina 1999;Herzog 2002;Rebenich 2009;Rebenich 2021a, 192–194 mit weiteren Hinweisen.

22 Zur Rhetorik von «Decline and Fall» in Gibbon vgl. u. a. Ando 2009 mit zahlreichen Literaturhinweisen. Zu Gibbonbietet der Band von O’Brien/Young 2018 einen Überblick zur reichen Forschungsliteratur,unter der v. a. das monumentale Œuvre von Pocock 1999–2015 hervorzuheben ist, vgl.dazu auch die Beiträge von Jan Meister und John Weisweiler in diesem Band.

16 Jan B. Meister, Cristina Murer und Seraina Ruprecht

Niedergang eingeleitet habe.23 Für seine These stützte sich Seeck auf zeitgenössische naturwissenschaftliche Erkenntnisse, vorwiegend aus der Evolutionsbiologie, die er selektiv rezipierte.24

Verfallsorientierte Interpretationen, dievon Dekadenzdiskursen oder wie bei Seeck von sozialdarwinistischen Überlegungen beeinflusst waren, existierten abder zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben ersten Arbeiten, die begannen, die Spätantike als Epoche sui generis zu erfassen, bei der nicht der Niedergang im Fokus stand, sondernder Übergang zum christlichen Mittelalter und das Fortwirken antiker Traditionen. Wegbereitend war hierbei zum einen die sogenannte religionsgeschichtliche Schule, deren Vertreter das Christentum konsequent historisierten und damitals eigenen Forschungsbereich im Vergleichmit paganenReligionen, mystischen Kulten oder dem Judentum für sich entdeckten. Die Entstehung und Verbreitung des Christentums wurden in den größeren Kontext einer neuen Religiosität gestellt, die wesentlich von den Religionen und Kultenaus Ägypten und des vorderasiatischen Raumes beeinflusst war.25 Damit wurde dieTrennung zwischen Christentum und antiken Religionen überwunden und das Christentum nicht mehr als Fremdkörper in einer untergehenden Antikegelesen, sondernals Teileiner sich transformierenden Mittelmeerwelt. Dies war einwichtiger Schritt, um den im 18. und 19. Jahrhundert dominierenden Fokus auf die«klassische» Antike zu überwinden, welche das Christentum ausschloss und –wie Gibbon –mit dem Ende des Römischen Reiches assoziierte.26 Editionsprojekte wie die Griechischen Christlichen Schriftsteller, 1891 von Theodor Mommsen und Adolf von Harnack begründet, oder die Sources Chrétiennes, dieab1943 erschienen, trugen weiter zu einer systematischen Erschließungder christlichen Antike bei.Wichtig sollte auch das 1935 gegründete Reallexikon für Antike undChristentum werden, das die jüdischchristliche Tradition mitder griechisch-römischenAntike verband.27 Charakte-

23 Prägnant ausgebreitet wird die These der «Ausrottung der Besten»(in dem ansonsten vielfach eher konventionellereignisgeschichtlichen Werk)bei Seeck 2000 [1921], Bd. 1, 269–307. Zu Seeck allg. siehe Leppin 1998;Bleckmann 2021;Rebenich 2021a, 197–203;Rebenich 2021b;vgl. ferner den Beitrag von Jan Meister in diesem Band.

24 Rebenich 2021b, 460 f.

25 Zur religionsgeschichtlichen Schule und zu deren Einfluss auf die Entwicklung des Forschungsgebietes der Spätantike vgl.Liebeschuetz 2004, 255–256;Rebenich 2009, 86;Rebenich 2021a, 196.

26 Auch die christliche Archäologie etablierte sich nun als eigenständige Disziplin, insbesondere durch die Pionierarbeit von Giovanni Battista de Rossi (DeRossi 1864–1877), der zudem auch Mitbegründer des Bulletino di ArcheologiaCristiana (seit 1864)war.

27 Zur Entstehung des RAC vgl.u.a.Dassmann 1997;Rebenich 2021a, 196 f.

ristisch für diese Projekte war dieZusammenarbeit von Althistorikern, Patristikern und Philologen.28

Ebenso bedeutend wie dieHistorisierung des Christentums im Kontext antiker Traditionen war jedoch dieNeubewertung der spätantiken Kunst. Lange Zeit galt die «klassische»Kunst als ästhetisches Ideal. Stilistische Veränderungen konnten aus dieser Perspektive heraus nicht als wertneutrale Entwicklung gesehen werden, sondernstellten zwangsläufig eine Verschlechterung dar, was das Bild einer Niedergangsepoche auch unter ästhetischen Gesichtspunkten verfestigte. Um dieJahrhundertwende zeichnete sich in der Kunstgeschichte jedoch ein Umdenken ab:AloisRiegl stellte in seinem 1901 erschienenen Werk

Die spätrömische Kunst-Industrie diebisherigen verfallsorientierten Interpretationen der Kunst dieser Epoche inFrage. An deren Stelle forderte er eine ästhetische Leseweise der spätrömischen Kunstproduktion;Abweichungen zur klassischen Kunst sah er nicht als mangelndes Können, sondern als bewusstes «Kunstwollen».29 Diese revolutionäreNeubewertung des Epochencharakters blieb jedoch vor allem von kunsthistorischer und archäologischer Seite lange Zeit wenig beachtet.30 Sie barg aber das Potential, «wiederentdeckt»zuwerden und im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts dieNeubewertung der Spätantike auf breiter Basis zu begünstigen.

Eine solche retardierte Rezeption von –aus heutiger Sicht –innovativen Ansätzen, ist durchaus bezeichnend:Deutungen, die die Spätantike weiterhin als eine Epoche des Niedergangs betrachteten, bestanden auch in der Alten Geschichte und der Klassischen Philologie bis weitins 20. Jahrhundert fort. Der Wandel in der Wahrnehmung lässt sich idealtypisch am Werk von Henri-Irénée Marrou nachvollziehen.31 1938 erschien seine ursprünglich als thèse de doctorat ès lettres verfasste Studie zu Saint Augustin et la fin de la culture antique, inder Marrou versuchte, Augustinus intellektuell am «Ende der Antike»und

28 Die Spätantike war von Beginn an geprägt von einem multidisziplinären Zugang, vgl. Rebenich 2021a, 194. Zur Kooperation von Patristik und Gräzistik vgl. Vogt 2013 [1993].

29 Vgl. Riegl 1901,insbesondere die programmatischeEinleitung (1–13)und die resümierende Zusammenschau des «spätantiken Kunstwollens»(209–217). Zur frühen Neubewertung christlicher (bzw. spätantiker)Kunst siehe vor allem auch Sybel 1906. Für eine zeitgeschichtliche Verortung von Riegl und dessen Bedeutung für die Entwicklung der Spätantike als eigener Epoche vgl. insbesondere Elsner 2002;Elsner 2021. Zur Rezeption von Riegl siehe auch den Beitrag von Jan Meister in diesem Band.

30 Vgl. dazu Elsner 2002, 370:«Where Riegl lost –specifically among those that might be called his own disciples –was in his positive and polemical stand for late antiquity as aprogressive art against the prophets of decline. The new spirit of the Spätantike was rapidly subsumed back into the Renaissance language of decadence.»

31 Zur wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung von Marrou siehe u. a. Liebeschuetz 2004, 257–258;Blaudeau 2021.

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am «Übergang zum Mittelalter»zuverankern.32 In seinem Fazit charakterisierteerden Kirchenvater als einen «Gebildeten der Dekadenz».33 Ähnlich wie Burckhardt sah er Augustinus und seine Zeitgeprägt durch «eine Verarmung und senile Erstarrung der antiken Tradition».34 Seinerseits war Marrou fest in der Rhetorik des fin de siècle verhaftet, wie er einJahrzehnt später einräumte, als er –inAnlehnung an Augustinus –eine Retractatio zu seinem Werk veröffentlichte.35 Im Frankreich wie generell im Europa der Nachkriegszeit fielen die Ansätze zur Neubewertung der Spätantike, wie sie unter anderem Riegl vertreten hatte, auf fruchtbaren Boden. So widerrief Marrousein erstes vernichtendes Urteil über die rhetorischen Fähigkeiten Augustins und plädierte mit einem Verweis aufBraque und Picasso dafür, diespätantiken Eigenheiten vielmehr als bewussteAbweichung von bisherigen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zulesen;36 eine Position, dieereinige Jahre später in einem populärwissenschaftlichen Buch in Bezug auf diegesamte Epoche vertrat.37

Ähnlich harsch wie Marrou über Augustinus hatten Klassische Philologen über spätantike Dichtung allgemein geurteilt, dieaufgrund ihrer Rückbezüge auf kaiserzeitliche Literatur lange Zeit als «genre faux»aufgefasst wurde.38 Erst inden 1960er Jahren gelang unter Miteinbeziehung der Rezeptionsästhetikvon Jauß eine neue Gewichtung der Literatur dieser Epoche. Maßgeblich waren dabei unter anderem dieArbeiten von Reinhart Herzog zur spätantiken Poetik.39

Die Wahrnehmung der Spätantikeals Epoche sui generis wurde ab den 1970er Jahren weiter beflügelt und das Dekadenznarrativ weitgehend durch das Verständnis einersichtransformierenden Mittelmeerwelt abgelöst. Nebst einer ganzen Reihe von internationalen Forscherpersönlichkeiten waren es insbesondere die einflussreichen Arbeiten von Peter Brown, die dazu beitrugen, dass die Spätantike in Forschung und Lehre einen zunehmend wichtigeren Platz einneh-

32 Marrou 1982 [1938], III.

33 Marrou 1982[1938], 453.

34 Marrou 1982 [1938], 453.

35 Die Retractatio wurde der 1949 erschienenen unveränderten Neuauflage der Arbeit als Anhang beigefügt;abgedrucktinMarrou 1982 [1938], 483–545. Zur Rhetorik des fin de siècle vgl. insbesondere 515 f.

36 Marrou 1982 [1938], 516 f., 520.

37 Marrou 1977, 13:«Il faudrait enfin consentir àadmettre que l’antiquité tardive n’est pas seulement l’ultimephase d’un développement continue;c’est une autre antiquité, une autre civilisation, qu’ilfaut apprendre àreconnaître dans son originalité et àjuger pour ellemême et non àtravers les canons des âges antérieurs.»

38 So das viel zitierte Urteil von Curtius 1948, 457 über das in der Spätantike einsetzende Genre der «Bibelepik», das christlich-biblische Inhalte in die Form klassisch-antiker Hexameter wiedergibt. Kritik hierzu:Herzog 1975, xxxiii–lxxviii;Kirsch 1989, 47–54. Vgl. den Beitrag von Cristina Murer im Band.

39 Herzog 1975;Kirsch 1989;Herzog 2002. Zu Herzog vgl. u. a. Roberts 2021.

men konnte.40 In den letzten Jahrzehnten ist dieZahl an Studien zu spätantiken Themen geradezu explodiert.41 An vielen Universitäten wurden entsprechende Kompetenzzentrengebildet. Die zunehmende curriculare und institutionelle Verankerung derEpoche hat auch zu einem gesteigerten Interesse an der Forschungsgeschichte geführt.42

Der vorliegende Band knüpftandiese Entwicklung an. Im ersten Teil soll gefragt werden, wie dieSpätantike unddie in ihr wirkenden Akteure rezipiert (bzw. kreativ «transformiert»)wurden. Ein wesentlicher Fokus liegt dabei auf der Frage, inwieferndie inder Spätantikezubeobachtende Rezeptionstätigkeit die spätere Wahrnehmung dieser Epoche als rezipierende Epoche beeinflusste. Denn es ist doch auffallend, dass diesichverändernde Bewertung der Epoche von einer Zeit des Niedergangs zu einer kreativen Phase der Transformation weitgehend parallel verläuftzuder sich wandelnden Konzeptionalisierung des Phänomens «Rezeption»von einer passiven Aufnahme hin zu einem kreativen Prozess der «Transformation»imSinne des Berliner SFBs. Fünf Fallstudien zeigen, wie in unterschiedlichen Zeiten und Disziplinen auf die Spätantike rekurriert wurde, wie spätantikeNarrative aufgegriffen und wie über diese Rezeption wiederum das Bild der Epoche geprägt wurde.

Zunächst blicktJan B. Meister in seinem Beitrag«‹Inden meisten Bildnissen dieser Zeit herrscht teils eine natürliche Hässlichkeit …› –Neuzeitliche Rezeptionen spätantiker Körper»auf das wirkmächtige Konzept der «Alterung», mit dem Jacob Burckhardt in seinem 1853 erschienenen Werk zu Konstantin dem Großen die spätrömische Zeitbeschrieb. Gemäß Burckhardt zeige sich die «Alterung»nicht nur in einem allgemeinen Mangel an Innovation, sondern auch in der physischen Degeneration der Menschen jener Epoche, die sich in hässlichen Portraits manifestiere. Indem Meister die Rezeption von Burckhardt verfolgt, bietet er einen körpergeschichtlich geleiteten Überblick über die Entwicklung der Forschung zur Spätantikevon der Mitte des 19. Jahrhunderts bis indie erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und zeigt, wie sich die Professionalisierung der Altertumswissenschaften auf das transportierte Bild der Spätantike auswirkte.

Mischa Meier wiederum nimmt mit«Attila in Venedig –Der hunnische Italienzug im Jahr 452 und dieKonstruktioneiner venezianischen Frühgeschichte» die Rezeption einer prominenten Figurdes ausgehenden römischen Imperiums in den Blick.Errekonstruiertdie vielschichtigen, kontextgebundenen Aktualisierungender mythenhaftenGeschichten um den Hunnenführer

40 Zu Peter Brown siehe jüngst Giardina 2021. Darüberhinaus werden in Ando/Formisano 2021 ausgewählte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen porträtiert, welche die Forschung zur Spätantikeim20. Jahrhundert maßgeblich mitgeprägt haben.

41 Zu dieser Metapher siehe Giardina 1999, bes. 177–180.

42 Vgl. etwa Liebeschuetz 2004;Ando 2009;Rebenich 2009;Ando/Formisano 2021.

20 Jan B. Meister, Cristina Murer und Seraina Ruprecht

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