Gutes Leben, gutes Sterben

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Denise Battaglia  |  Ruth Baumann-Hölzle (Hg.)

Gutes Leben – gutes Sterben

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Denise Battaglia Ruth Baumann-HĂślzle (Hg.)

Gutes Leben – gutes Sterben

Verlagsforum Gesundheitswesen

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Abdruck S. 77–78 : «Die Reparatur» aus dem Buch «Franz Hohler, Zur Mündung» (Luchterhand Verlag, München, 2000).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, vorbehalten. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

© Schulthess Juristische Medien AG, Zürich · Basel · Genf 2013 ISBN 978-3-7255-6779-9 www.schulthess.com

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Inhaltsübersicht

Editorial  ............................................................   1 Geleitworte Dem Leben nicht mehr Quantität, sondern mehr Qualität geben  .................................................   7 Den Alltag unterbrechen  ..................................   9 Schwerpunkt «Wozu lebst du, wenn du dich nicht darum sorgst, schön zu leben?»  ..............................................  13 Ethische Kernfragen Gutes Leben – gutes Sterben: eine Unterscheidung  ................................................  33 Interview Steffen Eychmüller: «Wir sind Präventivmediziner am Lebensende»   ..............................................  43 Über die Verantwortung für den Sterbenden Gute Entscheidungen am Lebensende  .............  61 Umfrage Was ist ein gutes Leben, ein gutes Sterben? Ein paar Antworten  ..........................................  67 Literaturangabe  ................................................ 101

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Wachsen Der Himmel weit offen Ewigkeiten unsere Seele berühren Mein Herz beginnt zu wachsen Hinein in Deine Herrlichkeiten Sacht und leise höre ich es klingen Der Liebe göttliches Schwingen Mein Herz verzaubert vor Freude und tief verwurzelt in Erde Stimmiger, flüchtiger Augenblick Erkennbar nur im Blick zurück Mein Herz hofft nach aussen und innen Leben und Sterben mit allen Sinnen Ruth Baumann-Hölzle

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Editorial

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Leben und Sterben sind eingebettet zwischen Geburt und Tod. Diese Lebensspanne enthält Momente der Liebe, Lust, Freude, Freundschaft, Lebensenergie und Tatkraft; aber ebenso Momente von Hilflosigkeit, Leid, Abschied, Schmerz und Trauer. Das eigene Leben trotz und mit ­seinen Bruchstellen im Rückblick, im Augenblick und im Ausblick als sinnvoll erfahren zu können, ist Gnade. Ohne Sinnerfahrungen sind weder gutes Leben noch gutes Sterben möglich, unabhängig davon, wie gesund oder krank ich mich selbst fühle. Wenn sich Lebenssinn nicht ereignet, ist für mich das Gut «Gesundheit» bedeutungslos, sind meine Autonomiefähigkeiten belanglos. Damit wir unser Leben als sinnvoll erleben können, sind wir existenziell auf die Zuwendung und die Hilfe unserer Mitmenschen angewiesen,­ganz besonders dann, wenn wir krank oder behindert sind. Auch wenn die Sinnerfahrung eine höchstpersönliche Erfahrung und das gute Leben an gelingende Beziehungen gebunden ist, braucht es für ein gutes Leben und Sterben bestimmte gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Nur wenn wir als Gemeinschaft solidarisch genügend Ressourcen zur Verfügung stellen, haben alle eine faire Chance, ihre existenziellen Bedürfnisse befriedigen und sinnvolle Tätigkeiten verrichten zu können. Wir brauchen Raum und Zeit, um unser Leben leben und im Sterben vollenden zu können. Der Mensch hat keinen Preis, sondern eine Würde und damit Anspruch auf Autonomie, die der Staat, also wir alle,

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zu schützen haben. Dies gebieten die Menschenrechte. Das Gesundheits- und das Sozialwesen stehen im Dienste einer humanen Gesellschaft, die hilfsbedürftige und benachteiligte Menschen unterstützt. Das ist eine öffentliche Aufgabe. Die Stiftung Dialog Ethik engagiert sich dafür, dass Menschen in unserer einseitig nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen funktionierenden Gesellschaft unabhängig von ihren Eigenschaften und Autonomiefähigkeiten als Personen geachtet und wenn nötig umsorgt werden: Dies, indem wir zum Beispiel Organisationen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen dazu befähigen, medizinisch heikle Entscheidungen bewusst nach ethischen Grundsätzen zu fällen, oder indem wir uns auf der gesellschaftlichen Ebene für Solidarität mit den Kranken, Behinderten und Schwachen einsetzen. Damit wollen wir zum guten Leben und zum guten Sterben aller beitragen. Mit diesem Büchlein möchten wir Sie dazu anregen, über Ihr gutes Leben und Ihr gutes Sterben nachzudenken. Den einzelnen Autorinnen und Autoren danken wir herzlich dafür, dass sie bereit waren, ihre Vorstellungen über das gute Leben und das gute Sterben mit uns zu teilen. Ruth Baumann-Hölzle, Institutsleiterin von Dialog Ethik, Im Februar 2013

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Geleitworte

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Dem Leben nicht mehr Quantität, sondern mehr Qualität geben

Karl Jaspers sprach von «Grenzsituationen», um die Unvermeidbarkeit von Leid, Schuld und Tod im menschlichen Dasein zu begründen. Keine noch so grossartige Tat, keine noch so drängende Sehnsucht, keine noch so weitreichende Erkenntnis führt an der harten Tatsache vorbei, dass wir Menschen ungeachtet unserer Leistungen geschichtliche Wesen und damit den Bedingungen von Raum und Zeit unterworfen sind. Unsere Endlichkeit ist eine unüberwindliche Grenze, an die wir aufgrund unserer Situationsgebundenheit ständig stossen. Dieser Befund hat manchen Philosophen beredt Klage darüber führen lassen, dass uns Unsterblichkeit verwehrt ist. Noch Albert Camus empfand den Tod als Skandal, gegen den zu protestieren er als unser gutes Recht erachtete. Die Begrenztheit menschlichen Lebens ist unaufhebbar. Zwar ist es gelungen, dessen zeitliche Dauer bis zu einem gewissen Grad zu verlängern: durch gesundes Verhalten und ärztliche Kunst. Aber wir sind keine Götter, die vermöge ihrer Ewigkeit vor der Vergänglichkeit geschützt sind. Wir können uns nicht auf eine unversiegbare Sinnquelle verlassen, die ohne unser Zutun unaufhörlich in uns sprudelt. Vielmehr nötigt uns die Sinnfrage ständig zur Überprüfung der Kriterien eines guten Lebens und der

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daran jeweils zu messenden Vergangenheit: Hat es sich gelohnt, mein Leben? War es wert, gelebt zu werden? Das Entscheidende für Menschen liegt daher in dem Bemühen, dem Leben nicht mehr Quantität, sondern mehr Qualität zu geben. Dies gilt auch für die letzte Phase des Lebens, die vom bevorstehenden Ende nicht entwertet werden darf. Der Anspruch auf Lebensqualität erstreckt sich bis zum Abschluss des Sterbeprozesses und verleiht dem Tod eine eigene Würde. Dass die Würde, als Mensch zu leben und zu sterben, nicht verhandelbar ist, belegen auf eindrückliche Weise die im vorliegenden Buch versammelten Beiträge, die aus unterschiedlichen Perspektiven Aspekte eines guten Lebens und Sterbens zur Diskussion stellen. Annemarie Pieper, emeritierte Professorin für Philosophie an der Universität Basel.

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Den Alltag unterbrechen

Wir leben heutzutage länger, und wir sterben länger. Wir sterben nicht plötzlich und unerwartet, sondern eher langsam und vorhersehbar. Obwohl unser Leben um Jahrzehnte länger währt als das unserer Vorfahren, so ist es doch vielfach um eine Ewigkeit kürzer geworden. Denn der selbstverständliche Glaube an ein Leben im «himmlischen Paradies» hat sich für viele Europäerinnen in den letzten Jahren aufgelöst. Leben heute ist kein Grossunternehmen in öffentlicher Hand, sondern ein Kleinunternehmen in privater Hand (Thomas Luckmann). Was aber macht unser Leben gut und sinnvoll? Lässt sich von sterbenden Menschen lernen? Was bedauern sie am meisten (Bronnie Ware)? Angesichts der radikal verkürzten Lebenszeit bedauern sie vor allem, nicht ihr eigenes Leben gelebt zu haben und zu sehr gefangen gewesen zu sein im gesellschaftlichen Spiel, darin, was «man» erwartet und was andere von einem wollten. Niemand ist traurig darüber, zu wenig gearbeitet zu haben. Im Gegenteil, die Arbeit war zu dominant im Leben, sodass zu wenig Zeit blieb, um mit den Freunden und Freundinnen «in touch» gewesen zu sein. Und sie wünschten sich, die eigenen Gefühle ausgedrückt zu haben und glücklicher gewesen zu sein.

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Vom todsicheren Tod her zu leben, heisst wesentlicher zu leben. Entscheidungen, was wichtig und unwichtig ist, wofür Zeit investiert wird und wofür nicht, werden möglicherweise klarer. Entscheiden bedeutet immer Verzichten. Nicht alles ist möglich, vieles nicht erreichbar. Die Lebenszeit ist knapp. Man muss nicht erst schwer krank und sterbend sein, um verpasste Begegnungen, ungelebte Beziehungen zu bedauern; zu beklagen, dass Dankbarkeit und Freude, Liebe und Lust unausgedrückt blieben. Vielleicht leisten wir uns zu wenig «Verrücktsein». Den eigenen Lebensfaden zu spinnen, den Intuitionen des Glücks und der Liebe, der Leidenschaft und der Freundschaft zu folgen, das beginnt mit der Unterbrechung des Alltags, zu dem dieses Buch einlädt. Prof. Dr. Andreas Heller, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt in Wien, Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung, Leiter der Abteilung Palliative Care und Organisationsethik

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