Iusfull - der Fall

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der fall Steuerprobleme mit Ehe und Hausverkauf Schriftliche Arbeit im öffentlichen Recht René Matteotti* / Christa Niklaus-Michel**

Der nachfolgende Steuerrechtsfall wurde an den Anwaltsprüfungen vom 14. Januar 2010 in Bern als schriftliche Aufgabe im öffentlichen Recht gestellt. Für die Bearbeitung des Falls – auszuarbeiten war das Urteil der zuständigen Rechtsmittelinstanz – standen den Kandidaten/-innen sechs Stunden zur Verfügung1. Insgesamt 62 Personen haben die Prüfung absolviert. Der Gesamtnotendurchschnitt betrug 4,35. Rund 23% der Arbeiten mussten mit einer ungenügenden Note bewertet werden, 48% wurden mit der Note 4 bis 4,5 bewertet und 29% der abgegebenen Lösungen erreichten eine gute bis sehr gute Bewertung (Note 5 und höher).

I. Sachverhalt, Aufgabenstellung2 und Hilfsmittel 1. Sachverhalt A. F ist 30 Jahre alt und betreibt seit Kurzem ein Einzelunternehmen, das Schokolade herstellt und hauptsächlich regional vertreibt. Sie wohnt in ihrem Einfamilienhaus in Ostermundigen (BE), welches sie für CHF 1 250 000.– gekauft hat. Am Montag, den 5. Januar 2004 nimmt sie bei der Bank B einen Geschäftskredit in der Höhe von CHF 600 000.– auf, um dringend benötigte Maschinen kaufen zu können. Um diesen Kredit abzusichern, muss F ihr Haus, welches einen amtlichen Wert von CHF 1 000 000.– aufweist, mittels Schuldbrief als Sicherheit verpfänden. Am Freitag, den 4. Juni 2004 heiratet F den 32 Jahre alten M (italienischer Staatsangehöriger) in Bern. Da M in Italien seine Doktorarbeit beenden will, beschliessen die beiden, dass sie bis auf Weiteres an den bisherigen Orten (F in Ostermundigen und M in Mailand) wohnen bleiben. F besucht M bis Ende des Jahres 2004 an acht zum Teil verlängerten Wochenenden, ansonsten halten die beiden telefonischen Kontakt. Am Montag, den 20. Dezember 2004 verkauft F ihr Haus für CHF 1 500 000.– und zieht in eine Mietwohnung an der Musterstrasse 1 in 3072 Ostermundigen. Den Geschäftskredit kann sie noch gleichentags aus während dem Jahr 2004 erwirtschafteten Einnahmen aus ihrer Unternehmung zurückbezahlen.

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Am Mittwoch, den 11. Mai 2005 kauft sie für CHF 1 500 000.– in Münsingen (BE) ein Fabri­ka­ tions­gebäude für ihr Unternehmen, welches bisher in Wabern (BE) eingemietet war. In der Steuererklärung für das Jahr 2004, welche F im Juni 2005 bei der Steuerverwaltung einreicht, gibt sie an, seit der Heirat räumlich getrennt von M zu leben. Ferner schreibt sie, sie habe im Mai 2005 aus dem Geld des Verkaufs ihres Hauses in Ostermundigen das Gebäude in Münsingen als Ersatz erworben. B. Am Samstag, den 10. Juni 2006 erhält F die Veranlagungsverfügungen für das Jahr 2004 von der kanto-

* Prof. Dr. iur., M.A., LL.M. Tax, Rechtsanwalt, Ordinarius für schweizerisches, europäisches und internationales Steuerrecht an der Universität Bern. ** BLaw Bern, MLaw Bern, wissenschaftliche Assistentin am Institut für Steuerrecht der Universität Bern. – Die Verfasser danken Prof. Bernard Rolli, Präsident der Abteilung für französischsprachige Geschäfte des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, für die Unterstützung beim Aufbau der Aufgabe und die wertvollen Anregungen beim Erarbeiten der Lösungsskizze.   1 Die erlaubten Hilfsmittel sind am Ende der Aufgabenstellung (vgl. I, Ziff. 2 hiernach) aufgeführt.   2 Der Prüfungsfall lehnt sich, was den Streitpunkt der Anwendung des Alleinstehenden- oder Ehegattentarifs betrifft, an das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Januar 2009 (publiziert in StE B 13.1 2009 Nr. 16). Für die Prüfung wurde der Fall mit zusätzlichen formellen und materiellen Fragestellungen angereichert.

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nalen Steuerverwaltung Kreis Mittelland (nachfolgend Steuerverwaltung genannt) sowohl für die Kantons- und Gemeindesteuern als auch für die direkte Bundessteuer. Die Steuerverwaltung ordnet das ehemalige Haus von F in Ostermundigen wegen der Verpfändung für den Geschäftskredit dem Geschäftsvermögen zu. Den Gewinn aus dem Verkauf des Hauses in Ostermundigen rechnet sie F für die direkte Bundessteuer als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit auf, was nach Vornahme aller Abzüge ihr steuerbares Einkommen um rund CHF 180 000.– und die Steuerbelastung um rund CHF 21 800.– steigen lässt. F wird ferner eröffnet, dass Sie nach dem Tarif für Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben (nachfolgend Verheiratetentarif genannt), veranlagt wird. Die Steuerverwaltung begründet die Tarifanwendung damit, dass nebst der räumlichen und wirtschaftlichen Trennung der Haushalte auf den Willen der Ehegatten zur Fortführung der ehelichen Gemeinschaft abzustellen sei. Hinweis: Es darf vorausgesetzt werden, dass M im Jahr 2004 kein steuerbares Einkommen erwirtschaftet hat. Hinweis: Der Steuerbetrag auf dem von F selbst deklarierten steuerbaren Einkommen fällt für den Kanton und die Gemeinde unter Anwendung des Verheiratetentarifes erheblich tiefer aus. Unabhängig von der Korrektur des steuerbaren Einkommens führt dieser Tarif bei der direkten Bundessteuer jedoch zu einem höheren Steuerbetrag als derjenige für eine getrennte bzw. selbständige Besteuerung der Ehepartner (nachfolgend Alleinstehendentarif genannt). C. F erhob bei der Steuerverwaltung am Dienstag, den 20. Juni 2006 Einsprache gegen die beiden Veranlagungen. Sie begründete diese sinngemäss wie folgt: Hinsichtlich der verkauften Liegenschaft Ostermundigen sei sie immer davon ausgegangen, dass durch die Verpfändung für den Geschäftskredit kein Wechsel vom Privat- ins Geschäftsvermögen stattgefunden habe. Schliesslich habe sie immer als Privatperson im Haus gewohnt. Ferner habe sie die Liegenschaft absichtlich nicht in die Geschäftsbuchhaltung aufgenommen, woraus ihr Wille ersichtlich werde, dass das Haus nicht zum Geschäftsvermögen ius.full 3/4/10

gehören solle. Sie argumentierte weiter, dass es auf dasselbe hinausgelaufen wäre, wenn sie ihren (privaten) Hypothekarkredit um CHF 600 000.– erhöht und dann das Geld dem Geschäft für den Maschinenkauf zur Verfügung gestellt hätte. Sie habe das andere Vorgehen nur gewählt, weil ihr für den Geschäftskredit günstigere Zinskonditionen offeriert worden seien als für die Erhöhung des Hypothekarkredites. F fügte ferner an, dass unter der Voraussetzung, dass die Liegenschaft Ostermundigen wider Erwarten dem Geschäftsvermögen zugeordnet werde, der Erlös aus deren Verkauf nicht zu be­ steuern sei. Sie habe nämlich aus dem gesamten ­Verkaufserlös der Liegenschaft Ostermundigen die ­Liegenschaft in Münsingen gekauft, womit ein Steuer­aufschubstatbestand eingetreten sei. Zur Anwendung des Verheiratetentarifs führte sie aus, dass sie und ihr Mann M nie zusammengewohnt hätten, weil er in Italien seine Doktorarbeit habe beenden wollen. Es habe somit nie eine Gemeinschaftlichkeit der Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt bestanden. F schrieb, dass sie ihren Mann nach der Hochzeit bis Ende 2004 an nur insgesamt acht, zum Teil verlängerten Wochenenden besucht habe und dass die beiden bis heute durchgehend getrennt voneinander lebten. Die Voraussetzung der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sei ihres Erachtens gleichbedeutend mit der Aufhebung oder dem Nichtbestehen des gemeinsamen Haushaltes, beziehe sich aber nicht auch auf die eheliche Gemeinschaft seelischer Art bzw. den Willen zur Weiterführung oder Aufrechterhaltung derselben. Im Übrigen sei sie nie mit ihrem Ehegatten in der ­Öffentlichkeit aufgetreten. Weiter führte F aus, sie wolle als Einzelperson besteuert werden, auch wenn dies zu höheren Steuern führen sollte. Im Steuerrecht gehe es bekanntlich nicht darum, zugunsten der Steuerpflichtigen den jeweils günstigeren Tarif, sondern das Steuergesetz korrekt anzuwenden. Am Freitag, den 8. Juni 2007 weist die Steuerverwaltung die Einsprachen ab. D. Gegen diese Einspracheverfügungen erhebt F fristgerecht mit denselben Rechtsbegehren und Begründungen, die sie bereits bei der Steuerverwaltung anführte, bei der Steuerrekurskommission des Kan-

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tons Bern (nachfolgend StRK genannt) Rekurs betreffend der Kantons- und Gemeindesteuern und Beschwerde bezüglich der direkten Bundessteuern. Am Donnerstag, den 12. Juni 2008 heisst die StRK beide Rechtsmittel gut, hebt die Einspracheverfügungen vom 8. Juni 2007 auf und weist die Steuerverwaltung an, F in beiden Veranlagungen getrennt von ihrem Ehegatten zu besteuern, da keine Gemeinschaftlichkeit der Mittelherkunft und -verwendung bestehe. Damit liege keine Einheit vor, die eine Familienbesteuerung rechtfertige. Die StRK weist die Steuerverwaltung ferner an, bei der direkten Bundessteuer die ehemalige Liegenschaft in Ostermundigen unter entsprechender Korrektur des steuerbaren Einkommens dem Privatvermögen zuzuordnen. Die StRK eröffnet F die Entscheide mittels Postzustellung am Freitag, den 13. Juni 2008 und der Steuerverwaltung am Montag, den 16. Juni 2008. E. Am Mittwoch, den 16. Juli 2008 erhebt die Steuerverwaltung gegen den Rekurs- und gegen den Beschwerdeentscheid der StRK jeweils separat Beschwerde an die zuständige Rechtsmittelinstanz mit dem Rechtsbegehren, die Entscheide der StRK seien aufzuheben und die Einspracheverfügungen vom 8. Juni 2007 seien zu bestätigen. Sie begründet ihre Anträge gleich wie gegenüber F und fügt an, dass die Einordnung der Liegenschaft Ostermundigen zum Geschäftsvermögen und die Veranlagung von F nach dem Verheiratetentarif den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts entsprächen. Zudem liege durch den Kauf der Liegenschaft Münsingen kein Tatbestand vor, welcher die Besteuerung aufzuschieben vermöchte. Am Mittwoch, den 15. Juli 2009 vereinigt die Beschwerdebehörde die Verfahren betreffend die Kantons- und Gemeindesteuer sowie die direkte Bundessteuer. Die StRK beantragt in ihrer Vernehmlassung vom Montag, den 3. August 2009 die Abweisung der Beschwerden. F reichte keine Beschwerdeantwort ein.

2. Aufgabenstellung Verfassen Sie den Entscheid der zuständigen Rechtsmittelinstanz. Auch bei einem allfälligen

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Nichteintretensentscheid ist der Sachverhalt materiell zu behandeln. Es darf auf den Sachverhalt und die Prozessgeschichte der Aufgabenstellung verwiesen werden.

Hilfsmittel A. Eidgenössische Erlasse: n n n n n n n n n

BV (SR 101) DBG (SR 642.11) StHG (SR 642.14) ZGB (SR 210) OR (SR 220) BGG (SR 173.110) VwVG (SR 172.021) SchKG (SR 281.1) Verordnung über die zeitliche Bemessung der direkten Bundessteuer bei natürlichen Personen (SR 642.117.1)

B. Bernische Erlasse: n n n n n n

KV (BSG 101.1) StG (BSG 661.11) VRPG (BSG 155.21) StRKG (BSG 661.611) ZPO (BSG 271.1) BStV (BSG 668.11)

C. Kreisschreiben der eidgenössischen Steuerverwaltung: n n

KS Nr. 2 vom 12. November 1992 (Präponderanzmethode) KS Nr. 14 vom 29. Juli 1994 (Familienbesteuerung)

II. Lösungsskizze3 Gemäss Aufgabenstellung hatten die Kandidaten/­ -innen die Falllösung in Form eines Entscheides der zuständigen Rechtsmittelinstanz auszuarbeiten. Im vorliegenden Fall handelte es sich um ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern.

3 Die in der Lösungsskizze in den Fussnoten aufgeführten Hinweise zu Bundesgerichtsentscheiden und Literaturstellen konnten von den Kandidaten/-innen selbstverständlich nicht erwartet werden, da sie an der Prüfung über keine entsprechende Dokumentation verfügten.

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A. Deckblatt Das Rubrum präsentierte sich korrekterweise wie folgt:

Verwaltungsgericht des Kantons Bern Verwaltungsrechtliche Abteilung Urteil vom 14. Januar 2010 Verwaltungsrichter/-in X, Abteilungspräsident/-in Verwaltungsrichter/-innen Y und Z Kammerschreiber/-in K Steuerverwaltung des Kantons Bern Brünnenstrasse 66, 3001 Bern Beschwerdeführerin gegen F Musterstrasse 1, 3072 Ostermundigen Beschwerdegegnerin

ergingen noch unter der bis am 31. Dezember 2008 gültigen Fassung des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG; BSG 155.21). Am 1. Januar 2009 trat die revidierte Fassung des VRPG in Kraft. Sowohl nach alter5 wie nach neuer Fassung der Art. 74 ff. VRPG beurteilt das Verwaltungsgericht als letzte kantonale Instanz Beschwerden gegen solche Entscheide. Gemäss Art. 75 ff. VRPG liegen keine Ausschlussgründe vor, womit das Verwaltungsgericht zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerden zuständig ist (vgl. Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11] sowie Art. 9 Abs. 3 der Verordnung vom 18. Oktober 2000 über den Vollzug der direkten Bundessteuer [BStV; SR 668.11]; Art. 50 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14] und Art. 201 Abs. 1 des Steuergesetzes vom 21. Mai 2000 [StG; BSG 661.11]). Neues Verfahrensrecht ist grundsätzlich sofort anwendbar.

und

2. Beschwerdelegitimation

Steuerrekurskommission des Kantons Bern Sägemattstrasse 2, 3097 Liebefeld

Die beschwerdeführende Partei ist im zu beurteilenden Fall die kantonale Steuerverwaltung. Gestützt auf Art. 79 Abs. 2 VRPG ist jede Behörde beschwerdeberechtigt, die durch Gesetz oder Dekret dazu ermächtigt wird. Diese Ermächtigung liegt bezüglich der Steuerverwaltung entsprechend Art. 201 Abs. 2 StG und Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 DBG vor. Nach dem Gesetzeswortlaut bestehen zur Erhebung der Behördenbeschwerde keine weiteren Voraussetzungen (vgl. auch Art. 73 Abs. 2 StHG i.V.m. Art. 111 Abs. 1 und Art. 89 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 [BGG; SR 173.110])6. Verlangt wird lediglich die Teilnahme am vorinstanzlichen Verfahren, sofern diese überhaupt vorgesehen und möglich war7. Die Beschwerdeführerin erfüllt vorliegend diese Voraussetzung.

Betreffend Kantons- und Gemeindesteuern sowie direkte Bundessteuer pro 2004 (Rekurs- und Beschwerdeentscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Bern vom 12. Juni 2008)

B. Formeller Teil4 1. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Die beiden angefochtenen Urteile der StRK vom 12. Juni 2008 stützen sich auf öffentliches Recht. Sie

4 Die vorliegende Unterteilung des Urteils mittels Überschriften erfolgt aus redaktionellen Gründen und der besseren Übersicht halber. In der Praxis und an den Prüfungen werden i. d. R. keine solchen Titel gesetzt.   5 Da die Entscheide der StRK noch vor der Inkraftsetzung der Teilrevision des VRPG ergingen, war die Zuständigkeit nach unrevidiertem Recht zu prüfen.   6 Im dem diesem Fall zugrunde liegenden Entscheid vom 30. Januar 2009 stellte sich das Verwaltungsgericht des Kan-

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3. Form und Frist Der Rekurs- und Beschwerdeentscheid der StRK vom 12. Juni 2008 wurde F brieflich am 13. Juni und der Steuerverwaltung am 16. Juni 2008 eröffnet. Die Beschwerdefrist begann am 17. Juni zu laufen und endete nach 30 Tagen am 16. Juli 2008. Mit ihrer an

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diesem Datum eingereichten Eingabe hat die Steuer­ verwaltung die Beschwerdefrist eingehalten (vgl. Art. 151 StG, Art. 41 Abs. 1 und Art. 81 Abs. 1 VRPG sowie Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 2 DBG). Auf die frist- und formgerecht (vgl. Art. 32 VRPG) eingereichte Beschwerde ist somit einzutreten.

Erwerbstätigkeit eine Erhöhung des Steuerbetrages von CHF 21 800.– zur Folge hat, ist der Streitwert grösser als CHF 20 000.– und die einzelrichterliche Zuständigkeit nach Art. 128 Abs. 1 VRPG ausgeschlossen. Somit urteilt die Kammer, bestehend aus drei Richter/-innen (vgl. Art. 126 Abs. 1 VRPG).

4. Verfahrensvereinigung

6. Kognition des Verwaltungsgerichts

Sind sowohl Entscheide bezüglich der kantonalen und kommunalen Steuern als auch der direkten Bundessteuer angefochten, muss das Verwaltungsgericht zwei Urteile fällen, denn es handelt sich um zwei verschiedene Steuern, die unterschiedlichen Gemeinwesen zukommen und in getrennten Verfahren veranlagt werden. Die beiden Entscheide können aber in ein und derselben Urteilsschrift ­enthalten sein, selbst, wenn die anzuwendenden Rechtsnormen nicht unbedingt gleich lauten. In diesem Fall müssen die Entscheide getrennte Begründungen enthalten, was aber gegenseitige Verweisungen nicht ausschliesst8. In materieller Hinsicht ist vorliegend in beiden Beschwerden strittig, ob die Beschwerdegegnerin getrennt von ihrem Ehepartner zu besteuern ist oder aber der Ehegattenbesteuerung untersteht. Ferner ist zu ermitteln, ob die Liegenschaft Ostermundigen dem Privat- oder Geschäftsvermögen der Beschwerdegegnerin zuzuordnen ist und ob im letzteren Fall eine Ersatzbeschaffung getätigt wurde, welche eine allfällige Besteuerung aufzuschieben vermag. Die massgeblichen Normen des StG und des DBG lauten für die Frage der Tarifanwendung ­weitestgehend gleich. Die Frage der Vermögenszuordnung der Liegenschaft Ostermundigen betrifft ­ohnehin nur Normen der direkten Bundessteuer, da wegen des im Kanton Bern herrschenden monistischen Systems vorliegend nur die Grundstückgewinnsteuer und nicht die Einkommenssteuer zum Zuge kommt. Somit rechtfertigen sich sowohl die Verfahrensvereinigung vom 15. Juli 2009 gemäss Art. 17 Abs. 1 VRPG als auch die gemeinsame Beurteilung für die kantonale, kommunale und die eidgenössische Steuer in derselben Urteilsschrift.

Die Steuerverwaltung rügt eine falsche Tarifanwendung und Zuordnung der Liegenschaft Ostermundigen und damit Rechtsverletzungen. Das Verwaltungsgericht überprüft die angefochtenen Entscheide auf Rechtsverletzungen hin (vgl. Art. 151 StG i.V.m. 80 lit. a und b VRPG sowie Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 142 Abs. 4 DBG).

5. Spruchkompetenz Da die Aufrechnung des Grundstückveräusserungsgewinns im Bund als Einkommen aus selbständiger

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7. Beschwerdelegitimation der F im Rekurs­ verfahren vor der Vorinstanz (StRK) hinsichtlich der Frage der Tarifanwendung Die getrennte Veranlagung nach dem Alleinstehendentarif, die F von der StRK verlangte, führte für sie hinsichtlich der Kantons- und Gemeindesteuern zu

tons Bern trotz klaren Gesetzeswortlauts im VRPG auf den Standpunkt, dass nicht restlos geklärt sei, ob die Steuer­verwaltung zur Beschwerdelegitimation ein schutzwürdiges Interesse vorweisen müsse. Das Bundesgericht hat sich später in einem anderen Fall (vgl. BGer 2C_235/2009 vom 30. Oktober 2009) indes dahingehend geäussert, dass die Steuerverwaltung im Einkommenssteuerverfahren gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG i.V.m. Art. 73 Abs. 1 StHG zur Beschwerde an das Bundesgericht in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt sei und die kantonalen Verfahrensgesetze die Rechtsmittel­ befugnis von Behörden aufgrund des Grundsatzes der Einheit des Verfahrens (vgl. Art. 111 BGG) nicht enger als diejenige für die Beschwerde an das Bundesgericht fassen dürfe. Daraus folgt, dass die Beschwerdebefugnis der Steuer­verwaltung in casu auch vor den kantonalen Rechtsmittelinstanzen unabhängig vom Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses zu bejahen ist. Bewertungshinweis: Es wurde nicht erwartet, dass die Kandidaten/-innen die Rechtsprechung des Verwaltungsund des Bundesgerichts betreffend die in Frage gestellte Abstraktheit der Behördenbeschwerde kennen.   7 Vgl. Müller Markus, Bernische Verwaltungsrechtspflege, Bern 2008, 163 f.   8 BGE 130 II 509, E. 8.3; NStP 2005, 21, E. 1.3 sowie 57, E. 1.2.

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einer höheren Steuerbelastung, sodass es fraglich ist, ob F überhaupt materiell beschwert war und ein schutzwürdiges Interesse am Rekurs vor der StRK aufwies. Die Rechtsmittellegitimation ist rein prozessrechtlicher Natur und zählt zu den Voraussetzungen, welche erfüllt sein müssen, damit das Gericht einen Sachentscheid überhaupt fällen darf (vgl. Art. 20a Abs. 2 VRPG). Prozessvoraussetzungen unterstehen nicht der Disponibilität der Parteien und sind von Amtes wegen immer vorweg zu prüfen, auch wenn die Vorinstanz das Fehlen einer solchen übersehen hat9. Grundsätzlich ist eine steuerpflichtige Person zur Beschwerde gegen die Einspracheentscheide der Steuerverwaltung berechtigt (vgl. Art. 195 Abs. 2 StG, Art. 140 Abs. 1 DBG und Art. 50 Abs. 1 StHG). « Diese Rekurs- bzw. Beschwerdebefugnis ist nach dem Gesetzeswortlaut zwar an keine weiteren Voraussetzungen gebunden. Nach einhelliger Lehre und gefestigter Praxis setzt sie indessen ein steuerrechtliches und damit schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Einspracheverfügungen voraus (vgl. auch Art. 151 StG i.V.m. Art. 86 und Art. 65 Abs. 1 Bst. c VRPG bzw. aArt. 65 Bst. a VRPG in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung […]). Dieses Rechtsschutzinteresse liegt auf der Hand, wenn die steuerpflichtige Person eine tiefere Steuerbelastung anstrebt, nicht aber im umgekehrten Fall: Wird eine Abänderung der Steuerfaktoren zum eigenen Nachteil beantragt, fehlt es in der Regel an einem schutz-

9 Vgl. Merkli /Aeschlimann / Herzog, Kommentar zum bernischen VPRG, Bern 1997, N 1 zu Art. 65, N 8 zu Art. 51 und BGE 116 II 386. 10 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Januar 2009, E. 2.2. 11 Vgl. Merkli /Aeschlimann / Herzog, Kommentar zum bernischen VPRG, Bern 1997, N 13 zu Art. 51. 12 Als Alternative wäre, unter Anführung einer tragfähigen Argumentation, auch eine Kassation nach Art. 40 Abs. 1 VRPG als vertretbare Lösung des Problems anerkannt worden. Zu beachten ist allerdings, dass dieselbe Wirkung auch mit Gutheissung der Beschwerde erreicht werden kann. Da eine Kassation nur als ultimo ratio eingesetzt werden sollte, verdient somit die Lösung des Verwaltungsgerichts (Aufhebung des Rekursentscheides nach Art. 84 Abs. 1 VRPG) den Vorzug.

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würdigen Interesse. Das Interesse an einer Höherveranlagung wird nur ausnahmsweise bejaht, wenn sich eine Höherveranlagung gesamthaft als günstiger erweist, namentlich im Zusammenhang mit ­einer aktuellen oder virtuellen Doppelbesteuerung oder Konkurrenz der ordentlichen Besteuerung mit einer Sonderbesteuerung oder zur Abwendung eines Nachsteuer- oder Hinterziehungsverfahrens […]10. » Im vorliegenden Fall hätte eine Gutheissung der Beschwerde von F hinsichtlich der Tarifanwendung zu einer höheren Steuerbelastung geführt. F machte aber anlässlich des Rekurses keine Gründe geltend, die ein Rechtsschutzinteresse begründen würden. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die StRK ist somit im Hinblick auf die Tariffrage zu Unrecht auf den Rekurs gegen die Einspracheverfügung eingetreten. Der angefochtene Entscheid ist somit insoweit bereits aus diesem Grund aufzuheben11 und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde dahingehend gutzuheissen (vgl. Art. 84 Abs. 1 VRPG)12. Wie sich nach materieller Prüfung ergibt, wäre sie selbst dann gutzuheissen, wenn die StRK zu Recht auf den Rekurs eingetreten wäre.

C. Materieller Teil 1. Anwendung des Alleinstehenden- oder   Verheiratetentarifs 1.1 Ausgangslage Für verheiratete Personen gilt grundsätzlich die Ehegattenbesteuerung. Auch wenn die Partner während der fraglichen Steuerperiode geheiratet haben, werden sie für die ganze Steuerperiode gemeinsam veranlagt (vgl. Art. 68 Abs. 1 StG und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung über die zeitliche Bemessung der direkten Bundessteuer bei natürlichen Personen [SR 642.117.1]). Das Gericht hat zu beurteilen, ob die Ehe im Sinne der Bestimmungen von Art. 10 Abs. 1 StG i.V.m. Art. 3 Abs. 3 StHG und Art. 9 Abs. 1 DBG tatsächlich ungetrennt war. War die Ehe im Jahr 2004 ungetrennt, gilt grundsätzlich die Faktorenaddition. Da nur F aufgrund ihres Wohnsitzes die Voraussetzungen der subjektiven Steuerpflicht erfüllt (vgl. Art. 4 Abs. 1 StG und Art. 3 Abs. 1 DBG), ist bloss deren Einkommen in der Schweiz zu besteuern. Hingegen sind die Ein-

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künfte des Ehegatten zur Satzbestimmung (vgl. Art. 8 Abs. 1 StG und Art. 7 Abs. 1 DBG) dazuzuzählen und es ist der Verheiratetentarif (vgl. Art. 42 Abs. 1 StG, Art. 36 Abs. 2 und Art. 214 Abs. 2 DBG) anzuwenden. Falls die Ehe getrennt ist, bleibt das Einkommen des Ehegatten zur Satzbestimmung ausser Acht und es gelangt der Alleinstehendentarif (vgl. Art. 42 Abs. 2 StG, Art. 36 Abs. 1 und Art. 214 Abs. 1 DBG) zur Anwendung. Die Steuerverwaltung ist der Ansicht, die Ehegatten lebten in tatsächlich ungetrennter Ehe, obwohl feststeht, dass sie über getrennte Wohnsitze verfügen und keine Gemeinschaftlichkeit der Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt bestand. Die Steuer­ verwaltung verlangt für die Annahme einer tatsächlichen Trennung entsprechend der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zusätzlich, dass die eheliche Gemeinschaft willentlich aufgehoben wurde. Die StRK erwog, es bestehe keine Gemeinschaftlichkeit der Mittelherkunft und -verwendung, womit keine Einheit vorliege, die eine Familienbesteuerung recht­fertige. 1.2 Kreisschreiben Nr. 14 und Auseinandersetzung mit der bundesgerichtlichen Praxis Das Kreisschreiben Nr. 14 führt auf Seite 3 unter lit. c verschiede Kriterien auf, nach welchen aufgrund einer Gesamtbeurteilung im Einzelfall zu entscheiden ist, ob eine Ehe tatsächlich als getrennt zu gelten hat. Bei der Rechtsnatur des Kreisschreibens Nr. 14 handelt es sich um eine Verwaltungsverordnung und nicht um ein Gesetz im formellen Sinn. Verwaltungsverordnungen sind keine Quelle von Verwaltungsrecht, denn sie richten sich an die Behörden und verpflichten grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen übergeordneter und untergeordneter Verwaltungseinheit. Grundlage des Rechts bleibt das einschlägige Gesetz und seine dazugehörigen Verordnungen13. Das Gericht ist nur insoweit an die Verwaltungsverordnung gebunden, als diese die bundesgerichtliche Praxis abbildet. Ansonsten hat es für seine Beurteilung die zugrunde liegenden Normen zu prüfen. Vorliegend geht es darum, den Begriff der tatsächlichen Trennung nach Art. 3 Abs. 3 StHG und Art. 9 Abs. 1 DBG auszulegen, dessen Ergebnis dann auch für Art. 10 Abs. 1 StG zu gelten hat.

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Nach der bundesgerichtlichen Praxis zu Art. 9 Abs. 1 DBG und zu Art. 3 Abs. 3 StHG müssen zumindest einzelne der im Kreisschreiben genannten Kriterien kumulativ erfüllt sein. Eine getrennte Veranlagung aufgrund faktischer Trennung setzt demnach voraus, dass die Ehegatten getrennte Wohnsitze bzw. Wohnstätten haben, keine Gemeinschaftlichkeit der Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt besteht bzw. sich die gegenseitige Unterstützung in ziffernmässig bestimmten Beiträgen erschöpft. Zusätzlich verlangt das Bundesgericht, dass die eheliche Gemeinschaft (auch) nach dem Willen der Eheleute nicht mehr im Sinn von Art. 159 ZGB gelebt wird (bzw. der gemeinsame Haushalt aus den in Art. 137 und 175 ZGB genannten Gründen nicht oder nicht mehr besteht)14. Die Steuerverwaltung geht wie das Bundesgericht davon aus, dass die Ehegattenbesteuerung nicht in erster Linie auf wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auf persönlichen Umständen, namentlich dem Willen der Ehegatten zur Fortführung der ehelichen Gemeinschaft, beruht. Es versteht den gesetzlichen Wortlaut nach gewöhnlichem Sprachgebrauch im Umfeld von Familie, Ehe und Konkubinat dahingehend, dass die Partner keine emotionale Bindung miteinander mehr teilen und sich deshalb räumlich getrennt haben. Nach der bundesgerichtlichen Praxis liegt deshalb selbst im Fall, wo die Eheleute über getrennte Wohnsitze verfügen und keine Gemeinschaftlichkeit der Mittelverwendung besteht, keine tatsächliche Trennung vor, solange die Ehegatten an der (nicht mit dem gemeinsamen Haushalt zu verwechselnden) ehelichen Gemeinschaft festhalten, auch wenn sich dies bloss im Rahmen eines sporadischen Gemeinschaftslebens wie an den Wochenenden oder in den Ferien äussert. Die Beschwerdegegnerin versteht die gesetzliche Regelung hingegen so, dass bereits eine räumliche Trennung zur Tatbestandserfüllung ausreichen soll.

13 Vgl. Tschannen / Zimmerli / Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, Bern, 2009, § 41, N 11 ff. 14 Vgl. BGer 2P/2003 vom 7. Januar 2004, E. 2.4 sowie 2A.433/2000 vom 12. Juli 2001, E.2b/bb und dd und das Urteil des Verwaltungsgerichts Graubünden vom 11. Juli 2000, publiziert in StE B 13.1 Nr. 12, E. 3a.

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Bei einer gemeinsamen Haushaltsführung entstehen – bezogen auf die Pro-Kopf-Ausgaben – erwiesenermassen Einsparungen, namentlich aufgrund der gemeinsamen Nutzung von Gütern und Dienstleistungen sowie billigerem Essen15. Im vorliegenden Fall wohnen F und M räumlich getrennt, sodass sie von diesem Synergieeffekt nicht profitieren können. Die Beschwerdegegnerin spielt mit ihrem Normverständnis auf eine Besteuerung nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. Art. 127 Abs. 2 BV) an. Gegen die Praxis des Bundesgerichts wird denn auch in der Lehre angeführt, dass es dem Zweck der Familienbesteuerung (Besteuerung aufgrund der wirtschaftlichen Einheit und ökonomische Vorteile des gemeinsamen Haushalts) widerspreche, dass es für die steuerliche Beurteilung über das Vorliegen einer ungetrennten Ehe trotz getrennten Wohnsitzen und/oder getrennter Mittelverwendung auf den subjektiven Willen der Ehegatten zur Fortführung der ehelichen Gemeinschaft ankommen soll. Beim Willen, die eheliche Gemeinschaft zu leben und daran festzuhalten, handle es sich im Lichte des Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit um ein sachfremdes und fragliches Kriterium16. Trotzdem hielt das Bundesgericht an seiner Praxis fest17. Es begründet seine Haltung damit, dass auch im Fall einer zwar intakten, aber bewusst räumlich getrennt und ohne gemeinsame Mittelverwendung gelebten Ehe den Eheleuten erbrechtlich, sozial- bzw. sozialversicherungsrechtlich und zivilstandsrechtlich relevante wirtschaftliche Vorteile erwachsen, die gerade im Lichte des

Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine dem gesetzlichen Grundsatz der « Zusammenveranlagung » entsprechende, gemeinsame Besteuerung als sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen. Es ist somit kein Grund ersichtlich, von der bundesgerichtlichen Praxis abzuweichen. Entsprechend kommt es auch bezüglich der Kantons- und Gemeindesteuern (vgl. Art. 10 Abs. 1 StG) nur nach Vorliegen der für die direkte Bundessteuer geltenden Voraussetzungen (inkl. dem Willen der Ehegatten zur Aufgabe des Gemeinschaftslebens) zu einer getrennten Besteuerung. Um festzustellen, ob alle Voraussetzungen vorliegen, ist von den nach aussen in Erscheinung tretenden Verhältnissen auszugehen. Da die gemeinsame Veranlagung nach dem Gesetzgeber die Regel darstellt und die getrennte Besteuerung die Ausnahme bildet, trifft im vorliegenden Fall F die Beweislast für das Vorliegen einer faktisch getrennten Ehe. Gemäss Sachverhalt hat F nie behauptet, dass ihre Ehe im massgeblichen Zeitraum nicht mehr gelebt wurde bzw. gescheitert war. Sie hat vielmehr eingeräumt, dass sie ihren Ehegatten innert einem guten halben Jahr an insgesamt acht zum Teil verlängerten Wochenenden besucht habe. Das Getrenntleben hatte seine Ursache ihren Angaben nach nicht in der Aufgabe des Willens zur Fortsetzung der Ehe, sondern darin, dass M in Italien seine Doktorarbeit beenden wollte. Unter diesen Umständen ist die Dauer der Trennung unerheblich und ebenso, ob und wenn ja wie oft F und M in der Öffentlichkeit als Ehepaar aufgetreten sind. 1.3 Ergebnis

15 Vgl. Baumgartner Ivo P. in: Zweifel/Athanas, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, I/2a, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG), Art. 1–82, 2. Aufl. 2008, Art. 36 DBG, N 29 ff. 16 Vgl. Simonek Madeleine, Die steuerrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2001, Direkte Bundessteuer, in ASA 72 1 ff. sowie Greminger Bernhard, in Zweifel/Athanas, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Band I/2a, 2. Aufl. 2008, Art. 9 DBG N 10 f. 17 Vgl. BGer 2C_523/2007 vom 5. Februar 2008, E.2.3; vgl. auch BGer 2A352+354/2006 vom 18. Januar 2007, publiziert in StR 2007, 352, E.4.1. 18 Selbstverständlich wurde bei entsprechender Begründung auch ein anders lautendes Resultat als richtige Lösung anerkannt, für die gleich viele Punkte vergeben wurde.

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Nach Massgabe der bundes- und verwaltungsgerichtlichen Praxis ist so oder anders erstellt, dass am Stichtag keine faktisch getrennte Ehe im Sinn von Art. 10 Abs. 1 StG und Art. 9 Abs. 1 DBG vorlag und F demzufolge nach dem Verheiratetentarif zu veranlagen ist18. 2. Liegenschaft Ostermundigen 2.1 Ausgangslage F bewohnte ein Einfamilienhaus in Ostermundigen, welches sie als Sicherheit für einen Betriebskredit am 5. Januar 2004 verpfändete. Streitig ist, ob die

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Liegenschaft durch diese Verpfändung dem Geschäftsvermögen zuzuordnen ist oder ob sie im Privatvermögen verbleibt. Im Zuge der Erhebung der direkten Bundessteuer wurden F die Einkünfte aus Veräusserung von Geschäftsvermögen als steuerbares Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gemäss Art. 18 Abs. 2 DBG in der Höhe von CHF 180 000.– aufgerechnet. Bliebe die Liegenschaft dem Privatvermögen zugeordnet, stellte der Verkaufserlös nach Art. 16 Abs. 3 DBG steuerfreien Kapitalgewinn dar. Im Kanton Bern wird der Nettogewinn (Erlös minus Anlagekosten, Aufwendungen und Besitzesdauerabzug; vgl. Art. 137 ff. StG) aus dem Verkauf der Liegenschaft Ostermundigen aufgrund des monistischen Systems grundsätzlich von der Grundstückgewinnsteuer erfasst. Als Einkommen aus selbständigem Erwerb gelten, gestützt auf Art. 21 Abs. 3 StG im Zusammenhang mit der Veräusserung von Grundstücken aus dem Geschäftsvermögen, lediglich Gewinne und buchmässige Aufwertungen bis zur Höhe der Anlagekosten. Im vorliegenden Fall wurde die Liegenschaft durch die Steuerverwaltung in der Höhe der Anlagekosten von CHF 1 250 000.– ins Geschäftsvermögen übertragen19. Aus diesem Grund konnte bis zum Verkauf am 20. Dezember 2004 kein Gewinn bis zur Höhe der Anlagekosten entstehen, der als Einkommen zu versteuern wäre. Durch eine neue Vermögenszuordnung verändert sich das steuerbare Einkommen von F weder auf kantonaler noch auf kommunaler Ebene. Der Verkaufsgewinn wird selbst bei der Einordnung der Liegenschaft im Geschäftsvermögen ausschliesslich von der Grundstückgewinnsteuer (vgl. Art. 126 Abs. 1 lit. a StG) erfasst20. Das Verwaltungsgericht hat somit die Steuerfolgen des Grundstückverkaufs nur noch im Hinblick auf die direkte Bundessteuer zu beurteilen. Damit sichergestellt wird, dass ein Wertzuwachs, welcher vor der Übertragung der Liegenschaft ins Geschäftsvermögen entstanden ist, im Zeitpunkt des späteren Verkaufs nicht als echt realisierte stille Reserve nach Art. 18 Abs. 2 DBG versteuert werden muss, sondern wie vom Gesetzgeber vorgesehen gemäss Art. 16 Abs. 3 DBG als steuerfreier Kapitalgewinn qualifiziert wird, muss die Einordnung der Liegenschaft ins Geschäftsvermögen im Zeitpunkt der Übertragung (hier der Verpfändung) zum Verkehrswert erfolgen21. Die Steuerverwaltung hat im vorliegenden Fall den Verkehrswert mit dem ursprünglichen Anschaffungswert

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in der Höhe von CHF 1 250 000.– gleichgesetzt22 und ist somit davon ausgegangen, dass der Wertzuwachs in der Zeit vom 5. Januar bis zum 20. Dezember 2004 erfolgt ist. 2.2 Gesetzliche Grundlagen F betreibt als selbständig Erwerbende ein Einzelunternehmen. Als Geschäftsvermögen gelten alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwiegend der selbständigen Erwerbstätigkeit dienen (vgl. Art. 18 Abs. 2 DBG).

19 Gemäss Sachverhalt hat F CHF 250 000.– (CHF 1 500 000.– Verkaufserlös – CHF 1 250 000.– Anschaffungskosten) durch den Hausverkauf als Bruttogewinn erzielt. Daraus ergibt sich, dass die Steuerverwaltung die Liegenschaft zu CHF 1 250 000.– ins Geschäftsvermögen eingebucht haben muss (vgl. dazu auch FN 22). 20 Ein allfälliger Übergang des Grundstücks vom Privat- ins Geschäftsvermögen löst noch keine Grundstückgewinn­ steuern aus, da kein ziviler oder wirtschaftlicher Halterwechsel und somit auch kein Veräusserungstatbestand gemäss Art. 126 Abs. 1 i.V.m. Art. 130 StG vorliegt. 21 Vgl. BGer 2A.433/2004 vom 13. April 2005, publiziert in StR 60 (2005), 489 – 493, E. 3.2. 22 Die Einbuchung der Liegenschaft durch die Steuerverwaltung zum Anschaffungswert ist nicht nur nach OR handelsrechtskonform, sondern die einzig sachgerechte Lösung, wenn es für sie keinen Anlass gab, davon auszugehen, dass dieser nicht dem Verkehrswert entsprach. Da dem Sachverhalt dahingehend nichts zu entnehmen war, durften die Prüflinge annehmen, dass der Verkehrs- dem Anschaffungswert entsprach und der Einbuchungswert in casu korrekt ermittelt worden ist. Wäre der Verkehrswert nachweisbar höher gewesen, hätte sich diese Tatsache steuermindernd für die Beschwerdegegnerin ausgewirkt. Weil die natürliche Vermutung besteht, dass Steuerpflichtige alle sie entlastenden Umstände von sich aus vorbringen, obliegt der Beschwerdegegnerin, steuermindernde Tatsachen geltend zu machen und nachzuweisen (vgl. Richner / Frei / Kaufmann / Meuter, Handkommentar zum DBG, 2. Auflage, Zürich 2009, Art. 140 N 54 sowie VGer ZH vom 21. Mai 2003, publiziert in StE 2004 B72.14.2 Nr. 32 = ZStP 2003, 217). Die Festlegung des Verkehrswertes zum Zeitpunkt der Verpfändung der Liegenschaft in der Höhe von CHF 1 250 000.– wurde von F jedoch zu keinem Zeitpunkt bestritten. Ferner musste das Verwaltungsgericht auch nach dem Sachverhalt keine offensicht­ lichen Zweifel daran hegen und hat folglich vom von der Steuer­verwaltung festgestellten Wert auszugehen.

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2.3 Zuordnung eines Wertgegenstandes zum Geschäfts- oder Privatvermögen

2.3.2 Diente die Liegenschaft Ostermundigen durch die Verpfändung dem Unternehmen der F?

2.3.1 Allgemeines

Bei Immobiliarsachen, welche nach ihrer Verpfändung für einen Geschäftskredit weiterhin ausschliesslich privat bewohnt werden, ist umstritten, ob überhaupt ein Dienen nach dem gesetzlichen Wortlaut vorliegt. Betrachtet man nämlich den Vorgang rein wirtschaftlich, käme es, wie F in ihrer Einsprache vom 20. Juni 2006 festhielt, auf dasselbe hinaus, wenn sie ihren (privaten) Hypothekarkredit um CHF 600 000.– erhöht und anschliessend das Geld als Privateinlage in das Geschäft eingebracht hätte. Durch die Verpfändung einer im Privatvermögen stehenden Immobilie für geschäftliche Zwecke hat die steuerpflichtige Person nicht ihr Einfamilienhaus oder einen Teil davon, sondern einzig flüssige Mittel in die Gesellschaft ­eingelegt. An der Zweckbestimmung und der tat­ sächlichen Nutzung (privates Wohnen) des Ein­fami­ lien­hauses ändert die Pfandbestellung nichts. Die Verpfändung betrifft so gesehen nur den Bereich der Finanzierung25. Überdies gehört ohnehin das gesamte Vermögen, also auch das Privatvermögen der F zum Haftungssubstrat für Verbindlichkeiten ihres Unternehmens. Es ist deshalb fraglich, ob der Umstand, dass einzelne Teile dieses Privatvermögens noch besonders als Pfand für bestimmte Geschäftsschulden bestellt werden, eine Umqualifizierung dieser Vermögensstücke zum Geschäftsvermögen zu bewirken vermag26. Aufgrund der äusseren Beschaffenheit ist in casu ein tatsächliches Dienen nicht klar erkennbar. Somit ist auf den Willen von F abzustellen, soweit dieser in den tatsächlichen Verhältnissen zum Ausdruck gebracht d.h. effektiv verwirklicht worden ist. Vorliegend hat sich F für die Aufnahme des Geschäftskredits mit nachfolgender Verpfändung der Liegenschaft und nicht für die Erhöhung des Hypothekarkredits und anschliessender Privateinlage entschieden, da ihr ein günstigerer Zinssatz offeriert worden ist. Die Wahl bezüglich des Vorgehens der Geldbeschaffung wurde von F aufgrund geschäftlicher Überlegungen getroffen. In diesem tatsächlichen Vorgehen manifestiert sich dann auch die Absicht von F, den Wert des Hauses für das Geschäft nutzbar zu machen. Auch das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Praxis festgehalten, dass die Verpfändung eines Vermögenswertes für Geschäftsschulden diesen zum Geschäftsvermögen mache, da der Betriebsinhaber den

Ausschlaggebendes Kriterium für die Zuordnung zu einer Vermögensmasse ist, wie sich aus der gesetzlichen Begriffsumschreibung ergibt, die aktuelle technisch-wirtschaftliche Funktion des fraglichen Gegenstands; massgebend ist dem Gesetzeswortlaut nach also in erster Linie, ob der Gegenstand tatsächlich dem Geschäft dient23. Dabei kann das tatsächliche Dienen auch nur ein mittelbares sein, indem es durch den Wert erfolgt, den der Gegenstand verkörpert. Steuerrechtlich wird unterschieden zwischen notwendigem Geschäfts- und Privatvermögen und Alternativgütern, die gleichzeitig sowohl Geschäfts- wie Privatvermögen sein können. Dient ein Alternativgut gleichzeitig privaten wie auch geschäftlichen Zwecken, spricht man von gemischten Gütern. In Fällen gemischter Nutzung erfolgt die Zuweisung zum Geschäfts- oder Privatvermögen nach der Präponderanzmethode (vgl. Art. 18 Abs. 2 DBG und KS Nr. 2). Für die Beantwortung der Frage, welcher Vermögensmasse ein Alternativgut dient, sind objektive Kriterien ausschlaggebend. In Betracht fallen insbesondere die tatsächliche Nutzung, das Erwerbsmotiv, die Herkunft der Mittel zur Finanzierung und die buchmässige Behandlung. Nicht massgebend ist die alleinige subjektive Willenserklärung des Steuerpflichtigen. Ob ein Wertgegenstand dem Privat- oder dem Geschäftsvermögen zuzuordnen ist, entscheidet sich aufgrund einer Würdigung aller in Betracht kommenden tatsächlichen Umstände. Wo aufgrund der äusseren Beschaffenheit ein tatsächliches Dienen nicht klar erkennbar ist, ist auf den Willen der pflichtigen Person abzustellen, soweit dieser in den tatsächlichen Verhältnissen zum Ausdruck gebracht und verwirklicht worden ist (sog. objektivierte Willenskundgebung)24.

23 Vgl. BGE 133 II 422 und ASA 75 (2006), 265 ff. 24 Vgl. ASA 75 (2006), 277. 25 Vgl. Amschwand Fabian, StR 55 (2000), 480 ff., Ziff. 2.6.3 sowie unpublizierte Entscheide der StRK vom 11. August 1998 und 10. August 1999. 26 Vgl. Altdorfer Werner, Geschäftsvermögen und Privatvermögen im Einkommenssteuerrecht, Zürich/St. Gallen 1959, 56.

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Vermögenswert dem Geschäft durch die Verpfändung in besonderer Weise gewidmet habe27. Selbst wenn F durch eine Hypothekarkreditaufnahme resp. eine -erhöhung Geld beschafft hätte, ändert das nichts daran, dass dieser Vorgang rein geschäftlich motiviert war, da F Geld für den Ankauf von Geschäftsmaschinen benötigte und ohne das Sicherungsobjekt Haus der Kredit nicht oder zumindest nicht zu den offerierten Konditionen gewährt worden wäre. Ebenfalls unabhängig von der konkreten Vorgehensweise der Mittelbeschaffung beschlägt das beschränkt dingliche Recht Grundpfand (vgl. Art. 793 ff. ZGB) das Eigentumsrecht der Pfandschuldnerin F, da die Pfandgläubigerin (hier die Bank, welche den Betriebskredit gewährte) das Recht hat, sich im Falle der Nichtbefriedigung aufgrund des Betriebskreditvertrages (und sei es auch für einen im Vergleich zum Wert des Hauses äusserst geringen Kreditbetrag) aus dem Erlös des Grundstücks bezahlt zu machen (vgl. Art. 816 Abs. 1 ZGB). Da eine Verwertung auf den gesamten Pfandgegenstand abzielt, geht der Pfandschuldnerin, auch wenn sie den allfällig über der gesicherten Forderung liegenden Pfandverwertungserlös (Superfluum) ausgehändigt erhält, das dingliche Recht umfassend verloren. Mit anderen Worten ausgedrückt, wird durch die Kapitalbeschaffung für den Geschäftsbetrieb mittels der Pfandsicherheit Haus das (private) Eigentumsrecht potenziell beschlagen und damit eine sachliche Annäherung zum Geschäftsbereich geschaffen, was für ein tatsächliches Dienen spricht. In der Einsprache vom 20. Juni 2006 führte F überdies an, dass das Haus in Ostermundigen zum Privatvermögen gehöre, da es bewusst nicht bilanziert worden sei. Diese Ausführung wird vom Gericht dahingehend verstanden, dass die Beschwerdegegnerin den privaten Vermögenswert Haus ihrem Geschäft nicht hat widmen wollen. Auf diese Erklärung ist jedoch nicht abzustellen, da sie nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt bzw. nicht den objektiven Verhältnissen entspricht. Selbst wenn man auf diese Erklärung abstellen würde, ist die buchmäs­sige (Nicht-)Behandlung des Vermögensgegenstands im Rahmen einer Gesamtwürdigung höchstens als schwaches Indiz zu werten, das allein besehen eine bestehende Zuordnung nicht verändern kann. Das Indiz ist deshalb schwach, weil im Nachhinein nicht zu eruieren ist, ob die Nichtbilanzierung auf einen bewussten Entscheid oder auf einem Vergessen fusst. Anzufügen bleibt, dass die geschäftskreditgewäh-

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rende Bank28 beim gewählten Vorgehen für den Verwertungsfall eine Privilegierung gegenüber allen anderen Gläubigern erfährt, da sie die Fortsetzung der Betreibung auf Pfandverwertung verlangen kann (vgl. Art. 41 SchKG). Die anderen Gläubiger müssen die Betreibung, wenn der Schuldner in seiner Eigenschaft als Inhaber einer Einzelfirma nach Art. 934 und 935 OR in das Handelsregister eingetragen ist, auf dem Weg des Konkurses fortsetzen (vgl. Art. 39 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG). Insofern der Schuldner nicht im Handelsregister eingetragen ist, lautet die Fortsetzung auf Pfändung (Art. 42 Abs. 1 SchKG). Mittels Pfandverwertung erlangt die Bank als Gläubiger des Geschäftskredits wesentlich schneller und im Gegensatz zur Konkursbetreibung auch betragsmässig sicherer die Befriedigung ihrer Forderung. Da das von F gewählte wirtschaftliche Vorgehen die geschäftskreditgebende Bank in eine Vor­zugsstellung im Verwertungsfall bringt, rückt der Vermögensgegenstand Haus durch seine Verpfändung gleichzeitig sachlich näher zum Geschäftsbereich, sodass man ein Dienen auch objektiv betrachtet bejahen kann. Aus dem Gesagten folgt, dass F die Liegenschaft Ostermundigen dem Geschäft durch Verpfändung gewidmet und damit wertmässig dienlich gemacht hat29. Da F die Liegenschaft danach weiterhin privat bewohnte, liegt eine gemischte Nutzung vor, welche die Anwendung der Präponderanzmethode notwendig macht. 2.3.3 Präponderanzmethode Der klassische Fall einer gemischten Nutzung liegt vor, wenn ein Gebäude teils privat bewohnt und teils als Ladengeschäft genutzt wird. Diesfalls werden zur Bestimmung, ob eine überwiegende geschäftliche Nutzung vorliegt, die Erträge aus dem privaten und aus dem geschäftlichen Bereich der Gebäudenutzung einander gegenübergestellt (vgl. Kreisschreiben Nr. 2). Da im vorliegenden Fall keine Ertragswerte zum Vergleich herangezogen werden können, ist auf die Vermögenswerte Rückgriff zu nehmen30.

27 Vgl. BGE 70 I 261 und BGE 93 I 359. 28 Insofern diese nicht mit der hypothezierenden Bank identisch ist. 29 Angesichts des Zeitrahmens reichte es zur Erreichung der vollen Punktzahl, wenn sich die Kanditaten/-innen mit ­einem Argument vertieft auseinandersetzten. 30 Vgl. Kreisschreiben Nr. 2, Ziff. 2.1, sowie Amschwand Fabian, StR 55 (2000), 480 ff., Ziff. 2.6.3, FN 50.

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Gemäss Sachverhalt lautet der amtliche Wert auf CHF 1 000 000.–, der Verkehrswert zum Zeitpunkt der Verpfändung beträgt CHF 1 250 000.– und die Geschäftskreditsumme CHF 600 000.–. Nimmt man den amtlichen Wert von CHF 1 000 000.– als Referenz­ grös­se, so wären 60% des Wertes durch das Pfand beschlagen und die Liegenschaft dem Geschäftsvermögen zuzuordnen. Geht man vom Verkehrswert aus, so sind lediglich rund 48% des Wertes des Grundstückes dem Geschäft dienlich gemacht worden. Orientiert man sich am Verhältnis zwischen der Kreditsumme und dem Verkehrswert, ist die Liegenschaft folglich im Privatvermögen zu belassen. Da es nun darum geht, das Verhältnis der wertmäs­ sigen Pfandbeschlagung in Bezug zum Marktwert der Liegenschaft zu bestimmen, bietet sich der Verkehrswert als ausschlaggebende Referenz31 an. Dieser gibt ja eben gerade den unter normalen Verhältnissen auf dem freien Markt realisierbaren Kaufpreis wieder, während sich der amtliche Wert als reiner Steuerwert präsentiert. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall, dass die Liegenschaft im Privatvermögen zu belassen ist, da sie diesem überwiegend dient32. 2.4 Ersatzbeschaffung F führte im Einspracheentscheid vom 20. Juni 2006 an, der Erlös aus dem Hausverkauf Ostermundigen vom 20. Dezember 2004 sei ohnehin nicht zu besteuern, da sie diesen vollumfänglich zum Kauf der Liegenschaft in Münsingen vom 11. Mai 2005 verwendet habe und somit ein Steueraufschubstatbestand vorliege. Da die Liegenschaft im Privatvermögen zu belassen ist, ist diese Rüge in der Folge zwar nicht mehr zu prüfen. Es ist aber anzumerken, dass im vorliegenden Fall auch bei Zuordnung der Liegenschaft zum Geschäftsvermögen aus verschiedenen Gründen keine Ersatzbeschaffung gemäss Art. 30 Abs. 1 DBG vorgelegen hätte. Zum einen gilt nach Abs. 3 nur Anlagevermögen

31 Vgl. Amschwand Fabian, StR 55 (2000), 480 ff., Ziff. 2.6.3, FN 50. 32 Unter Anführung einer tragfähigen Argumentation, ist es unter Vergabe derselben Punktzahl auch als vertretbare Lösung anerkannt worden, wenn die Prüflinge den amtlichen Wert als Referenzgrösse herangezogen haben. 33 Vgl. Merkli /Aeschlimann / Herzog, Kommentar zum bernischen VRPG, Bern 1997, N 3 zu Art. 108.

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als betriebsnotwendig, das dem Betrieb unmittelbar dient. In casu liegt aber nur ein mittelbares Dienen vor. Ferner weist das Ersatzobjekt nicht die gleiche Funktion wie das Ausgangsobjekt auf. Die Liegenschaft Ostermundigen diente ausschliesslich der Kreditsicherung, während das Unternehmen im Gebäude in Münsingen Schokolade fabriziert und es keinen Kredit mehr sichert.

D. Ergebnis/Kostenverlegung 1. Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beschwerden, soweit sie die Anwendung des Tarifes für Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe für das Jahr 2004 betreffen, gutzuheissen sind. Die Entscheide der StRK vom 12. Juni 2008 werden aufgehoben. Die Akten werden zur Vornahme der Veranlagung im Sinne der Erwägungen an die Steuerverwaltung des Kantons Bern zurückgewiesen. Soweit weitergehend, werden die Beschwerden abgewiesen. 2. Kostenverlegung im Verfahren vor   dem Verwaltungsgericht Angesichts der von der Beschwerdeführerin gestellten Rechtsbegehren obsiegt diese zur Hälfte. Die in der Sache zur einen Hälfte unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Verfahrenskosten nach Massgabe ihres Unterliegens zu tragen (vgl. Art. 108 Abs. 1 VRPG; Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 144 Abs. 1 DBG). Da sie sich an den verwaltungsgerichtlichen Verfahren aber nicht beteiligt und insbesondere keine Anträge gestellt hat, kann sie nicht als unterliegend betrachtet werden. Ihr sind somit für diese Verfahren keine Kosten aufzuerlegen33. Es sind keine Parteikosten zu Gunsten der Beschwerdeführerin als Behörde zu sprechen (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 108 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 3 VRPG; Art. 145 Abs. 2 i.V.m. 144 Abs.4 DBG und Art. 64 Abs. 1–3 VwVG). Obschon die Beschwerdeführerin in der Sache zur anderen Hälfte unterliegt, hat diese als Verwaltungsbehörde von Gesetzes wegen keine Verfahrens­kosten zu tragen (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 108 Abs. 1 und 2 VRPG, Art.145 Abs. 2 i.V.m. 144 Abs. 1 DBG, Art. 104 Abs. 4 DBG i.V.m. Art. 151 StG i.V.m. 108 Abs. 2 VRPG).

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Zugunsten der Beschwerdegegnerin sind ebenfalls keine Parteikosten zu sprechen, da diese nicht anwaltlich vertreten war (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 104 Abs. 1VPRG, Art. 145 Abs. 2 i.V.m. 144 Abs. 4 DBG und Art. 64 Abs. 1–3 VwVG). 3. Kostenverlegung im Verfahren vor der Steuer­ rekurskommission Aus der Aufhebung des Beschwerde- und des Rekursentscheids hinsichtlich der Tarifanwendung ergibt sich die Kostenpflicht der unterlegenen Beschwerdegegnerin für die Verfahren vor der StRK. Nachdem die Beschwerdegegnerin mit Bezug auf die beiden angefochtenen Entscheide, d.h. sowohl im Rekurs- als auch im Beschwerdeverfahren zur Hälfte unterlegen ist, hat sie die vorinstanzlichen Verfahrenskosten anteilig zu tragen (vgl. Art. 200 Abs. 1 StG; Art. 144 Abs. 1 DBG). Parteikosten sind keine zu sprechen (vgl. Art. 104 Abs. 3 VRPG; Art. 200 Abs. 4 StG; Art. 144 Abs. 4 DBG und Art. 64 Abs. 1–3 VwVG).

E. Urteilsdispositiv und Rechtsmittel­ belehrung 1. Urteilsdispositiv

3. Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht werden keine Kosten erhoben und keine Parteikosten gesprochen34. 4. Die Kosten der Verfahren vor der Steuerrekurskommission des Kantons Bern, bestimmt auf eine Pauschalgebühr von CHF X.–, werden zur Hälfte der Beschwerdegegnerin auferlegt. 5. Zu eröffnen: n der Steuerverwaltung des Kantons Bern n der Beschwerdegegnerin (GU) n der Steuerrekurskommission des Kantons Bern n der Eidgenössischen Steuerverwaltung Der/Die Abteilungspräsident/-in: Der/Die Kammerschreiber/-in: 2. Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil kann innert 30 Tagen seit Zustellung der schriftlichen Begründung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) geführt werden.

III. Bemerkungen

Demnach entscheidet das Verwaltungsgericht: 1. Die Beschwerde betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern pro 2004 wird hinsichtlich der Anwendung des Tarifes für Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe gutgeheissen und der Entscheid der Steuerrekurskommission vom 12. Juni 2008 wird aufgehoben. Die Akten werden zur Vornahme der Veranlagung im Sinne der Erwägungen an die Steuerverwaltung des Kantons Bern zurückgewiesen. Soweit weitergehend, ist die Beschwerde abzuweisen. 2. Die Beschwerde betreffend die direkte Bundessteuer pro 2004 wird hinsichtlich der Anwendung des Tarifes für Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe gutgeheissen und der Entscheid der Steuerrekurskommission vom 12. Juni 2008 wird aufgehoben. Die Akten werden zur Vornahme der Veranlagung im Sinne der Erwägungen an die Steuerverwaltung des Kantons Bern zurückgewiesen. Soweit weitergehend, ist die Beschwerde abzuweisen.

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A. Allgemeine Vorbemerkungen zur Prüfung Die bernische Anwaltsprüfung im öffentlichen Recht vom 14. Januar 2010 wies einen mittleren Schwierigkeitsgrad auf. In formeller und materieller Hinsicht konnten mehrere voneinander unabhängige Problemkreise bearbeitet und beantwortet werden, sodass die Kandidaten/-innen eine vielseitige und faire Prüfung vor sich hatten. Die Punkteverteilung im Rahmen der Korrekturarbeiten erfolgte nach einem relativ detailliert ausgearbeiteten Korrekturschema35. Die zu erreichende Maximalpunktzahl für die gesamte Prüfung belief sich auf 75, wovon maximal 33 Punkte im for-

34 Falls keine Parteikosten gesprochen werden, muss dieser Umstand nicht zwingend im Urteilsdispositiv festgehalten werden, eine Erwähnung ist aber im Prüfungsfall vorzuziehen. 35 Das Korrekturschema ist abrufbar auf der Website des Instituts für Steuerrecht der Universität Bern unter www.isr. unibe.ch/Prüfungen.

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mellen Teil und 29 Punkte im materiellen Teil erzielt werden konnten; bis zu 3 Punkte waren zudem für einen guten Aufbau bzw. Gesamteindruck der Arbeit, eine sprachlich differenzierte Ausdrucksweise und folgerichtige Argumentation möglich. Im materiellen Teil ging es bei der Frage nach der Tarifanwendung darum, die Grundstrukturen der Ehegattenbesteuerung darzulegen, was nur steuerliches und verwaltungsrechtliches Grundwissen erforderte. Ferner war der Begriff der « tatsächlichen Trennung » nach den allgemein bekannten Methoden des Verwaltungsrechts auszulegen. Auch die Abgrenzung zwischen Geschäfts- und Privatvermögen bei Selbständigerwerbenden und die Thematik der Ersatzbeschaffung setzte keinerlei « exotische » Spezialkenntnisse im Steuerrecht voraus. Es gab für beide Problembereiche nicht nur eine richtige Lösung. Mit entsprechender Argumentation hatten die Prüflinge jeweils die Möglichkeit einer Gutheissung oder Abweisung, wobei beide Lösungen bei der Punktvergabe gleich bewertet wurden.

B. Die häufigsten Fehler 1. In formeller Hinsicht Insgesamt haben die Kandidaten/-innen den formellen Teil gut gemeistert. Nur selten ging ein wesentlicher Prüfpunkt unter. In vielen Arbeiten fanden sich jedoch über den ganzen formellen Teil verstreute Fehler, die dazu geführt haben, dass nur eine verminderte Punktzahl vergeben werden konnte. Aus dem Betreff auf dem Deckblatt (vgl. II, lit. A) und den Ausführungen im formellen Teil ging nicht oder zu wenig deutlich hervor, dass es sich im Grunde um zwei Beschwerden – nämlich diejenige betreffend die direkte Bundessteuer und jene betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern – um zwei angefochtene Entscheide der StRK und um zwei Steuerveranlagungen handelte.

36 Nach Art. 104 Abs. 4 DBG regelt das kantonale Recht Organisation und Amtsführung der kantonalen Vollzugsbehörde, soweit das Bundesrecht nichts anderes vorsieht. In casu war diese Norm für die Einsetzung einer weiteren Beschwerdeinstanz nach Art. 145 Abs. 1 DBG und später bei der Kostenverlegung im Falle der Beschwerdeabweisung von Belang. 37 Vgl. Müller Markus, Bernische Verwaltungsrechtspflege, Bern 2008, 65 f.

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Betreffend die Beschwerde auf Ebene der kantonalen Steuern ging oft der Verweis von Art. 151 StG auf das VRPG verloren. Dasselbe gilt für die Beschwerde bezüglich der direkten Bundessteuern, wo Art. 104 Abs. 4 DBG als Verweisungsnorm angegeben werden konnte36. Anlässlich der Prüfung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts hat fast niemand bemerkt, dass das VRPG revidiert worden ist. Von denjenigen Personen, die das realisiert haben, hat leider keine eine Zuständigkeitsüberprüfung (auch) nach unrevidiertem Recht vorgenommen. Obwohl das Recht in diesem Bereich unverändert geblieben ist, war eine solche notwendig, da die Entscheide der StRK vor dem Inkrafttreten der Revision per 1.1.2009 ergangen sind. Von ein paar Kandidaten/-innen wurde die Be­mer­ kung der Steuerverwaltung vor dem Verwal­tungsgericht, dass die Einordnung der Liegenschaft Ostermundigen zum Geschäftsvermögen und die Ver­anlagung von F nach dem Verheiratetentarif den Vorgaben der ständigen Rechtssprechung des Bundesgerichts entsprächen, fälschlicherweise als Novum nach Art. 25 VRPG qualifiziert37. Bei dieser Vorbringung handelt es sich weder um ein rechtserhebliches Element, das den bisher massgebenden Sachverhalt ändert, noch um ein neues Beweismittel. Die Parteien dürfen jederzeit neue rechtliche Argumentationen vorbringen. Teilweise wurde nicht erkannt, dass die Eröffnung der Entscheide der StRK an die Steuerverwaltung als Beschwerdeführerin vom 16. Juni 2008 den Fristenlauf auslöste. Es wurde erwartet, dass der Fristablauf (16. Juli 2008) berechnet und genannt wird. Nicht ausreichend für die Erlangung der gesamten Punktzahl war es, in einem Satz zu erwähnen, dass die Beschwerden fristgerecht eingereicht worden seien. In vielen Prüfungen wurde die Verfahrensvereinigung überhaupt nicht thematisiert. Sie stellt eine prozessleitende Verfügung (Zwischenverfügung) dar und kann in casu erst durch Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten werden (vgl. Art. 61 Abs. 4 VRPG), weshalb deren rechtliche Begründung nochmals im Urteil des Verwaltungsgerichts zu erwähnen ist. In manchen Arbeiten, in der sie zur Sprache kam, wurde als solche ausschliesslich die Prozessökonomie angeführt. Diese ist zwar eine wichtige Richtschnur, reicht aber zur Tatbestandserfüllung von Art. 17 Abs. 1 VRPG allein nicht aus. Im vorliegenden Fall war deshalb der Inhalt der oben angeführten Musterlösung festzuhalten (vgl. II, lit. B, Ziff. 4).

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der fall S teuerprobleme mit E he und Hausverkauf

In casu standen ausschliesslich Fragen der falschen Rechtsanwendung zur Debatte. Das Verwaltungsgericht kann nach Art. 151 StG i.V.m. 80 lit. a und b VRPG für die kantonalen Steuern und gemäss Art. 145 Abs. 2 i.V.m. Art. 142 Abs. 4 DBG für die direkten Bundessteuern Rechtskontrolle ausüben und war somit zur Überprüfung aller vorgebrachten Rügen befugt. Die Meisten erwähnten bei der Kognition bloss Art. 80 VRPG als gesetzliche Grundlage, was zu ungenau war. Sie vergassen einerseits, Art. 151 StG anzugeben und andererseits, dass es hinsichtlich der Tarifanwendungsfrage auch die direkten Bundessteuern zu beurteilen galt und somit die gesetzlichen Grundlagen aus dem DBG hätten angeführt werden sollen. Es war zudem unpräzis, zu schreiben, dass das Verwaltungsgericht über volle Kognition verfügt. Hinsichtlich der kantonalen Steuern trifft dies für die Rüge der Unangemessenheit (vgl. Art. 80 lit. c VRPG) nur zu, wenn diese spezialgesetzlich vorgesehen ist. Da im StG eine solche Bestimmung fehlt, wäre eine solche Rüge unzulässig. Wirklich schwierig war im Prüfungsstress die fehlende Legitimation der F vor der StRK für den Rekurs zu erkennen. Zur Erreichung der vollen Punktzahl wäre es notwendig gewesen, das Problem kurz zu skizzieren und eine mögliche Lösung anzugeben. Nicht erwartet wurden ausführliche Argumentationen zu einem allfälligen Rechtsschutzinteresse der F oder das Abwägen möglicher Lösungen gegeneinander (vgl. II, lit. B, Ziff. 7 und FN 12). Bei der Kostenverlegung fehlten bei den meisten ­Arbeiten die bundesrechtlichen Gesetzesgrundlagen. Bei solchen Arbeiten, die sich für eine umfassende Gutheis­sung entschieden haben, fehlte in aller Regel die Neuverlegung der Kosten vor der Vorinstanz. Im Falle einer umfassenden Abweisung verstanden einige Prüflinge die Bestimmung von Art. 108 Abs. 2 VRPG nicht richtig. Sie führten korrekt aus, dass der Steuerverwaltung als Behörde im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a VRPG (Organe des Kantons, seiner Anstalten und Körperschaften) keine Verfahrenskosten auferlegt werden, fügten dann aber fälschlicherweise an, dass vorliegend eine Ausnahme bestehe, da die beschwerdeführende Steuerverwaltung in ihren Vermögensinteressen betroffen sei. Diese Kandidaten/-innen überlasen offensichtlich, dass eine Verfahrenskostenauferlegung nur für andere Vorinstanzen oder beschwerdeführende und unterliegende Behörden gilt, sprich für Behörden nach Art. 2 Abs. 1 lit. b und c VRPG. Leider hat keine der geprüften Personen in

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der Arbeit festgehalten, dass die Kostenfreiheit für die Behörde auf Bundesebene weder im DBG noch im VwVG geregelt wird und deshalb nach Art. 104 Abs. 4 DBG kantonales Recht zur Anwendung gelangt (vgl. Art. 151 StG i.V.m. Art. 108 Abs. 2 VRPG). Im Falle der teilweisen Gutheissung hat die korrekte Kostenverteilung grosse Mühe bereitet. In der Hitze des Gefechts ging auch die Bestimmung der Parteikosten manchmal unter. Im Urteilsdispositiv fehlte bei der Entscheidformel in vielen Fällen die Unterscheidung zwischen Kantons- und Gemeindesteuern sowie direkten Bundessteuern, die je separat hätten abgehandelt werden sollen (vgl. II, lit. E, Ziff. 1.1 und 1.2). Bei der Eröffnung des Urteils vergassen fast alle Kandidaten/-innen die Mitteilung an die eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV). 2. In materieller Hinsicht In materieller Hinsicht war erfreulich zu sehen, dass alle Kandidaten/-innen sämtliche Rügen zumindest grundlegend abgehandelt haben. Sie hatten grob gesehen zwei Problemkreise zu behandeln: die Tarifanwendung und die Einordnung der Liegenschaft Ostermundigen zum Privat- oder Geschäftsvermögen, verbunden mit der Frage, ob allenfalls ein Ersatzbeschaffungstatbestand vorliegt. Bei der steuerlichen Beurteilung, welcher Tarif auf F anzuwenden ist, handelt es sich im Kern um eine Auslegungsfrage des Begriffs der tatsächlichen Trennung. Idealerweise wäre nach einer kurzen Darlegung der Ausgangslage38 unter Angabe der gesetzlichen Grundlagen eine Auseinandersetzung mit der Auslegung desselben angezeigt gewesen. Es war erforderlich, zuerst kurz auf den Charakter des Kreisschreibens 14 als Verwaltungsverordnung einzugehen und dann die Auslegung der diesem gesetzlich zugrunde liegenden Normen (und nicht etwa des Kreisschreibens selbst) in Angriff zu nehmen. Ein Grossteil der Kandidaten/-innen hielt sich allerdings nicht mit methodischen Überlegungen auf, sondern

38 Besteuerung von Verheirateten und von Getrennten; alleinige subjektive Steuerpflicht von F sowie Heranzug des Einkommens des M zur Satzbestimmung bei ungetrennter Ehe (vgl. II lit. C, Ziff. 1.1).

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stürzte sich direkt auf den Abgleich des Sachverhalts mit den Kriterien des Kreisschreibens. Mit diesem Vorgehen schrammte man aber an der eigentlichen Aufgabe vorbei. Gemäss Sachverhalt standen sich zwei unterschiedliche Auslegungsverständnisse gegenüber. Einerseits setzte F den Begriff der tatsächlichen Trennung mit der räumlichen gleich. Andererseits verlangte die Steuerverwaltung unter Anführung der bundesgerichtlichen Praxis, dass es zusätzlich zur räumlichen Trennung den Willen der Eheleute brauche, die eheliche Gemeinschaft nicht mehr im Sinn von Art. 159 ZGB leben zu wollen. Dieses emotionale Element war im Kriterium des Kreisschreibens 14 bereits enthalten, in dem es hiess, dass die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes nach Art. 175 ZGB vorliegen müsse. Diese Hauhaltsaufhebung muss aus den in diesem Artikel genannten Gründen erfolgen, namentlich eben aus dem Willen heraus, die Ehe nicht mehr gemeinsam leben zu wollen. Das Kreisschreiben gibt somit nur die bundesgerichtliche Praxis wieder. Die blosse Auseinandersetzung damit führt zu keiner Antwort, welchem Auslegeverständnis aus welchem Grund gefolgt werden sollte. Erwartet worden wäre, dass die Kandidaten/-innen die verschiedenen Normverständnisse gegeneinander abwägen. Im zweiten Teil musste entschieden werden, ob das Grundstück in Ostermundigen durch seine Verpfändung als Geschäftsvermögen qualifiziert werden musste. Diese Aufgabe wurde häufig methodisch unsauber oder falsch angegangen. Zuerst hätte wiederum eine kurze Darstellung der Ausgangslage39 stattfinden sollen (vgl. II, lit. C, Ziff. 2.1). Dann hätte in einem ersten Schritt festgehalten werden müssen, was als Ge-

39 Was ist die Streifrage? Was sind die steuerlichen Konsequenzen bei einem Verkauf mit Gewinn, wenn die Liegenschaft im Geschäftsvermögen oder im Privatvermögen gehalten wurde? Feststellung, dass aufgrund des im Kanton Bern geltenden monistischen Systems ein Grundstückgewinn ausschliesslich von der Grundstückgewinnsteuer erfasst wird und deshalb nachfolgend nur die Ebene der direkten Bundessteuern für den Entscheid von Belang ist. 40 Insbesondere wären im formellen Teil bei den Ausführungen zur Zuständigkeit, Legitimation und Beschwerdefrist nicht nur die Rechtsgrundlagen des VRPG, sondern auch diejenigen des DBG und des bernischen Steuergesetzes zu nennen gewesen. 41 Die schriftlichen Anwaltsprüfungen im Steuerrecht aus früheren Jahren sind unter www.isr.unibe.ch/Prüfungen abrufbar.

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schäftsvermögen gilt und anschliessend geprüft werden sollen, ob die Liegenschaft dem Geschäft der F durch Verpfändung diente. Hier konnte keinesfalls verlangt werden, dass die Argumentation der Kan­ didaten/-innen der Begründungsdichte der Lösungsskizze entsprach. Immerhin wäre aber erwartet ­worden, dass sie die Argumentation der Parteien aufgreifen und in ihre Lösung einbeziehen. Erst nachdem ein Dienen bejaht worden ist, konnte in einem zweiten Schritt die Präponderanzmethode herangezogen werden. Einige Prüflinge vermischten diese beiden Schritte miteinander. Die Frage der Ersatzbeschaffung hätte auch dann kurz aufgegriffen werden sollen, wenn man zum Schluss kam, dass die Liegenschaft Ostermundigen selbst nach deren Verpfändung beim Privatvermögen verblieben ist. Bei Anwendung von Art. 30 DBG wurde von einigen Prüflingen übersehen, dass sowohl das zu ersetzende als auch das neu erworbene Objekt jeweils zum betriebsnotwendigen Anlagevermögen gehören müssen und nicht nur eines von beiden. 3. Allgemeine Fehler und Fazit Nebst den oben aufgezeigten konkreten Schwierigkeiten in formeller und materieller Hinsicht war ein sehr häufiger, allgemeiner Fehler darin auszumachen, dass die Kandidaten/-innen die massgebenden gesetzlichen Grundlagen als Basis für ihre (an sich richtige) Argumentation nicht oder nur unvollständig wiedergegeben haben. Eine Vielzahl der Prüflinge hat es zudem unterlassen, konsequent auf beide gesetzlichen Grundlagen – diejenigen für die Bundessteuer und diejenigen für die Kantons- und Gemeindesteuern – zu verweisen40. Weiter haben sich einige Prüflinge Punkte und wertvolle Zeit dadurch verscherzt, dass sie in umständlicher und unnötiger Weise längere Textpassagen aus dem Sachverhalt und den als Hilfsmittel aufgelegten Kreisschreiben wiedergegeben, gleichzeitig jedoch keine oder nur äusserst knappe eigenständige Würdigungen der Rechtslage in ihre Arbeit eingebracht haben. Sehr positiv aufgefallen ist, dass eine Vielzahl der Kandidaten/-innen es geschafft hat, eine weitgehend ausformulierte Arbeit abzuliefern, was auf ein gutes Zeitmanagement hinweist. Für die Personen, welche sich dahingehend noch verbessern wollen, sei auf alte Prüfungsfälle41 hingewiesen, mit denen man wunderbar üben kann, bis es klappt.

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