#9 | Schmitz Purpur

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Sie atmet tief aus, lässt den schweißdurchnässten Ball zurück in ihre Hosentasche gleiten, wischt sich sorgfältig die Hände an ihrer Hose trocken und schreitet auf Paul Toulier in seinem Thron zu. Unsicher postiert sie sich neben die Mode-Ikone. Sein auf den Laufsteg fixierter purpurner Blick zeigt keine Regung. Sie nimmt ihren Mut zusammen und will ihn in dem freundlichsten Ton, den sie in den weitesten Tiefen ihres Arsches finden kann, bitten nach draußen zu gehen. «Verpiss dich.» Ohne auch nur ein Wort «Wie konnte ich nur so einen dämlichen Job gesagt zu haben, dreht sie sich um, machen wollen?», hadert Sophie mit sich selbst schleudert ihr Headset von sich und eilt auf ihrem Gang nach draußen, vorbei an der Richtung Ausgang. Zwölf Minuten Verzug. versammelten Crew, die sie mitleidig anstarrt; Schüchternes Gemurmel breitet sich im weiter und weiter, ohne auf irgendjemanden in Saal aus. Was denn jetzt los sei? Sei ihrer Nähe zu achten. «Wer wollte ich sein? Was etwas passiert? Gehöre das noch zur wollte ich sein? Erfolgreich? Für was? Ich habe Show? Könne das wieder eine seiner nichts. Für diesen Job habe ich alles aufgegeben. berüchtigten Drogen-Eskapaden sein? Und jetzt?» Der von Champagner und Kaffee klebPaul Toulier sitzt in seinem Sessel und rige Vinylboden des Backstage zieht an ihr vorärgert sich. Wütend denkt er über das bei. Während sie sich mit allem befasst, was sie Gör nach, das es wagt, ihm Befehle er- für diesen Job aufgegeben hat, beginnt Sophie teilen zu wollen. Ihm, der kurz davor Vailleur, die toughe, burschikose, von der Mehrwar, sich seinen Verehrern zu zeigen. Die heit ihrer ehemaligen Crew gefürchtete Frau, zu Präsentation mit ihrem einzigartigen weinen. Schöpfer abzurunden. Doch die Lust ist ihm völlig vergangen: «Die Per- Sie denkt an ihren Golden Retriever Coop, für fektion ist dahin. Zerstört von den sie wegen des Jobs nicht genügend Zeit irgendeiner bedeutungslosen Ama- hatte, und an den schmerzhaften Moment, als sie teurin. Wie zur Hölle kommt so je- ihn im Tierheim abgeliefert hat. Sie denkt an die mand überhaupt dazu mich anzu- verpasste Beerdigung ihres Opas und die wutentsprechen?» brannte Sprachnachricht ihres Vaters. Sie denkt daran, ihren eigenen Neffen, der schon seit drei Monaten auf der Welt ist, nicht ein einziges Mal gesehen zu haben. Aufrecht stellt sie sich vor den Ausgang, atmet tief aus und heult sich all ihren angestauten Frust, all ihre verdrängten traurigen Momente von der Seele, ohne auch nur einen Moment an Paul Toulier und die Fashion Week zu denken.

Sein auf den Laufsteg fixierter purpurner Blick zeigt keine Regung

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«So. Paul, es wird Zeit zu gehen. Der Pöbel wird ein anderes Zirkusäffchen brauchen. Mir ist die Lust auf dieses Schmierentheater vergangen», und vierzehn Minuten und siebzehn Sekunden, nachdem das letzte Model den Laufsteg verlassen hat, erhebt sich Paul Toulier aus seinem Sessel. Die gesamte Crew blickt regungslos auf den Rücken des Mannes. Keiner der Mitarbeiter gibt auch nur einen Ton von sich, außer Sophie, die man aus der Ferne schluchzen hört.


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