#9 | Schmitz Purpur

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EDITORIAL

Schmitz fläzt sich auf dem Sofa, glotzt: Mode. Zapp. Krieg. Zapp. Katastrophe. Schmitz erstarrt: wahr oder Fake? Er versinkt in Trance, alles färbt sich purpur. Gedanken blitzen in seinem Gehirn, Gedanken über Taufe, über Gott. Er schließt seine Augen, schlummert ein und träumt: Schmitz tapst über eine Wiese, findet sich wieder in der Zauberschule. Klirr. Er schreckt auf: vor ihm Scherben von bemaltem Porzellan. Er sinniert über das Vergängliche, über Armut und Leid. Bedrückt verliert er sich in einem Gedicht. Schmitz Purpur — lesen!


PURPUR Purpur ist eine Mischung aus Blau und Rot und changiert zwischen Lila und Violett. Schon seit der Antike steht Purpur für Macht (Weite Heimat; Zwischen Leben und Code). Herrschaftliche Verträge waren auf kostbarem, purpurnem Pergament verewigt (Bindende Kostbarkeit). Seit jeher ist Purpur die Symbolfarbe von Religion (Erwiesener Glaube), Der Halbgott Melkart Kirche (Zeugnis ablegen) und Königen schlendert mit seiner (Gewaltige Poesie). Purpur ist eng verGeliebten am sonnenflochten mit Magie (Wahre Illusion), Verüberfluteten Strand. Sein Hund vergnügt sich während gänglichkeit und Kurzlebigkeit (Endlose des romantischen Spaziergangs an allem, was das MittelTrends; Aus dem Sinn). Purpur gilt auch meer anspült. Diesmal beißt er sich fest an einem hellen als Blutfarbe (Quälende Freuden; Zwischen Gegenstand – eine Stachelschnecke, die, vom Schicksal Leben und Tod) und wird häufig mit geführt, ihren Weg in das Maul des Vierbeiners findet. Gewalt assoziiert (Schlichte Vielfalt; Pfad Nach eifrigem Knabbern zerbricht das kunstvolle Geder Qual). Andererseits wird Purpur auch häuse zwischen den Zähnen des Hundes. Seine Schnauze als Farbe von Unsachlichkeit und Zweideuverfärbt sich rötlich. Melkart zückt geschwind sein tigkeit empfunden (Wahre Lügen). In der Taschentuch und säubert das rote Maul. Langsam verNuance von Pink steht es für Erotik, Weibfärbt sich die rötliche Farbe des Tuchs – der erste Stoff in lichkeit, Verführung und Feminismus Purpur. Zugleich lässt er das Gewand seiner Partnerin (Liebe um jeden Preis; Bewegte Frauen). mit dieser Farbe färben. Laut dem Griechen Konstantin Purpur gilt als Farbe zwischen den Paleokappa spielte sich die Geschichte anders ab: Nicht Geschlechtern (In Reih’ und Glied) und der Hund des Halbgottes, sondern der eines Hirten entcharakterisiert Spiritualität (Zwischen deckte das kostbare Pigment. Der rote Farbstoff der PurMaterie und Geist; Seelenfamilie). Mode purschnecke ist heute extrem kostbar. Ein Kilogramm (Unvergänglicher Zeitgeist; Anziehendes kostet etwa zweieinhalb Millionen Euro, ein Kilogramm Scheusal), Extravaganz (Duftwelten) und Gold aktuell weniger als vierzigtausend Euro. Kunst (Zeitlose Moderne) sind eng verknüpft mit Purpur. Im Alltag begegnen uns purpur gefärbte Spielfiguren (Der letzte Kick) und Lebensmittel (Extravagante Wurzeln). Letztendlich verbinden wir Purpur mit Trauer (Wie man sich bettet). William Henry Perkin ist gerade einmal 18 Jahre alt und bereits angesehener Chemiker. Wie jeden Tag experimentiert der junge Mann in seinem Labor. Das Ziel an diesem Tag: Chinin synthetisch darzustellen. Chinin ist ein weißes, sehr schwer wasserlösliches und kristallines Pulver mit bitterem Geschmack – ein vielseitiger Arzneistoff. Er mischt die ölige Flüssigkeit Anilin in seine Mixtur. Doch etwas geht schief – im Nachhinein ein großer Erfolg: Perkin entdeckt den violetten Farbstoff Mauvein, auch Anilinpurpur genannt, und damit das erste Verfahren, den begehrten Farbstoff synthetisch herzustellen. So wie Halbgott Melkart schenkt auch er das erste gefärbte Stück Stoff dem weiblichen Geschlecht. Die ursprünglich weiße Bluse seiner Schwester erstrahlt nun in leuchtendem Purpur.

Phönizien, 1400 vor Christus

England, 1856


GRUNDTON 2 4 176 190

UNTERTON 138 158 46 168

Editorial Purpur

Inhalt Überblick Sponsoren Danke Impressum Schmankerl

Unterhaltsames

Endlose Trends Am Puls der Zeit

Unvergänglicher Zeitgeist Eine neue Geschichte Wahre Lügen Mundus vult decipi Wahre Illusion Magisches Klassenzimmer

Grundlegendes


58 BETON

Kurzes

96 STEREOTON

POLYTON 28 34

Ernstes

Brutale Freuden Einmal Gott spielen Erwiesener Glaube Fügung mit Folgen

MONOTON 148 16 6

Weises

Zeitlose Moderne Totgeglaubte pinseln länger Schlichte Vielfalt Ursprünglicher Minimalismus Gewaltige Poesie Lob der Melancholie

Verbundenes


GEWALT POES


TIGE SIE /

Hue, Vietnam Verbotene Purpur-Stadt Melancholie Poesie

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Text Fabian Birner Bild Anna Basener  •  Robin Scherm

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Tu Duc Nguyen war ein kleiner, schwächlicher, wenig kaiserlicher Mann. Trotzdem herrschte er am längsten von allen vietnamesischen Kaisern. Schon von Kindesbeinen an war er der Kunst und Poesie zugetan. Das Verfassen seiner Gedichte war ihm wichtiger als seine Pflichten als Herrscher. In seiner über 35 Jahre dauernden Regentschaft schrieb er Hunderte von Gedichten. Als Junge erkrankte er an Pocken; die Infektionskrankheit überstand er, doch sie machte ihn impotent. Unfähig, Nachkommen zu zeugen und ohne Aussicht auf einen Thronfolger, verfiel er schon in jungen Jahren in den Zustand tiefer Depression und Melancholie. Er ließ sich eine palastartige Grabanlage erbauen, die minutiös seiner Vorstellung von Ästhetik und Kunst zu entsprechen hatte. Für den Bau beutete er Hunderte von Zwangsarbeitern aus. Sie putschten gegen den Kaiser; der ließ den Putsch von seinen Generälen brutal und blutig niederschlagen. Angeschlagen von der heftigen Ablehnung seiner Untertanen, verstärkte sich sein finsterer Gemütszustand. Tu Duc zog sich mit einer Schar von Konkubinen und Bediensteten in seine Palaststadt zurück. Dort genoss er hemmungslos fleischliche Genüsse und gab sich der Poesie hin. Doch keine Orgie, kein Gedicht vermochte es, ihn über den Schmerz hinwegzutrösten, keinen Nachkommen zeugen zu können. Die Grabanlage versprüht noch immer einen Hauch von melancholischer Poesie, gleich einem Schleier, der über die ganze Stadt gewoben zu sein scheint. Die folgenden Zitate stammen aus der Feder des Kaisers an die Prinzessin seines Herzens.

8 / monoton / Gewaltige Poesie




11 / monoton / Gewaltige Poesie


12 / monoton / Gewaltige Poesie





SCHLICH VIELFALT /

Westvietnam Stammesgebiet Autochthone Freud und Leid

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Text Fabian Birner Bild Anna Basener  •  Robin Scherm

HTE T



Eine schmale Hängebrücke — Marke Eigenbau — führt über einen Bach von der Hauptstraße ins Dorf, nahe an einer dicht bewachsenen Hügelkette. Zwischen den saftigen, grünen Bananenstauden und Rankgewächsen steigt Rauch auf. Hier erinnert nichts mehr an das moderne Vietnam. Überfüllte Straßen, unzählige Motorräder und Roller. Beinah befremdliche Stille. Dann begrüßt eine Schar lachender Kinder, Hundewelpen und freilaufender Hühner den Besucher, der den steilen und unbefestigten Trampelpfad ins Dorf hinabsteigt. Keine befestigte Straße, keine Trinkwasserversorgung, das Abwasser fließt wie vor Hunderten von Jahren in ein stinkendes Rinnsal mitten durch das kleine Dorf, danach direkt in den Fluss. Für den Besucher scheint die Zeit hier stillzustehen; hier ist alles anders. Anders als in der Welt, wie wir sie kennen.

In Vietnam, Kambodscha und im südlichen Laos leben heute noch indogene Minderheiten. Bis zum Krieg in Indochina und Vietnam lebten sie autark und bewirtschafteten ihr Stammesgebiet, weitestgehend unberührt von äußerem Einfluss. Besonders nach und während des Vietnamkriegs mussten die Völker ihr Gebiet verlassen – keine Regierung wollte sie als eigenständige Volksgruppe anerkennen. Ohne ein Stück Land mussten fast alle Familienverbände notgedrungen als Nomaden im Dreiländereck von Vietnam, Kambodscha und Laos umherziehen. Erst Anfang der Siebzigerjahre ließen sie sich wieder in ihrer ursprünglichen Heimat nieder, allerdings weit zerstreut über viele Gebiete. Viele Männer dieser Volksgruppen kämpften im Krieg und opferten ihr Leben. Heute werden diese Gruppen auch deswegen von der Regierung geduldet. Einige von ihnen werden von der Regierung in außerordentlichem Maße unterstützt und gefördert. Ein besonderer Stamm sind die Ka Tu, frei übersetzt: wilde Menschen. Die Bezeichnung spiegelt bereits die Haltung der restlichen Bevölkerung von Laos, Kambodscha und Vietnam wider. Auch sie kämpften im Krieg, wurden vertrieben und unterdrückt; trotzdem kümmert sich der vietnamesische Staat nicht um sie. Ohne die Hilfe gemeinnütziger Organisationen und ihren eisernen Willen durchzuhalten, könnten sie wohl kaum ihre Traditionen pflegen, ihre ursprüngliche Lebensweise und ihre Sprache bewahren. So gelingt es ihnen trotz aller Widrigkeiten, ihren überlieferten Lebensstil beizubehalten und als familiär geprägte Gemeinschaft in Vietnam zu leben.

19 / monoton / Schlichte Vielfalt








26 / monoton / Schlichte Vielfalt



BRUT FREUD


Biedere Wohnung Zwei Gesichter Blutrausch Mordlust

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Text Lukas Sassenhausen Bild Steven Lauenroth  •  Rasmus Walter

TALE DEN

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Ein ganz normaler Mensch

Das Internet: Entertainment-Oase, Wissensdomäne, soziales Netzwerk. Der moderne Mensch ist darauf angewiesen wie Pflanzen auf Sonnenlicht. Doch die Schattenseite des World Wide Web birgt Hochmut, Perversion und Unmoral. Verkehrstote und Enthauptungen vor dem Bildschirm miterleben, aus Sensationslust und Belustigung.

Julian bittet zu Tisch und serviert Kaffee mit Milch und Zucker. Dabei erzählt er von seinem geregelten Tagesablauf: «Montag bis Freitag klingelt mein Wecker um 5.15 Uhr für die Arbeit. Ich arbeite als Werkzeugmechaniker in der Industrie. Dann stehe ich auf und mache mich fertig. Danach checke ich auf Facebook und Pr0gramm, was es so Neues gibt, um wach zu werden. Nachdem ich gefrühstückt habe, fahre ich in die Arbeit und habe meinen ganz normalen Arbeitstag. Wenn Feierabend ist, fahre ich heim, kaufe ein, koche für mich und meine Freundin und sitze entweder vor dem PC oder dem Fernseher.»

Ein Schaulustiger solcher Gewaltszenen Julian nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und fährt mit einem bricht sein Schweigen. Er möchte anonym tiefen Atemzug fort: «Ja – ansonsten spiele ich hobbymäßig Fußball bleiben; wir nennen ihn Julian. Er lädt und mache öfter was mit den Mannschaftskollegen. Wenn da nichts mich zu sich nach Hause auf einen Kaffee zusammengeht, dann im Normalfall was mit meiner Freundin. ein. Ein höflicher, offener und adretter Gemütlich einen trinken oder einfach nur essen gehen.» Mann Ende zwanzig steht auf der Türschwelle. Hübsch dekoriert, sauber und ordentlich präsentiert er seine Dreizimmerwohnung – beinahe eine biedere und gesetzte Atmosphäre, ganz im Gegensatz zu den Videos, die er sich tagtäglich ansieht.

Ein Lastwagenfahrer walzt einen Fußgänger beim Überqueren des Zebrastreifens nieder, ein Motorradfahrer rast mit Höchstgeschwindigkeit in den Gegenverkehr: Solche Videos sind auf den Plattformen YouTube oder Facebook für jeden zugänglich – betitelt als Lehrvideos. Aufnahmen von einer Exekution oder einem Menschen, den ein tonnenschwerer Betonblock zerquetscht, findet der Internetbenutzer unter anderem auf Seiten wie Pr0gramm.com oder rawsucker.com. Julian nutzt Pr0gramm.


Auf den Geschmack kommen

«Auf den Geschmack bin ich durch Freunde und Bekannte gekommen. Die haben mir hin und wieder solche lustigen und interessanten Videos gezeigt. Ich kann mich noch an eines der Ersten erinnern – kleinen Moment.» Julian zieht sein Handy aus der Hosentasche, sucht nach dem Video und zeigt es. Zu sehen ist ein dunkelhäutiger Junge. Er arbeitet an einer Hochspannungsleitung. Nach einem Stromschlag fällt er ungefähr 15 Meter in die Tiefe. Dann ist er in einer Nahaufnahme zu sehen. Seine Haut ist verbrannt und aufgerissen. Lachend legt Julian sein Handy beiseite: «Der sieht aus wie ein gerupftes Huhn. Der ist komplett weiß, wie Michael Jackson II.» Er wischt sich eine Träne aus dem Gesicht und fährt mit ruhigerer Stimme fort: «Naja, irgendwann habe ich mich dann informiert und bin auf Pr0gramm gestoßen.» Nutzer dieser Seite laden ihre Dateien hoch und ordnen sie drei Kategorien zu. SFW (Safe For Work) ist dabei die harmloseste. Zu dieser Kategorie gehören größtenteils Memes. Unter NSFW (Not Safe For Work) fallen pornografische Inhalte. In der letzten Kategorie NSFL (Not Safe For Life) findet man Julians Videos. Menschen werden getötet, lebensbedrohlich verletzt oder sind dabei, zu sterben. Nur wer einen hohen Rang hat oder von einem Premium-Nutzer eingeladen wird, kann auf diese Videos zugreifen. Der Rang erhöht sich, umso mehr Punkte, genannt Benis, gesammelt werden. Man erwirbt sie durch positive Bewertung anderer User.

31 / polyton / Brutale Freuden



Macht über Leben und Tod

Julian starrt nachdenklich seine Kaffeetasse an und fährt fort: «Wenn man in Deutschland lebt, erlebt man nur lauter langweilige Sachen, aber durch die Videos erlebt man einfach echt verrückte und teils kranke Sachen, die man sonst niemals sehen würde. Und darin liegt einfach ein gewisser Reiz. Das Verlangen nach einem Adrenalinkick – dass man einfach mal selber gern in so einem Baum sitzen will und selber dem Neger ins Gesicht schießt. Ich mein, sowas kann man hier halt nicht bringen; in anderen Ländern oder in Kriegsgebieten zum Beispiel schon. Und sowas sieht man halt in den Videos.» Julian hält kurz inne. Er scheint sich für seine kommende Aussage zu sammeln: «Also mich würde das schon mal interessieren, ob ich erwischt werde, wenn ich einen Menschen umbringe. Das würde ich schon gerne mal machen. In den ganzen Fernsehserien sieht man immer, wie alle erwischt werden. Ich denke nicht, dass es in der Realität genauso ist.» Sein Blick senkt sich und seine Stimme wird leiser. «Solange ich keinen Bekannten umbringe und ich nicht erwischt werde, denke ich, macht mir das auch nichts aus, jemanden zu töten.» Was ihm kurz vor dem Abdrücken wohl durch den Kopf gehen würde: Macht.

Selbstbewusst und mit kräftiger Stimme erläutert er: «Naja, einmal Gott spielen im Leben. Man hat seine Waffe auf jemanden gerichtet und die Person gegenüber kann in dem Moment einfach nichts tun. Man selbst hat alleine die Macht, über Leben und Tod zu entscheiden. Wer kann das denn schon heutzutage? Erst recht in Deutschland. Mit einer Waffe in der Hand kann man das.» Bei diesem letzten Satz erhebt er seinen rechten Arm, als würde er mit seiner Hand eine Waffe umklammern. Auf den Vorwurf, die Videos seien eine Kompensation dessen, was er nicht machen kann, jedoch gerne tun möchte, antwortet er schulterzuckend: «Naja, grob gesehen schon. Größtenteils sind es aber halt Dinge, die ich gerne mal sehen würde, die ich lustig oder interessant finde.»

An der Haustüre wünscht Julian mir noch alles Gute für die Zukunft und fügt schmunzelnd hinzu: «Diese Sicht der Welt ist halt nicht für jedermann etwas, aber vielleicht findest du ja auch irgendwann mal Interesse daran.»

33 / polyton / Brutale Freuden


ERWIESEN GLAUBE


NER Erfurt

/ Taufe / Geständnis

Text Simon Werner Bild Moritz Schinn

/ Halbes Leben ahnungslos/ Krise


«Lieber Gott, wenn du meinem Vater bei dieser Operation beistehst, dem Arzt eine ruhige Hand gibst, bin ich bereit, dir zu glauben und du wirst sehen: Ich bleibe bei dir!», stellt Sandra Gott instinktiv auf die Probe, als sie erfährt, ihr Vater solle am Herzen operiert werden. Der Arzt führt diese Art von Operation zum ersten Mal durch. Als er stolz vor Sandra steht und ihr berichtet, es sei alles gut verlaufen, bedeutet das für Sandra das gewünschte Zeichen.

(D)ein Leben mit Gott

Seit einigen Jahren geht die Zahl der Kirchenmitglieder immer weiter zurück. Dennoch glauben viele Menschen an eine höhere Macht, die ihnen beisteht. Hin und wieder gibt es jemanden, der sein Leben ohne Glaube an Gott verbringt, jedoch nach einem einschneidenden Erlebnis sein Leben Gott weiht. Sandra ist so eine Person. Sie hat 2012 mit 37 Jahren erfahren, sie sei als Baby getauft worden. Auf den ersten Schock folgt ein Wandel in ihrem Leben. Sandra setzt sich mit dem Glauben auseinander und tritt schließlich der katholischen Kirche bei.

Sandras Urgroßmutter ist eine gläubige evangelische Christin. Sie ist als einziges Mitglied ihrer Familie kurz vor dem Mauerbau in den Westen ausgereist und lebt in Oberbayern. Hier arbeitet sie auf einem Bauernhof mit. Ihre offene und ehrliche Art macht sie schnell zu einem Familienmitglied. Sandra wird Mitte Dezember 1974 in der Nähe von Erfurt in der DDR geboren. Als ihre Urgroßmutter von der Geburt erfährt, wird sie nachdenklich. Sie findet, die Taufe sei für ihre Urenkelin wichtig. Jedoch ist der Glaube in der DDR oft unerwünscht. Viele Eltern entscheiden sich, ihre Kinder nicht taufen zu lassen. Elfriede, die Tochter des Hofbesitzers, bringt die Sache ins Rollen: Es wird ein Plan geschmiedet. Ein Plan, der das Leben von Sandra fast vierzig Jahre später komplett verändern wird. Beim nächsten Besuch in der DDR nimmt Sandras Urgroßmutter ein Fläschchen Weihwasser mit. Während Sandras Eltern unterwegs sind, tauft sie ihre Urenkelin im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. «Ich habe es getan», mit diesen Worten grüßt Sandras Urgroßmutter Elfriede, als sie wieder aus der DDR zurückkehrt. Über die nächsten Jahrzehnte bewahren Urgroßmutter und Elfriede dieses Geheimnis. Nach dem Tod von Sandras Urgroßmutter zu Beginn der 1980er-Jahre entwickelt sich eine Freundschaft zwischen Elfriede und Sandra. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs besuchen sich die Freundinnen hin und wieder. Doch Elfriede bringt es nie übers Herz, Sandra von der Taufe zu erzählen. Weitere Jahrzehnte gehen ins Land und Elfriede sucht immer weiter nach dem geeigneten Moment, Sandra in das Geheimnis einzuweihen.



Schlag ins Gesicht

Im Jahr 2012 sieht Elfriede ihren Moment gekommen. Als ihr jüngster Sohn Kilian gefirmt wird, scheint ihr der richtige Zeitpunkt gekommen. Sandra ist gerade dabei, ins Auto einzusteigen, als Kilian Sandra zurück in die Kirche holt. «Ich habe das Auto im absoluten Parkverbot abgestellt», wendet sie ein, doch in der schon fast leeren Kirche warten noch einige aus der Familie. Sandra wird aus mehreren Richtungen vielsagend angegrinst. «In dem Moment habe ich mir gedacht: Ach du Scheiße, es ist irgendwas passiert! Das fühlst du!» Elfriede und Sandra setzen sich in der Kirche vor den Altar. «Da hat Elfriede mir dann die Geschichte erzählt. Wie es gewesen ist. Ich konnte das in dem Moment irgendwie nicht realisieren.» Elfriede fragt Sandra: «Wie fühlst du dich jetzt?» Sandra ist entsetzt. «Für mich war das ein Schlag ins Gesicht, ein Schock, ein Verrat! Ich wusste nicht: Ist das gut, schlecht, ist das böse, ist das etwas Tolles? Ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich kann mich, nachdem ich weggefahren bin, nicht mehr an viel erinnern. Ich weiß nicht, wie ich nach Hause gekommen bin!» Als Sandra wieder in Thüringen ist, versucht sie, das alles einfach zu ignorieren. «Aber ich konnte es nicht verdrängen.»

38 / polyton / Erwiesener Glaube

Sandra sucht nach Unterstützung, ihre Familie weiß bis zu diesem Zeitpunkt nichts von der Taufe. «Die ganze Geschichte war für mich irgendwie nicht real.» Einige Tage später triff t Sandra sich mit einer Freundin und schildert ihr die Situation. «Sie meinte zu mir: Bleib so, wie du bist, und ignoriere es einfach. Darauf meinte ich: Ich kann das nicht ignorieren.» Sandra geht die Taufe nicht aus dem Kopf, sie will sich mit einem Pfarrer unterhalten. Bevor es zu einem Gespräch kommt, nimmt sie eine Bibel und liest – auch im Internet.





Die Entscheidung

Der Pastor holt weit aus, benutzt jedoch bereits im zweiten Satz mehrfach das Wort Glauben. Obwohl Sandra von der katholischen Kirche bislang nicht viel Gutes mitbekommen hat, will sie auch noch die Meinung eines katholischen Pfarrers einholen. Sie vereinbart daher einen Termin mit einem katholischen Pfarrer. Das Gespräch verläuft sehr ähnlich. Auch er ist hellauf begeistert Sandra entscheidet sich zuerst, zu einem evangelischen Pastor von Sandras Geschichte. Als jedoch auch hier die zu gehen. «Ich habe also mit dem Pastor einen Termin ausgeFrage nach der Beschreibung von Kirche ohne das macht. Ich habe ihm meine Geschichte erzählt und er fand das Wort Glauben aufkommt, antwortet er nach kurgroßartig. Doch dann fragte er mich: Was wollen Sie jetzt eizem Nachdenken: «Das geht nicht!» Das ist die gentlich von mir?» Sandra will das Begonnene zu Ende bringen Antwort, die Sandra hören will. und einer Kirche beitreten. Der Pastor teilt Sandra jedoch mit, das sei nicht so ohne Weiteres möglich. Außerdem stellt sie ihm eine für sie wichtige Frage: «Wenn Sie auf einem Marktplatz stehen und Kirche ohne das Wort Glauben beschreiben müssten, was würden Sie sagen?»


Daraufhin besucht Sandra viele Gottesdienste: katholische, evangelische und baptistische. Schließlich entscheidet sie sich, katholisch zu werden. Bei rituellen Aspekten und Glaubensfragen fühlt sie sich hier am besten aufgehoben. Bis hierhin ist Sandra jedoch nicht zu hundert Prozent vom Glauben überzeugt. «Dann kam ein Vorfall, bei dem ich der Meinung war, Gott auf die Probe zu stellen.» Sandra ist davon überzeugt, dass die Operation am Herzen ihres Vaters durch Gottes Hand gut verlaufen ist. Seit dem Moment, als der Arzt ihr mitgeteilt hat, alles sei gut und ohne Komplikationen verlaufen, hat sich ihr Glaube auf eine sehr intensive Art gefestigt. «Das war für mich der Beweis, dass es Gott wirklich gibt. Seit dem Tag, an dem die Operation so gelaufen ist, wie sie ist, glaube ich an Gott! Ab diesem Tag habe ich mir gedacht: Jetzt erst recht!»

Seit dem Tag der Operation hat sich für Sandra vieles verändert. Auch wenn die meisten ihrer Freunde zu ihr stehen, gibt es Menschen, die sich wegen ihres Glaubens von ihr abgewandt haben. Sandra hat das in ihrem Glauben nur bestärkt. Am 19. April 2014 wurde Sandra in einer katholischen Kirche offiziell getauft. Neben ihrem Job hat sie ein Fernstudium begonnen: Sie studiert Theologie. 43 / polyton / Erwiesener Glaube




WAHRE LÜGEN Graz

/ Schwer auffindbar / Anarcho-Kommunist / Fernsehen lügt / Gefängnis


Text Kathrin Hirmer Bild SWR  •  Südwestrundfunk

E


Er ist nicht leicht zu finden. Reist viel durch die Welt, wohnt an mehreren Orten zugleich. Er bezeichnet sich selbst als Anarchist und Kommunist, hat keine Webseite, kein Facebook und kein Whatsapp. Die Kontaktaufnahme mit ihm läuft über Umwege. Zum Treffen kommt es schließlich in einer kleinen Pension am Grazer Stadtrand. Draußen Nebel und Eiseskälte. Drinnen spielt ein lokaler Radiosender Weihnachtsmusik. Im Frühstücksraum riecht es nach Kaffee–Klischees, die so gar nicht zu dem Mann passen wollen, der an der Rezeption wartet: Michael Born.

Gleich zu Beginn wechselt er wie selbstverständlich zum Du. Er geht ungezwungen mit anderen Menschen um und erzählt offen aus seinem Leben; einem Leben, das teilweise so unglaublich und abenteuerlich klingt, dass man sich immer wieder fragt, ob alles, was er beschreibt, auch wirklich so passiert ist. Ihn der Täuschung zu beschuldigen, liegt nahe: In den Neunzigerjahren sorgte der heute Sechzigjährige mit unzähligen spektakulären Fernsehdokumentationen in ganz Deutschland für Aufsehen. Allerdings stellten sich die Geschichten als erfunden heraus. Über dreißig Filme hatte er gefälscht und an Fernsehsender verkauft, die meisten an Spiegel TV und Stern TV. Der Chefredakteur von Stern TV war damals Günther Jauch. Seine letzte Fälschung war ein Bericht über eine Ku-Klux-Klan-Gruppierung in Deutschland. Born hatte sich dafür eine verlassene Gruft ausgesucht; dort trafen sich vermeintliche Ku-KluxKlan-Mitglieder in weißen Kutten, skandierten Parolen und steckten ein Holzkreuz in Brand.

48 / unterton / Wahre Lügen


Deine letzte gefälschte Dokumentation war der Film über den Ku-Klux-Klan. War er der Grund, warum du am Ende aufgeflogen bist? Ku-Klux-Klan war ein Teil. Wir hatten bei jeder Fälschung denselben Hauptdarsteller: Peter. Peter war eigentlich immer bei allem dabei. Wir haben Peter eingesetzt als Drogenkurier von Caracas nach Frankfurt. Eine von Borns gefälschten Dokumentationen handelt von einer angeblichen Schmuggelroute für Drogen zwischen Caracas und Frankfurt. Der Film hat eine Menge Wirbel gemacht. Das Drogendezernat hat natürlich nicht die Füße ruhig gehalten. Mich konnten sie nicht angehen, ich hab als Journalist das Recht die Aussage zu verweigern. Also waren sie auf der Suche. Dann haben wir den Film Ku-Klux-Klan gemacht, Peter wieder in der Hauptrolle. Und dann kam es zu einer ganz komischen Situation. Peter wurde abgehört, weil er eine Vorstrafe hat für Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der RAF. In den 80er-Jahren. Sie haben ihn abgehört und der Typ vom Staatsschutz hörte die Stimme am Abhörband und im Ku-Klux-Klan-Teil. Er sagte sich, das klingt gleich. Aber der konnte das nicht zuordnen. Da einer, der im linksterroristischen Bereich überwacht wird, und dort eine Ku-Klux-KlanKutte – da konnte der nicht mit. Irgendwann hat der einen Kumpel besucht im Drogendezernat. Da hatten die den Film Drogenkurier Caracas. Und dann ging dem ein Licht auf. Dieselbe Stimme schon wieder: Peter – Peter – Peter. So sind wir aufgeflogen.

Was hast du gedacht, als du aufgeflogen bist? Einmal haben sie mich mitgenommen zur Polizei zum Interview. Die haben mich natürlich nach Ku-Klux-Klan gefragt. Und ich hab gesagt: der Mittelsmann? Ach ja, so mittelgroß, dunkelblonde, kurze Haare, T-Shirt, Turnschuhe und Jeans. Wie viele Millionen willst du in Deutschland da suchen? Da konnten sie mir nichts. Also mussten sie mich wieder laufen lassen. Michael Born macht eine Pause, atmet einmal tief ein und aus. Fährt sich durch seinen Bart am Kinn. Aber die blieben dran. Dann kam dieses Sprachgutachten. Es kam ein Anruf rein vom Koblenzer Polizeipräsidium: Wir haben ein Problem mit ihrem Computer. Den hatten die beschlagnahmt bei der Hausdurchsuchung. Wir können den nicht aufmachen, können Sie kommen, um uns zu helfen? Ich sag: Ich komme. Da wusste ich: Jetzt, hier ist zappenduster. Die nehmen dich hopp. Das ist ja ein Schmäh. Die können mit ihren Mitteln jeden Computer aufmachen. Da sagte meine Mama zu mir: Micha, pass auf, wir fahren durch, zack, Luxemburg, du nimmst den nächsten Flieger in Paris und ab nach Australien. Die liefern dich mit Sicherheit nicht aus. Hab ich echt zwei Minuten überlegt. Dann hab ich gesagt: Nee, Mama, wir ziehen das Ding jetzt durch.



Warum? Ich wollte das Ding einfach abschließen. Ich hab ernsthaft gedacht, dass dieser Prozess fair abläuft. Ich hab komplett aufgemacht bei der Staatsanwaltschaft. Ich hab denen alles erzählt, was ich weiß. Ich hab gesagt: Wir müssen was unternehmen. Oder ihr müsst was unternehmen. Ich hab ja schon was unternommen, jetzt müsst ihr reagieren. Das haben sie nicht getan. Born arbeitete damals als freier Journalist für mehrere Fernsehsender. Als solcher war er bei keinem Unternehmen fest angestellt, sondern übernahm selbstständig verschiedene Aufträge. In dem Prozess sagte Born aus, die Sender haben ihn zu den Fälschungen gedrängt. Beweisen konnte er es nicht. Die Sender wiederum erklärten dem Richter, sie haben nichts von dem gefälschten Filmmaterial gewusst. Günther Jauch persönlich verteidigte sich mit der Aussage, er selbst sei nicht im Schnittraum dabei gewesen. Am Ende der Gerichtsverhandlung wurde Born zu vier Jahren Haft verurteilt wegen Betrugs und Volksverhetzung. Den Sendeanstalten war keine Straftat nachzuweisen.

Borns berufliche Laufbahn beginnt weit weg von Filmen und Fälschungen. Aufgewachsen ist er in Lahnstein bei Koblenz. Seinen Vater bezeichnet er als katholischen Kommunisten, seine Mutter als australisch-jüdische Faschistin. Nach dem Abitur studiert er und wird Diplomingenieur für Seeverkehr. Born hatte nie geplant Dokumentationen fürs Fernsehen zu drehen. Er ist eher durch Zufall hineingerutscht, als er Abdullah kennenlernt, einen Libanesen. Zusammen mit ihm beginnt Born aus den Krisengebieten im Nahen Osten zu berichten.

Wann hast du das Fälschen angefangen?

Das erste Mal in Kontakt mit Fälschungen bin ich im Libanon gekommen. Ich habe eine Zeit für BBC gearbeitet. Und selbst im Libanon gab es Tage, wo echt nichts los war, also kein Arsch geschossen hat. Die riefen mich an und sagten: Wir brauchen Material aus dem Libanon. Ich sagte: Ja prima, was wollt ihr haben? Grillstände am Strand oder was? Die sagten: Nee, Weißt du, schuld daran ist eigentlich die deutsche Justiz. Wenn du als wir brauchen Action. Wenn nichts los ist, mach freier Journalist was fälschst, dem Sender verkaufst, dann bist du fällig was los. Das hab ich abgelehnt. Damals. wegen Betrugs. Für diesen Betrugsparagrafen sind zwei Dinge Voraussetzung: die Irrtumserregung und die Vermögensverfügung. Produziert der Sender selbst eine Fälschung, findet gegenüber dem Zuschauer Warum hat sich das später geändert? die Irrtumserregung statt, aber nicht die Vermögensverführung. Also rechtlich ist es nicht strafbar, wenn ein fest angestellter Redakteur und Die Fälschungen fingen an mit RTL. Ich kam aus der Sender fälschen. Der Betrug am Zuschauer ist nicht strafbar. dem Golfk rieg zurück, aus dem ersten Bush-Krieg. Direkt danach war die Flutkatastrophe in Bangladesch. Ich bin mit Humedica mit, das ist eine Aber als freier Journalist ist man dran, weil man den Hilfsorganisation aus Bayern. Wolfgang Groß ist Film verkauft. da der Chef. Er hat mich gefragt: Kommst mit? Ja, dann hab ich meine Klamotten und Kamera geDas ist völlig bescheuert. Der Richter in meinem Prozess hat zu Jauch packt und bin mit nach Bangladesch. Das war gesagt: Ich bin empört über den Umgang mit der Wahrheit in Ihrer richtig derbe. Redaktion, und das war nicht auf mich gemünzt, sondern auf die eigenen Fälschungen, die da gemacht wurden. Und er sagte dann noch: Es tut mir leid, Sie nicht anklagen zu können, weil der Betrug am Zuschauer nicht strafbar ist. Dieses Urteil war ein Freibrief für die Öffentlich-Rechtlichen und die Privaten, zu fälschen.

51 / unterton / Wahre Lügen


Inwiefern? Berge von Leichen. Ich kam mit dem Material nach Hause und hab den Film für RTL Exclusiv geschnitten. Damals war der Chefredakteur Ulrich Meyer. Der sagte zu mir: Michael, da fehlt mir dramaturgisch was, hast du nicht noch ein paar aufgedunsene Kinderleichen im Archiv? Born hält inne und lässt den Satz wirken. Er weiß, wann eine Pause seinen Worten noch mehr Gewicht verleiht. Ich hab gesagt: Okay, machen wir einen Deal – natürlich hatte ich die. Du blendest eine Kontonummer von Humedica ein und ich schneid dir die Kinderleichen rein. Ich hab gedacht, das ist ein guter Deal. Die Kinder werden nicht wieder lebendig, aber vielleicht kommt Geld zusammen. Handschlag. Das war früher üblich. Und dann haben sie sich nicht dran gehalten. Dann hab ich mich mit meiner Crew zusammengesetzt und wir haben überlegt: Jetzt bauen wir eine Welt auf, wie sie nur in ihren Köpfen existiert; in den Köpfen von komplett bürgerlichen Idioten, die in ihren Bürostühlen sitzen und eine Welt aufbauen, wie sie sie brauchen. Das haben wir nicht immer durchgehalten. Wir haben über die Jahre eigentlich immer wieder Krieg gemacht – man muss von was leben. Diese Fälschungen haben mehr gekostet, als wenn wir irgendwo in den Krieg gefahren sind. Klar, da fährst du hin, drehst, fährst nach Hause. So baust du ein ganzes Theater auf.

52 / unterton / Wahre Lügen

Borns wohl bekannteste Fälschung ist eine Reportage über Krötenlecker. Der Film sorgte für Aufsehen. Das Krötenlecken wurde sogar in eine Folge der Simpsons eingebaut. In dem Dokumentarfi lm berichtet er über einen Menschen, der abhängig ist vom Lecken an einer Kröte. Die Geschichte ist erfunden, fußt aber auf wissenschaftlichen Fakten. Born meint, es sei wichtig, bei jeder Fälschung auch einen Funken Wahrheit einzubauen. Die Kröte aus Borns Film produziert tatsächlich einen halluzinogen wirkenden Stoff. Allerdings in zu geringen Mengen, um davon abhängig zu werden.

Warum hast du die Filme gefälscht? Wir wollten das alles ad absurdum führen. Wir sind ziemlich politische Menschen, meine ganze Crew. Wir haben natürlich auch politische Interessen verfolgt und Fernsehsender sind immer staatstragend. Das heißt, wenn ich einem Fernsehzuschauer etwas raten sollte, dann ist das: Guck dir die Tagesthemen ruhig an, aber guck auch Russia Today an. Im Zweiten Weltkrieg war das so: Die Deutschen haben das deutsche Radio gehört und BBC war verboten. Feindsender hören und gucken, wie denken die darüber? Und dann dieses Märchen: Wir haben unsere Leute an der Front. Niemals. Das geht alleine aus versicherungstechnischen Gründen nicht. Die Sender dürfen niemanden an die Front schicken. Die Reporter, die du siehst, stehen zwischen ein paar Ruinen und hinten hörst du, buff, ein paar Granaten einschlagen, aber an der Front sind die nie. Die kaufen dieses Material von freien Journalisten auf oder von irgendwelchen Leuten, die mit dem Handy durch die Gegend rennen. Und das ist alles nicht verifizierbar, dieses Material.


Also wolltet ihr zeigen, wie eingeschränkt die Berichterstattung im Fernsehen ist? Die letzte Grenze war dann die totalste. Wir haben in einem Film, Wilhelm kam zu uns, einen Geist auftreten lassen. Das haben die gefressen. Wilhelm, der Geist ist ein weiterer Dokumentarfi lm, der vollkommen Borns Fantasie entsprungen ist. Er zeigt darin mehrere Geisterbeschwörer, denen es schließlich tatsächlich gelingt, Wilhelm, den Geist erscheinen zu lassen. Das Filmmaterial wurde von Stern TV damals für authentisch gehalten. Aber zum Schluss haben wir uns echt einen Knaller einfallen lassen: Wir haben ja gemerkt, dass die uns alles aus der Hand fressen. Wir haben uns gedacht, jetzt drücken wir ihnen noch richtig einen rein – Jauch halt eben. Ich hab denen erzählt: Die Russen sind ’89 schon bemannt auf dem Mars gelandet. So ein Schrott. Dann sagte Jauch zu mir: Ja, das musst du irgendwie beweisen können. Ich sag: Hör mal, natürlich, ich besorg das Filmmaterial. Dann hab ich mir russisches Filmmaterial besorgt – das muss ja alles dicht sein – und eine russische Kamera. Hab mir schon in der Nähe von Koblenz eine Kiesgrube ausgesucht, wo ich das drehe. Dann haben die Handschellen geklickt. Schade. Borns Augen blitzen frech auf, als er von seinem letzten misslungenen Coup erzählt. Es ist ihm anzusehen, welch ein Spaß es für ihn gewesen sein muss, die Sender an der Nase herumzuführen und immer wieder damit durchzukommen. Stell dir vor, das hochplatzenzulassen. Das wär der Gag gewesen. Günther kommt ins Studio und sagt: Die Russen sind auf dem Mars gelandet, schon ’89. Das wär’s gewesen.

Wie bist du zu den Ideen für deine gefälschten Filme gekommen? Es hat mich in der Regel schon eine Kiste Rotwein gekostet. Wir sind dann auf der Terrasse hin und her gelaufen. Du kannst dir das nicht so einfach vorstellen. Benetton hat doch mal so eine Serie gemacht und irgendwelche Elendsbilder gezeigt. Die hängen ein Plakat aus von einem erschossenen kroatischen Soldaten und seiner blutigen Uniform und Stern TV hat uns losgeschickt, wir sollen seine Eltern suchen. Dann sind wir nach Bosnien, mitten in den scheiß Krieg, haben die Eltern gefunden und die waren stolz darauf. Alles ausgeblendet. Hat sich kein Arsch für interessiert, nein, das war der Antikriegsheld. Da hast du irgendwann so die Schnauze voll.


Aber was ihr gefälscht habt, war ja nicht immer politisch. Humoristisch. Wir haben denen immer, wenn wir so ein dickes Ding hatten, eins reingenagelt, wie die Krötenlecker oder Wilhelm, den Geist. Ikea war nochmal was anderes. Da ging es um was ganz anderes.

Worum ging es bei Ikea? Ich bin Teppichsammler. Ich bin bei Ikea durchgelaufen und als Teppichsammler gehst du immer in die Teppichabteilung. Und ich sah da Teppiche für einen Preis, für den Preis kann die kein Arsch herstellen. Das ist so außer der Reihe, das geht gar nicht. Dann hab ich mir die Dinger näher angeguckt. Da fiel mir ein Webteppich auf für 19 Euro und ein paar Zerquetschte. Das war Handarbeit, da war ich mir sicher. Ich hab mir den Teppich angeguckt und dann hab ich mir gedacht: Okay, irgendwas ist hier faul in dem Laden Schweden. Ich hab mir noch andere Teppiche angeguckt. Das war meistens indische Ware und dann hab ich in Indien angerufen, die Gewerkschaft für Kindersklaven. Da war jemand am Telefon, der hieß Kailash Satyarthi. Ich sag: Hören Sie mal, mir fallen hier Sachen bei Ikea auf. Und er sagt: Ich recherchier mal, kommen Sie runter. Gut, dann sind wir nach Neu-Delhi geflogen und haben uns mit dem getroffen. Der hatte mittlerweile rausbekommen, dass die von einer Firma kommen in Panipat, nördlich von Delhi. Jetzt mussten wir nur noch dingfest machen, dass da Kinderarbeit im Spiel ist. Ich hab mich als deutscher Teppichimporteur ausgegeben, bin in diese Firma rein und hab da mit gekippter Kamera gefi lmt. Ich habe da so einen Pilotenkoffer, da war eine Kamera eingebaut – hat funktioniert. Die haben mir gesagt: Ja, wir können die Zahlen ein bisschen abändern, das geht schon mit der Produktion. Ich hab niemanden da drin in der Firma arbeiten sehen an Teppichen.

54 / unterton / Wahre Lügen

Dann stellte sich heraus, dass sie die Aufträge vergeben an kleine Subunternehmer. Wir haben uns auf die Lauer gelegt: vorn ein Eselkarren dran, wir hinten drin und haben gefilmt. Wo kommen die her? Da kamen ständig irgendwelche Leute und haben Teppiche gebracht. Und dann haben wir die Linien einfach mal verfolgt, das hat Tage gedauert. Gut, dann hatten wir einen, wir hatten genau den. Wir hatten die Kamera wieder in den Koffer eingebaut und sind da rein als deutsche Teppichimporteure. Wir haben die Kinder gefilmt beim Arbeiten und wir gehen raus und die scheiß Kamera hat nicht gearbeitet. Selbst nach Jahren merkt man ihm beim Erzählen den Ärger darüber noch an. Er schüttelt den Kopf, als könne er es nicht fassen.


Ich hab mir gedacht: Nee, zweimal kannst da nicht rein, was machen wir jetzt? Ich bin zu Kailash und dann haben wir gemeinsam beschlossen in dem muslimischen Viertel von Neu-Delhi eine Manufaktur anzumieten, Kinder von der Straße zu holen und die hinter die Webstühle zu stecken. Jetzt fehlte uns nur noch dieser scheiß Teppich von Ikea. Ich hab meine Mutter angerufen und die hat mit Express per Luft den Teppich, den ich brauchte, nach Indien geschickt. Kannst du dir vorstellen, wie mich die indischen Zöllner angeguckt haben? Ich importiere indische Teppichwaren nach Indien. Die haben überhaupt nicht begriffen, was ich wollte – war mir auch scheißegal. Jedenfalls hab ich den Teppich da in die Webstühle gespannt. Die Kinder – das war echt Entwicklungshilfe: Wir haben fünf Kinder von der Straße geholt, die wussten überhaupt nicht, was sie da machen sollten mit Teppichen, die fertig waren. Da waren schon die Fransen dran. Die hatten wir eingespannt. Wir haben für den Dreh mehr bezahlt, als ein indischer Staatsbeamter im Jahr verdient, das haben die in zehn Minuten verdient. Das ist so durchgegangen. Die Nummer war für Ikea echt hart.

Als der Pressesprecher von Ikea den Film sah, kündigte er dem indischen Teppichproduzenten. Kailash Satyarthi, Borns Kontaktmann in Indien, bekam 2014 zusammen mit Malala Yousafzai den Friedensnobelpreis für seinen Kampf gegen Kinderarbeit.

Hattest du bei deinen Fälschungen nie ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Zuschauer? Doch. Ich hab eigentlich, wenn ich da ehrlich sein soll, an die Zuschauer am Anfang weniger gedacht. Als mir bewusst geworden ist, was wir da gemacht haben, hab ich nicht mehr an die Sender gedacht. Sondern ich hab gedacht: Wenn du irgendwas bereust, dann ist das der Betrug am Zuschauer. Der ist tagtäglich. Ich bereute, dass die Zuschauer das geglaubt haben. Aber gegenüber den Sendern – keine Gnade.


Jetzt, im Nachhinein, würdest du die Filme wieder fälschen? Eine ganze Zeit lang sagt Born nichts. Er denkt über die Frage nach. Es scheint, als würde ihn die Antwort selbst interessieren. Da rauch ich jetzt erst mal eine Zigarette. Er zieht eine aus der Schachtel und hebt sie sich an den Mund, hält inne und seufzt. Dann lässt er die Zigarette sinken. Ich weiß es nicht. Er redet leise. Wieder eine Pause.

Ich glaube, wenn ich es für vernünftig halte, Dinge nachzustellen, die man nicht filmen kann, und das in einem Konsens ist, der den Menschen dient, dann ja. Wenn nicht, dann nicht.

Also solche Spaßsachen wie die Krötenlecker würdest du nicht noch einmal machen? Da nagel ich mich nicht fest drauf. Für mich ist eigentlich als Anarcho-Kommunist wichtig, was es den Menschen nützt und wie es ihnen schadet. Ich glaub, ich würde jederzeit eine Fälschung machen, wenn ich damit was erreiche, was den Menschen nützt. Geld hat mich bei den Nummern nie interessiert. Mich hat interessiert, ja eigent lich die komplette Überschätzung, die Welt zu verändern. Was einem natürlich nicht gelingt, aber wenn du auf so einem Hype bist, dann glaubst du, du könntest eventuell die Welt verändern. Oder bestimmte Dinge verändern. Mit dem PKK-Bomben-Film, da haben wir die Türkei zwei Jahre plattgelegt.


1994 erfährt Born von einem geplanten Anschlag der Kurden auf türkische Urlaubsresorts. Um davor zu warnen, nutzt Born seine übliche Methode: Er fälscht einen Film, in dem vermeintliche kurdische Kämpfer eine Bombe bauen und die Anschlagsziele bekannt geben. Tatsächlich fi ndet der Anschlag genau so statt, wie in Borns Film geschildert. Nur sendet das deutsche Fernsehen den Film erst einen Tag nach dem Anschlag. Die Türkei war dementsprechend sauer, nicht gewarnt worden zu sein. Zwei Jahre war der Tourismus am Arsch. Mit dem haben die den Krieg gegen die Kurden in der Osttürkei finanziert. Die Kohle war weg. Dass dann die Bundesregierung den Türken die Kohle gibt, um türkische Dörfer zu bombardieren – hätte ich jetzt noch die Bundesregierung am Arsch kriegen sollen? Obwohl, nee, ich hab da schon drüber nachgedacht. Das wäre schon eine Möglichkeit gewesen. Er grinst, scheint im Kopf zu haben, wie er das damals hätte bewerkstelligen können. Es entsteht der Eindruck, als habe er sich immer schwere Gegner gesucht, um sein Können so lange zu messen, bis er irgendwann einmal auffl iegen würde.

Hat Günther Jauch damals während des Prozesses einen Fehler bei sich selbst gesehen? Günther? Günther hatte bei uns einen Namen und den trug die Drogenkröte auch: Güntheli. Ich hab selten einen so ungebildeten Menschen kennengelernt.

Er hat sämtliche Schuld von sich gewiesen? Natürlich. Verstehe ich auch. Ich hab auch die Redakteure von Stern TV verstanden, die gesagt haben: Wir wissen von nichts. Deren Existenz hing davon ab. Irgendeiner muss reif sein. Das war ich dann halt eben. Der damalige Pressesprecher von Stern TV, Thomas Pritzl, arbeitet heute für die UNO. Der hat sechzehn Jahre später eine Erklärung an Eides statt abgegeben, dass ich den Auftrag zum Fälschen bekommen hab, aus der Chefredaktion, von Jauch und von Zaik. Wäre das eine falsche eidesstattliche Versicherung, würde er für drei Jahre in den Knast wandern. Das macht niemand einfach so. Ich hab zu ihm gesagt: Du Arschloch, hättest du bei meinem Prozess ausgesagt, dass die mich aufgefordert haben, die Ku-Klux-Klan-Kutten zu nähen. Ich kam damit ja nicht durch, das hat mir der Richter natürlich nicht geglaubt. Er hat das bestätigt in der eidesstattlichen Versicherung. Ich hab zu ihm gesagt: Hättest du das im Prozess ausgesagt, dann wäre ich nach Hause gegangen. Und er sagt: Nee, ich war gebunden an den Vertrag, dass ich nicht reden durfte über Interna in der Redaktion.

Bringt dir das jetzt noch was?

Das Wiederaufnahmeverfahren hat Michael Born nicht erlebt: Er starb am 4. März 2019 im österreichischen Graz an den Folgen einer Lungenentzündung.

Der Rest ist mir egal, aber das mit der Volksverhetzung, ich bin ein kommunistischer Anarchist, das lass ich nicht auf mir sitzen.

Also willst du das Urteil anfechten? Ich geh in ein Wiederaufnahmeverfahren. Na klar. Die lass ich doch nicht so davonkommen.

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Beton

Ein halbes Leben blind, erblickt er plötzlich das Licht; befreit aus der Unwissenheit, eröffnet sich ihm eine neue Welt: eine Welt voller Energie, die mehr Schein ist als Sein. Doch Schmitz erkennt sie, die Wahrheit hinter der Lüge — Versklavung, Unterdrückung, Ausreiseverbot. Man will ihn einsperren, ein Exempel. Er flieht und zieht in den Krieg. Schusswechsel, Tooor! Die Menge jubelt, siegreich betritt er die Bühne, bereit, seine goldene Unterschrift auf purpurnes Pergament zu setzen. Er weiß: Bald ist es vorbei. Langsam schwindet sein prächtiges Licht. Wie soll es enden? Asche? Sarg? Eingehüllt in purpurnem Samt? Lesen!


60 64 76 82

Atelier

Weite Heimat Geschredderte Pässe

Container

Liebe um jeden Preis Frauen hinter Fenstern

Bewegte Frauen Wer übernimmt die Care-Arbeit? Detail

Extravagante Wurzeln Purpurnes Gemüse

Duftwelten

Geruch von frischen Büchern

Farbe bekennen

Zwischen Leben und Tod Kriegstrauma

Zwischen Leben und Code Märtyrer für Bits und Bytes Zeugnis ablegen Religion und Ideologie

112 116

In Reih’ und Glied Outen in der Truppe Kurios

Wie man sich bettet Kultur des Tieferlegens

Seelenfamilie Porträt

Sensible Geschöpfe

Der letzte Kick

Fußballer mit Nagellack

Zwischen Materie und Geist Energietechnik

130

Aus dem Sinn Szenario

Leben ohne Augenlicht

Bindende Kostbarkeit Hochzeit in Purpur

Anziehendes Scheusal Modezar auf dem Thron

Stereoton 96

Pfad der Qual

Facetten von Gewalt


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Lara Ziyad gilt als staatenlos. Sie stammt aus Palästina und musste schon als Kind oft umziehen. Sie hat in Saudi-Arabien, im Libanon, in Syrien und in Jordanien gelebt. Seit zwei Jahren lebt sie mit ihrer Tochter in Berlin. Hier hat sie ein kleines Atelier. Lara Ziyad will mit ihrer künstlerischen Arbeit herausfinden, was für sie Heimat

Weite Heimat

bedeutet.


ausreisen — ohne Begründung. Eine Anwältin unterstützte sie letztendlich dabei nach Berlin zu kommen, um den Master in Kunst zu absolvieren.

Illustration Vera Kaltenecker

Sieben Jahre lang durfte sie nicht

Text Anna Mitscha

Es sind die Skylines von Ramallah und Berlin: Sie stellt die Silhouette ihrer Heimatstädte dar aus ihren zerstörten Ausweisdokumenten. Ihr zerrissenes Heimatgefühl spürt man auch in ihrer Performance. Dokumente beeinflussen ihr ganzes Leben. Deswegen bedeckt sie den Raum um sich mit geschredderten Kopien ihrer Dokumente. Sie platziert sich mit Scanner und Aktenvernichter in der Mitte des Raumes. Jeder Besucher ist eingeladen, Was verschlägt Sie nach Deutschland, seine eigenen Dokumen- so weit weg von Ihrer Heimat? te zu schreddern. Für Mein Plan ist jetzt: Ich bewerbe mich an der sie ist Kunst ein Schritt Akademie, um meinen Master abzuschließen. Den in die Freiheit. Bachelor habe ich in Architektur gemacht. Von Beginn an wollte ich Kunst studieren. Mein Pech war, dass ich einen guten Durchschnitt in der Schule hatte. Mein Vater sagte mir: Architektur ist Kunst, das kannst du machen. Ich habe sechs Jahre studiert und zehn Jahre gearbeitet, also habe ich sechzehn Jahre etwas gemacht, was ich überhaupt nicht wollte. Schließlich entschied ich mich ein Kunststudium zu beginnen. Ich konnte Palästina nicht verlassen, weil ich ein Reiseverbot hatte.


Was bedeutet Heimat für Sie? Es ist ein bisschen kompliziert, weil meine Gefühle kompliziert sind. In Berlin fühle ich mich zu Hause. Hier habe ich zum ersten Mal gefühlt, dass ich wirklich das tun kann, was ich möchte. Aber im gleichen Moment erinnere ich mich, dass ich emotionale Dinge vermisse. Ich kann nicht sagen, dass ich hier unglücklich bin. In Berlin habe ich mich das erste Mal sicher und frei gefühlt. Das ist vorher nie so gewesen. Manchmal meint man, man vermisst die Sorgen. Heimat bedeutet für jeden etwas anderes. Das Gefühl angekommen zu sein, hatte sie nicht immer. Ziyad hatte in ihrem Leben sehr viele Ausweisdokumente. Allein, um die Grenze zwischen den palästinensischen Gebieten und Israel zu überqueren, gibt es drei verschiedene Papiere. Ziyad wurde in Riad in SaudiArabien geboren, dort erhielt sie einen ägyptischen Pass. Später bekam sie noch einen syrischen, jemenitischen und saudi-arabischen Pass, aber nie eine Staatsbürgerschaft. Als sie 1996 mit ihren Eltern nach Palästina zog, erhielt sie einen palästinensischen Pass. Damit konnte sie nicht ausreisen.


Wie empfinden Sie das Leben in Deutschland? Das ist ein großer Unterschied. Mein Freund ist Deutscher. Ich habe zu ihm gesagt: Ich kann dir nicht erklären, was für ein glücklicher Mensch du bist. Das Leben hier ist sehr leicht. Dinge, über die wir uns Sorgen machen, Welche Nationalität haben Sie? sind wie ein Traum. Zum Beispiel sorgen Sie sagten, Palästina sei ein wir uns um den Sommerurlaub. Auf der Staat und wir bekämen einen anderen Seite sehe ich, dass in Palästina Ausweis. Aber die Realität ist, Menschen in vielen Situationen leiden. Du dass es keinen Staat gibt. Wir wachst auf und du bist bereit zu kämpfen. sind noch immer unter BesatNur ein Minimum an gutem Leben ist in zung. Tief in mir weiß ich, dass meinem Land verfügbar. Jetzt werde ich ich Palästinenserin bin. Ich mich um etwas ganz anderes sorgen. Aber spreche wie eine Palästinenseweil ich die Möglichkeit habe, diese bei- rin, ich koche wie eine Palästiden Leben kennenzulernen, weiß ich, wie nenserin und ich lebe hier wie schön es hier ist. eine Palästinenserin. Deswegen warte ich nicht darauf, bis jemand entscheidet, ob ich Palästinenserin bin oder nicht. Mit ihrer Performance

kritisiert sie das Nationalitätsdenken und Passsystem. Als Deutscher kann man mehr als 100 Länder ohne Visum bereisen, während man als Palästinenserin gar kein Visum erhält. Ziyad bezeichnet das System als rassistisch. Es schränke die Bewegungsfreiheit von Menschen ein. Identität werde nur über die Herkunft definiert.

Politik ist auf jeden Fall wichtig für mich, ich bin davon abhängig

Machen Sie aus politischen Gründen Kunst? Mein Leben ist verwickelt und vermischt mit politischen Themen. Ich habe keine Wahl. Palästina ist unter Besatzung. Politik ist auf jeden Fall wichtig für mich, weil ich davon abhängig bin. Es beeinflusst meine Gefühle und meine Kunst repräsentiert mein Innerstes. An welchem Projekt arbeiten Sie zurzeit? Mein nächstes Projekt ist eine Arbeit über meine Gefühle. Ich liebe Deutschland, ich liebe Berlin. Aber ich bin immer noch eine Palästinenserin. Ich möchte Berlin und Ramallah verbinden. Ich versuche meine Traumstadt zu kreieren. Ich erschaffe meine Stadt mit Dingen, die mich an mein Land erinnern.

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Liebe um jeden Preis

Sie treffen sich am Wochenende gerne auf einen Kaffee. Die 20 jungen Frauen verstehen sich privat sehr gut. Gemeinsam repräsentieren sie Amsterdamliebe. «Die Gemeinschaft ist uns sehr wichtig», meint Vera. Sie kommt ursprünglich aus Bayern und arbeitet seit knapp zwei Jahren als Stadtführerin in Amsterdam. Nach ihrem Tourismusstudium wollte sie etwas Neues entdecken und brach auf nach Amsterdam. Ursprünglich wollte sie für vier Monate dort arbeiten. Besonders gefragt ist die Tour durch das Rotlichtviertel.


Illustration Vera Kaltenecker Text Sophie Badura

Was ist Amsterdamliebe? Das Unternehmen wurde 2015 von Theresa Huber aus München gegründet. Mittlerweile arbeiten dort mit mir 19 andere junge Frauen. Wir bieten die unterschiedlichsten Führungen durch die Stadt an: von Food-Touren bis hin zu Führungen durch das jüdische Waren Sie schon immer Viertel. Wir stehen zusammen von der Geschichte Amsterdams begeistert? für das Projekt und teilen die Geschichte war nie so wirklich mein SteBegeisterung, den Besuchern ckenpferd, doch durch meine Leidenschaft zu unser Amsterdam zu zeigen. Amsterdam wurde die Geschichte für mich erlebbar. Der Beruf war zunächst für vier Monate als Saisonarbeit ausgeschrieben. Damals ging es vor allem um die RotlichtTouren, die die meisten Menschen anziehen. Bei denen sind auch weit mehr Frauen als Männer vertreten.



In Amsterdam beobachten die Behörden momentan 40 Frauen, die unter Verdacht stehen, durch Menschenhandel zur Prostitution gezwungen zu werden. Andere Quellen beziffern die Zahl der Frauen, die zur Sexarbeit genötigt werden, auf über 80 Prozent. Das Besondere hier sind die Loverboys, die Partner der Damen. Sie schüchtern die Frauen ein und drängen sie zur Arbeit. Aus Angst vor ihnen gehen sie nicht zur Polizei.

Macht es einen Unterschied, wenn mehr Frauen an den Führungen teilnehmen? Die Frauen gehen viel differenzierter an die Thematik der Sexarbeit heran als die Männer. Das Kritische soll in unseren Führungen auch klar rüberkommen. Denn das sind wir den Damen schuldig: Wenn wir da durchgehen, müssen wir ihnen erklären, was im Viertel genau los ist. Das Viertel ist manchmal nur Steht der Stadtteil nur für schwer zu ertragen. Manche haben Feminismus oder Unmoral? aufgehört, weil sie die Umstände Dem Feminismus tut schon weh, dass eine dort nicht länger ertragen haben. Frau dort ihren Körper verkaufen muss. Keine andere Tour beschäftigt uns Alice Schwarzer ist absolut gegen die so viel wie die Rotlicht-Tour. Das Sexarbeit, die man eigentlich auch nicht Viertel hat eine ganz eigene Dynawill. An der Arbeit der Frauen selbst ist mik. Wir haben unseren Frieden nichts unmoralisch. Das Geschäft gibt es damit geschlossen, dass wir daschon, seit es die Menschheit gibt. Es rüber sprechen und das Thema krizählt zu den ältesten Dienstleistungen. tisch beleuchten. Das Verwerfliche daran ist, dass überhaupt jemand seinen Körper verkaufen Was wünschen Sie dem muss, weil er in einer Notsituation ist. Viertel für die Zukunft? Im Rotlichtviertel speziell müsUnd das tut wiederum aus feministischer sen die Regeln einfach besser einSicht weh. Unmoralisch ist, unter wel- gehalten werden, damit man das chen Umständen die Damen dort landen. Viertel bändigt. Beispielsweise Ich kann die Damen, die sich bewusst das strenge Alkoholverbot. Etwas dafür entschieden haben, an einer Hand gegen die ganzen Ströme an Touabzählen. Daher lässt sich der Feminis- risten zu tun, ist vielleicht noch mus in dieser Hinsicht nicht von der Un- ein weiteres Anliegen. Allerdings moral trennen. Sexarbeit an sich wird darf man nie vergessen, dass aber immer Teil der Menschheit bleiben. dadurch viel Geld in die Stadt Auch wir Guides haben manchmal unsere kommt. Davon lebt das kulturelle Schwierigkeiten. Angebot. Man muss die Massen etwas kanalisieren und versuchen sie aus dem Zentrum zu ziehen.

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Die Frauen sehen ihre Arbeit als eine ganz normale Tätigkeit. Wenn man jedoch eine Acht-Stunden-Schicht hat, will man ein Privatleben haben. «Wir wissen, dass es im Viertel nicht um Liebe geht, aber Liebe braucht der Mensch», merkt Vera nebenbei an.

Es ging schon mal in die richtige Richtung, als die Stadt die Genehmigungen für uns Guides eingeführt hat. Dabei wird unter anderem geregelt, dass wir bis 23 Uhr das Viertel verlassen müssen oder die Gruppen nicht größer als 20 Personen sein sollen. Außer- Die Frauen müssen mindestens 21 Jahre alt dem, dass die Besucher der Füh- sein, um dort zu arbeiten. Seitens der Berungen mich anschauen und nicht hörden soll das Alter nicht weiter gesenkt die Damen im Viertel. Das finde werden, um den Weg in die Illegalität nicht ich sehr sinnvoll, da das dem voranzutreiben. Eine weitere Anforderung Schutz der Damen dient. ist die EU-Staatsbürgerschaft, damit das EU-Arbeitsrecht greift. Das ist die GrundDas erzeugt trotzdem Hass, so- lage für den Gewerbeschein, den man auch wohl bei den Damen, die sich als Sexarbeiterin für einen Eintrag in die nicht als ganz ernst genommen Handelskammer braucht. fühlen, als auch bei den Anwohnern, deren Lebensqualität durch Wer hat die Macht im Viertel: den Massentourismus schon deut- die Stadt oder doch die Damen? lich eingeschränkt ist. Es sollte Die Stadt versucht die Macht zu haben. Sind mehr Einvernehmen geben. es die Damen? Sie versuchen es zumindest. Dem entgegensetzen kann man aber, dass man den legalen Arbeitsweg eingeschränkt hat, indem man schon einige Fenster geschlossen hat. Nur weil man das Viertel kleiner macht, wird die Nachfrage nicht unbedingt weniger. Die, die hinter den Damen stehen, haben hoffentlich nicht die Macht. Aber ich würde es so sehen, dass es einen gewissen Ausgleich zwischen den Damen und der Anwohnergemeinde gibt.

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Die, die hinter den Damen stehen, haben hoffentlich nicht die Macht

Die Stadt kämpft dafür, dass Maßnahmen durchgesetzt werden, trotzdem stecken Geldwäsche und Illegales dahinter. Und auch das europaweite Netzwerk des Menschenhandels kann man als einen Strippenzieher sehen. Dadurch wird das Ganze eben zu genau diesem Sumpf. Es ziehen immer mehrere an einem Strang. Illegalität gehört immer dazu. Auch wenn das in Amsterdam so legal scheint, kann man das trotzdem nicht ganz abstellen. Es bewegt sich alles in einer Grauzone. Die Entscheidungen in den nächsten Monaten und Jahren werden zeigen, wie sich das Rotlichtviertel weiter verändert und wie sich die Machtverhältnisse verschieben. Es wird ein spannender Prozess sein, bei dem es sicher auch Verlierer geben wird. Ich hoffe, dass das nicht die Damen sein werden.


Bewegte Frauen 70 / beton


Dr. Antje Schrupp beschäftigt sich als Politikwissenschaftlerin und Journalistin mit Feminismus und Gleichberechtigung. Zu diesen Themen ist sie über die Ansichten italienischer Feministinnen gekommen. In ihrer Promotion analysierte sie die politische Ideengeschichte von Frauen in der Ersten Internationalen. Am 1. Juli 1958 trat das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts in Kraft. Doch bis heute werden Frauen benachteiligt.

Text Jennifer Schnell

Wie lässt sich die Entwicklung der Gleichberechtigung in Zahlen ausdrücken? Was die ganz formale Gleichberechtigung angeht, so haben wir das in Europa größtenteils erreicht. Aber das heißt natürlich nicht, dass Chancen und Möglichkeiten für Frauen und Männer auch tatsächlich dieselben sind. Denn wir haben eine Welt, die sehr nach männlichen Maßstäben entwickelt Brauchen wir Feminismus ist. Nehmen wir zum Beispiel das Parlament: heutzutage überhaupt noch? Parlamente wurden ursprünglich exklusiv für Ja, das kommt darauf an, ob man die Männer erfunden, Frauen erst vor hundert Freiheit der Frauen wichtig findet Jahren überhaupt zugelassen — nachträglich. oder nicht. Wenn man sie nicht wichtig Diese Zulassung hat ja nichts an der Art des findet, brauchen wir natürlich keinen Parlaments geändert. Wenn man gleichbe- Feminismus. Ich persönlich brauche rechtigt ein Spiel mitspielen darf, das Feminismus, weil ich es skandalös finaber das Spiel anderer Leute ist, ist das de, in einer Welt leben zu sollen, die zwar formal gleichberechtigt, aber viel- von Männern für Männer nach deren leicht gar nicht das, was man wollte. Vorstellungen und Wünschen entwickelt Vielleicht wollte man ja ein ganz ande- und gestaltet wurde. Diese Männer res Spiel spielen. haben den Frauen, also mir, eine bestimmte Position zugewiesen, mit der ich mich jetzt zufriedengeben soll. Ich will eine Welt, in der Männer meine Wünsche als Frau für wichtig halten — egal ob sie mit ihren eigenen Wünschen übereinstimmen oder nicht. Und wenn ich so eine Welt haben will, muss ich Feministin sein, weil die Welt eben noch nicht so ist. Ich muss die Welt verändern und dieser Prozess heißt dann nun einmal Feminismus.

Illustration Alisa Friedl

Was bedeutet für Sie Feminismus? Um Feministin oder Feminist zu sein, muss man meiner Meinung nach zwei Bedingungen erfüllen: Einmal muss man die Geschlechterdifferenz für eine wichtige Analysekategorie halten. Sie ist zentral konstituierend für unsere kulturelle Produktion. Und das andere ist: Feminismus bedeutet, dass die Freiheit von Frauen ein Zweck für sich ist und kein Mittel zum Zweck. Frauen sind frei und das ist nicht diskutierbar, verhandelbar oder infrage zu stellen.


Reduziert Feminismus nur auf das Geschlecht? Was heißt denn, «nur» auf das Geschlecht? Frauen sind ja Menschen und deshalb kann man auch über die Frauen nicht reden, das ist keine sinnvolle Kategorie — außer im Vergleich zu den Männern oder Nicht-Frauen. Ich finde, statt über Frauen sollten wir mehr über Männer reden. Historisch betrachtet, haben die alten weißen Männer, um es mal so zu sagen, beansprucht, alles zu dominieren. Sie haben Gott für sich erfunden, der angeblich so aussehen soll wie sie selbst; Gott wird ja oft als alter weißer Mann dargestellt. Rein numerisch sind sie überall im öffentlichen Bereich in der Mehrzahl, egal ob man Philosophie, Theologie oder Kultur liest, liest man immer nur von ihnen. Simone de Beauvoir hat ihr Buch «Das andere Meinen Männer, Frauen und Männer Geschlecht» deshalb so genannt. Sie hat ge- leben in Deutschland bereits zeigt, dass Frauen das zweite, das abgewer- vollkommen gleichberechtigt? tete Geschlecht sind. Das ist falsch, und das Wer das Problem nicht erlebt, kann es will ich nicht so haben. selber wahrscheinlich auch nicht sehen. Männer brauchen eine größere intellektuelle Anstrengung, um zu verstehen, wo das Problem ist, denn in ihren Augen sind sie ja normal und haben das Problem nicht. Es gibt natürlich auch viele Frauen, die sagen: Für uns reicht diese Gleichberechtigung und wir wollen nicht mehr über Geschlecht sprechen. Es ist ja möglich, sich so einem männlichen Ideal einfach anzupassen, indem man zum Beispiel ebenfalls keine Kinder bekommt oder die Care-Arbeit outsourced. In diesem Fall kriegt man ja auch als Frau keine allzu großen Hürden in den Weg gelegt.


Eigentlich sollte die Welt insgesamt anders werden Also sind gleiche Rechte erst der Anfang? Ja. Einerseits ist es natürlich gut, gleiche Rechte zu haben, aber andererseits ist es auch ein bisschen gefährlich, weil das auch Dinge verschleiern kann. Carla Lonzi, eine italienische Feministin, hat mal gesagt: Die Gleichberechtigung ist heute das Gewand, mit dem sich die Unterordnung der Frauen tarnt. Das ist, finde ich, eine ziemlich kluge Beobachtung. Feminismus Was sollte sich stattdessen ändern? will ja die Welt verändern, zu einer besseren Eigentlich sollte — ausgehend von dem, Welt, also zu einer Welt, wie Frauen sie sich was Frauen sich wünschen — die Welt wünschen. Eine andere Philosophin, Luisa insgesamt anders werden und zum BeiMuraro, hat mal gesagt: Die Frauenbewegung spiel die Schere zwischen Arm und wollte die Welt verändern und dann haben sie Reich enger werden oder das Problem uns die Gleichberechtigung angeboten. Die beseitigt, dass Care-Arbeit und FürGleichberechtigung ist sozusagen das Gegen- sorgearbeit abgewertet, schlecht angebot zur revolutionären Absicht des Femi- organisiert und schlecht bezahlt wernismus, die Welt grundsätzlich zu befreien den. Das ist ja ein gesamtgesellschaftvon dieser männlichen Okkupation, von der ich liches Problem. Dass davon mehr Frauen eben gesprochen habe. Wenn wir zum Beispiel als Männer betroffen sind, weil sie über Frauenanteile in Vorständen oder Auf- diese Arbeit häufiger machen, ist ja sichtsräten diskutieren, dann gibt es viele, nicht der Kern des Problems, sondern die sagen: Wenn überall Fünfzig-Fünfzig wäre, nur das Symptom. Historisch hatten wäre die Welt ja gerecht. Aber das ist nicht wir diese zweigeteilte Aufgabenteidas, was der Feminismus will. Ziel des Femi- lung, wonach die Männer auf dem Markt nismus ist nicht, dass die Ungerechtigkeit waren und für Geld gearbeitet haben, der Welt gleichmäßig unter Frauen und Män- und die Frauen das zwar auch gemacht nern verteilt wird. Wenn etwas ungerecht haben, gleichzeitig aber vor allen Dinist, wird es ja nicht dadurch besser, dass man gen zuständig waren für die unbezahlte die Ungerechtigkeit gleichmäßig verteilt. Arbeit: also das Versorgen von bedürftigen Menschen, Kranken, Alten oder Kindern. Diese Aufteilung ist in Bewegung, die Ernährer-Ehe ist abgeschafft, Frauen sollen jetzt auch Geld verdienen. Die Frage ist aber offen, wer die Arbeit macht, die die Frauen bisher gemacht haben. Und da ist momentan ganz viel problematisch. Die Care-Arbeit wird zunehmend nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten privatisiert, was zu Qualitätsproblemen und Unzufriedenheit führt. Es ist überhaupt nicht klar, wie das weitergehen kann. Diese Diskussion ist momentan sehr wichtig zu führen. Es ist nicht möglich, dass sich auf ökonomischem Gebiet alle so verhalten wie bisher nur die Männer. Dann bricht unsere Gesellschaft auseinander.

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Wo gibt es noch am meisten Arbeit zu tun, um mehr Gleichberechtigung zu schaffen? Wahrscheinlich zurzeit im Bereich der Ökonomie. Frauen verdienen weniger als Männer — Stichwort Gender Pay Gap. Das ist sicher ein wichtiges Thema, aber ich bin da immer skeptisch. Für mich ist das zu sehr gehyped. Ich denke, dass das Problem in unserer Kultur tiefer liegt. Zum Beispiel könnte man die Bedeutung von Geld auch erst mal kritisch hinterfragen. Man könnte auch hinterfragen, warum Frauen so häufig weniger Wert auf Geld legen als Männer. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass man nicht unterscheiden kann, ob Frauen und Männer etwas sagen, weil sie selbst das wirklich wollen, oder deshalb, weil unsere Gesellschaft ihnen das konformistisch über Geschlechterrollen nahelegt. Wenn zum Beispiel eine Frau sagt, ich mache meinen Beruf, weil ich mit Menschen zu tun haben will und mir ist nicht so wichtig, dabei viel Geld zu verdienen, dann kann das entweder eine Kritik am Kapitalismus sein, es kann aber auch sein, dass sie das einfach anerzogen bekommen hat und aufgrund ihrer Erziehung denkt, Frauen dürfen keinen Wert auf Geld legen.

Da werden auch manchmal Leute angegriffen, aber so ist die Welt

Laut dem Gleichstellungsreport dauert es bis zur vollständigen Gleichstellung von Frauen und Männern noch 170 Jahre. Was halten Sie davon? Hinter solchen Prognosen steckt die Idee, dass die Freiheit der Frauen und das Verhältnis der Geschlechter früher ganz schlimm war, wie im dunklen Mittelalter, und stetig immer besser wird bis zu einer gloriosen Zukunft. Und ich bestreite dieses Narrativ. Ich glaube, dass das in Wellen verläuft und auch mal rückwärts verlaufen kann. Wir haben heute wieder politische Parteien, die Frauen entrechten wollen, die die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen infrage stellen, indem sie Abtreibung und Zugang zu Verhütungsmitteln wieder erschweren wollen und so weiter. Es geht nicht automatisch immer aufwärts.


Wie Hannah Arendt es im Bezug auf das Judentum gesagt hat: «Wenn ich als Jude angegriffen werde, muss ich mich als Jude verteidigen.» Das heißt nicht, dass sie das Judentum für besonders wichtig gehalten hat, aber die, die sie angegriffen haben, haben das zum Wichtigen gemacht.

Was sind die nächsten Schritte, die in Sachen Gleichberechtigung gegangen werden müssen? Oft ist nicht klar, dass Rechte zu bekommen nur der erste Schritt ist und diese Rechte dann auch in der Alltagskultur implementiert werden müssen. Einfach zu sagen: «Aber jetzt ist es anders», reicht noch nicht, sondern die Frage der kulturellen Vermittlung ist wichtig. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass man mit jedem Einzelnen diskutieren muss, sondern es bezieht sich auf die Fragen der kulturellen Produktion: Wie stelle ich Lebenswirklichkeiten dar in Bildern, in Filmen, in Literatur, in Werbung? Das, was recht ist, muss sich auch in der Alltagspraxis ausbreiten. Das ist manchmal auch frustrierend, vor allem, wenn es Rückschläge gibt. Aber dieser Prozess ist normal, weil man bestimmte kulturelle Veränderungen nicht per Dekret einführen kann. Gesellschaftliche Veränderungen müssen durch- Mehr zu Feminismus gearbeitet werden und da sind wir grade mit- auf YouTube und auf tendrin. Klar, der Feminismus will Sachen unserem Blog: verändern, von daher werden da auch mal Leu- schmitzmagazin.de te angegriffen und manchmal vielleicht auch zu unrecht, aber so ist die Welt.


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Ich bin jetzt fast zwei Jahre alt, meine Haut — verschrumpelt. Ich habe viele kommen und gehen sehen. Die meisten von uns schaffen es keine

Extravagante Wurzeln

sechs Monate.


Illustration Vera Kaltenecker Text Nico Hanelt, Vanessa Neubert

Dienstag, halb sieben. Frank Hohenauer erhebt sich schwerfällig aus seinem Daunenbett. Wie jeden Morgen kämpft er gegen seinen fetten, trägen Körper den Kampf des Aufstehens. Drei Minuten dauert es heute, eine gute Zeit. Ein bisschen Stolz macht sich in ihm breit. Cherry faucht ihn an. Frank ist mal wieder seiner Katze auf den Schwanz gestiegen. Unbekümmert streift er sich seine einteilige Arbeitshose über und tapst die Stufen der Treppe runter, direkt in die Küche. Frischer Duft Die Fahrt zu unserem Zielort war von von Kaffee umschmeichelt Angst und Neugier getränkt, keiner wussseine mit Rotz durchsetzte te, wohin es ging. Was sollte mit uns Knollennase. «Mords-Weib», passieren? Bei Morgengrauen kamen wir denkt er sich. Er nimmt an. Wir wurden von der Ladefläche gerissich eine Tasse und schaut sen, in ein Lager geschleppt, nach Größe aus dem Fenster. Seine und Ebenmaß sortiert. Anscheinend war Äcker und Felder. Schmun- ich ihres Erachtens besonders schön. zelnd, mit einem Radies- Jedenfalls haben sie das gesagt, als sie chen in der Hand, denkt er mich begutachteten. Danach kamen die daran, was für ein Tag heu- meisten von uns, auch ich, in einen grote ist: der erste Erntetag. ßen Korb und sie brachten uns zu weiteren Brüdern. Neben uns: widerwärtige BraunVöllige Dunkelheit, einsam häute. Über uns: ein Schild mit greller saß ich da — wartend, auf Aufschrift. Ich wusste nicht, was das zu was? Das wusste ich damals bedeuten hat. Es dauerte nur kurz, bis ich noch nicht. Gibt es mehr als gepackt wurde. Dieses Mal war ich ganz diese endlose Dunkelheit? alleine. In meinem neuen Zuhause blieb Dann, endlich, es war so ich nicht lange: Wieder gab man mich weit. Nach vier Monaten weiter mit den Worten «Herzlichen Glückvölliger Isolation erblick- wunsch» und großem Gelächter. Dort te ich zum ersten Mal das waren viele Geburtshelfer, die mich Licht der Welt. Rabiat anstarrten und begutachteten. Dabei fietrennte man mich von mei- len Sätze wie: «Die Farbstoffe Anthoner seit drei Wochen ver- cyane, die in der Mutterpflanze enthalten storbenen Mutter. Von ihr sind, sind verantwortlich für ihre purgeblieben ist mir nur das purne Färbung. Das macht sie so besonBlut in meinen Adern und die ders.» Oder: «Sie wirkt sich positiv auf Gewissheit, etwas Beson- die Gesundheit aus, ihre Nährstoffe gelderes zu sein. Nach der ten als Radikalfänger.» Seit diesem Tag Trennung von meiner Mutter liege ich in einer Ecke, verdeckt von verfrachtete man mich zu- einer Obstschale. Man vergaß mich schon sammen mit meinen Brüdern am nächsten Tag. auf einen Anhänger. Etliche von ihnen hatten Kratzer und Schürfwunden. Unsere Haut ist sehr empfindlich, doch viele unserer Geburtshelfer achteten nicht darauf, ihnen geht es allein um Schnelligkeit.


Ich bin eine Kartoffel der Sorte Purple Rain. Wir werden von Bio-Bauern gezüchtet wegen unserer purpurnen Haut. Um nach wenigen Monaten in Magensäure zersetzt zu werden.

Frank Hohenauer mustert seine Äcker. Unterbewusst überkreuzt er seine Arme über seinem Wanst, wie er es immer zu tun pflegt, wenn er seine 20 Hektar Land begutachtet und der damit verbundene Stolz durch seine fast verstopften Arterien pumpt. Die Ernte scheint gut zu sein. Von ihr hängt einiges ab. Frank hat für jeden Hektar 93 000 Euro investiert. Bei dem Gedanken daran, es könne schiefgehen, perlt Schweiß auf seiner Stirn. Das Klischee, das Leben ziehe kurz vor dem Sterben noch einmal vor dem inneren Auge vorbei, klingt nach Hollywood-Mumpitz. Manchmal jedoch sind die ab- Dann das Wachsen. Die Kälte schwand. gedroschenen Dinge sehr nah an der Glieder schmerzten. Gereiztheit machte Realität. sich breit. Aber auch das Gefühl von Stärke. Nährstoffe füllten Im Falle von Pörp, wie er sich lie- seinen noch schmächtibevoll selbst nennt, war es genau- gen Körper vom Unterbau so. Bloß hatte er gar keine Augen. bis zu seiner spärlich Also zog sein Leben mehr oder anzusehenden Haarpracht. weniger durch seinen Körper hin- Vitamine, die sein Körper so durch, wenn man das so sagen kann. dringend brauchte, machten ihn nach Ein rasender Fluss aus Gefühlen, und nach zu einem stattlichen Kerlchen. der in weniger als dem Bruchteil Millimeter für Millimeter. Zentimeter einer Sekunde auf ihn einströmte. für Zentimeter. Selbst Haare wuchsen Auf jeden Fall hat er nochmal kurz ihm jetzt. Stolz kam in Pörp auf. Stolz, vor seinem sicheren Tod, der für ihn besonders zu sein mit seiner prächtigen bereits gewiss schien, in jenem Mähne. Mehr zu sein als andere. Moment, alle Hochs und Tiefs seines Lebens im Schnelldurchlauf ge- Dann stoppte das Wachsen. Die Grenze des spürt. Selbstverständlich linear Möglichen war erreicht. Der physische von Anfang bis Ende, wie Hollywood Schmerz schwand und was blieb war es ja etabliert hat: die Geburt, Un- Leere. Fragen, überall Fragen um ihn herwissenheit, Alleinsein, Hilflosig- um. Quälende Ungewissheit. Die bittere keit, Kälte. Neugier verdrängte die Erkenntnis offenbarte sich als Sinnlosiganderen Gefühle. Liebe und Gebor- keit. Und im Hintergrund immer noch der genheit schwebten allgegenwärtig Drang, besonders zu sein. Trotz besseren über ihm. Unbeschreibliche Glück- Wissens. Die Leere erfüllte alles. Erseligkeit. stickte ihn fast. Verloren. Alleine. Auf sich selbst gestellt. Tiefe innere Freude, ohne wirklich zu wissen, weshalb und warum. Ein Doch er erkannte die Sinnlosigkeit. Die Gefühl, das er lange gespürt hat. Unmöglichkeit etwas Besonderes zu sein Trauer darüber, lange nicht so in dieser absurden Welt und er fand zu wahrhaftig glücklich gewesen zu sich selbst. Innere Ruhe breitete sich sein. aus. Ausgeglichenheit. Weder Freude noch Trauer. Genügsam genoss er den Alltag. Die Arbeit. Den Wind in seinen Haaren. Die vielen stillen Momente. Alles floss.


Bis er herausgerissen wurde. Eine apokalyptische Erschütterung riss ihn aus seinem Schlaf. Terror über ihm, unter ihm, in ihm. Überall Terror. Entwurzelt von seiner inneren Ruhe und Gelassenheit, musste Pörp nun dem Tod entgegentreten. Ein Moment, auf den er glaubte gefasst zu sein, bis jetzt. Sein ganzes Leben zog an ihm vorbei, doch er schien noch nicht tot zu sein. Er fühlte noch etwas. «Ist das nun die Hölle oder der Himmel?», fragte er sich, während sein nackter Körper durch die Luft baumelte, fest eingehakt gen Himmel emporsteigend. «Der Himmel! Oh, Gott sei Dank!», die tiefe Freude seiner Kindheit kam wieder in ihm hoch und er wusste nun — er ist endlich besonders. Bereit, den Himmel zu küssen. Pörps Himmelfahrt endete.

Tiefe innere Freude, ohne wirklich zu wissen, weshalb und warum. Ein Gefühl, das er lange gespürt hat

Seine Haarpracht herausgerissen und mit nackter Kopfhaut fallengelassen. Weiter aufs Fließband und ab in eine riesig große Kiste. Zusammengepfercht mit seinen Artgenossen. Ein fettes, nasses Etwas packte ihn, riss ihn aus der Masse heraus und streckte ihn in die Höhe. Unausstehliche Nässe überall um ihn herum. Das Verlangen zu sterben, möge doch der Horror enden. Knack. Sein Unterbau weg. Verschwunden. Blankes Entsetzen: «Was zur Hölle passierte hier?» Frank lehnt an seinem Lieblingstraktor und kaut genüsslich auf einer besonders schönen Karotte aus der Erntekiste herum. «Pörpl Häß», er hält die Karotte aufdringlich in das Gesicht seines Gegenübers, dem Feldarbeiter Juri, der das als Aufforderung deutet, auch einmal zu probieren. Doch Frank nimmt, ohne auf Juri zu achten, noch einen Bissen und redet mit vollem Mund weiter: «Ich sag dir, Tomas, das ist die Zukunft», Juri versucht gar nicht erst, seinen Chef zu verbessern, und schaut ihn nur genervt an. «Purpurne Karotten und Kartoffeln. Super Geschmack. Sehen toll aus. Mit gutem Vitamingehalt. Die Bio-Schnösel werden es lieben! Sieben Euro das Kilo. Na, wie klingt das, Markus?» Ohne antworten zu können, haut Frank ihm fest auf die Schulter und schreit: «Nach Profit klingt das, Markus! Profit!» Zufrieden stiefelt Frank schwitzend über den sonnengetränkten Acker, während er die Überreste von Pörp aus seinen Backenzähnen pfriemelt.

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«Hunderttausend Düfte schienen nichts mehr wert vor diesem einen Duft. Dieser eine war das höhere Prinzip, nach dessen Vorbild sich die anderen ordnen mussten. Er war die reine Schönheit.» — Das Parfum, Patrick Süskind

Duftwelten

Der Geruchssinn ist wohl der unterschwelligste und zugleich präsenteste Sinneseindruck des Menschen. So kann ein bestimmter Duft ein Tor zu einer anderen Welt öffnen Beim Geruch von Sonnencreme werden und uns im Nu in ein fernes wir plötzlich wieder fünf Jahre alt, Ereignis aus unserer Kind- sitzen an einem malerischen Strand und heit katapultieren. bauen Sandburgen. Der Duft von nächtlichem Sommerregen bringt uns zurück in unsere frühe Jugend, barfuß auf dem Heimweg von einer durchzechten Nacht. Und dann ist da noch der Geruch von Büchern. Dieser einzigartige Duft, der Nostalgie weckt und verspricht, in eine ferne Welt eintauchen zu können.


Illustration Alisa Friedl Text Jennifer Schnell

Genau dieser Geruch ist das Vorbild für Paper Passion, dem Parfum für Buchliebhaber. Der für seine exklusiven und extravaganten Bücher bekannte Steidl Verlag hat 2012 das weltweit erste Parfum auf den Markt gebracht, inspiriert von dem Geruch druckfrischer Seiten. Geza Schön, Parfümeur aus Berlin, kreiert den Duft: ein synthetisches Imitat holziger und chemischer Noten, bestehend aus «May I introduce to you: The new Methyl-Linoleat, Ethyl-Linoleat und Copaiba-Balsam. toilet fragrance by Steidl & LagerEinige weitere Komponenten, unter anderem Moschus feld! Die schlimmsten Klogerüche und Kresylacetat in der Kopfnote, komplettieren den sind angenehmer. Einfach unglaubDuft. Erst nach 17 Annäherungsversuchen war Schön lich scheußlich! Bäh!» mit dem Ergebnis zufrieden. Kein Geringerer als Karl Lagerfeld entwarf das Design für Flakon und Verpa- Der Duft wird mittlerweile nicht ckung. Selbstverständlich ist das Eau de Cologne in mehr produziert. Ein Grund dafür ein Buch eingebettet, umgeben von roten Seiten und soll die schwierige Zusammeneinem leinengebundenen Karton. Buchliebhaber soll- arbeit zwischen Verlag und Parten begeistert sein — möchte man meinen. fümeur sein. Auf Nachfrage beim Management von Schön heißt es: Doch die Amazon-Rezensionen fielen größtenteils «Der Kontakt zwischen dem Steidl wenig positiv aus: «Ich liebe Bücher und den Geruch Verlag und dem Parfümeur könnte nach alten Büchern und Buchlagern etc. Deshalb habe man als ein sehr dunkles Kapitel ich mir das Parfum gewünscht! Die Verpackung ist benennen und es sollte auch nicht toll und edel und die Idee auch, deshalb 2 Sterne. mehr aufgeschlagen und nachgeAber der Geruch ist leider super widerlich! Es fragt werden.» erinnert ganz, ganz fern, in einer Minidosis geschnuppert, etwas an alte Bücher, aber sonst riecht es leider nur modrig und schimmelig. Mein Mann meint, es riecht wie ‹alte Frau unterm Arm›.»


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In Afghanistan peitscht der Wind zwischen den Bergen. Die Luft flimmert vor gleißender Hitze. Eine Kolonne ist unterwegs zu einer Verhandlung. Ein lauter Knall. Wegen einer unsichtbar platzierten Sprengladung muss die Kolonne anhalten. Ein Soldat liegt regungslos am Boden. Um ihn herum einige Kameraden. Der Soldat schwebt in Lebensgefahr. Kurze Zeit später schauen sich die Soldaten hektisch um. Der Staub wirbelt durch die Luft. Der alarmierte Hubschrauber kreist über dem Tatort. Alex springt mit seinem Kumpel ab. Sie haben nur 90 Sekunden, um ihre Kameraden zu retten. Der Hubschrauber hebt wieder ab. Auf dem Weg zum Lazarett kämpfen die sechs Soldaten im Hubschrauber um das

Zwischen Leben und Tod

Leben ihres Kameraden.

Alex kam nach seiner Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger zur Bundeswehr. «Ich wollte Abwechslung und konnte mir nicht vorstellen, ein Leben lang auf einer Station als Pfleger zu arbeiten», sagt er. Alex wollte sich spezialisieren und in der Intensivmedizin arbeiten. Sein Ziel: Leben retten. «Nach meiner militärischen Grundausbildung und einiger anderer Fortbildungen, schlug mein Kommandeur mir die Ausbildung zum Combat Medic vor», erzählt Alex. Der Combat Medic versorgt als Erster die s c h wer s t ver- Schon bald musste er auf seine letzten Solda- erste Auslandsreise. Für zwei ten im Einsatz- Monate war er in Afghanistan gebiet. stationiert — zwei bis vier Einsätze pro Tag — zusammen mit einem Kameraden in einem Hubschrauber. «Es war unsere Herausforderung, unter widrigsten Bedingungen das Bestmöglichste rauszuholen», erinnert sich Alex. Die meisten Einsätze verliefen so: Eine Fahrzeugkolonne ist unterwegs zu Verhandlungen. Eine unsichtbar platzierte Sprengfalle wird ausgelöst. Die Kolonne wird ausgebremst. Im Hinterhalt lauert die Taliban und eröffnet das Feuer.

Die Sanitäter der Bundeswehr behandeln zerfetzte Körperteile und Schussverletzungen. Alex: «Da spielten zwei Stressfaktoren eine Rolle: Man war in einem unsicheren Gebiet, also stand das eigene Leben auf dem Spiel und natürlich die Patienten mit ihren schweren Verletzungen, ganz anders als in Deutschland in einem Krankenhaus.» Zwischen den Einsätzen in Krisengebieten war er in Deutschland stationiert und holte mit seinen Kameraden verwundete Soldaten aus den Lazaretten in Afrika nach Hause. Ein Einsatz hat sich Alex besonders ins Gedächtnis gebrannt: Ein Soldat hat sich verletzt und Alex soll ihn mit seiner Truppe nach Deutschland zurückholen. Es herrscht Bürgerkrieg.


Durch den Aufprall der Schüsse auf seine Schutzweste hat sich Alex einige Rippen gebrochen, am Unterschenkel streifte ihn eine Kugel. «Ich habe in dem Moment alles mitbekommen, außer meine Verletzungen. Erst später habe ich mir gedacht, da ist was faul. Ich muss komisch husten und langsam fühle ich den Schmerz. Mein Stiefel ist ganz feucht vom Blut», erzählt Alex.

Illustration Vera Kaltenecker

Ich muss komisch husten und langsam fühle ich den Schmerz

Text Carolin Maul

«Mit Geländewagen und einheimischen Krankenwagen machen wir uns auf den Weg zu dem Lazarett. Ich bin Sicherungssoldat im ersten Fahrzeug», sagt Alex. Ihr Weg führt sie durch ein besetztes Dorf. Dann geht alles ganz schnell: Die Angreifer eröffnen das Gefecht. «Ich muss das Feuer erwidern», erinnert sich Alex und schluckt. Sie erschießen die Angreifer. Bis zum Schluss bleibt unbemerkt, dass Patronen ins Fahrzeug eingedrungen sind.


Zurück in Deutschland, wurde Alex im Krankenhaus behandelt. Zum ersten Mal war es anders. Normalerweise besuchte er nach der Heimreise zuerst seine Mutter und berichtete ihr von seinen Erfahrungen. Alex erinnert sich: «Dieses Mal bin ich nicht gleich zu meiner Mutter gefahren. Ich habe ihr erst vor zwei Jahren von dem Erlebten erzählt. Der Einsatz selbst war schon 2008.» Er war vom Dienst beurlaubt und wurde psychologisch betreut, unter anderem in einer Gruppentherapie mit anderen Soldaten. Für ihn wurde Trotz Therapie quälten ihn jede Nacht der Einsatz zum Tabuthema: «Ich Albträume und er wachte schweißgewollte zur Bundeswehr, um Men- badet auf. «Es war immer der gleiche schen zu retten und nicht um sie Traum — der Einsatz, immer das gleiche zu töten.» Schema. Von Traum zu Traum habe ich mehr Details wahrgenommen», erzählt er. Über ein halbes Jahr ging das so. Erst eine Psychologin rüttelte ihn wach. Er öffnete sich endlich seiner Familie und seinen Freunden; seine Albträume verschwanden. Als es ihm wieder besser ging, arbeitete er als Fachkrankenpfleger auf einer Intensivstation in Deutschland. «Ich hatte mich damit quasi zur Ruhe gesetzt und war einfach unzufrieden», sagt Alex. Er wollte keinen Auslandseinsatz mehr miterleben. Mit den Patienten im Krankenhaus, die ständig über Kleinigkeiten wie schlechten Kaffee klagten, kam er nicht klar: «Das stand einfach nicht in Relation zu dem, was ich erlebt habe. Während meiner Therapie habe ich dann gelernt, damit umzugehen und auch diese Probleme zu verstehen.»


Es gab Wochen, in denen ich drei Menschen reanimieren musste

Ein paar Monate später empfing er eine Nachricht, die das Fass zum Überlaufen brachte. «Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen», gesteht er. Sein Kamerad, mit dem er die Rettungseinsätze geflogen war, begleitete eine Kolonne in Afghanistan. Ein verwundeter Bauer lag am Straßenrand. Sein Buddy war der Erste, der an den Verletzten herantrat — der Bauer sprengte sich in diesem Moment in die Luft. Sein Kumpel war sofort tot. Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung. Ein Jahr Die Therapie half ihm, wieder zu lang war er nicht dienst- sich zu finden. Er musste sein Leben fähig. Es folgte eine acht- entschleunigen. «Jeden Tag in einem wöchige ambulante Thera- so stressigen Beruf zu arbeiten, pie. Seine Depressionen fes- jeden Tag um Leben zu kämpfen — es selten ihn einige Tage voll- gab Wochen, in denen ich drei Menständig ans Bett. Medika- schen reanimieren musste. Es war mente stellten ihn ruhig, er ein langer Weg, das zu verstehen», hatte kaum Kontakt zu ande- erzählt er. Er entschloss sich dazu, ren Menschen. «Meine dama- die Bundeswehr zu verlassen. lige Frau und meine zwei Kinder haben mir in dieser Heute leidet er nicht mehr an DeZeit sehr geholfen», lächelt pressionen. Seit vier Jahren suchen Alex. «In dieser Zeit habe ihn keine Albträume mehr heim. Die ich mich ganz anders ken- Bundeswehr unterstützte ihn bei nengelernt und konnte end- einer Ausbildung zum Mediengestallich alles verarbeiten.» ter in einer Werbeagentur. Endlich ist er wieder glücklich mit dem, was er tut. «Der Job passt perfekt zu mir. Meine Arbeit macht mir sehr viel Spaß», grinst Alex. «Doch manchmal vermisse ich den Nervenkitzel schon.»

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Zwischen Leben und Code 86 / beton


Ich habe nichts Falsches getan. So weit zu gehen, hätte ich mir am Anfang meiner Geschichte nicht erträumen lassen. Und es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr tun konnte. Aber es geht nicht anders.

Sowas wollte ich weiterhin machen, das interessierte mich. Also half ich, den RSS-Feed mitzuentwickeln. Richtig gehört, das war auch ich. Da muss ich etwa dreizehn gewesen sein und gerade an der Junior High. Die Schule hat mich nie interessiert. Zum Glück konnte ich mich immer in meine eigene Welt zurückziehen, in eine Welt, die man umschreiben und verändern kann.

Illustration Vera Kaltenecker

Irgendwann kam ich an meine Grenzen. Ich konnte zwar die ganze Welt für mich entdecken, doch das ist nicht alles. Das Beste am Lernen ist, sein Wissen mit anderen zu teilen. Schließlich sollte jeder das Recht haben, alles wissen zu können — also rein theoretisch. Jemand musste es nur praktisch möglich machen. Und dieser Jemand konnte ich sein. Das Internet gab es bereits und das Programmieren war für mich ein Kinderspiel. Ich war gerade zwölf. Ich nannte es InfoBase, es war im Prinzip wie Wikipedia. Als Wikipedia online ging, hielten uns alle für verrückt, denn bei uns zu Hause gab es sowas schon seit Jahren.

Text Jacob Böhm

Viele, die mich kennen, reden von mir und nehmen dabei das Wort «Wunderkind» in den Mund. Vielleicht bin ich das, keine Ahnung. Na gut, ich konnte schon sehr früh lesen — ungefähr mit drei Jahren — doch das macht mich noch lange nicht zu jemand Besonderem. Das können andere auch. Ich habe einfach schon immer gern Neues gelernt. Wie könnte man das auch nicht gerne tun?

Hier konnte jeder seine Ideen teilen, egal wie absurd, im Grunde der Sinn des Internets


Dann kam ein gewisser Lawrence Lessig auf mich zu, Juraprofessor aus Harvard. Ein ziemlich cooler Typ. Er hatte eine Idee, die er Creative Commons nannte. Es ging darum, jedem Urheber Auswahlmöglichkeiten zu geben, inwiefern andere seine Werke nutzen dürfen. Man hielt ihn wohl für etwas verrückt, als bekannt wurde, er wolle die technische Ausführung einem 15-Jährigen überlassen. «Es wäre ein Fehler, das nicht zu tun», antwortete er.

Ich schrieb mich in Stanford ein für ein Studium. Was das war, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Allerdings weiß ich, wie schrecklich ich es fand. Daran war auch nichts weiter verwunderlich. Ich konnte die Schule ja schon nicht leiden. Also ging ich zu Y Combinator und entwarf dort mein nächstes großes Ding – Infogami. Ihr sagt jetzt, das kennt doch kein Schwein. Punkt für euch. Aber wir entwickelten es weiter und es wurde zu Reddit — und das sagt euch was. Hier konnte jeder seine Ideen teilen, egal wie absurd, im Grunde der Sinn des Internets – Meinungsfreiheit und Informationsfluss.

Irgendwann, als ich 19 oder 20 war, kam dann die Übernahme von Reddit. Ich war ja nach wie vor Teilhaber. Wir bekamen über eine Million Dollar dafür. Dabei interessierte ich mich nicht für all das Geld. Für mich hat Reichtum keinen Stellenwert. Mein Leben ist in dieser Form schließlich auch nur möglich dank des World Wide Web. Niemand wollte daraus Profit schlagen — genau so Ich suchte mir erstmal einen neuen Namen. Gary sollte es sein. Den Bach runter ging Host, Clientname GHost_Laptop. Dann fing ich alles etwas später. Gut, das ist damit, an aus dem Netzwerk des MIT einen Artivielleicht nicht die richtige Be- kel nach dem anderen runterzuladen. Die sperrten schreibung, denn wie ich schon sag- natürlich meine IP — als ob das ein Problem für te: Ich habe nichts Falsches getan. mich sei. Als ich dann eine neue IP generiert Der Gedanke, nicht jeder habe die hatte, sperrte JSTOR für das MIT den Zugang zu gleichen Möglichkeiten auf Wissen den Artikeln. Eine letzte Möglichkeit gab es zuzugreifen, hat mich einfach nicht allerdings noch: Also ging ich in den Keller der losgelassen. Und JSTOR war mir ein Uni. Dort gab es eine unverschlossene Kammer. Dorn im Auge. Sie verlangten tat- Ich hängte den Laptop direkt ans Netzwerk und sächlich Geld dafür, andere wissen- ging nach Hause. Irgendwann musste ich leider schaftliche Texte lesen zu lassen. die Festplatte wechseln. Ich bin nur kurz zurück und sie haben mich erwischt. Wegen einer Überwachungskamera. Wieso bin ich da nicht gleich draufgekommen?

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Als ich nach draußen ging, haben sie mich überwältigt. Es dauerte ein bisschen, bis ich verstand, wer die Personen waren. Die Polizei wusste, was ich gemacht hatte. Dann nahm alles seinen Lauf. Sie wollten ein Exempel statuieren: Naja, irgendwie habe ich das dann ja doch. Zwei Leibesvisitation, Gürtel und Schnürsenkel Jahre im Ausnahmezustand; ich konnte einfach weg, Einzelhaft — wie bei einem Verbrecher. nicht mehr. Also habe ich mir das Leben genomMir drohten 35 Jahre Haft und eine Geld- men. Aus der Sicht meines Anwalts hätten wir strafe von einer Million Dollar. Anfangs. den Prozess sicher gewonnen. Klinische DepresJSTOR hat längst alle Anklagen fallen ge- sion lautete die Diagnose, als sie mich 2013 in lassen. Der Druck war riesig. meinem Apartment in Brooklyn gefunden hatten. Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Ich bekam das alles nicht aus dem Kopf, Web, war einer der Ersten, der auf meinen Tod nicht mal, als wir den Stop Online Piracy reagierte. Er hielt sogar eine Trauerrede. Das Act aufgehalten haben — wahrscheinlich mein Internet leuchtete — für mich. allergrößter Erfolg. Sie wollten das Internet zensieren. Nicht mit uns. Jimmy Wales Ich war gerade mal 26. Ich glaubte an etwas und legte als Mitbegründer sogar Wikipedia vo- starb deswegen. Mein Name ist Aaron Swartz. rübergehend lahm, damit die im Senat mal Nennt mich Wunderkind, Märtyrer oder nennt sehen konnten, wie ein Internet ohne Infor- mich, wie ihr wollt. Ich habe nichts Falsches mationen aussieht. Wie gesagt, ich habe das getan. Ich hätte nicht gedacht, dass es so weit nie aus dem Kopf bekommen, habe mich von kommt. allem distanziert, mich nur noch mit dem Fall beschäftigt. Ich geriet in die Justizmaschinerie, das kostete meine Familie Millionen von Dollar. Ich konnte nicht einfach aufgeben.


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«Das ist, wie wenn du mit einem Zug unterwegs bist und plötzlich irgendwann rausgeworfen wirst. Du bist in einer völlig anderen Welt, wo du nichts kennst und keinen Plan hast — praktisch ausgesetzt in der Wildnis. Du merkst dann, dass es da, wo du bist, schöner ist als da, wo du her-

Zeugnis ablegen

kommst.»

Die Zeugen Jehovas suggerieren Ulrike, ihrem Mann Andreas und ihrer Tochter viele Jahre die Gefahr vor dem Unbekannten. 2013 verlassen sie die Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas, in die sie hineingeboren wurden. Für sie beginnt in diesem Jahr eine neue Zeitrechnung. «Dieser Moment — innerhalb von Sekunden habe ich das realisiert. Mein ganzes Weltbild war innerhalb von Sekunden weg», beschreibt Ulrike den Moment der Offenbarung. Der Austritt bedeutet für sie Familie und Freunde zu verlieren. Mit dem Schritt ins Unbekannte eröffnet sich jedoch eine ganz neue Welt. Am selben Abend noch recherchiert sie über die Zeugen Jehovas. Was sie herausfindet, ist für sie unvorstellbar. Erst im Nachhin- Jehovas kommen ins Paradies. Damit rechtein versteht sie die Zusammen- fertigen sie auch die ausgeprägte Missiohänge: Das Harmagedon, der immer narstätigkeit. Ulrike: «Man lernt zu dennahende Weltuntergang, werde ken, dass man es freiwillig macht. Man als Vorwand genommen Bildung zu macht es für Gott. Wenn man sagt, dass man unterdrücken. Das Leben fange keinen Bock hat, sagt man es eigentlich erst im Paradies an; nur Zeugen Gott. Das habe ich mich nicht getraut.» Die Organisation begründet alles mit dem eigenen Gewissen.


Zeugen Jehovas glauben an die Wahrheit der Bibel. Sie nehmen die Bibel beim Wort und leben nach diesen Vorgaben. Ulrike konnte sich nie vorstellen, dass Teile der Bibelverse an die Lehren der Zeugen Jehovas angepasst wurden. Verantwortlich für sämtliche Lehren ist eine leitende Körperschaft in den USA — ein Gremium von derzeit acht Männern. Sie sprechen von sich als Sprachrohr Gottes. Im Hintergrund dreht sich allerdings alles um wirtschaftliche Interessen. Auch wenn man keinen Zehnt zahlen muss, sammeln sie sehr viel Geld mit Spenden. Ulrike und Andreas haben auch selbst Hand angelegt, als sie ihren Gemeindesaal eingerichtet haben. Die Gebäude der Ortsversammlungen sind jetzt, seit die Religionsgemeinschaft die Körperschaftsrechte erlangt hat, Allgemeineigentum der Zeugen Jehovas. Die Organisation besitzt weltweit Grundstücke und Gebäude und handelt mit ihnen; finanziert mit Spenden und freiwilliger Arbeit. Die Machenschaften sind für alle Mitglieder intransparent. Erst hinterher erkennt Ulrike, wie sehr sie der Glaube eingeschränkt hat. Sie kann kaum begreifen, wie sie jahrelang daran glauben konnte: «Man hat Vertrauen. Man denkt, dass es acht Millionen Zeugen Jehovas gibt. Die sind doch nicht alle blöd.» Ihre Tochter Lena meint: «Das Schlimme ist, dass die Einzelnen darin eigentlich nichts dafür können. Es ist Manipulation. Wenn man darin aufwächst, ist die Chance gering, dass man es checkt.»

Text Anna Mitscha

Mein ganzes Weltbild war innerhalb von Sekunden weg

Illustration Vera Kaltenecker

Abends, als Ulrike in den Tiefen des Internets zufällig über eine unstimmige Aussage gestoßen ist, lässt sie das Thema nicht mehr los. Nach der ersten Unstimmigkeit entdeckt sie immer weitere Diskrepanzen. Texte wurden aus dem Zusammenhang gerissen. Sie fand abgewandelte Bibelverse und satanistische Bilder in ihrer Literatur. Die Widersprüche liegen im Detail. Ulrike schildert ihre Zweifel: «Haben wir da einen


riesen Fehler gemacht? Wir haben es ja nicht gecheckt. Wenn ich das den anderen sage, dann sehen die das bestimmt genauso. Das war aber nicht so. Das war für mich fast noch schlimmer; alle haben Ausreden gefunden.» Bei Fragen stieß sie auf Ablehnung. Ulrike wurde in der Gemeindeversammlung öffentlich bloßgestellt. «Da wurde vor der Recherche im Internet gewarnt. Das Internet sei gefährlich und voller Lügen. Sie haben das auf mich umgemünzt. Sie haben mir praktisch unterstellt, dass ich Gründe suche, die Gemeinschaft zu verlassen.» Ihr Mann Andreas ergänzt: «Klar, im Internet gibt es viele Fake-News. Aber ohne das Internet hätten wir das wahrscheinlich nie geschnallt.» Für Ulrike, Andreas und ihre Tochter war es nicht leicht sich zu entscheiden. Nach ihrem Austritt Andreas trieben andere Gründe zu dem Aus- verhängen die Zeugen Jehovas eine Kontaktsperre zu tritt: «Als Ulrike das Bohren angefangen hat, den Abtrünnigen. Familie und Freunde brachen den habe ich mich das erste Mal damit beschäf- Kontakt mit ihnen ab. Außerdem wird Literatur von tigt, ob das wahr ist, dass man rausfliegt, ehemaligen Zeugen Jehovas als teuflisch bezeichwenn man eine andere Meinung hat. Es gab ein net. «Jedem, der das liest, würden Schuppen von Gleichnis von einem Hirten, der ein verirrtes den Augen fallen. Keiner kann sich rechtfertigen. Schaf gesucht hat. Er hat dann die hundert Dir hört keiner mehr zu.» Der Gemeindeälteste übrigen Schafe zurückgelassen, um sich dem bezeichnete sie bei einer Gemeindeversammlung einen verirrten Schaf anzunehmen. Ulrike war nach ihrem Austritt als Küchenhelfer Satans. für mich in diesem Fall dieses Schaf, das auf Abwege gekommen ist. Sie hatte Fragen. Sie Nicht mal der Familie oder Freunden gegenüber hat nächtelang nicht geschlafen. Sie wollte konnten sie sich rechtfertigen. Durch Liebesentzug nicht abhauen, aber sie hat gezweifelt. Wenn sollen die Aussteiger wieder zum Glauben zurückman von sich behauptet, dass man die einzige finden. «Die Leute, die ich schon vierzig Jahre kenWahrheit hat, kann sie nur falsche Sachen ne, laufen an mir vorbei oder schauen durch mich herausfinden. Aber sie haben ihr einen Maul- hindurch. Ich habe seitdem nicht mehr mit meiner korb verpasst. Ich habe gesehen, wie sie auf Schwester geredet. Eltern, Schwager, Nichte, Nefihr rumgehackt und sie an den Pranger gestellt fe, Bruder, Schwägerin, Tante — von einer Sekunde haben. Das ist für mich der Grund gewesen, auf die nächste alles weg. Das Schlimme ist, dass auszutreten.» wir keinen Streit miteinander hatten», so Ulrike. «Anfangs denkt man, dass man es nicht packt. Du gehst hin und schüttelst sie und fragst, ob sie noch ganz normal sind.» Ihr Vater liegt im Krankenhaus — ein Notfall. Ausnahmsweise darf Ulrike ihn besuchen. Sie entgegnet darauf: «Dann muss ich ja praktisch froh sein, dass er im Krankenhaus liegt, damit ich mit ihm reden kann.»

Die Tochter steht dem Glauben sehr kritisch gegenüber 92 / beton


Lena weiß, beiden Teilen der Familie falle es schwer. Alle belaste die Situation emotional. Sie beschreibt ihre Lage: «Weil ich nicht getauft war, dürfte ich auch noch mit jedem Kontakt haben. Aber ich sehe es nicht ein. Wenn sie mit meinen Eltern keinen Kontakt haben, will ich mit ihnen auch keinen Kontakt haben.» Lena war damals fünfzehn. Zeugen Jehovas lassen sich erst im Alter von zehn bis zwanzig Jahren taufen; erst danach gehören sie zur Gemeinschaft und befolgen ihre Regeln. Heute sehen Ulrike, Andreas und ihre Tochter die Welt mit neuen Augen. Andreas: «Ich bin offener geworden gegenüber anderen Leuten, bei denen man vorher unbedingt die Distanz wahren musste oder wollte. Wenn ich dann sehe, wie jemand, der sich für die Altpapiersammlung engagiert, mehr soziales Engagement gezeigt hat als wir in den letzten 50 Jahren unseren Mitmenschen gegenüber. Das ist traurig, was wir da gemacht haben. Es gibt so viele gute Menschen in dieser sogenannten bösen Welt. Da siehst du erstmal, was manche Leute machen und gar nicht darüber reden.» Die Frage nach dem Glauben ist ein heikles Thema. Die Tochter steht dem Glauben sehr kritisch gegenüber: «Ich bin der Meinung, dass es einen Gott geben kann. Aber ich weiß es nicht und ich bin nicht direkt davon beeinflusst. Jetzt, da ich nicht mehr an Gott glaube, also nichts mehr für ihn tue, sehe ich keine Veränderung.» Ulrike hat mit den Folgen noch zu kämpfen. Sie hat jegliches Vertrauen verloren: «Was passiert, ist einfach brutal. Die Religionen benutzen den Glauben, um ihre Interessen durchzusetzen. Aber ob es einen Gott gibt, hat damit eigentlich nichts zu tun. Das ist Missbrauch. Im Prinzip wurden wir 50 Jahre lang verarscht. Besser gesagt, wir haben uns 50 Jahre lang verarschen lassen.»


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In Reih’ und Glied

Die Bundeswehr zählt zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Sie ist bunt, sie ist vielfältig und attraktiv. Doch auch beim Bund sind Vorurteile gegenüber Angehörigen der Community für Lesbische, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBTQ-Community) vorhanden. Vorurteile entstehen wie überall, wo Menschen ungenügend aufgeklärt oder bereit sind, sich jenseits des «Normalen» zu begegnen.


Vor sechs Jahren zwang ihn die Bundeswehr zum Outing

Text Janina Marx

Lara hat sich von Anfang an nicht versteckt. Sie studiert Maschinenbau bei der Bundeswehr und ist in der Kampftruppe. «Ich musste mich nie richtig outen. Ich habe meine Sexualität einfach ausgelebt.» Bei Jens war das anders. Er selbst gestand sich seine Transsexualität erst bei der Bundeswehr ein und outete sich im Alter von 28 Jahren. Heute ist er 30 Jahre alt und arbeitet als Bürokaufmann in der Logistik in München. Mit seiner Arbeit beim AHsAB will er anderen helfen, diesen Schritt in ein glücklicheres Leben zu wagen.

Illustration Alisa Friedl

Einer von zehn Soldaten outet sich im Durchschnitt bei der Bundeswehr. Alvin Fitz ist einer von ihnen. Seit 16 Jahren dient er der Bundeswehr. Nach seinem Wehrdienst studiert er Pharmazie und Lebensmittelchemie. «Ich musste melden, dass ich mit einem anderen Mann in einer eingetragenen Partnerschaft lebe», erklärt Alvin. Für ihn war es nie wichtig, seine Sexualität in die Öffentlichkeit zu stellen. Vor sechs Jahren zwang ihn die Bundeswehr zum Outing. Für ihn war das nicht in Ordnung, vor allem, als er bemerkte, wie sein Ob es wirklich an seinem Outing lag, weiß Alvin Vorgesetzter reagierte. bis heute nicht. Er erzählt von einer KameraAlvin gegenüber verhielt din, die vor dem Outing kalte Angst verspürte. er sich verständnisvoll, Sie hatte Angst um ihre Karriere, Angst wie sie allerdings tuschelten die in Zukunft beurteilt werde. Die Beurteilung Kameraden öfter im Pau- entscheidet über den weiteren Werdegang bei senraum. der Bundeswehr — fällt sie schlecht aus, sinkt die Chance auf eine Beförderung. Alvin möchte solchen Kameradinnen und Kameraden helfen und engagiert sich beim Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr e.V. (AHsAB). Dieser Arbeitskreis setzt sich für mehr Rechte von Homosexuellen und Transsexuellen ein. Eines ihrer Ziele: Auch Schwule sollten Blutspenden dürfen.


Pfad der Qual 96 / stereoton

Nichts ist in der Geschichte der Menschheit präsenter als Gewalt. Ob im Kontext von Macht, Sprache oder Geschichten: Gewalt ist verankert im Menschsein. Ohne Gewalt wäre unser Dasein kaum vorstellbar – und doch sinkt dieser Anker von Zeit zu Zeit in undenkbare Abgründe. Text Nico Hanelt, Sophie Badura, Jacob Böhm, Janina Marx, Carolin Maul, Anna Mitscha, Vanessa Neubert, Jennifer Schnell, Tristan Reitter Illustration Alisa Friedl, Vera Kaltenecker


Sie weiß nicht, was sie ihm schreiben kann, wie sie ihm Mut zusprechen kann. Robert Pruetts Schicksal ist besiegelt. Es wurde besiegelt, über seinen Kopf hinweg

Robert Daniela sitzt an ihrem Schreibtisch. Ihre Hände schwitzen ein wenig. Sie denkt an ihren Brieffreund Robert. Wie muss er sich gerade fühlen? Hilflos, verlassen, hoffnungslos. Sie greift zu Stift und Papier und schreibt einen Brief an ihn. Nach den ersten Worten liest sie, was sie geschrieben hat, zerknittert den Brief und wirft ihn weg. Sie weiß nicht, was sie ihm schreiben kann, wie sie ihm in seiner Situation Mut zusprechen kann. Robert Pruetts Schicksal ist besiegelt. Es wurde besiegelt, über seinen Kopf hinweg. Er kann nicht entkommen, seine Beine sind gefesselt, seine Hände gebunden — er kann nichts dagegen unternehmen: Er ist zum Tode verurteilt.

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Was beim Fußball passiert, sind Straftaten. Jedes Foul ist Körperverletzung

1916 Weiden Während die Welt sich in gigantischer Maßlosigkeit bekriegt, bekämpfen sich ein Wirt und sein Knecht aus der Oberpfalz vor dem Landgericht wegen eines Fingers. Fritz, der Knecht, hilft der Kellnerin ein Bierfass vom Keller hochzuschleppen und verletzt sich so schwer; ein Finger muss amputiert werden. Er fordert Schadensersatz. Das Landgericht weist die Anklage ab. Sein Unvermögen sei schuld an der Verletzung. Doch Fritz geht in die zweite Instanz nach Nürnberg und kämpft für sich und seinen Finger. Das Robert Oberlandesgericht gibt ihm schließlich recht. Seinen Finger wird er sein’ Leb- Robert Pruett wurde am 12. Oktober 2017 um 18.46 tag vermissen. Uhr in Texas (USA) hingerichtet. Sein Tod beschäftigt Daniela Steiner bis heute. Sie hat ihn nie persönlich kennengelernt und doch war er wie ein Bruder für sie.

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Fußball Fußball ist der Volkssport der Deutschen und eng mit Gewalt verbunden. Von Anfang an kämpfen zwei Teams gegeneinander, der FußballJargon ist geprägt von Worten wie Flanke, Sturm oder Blutgrätsche. Jeder Kreisliga-Spieler kann da aus eigener Erfahrung berichten. Dazu Volker Körenzig, Sozialarbeiter des Fanprojekts Karlsruhe: «Was beim Fußball passiert, sind Das öffentliche Interesse an Ultras und alles Straftaten. Jedes Foul ist eigentlich eine Hooligans steigt — auch angesichts ihrer Körperverletzung.» Während eines Fußballspiels Medienpräsenz. Früher war Gewalt im übernimmt Körenzig die Rolle des Vermittlers Stadion eine Randnotiz, heute ist es eine zwischen allen Beteiligten. Er sagt: «Wenn wir Titelseite; ein Thema, über das sich nicht im Vordergrund agieren müssen, ist das stundenlang diskutieren, ein Thema, über Spiel gut abgelaufen. Obwohl ich sagen muss: Das das sich hervorragend politisieren lässt, passiert nie.» Allenfalls neben dem Stadion allerdings meist ohne die Angeprangerspielen sich heute Szenen wie diese ab: «Wir ten — sie haben keine Lobby, kaum einen sind zufälligerweise auf dem Rasthof mit allen Fürsprecher. Ein Fußballspiel ohne RivaBussen auf eine gegnerische Ultraszene getrof- lität und ohne Fangesänge sei nicht so fen. Das waren zweihundert gegen zweihundert, spannend wie ein Fußballspiel mit Rivaliungefähr. Das war dann schon ein guter Schlag- tät, so Körenzig. Nur bliebe die Frage, abtausch. Das kommt so gut wie alle Schaltjah- wo die Grenze sei. Seiner Meinung nach re mal zustande, wenn überhaupt», begeistert sei sie dort, wo der strafrechtliche Rahsich ein Ultra-Mitglied, das anonym bleiben men überschritten werde, also wenn möchte. Gewalt gegen andere Menschen angewandt werde. Der Fußball ist zum größten Teil männlich. Gewaltaffinität ist in der Sozialisation eines Gewalt beim Massenphänomen Fußball wird jungen Mannes immer Thema — egal in welcher immer Thema bleiben — zwangsläufig. Gruppe er auftritt. Die Gewalt der Fanszene gilt Körenzig arbeitet tatkräftig dafür, die als Schattenseite des Sports. Doch seit im Zuge Probleme mit den Fans zu lösen und ihr der Weltmeisterschaft 2006 die Stadien moder- Aggressionspotenzial zu lindern. Trotznisiert wurden, nahm dort die Zahl der Gewaltdem wird die Gier nach taten deutlich ab. Zwar werden laut Statistik Schlagzeilen wohl der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätimmer das Bild des ze Jahr für Jahr mehr Strafverfahren eingeleiSports überschatten. tet, allerdings erst, nachdem Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz und Rauschmittelgesetz erfasst werden.


Robert Daniela engagiert sich für die Initiative gegen die Todesstrafe und will jenen beistehen, die allein auf den Tod warten. In diesem Programm lernte Daniela vor zwei Jahren Robert Pruett kennen. Sie erzählt: «Ich baute zu Robert eine sehr enge und vertraute Freundschaft auf. Manchmal ist es sogar leichter, jemandem etwas anzuvertrauen, wenn man ihm nicht in die Augen schauen muss.» Im Gegensatz zu ihren anderen Brieffreunden war Robert anscheinend unschuldig. «Bei meinem ersten Brieffreund Brian fällt es mir immer wieder schwer. Er hat seine Version über das, was er getan hat. Ich kenne allerdings die Wahrheit und weiß, dass er ein Sexualstraftäter ist und einen Jungen ermordet hat. Manchmal teilt er mir aufgrund von Depressionen seine Last mit. Das belastet mich, weil ich dann sehe, was für Gedanken er hat.»

Menschenhandel Schlauchboote, bis zum Rand vollgestopft mit Menschen — Bilder, denen sich der vernetzte Mensch nicht entziehen kann. Jeder Flüchtende hat seine eigenen, persönlichen Gründe, warum er den gefährlichen Trip auf sich nimmt — mannigfaltig, wie die Leichen im Mittelmeer. In Europa allerdings erwartet fast jeden ein Schwere Verbrennungen entstellen heute noch ähnliches Schicksal: Abschiebung oder ihr Gesicht und ihren Körper. Einen Monat lang Aufenthaltsgenehmigung. Die meisten musste sie in Italien in einem Krankenhaus Frauen entkommen selbst mit den passen- behandelt werden. Nur damit ihr Höllenritt den Papieren nicht der Hölle, aus der sie weitergeht. Sie erinnert sich: «Ein Mann führte entfliehen wollten. Joy kommt aus Nige- mich zu einer Frau. Sie sagte mir, sie sei meine ria. Als ihr Vater sie mit einem älteren Lady. Sie nahm alles von mir, die Lageradresse, Mann verheiraten will, beginnt ihre Lei- meine Telefonnummern. Es war Winter, aber jede densgeschichte: Sie flieht vor der Zwangs- Nacht nahmen sie mich mit auf die Straße. Ich heirat zu ihrer Tante. Ihre Tante verkauft war nicht in der Lage, den Job zu erledigen — ich sie daraufhin als Sklavin nach Libyen. brachte kein Geld ein — also hat sie mich oft Nach drei Jahren Zwangsprostitution in verprügelt.» Ihr Weg führte sie quer durch Südeuropa, von Sizilien Libyen wird sie weiter nach Europa verbis nach Frankreich. kauft und überquert in einem Boot das Überall muss sie Meer: «Irgendwas stimmte mit dem ihren Körper verkauBoot nicht. Das Benzin entzündete sich. fen. Nach sechs JahViele Leute hatten verbrannte Haut. ren Leiden entkommt Mein Körper war warm, als hätte ich sie dem Teufelskreis. Feuer gefangen. Ich habe kein Bild Die Gemeinschaft davon, weil ich das BewusstSant’Egidio hilft Frauen sein verloren habe — und da dabei, den Straßen Italiwar ein kleines Mädchen. ens zu entkommen, unter Sie saß neben mir. Sie war ihnen auch Joy. meine Freundin in Libyen. Als ich ohnmächtig wurde, Heute arbeitet sie als ließ ich sie ins Wasser Köchin. Sie erzählt, wie fallen.» sie heute ihre Peiniger sieht: «Ich empfinde keinen Hass für die, die mich zur Sexsklavin gemacht haben. Die Rache gehört nur Gott.»

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Rituelle Gewalt «Meine Mutter hat mich für ihre Freiheit an das Böse gegeben und sich dann ein neues Leben aufgebaut. Ich bin in einem Heim und bei einer Pflegefamilie aufgewachsen. Nachts war ich bei den Bösen», erzählt Marci. Sie ist in eine verbrecherische Organisation hineingeboren worden, in der sie mit körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt gepeinigt wird. Die bösen Männer vergewaltigen Marci. Sie wird schwanger. Marci ist ein Opfer ritueller Gewalt: der systematischen körperlichen, psychischen und sexuellen Misshandlung. Seit vier Jahren versucht sie, aus der Gruppe auszusteigen, sucht Hilfe bei speziellen Betreuern und Therapeuten — ein langer, kräfteraubender und steiniger Weg. «Es ist nicht einfach. Wenn ich nicht zu den Treffen der Bösen komme, entführen sie mich. Die Bösen drohen mir damit, meinem Kind etwas anzutun. Meine Tochter möchte ich dort auf keinen Fall zurücklassen», sagt Marci. «Meine letzten Betreuer haben sie erfolgreich in die Flucht geschlagen und ohne sie können die Bösen leichter in mein Leben eingreifen.» Rituelle Gewalt ist allgegenwärtig, sie tobt im Verborgenen. Das macht sie so mächtig. Die Bösen treffen sich für spezielle Rituale. Die Frauen werden gefoltert — von dem Oberhaupt der Bösen — dem «Vater», von Neulingen, die das Foltern erst lernen müssen und von Personen außerhalb des Kultes gegen Geld. Marci hat nun wieder einen Job gefunden. Sie möchte auf jeden Fall weiterkämpfen, um den bösen Männern endlich zu entkommen. Derzeit ist sie auf der Suche nach einer Psychologin, die sie unterstützt.

Rituelle Gewalt tobt im Verborgenen. Das macht sie so mächtig 101 / stereoton


Robert Daniela ist bewusst, die meisten ihrer Brieffreunde sind Straftäter: «Viele verwechseln es. Ich bin gegen die Todesstrafe, aber ich setze mich nicht dafür ein, dass alle freigelassen werden. Ich denke auch nicht, dass alle unschuldig sind.» Bei Robert war das anders. Sie hat sich für ihn eingesetzt, sie glaubt ihm. Wegen Anstiftung zum Mord wurde Robert mit 15 Jahren verurteilt zu einer Haftstrafe von 99 Jahren. Sein Vater tötete ihren Nachbarn.

Robert wurde mit 15 zu einer 99-jährigen Haftstrafe verurteilt

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Nutztiere

Bei Schweinen werden die Ringelschwänze nach wenigen Lebenstagen mit einem Heißschneidegerät gekürzt, damit sie sich nicht gegenseitig den Schwanz abknabbern. Bis zum vierten Lebenstag muss das Ferkel nicht betäubt werden. Vor allem Eber sind in der Mast sehr aggressiv und machen das notwendig. Die Ebermast gibt es jedoch kaum mehr, das Fleisch eines Ebers nimmt einen sehr unangenehmen Geruch an. Schweinezüchter kastrieren die meisten männlichen Ferkel deshalb bis zum siebten Lebenstag — bisher ebenfalls betäubungslos. Kälber dürfen bis zu einem Alter von sechs Wochen ohne Betäubung enthornt werden. Rinder mit Hörnern brauchen mehr Platz in modernen Laufställen. Mit einem Brenneisen werden deshalb die Hornansätze des Kalbs ausgebrannt. Durch aufwendige Zuchtprogramme und Genveränderung wird heute versucht, vermehrt hornlose Rinder zu züchten. Die Hörner sind für das Herdenverhalten, die Rangordnung und die Milchqualität zwar wichtig für das Rind. Am Ende ist Milch aber ein Produkt wie jedes andere — nur der Umsatz zählt.

50 Millionen Eintagsküken werden in Deutschland jedes Jahr getötet — das sind über 100 000 Tiere täglich. In der Europäischen Union (EU) sterben jährlich etwa 330 Millionen sogenannte Eintagsküken — weltweit 2,5 Milliarden. Die weiblichen Küken werden auf eine hohe Legeleistung gezüchtet. Die männlichen Küken legen keine Eier und setzen sehr wenig Brustfleisch an, sie sind nicht für die Mast optimiert. Ihre Aufzucht ist nicht rentabel. Deshalb wird bereits am ersten Lebenstag das Geschlecht der Küken bestimmt. Die unbrauchbaren Exemplare werden mit Kohlendioxid vergast oder fallen von einer Stahlrutsche in einen Schredder. Großhändler frieren die Eintagsküken ein und bieten sie als Tierfutter für Greifvögel oder Reptilien an. Mit einer Magnetresonanztomografie lässt sich das Geschlecht der Küken schon im Ei bestimmen. Rewe und Penny verkaufen die für die Händler unbrauchbaren Eier für ein paar Cent mehr als herkömmliche Eier.

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Robert Während seiner Inhaftierung geriet Robert mehrmals mit einem Wärter aneinander. Kurz nach einem Streit mit ihm wurde der Wärter im Gefängnis ermordet. Vieles sprach für Robert, der daraufhin zum Tode verurteilt wurde. Ohne einen physischen Beweis, der seine Schuld erhärten konnte. Bis zu seiner letzten Minute beteuerte er seine Unschuld. Daniela unterstützt Robert in seinen Bemühungen. «Das ist aus Deutschland nicht so leicht. Man braucht einen amerikanischen Anwalt, weil die USA ein ganz anderes Rechtssystem haben», erzählt Daniela. Roberts Fall

wurde vom Innocence Project aufgenommen, einem Verein von angehenden Anwälten, die sich um Strafumwandlung von zum Tode Verurteilten kümmern. «Die Arbeit ist ehrenamtlich, allerdings fallen auch Verwaltungskosten an, die ich dann übernommen habe», erklärt Daniela. Sie versuchten mit der DNA auf der Tatwaffe, die nicht mit der DNA von Robert übereinstimmte, die Haftumwandlung zu erzielen. Ohne Erfolg. Diese Beweise wurden der Jury vorenthalten. Es wurde bei einer späteren Berufung erklärt, die Beweise hätten die Jury nicht umgestimmt. Als der Hinrichtungstermin immer näherrückte, beauftragte Daniela für Robert noch einen weiteren Anwalt. Vergebens. Roberts sechster Hinrichtungstermin wurde festgelegt.

Bis zu seiner letzten Minute beteuerte er seine Unschuld 104 / stereoton


Hunger, beißende Luft, keiner, der mit mir spricht: Einsamkeit

Tierquälerei Ich schlafe in meinen eigenen Exkrementen an einem dunklen Ort unter der Erde. Einmal in der Woche kommt mein Herrchen, gibt mir Essen und lässt mich raus. Die frische Luft und mein voller Magen geben mir ein gutes Gefühl. Das sind die erträglichen Tage meines Lebens. Doch kaum kann ich den Moment genießen, ist es schon wieder vorbei. Wieder unten: Hunger, beißende Luft, keiner, der mit mir spricht — Einsamkeit. Eine Frau, meine Heldin, war sehr aufmerksam und hat mich entdeckt. Sie hat sofort die Polizei und das Ordnungsamt verständigt. Doch es änderte sich nichts. Meine Heldin gibt jedoch nicht auf. Sie wendet sich an Tierschützer — eine Organisation namens PETA. Kurz darauf werde ich gerettet. Sie bringen mich in ein Tierheim. Sie versorgen mich mit Essen und Wasser. Sie baden mich und schenken mir Liebe. Ich habe immer noch große Angst. Mir fällt es schwer, mich Menschen anzuvertrauen. Doch meine Qualen sind endlich vorbei. In Deutschland leben über 34 Millionen Haustiere. Wie viele von ihnen gequält werden, ist unbekannt.

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Robert Am 26. Juli 2017 wird der Hinrichtungstermin endgültig unterzeichnet. Daniela: «Man weiß oft schon ein knappes halbes Jahr davor Bescheid. Sie sagen dir das Datum und sogar die genaue Uhrzeit.» Robert Pruett schreibt sehr viel. Vielleicht ist es seine Art, sich unsterblich zu machen. Zum Beispiel schreibt er über seinen Zellennachbarn James. Dadurch sind auch Daniela und James Brieffreunde geworden. «Es gibt keine Freundschaften im Gefängnis, aber Robert war für mich ein Freund», schrieb ihr James in einem Brief. Das Schicksal von Robert schweißt Daniela und James zusammen. «Er ist kein Ersatz für Robert, aber mir auch sehr ans Herz gewachsen», versichert Daniela. Sie plant James dieses Jahr zu besuchen. Bei James ist es leichter, er sitzt nicht im Todestrakt. Daniela hätte auch bei der Hinrichtung von Robert dabei sein können. Sie erzählt mit bedrückter Stimme, warum sie fernblieb: «Ich hätte es nicht verkraftet.» Robert wählte für sein letztes Gespräch Daniela.

Dunkelheit Eine dunkle Dezembernacht, drei Uhr und ich liege wach. In mir laute Schreie, von außen ist es leise. Mein Herz am Rasen, Gedanken, die sich überschlagen. Nimmt das alles hier ein Ende? Kalte Panik, sich nähernde Wände. Atemnot. Klappe zu, Affe tot. Doch der Affe tanzt und schreit und lacht mich aus. Er weiß genau, ich komm hier so schnell nicht raus. Gefangen in meinem Kopf, meinem Körper, meinen Gedanken. Oh, wie sehr würde ich es mir in diesem Moment danken — Das jetzt einfach alles zu beenden mit meinen eigenen, eiskalten Händen. Dann, ganz plötzlich — eine Emotion. Nicht eine, nein, eine ganze Welle. Ein markerschütternder, weinerlicher Ton in meiner ganz persönlichen Hölle. Welch Leid hat man mir nur angetan? Oh — ich vergaß, mit welchem Tatendrang ich selbst begann und mich daran machte, mir täglich zu sagen, wie sehr ich mich hasste. Abscheu, Ekel. Wofür diese Strafe? Warum ich, in diesem Körper, diese Fratze? Was würd ich dafür geben, dass ich jetzt schlafe? Ich merke, wie ich mich heimlich dabei ertappe: Die Welle aus Panik beginnt mich loszulassen und so fließt sie davon, ich kann sie nicht fassen. Zurück bleiben nur Unmengen an Schaum, so fern und unwirklich wie ein böser Traum.

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Körperverletzung Im Nürnberger Stadtteil Gostenhof kam es am 27. Januar 2019 zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Lukas und Alexander wurden von acht Männern angegriffen. Wie seid ihr mit der Situation umgegangen? Alexander: Erstmal total perplex, weil wir nicht damit gerechnet hatten, plötzlich von irgendwelchen acht Leuten überfallen zu werden. Das war schon eine schwierige Situation. Wir wussten auch nicht so ganz, wie man damit umgehen muss, ob wir die Polizei rufen sollen oder nicht. Lukas: Also in der Situation selber konnten wir nicht die Polizei rufen. Ich war umzingelt. Da waren erstmal acht Leute um mich herum, bis mir die anderen zu Hilfe kamen. Wir haben versucht, keinen Stress zu machen, aber egal, was man sagt, da finden sie immer etwas, um ein Problem daraus zu machen, dass du sie irgendwie beleidigen willst und dass du jetzt ihre Ehre beleidigt hast. Und dann gibt’s halt auf die Fresse, da kannst du sagen, was du willst. Deshalb haben wir irgendwann versucht, einfach wegzurennen. Welche persönlichen Erfahrungen nehmt ihr aus dem Geschehen mit? Alexander: Auf jeden Fall einfach Ruhe bewahren. Der Klügere gibt in solchen Situationen nach. Einfach direkt weglaufen, ohne sich auf ein Gespräch einzulassen. Lukas: Also wenn ich jetzt alleine draußen irgendwo rumgehe und auf so eine Gruppe treffe, versuche ich, die irgendwie zu umgehen.

Dann gibt’s halt auf die Fresse, da kannst du sagen, was du willst 107 / stereoton


Robert Jede Hinrichtung gleicht in Texas einer einstudierten Inszenierung: präzise, genau und zuverlässig. Der Gefangene wird mit einem weißen SUV aus dem Gefängnis nach Huntsville transportiert, eine Autofahrt von einer Stunde. Dort darf der Gefangene sich ein letztes Mal duschen, eine letzte Mahlzeit von der Karte des Hauses wählen und fünf Telefonate führen, bevor er in den Hinrichtungsraum geführt wird. Mehrere Männer schnallen ihn auf eine Liege. Durch ein Fenster schauen Zuschauer der Vollstreckung zu — oft Angehörige der eigenen Familie oder der seiner Opfer.

Mobbing Anna K., ausgebildete Grundschullehrerin, siedelt 1996 aus Sibirien nach Deutschland um. Ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, muss die 23-jährige Mutter von zwei Kindern bei null beginnen. Mit Mühe absolviert sie Deutschkurse. Ihr erster Termin beim Arbeitsamt raubt ihr jede Hoffnung, wieder als Lehrerin unterrichten zu können — ihr Hochschulabschluss wird hier in Deutschland nicht anerkannt. Ihre Beraterin drängt sie zu einer Umschulung als Informatikerin, ein Fachgebiet, das ihr völlig fremd ist, doch auf dem Markt gefragt sei. Anna stammt aus einem Fünfzig-Seelen-Dorf mitten in Sibirien. Technik, die über eine Glühbirne hinausgeht, sieht sie das erste Mal mit 17 Jahren an der Universität Kemerowo. 1991 zerfällt die Sowjetunion und hinterlässt eine marode Wirtschaft, Armut und steigende Kriminalität. Betroffen sind auch Anna und ihre Familie. Die Bundesrepublik Deutschland bietet einen Ausweg. Vertriebene Russlanddeutsche dürfen jetzt wieder nach Deutschland zurückkehren. Nach 18 Monaten Umschulung findet sie eine Stelle in einem renommierten deutschen Versandhaus als Datenbankbetreuerin. In ihrer Arbeit muss sie sich mit mehreren Abteilungen austauschen, eine große Hürde für Anna angesichts ihrer Sprachbarriere.

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Ihr neues Leben fordert sie tagtäglich aufs Neue heraus. Sie arbeitet halbtags, um danach ihre Kinder aus dem Kindergarten abzuholen. Wenn sie im Bett sind, kümmert sich Anna noch um den Haushalt. 18 Stunden ist sie auf den Beinen — alles in einem völlig fremden Land. Sie wächst an der Herausforderung, doch in der Arbeit blockieren Hürden ihren Weg. «Was immer mal wieder passiert ist, war, dass Kollegen einfach so beim Telefonieren aufgelegt haben. Als Erstes dachte ich, das würde aus Versehen passieren. Aber wenn ich nochmal angerufen habe, ging dann immer keiner mehr ran», erinnert sich Anna. Auf dem Gang wird sie von manchen Kollegen nicht gegrüßt. Sie denkt sich nichts dabei, lässt es nicht an sich heran. Als sie bei einer dringenden Angelegenheit einmal persönlich in das Büro eines Kollegen muss, sieht sie von ihr verfasste E-Mails an den Wänden hängen. Alle Fehler im Text sind mit Rotstift markiert und mit spöttischen Kommentaren versehen. Als sie versucht, die Kollegen zur Rede zu stellen, kommt nur zurück: «Naja, du sprichst nun mal ein scheiß Deutsch.» Ein Kollege tat danach so, als ob er sie nicht verstehe, obwohl sie sich davor unterhalten haben. Heute ist Anna nicht mehr bei dem Versandhandel angestellt. Sie erzählt, was sie aus der Zeit gelernt hat: «Am Anfang habe ich mich für mein schlechtes Deutsch geschämt und versucht, so wenig wie möglich zu reden. Aber dann habe ich gelernt, dass es eigentlich egal ist, wenn ich kleine Fehler mache. Die Leute verstehen mich ja trotzdem. Und seitdem rede ich eigentlich immer drauf los. Wenn es den Leuten nicht passt, ist das dann so.»

Naja, du sprichst nun mal ein scheiß Deutsch 109 / stereoton


Altersfreigabe Weiß oder Gelb, Grün oder Blau, manchmal auch Rot, kombiniert mit einer Zahl. Diese Symbole kennzeichnen ein mächtiges Konstrukt, das die Verfügbarkeit eines Films definiert und auch einschränkt. Stefan Linz, Leiter des Prüfbereichs der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK), erklärt die Vorgehensweise der Altersfreigabe: «Die FSK wird nur auf Antrag tätig, das heißt, wir prüfen nur, wenn wir einen Antrag vorliegen haben. Wenn ein Film zum Beispiel im Kino erscheinen soll, kommt ein Gremium zusammen.» Das Gremium bilden fünf ehrenamtliche Prüfungsmitglieder, die in der Medienwirkungsforschung tätig sind oder praktische Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen haben. Sie schauen sich den neuen Film vollständig an und diskutieren anschließend über die vermutete Wirkung auf Kinder und Jugendliche. Danach wird entschieden. Linz weiter: «Wenn von einem Film eine derart starke Wirkung vermutet wird, dass Jugendliche nicht nur in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, sondern sogar gefährdet werden können, dann muss der Ausschuss ein Kennzeichen verweigern. So ist es im Jugendschutzgesetz festgelegt.» In einem solchen Fall kann die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ein Indizierungsverfahren anstrengen. Wenn das Material als bedenklich eingestuft wird, kann das Gremium zwischen zwei Optionen wählen: Liste A oder Liste B. Liste A bedeutet, das Produkt ist nur für Erwachsene geeignet. Liste B heißt, das Produkt darf nicht verbreitet werden.

Inhalte, die vor zehn Jahren noch indiziert worden wären, bekommen heute ein Kennzeichen

«Inhalte, die vor zehn Jahren noch indiziert worden wären, bekommen heute ein Kennzeichen», so Marek Brunner, Leiter des der Abeilung Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle. Auch wenn die Prüfung eines Mediums für den Anbieter freiwillig ist, so erleichtert die Altersfreigabe den Kauf. Gleichzeitig sehen Kinder und Jugendliche dadurch nur das, was für ihr Alter angemessen ist und die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nicht gefährdet. Nach einer Freigabe muss trotzdem jeder für sich selbst entscheiden, ob der Film oder das Videospiel zu einem passt.

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Das Leben endet hier nicht, es geht ewig weiter. Ich musste auf die harte Weise meine Lektionen lernen

Robert Die erste Spritze jagt ein Narkotikum intravenös in den Patienten. Die zweite Spritze pumpt ein Muskelrelaxans in den Blutkreislauf — Skelettund Atemmuskeln werden gelähmt. Die letzte Spritze, gefüllt mit einer Überdosis Kaliumchlorid, lässt das Herz aufhören zu schlagen. Es ist nicht klar, ob diese Methode komplett schmerzfrei ist. Manche Häftlinge fürchten, die Dosis der ersten Spritze könne nicht an ihr Körpergewicht angepasst sein. Sie müssten alles miterleben, alles spüren, ohne etwas sagen zu können. Keiner weiß, ob Robert etwas gespürt hat. Der Journalist Michael Graczyk hat Robert Pruetts letzte Worte aufgezeichnet: «Ich habe viele Menschen verletzt und viele Menschen haben mich verletzt. Ich liebe euch alle so sehr. Das Leben endet hier nicht, es geht ewig weiter. Ich musste auf die harte Weise meine Lektionen lernen. Eines Tages wird es keinen Grund mehr geben, Menschen zu verletzen.»

Eines Tages wird es keinen Grund mehr geben, Menschen zu verletzen 111 / stereoton


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Wie das Leben, so der Sarg, heißt es in Accra, der Hauptstadt Ghanas. Paa Joe ist einer der populärsten und erfolgreichsten Sargtischler und Künstler in Ghana. Jeder Sarg aus seiner Werkstatt gilt als Kunstobjekt in der globalen Kunstwelt. Zunächst fertigten Paa Joe und seine Mitarbeiter nur für den heimischen Markt. Mittlerweile überzeugen die Aufträge auch international. Eines seiner Werke kann der Besucher im Museum Fünf Kontinente in München bestaunen: Nike Trainer 42 — ein überdimensionaler Sportschuh, hergestellt aus

Wie man sich bettet

leichtem Holz, das Innere mit Seide ausgekleidet.

Dr. Stefan Eisenhofer, Leiter der Abteilungen Afrika und Nordamerika im Museum Fünf Kontinente: «Das hat sich ausgerechnet in dieser Region entwickelt, dass man den Tod und den letzten Gang des Verstorbenen mit seinem Leben verknüpft. Von Bauern gibt es Särge in Form von Kühen oder Ziegen oder auch in Form von Zwiebeln oder Yamswurzeln. Fotografen werden in Form von Fotoapparaten bestattet, Fußballer in Fußballschuhen. Sehr beliebt sind auch teure Autos wie Mercedes-Benz-Särge, um zu zeigen, dass der Verstorbene es im Leben zu etwas gebracht hat und sich ein europäisches Auto leisten konnte. Das ist tatsächlich nur auf die Ga-Region in Süd-Ghana beschränkt. Die Nachbarregionen kennen das nicht.»


Von der Cola-Flasche bis hin zur Zigarettenschachtel «Im Moment ist die Feuerbestattung die meistgefragte Bestattungsart bei uns», sagt Gisela Lipka-Witek, Trauerbegleiterin beim Bestattungsinstitut AETAS in München. Das Institut begleitet Menschen, die ihre Trauer bewältigen. «Also die Bestattung selbst kann bei uns gar nicht kompliziert sein. Wenn, dann ist es die Art, wie jemand Abschied nehmen möchte».

Auf dem Friedhof Altona in Hamburg wirkt ein kleines Areal wie eine Miniaturversion des Volksparkstadions. Der Eingang ist einem Fußballtor nachempfunden, das Stadion ist gleich daneben. Dort spielt der Hamburger Sportverein. In diesem besonderen Teil des Friedhofs werden HSV-Fans beerdigt. Die Vereinsfarben zieren den Sarg, es erklingt die Vereinshymne; jede Beisetzung ist einzigartig. «Im Endeffekt ist nichts vorgeschrieben», meint Michael Carbuhn, Geschäftsführer der Friedhofs Bestattung Hamburg. «Man kann da eine Menge machen.» So wird auch schon mal die Grabstelle ausgesucht, die der Position des Dauerkartenplatzes im Stadion entspricht, auf dem der Verstorbene zu Lebzeiten seinen HSV angefeuert hat.

Illustration Alisa Friedl

In Deutschland normiert die eiserne Hand der Bürokratie Särge und Urnen. Daher dürfen bei der Trauerfeier persönliche Gegenstände nur neben dem Sarg stehen. Bei einem verunglückten Harley-Davidson-Fahrer lag auf dem Sarg die Fahne des Motorradherstellers. Sein Motorrad, die Satteltaschen und die Motorradkleidung standen daneben. «Das ist das Individuelle an der Trauerfeier und das ist auch genau das, was wir wollen», sagt Lipka-Witek. Die persönlichen Gegenstände verdeutlichen dabei noch einmal, wofür der Verstorbene leidenschaftlich lebte — und starb.

Text Tristan Reitter

Das Trauerfest mit Hunderten, manchmal Tausenden Gästen, festigt das Image des Verstorbenen und seiner Hinterbliebenen. Der riesige Trauerzug begleitet den Verstorbenen bis zum Grab. Der kostbare und kunstvoll gestaltete Sarg verschwindet für immer unter der Erde. Zunächst waren Mensch- und Tierformen das gängigste Sargmotiv der Ga-Region. Heute gibt es keine gestalterischen Grenzen: von der Cola-Flasche bis hin zur Zigarettenschachtel.

Angehörige zu verabschieden ist dem Bestattungsinstitut besonders wichtig. Eine der Möglichkeiten: Der Verstorbene wird in einem kleinen Raum aufgebahrt und von den Trauernden einzeln besucht. Dort soll jeder Angehörige den Verstorbenen noch einmal berühren, um den Tod greifen zu können. «Nochmal spüren, dass die Haut sich verändert», erklärt Lipka-Witek. Gerade Kinder werden so an den Tod eines nahestehenden Menschen herangeführt, damit sie den Verlust besser verarbeiten und verstehen.


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Ein blaues Bild — es spiegelt die Aura von vielen Menschen wieder. Von ganz besonderen Menschen. Von Indigo-Menschen.

Seelenfamilie

Meerle ist 49 Jahre alt und lebt in der Schweiz. Sie gehört zu dieser besonderen Gruppe von Menschen. Eigentlich heißt sie Ursula Renate — Meerle ist ihr Ursprungsname, den sie seit zehn Jahren hat. Indigos bilden keineswegs eine Sekte. Sie sind allgemein sehr spirituell, versuchen die Welt zu verändern, Menschen auf etwas aufmerksam zu machen und haben eine starke Verbindung zur Natur. In Meerles Fall ist diese Verbindung sehr stark ausgeprägt — sie hat die Gabe, mit Tieren, Elfen, Kobolden und Feen zu sprechen.

Für sie war es ganz normal, mit Tieren zu sprechen


Sie kann spüren, wenn Menschen oder Tiere dem Tod nahe sind. Als ihre Freundin Lisa mit einer Grippe im Krankenhaus lag, wusste sie: «Sie kommt nicht mehr heim.» Meerle behielt recht. Drei Tage später starb Lisa. Meerle hatte lange Zeit Angst vor dieser Gabe und konnte damit nicht umgehen. Heute ist das anders. Meerle sieht sie als Geschenk. Sie kann Angehörige auf das Bevorstehende vorbereiten und Menschen und Tiere auf ihrer letzten Reise begleiten. Für Meerle ist der Tod nicht das Ende. Sie glaubt, die Seelen gehen wieder zurück. Zurück zu den Menschen und Tieren, die einem zu Lebzeiten wichtig waren: zurück in ihre Seelenfamilie.

Text Janina Marx

Illustration Alisa Friedl

Das fand Meerle schon als Kind heraus. Damals, im Kindergarten erzählte sie stolz: «Ich habe mit Zeta gesprochen: dem Nachbarshund.» Warum sie deswegen bestraft wurde, verstand sie nicht. Für sie war es ganz normal, mit Tieren zu sprechen. Ab der zweiten Klasse verdrängte sie diese Gabe — doch das ist nicht ihre einzige. Sie spürt, wenn sie belogen wird, und kann kein Fleisch aus Massentierhaltung essen: «Ich merke, dass das Tier nicht in Ordnung gehalten oder geschlachtet wurde.» Außerdem besitzt Meerle eine Art Hellsichtigkeit.


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Acht Jahre nach ihrem Titel der deutschen Meisterschaft der Damen im Tipp-Kick erinnert sich Elisabeth Wagner noch einmal zurück an diesen Tag: Über viele Jahre hat sie den Turniersport ausgeübt, zu dem sie eher beiläufig gekommen ist. Verabschiedet hat

Der letzte Kick

sie sich mit einem fulminanten Finale.


Es juckt noch immer in ihren Fingern. Stolz zeigt Wagner auf ihre kleine rote Kiste mit der goldenen Blume. Darin liegen die beiden Spieler, mit denen sie im Jahr 2011 bei der deutschen Meisterschaft gewonnen hat. «Am Finaltag wollte ich mit dem Tipp-Kick aufhören. Es nahm viel Zeit in Anspruch, zu trainieren und zu Turnieren zu fahren. Mit so einem Ende hatte ich jedoch nicht gerechnet.»

Am Finaltag wollte ich mit dem Tipp-Kick aufhören

Zum Sport ist sie über Umwege gekommen. Ihre Kinder haben im Ferienprogramm einen Schnupperkurs im Tipp-Kick besucht; das hat ihnen so viel Spaß gemacht, dass beide in den Turniersport eingestiegen sind. Bis ihr Großer keine Zeit mehr hatte zu trainieren. Mit ihrem Im heimischen Keller war damals eine Tipp-Kickjüngsten Sohn Florian hat sie Platte. Dort haben sie jeden Tag geprobt. «Meine jeden Tag nach den Hausaufga- beiden Söhne haben mir die wichtigsten Tricks ben geübt: «Ich war dann eher beigebracht, beispielsweise den Kniff, dass der so der Lückenbüßer, wenn mein Ball auf einer bestimmten Seite liegen muss, großer Sohn keine Zeit hatte.» bevor er ins Tor fliegt. Das haben mir die beiden zwar gezeigt, aber ohne das viele Üben wäre ich nicht so gut geworden.» Wagner hat ihre beiden Söhne zu allen wichtigen Turnieren gefahren: in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Selbst gespielt hat sie damals noch bei keinem Turnier.

Beim Tipp-Kick spielen immer zwei Spieler gegeneinander, egal wie alt, ob Mann oder Frau. Wie beim Fußball gewinnt der Spieler mit den

haben verschiedene Füße für unterschiedliche Schusstechniken. Je nach Position wird eine der beiden Spielfiguren ausgewählt. Die Füße der Spieler selbst kann man sich bis zu einem gewissen Grad zurechtfeilen, ohne disqualifiziert zu werden. Auf dem Platz dürfen jeweils nur ein Spieler und der Torwart stehen.

Text Sophie Badura

mit einem Knopf am Kopf betätigt. Die Figuren

Illustration Alisa Friedl

meisten Toren. Der Fuß der beiden Spieler wird


Der Sportsgeist hat mich gepackt und ich bin ab diesem Zeitpunkt bei den Turnieren meiner Söhne angetreten

In Berlin findet noch heute das größte deutschlandweite Turnier statt. Dort nehmen bis zu 250 Personen teil. Die Veranstaltung kann bis zu zwei Tage dauern. Die Spielfiguren von damals hat sie bis heute aufgehoben. In der roten Box schlummern die beiden Feldspieler, der Torwart und die schwarz-weißen Bälle. Ihre Spieler hat sie damals mit Nagellack angemalt, in Rot und Lila, damit sie leichter von den gegnerischen Figuren zu unterscheiden waren. «War der Belag zu dick, konnte das zur Disqualifizierung führen», merkt sie an. Jeder Spieler hat beim Wettkampf seine eigene Uhr, um die Spielzeit aktiv zu verfolgen. Eine Halbzeit dauert fünf Minuten, danach wird gewechselt. An einem Wochenende sind bis zu zwanzig Spiele keine Seltenheit. Mit der Zeit spielte Wagner immer besser. «Ich habe tatsächlich ein Eckballtor gegen meinen Sohn geschossen. Das habe ich natürlich überall erzählt und vielleicht ein bisschen zu viel damit angegeben», erzählt sie mit einem Grinsen. Sie war damals bei einem Turnier in Berlin. Am Abend hat sie ein Mitstreiter ihrer Söhne noch kurzfristig angemeldet. Mitten in der Nacht bauten sie noch eine Spielfigur, damit sie auch mitspielen konnte. Wagner hat kein Auge zugetan und stundenlang geprobt, um noch die letzte Fingerfertig- Insgesamt hat sie sechs Jahre gespielt. «Bei meinem keit aus sich herauszukitzeln: «Die ersten Turnier bin ich recht weit gekommen. Ich hatte Jungs haben mich herausgefordert und mir einen Platz im Mittelfeld erkämpft. Der Sportsich habe dann tatsächlich am nächsten geist hat mich gepackt und ich bin ab diesem ZeitTag gleich das erste Spiel gewonnen.» punkt bei den Turnieren meiner Söhne angetreten», erinnert sie sich. Im Jahr 2011 hat sie dann beschlossen aufzuhören. «Der Sport nimmt viel Zeit in Anspruch, vor allem, weil die Turniere deutschlandweit verteilt sind. Dazu kam, dass ich einen eigenen Geschenkeladen in der Amberger Innenstadt aufgemacht habe. Ich musste mich irgendwann gegen den Sport entscheiden», so Wagner. 118 / beton


Am Tag der deutschen Meisterschaft sollte ihr letztes Spiel stattfinden. Erfolgreich war sie bis dahin schon mehrmals. Sie war bereits norddeutsche und süddeutsche Meisterin der Damen. Die deutsche Meisterschaft, der höchste Titel, hat ihr noch gefehlt. Bei der deutschen Meisterschaft spielen Männer und Frauen zunächst in einer Runde. Meistens kommen die Frauen nicht so weit wie ihre männlichen Gegner. Ungefähr bei der Hälfte des Turniers scheiden die weiblichen Teilnehmer aus und kämpfen dann in ihrer eigenen Runde um die Damenmeisterschaft. «An diesem Tag habe ich es wieder ins Endspiel geschafft. Das war wahnsinnig aufregend für mich, um die deutsche Meisterschaft zu spielen», erzählt sie begeistert. «Der Tisch wurde in der Mitte aufgebaut. Alle haben sich drum herum gesetzt und zugesehen. In der letzten Runde war die Stimmung natürlich noch spannender. Jeder feuert dich an. Meine Gegnerin und ich waren in etwa gleich stark. Bis kurz vor Schluss stand es unentschieden: Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Im letzten Moment habe ich dann das Siegtor machen können. Ich war unendlich glücklich darüber, dass ich es geschafft habe!» Am meisten gefreut hat «Fasziniert hat mich das Flair in der Turnsie sich darüber, wie halle. Je weiter das Turnier ging und umso stolz ihre beiden Söhne spannender es wurde, desto angespannter auf sie waren – ein wurde auch die Atmosphäre in der Halle», Moment, den sie nicht erzählt Wagner. «Es kam vor, dass Spieler mehr missen möchte. an die Wand geschmissen wurden. Jeder ist voll dabei. Gegen Ende wird es immer ruhiger. Bei einem Spiel an sich ist es in der Halle immer ganz ruhig. Jeder weiß, um wie viel es geht und dass man konzentriert sein muss.» Aus dieser Zeit hat sie den Zusammenhalt mitgenommen. «Es ist wie eine große Familie, die sich zu einem Familienfest trifft», sagt Wagner. «Den Konkurrenzgedanken gibt es, aber der Teamspirit steht da drüber.» Das bleibt bis heute so. Wenn ihre Söhne selbst noch zu Turnieren fahren, werden häufig Grüße an die Mutter ausgerichtet. Alle zusammen haben sie viele Wochenenden verbracht. Das schweißt zusammen und man versteht sich mit der Zeit auch gut. Toll war für sie auch, wie sehr selbst Gegner sie unterstützten. «Es standen immer viele bei einem Spiel um dich herum und haben mit dir mitgefiebert und sich gefreut.» Jeder spielt gegen jeden. Das ist für sie auch eine Besonderheit. Da gibt es keinen Bonus, wenn man eine Frau oder ein Kind ist. «Meine Söhne haben gegen mich genauso gespielt wie gegen andere Gegner. Das macht diesen Sport, denke ich, auch aus.»

Meine Gegnerin und ich waren in etwa gleich stark. Bis kurz vor Schluss stand es unentschieden


Zwischen Materie und Geist 120 / beton


Passau, Samstagmorgen, zehn Uhr. Martin Lüthke öffnet seine Haustür und grüßt freundlich mit einem Händedruck. Seine weisen Augen ruhen auf seinem Gegenüber, während Lüthke ihm weiße Hausschuhe anbietet. Doch Dr. Lüthkes Klienten kommen zu ihm nicht zum Wellnessen, sie sprechen über ihre seelischen Probleme. Mit den Stufen in sein Behandlungszimmer im Keller begeben sich die Klienten meist tief in ihr Unterbewusstsein. Lüthke ist Diplompsychologe, klinischer Psychologe und Heilpraktiker. Über seine unkonventionellen Handlungsme-

Text Jennifer Schnell

Gab es ein Ereignis, das Ihre Berufswahl entscheidend geprägt hat? Ich selbst habe keine einschneidenden, traumatischen Erfahrungen erlebt — lobet den Herren! Was aber nicht bedeutet, dass nicht jeder auf seine eigene Art und Weise leiden kann, unabhängig davon, was äußerlich passiert ist. Ich würde sagen, kein einzelnes Ereignis, keine einzelne Erfahrung, aber insgesamt das Leiden am Menschsein, das Leiden am Unglücklichsein mit sich selbst, was in gewisser Weise Grundvoraussetzung ist, um sich diesen Din- Was ist das Besondere an Ihrer Behandlung? gen vertieft und Ich bin völlig schamlos Energetiker. Das heißt, ich sehe mit Hingabe zu die gesamte Schöpfung aus dem energetischen Blickwinwidmen. kel; die psychologischen, mentalen und körperlichen Probleme meiner Patienten werden aus diesem Blickwinkel verstanden und behandelt. Unsere Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, inneren Bilder, aber auch unser physischer Körper sind nichts anderes als Manifestationen von Energien auf verschiedenen Ebenen. Wenn wir diese Grunderkenntnis annehmen, dann löst sich der Widerspruch auf zwischen Materie und Geist, die Dualität, die ein Missverständnis der westlichen Denktradition ist. Es ist also letztlich egal, ob es sich um ein gebrochenes Bein oder ein gebrochenes Herz handelt, beide Schmerzen werden gleichermaßen behandelt.

Illustration Elisabeth Iglhaut

thoden, Spiritualität und ein Leben nach dem Tod.


Wie behandeln Sie Ihre Klienten? Zunächst füllt jeder Patient einen Fragebogen aus, der mir erlaubt, über ein sehr breites Spektrum der Beschwerden sehr schnell Aufschluss zu erhalten, sodass wir wenig Zeit verschwenden mit der Anamnese. Dann ordne ich die genannten physischen oder emotionalen Beschwerden vorläufig bestimmten Energiesystemen oder Regionen im Körper zu, was mir den ersten Anhalt gibt. Ich frage nach Schmerzen, denn Schmerzen sind sozusagen Oberfläche, an der man am leichtesten energetische Blockaden erkennen kann.

Behandeln Sie Ihre Patienten nur, indem Sie mit ihnen sprechen? Natürlich spielen Gespräche eine Rolle, aber im Wesentlichen geht es um die Arbeit am menschlichen Energiekörper. Wir müssen uns das wie in einem Marionettentheater vorstellen: Der physische Körper ist die Puppe und der energetische Körper ist der Marionettenspieler. Den sieht man nicht, er liegt aber den Bewegungen der Puppe zugrunde. Der menschliche Energiekörper ist aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt: Chakren, Meridiane und dem aurischen Umfeld. Die Chakren kann man den Organen des physischen Körpers in Analogie stellen, die Meridiane den Nerven oder Blutgefäßen und die Aura ist sozusagen das Kraftfeld, das all dies umgibt und durchzieht.

Der physische Körper ist die Puppe und der energetische Körper ist der Marionettenspieler

Wie kann man Chakren und Meridiane behandeln? Das kann erstmal mit Akupressur, aber auch mit der Arbeit im Innenraum beginnen. Der Innenraum ist ein meditativer Zustand erhöhten Bewusstseins, in dem der Patient die inneren energetischen Phänomene beobachten und beschreiben kann. Jeder ist dazu fähig, diesen inneren Fluss zu registrieren. Diese Beobachtungen können Farben, Formen, Bewegungen, Aggregatzustände sein — flüssig, gasförmig, fest und Ähnliches. Wir gehen sozusagen dorthin, wo es Blockaden, Missempfindungen oder Schmerzen gibt. Diese nehme ich oft auch wahr in meinem eigenen Körper, parallel zum Patienten, manchmal bevor der Patient irgendetwas gesagt hat oder sich der Blockade bewusst geworden ist. Da höre ich auf meine Intuition und innere Führung, die natürlich von jahrzehntelanger Erfahrung unterstützt wird.

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Haben sich die Krankheitsbilder im Laufe der Zeit verändert? Es hat den Anschein, wenn man sich die Forschung anguckt, dass die Menschen heutzutage psychisch belasteter sind als früher. Wir leben in einer Zeit des energetischen Umbruchs, das heißt, die alten, eingefahrenen Denkmethoden sind einem erheblichen Veränderungsdruck ausgesetzt. Das erzeugt natürlich mehr Angst für die Menschen, die einen Widerstand gegen Veränderungen in sich spüren, und es ist eine große Herausforderung. Auf der anderen Seite sind diejenigen, die bereit sind, ihr Herz zu öffnen und sich den neuen, höherfrequenten Energien bereitwillig auszusetzen, auch in der Lage, große Fortschritte im seelischen Wachstum und in der inneren Heilung zu erfahren. Dies hätte vielleicht in früheren Zeiten etliche Lebzeiten gebraucht, die man heute in wenigen Jahren hinter sich legen kann. Es ist ein deutlich erhöhtes Veränderungstempo. Wer sich der Veränderung widersetzt, wird es schwer haben.


Unser Alltagsbewusstsein macht nur einen ganz kleinen Ausschnitt unserer Wirklichkeit aus

Unsere Essenz als energetisches, seelisches Wesen überdauert unsere körperliche Existenz in jedem Fall Sie sprechen von Energien und Frequenzen im menschlichen Körper: Was bedeutet für Sie Spiritualität? Spiritualität ist ein philosophischer und lebenspraktischer Rahmen, der auf der Einsicht des energetischen Paradigmas beruht. Alle Schöpfung ist Schwingung. Die ganze Welt, unsere Gedanken, unsere Erlebnisse, unsere Gefühle, das Materielle und Immaterielle bestehen aus einer einzigen Substanz, wenn man so will — das ist Energie. Es geht also immer um die untrennbare Einheit von Energie und Information. Spiritualität erkennt dies an und versucht diese Erkenntnis in lebenspraktische Bezüge umzusetzen. Das heißt zum Beispiel, dass ich meine Gedanken, Gefühle und Worte auf Schädlichkeit überprüfe. Insofern ist Spi- Was hat Spiritualität mit Psychotherapie zu tun? ritualität ein Ausdruck Es gibt viele Psychotherapeuten, die spirituell überfür eine bewusste Le- haupt nicht unterwegs sind. Aber nach meinem Dafürhalbenspraxis, die auf der ten beschränken sie dadurch ihre Möglichkeiten, anderen Erkenntnis basiert, dass Menschen zu helfen. Wir sind ja nicht nur biologische, wir alle untrennbar mit- physische oder mentale Wesen, sondern im Wesentlichen einander verbunden sind sind wir Seelen, die mehr oder minder kurzzeitig auf über diese energetischen dieser Erdebene physische Erfahrungen machen. Unsere Frequenzen. Essenz als energetisches, seelisches Wesen überdauert unsere körperliche Existenz in jedem Fall. Diese Grundlage kann auch die Basis einer psychotherapeutischen Orientierung oder Intervention sein.

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Sie sagen, unsere Seele überdauert unser menschliches Dasein. Glauben Sie an ein Leben oder eine Existenz nach dem Tod? Das ist keine Frage des Glaubens. Nein, ich glaube nicht an vergangene Leben; ja, ich weiß, dass es sie gibt. In dem Sinne: Es regnet, Sie treten vor die Tür und werden nass, dann würden Sie auch nicht sagen: Ich glaube an Regen. Es ist keine Frage des Glaubens. Wenn es regnet, werden Sie nass. Jeder Mensch Zeit und Raum sind Vorstellungen, hat viele, viele Lebzeiten vor die an diese Ebene gebunden sind. Auf und hinter sich. Wir leben auf den höheren Ebenen besteht das ewivielen verschiedenen Dimen- ge Jetzt: simultane Leben, simultane sionen gleichzeitig. Die Erd- Dimensionen. In gewisser Weise kann dimension ist nur eine von man sich das so vorstellen: Jede vielen. Nacht träumen Sie, und in dem Moment, in dem Sie träumen, ist der Traum für Sie wahr. Wenn wir die Augen zumachen, einschlafen, wechseln wir das Frequenzband und existieren auf dieser Frequenz. Jede Dimension ist einfach eine Schwingungsfrequenz. Unser Alltagsbewusstsein macht nur einen ganz kleinen Ausschnitt unserer Wirklichkeit aus. Wenn wir schlafen, träumen, Near-Death-Experiences haben, bewusstlos werden, Drogenerfahrungen machen oder den Körper zurücklassen, was wir Sterben nennen, löst sich die Verklammerung unseres Bewusstseins mit der physischen Ebene auf. Dann können wir das breitere Spektrum der Frequenzen bewusst wahrnehmen.


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Stell dir vor, während du dieses Magazin in den Händen hältst, fällt es dir plötzlich schwer etwas zu erkennen. Die Buchstaben zerfließen auf dem Papier. Du kannst kein Wort mehr entziffern, alles

Aus dem Sinn

verschwimmt.


Text Carolin Maul

Dominik ist heute 40 Jahre alt und lebt mit seiner Freundin Brigitte in einem Häuschen in einem kleinen Dorf in Mittelfranken. Seit seiner Einschulung besucht er ein Institut für Blinde, Sehbehinderte und Sehende in Nürnberg. Dort kämen die Schüler auch dazu, eine Berufsausbildung zu absolvieren — zum Beispiel zum Physiotherapeuten oder Masseur. In dem Institut bereitete er sich auf seine Zukunft vor: «Ich Die Zeit nach dem Erblinden war schwer für Dominik. Die habe von Anfang an Sachen Blindenschule wurde umgebaut und zog in ein Gebäude um, wie Blindenschrift gelernt. das ihm völlig fremd war. Er musste zum ersten Mal StraDas hat mich damals richtig ßenbahn fahren. «Am Anfang war ich in einem Loch gefanangekotzt, dass ich neben gen. Man überlegt, was man tun soll», erzählt Dominik. dem normalen Schulstoff Kurz bevor er sein Augenlicht verlor, lernte er Brigitte noch mehr lernen musste. kennen. Selbst mit ihr wollte er nicht darüber sprechen Ich sah es einfach nicht als und hat alles in sich hineingefressen. Er besuchte eine Notwendigkeit an.» ambulante Therapie und einen Psychologen; der half ihm dabei, die Situation zu verarbeiten. «Ich musste selbst akzeptieren, dass das nun ein Teil von mir ist. Das war schwer», erinnert er sich. In den nächsten drei Jahren hat er in den Tag hineingelebt. Mit den Ausbildungsmöglichkeiten, die die Schule anbietet, wie Physiotherapie, konnte er nichts anfangen. «Ich habe mich dabei nicht wirklich wohlgefühlt. Man bekommt zwar Blindengeld, aber das macht einen ja auch nicht zufrieden», erzählt Dominik.

Illustration Elisabeth Iglhaut

Dominik war damals 23 und schrieb gerade eine Prüfung. Doch plötzlich konnte er die Aufgaben nicht mehr lesen — jedes Wort verschwamm. «Ich war geschockt. Morgens konnte ich noch alles genau sehen und plötzlich das», erzählt er. Dieses Erlebnis hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt — er erblindet. In den nächsten Monaten verschlechterte sich sein Sehvermögen zunehmend: Er konnte nur noch grobe Umrisse erkennen, bis er schließlich gar nichts mehr sehen konnte. Dominik ist seit seiner Geburt an Grünem Star erkrankt, einer Augenkrankheit, die den Sehnerv schädigt — unheilbar. Er konnte nie perfekt sehen, doch er konnte lesen oder Fahrrad fahren. Er wusste, mit der Zeit würde er erblinden: «In dem Alter habe ich noch nicht so darüber nachgedacht. Man lebt im Hier und Jetzt, man kann ja eh nichts dagegen machen.»


Er fühlte sich schon immer auf eine gewisse Weise mit Tieren verbunden. Während er seinen Blindenhund Bruno einschulte, hat er sich erstmals stärker mit Hundetraining befasst und war begeistert. Bruno ist zum Beispiel in der Lage, Dominik von einem Ort zum anderen zu führen — das wurde ihm beigebracht.

Mitmenschen nehmen keine Rücksicht und oft muss der Blindenhund draußen bleiben

Eine Freundin brachte ihn dann auf die Idee und Dominik beschloss eine Tierpension zu eröffnen. Er startete ganz klein mit ein paar Visitenkarten. «Die Aktion schwankte kurz, als ich beim Gewerbeamt anrief: Dadurch, dass ich blind bin, war das nicht so einfach zu arrangieren. Ich bin wahrscheinlich der einzige Blinde in Deutschland mit einer Tierpension.» Mit der Zeit kam noch die Hundeschule dazu. Beides läuft mittlerweile sehr gut. «In der Anfangszeit haben oft Leute angerufen und sich bezüglich der Hundeschule und der Pension erkundigt. Dann wollten sie ihre Tiere nicht vorbeibringen, weil ich blind bin», erzählt Dominik. Heute ist das anders. Oft kommen Leute, Doch Dominik erlebt auch viel Unangenehmes weil sie interessiert sind, wie wegen seiner Blindheit. Ein Mal haben Brigitte ein Blinder Hunden etwas bei- und Dominik die Polizei gerufen. Sie dachten, bringen kann. Er erntet viel Lob es breche jemand ein. Obwohl hinter Dominik und Anerkennung. der Blindenstock an der Wand lehnte, unterstellte die Polizei ihm, er stehe unter Drogeneinfluss. Wenn sie im Supermarkt einkaufen, fühlen sie sich schnell gestresst. Seine Freundin führt ihn mit dem Einkaufswagen durch die engen Gänge. Mitmenschen nehmen keine Rücksicht und oft muss der Blindenhund draußen bleiben. «Man muss stabil werden. Manchmal lachen mich Leute aus, wenn ich versehentlich gegen einen Pfosten laufe, weil ich ihn zu spät bemerke. Sie denken, ich wäre besoffen», sagt Dominik. Brigitte verletzt das mehr als ihn selbst.

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Brigitte ist nicht blind. Sie lernte Dominik beim Institut für Blinde und Sehbehinderte kennen, während sie dort ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin machte. «Mich nimmt es meist mehr mit als Dominik, wenn die Leute ihn blöd behandeln», sagt sie. Ihre Familie hat es anfangs nicht verstanden, warum sie sich in einen Blinden verliebt hat. Brigitte verhält sich ihrem Freund gegenüber sehr lie- Dominik erinnert sich noch an Farben. Sie werden für bevoll und fühlt sich immer verantwort- ihn jedoch immer unwichtiger. «Sie nutzen mir vor lich. «Wenn etwas schiefgeht, bin ich die, allem noch etwas im Gespräch mit Sehenden», erklärt die etwas sieht — dann bin ich schuld», er. Seine Umgebung nimmt er heute über andere Sinne erzählt Brigitte. Sie führt ihn, wo auch wahr. Sie schärften sich in den letzten Jahren: «Ich immer er sich allein noch nicht zurecht- höre besser, ich rieche intensiver. Ich gehe anders findet. Die beiden sind ein eingespieltes mit den Sachen um.» Wo habe ich die Fernbedienung Team: «Vor Kurzem wollten wir eine Lampe hingelegt? — Solch ein Detail muss sich Dominik jetzt aufhängen und ich wusste nicht, wie. Also genau merken. Früher hätte er einfach nachgesehen. hat Dominik mir erklärt, was ich machen Damit er neue, wichtige Informationen abspeichern muss und ich habe es dann ausgeführt. Er kann, löscht sein Gehirn alte Erinnerungen: «Das ist sieht ja die Farben nicht, aber erklärt mir, mir extrem aufgefallen.» Das Aussehen von Personen welche Kabel ich miteinander verbinden ist unwichtig geworden. Dominik weiß nicht mehr, wie muss.» Brigitte aussieht. «Ich fülle in Vergessenheit geratene Erinnerungen mit Emotionen wieder auf. Ich frage mich gar nicht mehr, wie jemand aussieht. Es kommt auf die Stimme und den Geruch der Person an.» Dennoch schmerzt es: «Man weiß halt, was einem entgeht. Wenn man es nicht kennen würde, könnte man es nicht vermissen.» Hätte er einen Wunsch frei, würde er gerne seine Freundin Brigitte nochmal betrachten und Filme anschauen.


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Theophanu spürt eine warme Brise und die Gischt des Meeres auf ihrer Haut. In ihr breitet sich ein flaues Gefühl aus. Sie hat Angst. Angst vor dem, was sie erwartet. Angst vor ihrem neuen Leben. Zum ersten Mal ist sie getrennt vom Hof, ihrem Onkel, dem byzantinischen Kaiser. Langsam wandert ihr Blick über das Schiff. Die Männer an Deck eilen wild umher. Sie bereiten das Anlegen vor. Der Frachtraum darunter ist mit Gold gefüllt. Theophanus Onkel hofft, Kaiser Otto damit freudig zu stimmen, denn in Theophanus

Bindende Kostbarkeit

Adern fließt kein purpurnes Blut.

Ein lauter Schlag ertönt, als eines der Beiboote zu Wasser gelassen wird. Es dauert nicht lange und einer der Männer bittet sie ins Boot zu steigen. Theophanu bewegt sich wie in Trance. Sie lässt ihren Blick in Richtung Land schweifen. Dort erblickt sie zum ersten Mal ihren Verlobten und ihre zukünftige Familie. Während der Fahrt ans Ufer kreisen ihr tausend Gedanken durch den Kopf: «Wie werden sie zu mir sein? Werden sie mich akzeptieren?» Mit zitternden Knien steigt sie aus dem Boot. In ihren Händen hält sie ein kleines, kostbares Geschenk. Eine Gabe, die den Kaiser milde stimmen soll. Kaiser Otto begrüßt das junge Mädchen Die junge Theophanu betritt wehmütig den herzlich. Nachdem Theophanu Petersdom in Rom. Getuschel, Geflüster, ihre Mitgift übergeben hat, wird hasserfüllte Blicke. «In ihren Adern sie zur Burg gebracht. Dort wird fließt kein purpurnes Blut», spottet eine ihr eine Zofe zugeteilt, die sie alte Dame. «Sie hat hier nichts verlofür die bevorstehende Hochzeit ren», eine andere. Mit flauem Magen einkleiden soll. Die Zeit scheint schreitet Theophanu durch die riesige stillzustehen. Es klopft: «Wir Basilika. Der Duft von Weihrauch liegt in sind so weit.» der Luft. Vor dem Altar empfängt sie ihr zukünftiger Schwiegervater, Kaiser Otto I. Er arrangierte die Hochzeit mit der Byzantinerin, um seine Macht auszuweiten. Ihr Bräutigam wirkt beinahe schüchtern. Seine kalte Hand zittert, als sie sich das erste Mal berühren.


Die Zeremonie der Krönung beginnt. Ihr zukünftiger Ehemann ist bereits Kaiser — Otto II., des Römisch-Deutschen Reiches. Theophanu fühlt sich wie in einem Traum. Sie bekommt die Reichsinsignien überreicht. Der Papst spricht auf Latein. Sie versucht seine Worte zu verstehen und gibt sich große Mühe, ihrer zukünftigen Familie zu gefallen. Auf ein Zeichen hin kniet sie nieder. Vorsichtig setzen die drei Kurfürsten ihr die Krone auf. Sie ist kühl und schwer. Theophanu sehnt sich das baldige Ende der Zeremonie herbei. Doch das Wichtigste steht noch bevor: die Trauung.

Text Janina Marx

Das Pergament aus Purpur ist mit goldenem Rand verziert, die Schrift aus purem Gold gefertigt

Illustration Elisabeth Iglhaut

Theophanu hat Angst vor ihrem Schicksal. Sie ist fremd unter diesen Leuten. Schweigend gibt sie sich ihrer Zukunft hin. Zitternd antwortet sie Papst Johannes XIII.: «Ja, ich will.» Vor ihr wird die große Heiratsurkunde ausgebreitet. Das Purpurpergament ist mit goldenem Rand verziert, die Schrift aus purem Gold gefertigt. Hinter der Schrift verbergen sich rote Kreise. In jedem der Kreise kämpfen zwei Tiere gegeneinander. Die Urkunde bestätigt, welche Mitgift Theophanu mit in die Ehe nimmt und was ihr durch den Bund der Ehe zusteht. Die Urkunde ist prachtvoll — wunderschön. Theophanu unterzeichnet mit einer edlen Feder und goldener Tinte. Mit dieser Unterschrift wird Theophanu zur reichsten Frau Europas.


Anziehendes Scheusal 132 / beton


Sechs Monate Arbeit zeigten ihre Wirkung in seinem Körper, genauer in seinem Kopf. «Sechs Monate Zurechtweisungen von Stümpern. Sechs Monate Ignoranz meines Genies. Sechs Monate Aufopferung», geht es ihm durch den Kopf, während die elektronische Musik leiser wird und die Models vom Laufsteg zurückkehren. «Niemand von denen da draußen versteht auch nur im Ansatz die Geschichte, die ich ihnen gerade präsentiert habe.» Paul Toulier, der Modeschöpfer, von tonangebenden Modemagazinen als Meister der Prêt-à-porter betitelt, wartet im Backstage hinter der Hauptbühne der Pariser Fashionweek.

Eigentlich sollte nun sein Moment kommen, der Augenblick des Applauses, die Huldigung seines Schaffens, die Würdigung seiner Kreation. Doch Applaus könne niemals aufwiegen, was er vollbracht hat — ein Opfer unvorstellbaren, kreativen Ausmaßes. So war der Moment, in dem er sich dem Publikum präsentieren und seinen wohlverdienten Applaus empfangen sollte, für Paul Toulier nur verabscheuungswürdig und niederträchtig.

«Debile Fußballer brauchen Applaus. Kinder, Büroangestellte, dressierte Schoßhündchen, die nach der Pfeife ihres Herrchens tanzen. Ich bin nicht euer

angefertigten Sessel, eine Sonderanfertigung, die mehrere Tausend Euro und noch weit mehr gerissene Nervenstränge des Machers kostete. Ilias Sternberg ist Tischler der Extravaganz. Nahezu jedem Touristen-Hintern, der etwas auf sich hält, wurde schon mal die Ehre zuteil, auf Als in der Pariser High Society gemurmelt wurde, Paul seinen Kreationen sitzen zu dür- Toulier könne unmöglich weiter seine Genialität auf einem fen: Jedes Sofa und jeder Sessel normalen Sessel sitzend auch nur annähernd ausschöpfen, im Louvre entstammen seiner war jedem klar: Ilias Sternberg muss dieses besondere präzisen, auf höchsten Sitzkom- Möbelstück für das exklusivste Gesäß der Modewelt entfort ausgerichteten Feder. werfen. Sternberg fertigte Prototyp über Prototyp. Wahllos bemängelt der Modeschöpfer einen nach dem anderen. Mal passe die Sitzhöhe nicht, mal die Sitztiefe. Der Neigungswinkel sei manchmal zu steil und dann wieder zu flach. Und am allerschlimmsten: Das feine Gesäß schmerzt bei all diesen Sesseln sofort. Zwei cholerische Anfälle und drei gefeuerte Auszubildende später löste der Sesselmacher das Problem mit Gips.

Text Nico Hanelt

kein Lob», sinniert er in seinem extra für diese Show

Illustration Alisa Friedl, Vera Kaltenecker

Hündchen. Ich brauche nicht euer Lob. Ich brauche gar


Er ließ den Hintern des großen Modeschöpfers einfach eingipsen. Das Resultat war zufriedenstellend. Das modeschaffende Gesäß passt perfekt in jeden Sessel, der nach der Gipsform gefertigt wird. Das Polster kann jede Pore, jeden Pickel und am allerwichtigsten, den überreizten Gesäßmuskel des Modedesigners gänzlich umschmeicheln, eingebettet in den Traum jedes Büroangestellten, der einen vergessen lässt, wie Hinterteile überhaupt schmerzen können. Für Ilias Sternberg reine Wichtigtuerei. Seine Mühen seien für solch einen übergeschnappten Dilettanten zu schade. Und so lässt er jetzt alle Sessel für Toulier ohne Absprache von Azubis fertigen. Das letzte Model stolziert den sternförmigen Laufsteg entlang und verschwindet hinter dem Vorhang. Die Musik flaut ab. Erwartung erfüllt den bis zum letzten Sitzplatz gefüllten Raum. Für gewöhnlich betritt der Modeschaffende selbst den Laufsteg. Doch Paul Toulier sitzt im Backstage und genießt die Stille, ohne auch nur Die Stille von Hunderten da draußen, Hundertausenden Hauch einer Bewegung zu machen. Mächtig den zu Hause vor ihren Endgeräten, ehrfürchtig auf thront er in seinem Sessel, die mit jeweils ihren Erlöser hoffend, versetzt alles, was sich zwölf Ringen überzogenen Finger umklammern davor noch gegen dieses fade Schaulaufen in ihm die Sessellehnen und ein Gefühl tiefer Freude gesträubt hat, in Ekstase. Ein Fest der Sinne, das macht sich in ihm breit. das Verlangen sich doch zu präsentieren, die himmlischen Klänge der Verehrung zu empfangen, in ihm Der Anzug sitzt perfekt. Perfektion ist sein aufbrodeln lässt, während keiner im Saal sich Markenzeichen. Die kniehohen schwarzen Stie- traut, auch nur ein Wort zu flüstern. Die einzigen fel, die schlichten Ringe, der Anzug: Alles Geräusche, die zu vernehmen sind, kommen aus dem spielt perfekt ineinander. Abgerundet wird Backstage: Flüstern, Gemurmel, hektische Schritte das modische Spektakel durch eine gewagt und das überstrapazierte Atmen einer Frau. auffällige, purpurne Fliege, passend zu den Kontaktlinsen Touliers. Ein moderner König, Sophie Vailleur ist die Produktionsleiterin der dessen Volk nach ihm hungert, der es jedoch Pariser Fashionweek. Als junge Frau musste sie hinhält, die Gier des Pöbels genießt und sei- hart für diesen Job kämpfen. Im Moment sieht sie ne Macht voll und ganz auskostet. «Sie wollen sich mit der Tatsache konfrontiert, dieses Vergnümich. Nur mich. Wie selbstsüchtig kann ich gen auch schon wieder entrinnen zu sehen. Das Pubsein und ihnen das verwehren?», wägt er ab likum wartet nun schon neun Minuten und siebenund lässt sie warten. unddreißig Sekunden auf den Modeschöpfer. Mit jeder verstrichenen Sekunde lastet mehr Druck auf ihren Schultern. Als Produktionsleiterin ist sie sich bewusst, eine gewisse Stressresistenz an den Tag legen zu müssen. In diesem Moment ist sie der Hilflosigkeit ausgesetzt. Wochenlang bereitete sie sich mit ihren Kollegen auf die Week vor und wusste genau: Die Präsentation von Monsieur Toulier stellt den größten Risikofaktor für die gesamte Week dar.

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In Produktionskreisen gilt er als schwieriger Fall; wenn nicht gar der schwierigste überhaupt. Tipps von allen Seiten prasselten damals auf sie herein: «Am besten nicht mit ihm sprechen und einfach beten, dass alles gut geht», rieten erfahrene Crew-Mitglieder. Der Rat, an den sie sich bis jetzt versucht hatte zu halten. Erfolglos. Über ihr Headset prasseln Fragen auf sie ein, was denn da los sei, ob es Probleme im Backstage gebe.

Regisseur und Bildmischer klingen immer nervöser. Souverän wimmelt sie die Fragen ab, gibt sich als Herrin der Lage. Schweiß sammelt sich in ihren Händen und ihre leicht angefeuchteten Fingernägel wecken in ihr den Drang, sie zu kauen. Eine Angewohnheit, die sie sich eigentlich durch ein intensives Coaching abgewöhnt hatte.

Sophie greift in ihre rechte Hosentasche, schließt ihre Augen und knetet ihren winzigen Anti-Stress-Ball. Sie geht ihre Optionen durch: «Wenn ich das Ganze einfach aussitze, geht er vermutlich gar nicht raus und ich bin meinen Job los.» Sie quetscht den kleinen Ball mit jeder Sekunde intensiver. Kunststoffpartikel bleiben an ihrer Hand kleben. «Ich kann mein Schicksal nicht einfach in die Hände dieses Lackaffen da legen. Wenn ich ihn auffordere, endlich da rauszugehen, macht er, wenn er auch nur annähernd so ist, wie alle sagen, wahrscheinlich eine riesen Szene. Was mich bei seinem Einfluss wohl auch meinen Job kosten dürfte.» Zehn Schritte hinter dem Sessel des Modeschöpfers verharrt sie und zaudert. Er zögert genüsslich seinen triumphierenden Auftritt hinaus und sie hadert mit der Entscheidung.


Sie atmet tief aus, lässt den schweißdurchnässten Ball zurück in ihre Hosentasche gleiten, wischt sich sorgfältig die Hände an ihrer Hose trocken und schreitet auf Paul Toulier in seinem Thron zu. Unsicher postiert sie sich neben die Mode-Ikone. Sein auf den Laufsteg fixierter purpurner Blick zeigt keine Regung. Sie nimmt ihren Mut zusammen und will ihn in dem freundlichsten Ton, den sie in den weitesten Tiefen ihres Arsches finden kann, bitten nach draußen zu gehen. «Verpiss dich.» Ohne auch nur ein Wort «Wie konnte ich nur so einen dämlichen Job gesagt zu haben, dreht sie sich um, machen wollen?», hadert Sophie mit sich selbst schleudert ihr Headset von sich und eilt auf ihrem Gang nach draußen, vorbei an der Richtung Ausgang. Zwölf Minuten Verzug. versammelten Crew, die sie mitleidig anstarrt; Schüchternes Gemurmel breitet sich im weiter und weiter, ohne auf irgendjemanden in Saal aus. Was denn jetzt los sei? Sei ihrer Nähe zu achten. «Wer wollte ich sein? Was etwas passiert? Gehöre das noch zur wollte ich sein? Erfolgreich? Für was? Ich habe Show? Könne das wieder eine seiner nichts. Für diesen Job habe ich alles aufgegeben. berüchtigten Drogen-Eskapaden sein? Und jetzt?» Der von Champagner und Kaffee klebPaul Toulier sitzt in seinem Sessel und rige Vinylboden des Backstage zieht an ihr vorärgert sich. Wütend denkt er über das bei. Während sie sich mit allem befasst, was sie Gör nach, das es wagt, ihm Befehle er- für diesen Job aufgegeben hat, beginnt Sophie teilen zu wollen. Ihm, der kurz davor Vailleur, die toughe, burschikose, von der Mehrwar, sich seinen Verehrern zu zeigen. Die heit ihrer ehemaligen Crew gefürchtete Frau, zu Präsentation mit ihrem einzigartigen weinen. Schöpfer abzurunden. Doch die Lust ist ihm völlig vergangen: «Die Per- Sie denkt an ihren Golden Retriever Coop, für fektion ist dahin. Zerstört von den sie wegen des Jobs nicht genügend Zeit irgendeiner bedeutungslosen Ama- hatte, und an den schmerzhaften Moment, als sie teurin. Wie zur Hölle kommt so je- ihn im Tierheim abgeliefert hat. Sie denkt an die mand überhaupt dazu mich anzu- verpasste Beerdigung ihres Opas und die wutentsprechen?» brannte Sprachnachricht ihres Vaters. Sie denkt daran, ihren eigenen Neffen, der schon seit drei Monaten auf der Welt ist, nicht ein einziges Mal gesehen zu haben. Aufrecht stellt sie sich vor den Ausgang, atmet tief aus und heult sich all ihren angestauten Frust, all ihre verdrängten traurigen Momente von der Seele, ohne auch nur einen Moment an Paul Toulier und die Fashion Week zu denken.

Sein auf den Laufsteg fixierter purpurner Blick zeigt keine Regung

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«So. Paul, es wird Zeit zu gehen. Der Pöbel wird ein anderes Zirkusäffchen brauchen. Mir ist die Lust auf dieses Schmierentheater vergangen», und vierzehn Minuten und siebzehn Sekunden, nachdem das letzte Model den Laufsteg verlassen hat, erhebt sich Paul Toulier aus seinem Sessel. Die gesamte Crew blickt regungslos auf den Rücken des Mannes. Keiner der Mitarbeiter gibt auch nur einen Ton von sich, außer Sophie, die man aus der Ferne schluchzen hört.


Paul Toulier kennt sein Publikum. Er weiß, was es will, und er gibt es ihm

«Eine leidende Seele? Meinetwegen? Weil mein Antlitz ihr verwehrt bleibt? Weil sie ihr Leben lang auf den Moment pochte, einem wirklichen Genie ihre Anerkennung zeigen zu dürfen? Paul, du bist ein Unmensch. Wie hat Maman immer gesagt: Manchmal muss man auch auf andere achten und sich selbst hinten anstellen. Ach, Maman, wie Recht du doch immer hast.» Eine Träne quetscht sich durch die staubtrockene Tränendrüse des Modeschöpfers, ehe sie jäh von seiner auferzwungenen Souveränität unterdrückt und in die Tiefen seines Selbst verdrängt wird. Er rückt jeden Einzelnen seiner Ringe zurecht und stolziert auf den Laufsteg. Das Scheinwerferlicht schmeichelt seiner Haut, als wäre es Sonnenlicht auf den Seychellen. Das Publikum ist außer sich angesichts des lang ersehnten Erscheinens des Mode-Gotts. Jegliche Erwartung wird übertroffen. Gekreische und heftiger, übereifriger Applaus lässt den Saal erzittern. Die Masse ist fasziniert, wie ein Mann Geschmack definiert und repräsentiert. Verzaubert von der purpurnen Fliege, von den exquisiten Ringen, den gewagten, obschon eleganten Stiefeln und von den durchdringenden Augen eines wahren Genies. Paul Toulier kennt sein Publikum. Er weiß, was es will und er gibt es ihm. Applaus tost aus allen Richtungen auf ihn ein und er lässt sich nichts anmerken. Er genießt es wie sonst nichts in seinem Leben. Alle sechs Monate ist Paul Toulier für ein paar Augenblicke wirklich glücklich. Nur leise hört man in diesem ohrenbetäubenden Spektakel das Weinen Sophie Vailleurs, der ehemaligen Produktionsleiterin der Fashionweek.


ENDLOS TRENDS Südfrankreich und Allgäu, New Jersey, München Schneckensekret Farbe des Jahres Farbkultur

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Text Jakob Böhm •Tristan Reitter Bild Steven Lauenroth  •  Rasmus Walter

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Es ist ein sonniger Wintermorgen auf dem Fischmarkt in Südfrankreich. Georg Kremer schlendert zwischen den Ständen der Fischhändler. Gerüche unzähliger Arten von Fischen aus dem Mittelmeer steigen ihm in die Nase. Kremer hat eine fast zehnstündige Fahrt hinter sich. Er interessiert sich nicht für Fisch; Kremer sucht nach Purpurschnecken.

Purpur war in der Antike die beliebteste Farbe. Ihr Farbstoff wurde aus dem Sekret der Purpurschnecke gewonnen. Mitte des 15. Jahrhunderts war sie beinahe ausgestorben, so groß war der Bedarf an Purpur, besonders zum Färben von Gewändern. Heute wie damals bestimmen Trend und Exklusivität, welche Farben gefragt sind und nachgefragt werden. Unternehmen wollen um jeden Preis diese Trends setzen. Eine alte Getreidemühle aus dem 18. Jahrhundert in einem kleinen Dorf im Allgäu: Hier in Aichstetten stellt Kremer Pigmente her, farbige Pulver wie Zinnoberrot, Smalte oder Lapislazuli und das teuerste Pigment der Welt, Purpur. 1977 begann er als Chemiestudent Farbstoffe herzustellen. Viele Rezepturen schienen verloren. Farben wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts synthetisch produziert – zugleich der Beginn der chemischen Industrie. Heute stellen nur noch Fachleute wie Kremer Pigmente her.

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Vorausdenken

Nicht weit von Aichstetten, in München, blickt Jeanette Ohlhäuser auf eine Wand aus Post-its, Zeichnungen und Fotos der nächsten Designstudie. Als Farb- und Materialdesignerin bei MINI dreht sich für sie alles um Ästhetik. Was zunächst simpel klingt, erfordert viel Arbeit und gestalterisches Feingefühl. Etwa drei Jahre lang arbeitet sie an einer bestimmten Farbe – von der Idee bis zum fertigen Produkt: «Wenn es um eine neue Fahrzeug-Generation geht, denken und arbeiten wir bis zu sechs Jahre im Voraus: Charakter des Fahrzeugs definieren, Brainstorming, Trend Research.» Farbtrends will auch Pantone vorgeben: Das Farbunternehmen aus Carlstadt, New Jersey, kürt jedes Jahr eine neue Farbe des Jahres. Nach Grün und Violett ist es 2019 ein Korallfarbton. Pantone will so anregen, wie andere Unternehmen Produkte entwickeln und sich Kunden beim Kauf entscheiden. Das reicht von Möbel- und Industriedesign bis hin zur Gestaltung von Produkten, Verpackungen und Grafiken. Seit 2018 arbeitet Pantone mit Adobe zusammen; Adobe bietet über 125 Millionen Bilder für kreatives Arbeiten an. An der Farbe des Jahres kommt also kaum jemand vorbei. Während sich Unternehmen und Konsumenten nach dem aktuellen Farbton richten sollten, hat Pantone genau ein Jahr Zeit, um nach dem nächsten Farbtrend zu suchen, der Menschen inspirieren soll.


Bild: BMW Group


10 000 Schnecken Bild: BMW Group

Georg Kremer braucht Zeit für den nächsten Schritt zum edlen Purpurpigment. Die Purpurschnecke lähmt mit dem Sekret aus ihrer Drüse Beutetiere oder sondert es ab, um sich gegen Feinde zu verteidigen. Das Sekret enthält 6,6'-Dibromindigo – zu Deutsch: Purpur. Es ist sehr zeitaufwendig, das Sekret per Hand zu gewinnen. Pro Schnecke dauert das etwa fünf Minuten. «Wenn man zügig arbeitet, kann man ein Kilo Schnecken in zwei bis drei Stunden verarbeiten. Für das Pigment Purpur echt benötigt man laut Literatur 10 000 Schnecken pro Gramm.» Kremer verarbeitet einen Großteil des Sekrets mit Steinmehl zum Malerpigment Purpurissum, dafür reicht ein Bruchteil der Schnecken.

Die Rezeptur ist vor 2000 Jahren entstanden und geht auf Plinius den Älteren zurück. Die Hochburg und älteste Stätte der Purpurherstellung ist die Stadt Tyrus im heutigen Libanon. Von dort aus verbreitete sie sich nach Ägypten, Griechenland und Rom. Jede Hochkultur der damaligen Zeit kannte Purpur als edelste und teuerste Farbe überhaupt – die Farbe des griechischen Elite-Infanteristen oder später des römisch-katholischen Kardinals. Purpur war begehrt und kostbar. Römische Kaiser untersagten den Bürgern, purpurne Stoffe zu tragen; es war nur den höchsten Beamten und ihnen selbst vorbehalten. Bis heute umgibt Purpur die Aura des Exklusiven. Der Farbstoff wird aufwendig hergestellt, was ihn extrem teuer macht. «Man gibt den gewonnenen Saft in Wasser und stellt ihn unter Sonneneinstrahlung an die Luft. Dann setzt das Pigment sich ab und man kann es sammeln. Es dauert viele Stunden, bis ein Gramm erzeugt ist. In einer Woche ist das nicht zu schaffen. Daher kommt der Preis von 2500 Euro pro Gramm», erklärt Kremer.

Pure Intuition

Bei Pantone leisten die Farbexperten ihre Arbeitsstunden rund um die Welt ab. Sie durchkämmen den ganzen Globus und lassen sich auf der Suche nach der Farbe des Jahres von Trends in vielen Disziplinen inspirieren, wie Mode, Kultur, Freizeit und Sport. «Alles, was gesellschaftlich relevant sein könnte, wird ins Auge gefasst.» Der emotionale Aspekt einer Farbe ist dabei maßgeblich entscheidend: «Farbe ist die ausgleichende Linse, durch die wir die natürliche und digitale Realität wahrnehmen», so Executive Director Leatrice Eiseman.


Für Ohlhäuser und MINI ist der Trendzyklus zu kurzlebig. Außerdem passt die Farbe des Jahres selten zur Marke: «Wir versuchen weniger, den Trends zu folgen, als vielmehr Trends zu gestalten und an unseren Wurzeln festzuhalten. Falls es eine Trendfarbe des Jahres geben sollte, die wir für eines unserer Produkte perfekt passend finden, könnten wir sie an Showcars anwenden.» MINI lasse sich keine Farben vorschreiben. In der Regel werden die Farbkreationen selbst entwickelt. Bei Bedarf befragt das Design-Team die konzerninternen BMW Designworks Studios in München, Shanghai und Los Angeles. «Jeder Designer lässt sich immer von anderen Disziplinen inspirieren», sagt Ohlhäuser. «Das können Designmessen, Ausstellungen, Reisen, Musik, Mode oder Architektur sein. Als Designer sind wir unsere eigenen Trendscouts. Dadurch kommen viele Themen und Trends zusammen.»

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Bild: BMW Group

Bild: BMW Group


Haben die Farbexperten bei Pantone alle Trends ausgewertet, gilt es sich auf eine Farbe zu einigen. Sie soll die kollektive Geisteshaltung in der Gesellschaft widerspiegeln. «Die Beliebtheit einer Farbe ist zu einem sehr großen Teil ein Symbol für die Zeit, in der wir leben», so Vice President Laurie Pressman. «Viele Menschen beschäftigt die steigende Informationsflut und die allgegenwärtige Technik. Die Menschen sehnen sich mehr denn je nach körperlicher und sozialer Interaktion.» Pantone analysiert, was der Kunde will, und kurbelt dadurch den Konsum an. Butter London und VDL haben eine eigene Make-up-Linie in Zusammenarbeit mit Pantone entwickelt. Die amerikanische Einzelhandelskette Party City vertreibt eine Kollektion von Party-Utensilien – ausschließlich im aktuellen Trendfarbton. Wer eine Party veranstalten will, greift also besser auf das trendigste Plastikbesteck und die coolsten Einweg-Sektgläser zurück, die momentan erhältlich sind.

Kremers Kunden legen ebenfalls großen Wert auf Details. Vor allem Kunstmaler zahlen den hohen Preis für das edle Purpur. Die aus einem Gramm Pigment mit Wasser und Bindemittel gewonnenen sechs bis acht Gramm Farbe reichen, um einen halben Quadratmeter zu lasieren. Kunstmaler verwenden, so Kremer, sein Purpur nur selten für Bilder, dafür hauptsächlich für Dekorationsmalerei. «Die Kunden sind zum Beispiel Kirchengemeinderäte, die etwas ganz Besonderes unter ihr hölzernes Kreuz gemalt haben möchten. Das ist Aufwand: Fünf Gramm – das sind 10 000 Euro. Aber reiche protestantische Gemeinden können sich sowas leisten.»

Im Auge des Betrachters

Auch MINI stärkt mit seiner 60 Years Edition einen aktuellen Trend: Sie greifen die über 100 Jahre alte Farbe British Racing Green auf – die typische Farbe im britischen Motorsport – und interpretieren sie komplett neu. Der Farbton ist nun frischer und heller. Ohlhäuser: «Ergänzt wird dieser aktuell zum Beispiel durch sehr starke, markante Farben wie Island Blue. Das ist ein sehr spezieller Blauton mit einem Gelbstich – kantig und auffällig. Grundsätzlich soll die Farbe immer die Flächen modellieren und das Exterieur-Design inszenieren, gerne mit einer unerwarteten Facette.» 145 / unterton / Endlose Trends


Auf eigene Art

Das Knifflige beim Herstellen von Purpur: Der tatsächliche Farbeindruck lässt sich während des ganzen Prozesses kaum exakt bestimmen. «Das ist trickreich», so Kremer. «Je größer der Anteil an Brom im Molekül, desto röter ist das Purpur. Beim Färben von Wolle, wie im alten Testament, entsteht eine blaue Färbung, weil während des Färbeprozesses der Bromanteil zum Teil durch das Licht abgespalten wird.» Die Farbe Purpur changiert zwischen rotstichigem Blau bis zum Ältere-DamenViolett. «Das Besondere bei Purpur liegt darin, wie es gemacht wird und welche Symbolik es trägt. Der Pharao im Alten Ägypten trug einen purpurnen Mantel – das war damals der Inbegriff von Gottesfurcht. Purpur ist die Farbe, die den Menschen Transzendenz näherbringt, also vom Menschlichen zum Göttlichen. Und wer Purpur trägt, ist Mittler für diese Transzendenz.»

Die Palette an typischen Grundfarben verändert sich bei MINI im Laufe der Jahre graduell. Sie wird für mehrere Fahrzeugmodelle eingesetzt. Zusätzlich werden zum Marktstart jedes neuen Produkts ein bis zwei spezielle, neue Außenfarben eingeführt. «Dafür entwickeln wir ein durchgängiges, ästhetisches Konzept, das sich in die Lebenswelt des jeweiligen Fahrzeugs einfügt und genau auf seinen Charakter abgestimmt ist», erklärt Ohlhäuser. So wurde der Gelbton für das dreitürige Basismodell seit 2001 bis heute immer wieder aktualisiert: «Zuerst gab es Liquid Yellow, später Mellow Yellow und Interchange Yellow und schließlich das heutige Volcanic Orange.»


Bevor eine Farbe in Serie geht, wird sie umfassend geprüft. «Die Farben müssen unsere Richtwerte für Lichtbeständigkeit, Schadstoffgehalt, Korrosion und weitere Kriterien erfüllen. Wenn die Farbe das erste Mal in der Lackiererei aufgebracht wurde, fliegt ein Designer zur Abnahme ins Werk; erst dann beginnt die Serienproduktion.» Kremers Kunden äußern selten gewöhnliche, sondern vermehrt extravagante Vorstellungen: «Wir kümmern uns nicht um die Wünsche, sondern nur um die notwendigen Farben. Von Michelangelo heißt es, dass er Calcit als Grundierungsfüllstoff benutzt habe; bei Leonardo da Vinci, dass er ein besonderes Mahlmittel verwendet habe. Klar, das haben wir auch. Dann kommen die Leute zu uns und wollen das bei uns kaufen. Das sind außergewöhnliche Wünsche, wir machen sie möglich.»

Das alles wirkt etwas aus der Zeit gefallen. William Henry Perkin entdeckte 1856 per Zufall den ersten synthetischen Farbstoff – Mauvein. Seit diesem Zeitpunkt verdrängten synthetische Farbstoffe die natürlichen immer mehr – ihre Herstellung ist einfacher und das Ergebnis vorhersehbar. Zudem sind synthetische Farbstoffe reiner als natürlich hergestellte Pigmente. Am Anfang hatte Kremer Kontakt mit einem Apotheker: «Er hatte darüber promoviert und eine Synthese durchgezogen. Ich habe immer zwei Gramm reines Purpur gekauft. Das ist aber noch teurer als die Schnecken.» Kremer stellt seinen Farbstoff also weiterhin auf seine Weise her. So bringt auch jedes Gramm ein Stück Mittelmeer zu dem, der es sich leisten will, eine der exklusivsten Farben zu verwenden.

147 / unterton / Endlose Trends


ZEM


EITLOSE MODERNE / Fast vergessenes Handwerk / Maler mit Zylinder / Ganz in Weiß

Text Katharina Kunert Bild Daniel Hermann  •  Jessica Sturm

Selb


Thomas Kunert taucht seinen Pinsel vorsichtig in die Farbe. Präzise tupft er Pigmente auf das Porzellan. Längst vorbei ist die Zeit, als Porzellanmaler noch mit Zylinder und Fliege zur Arbeit erschienen. Auch stolziert keiner mehr im weißen Kittel, gekleidet wie ein Chemielaborant durch die Gänge des Rosenthal-Werks in Selb. Dennoch erlebt die Porzellanmalerei eine Renaissance, wenn auch eine einsame. Thomas Kunert ist der einzige gelernte Porzellanmaler im Werk am Rotbühl.




153 / monoton / Zeitlose Moderne



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Bild: Porzellanikon

Bild: Porzellanikon




UNVERGZ


GÄNGLICHER ZEITGEIST /

/

/ Heimat

Text Sophie Badura • Fabian Birner Bild Daniel Hermann  •  Florian Schaller

München, Sulzbach-Rosenberg Schickeria Große Träume


Christina Sperber aus dem oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg wollte bereits als Kind in die kreative Welt der Mode eintauchen. Heute ist die 28-Jährige als Designerin Teil dieser Welt und arbeitet beim Start-up One More Story in München. Mit ihren Kreationen will sie Frauen ein Gefühl von Einzigartigkeit vermitteln und zeigen, Mode ist viel mehr als nur Zara und Co.

160 / unterton / Unvergänglicher Zeitgeist

War es von Anfang an dein Ziel, Modedesignerin zu werden? Klischeehaft wollte ich es schon werden, als ich klein war. Ich habe Bücher bekommen, wie man Figurinen zeichnet. Dann habe ich es nicht weiter aktiv verfolgt. Ich hatte nicht mal einen Kunst-Leistungskurs, sondern Biologie und Englisch. Nach dem Abitur wusste ich nicht, in welche Richtung ich gehen wollte. Ich habe erstmal gejobbt. Dann waren es meine Tanten, die mir einen Stups gegeben haben. Ich habe schnell gemerkt, dass ich es doch gerne machen wollte. Ich war anfangs in diesem Kleinstadtding gefangen. Klar, ich musste von meinem Heimatort weg und war vielleicht auch zu schüchtern. Meine Tante hat mich ermuntert, mit ihr gemeinsam Modeschulen anzuschauen. Die Esmod war dann die erste Schule, an der ich mich beworben habe und die mich genommen hat.


Als ich meinen Einkaufskorb geholt habe, habe ich mich kurz umgedreht und gesehen, dass das Kind mit offenem Mund an der Scheibe klebte und mich angestarrt hat. Für die sah ich wohl aus wie ein Alien. Deswegen passe ich mich an, ganz verstellen würde ich es trotzdem nicht nennen. Ich bleibe mir schon treu. Modisch gesehen, lasse ich mich einfach gerne anfi xen von den Trends. Momentan sind es die Schlangenmuster.

Haben sich deine Befürchtungen in Bezug auf München bestätigt? Mir kommt München eigentlich wie eine kleine Stadt vor. Ich habe mich dort schnell eingefunden. Meine Tante hat mir anfangs Halt gegeben. Bei meinem Praktikum damals in Berlin habe ich mich nicht so wohlgefühlt. Ich bin viel selbstbewusster geworden, vor allem im Job. Wenn du weißt, was du kannst, und das auch rüberbringen kannst, wirkst du automatisch anders auf Leute.

Haben sich deine Ansichten mittlerweile verändert? Vor allem bei der Mode sehe ich heute vieles anders. Man setzt sich den ganzen Tag damit auseinander. Wenn ich in München bin, ziehe ich mich anders an. Wenn ich hier in Sulzbach bin, packe ich andere Sachen ein. Ich hatte ein besonderes Erlebnis: Ich war in Sulzbach in einer schwarz-weiß gestreiften Hose unterwegs. Hier würden die Leute sagen: in einer Clownshose. Ich bin zur Drogerie gegangen und habe eine Frau mit Kind überholt.

Erschwert es den Alltag, wenn man so viel über Mode weiß? Es ist schon so, dass ich viel darauf achte. Ich kann grob abschätzen, was die Sachen kosten, was für Qualitäten es gibt und wie sich die Sachen anfühlen sollten. Man kauft überlegter; Sachen die ausgesuchter sind. Manchmal erwische ich mich trotzdem dabei, wenn ich mir was aufschwatzen lasse.

Wie hast du deinen Stil gefunden? Meistens ist man trotzdem eingeschränkt. Ich arbeite bei einem Label und muss die Stücke auch an die Zielgruppe verkaufen. Dabei passe ich mich automatisch an. Bei meinem neuen Job ist das das Gute, dass ich die eigene Zielgruppe bin. Ich denke mir: Würde ich das selbst tragen? Aber wir orientieren uns auch an anderen Marken.


Was ist das Besondere bei One More Story? Wir arbeiten aktuell an der Kollektion für September. Normal ist in unserer Branche eine Vorlaufzeit von einem Jahr. Wir haben die Stars, die über mehrere Kollektionen laufen. Dann gibt es noch den Core, unsere modischeren Teile. Insta sind unsere Eyecatcher. Das geht in Richtung High Fashion und modische Trends. Ein weiteres Budget gibt es für Fresh-Budget-Artikel: Diese Teile können kurzfristig auch in bis zu sechs Wochen produziert werden. Wir mustern immer mehr, als für die Kollektion benötigt wird. Diese Artikel werden Protos oder SMS genannt. Die Wie drückst du deinem Produkt übrig gebliebene Ware kann dafür verwendet werden, um den persönlichen Stempel auf? kurzfristig zu reagieren. Sie kann man im Nachgang einfacher anpassen, wenn zumindest die Schnitte oder Stoffe Bei uns ist das eher Teamwork. Wir wollen als Marke unser Konstimmen. Wir produzieren momentan maximal so 1000 bis zept umsetzen – feminin und casual. Das ist praktisch unser Mar1500 Teile. Große Unternehmen wie Zara können natürlich kenzeichen. Aber es ist nicht mein eigenes Ding, was hier durchgenoch schneller reagieren. setzt wird.

Du arbeitest aktuell bei dem Mode-Start-up One More Story. Wie kam es dazu? Meine damalige Chefin und mein Chef wollten sich mit einer Marke selbstständig machen. Die erste Marke davon ist One More Story. Da ist dann auch tatsächlich so Start-up-Feeling in der Luft. Unsere Chefs haben Leute meines damaligen Arbeitgebers mitgenommen, von deren Arbeit sie überzeugt waren. Im Design haben wir zu dritt angefangen. Meine Chefin war unser Produktmanager. Mit einer anderen Kollegin habe ich im Design angefangen und war für die Webwaren wie Blazer und Bottoms zuständig. Wir wachsen stetig. Aktuell sind wir fünf Leute im Design.

Ist das denn momentan genau dein Ding bei One ore Story? Im Gegensatz zu anderen in meinem Studium hatte ich noch nicht das Bestreben was Eigenes aufzuziehen. Vielleicht kommt das noch. Wenn ich momentan beruflich so auf das schaue, was ich mache, bin ich genau da gelandet, wo ich sein will.



Wo sieht sich One More Story aktuell? Wir suchen momentan noch unseren Platz. In etwa der Bruch aus Casual und Feminin. Wir versuchen die Nische zu decken – zwischen erschwinglich und guter Qualität. Bei uns soll die Kundin einfach trendigere Sachen finden. Keine Basics, angesagte Sachen, beispielsweise den Blogger Style. Das, mit dem die Kundin täglich konfrontiert ist und dann auch kaufen will. Blogger haben mittlerweile so viel Einfluss. Wir lassen uns dabei von ihnen inspirieren.

Reizt es dich nicht, etwas Eigenes zu machen? Siehst du Blogger als Inspiration oder als Werbefläche? Ich glaube, ein guter Blogger schaff t einen Mix aus verschiedenen Marken und Trends. Die Kombination macht den eigenen Look aus. Das hat was mit Persönlichkeit zu tun. Für uns sind Blogger eine Inspiration, die eine Kombination aus verschiedenen Marken tragen. Für uns wäre das schon eine Zielgruppe, doch wir können uns die Arbeit mit ihnen noch nicht leisten. Wir schauen eher darauf, was unsere normale Kundin kaufen will. Das ist das Nächste, was wir ansteuern: langfristig Gesichter für uns zu gewinnen.

Man muss sich das so vorstellen: Unsere Chefin hat mittlerweile das Unternehmen verlassen. Meine Kollegin und ich können also das verwirklichen, worauf wir Lust haben. Wir arbeiten die Trends aus, die wir für wichtig empfinden. Wir sind schon sowas wie die DNA der Marke (das darf ich jetzt gar nicht so laut sagen): Wir tun das, worauf wir Lust haben, und das passt einfach extrem gut zu One More Story. Ich mache nichts, was mir selbst nicht gefällt. Unsere Meinung zählt: Wir leben das Label.

Wie schafft man es in die Modebranche? Initiativbewerbungen sind möglich. In Deutschland ist die Branche relativ klein. Du schaust dir verschiedene Stellenbeschreibungen an. Headhunter können auch auf dich zukommen. Wenn wir wissen, da ist in einem bestimmten Bereich ein Leck, überlege ich natürlich, wen ich kenne. Es läuft viel über Kontakte. 164 / unterton / Unvergänglicher Zeitgeist


Beispielsweise auch Fragen über den Wettbewerb. Ich möchte schon, dass die neuen Kollegen wissen, wo das Unternehmen positioniert ist oder wer die Konkurrenten sind. Ich will Leute sehen, die dafür brennen; das tun wir auch. Im Idealfall schicken wir Moodboards raus. Da kann Was sind die Auswahlkriterien? man schon sehen, ob die Leute in One More Story denken können oder nicht. Wichtig ist, ob derjenige die Marke verstanden hat. Wenn du vorher für Business-Casual gearbeitet hast, kommt das auch in deinen Entwürfen so rüber. Man schaut sich schon die fertigen Zeichnungen an. Aber die sind immer relativ gleich, so viel kann man gar nicht anders machen.


Hast du selbst ein bestimmtes Stilcredo? Einen direkten Leitsatz habe ich tatsächlich nicht. Mich pusht es, dass ich total für unser Label brenne und hinter der Marke stehe. Ich mache alles mit hundert oder mehr Prozent. Ich bin einfach on fire.

Mode betrachten viele als eine besonders oberflächliche Branche. Was sagst du dazu?

Die Branche selbst und die Leute sind teilweise oberflächlich. Bei meinem Praktikum habe ich in die PR-Abteilung eines namhaften deutschen Modelabels, Talbot Runhof, reingeschnuppert. Im Kontakt mit anderen Moderedakteuren war man in der Firma selbst immer bemüht ein «Nice Face» zu machen. Aber es kommt trotzdem immer auf die Firma an und welche Leute dort arbeiten. Wir begegnen der Arbeit mit viel Überlebt sich Mode und erneuert sich Herzblut. Man steckt viel rein. Innerhalb vom Business, also oder ist es ein wachsender Prozess? in der Kreation, herrscht weniger Oberflächlichkeit. Wenn man in Bereichen tätig ist, in denen es um die KommunikaMarken wie Zara bedienen sich Trends, die man kauft, um kurz tion nach außen geht, ist die Oberflächlichkeit meistens dem Trend nachzueifern. Wenn ich was suche, was die Zeit überschon zu erkennen. dauern soll, hole ich mir klassische Sachen. Beispielsweise Leopardenmuster werden in der nächsten Saison weniger angesagt sein. Mode gibt es in zwei Arten. Sie ist immer ein Prozess, aber ich Wenn morgen eine gute Fee kommen würde glaube, die Mode überholt sich immer wieder selbst. Es werden und dich zu einer großen Marke bringen würde: immer alte Sachen herausgeholt werden.

Wie würdest du dich entscheiden?

Momentan habe ich aktiv keinen Gedanken, zu wechseln. Ich hätte natürlich schon Lust, mal in ein großes Label reinzuschnuppern. Jeder, der was anderes behauptet, würde meiner Meinung nach lügen. Aber bei einer Marke mit großem Chefdesigner stehst du immer unter der Fuchtel. Bei mir steht momentan die Selbstverwirklichung an erster Stelle und die finde ich in meinem Job. Ich bin einfach zufrieden mit dem, was ich momentan habe. Die anderen Designer haben da ein ganz anderes Bestreben als ich. Mir war meine Familie schon immer sehr wichtig. Ich habe mich da einfach gefunden. Ich habe das Gefühl, ich bin da, wo ich sein will. Was mich damals schon inspiriert hat, war mein Stilvorbild Haider Ackermann. Wenn der anrufen würde, wäre ich natürlich dabei.


Was war ein besonderes Erlebnis?

Hast du dir selbst etwas aus der Kollektion gekauft?

Während des Studiums gab es immer verschiedene Wettbewerbe. Ein Happy Moment war einer mit K&L. Zum Thema Sportsgeist hat jeder eine Mappe vorlegen müssen. Der Gewinn war ein Wochenende in Paris und die Produktion der zehn Kleidungsstücke, die man entworfen hat – mit deinem Namen auf dem Tag. Wirklich einmal deinen Namen auf einem von dir designten Teil zu sehen, war einfach unbeschreiblich.

Meine Familie hat sie sich gekauft, auch meine Freundinnen. Meine Tante hat sogar alle Teile gekauft, eher dafür, dass ich sie mir später mal wieder anschauen kann, da ich sie selbst nicht erworben habe. Das ist sowieso immer ein besonderer Moment, wenn jemand deine Sachen trägt. Vor gar nicht so langer Zeit hat eine Kollegin eine Frau in Hongkong gesehen, die unser Kleid getragen hat. Sie hat uns sofort ein Bild davon geschickt. Da wir momentan noch eine begrenzte Reichweite haben, ist das schon etwas sehr Besonderes. Das ist vielleicht das, was unsere Arbeit ausmacht: Wir machen etwas Handfestes, was man am Ende des Tages sehen kann.

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ILLUSI


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ION

Text Jennifer Schnell Bild Daniel Hermann  •   Florian Schaller

München BND Zaubermeister

/ Akademie


Sein warmherziger Blick weckt unmittelbar ein gutes Gefühl und seine Augen funkeln, während er seine Geschichte erzählt. Harold Voit ist ein kleiner, kräftiger Siebzigjähriger. Vor 37 Jahren hat er seinen Job beim Bundesnachrichtendienst an den Nagel gehängt und seine Zauberschule gegründet. Die Zauberakademie Deutschland (ZAD) ist heute die älteste und renommierteste Zauberschule Deutschlands.

Was bedeutet Ihnen die Magie? Lebensinhalt. Das Schöne an der Zauberei ist, man kann das als junger Bursche und auch als alter Knacker machen (lacht). Man kann einfach anderen Menschen eine Freude bereiten. Das ist so toll! Wenn man nach einer kleinen Show dann hört: Mensch, Voit! Das war klasse. Ich habe meine Sorgen, Nöte und Probleme, die ich habe, für einen Moment vergessen. Dann habe ich mein Ziel erreicht und das ist wunderbar.

Sie wollten also schon als Bub Zauberer werden. Wie ging‘s dann weiter?

Nach dem vorzeitigen Ende meiner Gymnasialzeit mussten wir damals ja noch alle zum Bund. Ich wollte nicht zum Bund, wollte nicht auf Menschen schießen und habe mich beim Bundesgrenzschutz beworben. Ich war Wie kamen Sie zur Zauberei? dort für zwei Jahre. Und es gab immer am Freitagnachmittag einen berufsethischen Eines der prägendsten Ereignisse war mit Unterricht. Da bin ich wohl dem evangeliSicherheit der Besuch im Deutschen Theater mit schen Pfarrer sehr aufgefallen. Er fragte meiner Oma. Ich habe dort Kallernack gesehen: mich, ob ich nicht seinen Helfer bzw. den Dr. Helmut Schreiber, der eine wunderbare, Pfarrerspfarrer machen möchte, was ich große Show nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hat unter dem Titel «Simsalabim wirbelt natürlich gerne gemacht habe – so konnte ich raus aus um die Welt». Er war so der Gute-Onkel-Typ, der auf der der Truppe. Dann kam er zu mir und sagte: Du, komm Bühne stand und gezaubert hat. Es war einfach sensatimal her. Er erzählte mir von der Möglichkeit, mein Abionell! Ich war sowas von begeistert. Und es gab im Ferntur beim Bundesgrenzschutz nachzumachen für die sehen eine Kindersendung mit Ernst Firnholzer, der Offizierslaufbahn. Das habe ich dann natürlich nachgedort Zaubertricks vorgeführt und ich glaube auch immer holt. Ich wollte eigentlich Medizin studieren, obwohl erklärt hat. ich keinen Studienplatz für Medizin hatte in München – mit einem Notendurchschnitt von 1,7 bekam man Eigentlich wollte ich Clown werden. Aber ich habe gekeinen. Ich habe mich stattdessen für Physik eingemerkt, dass der Clownberuf viel, viel schwieriger ist als schrieben, aber die Medizinerschiene gemacht, bis zum der Zaubererberuf. Als Zauberer führt man lediglich Physikum. Dann gab es innerfamiliäre Probleme, weil einen Trick vor oder einen Effekt – das ist das schönere Vater und Mutter gestorben waren. Da kam ich auf die Wort – oder ein Wunder, ist noch schöner, und die Leute Idee die Zauberschule ins Leben zu rufen. Zaubern war staunen. Damit hast du schon was erreicht. Als Clown immer schon mein Hobby gewesen. musst du die ganzen Gefühle vom Kleinkind bis zum alten Mann aufreißen können. Das ist ungleich schwieBevor Sie die Zauberschule ins Leben gerufen haben, riger als einen Zaubertrick vorzuführen.

waren Sie verbeamtet. Wie haben Sie diese Zeit wahrgenommen?

Fürchterlich (lacht). Ich habe ein bisschen ein Problem mit der Beamtenhierarchie. Ganz einfach deshalb, weil dort das Beförderungssystem nicht von Fleiß und Intelligenz, sondern vom Sitzfleisch abhängt. Als dann die Urkunde Beamter auf Lebenszeit kam, habe ich mir ein Fass Augustiner gekauft und gesagt: Servus, ich gehe und mache mich selbstständig. Ich gehe irgendwohin, bitte lasst mich nicht bei euch bleiben.

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Wie hat Ihr Umfeld damals reagiert, als Sie den Bundesnachrichtendienst verlassen haben? Die Leute in meiner Dienststelle wussten von meiner Zauberei, ich habe dort auch schon auf Weihnachtsfeiern oder Seniorenabenden gezaubert. Die einen haben gemeint: Spinnst du, bist du verrückt? Du kannst doch nicht deinen Beamtenschirm aufgeben. Denk an deine Zukunft. Und die anderen haben gesagt: Der traut sich was! Ich habe mich nicht getraut, hätte ich vielleicht gerne. Ich selbst war hin- und hergerissen. Gott sei Dank habe Und was haben Sie dort genau gemacht? ich die Unterstützung meiner Frau gehabt, die gesagt hat: Du musst wissen, was du machst. Ich steh dir (lacht verlegen) Ich war damals beim Bundesnachnicht im Weg. Zum Glück war sie in den Folgejahren richtendienst tätig und dadurch viel in der Welt immer meine Assistentin – vor und hinter der unterwegs. (seufzt) Da kann ich natürlich jetzt nicht Bühne. Nicht ohne Grund sind wir jetzt seit 49 Jahallzu viel dazu sagen, ich war im operativen Bereich ren verheiratet. tätig. Das war eine hochinteressante Aufgabe, das muss ich schon sagen. Da steht sehr viel Intelligenz dahinter. Ich habe damals Russisch gelernt und ja, die Warum haben Sie die Zauberakademie gegründet? Aufgabe als solche hätte ich gerne noch weiter gemacht, wenn nicht dieser fürchterliche VerwalDie Schule habe ich aus einer Erkenntnis heraus getungskram dahinter gestanden hätte. gründet: Viele Menschen kommen nicht zurecht mit der Umsetzung des geschriebenen Wortes in die Tat. Also habe ich einen Verlag aufgemacht. Am Anfang Opera tiver Bereich — was bedeutet das? habe ich Bücher oder Hefte aus den angloamerikanischen Ländern ins Deutsche übersetzt. Da war ich Naja, ich war unterwegs. noch Beamter, und ein paar Freunde haben gesagt:


Würden Sie sagen, jeder kann Zaubern lernen? Ich sage Ja, weil ich es muss, sonst hätte ich keine Schule. Aber es gibt natürlich Leute, die zwei linke Hände haben, die sich ein bisschen schwer damit tun. Ich sage immer, man muss ein bisschen schizophren denken können: Man gibt vor, etwas zu tun, tut aber in Wirklichkeit etwas komplett anderes. Oder wie bei einem Klavierspieler, bei dem die linke Hand etwas anderes macht als die rechte. Wer nicht so geschickt ist, kann trotzdem zaubern. Der kann nämlich Mentalmagie lernen, die Zauberkunst mit dem Verstand, dem Geist. Da gibt es ganz großartige Effekte, die man machen kann. Ich darf auf meinen Schwiegersohn hinweisen, Thorsten Havener, der damit eine ganz steile Karriere hingelegt hat. Er ist einer der ersten bedeutenden Mentalmagier in Deutschland. Natürlich, in dem Moment, in dem man erfolgreich ist, hat man Imitatoren ohne Ende. Die schreiben seine Bücher nach, im gleichen Schreibstil.

Mach mir mal einen Durchschlag. Das ging dann bis zu fünf Durchschlägen pro Schreibmaschine, mit Druckfehlern und allem Drum und Dran. Später kam die Vervielfältigung in der evangelischen Kirche mit so einer Spiritusvervielfältigung, die gestunken hat ohne Ende. Zum Schluss habe ich eine eigene Offset-Maschine gehabt und die Publikationen, die jetzt da im Bücherregal stehen, sind alles Veröffentlichungen aus meinem Verlag. Ich habe gemerkt, Leute würden das, was dort sehr breit und ausführlich beschrieben ist, doch nicht umsetzen. Dann habe ich angefangen Kurse zu geben mit verschiedenen Dozenten. Daraus entstand die Zauberschule München, die offiziell an einem grauen Novembertag ins Leben gerufen wurde. Das werde ich nie vergessen. Ich habe die Schule gegründet, dann haben meine Tochter und ihr Mann die Schule übernommen für fünf, sechs Jahre oder länger. Sie haben dann die Zauberakademie daraus gemacht, eine staatlich anerkannte, zertifizierte Einheit. Das ist etwas ganz Besonderes, ich glaube, weltweit einzigartig. Wir verleihen auch einen Titel, der heißt ZAD geprüfter Zauberkünstler und hilft sehr schnell bei Verhandlungen, wenn es um die Gage geht.

Was muss ein guter Zauberer mitbringen? Ein guter Zauberkünstler muss extrovertiert sein, er muss gut reden können und er muss sich gut bewegen können. Man darf halt kein Depp sein – (verbessert sich schnell) man muss halt intelligent sein. Ganz wichtig ist natürlich auch die Interaktion mit dem Publikum: auf Zwischenrufe reagieren, mit den Leuten spielen, von ihnen anerkannt werden.

Wie genau läuft die Ausbildung ab? Die Ausbildung ist in vier Semester, sprich in zwei Jahre, eingeteilt. Man unterschreibt immer für ein Semester und entscheidet sich dann, ob man weitermacht oder nicht. In den ersten beiden Grundsemestern lernt man alle Handgriffe, die man als Zauberer so braucht. Also von Kartengriffen über Ballmanipulationen

bis zu Tischzauberei – alle Techniken eigentlich. Im dritten und vierten Semester unterrichten wir dann komplette Routinen, also Handlungsabläufe, die aus den Grundtechniken der ersten beiden Semester zusammengestellt werden. Man legt am Ende des zweiten Semesters eine Prüfung ab, die man bestehen muss, ansonsten kann man nicht ins dritte Semester gehen. Jetzt werden Sie natürlich sagen: Klar, der Voit lässt da niemanden durchfallen, weil er die im oberen Semester ja braucht. Das stimmt nicht; es sind schon ein paar Leute durchgefallen.

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Wird dabei für jeden Schüler ein individuelles Programm zusammengestellt, mit dem er nach der Ausbildung auftreten kan n? Ja, das ist eine unserer Hauptaufgaben überhaupt. Wir versuchen den Charakter des Vorführenden mit den passenden Kunststücken zu verbinden. Bevor es in die Abschlussprüfung geht, coachen wir nur noch. Da sitzen hier dann drei, vier Dozenten und vier, fünf Schüler und dann werden Ideen entwickelt, es wird besprochen, daran gearbeitet und kritisiert. Ich hatte eine Ärztin im Kurs, die ich gecoacht, also kritisiert habe. Am Ende der Ausbildung sagte sie zu mir: Herr Voit, es hat noch nie ein Mensch so mit mir geredet, aber sie durften das. (lacht)

Wie wahrscheinlich ist es, als Absolvent ein erfolgreicher Zauberer zu werden? Es kommt darauf an, was ich möchte. Die einen wollen einfach nur ihre Mitmenschen belustigen, die anderen dem Magischen Zirkel beitreten. Und dann gibt es welche, die sich damit einen Nebenverdienst aufbauen wollen. Das funktioniert eigentlich recht gut, da sie hier ja ihr Handwerk wirklich von der Pike auf gelernt haben und nicht durch YouTube-Schnipsel irgendwas Verkehrtes aufgeschnappt haben. Wir haben zwei, drei deutsche Meister, österreichische Meister und auch zwei Weltmeister, die hier aus diesem kleinen Keller kommen.


Sie haben den Magischen Zirkel angesprochen. Was ist das? Der Magische Zirkel ist die Standesorganisation der Amateur- und Berufszauberkünstler in Deutschland. Er hat 3000 Mitglieder, 80 Ortszirkel, einen davon in München; da war ich jahrelang Vorsitzender. Das ist eine nette Truppe, die sehr aktiv ist. Wir haben 2020 in Fürstenfeldbruck die deutschen Meisterschaften. Da wird gezaubert, bis die Fetzen fliegen! (lacht)

Sie geben einige Tricks an Ihre Schüler weiter. Was halten andere Zauberer von Ihrer Akademie? Ganz am Anfang, als ich die Zauberschule aufgemacht habe, hatte der Magische Zirkel schon seine Probleme damit. Er hat gesagt: ihr Verräter! Aber nachdem die ersten Leute abgeschlossen haben und gezeigt haben, was sie wirklich können, ist diese Kritik sehr schnell zurückgegangen. Heute sind die Absolventen sehr hoch angesehen. Auf diese Entwicklung bin ich auch sehr stolz. Wir sind weltweit einzigartig, doch man imitiert uns natürlich auch. Das Konzept, das ich aufgebaut habe, hat sich ja wirklich im Laufe der Jahrzehnte sehr bewährt. Es ist nicht nur das Beibringen von ein paar Tricks, die man dann nachmachen kann, sondern eine grundsolide Ausbildung.

An was erinnern Sie sich am liebsten, seit es die Zauberakademie gibt? Eines der schönsten Erlebnisse war, als meine Tochter und eine Schülerin gleichzeitig österreichische Meister wurden; meine Tochter in der JugendKategorie und die Schülerin in der Kategorie Partyzauberer. Die zwei Meistertitel waren sicherlich eine totale Überraschung und ein Highlight. Eines der schönsten Erlebnisse war zum Beispiel auch die erste Begegnung mit Siegfried und Roy. Ich hatte sehr, sehr große Hochachtung vor ihnen, weil sie die Zauberei exzellent vertreten haben in Las Vegas. Ich selbst war 1981 das erste Mal drüben, da setzte sich einer zu mir und sagte: Servus! Ich hab gehört, du kommst aus Bayern. I bin da Siggi! So haben wir uns kennengelernt und eine angenehme Freundschaft gepflegt. Ich war bisher 19 Mal in Las Vegas, immer in einer Show von Siegfried und Roy und jedes Mal auch hinterher in ihrer Garderobe. Wir haben uns gut verstanden.

Wie wichtig ist die Magie in Ihrer Familie? Durch die Zauberei haben meine Töchter ihre Männer kennengelernt. Christiane, also die ältere Tochter, ist wie gesagt mit dem Mentalzauberer Thorsten Havener verheiratet. Das ist eine wunderbare Sache. Die andere Tochter hat ihren Mann auch über die Zauberkunst kennengelernt. Das ist sicherlich eine Fügung. Und so entsteht aus einem kleinen, verrückten Harold Voit dann doch eine ganze Sippe von Zauberern! (lacht herzlich)

175 / unterton / Wahre Illusion



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Text Fotografie Daniel Hermann, Steven Lauenroth Florian Schaller, Moritz Schinn Jessica Sturm, Rasmus Walter

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Redaktion Sophie Badura, Anna Basener Fabian Birner, Jakob Böhm Nico Hanelt, Janina Marx Carolin Maul, Anna Mitscha Vanessa Neubert, Tristan Reitter Philipp Ries, Robin Scherm Jennifer Schnell

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