Fast hundert Jahre
Raffelkunst
Die erste Bircherraffel wurde 1926 von Maximilian Oskar Bircher-Benner gemeinsam mit der Firma Egloff & Co. in Niederrohrdorf AG entwickelt und patentiert. Die Idee war, eine Reibe zu lancieren, die Äpfel vollständig verwerten kann. Der Unterschied zur Rohkostraffel besteht darin, dass jede Einkerbung zwei Schneidungen hat und die Reihen leicht versetzt sind. Das markanteste Detail ist aber, dass die Raffel in beide Richtungen schneidet. Christoph Schindler, Leiter der Studienrichtung Objektdesign an der Hochschule Luzern vermutet, dass die funktionalen Details auf den Rohkostgedanken des Erfinders zurückzuführen sind.
Der Erfinder und seine Ernährungsreform
Maximilian Oskar Bircher-Benner (1867–1939) war ein Schweizer Arzt, Ernährungsreformer und eine prominente Figur der vegetarischen Bewegung. Die 1920er-Jahre waren geprägt durch das Aufkommen der biodynamischen Landwirtschaft und Marken wie Demeter. Im medizinischen Kreis jedoch wurde Birchers Auffassung, dass rohes Gemüse und Obst sowie unverarbeitetes Getreide gesund seien, belächelt. Die Ernährung zu dieser Zeit war von Fleisch, Käse, Fett und Eiweiss geprägt.
Das Birchermüesli
In seinem Sanatorium «Lebendige Kraft» am Zürichberg entwickelte Max Bircher eine eigene Rohkostdiät, die er an chronisch Kranken, aber auch an sich selber erprobte, als er an Gelbfieber erkrankte. Seine Schwester Berta BrupbacherBircher war Vorsteherin des Sanatoriums und sammelte die Rezepte. 1927 veröffentlichte sie in dem von Bircher gegründeten Wendepunkt-Verlag «Das Wendepunkt-Kochbuch» mit sechshundert Rezepten. Eines der beliebtesten davon war die Apfeldiätspeise, auch einfach «d’Spys» genannt. Im Sanatorium gab es einen weiteren Namen dafür: Birchermüesli. Das Originalrezept sieht für vier Personen 6 EL Haferflocken, 12 EL Wasser, 6 EL gezuckerte Kondensmilch, 6 EL Haselnüsse und 1 Kilogramm Äpfel vor. Max Bircher brauchte also eine Reibe, die Äpfel effizient verwerten konnte – inklusive Schale und Gehäuse. Dafür wandte er sich an die Metallwarenfabrik Egloff & Co. in Niederrohrdorf.
Bircherraffel
Das Birchermüesli gehört zum Schweizer Zmorge wie das Spiegelei auf die Rösti. Während es für die Rösti aber eine handliche Raffel gab, war das Zerkleinern der Äpfel mühselig. Und so entwickelte der Erfinder des Müeslis kurzum das dazu passende Küchengerät.
1400
Raffeln
pro Jahr Heute tummeln sich zahllose Nachahmerprodukte der Bircherraffel im Handel. Die Migros verkauft zum Beispiel die «Bircherreibe», Betty Bossi vertreibt Produkte mit ähnlichen Reibeaufsätzen. Pro Jahr werden immer noch 1400 Original-Bircherraffeln von Egro hergestellt.
Herstellung und Produktion
Die Egloff & Co. – heute Egro Industrial Systems AG – ist eines der ältesten Industrieunternehmen der Schweiz. Neben der Bircherraffel gehen auch Innovationen wie die erste vollautomatische Kaffeemaschine oder Patente im Bereich der Sanitärarmaturen auf sie zurück.
Aufspaltung im Jahr 2004
Am Gründungsstandort befindet sich heute noch der Sitz der Egro Industrial Systems. Nach mehreren Wechseln in der Führungsetage ab den 1990er-Jahren erlitt das Unternehmen einen Umsatzeinbruch. Unter der Regie der Visinova Holding wurde es in drei Tochtergesellschaften aufgeteilt. Die beiden Gesellschaften Egro Coffee Systems und Egro Star wurden 2008 verkauft. Heute fokussiert sich die Egro in Niederrohrdorf hauptsächlich auf flexible und werkzeugbezogene Blechumformung. Die Original-Bircherraffel ist weiterhin im Produktkatalog zu finden.
Eine neue Welt aus Edelstahl
Die Bircherraffel wird oft im selben Atemzug wie die Knoblauchpresse und der Sparschäler genannt, obwohl sie gut dreissig Jahre früher erfunden wurde. Auch materialtechnisch unterscheiden sich die Schweizer Küchengeräte deutlich voneinander: Der Sparschäler war klassischerweise aus Aluminium gefertigt, das günstig in Produktion und Anschaffung war. Die Bircherraffel hingegen besteht aus rostfreiem Edelstahl, der langlebig, leicht zu reinigen sowie korrosionsbeständig und hygienisch ist. Bereits zwei Jahre nach dem ersten Patent fand 1914 im schwedischen Malmö eine Edelstahlausstellung für das breite Publikum statt. Mit seiner rasanten Verbreitung in europäischen Metallwarenfabriken trat Edelstahl in den 1920er-Jahren mit Produkten wie dem Handrührgerät, dem Teesieb und der Bircherraffel einen Siegeszug durch die europäischen Haushalte an. Das Material prägte übrigens noch eine weitere Schweizer Industrieikone: Victorinox. Die Messerfirma benannte sich im Jahr 1921 um, der neue Name ist eine Kombination des bisherigen Markennamens Victoria und der Bezeichnung für rostfreien Stahl, Inox.