Von Vorfertigung bis Fertighaus
Holz in der Wiederverwendung Christoph Schindler
“Der schon allenthalben so großen Theuerung des Holzes zu steuern, dem noch größeren Mangel desselben für die nahe Zukunft abzuhelfen, […] das sollte jetzt billig ein Hauptaugenmerk der Deutschen seyn”, heißt es in einem ‘Almanach der Fortschritte’ von 1798. “Steigende Holzknappheit erfordert europaweites Umdenken”, proklamiert fast im gleichen Duktus die Studie eines österreichischen Beratungsunternehmens im November 2007: Der Waldbestand wachse, aber das Holz werde knapp. Wolle die EU gemäß ihrer Zielvereinbarung bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 20 % an erneuerbaren Energien erreichen, müsse sie ihre Holzimporte mehr als verdoppeln. Ein transkontinentaler Handel hätte massive Preissteigerungen zur Folge. Zwischen diesen beiden Forderungen liegen zwei Jahrhunderte und der gesamte Zeitraum der Industrialisierung. Bedeutet ihre inhaltliche Deckung, dass Holz wieder zur Mangelware wird, sobald wir eine Abkehr von den fossilen Energiesystemen ernsthaft ins Auge fassen? Ist der Mangel an Holz, der heute mit Abstand größten Quelle erneuerbarer Energie, ein systemimmanentes Kennzeichen von solaren Energiesystemen? Die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion in der Architektur vermittelt oft den Eindruck, als handle es sich bei Holz um einen unbegrenzt nachwachsenden Rohstoff, den man am Ende seines Lebenszyklus auch noch verbrennen könne. Dabei wird leicht übersehen, dass der seit dem 18. Jahrhundert wiederaufgeforstete Waldbestand mit seinen ‘Holzüberschüssen’ Ergebnis seiner Entkopplung von der Energieversorgung ist. Wollen wir also einen Eindruck vom Umgang mit Holz in einem solaren Energiesystem bekommen, lohnt es sich, den historischen Holzbau bis zum 18. Jahrhundert zu betrachten. Man muss dabei schon etwas tiefer graben, da es sich offenbar um so selbstverständliche Regeln der ‘Holzsparkunst’ handelt, dass sie kaum dokumentiert wurden, sondern nur am gebauten Resultat ablesbar sind. Zwei dieser historischen Strategien erscheinen unter dem Gesichtspunkt einer möglichst langfristigen CO2-Bindung höchst aktuell: Die Wiederverwendung von Bauteilen sowie das zerlegte und unzerlegte Versetzen ganzer Häuser. Wiederverwendung von Bauteilen Holzknappheit war ein Phänomen, dem man in den holzarmen Regionen Mitteleuropas wie z.B. den Niederlanden mit Holzflößerei über den Rhein und seit dem 15. Jahrhundert auch über das Meer aus Skandinavien und dem Ostseeraum begegnete. Überregionaler Holzhandel war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Parallel dazu aber war eine Strategie gang und gäbe, die den Mangel nicht an der Versorgung, sondern am Lebenszyklus anging, uns aber heute allenfalls als ein Thema des Denkmalschutzes begegnet: die Wiederverwendung von Bauholz. Spätestens seit der frühen Neuzeit wurde Bauholz einer Wiederverwendung zugeführt. Ab dem 18. Jahrhundert war die Nachfrage für gebrauchtes Bauholz sogar erheblich. Die Grafschaft Lippe z.B. untersagte 1785 den Export von Bau- und Brennholz sowie Holzkohle. Das Fürstentum Nassau-Oranien erließ 1747 gar ein Verbot, Häuser aus neuem Holz zu errichten. Im 19. Jahrhundert erhielt fast jeder Neubau zweitverwendete Ständer und Dachbalken, die bevorzugt an wenig sichtbaren Stellen im Innengefüge verzimmert wurden. Bei den Blockbauten im Alpengebiet ist eine Wiederverwendung durch die 56
linke Seite: Eckverbindung eines Speichers in Blockbauweise aus wiederverwendeteten Balken in Evolène, Val d'Hérens, Wallis, Schweiz. Foto: Christoph Schindler rechts: Streeter's Windmühle, East-Sussex, England. Unter dem Bild steht folgender Text: "This mill was drawn on the 28th of March 1797 from Regency Square to ye Dyke Road Brighton, a distance of over two miles, by 86 oxen which belonged to the following gentlemen William Stanford Esqu. of Preston…" unten: demontierte und liegend zusammengefügte Fachwerk-Giebelwand. Foto: Klaus Thinius-Hüser
Ausnehmungen früherer Verblattungen mitunter sogar deutlich von außen ablesbar. Die verfügbare Holzmenge war weiter eingeschränkt durch den Umstand, dass für das Außenfachwerk von den zahlreichen vorhandenen Holzarten nur Eichenholz benutzt wurde, das gegenüber dem heute hauptsächlich verwendeten Nadelholz als haltbarer und weniger schädlingsanfällig galt. Im Umkehrschluss ist es aber auch dieses Holz, das sich wegen seiner Langlebigkeit besonders für eine Wiederverwendung eignet. Besonders begehrt waren längere Hölzer für Wandständer und Dachbalken, bei denen auch Gefügenarben in Kauf genommen wurden. Dafür prädestiniert war insbesondere Holz aus der Demontage von Scheunen, bei der lange Hölzer mit großen Querschnitten und wenigen Verbindungen anfielen. Die Beschaffung von kleineren Gefügegliedern aus Fachwerkbauten war vergleichsweise unproblematisch. Auch Ausfachungsmaterial, Dachdeckungen oder Fußböden wurden wiederverwendet. Baustoffbörsen oder Bauhöfe, die heutigen Zwischenhändler, gab es damals allerdings nicht; die zur Wiederverwendung bestimmten Gebäude wurden von den Bauherren aufgekauft, sorgfältig abgetragen und direkt verbaut. Dem arbeitsintensiven Prozess einer die Bausubstanz erhaltenden Demontage kam zudem entgegen, dass einem Bauherrn mit den breiten landlosen Unterschichten eine große Zahl von billigen Arbeitskräften zur Verfügung stand.
Versetzen ganzer Gebäude Neben der materiellen Wiederverwendung, bei der Materialien eines abgebauten Vorgängergebäudes in einem neuen Zusammenhang verarbeitet und gefügt werden, fand vielfach auch eine direkte Form der Zweitverwendung statt, nämlich das Versetzen ganzer Gebäude. Bei einer Versetzung, in der Fachsprache der Denkmalpfleger als „Translozierung“ bezeichnet, werden große Teile eines Gebäudes ihrem bestehenden konstruktiven Zusammenhang an eine andere Stelle gebracht. Hierfür gibt es eine Reihe spektakulärer Beispiele. So wurde von Fällanden bei Zürich im Jahr 1511 ein Haus nach Wiedikon über eine Luftdistanz von 9 km versetzt. In unbezahlter Fronarbeit von je einem Tag bauten die Lehensleute des Klosters der Dominikanerinnen von Oetenbach, welches das Haus für 88 Pfund gekauft hatte, das Haus ab und transportierten das Holzwerk mit Hilfe von 116 Pferden an den neuen Standort. 73 Tage lang arbeiteten die Zimmerleute am Abbruch und Wiederaufbau. Besonders ausgekochte Bauern machten sogar ein Geschäft daraus, aus dem Waldbestand ihrer Gemeinden unentgeltlich Bauholz für den Eigenbedarf zu beantra-
gen und das Gebäude bald nach der Errichtung nach auswärts zu verkaufen. Blockbauten, Fachwerkbauten und andere Holzkonstruktionen sind besonders dazu geeignet, an einen neuen Ort verbracht zu werden. Genaugenommen wird jeder Fachwerkbau schon ein erstes Mal vor seiner Fertigstellung versetzt, da er zunächst auf dem Zimmerplatz abgebunden, dort probeweise zusammengefügt und erst danach zerlegt an den Bauplatz zum Aufrichten gebracht wird. Daher sind die Bauteile bereits bei der Erstverwendung mit ihre Position im Gebäude eindeutig beschreibenden Abbundzeichen markiert, was ihre Zuordnung auch beim Versetzen wesentlich erleichtert. Das Auseinandernehmen von Holzhäusern war bis zur Neuzeit gut möglich, weil fast nur Holzverbindungen und großformatige Holznägel, aber keine Eisennägel verwendet wurden. Allerdings darf man sich das Zerlegen und Wiederaufbauen eines Gebäudes auch nicht zu einfach vorstellen, da durch das Schwinden und Arbeiten des Holzes mit der Zeit ein ineinander verkeiltes, satt sitzendes Baugefüge entstand. Mitunter wurden kleinere Gebäude sogar im Ganzen transportiert. Im märkischen Sauerland wurden prunkvoll ausgemalte eichene Kornspeicher unzerlegt auf Rollen gesetzt und mit der Mitgift der Braut auf den Hof des Bräutigams gerollt, wobei einmal acht Pferde und fünfzig Männer am Transport beteiligt gewesen seien sollen. Ähnliches Brauchtum kennen wir aus der Telemark in Norwegen. Dass zahlreiche Gäste zu solchen Verschiebungen kamen und diese zu einem Volksfest auswachsen konnten, ist leicht nachvollziehbar. Untersuchungen im Landschaftsverband Westfalen-Lippe zeigen, dass Wiederverwendung von Bauholz in Form einzelner Bauteile oder ganzer Gebäude keine Seltenheit war. In mindestens 19 von 60 gründlich analysierten Bauten aus den Altkreisen Bielefeld, Halle und Herford wurden zweitverwendete Bauhölzer verzimmert. Von 100 Häusern im Weserdorf Hemeln wurden im 18. und 19. Jahrhundert fünf im Ort versetzt, eines von außen angekauft und drei nach außen verkauft. Die gleiche Menge an Bauten ist durch wesentliche Umbauten alter Gerüste oder Wiederverwendung von Altholz entstanden, so dass wir insgesamt von einem Anteil von 20 % wiederverwendeter Bausubstanz sprechen können. In Ahaus-Wüllen konnten 27 Speicher auf Bauernhöfen nachgewiesen werden. Von diesen waren 20 aus Fachwerk erstellt, von denen sich 10 als mindestens einmal versetzt erwiesen. 57