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FACHTAGUNG LANGZEITPFLEGE Rückblick
Fachtagung Langzeitpflege
RÜCKBLICK
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Die RVK-Tagung Langzeitpflege beschäftigte sich 2022 mit dem Thema «Gesundheitsförderung und Prävention im Langzeitbereich – ungenutzte Potenziale?». Während Professor Martin Hafen, Soziologe an der Hochschule Luzern, in seiner Keynote einen eher systemtheoretischen Überblick zum Thema aufzeigte, präsentierten die weiteren Referentinnen und Referenten anhand von konkreten Beispielen die Chancen und Möglichkeiten von gesundheitsförderlichem Handeln in der Lebenswelt der Spitex und der Pflegeheime.
Rund 90 Fachleute aus dem Gesundheitswesen folgten den vielfältigen Referaten sowie einer angeregten Podiumsdiskussion, die Hannes Blatter, Geschäftsführer Luzerner Forum für Sozialversicherungen und Soziale Sicherheit, gekonnt moderierte. Angesprochen waren Fach- und Führungskräfte aus der stationären und ambulanten Langzeitpflege, Verantwortliche in Gemeinden und Kantonen sowie Mitarbeitende von Krankenversicherungen.
Mehr Zeit für informelle Gespräche
«Jede Behandlung ist auch präventiv wirksam. Und jede Prävention hat behandelnde Aspekte», sagte Professor Martin Hafen in seinem Eintrittsreferat. «Ausgangspunkt jeder Prävention ist ein künftiges Problem», so der Experte. «Wenn wir über Prävention in Langzeitpflege sprechen, müssen wir uns bei der Pflege überlegen, was für mögliche Folgeprobleme es gibt.» Es gehe jeweils darum, Belastungsfaktoren zu reduzieren und Schutzfaktoren zu stärken. «Es ist empirisch belegt, dass Menschen, die regelmässig Kontakt haben, länger leben», sagte Martin Hafen. Denn Menschen seien soziale Wesen. Es sei daher von elementarer Bedeutung, dass es Zeit für informelle Gespräche gebe, gerade in der Langzeitpflege. «Es braucht mehr Zeit für informelle Gespräche», forderte Martin Hafen. «Beispiele zeigen, dass das Personal auf Früherkennung geschult werden muss. Eine Checkliste hilft, die Situation systematisch zu erfassen. Die Analyse hilft, richtig und frühzeitig zu intervenieren.»
Prävention kostet
«Wir müssen aufhören, Spitäler, Alters- und Pflegeheime oder Spitex-Organisationen einzeln zu betrachten. Das Gebot der Stunde heisst Vernetzung», sagte Jörg Kündig, Präsident der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich. «Das gilt auch für die Prävention.» In den Gemeinden müsse dafür noch mehr Bewusstsein geschaffen werden. «Es hilft, wenn auf Stufe Gemeinde die Ressorts Bau und Infrastruktur sowie Gesundheit eng zusammenarbeiten», so Jörg Kündig. Denn Prävention und Gesundheitsförderung lohne sich – auch für die öffentliche Hand. Das Leben in stationären Einrichtungen sei teuer – und in der Regel unbeliebt; nicht nur, aber auch von der öffentlichen Hand. Doch es lohne sich für eine Gemeinde, in die Prävention zu investieren. «Ich will es nicht verhehlen: Für manche Gemeinde ist Prävention teilweise ein ungeliebtes Kind. Denn sie kostet Geld», so Jörg Kündig. Mehr finanzieller Support sei erwünscht.



Erfolgsfaktoren und Stolpersteine
Anna Jörger, stv. Geschäftsführerin CURAVIVA, präsentierte am Beispiel des Alterszentrums Lindenhof in Oftringen auf, wie die Vision in den Alltag übertragen werden könnte. Es gibt zum Beispiel Angebote wie Bäckerei, Coiffeur, Hauswirtschafts- und Wäscheservice. Das Besondere: Die Leistungen würden nicht nur den Bewohnerinnen und Bewohnern angeboten, sondern auch den Mitarbeitenden und sogar der Bevölkerung. Diesen Ansatz des sozialraumorientierten und integrierten Versorgungssettings verfolgen neben dem Alterszentrum Lindenhof auch andere Institutionen. In einem gemeinsamen Projekt der Gesundheitsförderung Schweiz werden aktuell Erfolgsfaktoren und Stolpersteine eruiert und ab Mitte 2023 in einem Online-Selbst-Assessment-Tool zur Verfügung gestellt. Markus Wittwer, Geschäftsführer Alter und Pflege der Stadt Winterthur, stellte in seinem Beitrag drei Präventionsprojekte vor. Zum Beispiel die Gesundheitsberatung Daheim, ein Angebot der Spitex. Das Projektziel sei, die Anzahl Heimeintritte oder Wiedereintritte durch Früherkennung zu vermindern. Beim Beratungsangebot stehe die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund. Dabei würden die vorhandenen Ressourcen gezielt einbezogen. Oder das Angebot Dividat Senso, welches neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufgreift und Bewegungs- und Denkaufgaben miteinander verknüpft. Das interprofessionelle und individuelle Angebot Alters Reha Alter und Pflege ermögliche Personen einen temporären Aufenthalt von maximal drei Monaten. Damit solle die Selbstständigkeit erhalten und verbessert werden. Ein weiteres Ziel sei die Rückkehr ins angestammte Wohnumfeld oder in ein nicht stationäres Angebot.




Ungenutzte Potenziale
Das anschliessende Podium diskutierte weitere Aspekte und die Frage nach ungenutzten Potenzialen. Für Verena Nold, Direktorin von santésuisse, spielen die Hausärztinnen und Hausärzte eine entscheidende Rolle. «Sie können die Beratungsresidenz von älteren Menschen überwinden helfen.» Auch sie betonte die Bedeutung von niederschwelligen Angeboten, etwa hauswirtschaftliche Leistungen der Spitex. Hannes Koch, CEO der Spitex Kriens, erläuterte das Konzept von Kriens. Danach gibt es die Drehscheibe-Senioren-Impuls; sie sei die erste Anlaufstelle für die Einwohnerinnen und Einwohner. Die Mitarbeitenden der Drehscheibe vermittelten die Menschen nach der Beratung an jene Institution, die das passendste Angebot habe. Zum Abschluss der Veranstaltung las Reeto von Gunten, Autor und Radiomoderator, aus seinem Tagebuch. Er schreibt dieses täglich, allerdings spielt die Handlung in der Zukunft. Entsprechend startet der erste Eintrag am Freitag, 1. April 2050.
Wir danken allen Beteiligten für ihre wertvollen Beiträge zu dieser facettenreichen Thematik. Die zahlreichen Rückmeldungen zeigen, dass eine konstruktive Auseinandersetzung mit allen Akteuren der Langzeitpflege einem echten Bedürfnis entspricht.
Marco Fäh, Leiter Bildung & Events 041 417 05 62, m.faeh@rvk.ch