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Don‘t look back in Anger Der wilde Ritt durch ein Jahr scheune Programm mit Booker Frank.

(Text: Frank Schöne) Schon irre, wenn man auf so ein Jahr wie dieses verdammte 2022 zurückschaut. Die vorangegangenen endlosen Monate mit all dem Stop-and-Go voller Regeln, die alles andere als konform mit den Erwartungen an einen unbeschwerten Abend gingen, wussten nicht gerade ein Füllhorn an Motivation mit auf den Weg zu geben. Ich hatte mich schon fast damit abgefunden – noch bis Juni aus dem Homeoffice heraus – unseren Ticketkäufer:innen, die jetzt schon nicht mehr wussten, dass sie das mal waren, ein weiteres Mal mitteilen zu dürfen, erneut umplanen zu müssen. Aber dann kam doch alles anders.

Unser Kanzler sah sich gezwungen eine Zeitenwende zu verkünden. Auch wenn er dies aus allseits bekannten anderen Gründen tat, so folgte ihr doch die konstruktive Einsicht, dass wir zukünftig mit Corona leben müssen und dies angesichts ganz neuer Herausfor- derungen wohl auch mal wagen sollten. Ein urplötzliches „Nu aber mal los hier!“ – Wow, war das eine Umstellung! Plötzlich wieder voll auf Achse nach zwei Jahren Schongang. Das bringt den stärksten Motor an seine Grenzen. Und dann gleich mehrere Dutzend verschobene Konzerte in gefühlten vier Wochen abzuarbeiten, das brachte unser Team, unsere Partner:innen und so manche Gäst:innen und Künstler:innen ebenfalls ans Limit. Der Kessel dampfte vor allem immer dann, wenn wiedermal kurz vor Einlass der zweite Strich auf dem Teststreifen aufblitzte, oder bei der Abrechnung eine Ahnung davon aufkam, wie massiv die mittlerweile galoppierende Inflation die Früchte der Mühe auf Künstler- wie Veranstalter:innenseite absorbierte. In Kombination mit einem neuen Wort, welches wir lernen durften – No Show Rate –, ergab sowas „ausverkaufte“

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Abende vor halbvollem Haus, bei dem am Ende alle Beteiligten hart draufzahlten. What the fuck?!

Aber das Jammertal war schon belegt mit Jammerern, deswegen „Kopf hoch“ und auf zu neuen Ufern! Es gab da ja noch die neue Spielwiese im Herzen der Neustadt, die wir einst auf den Namen „Blechschloss“ tauften. Da stand es nun und musste mit Leben gefüllt werden. Aber angesichts der fehlenden Bar, der Enge des Raumes, einer Lage direkt am Bordstein, nicht enden wollender Improvisation und der Tatsache, es in eine Welt gestellt zu haben, in der bei Passanten selten der Impuls eines kurzentschlossenen Kulturgenusses aufkam, kristallisierte sich die Frage heraus: Wie um alles in der Welt geht man das hier richtig an?

Eine Challenge, der es sich zu stellen galt, und die viel Raum für Diskussionen, seltsame Ideen, Überraschungsmomente und neue Erkenntnisse bot. Und hier konnte die sogenannte Neustart-Förderung der Initiative Musik genau das tun, was sie sollte: Einen Neustart gleich im doppelten Sinne befeuern! Endlich wieder Konzerte! Nebenbei findet die scheune zurück in ihr eigentliches Element. Wir investierten und loteten den künstlerischen Ozean maximal aus – von wildestem Free Jazz und Industrial Noise über Rock, Pop, Weltmusik für alle Generationen bis hin zu Kinderdisko und Schachturnier. Da, wo die Bunte Republik Neustadt einst ausgerufen wurde, da lebt sie nun auch wieder aus einem Stapel Blechwürfel heraus. Schön irgendwie!

Aber das ist nur ein Teil unserer Geschichte. Für den anderen begaben wir uns unters fahrende Volk, packten all die Künstler:innen, die dereinst unseren Saal bespielten, ins Gepäck und suchten eine Unmenge kleinerer und größerer Häuser oder Plätze dieser Stadt – punktuell sogar darüber hinaus – heim. Jedes Mal musste man sich wieder neu auf die Gegebenheiten dieser Orte einstellen. Hier und da fiel es leicht, ab und an gab es aber auch harte Reibungsverluste in den Abstimmungsprozessen. Aber ich denke, man kann sagen, wir schauen auf einige wirklich wichtige, herausragende, wenn nicht gar einzigartige künstlerische Momente im kulturellen Jahrbuch dieser Stadt zurück, an denen wir und unsere geschätzten Partner:innen mitwirken durften. Gestattet mir an der Stelle meine höchst subjektiven Top Ten der „scheune Konzerte 2022“ aufzuführen:

(01) Munly & The Lupercalians @ Groovestation

(02) Nothing / Jaguwar / Entropy @ Chemiefabrik Dresden

(03) Prozessor @ scheune Blechschloss

(04) High On Fire @ Chemiefabrik

(05) Divide & Dissolve @ Ostpol

(06) Die Nerven @ Groovestation

(07) Midwife / Scott Ritcher @ Blechschloss

(08) Oidorno @ Chemiefabrik

(09)Erobique @ Konzertplatz

Weißer Hirsch

(10) S!ng Die große Mitsingrevue @ Filmnächte am Elbufer

Und das sind nur einige von vielen aus einem unglaublich vielfältigen, bunten Programmjahr 2022. Kein Wunder, dass nach dem Pensum im Dezember dann die Luft etwas raus war. Dennoch: Der Blick voraus ist geschärft, die Erkenntnisse aus den Auswärtsgastspielen helfen bereits, erste Eckpunkte für das Konzept der neuen scheune 2025 zu fixieren, während das Blechschloss einen immer festeren Platz im kulturellen Gefüge der Stadt bekommt. Und hey, mal im Ernst, man nenne mir einen Laden, der so verrückt ist, sich aus Containern einfach mal mitten im Kiez einen Club Kraft seiner eigenen Wassersuppe zu errichten, ohne dabei in die Knie zu gehen. Die Politik mag an ihrer Zeitenwende noch zu kauen haben, wir haben uns ihr schon angenommen und schauen zuversichtlich nach vorn.

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