Programmheft "DAS"

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Ich schlafe ein, dann wache ich auf und es ist vorbei.
So, als ob alles nur ein Traum war.

Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs

Bereits in der Antike wurden Abtreibungen praktiziert und waren in vielen Kulturen üblich. Die erste schriftliche Erwähnung eines solchen medizinischen Eingriffs stammt aus dem Alten Ägypten. Der Papyrus Ebers (ca. 1600-1550 v. Chr.) beschreibt neben Krankheitsbildern und Heilmitteln auch Methoden zur Beendigung einer Schwangerschaft, etwa durch Kräutertränke, Massagen oder das Anlegen von Bauchbinden. Hinweise, ob Schwangerschaftsabbrüche rechtlich sanktioniert wurden, liefert diese Quelle nicht.

Auch beim Volk der Assyrer in Mesopotamien gibt es Hinweise auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen, die in medizinischen Schriften festgehalten wurden. In ihrem Gesetzbuch, das zwischen 1450 und 1250 v. Chr. entstand, finden sich aber auch die bislang ältesten bekannten Verbote dieser Praxis. Frauen, die eine Abtreibung vornahmen, drohte die Todesstrafe durch Pfählung.

Im antiken Griechenland galten kinderreiche Familien nicht unbedingt als gesellschafts- und bevölkerungspolitisches Ideal, obwohl Fruchtbarkeit hochgeschätzt wurde. In den Schriften Platons (ca. 427-347 v. Chr.) und Aristoteles‘ (ca. 384-322 v. Chr.) wird ersichtlich, dass sie Abtreibungen als legitimes Mittel sahen, um einer Überbevölkerung entgegenzuwirken und eine stabile Bevölkerungszahl für den „idealen Staat“ zu erhalten. Diese Haltung beruhte vermutlich auf der Annahme, dass die Seele erst mit der Geburt in den Körper eintritt – das ungeborene Kind besaß somit kein Lebensrecht. Zeugnisse aus der griechischen Antike belegen, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht ungewöhnlich waren. In Aufzeichnungen des griechischen Arztes Hippokrates (ca. 460-370 v. Chr.) ist etwa von der Einnahme abführender Substanzen oder äußerlichem Druck auf den Unterbauch die Rede. Heutzutage ist sich die Forschung größtenteils einig, dass Hippokrates selbst Abtreibungen nicht grundsätzlich ablehnte. Der Hippokratische Eid verbot den Abbruch einer Schwangerschaft nicht per se, sondern lediglich bestimmte Mittel oder Vorgehensweisen. Zudem wurden die meisten Abbrüche von Hebammen durchgeführt, die nicht wie Ärzte an den Eid gebunden waren – ein Hinweis

darauf, dass diese Eingriffe keine Strafverfolgung nach sich zogen.

Das antike Rom vertrat eine vergleichbare Einstellung. Der Fötus hatte weder Lebensrecht noch Seele, ein generelles Abtreibungsverbot existierte nicht. Nachwuchs war erwünscht, solange er das Erbe und die Altersvorsorge sicherte – eine übermäßige Kinderzahl galt hingegen als existenzbedrohend. Das römische Recht spricht dem Familienoberhaupt (pater familias) die alleinige Entscheidungsgewalt über die Beendigung einer Schwangerschaft zu, wodurch sich die Praxis weitgehend der staatlichen Kontrolle entzog und somit auch nicht strafrechtlich verfolgt wurde. Schriften belegen, dass römische Mediziner bereits über 200 pflanzliche Mittel mit abtreibender Wirkung kannten.

Erst unter Kaiser Septimius Severus (Regierungszeit 193-211 n. Chr.) wurde der Schwangerschaftsabbruch als crimen extraordinarium (außergewöhnliches Verbrechen) unter Strafe gestellt – allerdings nicht zum Schutz des ungeborenen Kindes, sondern damit der pater familias die Verletzung seines Anspruchs auf Nachkommenschaft bei einer Abtreibung gegenüber der Frau oder mitwirkenden Dritten geltend machen konnte. Der Gebrauch abtreibender

In der frühen Neuzeit kam es zu einer Reformation des Strafrechts: die Ahndung von Schwangerschaftsabbrüchen oblag fortan der weltlichen Gerichtsbarkeit. Als bedeutender Wendepunkt gilt das im Jahr 1532 unter Kaiser Karl V. erlassene Reichsstrafgesetzbuch Constitutio Criminalis Carolina, welches vorsätzliche Beendigungen von Schwangerschaften den Tötungsdelikten zuordnete.

Die Entwicklung in Österreich

In den darauffolgenden Jahrhunderten orientierten sich die österreichischen Abtreibungsgesetze im Wesentlichen an der Carolina von 1532. Auch in der Constitutio Criminalis Theresiana, dem 1768 eingeführten einheitlichen Strafgesetzbuch unter Kaiserin Maria Theresia, war als Sanktion für Schwangerschaftsabbrüche der Tod durch das Schwert verankert. Das Josephinische Strafgesetzbuch von 1787, erlassen von Kaiser Joseph II., übernahm die Einstufung der Abtreibung als Verbrechen, ersetzte jedoch die Todesstrafe durch eine Freiheitsstrafe.

Im Strafgesetzbuch von Kaiser Franz II., welches 1803 die Josephina ablöste, wird eine „absichtliche“

Unterbrechung der Schwangerschaft mit sechs Monaten bis fünf Jahren Kerker geahndet. Dieses Gesetz trat erneut und überarbeitet 1852 mit kaiserlichem Patent in Kraft und blieb – mit wenigen Veränderungen – bis zur Einführung der Fristenlösung im Jahr 1975 in Österreich die rechtliche Grundlage.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch das Strafrecht für Schwangerschaftsabbrüche nach ihrer Ideologie abgeändert. Im Sinne der sogenannten „Rassenhygiene“ war nun die Abtreibung von „erbgeschädigten“ oder „minderwertigen Rassen“ erlaubt oder sogar erwünscht, während sie bei gesunden „arischen“ Kindern streng verfolgt wurde. 1943 wurde die Gesetzgebung nochmals verschärft: nach der „Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft“ konnte auf eine Abtreibung in bestimmten Fällen die Todesstrafe folgen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wurde das Abtreibungsstrafrecht in Österreich in weitgehend unveränderter Form wie vor der NS-Zeit wieder eingeführt.

In den 1970er-Jahren wurde der Ruf nach einer Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in

Bis heute ist der Schwangerschaftsabbruch im österreichischen Strafgesetzbuch verankert und grundsätzlich verboten. Ein ergänzender Paragraph regelt jedoch die Straflosigkeit, wenn der Eingriff innerhalb der ersten drei Monate durch eine Ärztin oder einen Arzt vorgenommen wird. Darüber hinaus ist ein Abbruch auch später noch erlaubt, wenn eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Frau besteht, eine schwere geistige oder körperliche Behinderung des Kindes zu erwarten ist oder die Frau zum Zeitpunkt, als sie schwanger wurde, das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Damit bleibt der Schwangerschaftsabbruch die einzige Gesundheitsversorgung, die im österreichischen Strafrecht geregelt ist.

Interview mit der Autorin

Sie haben jahrelang als Übersetzerin und Beraterin in einer Klinik für Schwangerschaftsabbruch in Wien gearbeitet. Wie kamen Sie auf die Idee, aus Ihren Erfahrungen ein Theaterstück zu schreiben?

Während meiner Arbeit in der Klinik und beim Übersetzen jeder Unterhaltung zwischen Patientin und Ärztin /Arzt wurde mir zunehmend bewusst, dass alles, was öffentlich über Abtreibung gesagt wird, nicht nur von der Realität abweicht, sondern häufig sogar völlig daran vorbeigeht. Es ist unmöglich, sich sachlich mit einem Thema auseinanderzusetzen, wenn man die Fakten und die tatsächlichen Umstände nicht kennt. Über Abtreibung wird entweder emotional und moralisch aufgeladen gesprochen oder man schweigt einfach. Diejenigen, die moralisch urteilen, präsentieren oft ihre Fantasien und Vorstellungen als Fakten, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Wenn ich Freund*innen von meiner Arbeit erzähle,

So ETWAS kann man doch niemandem erzählen.

Ich weiß nicht einmal, was meine Freundinnen über DAS denken.

Angst haben, so sehr, dass wir es selbst nicht mit einem konkreten Wort benennen möchten. Es ist stets ein Tabuthema, etwas, worüber wir nicht offen sprechen wollen. In Gesprächen umgibt uns die Vermeidung, das bestimmte Wort auszusprechen, als ob seine Nennung uns einen sozialen Fluch auferlegen würde. Besonders in Fragen der Abtreibung fühlen sich Frauen, vor allem jene, die aus dem Ausland kommen, so stigmatisiert und verängstigt, dass ihnen das Wort „Abtreibung“ kaum über die Lippen kommt. Stattdessen fragen sie schlicht: „Wird DAS heute erledigt? Ist DAS schmerzhaft? Kann ich DAS bei Ihnen machen?“ Als ich den Text beendete, fiel mir auf, wie selten das Wort „Abtreibung“ darin vorkam und wie häufig Menschen sprachliche Umwege machen, nur um dieses Wort nicht auszusprechen.

In Ihrem Stück treffen Frauen aus unterschiedlichsten Lebensrealitäten aufeinander – verbunden durch ein gemeinsames Anliegen. Was war Ihnen bei der Darstellung dieser Figuren besonders wichtig?

Für mich war die Wirklichkeit und die Wahrheit am wichtigsten, deshalb habe ich keine fiktionalen Figuren erschaffen. Ich wollte sowohl den Charakter

als auch die Emotionen echter Patientinnen bewahren, denen ich bei Schwangerschaftsabbrüchen beigestanden habe. Ich wollte weder „literarische Figuren“ kreieren, noch Situationen erfinden. Über Abtreibung wird ohnehin schon wenig gesprochen, oder oft ohne fundiertes Wissen. Es interessiert mich nicht, über Abtreibung mit Metaphern, Symbolen oder fiktiven Figuren zu sprechen, weil uns das vom Kern der Sache entfernt. Deshalb bin ich dieses Thema journalistisch angegangen, mit den Mitteln der Reporterin. Solange Abtreibung ein Tabuthema ist, muss man sachlich darüber sprechen und sich auf Fakten stützen. Daher reichte es, die Menschen genau zu beschreiben, die ich mit eigenen Augen gesehen und mit denen ich lange Stunden in meiner Arbeit verbracht habe.

Die Situation im Wartezimmer ist geprägt von Intimität, Schweigen, Unsicherheit, Angst und manchmal auch absurden Momenten. Wie sind Sie sprachlich an diese Balance zwischen Schmerz, Scham und Komik herangegangen? Hier kehre ich erneut zu den journalistischen Werkzeugen zurück. Diese Art sprachlichen Gleichgewichts ist keineswegs das Ergebnis meines

Was wünschen Sie sich, dass das Publikum von diesem Theaterabend mitnimmt?

Ich werde mit jeder Reaktion zufrieden sein. Es ist egal, welche Gefühle bei den Zuschauer*innen aufkommen – wichtig ist, dass sie überhaupt entstehen. Auch die schwierigen Gefühle von Ablehnung, Scham und Wut sind bedeutend im Gespräch über Abtreibung, denn das Wichtigste ist, dass wir endlich wieder in der Lage sind, über dieses Phänomen ganz normal zu sprechen, wie über jedes andere Thema. Wenn sich herausstellen sollte, dass das Publikum direkt nach dem Verlassen des Theaters darüber spricht, was es zu Abend essen möchte oder was im Fernsehen läuft, dann würde ich mich enttäuscht fühlen.

TEXTNACHWEISE: Alle Texte sind exklusiv für dieses Programmheft entstanden.

BILDER: Sujetfoto: Chris Rogl | Foto Magdalena Marszałkowska: Thomas Salamonski | Probenfotos S. 8, 14, 18-19, 23, 29, 31: René Pointner

REDAKTION: Julia Thym

Wir danken Benjamin Muth, Marvin Rehbock und Philippe Thelen für das Einsprechen des Prologs.

Für die Unterstützung des Schauspielhauses danken wir Stadt und Land Salzburg, dem Bundeskanzleramt  Sektion Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport und dem „Freundeskreis Schauspielhaus Salzburg“.

Kultur

Ich bin kein schlechter Mensch.

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