Programmheft (Auszug) - "DIE WILDENTE"

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Die Wildente Henrik Ibsen


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DIE WILDENTE Henrik Ibsen Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel


DIE WILDENTE Henrik Ibsen Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel Großhändler Werle Gregers Werle Der alte Ekdal Hjalmar Ekdal Gina Ekdal Hedvig Helena

Edgar M. Böhlke Reinhard Mahlberg Ralf Dittrich Klaus Rodewald Anke Schubert Anne-Marie Lux Helena Daehler

Statisterie

Balthasar Burger Manuel Gäfgen Annabel Hertweck Selina Stuhler

Inszenierung Elmar Goerden Bühne Silvia Merlo und Ulf Stengl Kostüme Lydia Kirchleitner Musik Helena Daehler Licht Robby Schumann Dramaturgie Ingoh Brux Regieassistenz Bühnenbildassistenz Kostümbildassistenz Dramaturgieassistenz

Magdalena Schönfeld Helen Stichlmeir Maïté Forster Christina Schlögl

Soufflage Frank Laske Inspizienz Roberto Rochow

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Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Bühnenoberinspektor Manuel Willi | Technische Einrichtung Thorsten Schäfer | Leitung Beleuchtung Felix Dreyer | Beleuchtung Thomas Pfisterer | Leitung Ton & Video Frank Bürger | Leitender Ton­

techniker Jonathan Eichhorn | Ton: Mathias Gräf, Sebastian Thein | Leitender Vi­ deotechniker: Merten Lindorf | Video: Martin Stolper | Leitung Requisite Philipp Unger | Requisite Michelle Jarosch, Anne Klöppel | Leitung Maschinerie Mustafa Agacdograyan | Direktion Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Kon­ struktion Tobias Laaber | Technische Produktionsplanung Kathrin Leßner | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorati­ onsabteilung Dirk Herle | Leitung Nähsaal Heidi Lange | Leitung Schreinerei Oliver Bundschuh | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Andrea Wagner, Susanne Ziegler | Kostüm­ direktion Elke Wolter | Produktionsleitung Kerstin Hägele | GewandmeisterInnen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel | Statisterie Isabelle Grupp Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics

schauspielhaus

Aufführungsrechte Aufführungsdauer Stuttgarter Premiere

Rowohlt Theaterverlag, Reinbek bei Hamburg 2:00 Stunden, keine Pause 16. Februar 2019

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Die Wildente von Michael Goldman

Nachdem Nora oder ein Puppenhaus Ibsen fünf Jahre zuvor in den Fokus europäischer Anerkennung katapultiert hatte, ließ die 1884 fertiggestellte Wildente viele ihrer Zuschauer verwirrt zurück. Vielleicht hatte kein Stück in den letzten zwei Jahrhunderten so beunruhigend Komik mit schmerzhaftem emotionalem Inhalt vermischt. Ebenso irritierend war die Art und Weise, wie es den Großteil seines Hohns gegen eine Figur richtete, die Ibsens mutmaßlichen persönlichen Eifer für soziale Reformen zu verkörpern schien. Gregers Werle, der rebellische Sohn eines reichen Geschäftsmannes, heftet sich an die Familie seines alten Freundes Hjalmar Ekdal und ermahnt sie, in all ihren Taten Ehrlichkeit und Wahrheit walten zu lassen, vor allem in ihren Partnerschaften. Gregers stümperhafte Bemühungen, den eitlen Selbstdarsteller Hjalmar davon zu überzeugen, seiner „idealen Forderung“ zu folgen, wären durchaus komisch, führten sie nicht zum Selbstmord von Hjalmars geliebter, wenn auch achtlos ausgebeuteter Tochter Hedvig. Verstört von Gregers Forderung, ihre handzahme Wildente zu opfern, um ihre Liebe zu ihrem Vater zu beweisen, richtet die 14-Jährige die Pistole gegen sich selbst. Die Wildente strotzt vor Anspielungen auf das Wahrnehmen und den Akt des Sehens. Wir werden ständig daran erinnert, dass das Wohnzimmer der Familie Ekdal, in dem ein Großteil der Handlung spielt, ebenfalls als Fotostudio dient. Den Bezug zur Fotografie deuteten viele als die überlegene Genauigkeit des Realismus, und tatsächlich hatte Ibsen sich selbst einst als Fotograf bezeichnet, aber der Schwerpunkt liegt weniger auf der Realität des Gesehenen, als auf den Verzerrungen der visuellen Wahrnehmung. Hedvig Ekdal mag ihr schwaches Augenlicht von Gregers Vater geerbt haben, schließlich war der alte Werle der Geliebte ihrer Mutter. Aber es ist Hjalmar, der ihr Augenlicht in Gefahr bringt,

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indem er ihr erlaubt, seine Arbeit – das Retuschieren von Fotografien – zu übernehmen. Wie in seinen früheren Stücken lässt Ibsen die Entwicklung des Plots zunächst wie eine Bewegung hin zu einer Erkenntnis erscheinen, doch erweist sich die Erkenntnis, wenn sie erscheint, als mehrdeutig. In Die Wildente ist es nicht klar, ob überhaupt irgendetwas entdeckt wurde. Ein Kind wird zerstört und die rivalisierenden „Erkenntnisse“, die uns am Ende des Stücks geboten werden, sind nicht weniger fiktiv und verzerrt als die verwirrten, symbolischen Erkenntnisse, die sie in den Suizid getrieben haben. Die Konstruktion des Stücks wird deutlich, wenn wir versuchen seine Handlung mithilfe eines einzelnen Infinitivsatzes zu erklären, der die Motivation oder den „roten Faden“ der Hauptfiguren beschreibt. Für mich ist der konkreteste Infinitivsatz, der auf alle Figuren in Die Wildente zutrifft, „das Bild im rechten Licht erscheinen zu lassen“ – die Realität also so anzupassen, dass sie „gut aussieht“, genau wie beim Retuschieren eines Fotos. Im Stück ist der wichtigste Aspekt der Fotografie derjenige: Das Bild im rechten Licht erscheinen zu lassen, genau so wie der Kunde es verlangt oder der Fotograf es als schön empfindet. Das ist der Versuch, die immer gleiche Handlung, die allen Figuren im Stück gemeinsam ist. Hjalmars Arbeit als Retuscheur bezieht sich offensichtlich auch auf die Erzählungen, mit denen er sein Leben konstruiert und es rechtfertigt. Gregers beschuldigt seinen Vater, ein falsches Bild zu konstruieren („Gemälde von Vater und Sohn“), dabei macht er sich genau so schuldig, wenn er sein Bild von Hjalmar als einem Mann mit ungewöhnlich hohen moralischen Ansprüchen aufrechtzuerhalten sucht. In Die Wildente ist der Akt des Sehens keine Frage von dem, was tatsächlich zu sehen ist, sondern vielmehr aus wessen Perspektive man etwas betrachtet, mit wessen Augen man sieht: „Mit den Augen deiner Mutter hast du mich gesehen. Du solltest nicht vergessen, dass ihr Blick manchmal – getrübt war.“ Wie diese Rede des alten Werle andeutet, ist das Konzept von „das Bild ins rechte Licht rücken“ nicht nur eine Frage von Heuchelei und

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bequemer Selbsttäuschung. Es entspringt den dunkelsten Quellen menschlicher Veranlagung, aus unseren Bedürfnissen und Leidenschaften. „Wahrnehmung“ geschieht unterbewusst – ihre Ursprünge liegen vergraben und sind uns fremd, sie arbeitet im Geheimen. Genauso wie das Stück trotz all seines Humors nicht einfach nur komisch ist, so besteht der Antrieb zu retuschieren – also ein Bild zu verstärken, es deutlicher hervortreten zu lassen oder es bewusst egoistisch zu verändern – nicht nur in der menschlichen Komödie. Vielmehr entstammt dieser Antrieb den tiefen und stark verzerrten Ursprüngen von Fantasie und Begehren. Im Zentrum der Wildente steht ein Kind, weil die Bemühungen der Erwachsenen, ihr Leben zu retuschieren, alle mit dem unbeständigen und deformierten psychischen Leben verbunden sind, das sie aus ihrer Kindheit mitbringen. Ein Vorgang, der überall in der Wildente auftaucht, der scheinbar zentral war für Ibsens Lebensauffassung und der ihm vielleicht zum ersten Mal bewusst wird, als er dieses Stück schreibt, ist der, dass Menschen aus den Tiefen ihrer Kindheit verletzt hervortreten. Die besten Beispiele für diesen Prozess sind natürlich Hedvig, Gregers und Hjalmar. Ein Teil der Eigenwilligkeit des Stücks liegt in der Art, wie es die Erwachsenen zeigt, die sich ihrer Verletzungen aus der eigenen Kindheit bedienen, um dem Mädchen fatal zu schaden. Wir dürfen nicht vergessen, dass Gregers wie Hedvig ein Opfer von Kindesmissbrauch ist. Wie Ibsen in den Arbeitsnotizen zum Stück schreibt, „erfährt Gregers das erste und schwerste Leid eines Kindes – das Leid der Familie – die tägliche Qual des Familienlebens.“ Hedvig war der Name von Ibsens Schwester, das einzige Familienmitglied, dem er sich verbunden fühlte. Zudem stattete er die Figur Hedvig mit vielen Details seiner eigenen Kindheitserfahrungen aus, besonders mit der Fantasiewelt, in die er sich zurückzog. In Die Wildente brütet sie über genau den Büchern, die Ibsen als Kind faszinierten. Aber im Stück hat Ibsen ihren Bruder – also in gewisser Weise sich selbst – in einen Stiefbruder verwandelt, eine verdrehte und rachsüchtige Figur, die verantwortlich für einen Suizid ist, der, wie der des kleinen Eyolfs ein Jahrzehnt später, ein egozentrisches und genusssüchtiges Elternteil bestraft.

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Am Ende ist Hedvig besonders verletzt, da sie von ihrem Vater unerklärlicherweise so brutal zurückgewiesen wurde. Um seine Liebe zurückzugewinnen, ist sie bereit Gregers Rat zu befolgen und die Ente zu töten; ganz gewiss wird ein Opfer von etwas ihr so kostbarem Hjalmar davon überzeugen, dass sie ihn liebt. Kurz bevor sie den Schuss abfeuert, hört sie zufällig wie Hjalmar sagt: „Wenn ich sie dann fragen würde: Hedvig, bist du bereit, das Leben loszulassen für mich? (Lacht spöttisch) Na danke, dann würdest du schon sehen, welche Antwort ich bekäme!“ In diesem Moment bringt sie sich um. Darum ist Hedvigs Tod das Resultat der eigennützigen Mischung aus Zuneigung und Gleichgültigkeit ihres Vaters; der Intimität, die Gregers herstellt und dann manipuliert; der sexuellen Geheimnisse und Verdächtigungen, die in diesem Haushalt kursieren.

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Das komplette Programmheft zu „Die WILDENTE“ können Sie beim Besucher­­service oder in unserem Theater­shop zum Preis von 2,50 € erwerben


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