Programmheft (Auszug) "DIE WAHRHEITEN (UA)"

Page 1

Die Wahrheiten Lutz Hübner und Sarah Nemitz


2


Uraufführung

DIE WAHRHEITEN Lutz Hübner & Sarah Nemitz


DIE WAHRHEITEN Lutz Hübner & Sarah Nemitz

Sonja Bruno Jana Erik

Marietta Meguid Michael Stiller Katharina Hauter Marco Massafra

Inszenierung Bühne und Kostüme Musik Licht Dramaturgie

Sophia Bodamer Prisca Baumann Tobias Preisig Stefan Schmidt Bastian Boß

Regieassistenz Gerrit Kuge Bühnenbildassistenz Jennifer Jünger Kostümassistenz Teresa Heiß ^ Soufflage Frank Laske Inspizienz Ralf Fuhrmann Regiehospitanz Hannah Tilt

Kammertheater Aufführungsrechte Aufführungsdauer Uraufführung

4

HARTMANN & STAUFFACHER GmbH Verlag für Bühne, Film, Funk und Fernsehen, Köln 1:45 Stunden, keine Pause 25. Januar 2020


Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Technische Leitung Kammertheater

Stephan Abeck | Technische Einrichtung Nils Marstaller | Beleuchtung Dirk Sazinger | Ton Thomas Tinkl | Requisite Norbert Eitel, Adrian Vajzovic | Direktor der Deko­ rationswerkstätten Bernhard Leykauf | Konstruktion Tobias Laaber | Technische Produktionsplanung Monika Höger | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei

Maik Glemser | Leitung Dekorationsabteilung Dirk Herle | Leitung Schreinerei Peter Reisser | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Andrea Wagner | Kostümdirektion Elke Wolter | Produktions­ leitung Kostüme Kerstin Hägele | Gewandmeister*innen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Leitung Kunst­ gewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch Dr. Hauschka und MAC Cosmetics.

5


6


FRAUEN KÖNNEN DAS AUCH von Margarete Stokowski Während weiterhin täglich neue Vorwürfe der Belästigung und Vergewaltigung gegen Politiker, Produzenten, Regisseure, Schauspieler und Uno-Mitarbeiter öffentlich werden, fragen sich immer noch viele Leute, was genau es mit der Sexismussache in ihrer eigenen, kleineren Welt auf sich hat. Die einen wüssten gern, ob sich nun endlich was ändert, und die anderen wissen nicht, warum es so einen Aufstand gibt. Auch viele von denen, die skeptisch sind, warum jetzt plötzlich so viel über Sexismus geredet wird, sagen, sie würden ja gerne verstehen, was da los ist. Sie hätten gern Erklärungen und Zusammenhänge: Warum bleiben viele Täter unbestraft, warum schweigen viele Opfer, warum hört das alles denn nicht auf? Es reicht leider noch nicht, dass jetzt so viel über Sexismus geredet wird, wenn nicht auch haufenweise Menschen ihr tägliches Handeln ändern. „Being heard is one kind of power, and being free is another“, hat Jia Tolentino im New Yorker geschrieben. Wir sind jedoch noch weit entfernt davon, dass das Sprechen über sexualisierte Gewalt dazu führt, dass diese verurteilt wird. Dabei ist es nicht so, dass auf der einen Seite Frauen stehen, die längst alles wussten, und auf der anderen Seite Männer, die wahlweise widerwärtige Täter sind oder ahnungslose Trottel. Es ist komplizierter. Männer, die das Ausmaß des Problems längst kannten, und Frauen, die es weiterhin leugnen. Mangelnde Solidarität kennt viele Facetten. Manchmal sind es Männer, die die Sache runterspielen wollen. Männer, die schreiben, dass sie genervt und überfordert sind von der Debatte, weil ihnen jegliche Fach-

7


kenntnis fehlt (kleiner Scherz, so schreiben sie das natürlich nicht, aber so ist es wohl). Männer, die Mitleid für die Täter empfinden, wie Woody Allen für Harvey Weinstein. Männer, die sagen, es sei alles nicht so wild, wie Volker Schlöndorff über Dustin Hoffman. Das ist alles falsch. Und genauso falsch können Frauen es auch. Es ist ein häufig gemachter Denkfehler, dass etwas, was eine Frau tut, nicht sexistisch gegen Frauen sein kann. Es gibt Leute, die sagen, die schlimmsten sexistischen Sprüche über Frauen machen Frauen doch selbst. Ich denke das nicht, aber glaube, dass es besonders auffällt, wenn sie es tun – weil man insgeheim vielleicht doch irgendeine Art von Solidarität erwartet. Aber diese Solidarität ist keineswegs selbstverständlich. Frauen machen einander oft genug das Leben schwer und beteiligen sich an frauenfeindlichen Ritualen. Oder sie stellen sich in der Debatte um Übergriffe instinktiv auf die Seite von Männern, weil denen Unrecht geschehen könnte. „Die Unschuldsvermutung hat in diesen Tagen einen schweren Stand“, hieß es in einem Text in der FAZ von Corinna Budras, als wäre nun der Rechtsstaat aus den Angeln gehoben, weil Menschen über Gewalt sprechen, die ihnen passiert ist. Und als könnten viele Beschuldigte nicht noch jahrzehntelang ihr Tun fortsetzen, seit es die ersten Vorwürfe gibt. Und im Standard kommentierte Rechtsanwältin Katharina Braun, Männer stünden inzwischen „unter Generalverdacht, sexuell übergriffig zu sein“, und überhaupt, es sei „bald keine normale Kommunikation zwischen den Geschlechtern möglich“. Es gibt Frauen, die über das Aussehen anderer Frauen so oberflächlich und klischeehaft schreiben, dass man sich fremdschämt. Es gibt Frauen, die „drüberstehen“, wenn sie belästigt werden, und die das auch von anderen erwarten. Es gibt Frauen, die Trump gewählt haben, obwohl sein Verhalten Frauen gegenüber bekannt ist. Die meisten frauenfeindlichen Frauenzeitschriften wie InTouch oder Closer, die daraus bestehen, Mängel an Körpern und im Liebesleben von weiblichen Prominenten aufzuzeigen, sind von Frauen gemacht. Und in Blowjob-Ratgebern erklären Redakteurinnen ihren Leserinnen, wie sie beim Blasen ihren Würgereiz unterdrücken und warum es sich lohnt, dem Mann einen zu blasen, auch wenn man nicht will (Anerkennung, juhu).

8


Alle Frauen wachsen mit dem Wissen auf, dass sexualisierte Gewalt möglich ist, aber wir gehen unterschiedlich damit um. „Welche Frau (…) wächst nicht mit dem Dauerhinweis auf, sich zu schützen, aufzupassen?“, hat die Soziologin Paula-Irene Villa im Deutschlandfunk Kultur gefragt. Einige internalisieren diese Hinweise so sehr, dass sie finden, man ist als Frau selbst schuld, wenn doch etwas passiert. Als sei Belästigung oder Vergewaltigung eine Lawine, die über eine Frau hereinbrechen kann, wenn sie nicht genügend aufpasst. Wer die Ursprünge übergriffigen Verhaltens verstehen will, muss es ertragen zu sehen, wie viel von unserem Alltag sexistisch geprägt ist. Das ist kein Rumheulen und keine Gleichmacherei, sondern Analyse und Anklage. Manchmal kommt dabei auch heraus, dass Frauen sich sexistisch verhalten. Denn Herrschaft hat noch nie so funktioniert, dass sie sich nur durch ein paar einzelne Handlungen von Herrschenden gegen Beherrschte stabilisiert, sondern sie braucht Zusammenarbeit. Wenn sie nicht auf purer Gewalt aufgebaut ist, braucht sie irgendeine Art von Vorteil, den die Beherrschten haben, und sei es die Sicherheit, dass sich so bald nichts ändert am Gewohnten – und die Angst davor, wie ein anderes System aussehen würde (ob man da noch Komplimente bekäme, sich hübsch machen dürfte oder einfach Mutter sein …). Die Feststellung, dass Frauen auch sexistisch sein können, darf nicht darin enden zu sagen, dass Frauen an ihrem Elend selbst schuld sind. Alles, was sich daraus ergibt, ist die noch dringlichere Frage, wie die Art von Zusammenarbeit zu beenden ist, bei der Sexisten gehuldigt wird und Frauen sich selbst und einander schaden.

9


10


DIE MACHT, DIE WIR VERÄNDERN MÜSSEN von Carolin Emcke

„Ich versuche, die Grenzschicht oder, wie moderne Techniker sagen, das Interface zwischen Wissen und Macht, zwischen Wahrheit und Macht sichtbar zu machen. Das ist mein Problem (…) Ich habe keine allgemeine Theorie und auch kein sicheres Instrument. Ich taste mich voran und fabriziere nach besten Kräften Instrumente, die Objekte sichtbar machen.“ Michel Foucault: Macht und Wissen

Was heißt das: Macht? Das ist so herrlich unpräzis. Als ob jeder wüsste, was das sei: Macht. Als ob klar sei, wer sie besäße, woraus sie bestünde. Als ob sie ein statisches Ding wäre. Aus welchem Stoff, welcher Materie ist diese Macht, die missbraucht, die Macht, die keine Grenzen kennt, die ausufert, eingreift in die Rechte, die Scham, die Körper derer ohne Macht? Ist das ein anderer Stoff als jene Macht, die sich gütig zu benehmen weiß? Ist es nur ein Zuviel, das den Unterschied ausmacht oder ist es ein anderes Material, ein anderer Gebrauch, eine andere Beziehung? Macht wird meist als Herrschaftsform beschrieben, verortbar, fokussierbar, personalisierbar, Macht als repressiv und vertikal, abwärts, Macht als Instrument, das der Absicht, dem Willen, der Lust einer Autorität dient,

11


Das komplette Programmheft zu „Die Wahrheiten“ können Sie beim Besucher­­service zum Preis von 2,50 € erwerben.

12


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.