Programmheft (Auszug) "BERNARDA ALBAS HAUS"

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Bernarda Albas Haus Federico GarcĂ­a Lorca


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BERNARDA ALBAS HAUS Federico GarcĂ­a Lorca Deutsch von Hans Magnus Enzensberger


BERNARDA ALBAS HAUS F e de rico Ga rc í a Lo rca Deutsch von Hans Magnus Enzensberger Bernarda Nicole Heesters Maria Josefa Elke Twiesselmann Angustias Josephine Köhler Magdalena Anne-Marie Lux Amelia Jelena Kunz Martirio Paula Skorupa Adela Nina Siewert La Poncia Anke Schubert Artistin Kaatie Akstinat Inszenierung Calixto Bieito Bühne Alfons Flores Kostüme Mercè Paloma Mitarbeit Kostüme Uta Baatz Licht Nicole Berry Dramaturgie Ingoh Brux Regieassistenz Anja Schoenwald Bühnenbildassistenz Saskia Bellmann Kostümbildassistenz Ulf Brauner Soufflage Mirjam Dienst Inspizienz Roberto Rochow / Lars Erik Bohling Bühnenbildhospitanz Miriam Nägele

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Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Bühnenoberinspektor Manuel Willi | Technische Einrichtung Hans Peter Erdmann | Leitung Beleuchtung Felix Dreyer | Beleuchtung Franz Born | Leitung Ton & Video Frank Bürger | Leitender Tontech­

niker Jonathan Eichhorn | Ton Raimund Förnzler | Leitung Requisite Philipp Unger | Requisite Manfred Stampf | Leitung Maschinerie Mustafa Agacdograyan | Direktion Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Kon­struktion Tobias Laaber | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorations­abteilung Dirk Herle | Leitung Nähsaal Heidi Lange | Leitung Schrei­ nerei Alexander Kurtz | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Jörg Götz, Sarah Lechner | Kostüm­ direktion Elke Wolter | Produktionsleitung Kostüme Petra Bongard | Gewand­ meisterInnen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuh­macherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics

schauspielhaus

Aufführungsrechte Suhrkamp Theater Verlag, Berlin Aufführungsdauer 1:40 Stunden, keine Pause Stuttgarter Premiere 16. März 2019

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Bernardas Schweigen Schicksalsschläge des Hasses und Todes von Calixto Bieito

Ich kehre wieder zurück zu Bernarda Albas Haus, einem jener Werke, die mich schon mein ganzes Leben lang begleiten. Zum ersten Mal habe ich es als Kind gelesen und ich erinnere mich an die Angst, die mich damals ergriffen hat. Ich erinnere mich an meine Alpträume vom schwarzen Brunnen und giftigem Wasser, vom Halbschatten der Haustreppen. In meinen Träumen rannte ich immer weg und dann schlug mir ein weißes, glitzerndes Licht ins Gesicht. Lorca schuf ein außergewöhnliches Werk voll von Lust, Hass und Tod. „Der Poet“, wie sich Lorca gerne selber nannte, konfrontiert uns mit dem Terror der Unterdrückung, mit dem Schmerz der Angst, dem archaischen Bildungsmangel, mit der irrationalen und rationalen Gewalt, die das Leben vieler Menschen zerstört hat und immer noch zerstört: gestern, heute und ohne Zweifel auch morgen. Man sagt, dass Lorca durch eine einfache Nachbarsfamilie zu seinem Stück inspiriert wurde. Eine Familie, deren Alltag er aus dem Fenster seines Hauses beobachten konnte. Durch dieses Fenster spionieren auch wir als Zuschauer. Wie Kinder schauen wir auf die Tragödie der Familie Alba und die Tragödie des ganzen Landes. Spanien versank in einem Meer aus Wut und Neid. Das Land befand sich damals am Rande eines Bürgerkrieges, dem viele Menschen zum Opfer fielen, unter ihnen auch Lorca selbst.

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Ich spreche über die darauf folgenden Blutbäder des 20. und 21. Jahrhunderts, über die weißen Wände der spanischen Friedhöfe, wo jeden Tag tausende Menschen erschossen wurden, über die Massengräber, die heute noch geschlossen bleiben, über den Massenmord. Wissen Sie, dass es bis heute unklar ist, wo sich das Grab von Lorca befindet? Und dass das Grab, das heute von vielen Menschen besucht wird, keine Überreste von Lorca enthält? Im Laufe der Jahre verwandelte sich Bernarda Albas Haus für mich in eine brutale und atavistische Dichtung über das Schweigen, in ein Drama über das Rätsel des Schweigens. Rätsel entsprechen für gewöhnlich nicht den Erwartungen, wenn man sie einmal gelöst hat. Und so lebe ich mit diesem merkwürdigen Gefühl, an einem Ritual des Nichts teilzunehmen, an einer absoluten Leere, die entsteht und wieder zergeht wie der Schaum der Meereswellen. So viel Schmerz und Verlangen, die sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt haben. Manchmal sieht man, wie sich die alten Geschichten in einem unendlichen Kreislauf immer aufs Neue wiederholen.

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ALPTRAUM MIT KANEPHORE von Federico García Lorca

… Aus einer schwarzen Tür mit großen Flecken abgeblätterter Farbe erscheint, in einer Wolke von grünfeuchtem Rauch, die entsetzliche, zerlumpte Gestalt mit ihren gallig gelben Augen … Im Hintergrund sieht man einen alten Innenhof … einen Hof, in dem vielleicht einst im Mondlicht die Eunuchen schliefen, einen moosgepflasterten Hof mit arabischen Schatten an den Wänden und einer großen, schaudernden, tiefen Zisterne … An seinen verrotteten Balustraden lehnen welke Geranientöpfe, und an seinen geschwärzten Säulen klammern sich schwindsüchtige Kletterpflanzen aneinander … Weiter hinten ein Misthaufen und in einer Ecke ein abscheulicher Christus im Ballettröckchen, mit Kunstblumen verziert … Dazu eine erstickende Woge von Fliegen und das drohende Summen von tausend Wespen. Am strahlend blauen Himmel das Feuer der Sonne … und von dort tauchte sie auf. Ich weiß nicht, ob meine Augen sie richtig sahen oder nicht, denn das Entsetzliche verwirrt unsere Begriffe. Die schreckliche Gestalt, die schwankend aus dem Haus trat, was ein abstoßendes Rätsel.

Leblos lag die melancholische Straße da, niemand sonst ließ sich blicken. Die monströse Gestalt rührte sich nicht von der Türe. In ihrer Haltung lag eine kalte Frage, als käme sie aus einem ägyptischen Fries. Ihr Bauch war wie von ewiger Schwangerschaft prall gewölbt, und an ihren hängenden Armen baumelten klebrige Hände von maßloser Hässlichkeit. Auf die Hüfte gestützt trug sie einen abgestoßenen Krug, und das Gesicht, das nur ein Loch als Nase hatte, umrahmten weiße, kräftige Haare. Auf ihren Wangenknochen stellte ein gelber Ausschlag sein übelriechendes Aas aus; ein schreckliches Auge ergoss seine Tränen darüber, welche die widerliche Gestalt mit ihrer Pfote wegwischte … Sie kam aus jenem Haus der entsetzlichen Laster und entlegenen Lüste. Es umgab sie eine Hülle von gemeiner Schamlosigkeit, die in ihrer Verkommenheit geschlechtslos war. Sie konnte ebenso gut ein seltsames Tier wie ein satanischer Hermaphrodit sein. Seelenloses Fleisch oder danteske Meduse, Traumbild Goyas oder Vision des heiligen Johannes, Valdés Leals Geliebte oder Jan Weenix’ Martyrium … Ihr Fleisch war grünlich und totengleich. Sie hustet mehrmals …

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man meint Schwefel zu riechen … unter der Last der bösen Geister machte sich die unheimliche Gestalt auf den Weg. Ihre Pantoffeln, in die sie nur halb hineingeschlüpft war, schlugen einen sinisteren Takt; sie trug einen Halsschmuck aus schmieriger Koralle, außerdem baumelte von ihrem Hals ein Beutel, der wohl irgendein höllisches Amulett enthielt. Aus dem Haus drang Gelächter, und unter lustvollem Händeklatschen und klagenden Ausrufen sang eine raue Stimme Obszönitäten. Das Ungeheuer bewegte sich wie eine Echse auf zwei Beinen, mit einer starren Grimasse auf dem Gesicht, man wusste nicht recht, ob vor Lachen oder vor Lebensqual … Noch einmal hustete es, wie wenn ein Hund im Keller bellt, und als es weiterging, hinterließ es einen Geruch nach Tabak und verfaultem Lavendel. Ein schreckliches Vieh mit Unterröcken und welken Brüsten … Sie ist es, die zu Hause ewig flucht und die gutmütigen Nachbarinnen erschreckt. Sie ist es, die uns alle küssen würde, wenn sie könnte, um uns mit ihrem Übel zu verpesten. Sie ist die Eunuchin eines verrot-

teten Harems. Wäre sie schön, sie wäre Lukrezia, doch in ihrer Hässlichkeit ist sie Beelzebub. Könnte sie sich einen Geliebten aussuchen, sie würde Neptun oder Attila lieben … und hätten ihre Flüche Erfolg, wäre sie wie Hatto, der wüste Bischof von Andernach … Die Frauen, Schreckgespenster aus einem Alptraum, wandern manchmal durch den Albaicín. Hexen sind sie, die mit ihren kabbalistischen Schlingen die leidenschaftlichen, dunkeläugigen Mädchen umgarnen. Sie brauen Tränke aus Vipern, Zimt und Kinderknochen, die bei Vollmond gemahlen wurden. Sie haben Röhrchen, in denen die guten und die bösen Geister stecken … und ihretwegen hängen die unwissenden, abergläubischen Mütter ihren Kindern vergoldete Hörner und geweihte Bildchen um den Hals, um sie vor dem bösen Blick zu bewahren … Doch dieser Alp … Wie kalt und unheimlich war ihre Erscheinung, als sie die sonnige, rosenduftende Straße überquerte! Hetäre, die uns den Schlaf raubt! … Mit dem Krug an der Hüfte und den Händen im Staub auf den Straßen des Albaicín …

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Das komplette Programmheft zu „Bernarda Albas Haus“ können Sie beim Besucher­­service oder in unserem Theater­shop zum Preis von 2,50 € erwerben


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