Dorf-Blitz Dezember 2013

Page 43

Dorf-Blitz

Alltag im Dorf

12/2013

43

Erinnerungen an vergangene Zeiten, als Brütten noch ein Dörfchen war

Umgebauter Schopf war Kavallerie-Unterkunft Annemarie Künzi ist in Brütten geboren und feierte kürzlich ihren 80. Geburtstag. Sie erinnert sich immer wieder in bestechender Genauigkeit an Begebenheiten aus ihrer Kindheit und Jugendzeit. Ihre Erzählungen lassen die erlebnisreiche Vergangenheit miterleben. von Sandra Lanz Sie ist eine geborene Wegmann und als Einzelkind an der Unterdorfstrasse gegenüber dem Restaurant Sonnenhof aufgewachsen. Die Mutter, eine geborene Städeli, kam aus Nürensdorf; die Verwandtschaft verteilte sich über mehrere Weiler und Dörfer in der Umgebung.

Die Kriegsjahre Eine schwierige Zeit waren die Kriegsjahre. Noch immer im Besitz der damaligen Lebensmittel-Märkli, erzählt die Brüttenerin wie das Pferd der Familie vom Staat eingezogen wurde und das Benzin für das Gefährt zum Führen der Milch nicht ausreichte. Der zum Hof gehörende Schopf wurde umgebaut und mit Fenstern versehen, damit Soldaten einziehen konnten. Deren rund 20 Pferde wurden im Stall untergebracht; die Kavallerie verbrachte mehrere Wochen in dieser Unterkunft. Im Gegenzug unterstützte das Militär die Familie bei der Ernte und beim Heuen. Das Holz zum Heizen sowie die Lebensmittel wurden kon-

Milchführen: Auf dem Milchwagen beim Abmessen. (zvg)

Spassige Kinderspiele Ab dem Bauernbetrieb mitten in Brütten wurde die Milch ausgeführt; Annemarie Künzis tatkräftige Unterstützung in der Familie war nach den Schulstunden im elterlichen Betrieb täglich gefragt. Beim Milchführen, bei der Heuernte, beim Kartoffel-Lesen oder etwa beim Ausdünnen der Zuckerrüben lernte sie viele Aspekte des Lebens kennen. Künzi erinnert sich aber auch an spassige Kinderspiele im Freien. Amüsiert denkt sie zurück an «Schiitli-Verbannis», «Dorf-Versteckis», wo Pfeile mit einem Backstein auf die Schopfwände gemalt wurden, oder beispielsweise an die Ballspiele, welche sie oft mit Verspätung nach Hause zurückkehren liessen.

tingentiert und die Selbstversorgung mit Rindern, Schweinen und Hühnern war notwendig und alltäglich. «Bei Fliegeralarm wurden Ross und Wagen – wo immer – einfach stehengelassen, die Wagenbremse angezogen und das Rad mit einem Stein gesichert, bevor man im Luftschutzkeller untertauchte», erzählt Künzi.

1953: Führerausweis Der Vater erkrankte schwer; für Annemarie Künzi wurde der Erwerb des Führerausweises mit 20 Jahren unabdingbar. Als eine der wenigen Frauen, welche in diesem jungen Alter bereits ein Auto lenken durfte, erlernte sie auch das Reparieren; 1953 eine Seltenheit. Dadurch wurde das selbständige Ausführen

der Milch ermöglicht. 300 Liter wurden täglich mit dem Chevrolet – und später mit einem Jeep – im Gebiet Brüelberg in Winterthur verteilt. Später wurde der Brüttener Bauernfamilie das Gebiet Winterthur-Töss, die Rieter- und die Dammstrasse zugeteilt. Künzi erinnert sich: «Das Milchbüchlein lag in den Briefkästen der Kundschaft und die Milch wurde mit dem Litermass in die bereitgestellten Milchkessel abgefüllt. Rahm, Butter, Joghurt und Käse bezogen wir vom Milchverband, legten die Artikel in ein mitgeführtes Holzkistchen und verteilten diese ebenfalls.»

Annemarie Künzi feierte kürzlich ihren 80. Geburtstag. (sl)

Der grosse Schnee

Der Alltag heute

Annemarie Künzi erlebt bei ihrer Rückblende den Winter 1953 nochmals mit. «Wir hatten in diesem Jahr enorm viel Schnee. Die Windverwehungen im Taarank liessen die Pferde bis zum Rumpf einsinken; wir mussten sie mit der Schaufel befreien. Zu dieser Zeit mussten die Schneemassen mit den Pferden im Vierer- oder gar Sechser-Gespann und mit dem Pfadschlitten weggeräumt werden. Ein richtiges Abenteuer.» Unvergessliche Begebenheiten erlebte sie mit Lotti Wegmann beim Milchführen: Durch eine umgestürzte Tanne versperrte Wege, das mühsame Organisieren einer Holzsäge und das anstrengende Zersägen, verbunden mit der ständigen Angst im Nacken, dass ein weiterer Baum unter der enormen Schneemasse knicken könnte.

Heute geniesst Annemarie Künzi die in ihrer Wohngemeinde bestehenden Angebote für Senioren. Sie besucht regelmässig den Mittagstisch und freut sich über die Kontaktpflege mit langjährigen Freunden und Bekannten. Oft ist sie mit ihrem Elektro-Roller im Dorf anzutreffen, so etwa auf ihrem Weg zum Einkauf oder bei einer Ausfahrt um bewirtschaftete Felder und Äcker. Die Seniorin schätzt die freundliche Unterstützung durch das Personal beim Einkaufen im Dorfladen, denn ohne diese Hilfe wäre ihre Selbständigkeit stark einschränkt. Gerne sitzt sie auch auf «Karis Bänkchen», wenn die Sonne scheint, und lässt ihre Gedanken in ◾ verflossene Zeiten schweifen.

Familienverbund Die heute 80-Jährige besuchte 1956 die Bäuerinnenschule in Wülflingen und heiratete 1965 ihren Karl. Anfänglich lebten die Jungvermählten mit Eltern und Tante unter einem Dach. 1974 erbauten sie im Gebiet Buchsächer einen neuen Landwirtschaftsbetrieb. Ein knappes Jahr später zogen sie mit ihren mittlerweile vier Kindern und den Kühen um. Der Betrieb wurde vergrössert und konnte 1998 an Sohn Ueli in Pacht übertragen werden. 2009 verstarb Künzis Ehemann Karl, was einige Umstellungen in ihr Leben brachte.

1953 auf der Brühlstrasse im grossen Schnee. (zvg)


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Dorf-Blitz Dezember 2013 by dorfblitz - Issuu