Refugees' Library- Magomed, Dagestan (deutsch)

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Mai 2017 12:00 Uhr VG 33 K .. A... Öffentliche Sitzung Magomed D. Rechtsanwaltinnen L. K. Richterin am Verwaltungsgericht T. F. als Einzelrichterin Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesministerium des Innern, dieses vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge -Außenstelle BerlinAsylrecht - Hauptsacheverfahren



Im Gerichtssaal: Anwalt: Es gibt neue Atteste. (Übergibt der Richterin Papiere) Richterin (schaut die Papiere durch): Davon wusste ich noch nichts. Richterin (diktiert): Zu der mündlichen Verhandlung erscheinen: der Kläger in Person, Rechtsanwalt T.D, Frau B. als Dolmetscherin aus der russischen Sprache. Für die Beklagtenseite erscheint niemand. Richterin: Klappt die Verständigung zwischen Ihnen? Kläger: Ja. Richterin (schaut weiter die Atteste durch): Sieht sehr medizinisch aus. Es sind die Ergebnisse einer Blutuntersuchung, kann das sein? Sie leiden unter Hepatitis A und B?



Kläger: Ja. Richterin: Vor mir liegen die Streitakte, die Asylakte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und die Ausländerakte der Ausländerbehörde in Berlin. Herr K., Sie sind im Jahr 2013 durch Polen nach Deutschland eingereist und haben einen Asylantrag gestellt. Der Antrag wurde im Jahr 2016 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Richterin: Erzählen Sie mir von Ihrem Alltag in Russland. Wie haben Sie gelebt, was haben Sie gearbeitet? Kläger: Ich bin Maler vom Beruf. Wissen Sie, in Inguschetien schient das Leben ruhig zu sein, aber es ist nicht so, es gibt oft Anschläge. Und oft verschwinden die Leute spurlos. So wie mein Bruder. Er wurde umgebracht. Richterin: Wo haben Sie gelebt? Kläger: In der Stadt K. Richterin: Haben Sie in einer Wohnung gelebt oder in einem Privathaus? Kläger: Im Haus, mit meinem Vater. Mein Bruder und seine Familie lebten uns gegenüber. Richterin: Und Ihre Mutter? Kläger: Sie lebte auch mit uns.



Richterin: Wie hieß ihr Bruder? Kläger: Mansur. Richterin: Wann wurde Ihr Bruder umgebracht? Kläger: Im November. Er und der Bruder der Frau meines Bruders. Richterin: Moment. Sie sprechen jetzt von ihrem Bruder Mansur. Und der Bruder von der Frau Ihres Bruders... Dolmetscherin: Schwager, nehme ich an. Richterin: Wie hieß er? Kläger: Alichan. Er war ein Kämpfer. Aber mein Bruder war keiner, er war unschuldig. Er hat Alichan ins Haus gelassen als Verwandten. Aber das darf man bei uns nicht. Richterin (diktiert): Bei uns gilt es als Verbrechen wenn man einen Rebellen ins Haus lässt. Kläger: Sie haben ihnen gesagt sie sollen sich ergeben. Aber sie haben es nicht getan. Richterin: Wer „sie“? Kläger: Polizei und FSB. Die Frau meines Bruders hat überlebt. Sie haben ge-



hört, dass eine Frau schreit und haben sie gehen lassen. Danach gab es einen Schusswechsel. So sind die beiden umgekommen. Richterin: Waren Sie dabei? Kläger: Ich kam von der Arbeit als es schon passiert war. Ich wurde dann auch verhört, ich wurde geschlagen und gefoltert. Sie haben mein Haus durchsucht. Richterin: Wissen Sie was Sie bei Ihnen gesucht haben? Kläger: Waffen, Munition... Sie haben mich geschlagen. Sie haben gefragt, was die beiden gemacht haben, wo sie das Waffenlager haben. Ich hatte keine Ahnung davon. Sie haben mich auf den Kopf geschlagen. Ich habe eine Narbe (zeigt wo). Sie haben mir drei Zähne rausgeschlagen. Richterin: Wer hat Sie geschlagen? Kläger: Die Leute vom FSB. Richterin: Wo war das? Kläger: In meinem Haus. Dann haben sie mich auf die Dienststelle mitgenommen. Dort haben sie mich gefoltert. Sie haben an die Zehen und Finger Strom angeschlossen. Richterin: Wie lange haben sie Sie dort gehalten?



Kläger: Vier Stunden. Mein Onkel hat mich freigekauft, er hat 30.000 Rubel bezahlt. Richterin: Konnten Sie ihnen sagen, wo Waffen versteckt wurden? Kläger: Nein. Ich hatte keine Ahnung. Richterin: Hat denn Alichan Ihnen gesagt, wofür oder wogegen er gekämpft hat? Kläger: Für die Freiheit des Kaukasus. Mehr sagte er nicht. Ich kannte ihn auch nur als Verwandten. Richterin: War Ihr Schwager religiös? Kläger: Ja. Richterin: Was passierte nachdem Sie freigekauft wurden? Kläger: Sie sagten, ich bekomme eine Vorladung und darf die Stadt nicht mehr verlassen. Richterin: Sind Sie nochmal geladen worden? Kläger: Ja. Sie haben mich geschlagen und haben mich bedroht. Sie sagten mir, wenn ich nicht spreche, dichten sie mir einen Terroranschlag an. Mein Vater hat mich freigekauft. Richterin: Was passierte anschließend?



Kläger: Als die dritte Vorladung kam, bin ich nicht hingegangen. Ich habe mich in den Bergen bei meiner Tante versteckt. Ich blieb dort bis 2013. Richterin: Warum sind Sie ausgereist? Kläger: Weil ich Angst hatte, dass sie mich umbringen oder einen fremden Terroranschlag andichten. Das bedeutet dann 25 Jahre Haft. Richterin: Als Sie sich in den Bergen versteckt haben, wurden Sie gesucht? Kläger: Ja. Mein Vater hat mir am Telefon davon erzählt. Er hat angedeutet, ich möge nicht zu Besuch kommen. Richterin: In der Anhörung haben Sie gesagt, dass Sie bei Ihren Eltern gelebt haben. Jetzt sagen Sie, Sie waren in den Bergen. Kläger: Da war ich auf der Flucht. Aber sonst habe ich bei meinen Eltern gelebt. Richterin: Sie haben bei der Anhörung auch nichts über das Foltern mit Strom gesagt. Sie haben nur erzählt, dass Ihnen drei Zähne ausgeschlagen wurden. Kläger: Ich hatte Angst ohne Anwalt zu sprechen. Richterin: Wovor hatten Sie Angst? Kläger: Ich hatte Angst, dass ich zurückgeschickt werde.



Richterin: Ihr Vater, lebt er noch in seinem Haus? Kläger: Ja. Richterin: Wieso glauben Sie, dass Ihr Vater, Onkel, Frau Ihres Bruders in Ruhe gelassen werden und Sie nicht? Kläger: Mein Vater ist alt, sie brauchen ihn nicht. Und die Frau meines Bruders wurde auch bedroht. Vielleicht haben sie sie auch geschlagen, dass weiß ich nicht. Richterin: Ihre Anwältin hat geschrieben, dass Ihre Familie in den wahhabitischen Terrorismus verstrickt ist. Kläger: Das haben sie uns ja angedichtet! Anwältin: Das bezog sich auf den Vorfall mit dem Bruder. Richterin: Erzählen Sie, was machen Sie in Berlin? Sie haben eine Arbeitsgenehmigung bei der Ausländerbehörde beantragt. Sie wollten bei einer Wachschutzfirma arbeiten. Kläger: Ich arbeite nicht. Ich mache einen Deutschkurs. Die Ausländerbehörde hat sehr lange gebraucht, bis sie mir die Arbeitsgenehmigung ausgestellt hat. Die Arbeitsstelle war dann nicht mehr frei. Richterin: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Kläger: Nicht gut. Ich habe Depressionen. Meine Leber tut mir weh.


Richterin: Nehmen Sie Medikamente? Kläger: Ja, gegen Depressionen. Richterin: Was glauben Sie, was passieren würde, wenn Sie nach Russland zurückkehren? Kläger: Sie dichten mir einen Terroranschlag an oder sie lassen mich spurlos verschwinden. Richterin: Ich habe keine Fragen mehr. Die Mündliche Verhandlung wird um 12.13 Uhr geschlossen.

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