The Red Bulletin INNOVATOR CD 22/01

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INNOVATOR BY THE RED BULLETIN 01/2022

Ideas for a better future

01 2022 AUSGABE SCHWEIZ

IDEAS FOR A BETTER FUTURE

Die Revolution der Arbeit, die Macht des Minimalismus. Amorana-Mastermind Alan Frei und 25 weitere Menschen mit guten Nachrichten aus der Zukunft.

Life

3.80 CHF

Smart

Issue


Aus Ideen entsteht Zukunft. Der rein elektrische Audi RS e-tron GT.

Future is an attitude

Audi RS e-tron GT, 598 PS, 24,2 kWh/100 km, 0 g CO₂/km, Kat. A


EDITORIAL

I N N O V AT O R

DAS SMARTE LEBEN CONTRIBUTORS

Mario Fuchs Der Schweizer Journalist Mario Fuchs, 33, hat die Visionär:innen der Aarauer Kreativagentur Büro a+o zum Interview ge­troffen. Die Angestellten arbeiten dort an vier statt fünf Tagen die Woche – und das bei vollem Lohn. Mit ­unserem Autor sprachen sie über schnel­lere Entscheidungen und ge­steigerte Lebensqualität. AB SEITE 4 0

ALEKSANDAR SAVIĆ (COVER)

Gian Paul Lozza Der Schweizer Fotograf hat für uns Mastermind, Minimalist und Amorana-Co-Gründer Alan Frei fotografiert. Der Zürcher Unter­ nehmer besitzt gerade einmal 80 Dinge, die er beim Fotoshooting für den Innovator in Zürich alle dabeihatte. Die ganze Geschichte liest du in dieser Ausgabe AB SEITE 2 2 .

INNOVATOR

Der Zürcher Unternehmer Alan Frei, 40, hat sich dazu entschieden, sein Leben zu optimieren.­ Der Co-Gründer von Amorana hat alles los­ gelassen, was er nicht braucht. Das Resultat: ­Erfolg im Geschäftsleben und die Reduktion seiner Besitztümer auf 80 Dinge. Wieso er heute im Hotel lebt und nie einen Anruf entgegen­ nimmt, erzählt der effiziente Mann ab Seite 22. Effizient sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweizer Kreativagentur Büro a+o: Gearbeitet wird dort von Montag bis Donnerstag, bei vollem Gehalt. Überstunden gibt es selten bis gar nie. Bei einem Besuch erzählen sie uns ab Seite 40, wie die 4‑Tage-Woche funktioniert. Wie der Alltag in den eigenen vier Wänden optimiert werden kann, zeigt unsere «Home, Smart Home»-Strecke ab Seite 46. Von gesunden selbständigen Pflanzen über kunst­ affine Fernseher bis zu wassersparenden Duschbrausen ist für alle Lieb­haber des optimierten Wohnens etwas dabei. Viel Vergnügen mit diesem Heft!

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INHALT BULLEVARD

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Walk the Wine Laure Babin entwirft coole Sneakers – mit Abfällen aus der Weinproduktion.

Abschalten! Der elektrische Camper Stella Vita versorgt sich im Urlaub komplett selbst.

So ein Mist Der smarte Müllschlucker Lasso trennt Abfall – und macht daraus Recyclingmaterial.

Senkrechtes Start-up Bereits in drei Jahren sollen uns elektrische Flugtaxis durch die Gegend chauffieren.

Global Green Der Oberösterreicher Daniel Kallinger hat einen Zaubertrank für Pflanzen entwickelt.

Luftnummer Drei Norweger haben das (Wind-)Rad neu erfunden. Eine Energie-Revolution!

Edle Sache Der Schweizer Schmuck­ hersteller «mood» verwandelt Schutzmasken in Diamanten.

INNOVATOR


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SMART LIFE SPECIAL

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SMARTES LEBEN

Weniger ist mehr

Amorana-Co-Gründer und Minimalist Alan Frei über die Kunst des reduzierten Lebens

New Work Fixe Arbeitszeiten, ade! Wieso immer mehr Unternehmen mit Traditionen brechen (müssen)

Bester Boss In der Agentur von Andreas Ott arbeiten die Angestellten nur vier Tage in der Woche.

Home, Smart Home Smarte Gadgets, mit denen Sie Ihrem Zuhause einen Touch Innovation verleihen können

Ideen für die Zukunft Sechs Schweizer Start-ups und wie sie unseren Alltag ­lebenswerter machen

Eine Frage der Technik Die Stanford-Professorin Tina Seelig bringt Ihnen bei, wie Sie auf bessere Ideen kommen.

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E VENTS

Save the Date! Patricia Zupan-Eugster im Talk. Plus: Tipps der Redaktion KOMMENTARE KOMMENTIERT

Polarisierung ist gut CEO Martin Henne kontert die Kritik an seinem XBUS. M Y FAVO U RITES

Lass dich inspirieren Worauf Gründerin Nina Julie Lepique im Alltag vertraut BIOHACKIN G G AD GE T

Schwing dich frei Experte Andreas Breitfeld stellt uns die Echobell vor. KOLU MNE

Einfach cool bleiben Motivator Ali Mahlodji über die Kunst der Gelassenheit COMIC

Bitte lächeln! Zeichner Nicolas Mahler gibt Einblick ins Homeoffice.

Design Thinking IDEO ist eines der originellsten Unternehmen der Welt. Wie machen die das bloss?

Das Unicorn Ein Besuch bei den Gründern des österreichischen ErfolgsStart-ups Bitpanda

GIAN PAUL LOZZA

Amorana-Co-Gründer Alan Frei besitzt nur 80 Dinge. Wieso, erzählt er uns im Interview.

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Ich bin so Frei

GUIDE

INNOVATOR

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neon metal: Das Konto für deinen einzigartigen Lifestyle.

Fe

22g

Minimalistisches Design trifft auf 22g Metall: Die erste volle Metallkarte der Schweiz.

neon-free.ch/metal


BULLEVARD

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GETTY IMAGES

für eine bessere Welt

INNOVATOR

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B U L L E VA R D

Die Idee für Zèta kam Laure, die am IAE Bordeaux Ma­nage­ ment studierte, aber schon immer ein Faible für Mode hatte, während ihrer Masterarbeit. «Mir wurde klar, dass ich ein Projekt starten will, was mich repräsentiert. Gleichzeitig wurden mir viele ­Probleme in der Modewelt ­bewusst, speziell was umweltund sozialpolitische Themen angeht. Ich stand also vor der Frage: Wie kann ich diese Her­ ausforderungen aufgreifen, auseinandernehmen und ­besser zusammensetzen?» MUTIGER SCHRITT

Laure Babin, 24, geht mit der Zeit: Unter ihrem Label Zèta produziert und vertreibt die junge Französin vegane Sneakers, deren Basismaterial aus recycelten Rückständen der Weinproduktion gewonnen wird.

Würde man Laure Babins Sneakers als «trashig» bezeichnen, könnte es einem die französische D ­ esignerin wohl nicht übel nehmen. Denn die 24-Jährige macht tatsächlich Müll zu Mode. ­Genauer gesagt nutzt sie Abfälle aus der Weinproduktion, recyceltes Plastik und Kork und ver­wandelt all das in vegane «Lederschuhe». Dadurch schenkt sie Tonnen von Weintrester – so nennt man die Rückstände aus der ­Weintraubenpressung im Fach­jargon – und anderen Mate­rialien, die eigentlich schon am Ende ihres herkömmlichen Verwendungszyklus angekommen sind, eine zweite Bestimmung. 8

JAKOB HÜBNER

WALK THE WINE

Laure beantwortete diese Frage ebenso kreativ wie pragmatisch. Zumal sie die Mecha­ nismen des Managements gründlich erforscht hatte, ­erkannte sie: Der stärkste Verbündete des Idealismus ist der Realismus. Wer die Warenwelt nachhaltig positiv beeinflussen will, sollte nicht auf einen biozertifizierten Linkshänder-Trüffelhobel setzen, sondern die Masse ansprechen. Denn wirklich tief wird der ökologische Fussabdruck auf dem Trampelpfad. Von dieser Erkenntnis war es nur noch ein kleiner Schritt zu Sneakers. «Sneakers sind die meistverkauften Schuhe der Welt. Jeder, egal in welchem Alter, hat ein Paar zu Hause. Es handelt sich also um ein

Produkt, mit dem man wirklich global Einfluss nehmen kann.» Im September 2020 startete Laure eine Crowd­ funding-Kampagne, und die Hürde von 100 Schuhen war innerhalb weniger Stunden geschafft. Kurze Zeit ­später standen bereits 500 Paare im Vorverkauf; mittlerweile ist Geduld gefragt, wenn man ein Paar dieser handgefertigten Trendtreter ergattern will. Mit einem Verkaufspreis von ca. 135 Franken sind die Teile zwar kein Schnäppchen, liegen angesichts des Markenkults bei Sneakers aber auch in dieser Hinsicht im grünen Bereich. Die genaue Recycling-Rezeptur für das «vegane Leder» der Zèta-Sneakers ist natürlich streng geheim. Aber allein das Wissen, dass es sich dabei um Reststoffe aus der Wein­herstellung – pro Paar werden rund drei Kilo Abfall wiederverwertet – handelt, macht diese Schuhe nicht nur sehr sympathisch, sondern ­irgendwie auch erlesen. zeta-shoes.com

Manufaktur: Die Zèta-Sneakers werden von einem Familienunternehmen in Portugal hergestellt.

ZÈTA

N A C H H A LT I G E M O D E

MIR WURDE KLAR, DASS ICH EIN PROJEKT STARTEN WILL, DAS MICH REPRÄSENTIERT.

INNOVATOR


I N N O V AT O R

Da hat eine gut lachen: Um die Nachfrage nach ihren Trendtretern zu befriedigen, hat Laure Babin alle Hände voll zu tun.

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B U L L E VA R D

MIT «STELLA VITA» LÄSST SICH IM URLAUB SO RICHTIG ENERGIE TANKEN. Um die leere Batterie voll aufzuladen, benötigt das innovative Wohnmobil zwei bis drei Sonnentage.

M O B I L I TÄT

PERPETUUM WOHNMOBILE Der Sonne entgegen: Ein Studententeam aus den Niederlanden hat einen Camper entwickelt, der zur Gänze ohne externe Energieversorgung auskommt.

Die zentralen technischen Probleme, die herkömmliche E‑Autos nun endlich in den Griff bekommen zu haben scheinen, wiegen bei E-Wohnmobilen dop­ pelt schwer: relativ hoher Strom­ verbrauch, weil relativ hohes Ge­ wicht, und daher relativ geringe Reichweite. Gerade für Urlaubs­ reisen ein ziemliches Totschlag­ argument, zumal in abgelegene­ ren Gegenden bekanntlich nicht an jeder Waldlichtung eine Lade­ station blinkt. Kurz: Ein aus­ gedehnter Camping-Urlaub und ein ruhiges CO²-Gewissen waren bisher nicht wirklich vereinbar.

sich zur Gänze selbst mit Energie versorgt. Denn auf dem Dach thront eine Solaranlage, die so­ wohl das Auto wie auch sämt­ liche elektrische Geräte im Wohn­ bereich mit Strom beliefert. Zugegeben, die Idee, eine ­Solaranlage aufs Dach eines Fahr­ zeugs zu klatschen, ist nicht neu. Was aber neu ist: Das Dach von «Stella Vita» kann über einen aus­ geklügelten Mechanismus aus­ geklappt werden, was einerseits den Wohnraum beim Parkieren um eine solarzellenpaneel­ bestückte Markise vergrössert und andererseits die Solarfläche auf immerhin 17,5 Quadratmeter verdoppelt. So kann beim Parkie­ ren eine recht beachtliche Menge

Wo Sonne ist, da ist auch Schatten: Im Stand werden bei hochgestelltem Dach die Seitenflügel ausgefahren. Das verdoppelt die Fläche der Solarpaneele auf stolze 17,5 Quadratmeter und dient gleichzeitig als praktische Sonnenstore.

Dank extremer Leichtbau­ weise und ebensolcher Aero­ dynamik schafft die Wohn­ flunder an sonnigen Tagen­ bis zu 700 Kilometer und eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h.

SONNENSEGEL

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BART VAN OVERBEEKE

ALEX LISETZ

Das könnte sich aber erstaunlich bald ändern. «Stella Vita» ist der Name eines revolutionär ­kon­zipierten Wohnmobils, das ein Team aus 22 Studentinnen und Studenten der Technischen ­Universität in Eindhoven in den Niederlanden von August 2020 bis September 2021 entwickelt hat. Dieser Lebensstern ist das weltweit erste Wohnmobil, das INNOVATOR


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Strom erzeugt werden. Dank ­seiner ­konsequenten Leichtbauweise, der aerodynamischen Form und effizienter Energie-Managementsysteme geht das «Stella Vita»-Mobil zudem extrem sparsam mit der Energie um, die es zuvor der Sonne abgerungen hat. JUNGFERNFAHRT

Alles an Bord: Trotz vergleichsweise kompakter Masse bietet «Stella Vita» Küche, Bett, Sofa, Dusche und Toilette.

INNOVATOR

Je nach Wetter und Fahrstil schafft das vollgetankte Mobil bis zu 700 Kilometer, und wenn an sonnigen Plätzen gerastet wird, lässt sich der Ladestand der Batte­ rie zwischendurch immer wieder nachbessern. So reichte es bei «Stella Vitas» Jungfernfahrt von den Niederlanden bis ins südliche Spanien immerhin für eine rund 2000 Kilometer weite Reise. Die leere Batterie voll auf­ zuladen erfordert zwei bis drei Schönwettertage, aber im Urlaub hat man ja zwischendurch auch Zeit fürs Nichtstun. 11


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R ECYC L I N G

SAMMLERSTÜCK Ein revolutionärer Haushalts­ roboter erzeugt aus Plastik, Glas und Metall sortenreine Abfallprodukte, die voll­ ständig wieder­verwertet werden können.

– automatisch. Der Roboter erledigt nicht nur die Mülltrennung, sondern kümmert sich auch um die Säuberung und Zerkleinerung aller zu­ geführten Teile. Selbst stark verschmutztes Leergut ist kein Problem, und smarte Sensoren erkennen sofort, wenn einmal irrtümlich etwas eingeräumt wird, was sich nicht recyceln lässt – Warnmeldung folgt. Am Ende erhält man sortenreines Abfallmaterial, das dicht komprimiert im unteren Teil des Geräts gelagert wird, bis der Abholdienst kommt. KREISL AUF WIRTSCHAF T

In einer späteren Version sollen auch Altpapier oder

Biomüll wiederverwertet werden können. Und irgendwann, wenn alles nach Plan läuft, werden Lasso-Kunden ihre Abfallprodukte sogar selbst weiterverkaufen können – was dem Ziel einer echten Kreislaufwirtschaft schon sehr nahe kommt. Das ambitionierte Projekt soll rund um die Jahreswende 2022/23 zunächst in der Bay Area um San Francisco ausgerollt werden – wohl auch, weil dort Umweltbewusstsein und Einkommen überdurchschnittlich hoch sind. Denn die ersten Lasso-Modelle werden zwischen 3500 und 4500 Dollar kosten. lassoloop.com

Die Statistik ist desaströs: 91 Prozent des weltweit verbrauchten Plastiks werden nicht wiederverwertet. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 in den Ozeanen mehr Plastikreste schwimmen werden als Fische. Saubere Lösungen müssen her, und zwar schnell. Wie die globale Recyclingquote für Hausmüll in die Höhe geschraubt werden könnte, macht derzeit ein Start-up in den USA vor. Das Team von Lasso steht kurz vor der Fertigstellung eines Recyclingroboters, der schon bald seinen Fixplatz in jeder Küche bekommen soll.

Ähnlich wie bei einem Ge­ schirrspüler werden benutzte Plastikbehälter, Aludosen oder Glasflaschen einfach in die obere Lade des Geräts eingeschlichtet. Der Rest geschieht – wie von Zauberhand 12

GÜNTHER KRALICEK

TRENNSCHÄRFE

Einer für alles: Der Lasso-­ Roboter verarbeitet Hausmüll zu komprimiertem und sorten­ reinem Recyclingmaterial. INNOVATOR



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Glaubt man den ­Pro­gnosen, werden ­elektrisch betriebene Flugtaxis schon bald so normal sein wie einst ein Mercedes Diesel. Der Apeleon X wird in Mödling bei Wien ent­ wickelt, der erste Prototyp des «Planecopter» soll 2023 abheben.

M O B I L I TÄT

SENKRECHTSTART- UP

GRÜNDER UND CEO DER VOLARE GMBH

Mit seinem 15-köpfigen Team arbeitet der passionierte Pilot an Mobilitätskonzepten für die Zukunft.

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Der Apeleon X ist ein «Planecopter», also ein Hybrid aus Flugzeug und Hubschrau­ ber. Zwei Flügel sorgen für Stabilität während der Luft­ fahrt, 16 Rotoren ermöglichen dem Apeleon, senkrecht zu starten und zu landen – mehr oder weniger auf jedem Gara­ genvorplatz mit entsprechen­

der Genehmigung. Angepeilt wird eine Reichweite von 100 bis 150 Kilometern, was auch schon klar macht, welchen Einsatzbereich Fürlinger für sein Fluggerät im Sinn hat: Es soll als Flugtaxi Gegenden mit magerer Infrastruktur verbinden mit Ballungsräu­ men oder Verkehrsknoten­ INNOVATOR

APELEON, VOLARE GMBH

Andreas Fürlinger

Egal wie die Geschichte ausgehen mag: Andreas Fürlinger lebt seinen Traum. Als Kind begeisterten ihn Modellflugzeuge, er studier­ te Maschinenbau an der Technischen Universität Wien, arbeitete bei Airbus am A380 mit, ist Inhaber eines Pilotenscheins und war Teil jenes Teams, das mit der «Solar Impulse» Geschichte schrieb. Zur Erinnerung: Die «Solar Impulse» war das erste Flugzeug, das 2015/16 allein mit der Kraft der Sonne eine Weltumrundung schaffte. 2017 gründete Fürlinger die ­VOLARE GmbH und startete sein Projekt: die Entwicklung eines elektrisch betriebenen Flugtaxis, des Apeleon X.

ALEX LISETZ

Können Taxis fliegen? Wenn es nach einem jungen Unternehmen aus der Umgebung Wiens geht: ja. Und zwar schon erstaunlich bald.


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punkten. Schnell, wendig und kostengünstig. Und zwar absolut kostengünstig, nicht nur relativ – denn Fürlinger kalkuliert mit Preisen, die jenen von erdgebundenen Taxis entsprechen. Auf häufig genutzten Strecken können auch Shuttle-Verbindungen angedacht werden, das Platzangebot in einem Apeleon X gleicht dem eines herkömm­ lichen Pkw. LUF T NACH OBEN

«WIR GESTALTEN EINE NEUE GENERATION DES PENDELNS.» Der Apeleon X soll vor allem im Umland von Ballungsräumen zum Einsatz kommen.

Fürlinger mag mit seinem 15-köpfigen Team aus dem 20.500-Einwohner-Städtchen Mödling, südlich von Wien, keiner der grossen Player unter den Produzenten von Kleinstfluggeräten sein, angesichts der unglaublichen Dynamik dieses boomenden Marktes werden sich aber auch Nischen auftun. Mit Lilium und EHang notieren ein deutscher und ein chinesischer Anbieter bereits an der Börse, mit Volocopter und Vertical Aerospace liebäugeln zwei weitere mit einem Börsengang. Sollten sich aktuelle Pro­ gnosen auch nur halbwegs bewahrheiten, wird die Branche mächtig abheben: Der Markt für Flugtaxis soll ab 2025 – nach entsprechenden regulatorischen Weichen­ stellungen – zu wachsen beginnen, irgendwann zwischen 2030 und 2035 könnte ein Teil ­unseres Alltagsverkehrs in der dritten Dimension stattfinden. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) ist jedenfalls schon eifrig am Basteln entsprechender Rahmenbedingungen. Der Zeitplan von Apeleon X verspricht eine präzise Punktlandung: Ein erster Proto­typ soll schon im kommenden Jahr über Mödling zu sehen sein, für erste kommerzielle Flüge möchte ­Andreas Fürlinger ab 2026 ready for take-off sein. apeleon.com

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GARTEN - RE VOLUZ ZER

DEM MUTIGEN GEHÖRT DIE WELT

Eines Tages stand Kallinger dann vor einem Kübel, gefüllt mit einer nicht gerade wohl­ riechenden Brühe, und war kurz davor, das Zeug einfach 16

Je kleiner die Minerale, desto grösser die Oberfläche der einzelnen Körner. Diese Mikro­ teilchen können nährende Stoffwechselprodukte besser an sich binden und leichter ins Innere der Pflanze vor­ dringen. Über die Blattober­ fläche gelangen sie durch die Zellwände bis ins Zellplasma.

Flaschennahrung: Für Hobbygärtner gibt’s den «Global Green»Dünger in der handlichen 1-Liter-Sprühflasche. Für die professionelle Anwendung darf es aber auch ein bisschen mehr sein.

Was sich in der Petrischale da so alles tummelt, ist natürlich streng geheim – aber Gift ist keines dabei.

GÜNTHER KRALICEK

Die Zeichen standen auf Widerstand, als Daniel Kallinger, 35, vor fünf Jah­ ren damit begann, an einem Düngemittel für seine Garten­ pflanzen zu tüfteln. Dem Österreicher schwebte ein biologisch nachhaltiges Ge­ misch aus Mineralien und Mikroorganismen vor. Fach­ leute, die er zu Rate gezogen hatte, belächelten den Auto­ didakten jedoch nur milde. So, wie er es angehe, könne das niemals funktionieren.

wegzuschütten. Er atmete einmal tief durch und ent­ schied sich dafür weiterzu­ machen. Die Sache ging auf. Und wie. Bis zu 30 Prozent mehr Wachstum und Ertrag ver­ spricht «Global Green», das wundersame Pflanzennah­ rungsmittel, das Kallinger da zusammengebraut hat. Das Geheimnis liegt nicht nur in der Kombination von Mine­ ralien und Mikroorganismen, sondern in deren innovativem Zusammenspiel. Entscheidend­ dabei ist ein spezielles Mahl­ verfahren, bei dem die Mine­ ralien zu extrem feinem Staub zerkleinert werden.

FLORIAN VOGGENEDER

Ein Autodidakt aus Mondsee, Österreich, liess sich vom milden Lächeln der Experten nicht beirren und entwickelte ein Düngemittel, das seine ehemaligen Kritiker mittlerweile staunen lässt.

INNOVATOR


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DER ZAUBERTRANK AUS MONDSEE ­V ERSPRICHT BIS ZU 30 PROZENT MEHR WACHSTUM. Möglich macht’s ein innovatives Zusammenspiel von Mineralien und Mikroorganismen.

FÜR BOBOS & BAUERN

Ob Gemüsebeet oder Wein­ garten, Weideland oder Hanf­ plantage, Fussballrasen oder Ackerbau – für jede Anwen­ dung gibt es die richtige Mi­ schung. Der botanische Zau­ bertrank ist in der handlichen Literflasche für Hobbygärtner ebenso erhältlich wie in deut­ lich grösseren Gebinden für die Landwirtschaft. Und das Schönste: Diese Düngemittel kommen komplett ohne Gifte und Schadstoffe aus. Der Boden wird geschont, Nutz­ insekten und andere Tiere dürfen aufatmen. G U T F Ü R S S A AT G U T

Daniel Kallinger, 35, Autodidakt: Die Idee zu «Global Green» ist auf seinem Mist gewachsen.

INNOVATOR

Daniel Kallinger und sein Team forschen am Standort in Mondsee unermüdlich wei­ ter. Die F&E-Abteilung unter der Leitung von CTO Dr. Lukas Kramberger-Kaplan arbeitet derzeit an einer Methode, Saatgut vorab mit einer spe­ ziellen Kultur von Stickstoff­ bakterien zu «beizen». Diese Bakterien sind in der Lage, atmosphärischen Stickstoff in Ammonium umzuwandeln, das die Pflanze zum Wachsen braucht. Der Stickstoffbedarf aus konventionellen Dünge­ mitteln lässt sich auf diese Weise deutlich reduzieren. Dies bringt auch eine signi­ fikante Reduktion von CO²Emissionen mit sich, weil die Herstellung von stickstoff­ haltigem Kunstdünger be­ sonders energieintensiv ist. 17


B U L L E VA R D ENERGIE

FANG DEN WIND

Das Rad kann man nicht neu erfinden – das Windrad schon. Ein innovatives Offshore-Konzept aus Norwegen führt die Wind­­ energiegewinnung in eine neue Dimension. Wind ist ja eigentlich ein perfekter Rohstoff für die Energieproduktion: Er ist ­kostenlos, wird immer wieder­ frisch angeliefert, und bei ­seiner Verarbeitung zu elek­ trischem Strom wird die ­Umwelt nicht verschmutzt. So weit auf dem Papier. In der Realität sieht die Sache frei­ lich differenzierter aus. Denn neben der optischen Umwelt­ verschmutzung durch hori­ zontfüllende Propellerland­ schaften ist auch die akus­ tische Belastung – Stichwort Infraschall – ein hochsensib­les Thema. Dazu kommt die sim­ ple Logik, dass Wind­energie nur dann ­gewonnen werden kann, wenn tatsächlich Wind weht. Da Windenergie auch nicht die kostengünstigste Art ist, Strom zu erzeugen, gibt sie unterm Strich also eher ­eine «Ja, aber …»-Antwort auf die grossen Energiefragen der Zukunft.

Damit wollten sich Asbjørn Nes, Arthur Kordt und Ole Heggheim nicht zufrieden­ geben. Die drei Norweger be­ gannen 2017, Windenergie ganz neu zu denken: effizien­ ter, beständiger und kosten­ günstiger als alles, was es bis dahin gab. Das Ergebnis ist der «Wind Catcher». Dabei handelt es sich um eine Offshore-Windkraft­ anlage, bestehend aus rund 100 kleinen Windrädern, die 18

Um mehr als 70 Meter über­ ragen die grössten Kreuz­ fahrtschiffe die Wasser­ oberfläche.

324 Meter hoch: der Eiffelturm, eines der Wahr­ zeichen von Paris

INNOVATOR

WINDCATCHING.COM

GRÖSSERE AUSBEUTE


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EFFIZIENTER, BESTÄNDIGER UND KOSTENGÜNSTIGER ALS ALLES, WAS ES BISHER GAB.

in einem gut 300 Meter hohen Gerüst angeordnet sind. Die Innovation liegt in der Kom­ paktheit der einzelnen Tur­ binen – die Rotorblätter sind gerade mal 15 Meter lang – und deren Anordnung. Her­ kömmliche Windräder können Windgeschwindig­keiten bis 11 m/s in Strom umwandeln, der «Wind Catcher» hält bis 17 m/s mit. Was nach einem Plus von knapp 50 Prozent klingt, ist tatsächlich e­ ine ­Vertausendfachung der er­ zeugten Strommenge, weil die Ausbeute exponenziell­ steigt. Ein weiteres Plus bringt die schlaue Anordnung der Rotoren: Sie verwirbeln die Luft und erzeugen damit ­zusätzlichen Wind, den der Nachbarrotor wiederum als Energiequelle nützen kann.

Anstelle eines grossen Rotors setzt der «Wind Catcher» auf einen Cluster mit über 100 kleinen Windrädern.

G E R I N G E R E KO S T E N

ALEX LISETZ

Das Standardmodell des «Wind Catcher» ist 324 Meter hoch und soll in der Lage sein, eine Stadt mit 250.000 Einwohnern mit Strom zu versorgen. Geplante Inbetriebnahme des ersten Prototyps ist bereits 2022.

INNOVATOR

93 Meter hoch: die Freiheits­ statue vor New York

Kenner der Materie werden nun sagen: Offshore? Okay. Gute Idee, weil es dort per­ manent relativ viel Wind gibt und sich keine Anwohner gestört fühlen. Aber sie wer­ den auch den Kopf schütteln und sagen: Offshore be­deu­ tet unheimliche Kosten bei ­Errichtung und Erhaltung. Valider Punkt, aber nicht in diesem Fall: Denn der «Wind Catcher» lässt sich dank sei­ ner kompakten Konstruktion vergleichsweise einfach aufs Meer transportieren und dort verankern. Und wenn im Be­ trieb einer der Rotoren Scha­ den nimmt, läuft die Anlage­ unbeeindruckt weiter. Service-Intervalle sind planbar und lassen sich gege­ benenfalls ins nächste Schön­ wetterfenster verschieben, das spart erhebliche Kosten. Ausserdem soll der «Wind Catcher» nicht wie eine her­ kömmliche Windkraftan­lage 20 Jahre, sondern 50 Jahre­ lang Strom erzeugen – was Ökonomen und Öko­logen gleichermassen freut. 19


I N N O V AT O R

B U L L E VA R D

Diamonds are ­forever (MNSMasken hoffent­ lich nicht): So schön kann nachhaltiges ­Upcycling sein.

U P CYC L I N G

Hightech-Alchemie: wie der Schweizer Schmuckhersteller «mood» gebrauchte Mund-Nasen­Masken in etwas sehr Edles verwandelt – und obendrein die Natur schützt.

Sie schützen uns seit nunmehr zwei Jahren, in denen uns Covid-19 intensiver be­ schäftigt hat, als uns lieb ist: Mund-Nasen-Schutzmasken sind zu oft lästigen, aber unverzichtbaren Accessoires unseres Alltags geworden. Doch was den Menschen hilft, gefährdet zunehmend die Umwelt. Ein Grossteil der zig Milliarden benutzter Masken aus Polypropylen landet im ganz normalen Hausmüll. Viele tauchen auch dort auf, wo wir sie keinesfalls sehen wollen: auf Trottoirs oder 20

mitten in der Natur. Im Pazifik kreist bereits eine mehrere Quadratkilometer grosse ­«Insel» aus Plastikmasken. Deren Halbwertszeit beträgt ein paar Jahrhunderte, sagt die Forschung. Zum Glück macht Not auch erfinderisch. Könnte man nicht etwas Schönes und Wertvolles aus dieser Rohstoffquelle machen? Das fragte sich der Schweizer Schmuckhersteller mood. Die Firma aus Orbe im Kanton Waadt stellt seit 2004 stilvolle Ringe her, die aus einer Edelstahl- oder Titanfassung und verschiedensten Auf­ sätzen («Add-ons») be­stehen, die sich je nach Laune aus­ tauschen lassen. E D E L S T E I N E A U S A B FA L L

Das zukunftsweisende Projekt des Masken-Upcy­clings von mood funktioniert folgendermassen: Jeweils ein Labor-Diamant kann unter hohem Druck (150 Kilo­bar)

Schmucke Verwertung: Aus alten Schutzmasken werden Kunstdiamanten für Ringaufsätze hergestellt.

und grosser Hitze (1200 bis 1400 °C) aus einer benutzten Maske hergestellt werden. Diese werden dann zu Ringaufsätzen weiterverarbeitet. Bei mehr als 50.000 Kunden weltweit kann man also ­davon ausgehen, dass schon bald viele einstige Schutzmasken als Diamanten am Finger getragen werden. Wer das Projekt unterstützen möchte, kann seine gebrauchten Masken übrigens ganz einfach an den mood-store in Orbe senden. Sämtliche ­Informationen dazu ­finden sich auf der Website. yourmood.net INNOVATOR

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Blick nach vorne Unternehmer Alan Frei erzählt uns von seinem ­minimalistischen Lebensstil: «Ich bin nicht abgelenkt und kann fokussiert auf Ziele hinarbeiten.» 22

INNOVATOR


Minimalist, Entrepreneur, Optimierungsjunkie: Amorana-Co-Gründer Alan Frei darüber, wie man im Leben maximale Effizienz erreicht, weshalb er im Hotel lebt und weshalb er sich jeden Abend den Mund zuklebt. TEXT Michèle Roten FOTO Gian Paul Lozza

ALAN IST

F R E I

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E

Es ist ein nebliger Dienstagabend, Alan Frei empfängt im Wohnzimmer: gedämpftes Licht, bequeme Sofas, kuschelige Kissen, der Fernseher läuft ohne Ton. In seinem Zuhause sind alle willkommen, Leute, die er nicht kennt, trinken ­einen Rosé und nehmen keine Notiz von ihm. Wir befinden uns im «Citizen M» mitten in Zürich – der Co-Gründer des Erotik-­ Online-Shops Amorana lebt seit dem Verkauf seines Unternehmens 2020 im Hotel. Ein stringenter Schritt: Schon vor acht Jahren hatte der Vierzigjährige begonnen, seinen Besitz zu reduzieren. Nach einem Einbruch in seiner Wohnung verbrachte er im Gegensatz zu anderen Opfern einer solchen Tat «die schönste Nacht seines Lebens» in seinem Bett: Die Diebe waren mit leeren Händen wieder gegangen, es gab nichts zu holen bei ihm, «ich hatte gewonnen». Naheliegend eigentlich, dass die nächste Konsequenz war, auch noch die Verbindlichkeit eines eigenen Zuhauses aufzugeben. Auch ansonsten ist Alan Frei ein Mann, der alles in seinem Leben optimiert – und die Millionen aus dem Verkauf von Amorana (genaue Zahlen wurden nie genannt) erlauben ihm neue, noch radikalere Möglichkeiten, das zu tun. Er trinkt Verveine-Tee und verbreitet Lebensfreude – oder ­besser: Lebensspass – mit jedem Wort, jeder Geste, jedem Grinsen. Frei trägt Khakis, weisse Turnschuhe, ein weisses Hemd und eine blaue Weste – seine Uniform bringt perfekt auf den Punkt, wie er als Mensch ist: locker, aber klar, Street, aber Business. Was das Outfit nicht zeigt: Dieser Mann ist ein Freak. Im allerbesten Sinne.

«DIE REDUKTION MACHT DAS LEBEN UND DAS BUSINESS SEHR KLAR.» 24

the red bulletin inno­vator: Gemütlich ist’s hier bei dir. Seit wann und warum wohnst du im Hotel? alan frei: Seit fünfzehn Monaten. Zum einjährigen Jubiläum hat mir das ­Hotel ein Kissen geschenkt, auf das «Alan’s Spot» gestickt ist und das jetzt dort liegt, wo ich immer meinen Espresso trinke. Total herzig. Ist ja gar nicht so einfach, einem Mini­ malisten was zu schenken. Im Hotel wohne ich, weil ich ja mit Amorana ein Art Glückslos gezogen habe und seit dem Verkauf letzten September zu ein bisschen Geld gekommen bin. Und als ich mir überlegt habe, was ich damit anstellen könnte, wurde mir bewusst, dass mir vor allem zwei Dinge richtig Freude machen: Reisen und Hotels. Ich liebe Hotels. Also hab ich ein Unternehmen be­ auftragt, meine Wohnung zu leeren und einen Nach­mieter zu suchen, und bin mit zwei Taschen hier eingezogen. Und seither fühlt sich jeder Tag ein bisschen an wie Ferien. Was war in den zwei Taschen, und wie hast du die Dinge ausgewählt? Einfach nur die Dinge, die ich wirklich brauche. Es sind etwa achtzig Sachen, Verbrauchsartikel wie Zahnpaste oder Gesichtscreme zähle ich nicht. Gehören zu den Dingen keine ­emotionalen Besitztümer, Sachen, die keine Funktion haben, aber dir etwas bedeuten? Ich habe schon eine Beziehung zu meinen Sachen, meine Schuhe zum Beispiel mag ich sehr, aber wenn sie kaputt sind, kauf ich mir neue. Als mein Vater gestorben ist, habe ich von ihm eine Uhr geerbt, die natürlich einen sentimentalen Wert hatte. Aber damit hatte ich zwei Uhren. Also hab ich sie meinem Bruder geschenkt. Und es stellte sich heraus, dass der Besitz oder Nichtbesitz der Uhr nichts daran ändert, wie oft ich an meinen Vater denke. Stimmt es, dass der Tod deines ­Vaters der Auslöser für deinen ­minimalistischen Lebensstil war? Einer davon, ja. Als wir das Haus ausräumten, fand ich es erschreckend, wie viel Zeug sich ansammelt in so einem Menschenleben. Dinge, die über Jahrzehnte nicht bewegt wurden, die von niemandem be­ achtet wurden, einfach vor sich hin INNOVATOR


Tools & Apps, die er nutzt L A S T PA S S Passwörter zu vergessen kann wahnsinnig nerven. lastpass. com ist ein superpraktisches Tool, ausserdem kann ich damit sichere Notizen mit Mitarbeiter:innen teilen. NOTION Ich liebe notion.so für übersichtliche Ordner und To-do-Listen. A SA N A Asana ist perfekt für Aufgaben und Projekte, besonders wenn diese von ­m ehreren Personen be­arbeitet werden.

AU D I B L E Mein absolutes Lieblings-Tool für Hör­ bücher ist Audible. G E N I U S S CA N Genius Scan ex­ portiert Dokumente als JPEG oder PDF und beseitigt auto­ matisch Fehler und Verzerrungen, ausserdem lassen sich mehrseitige Dokumente zusammenstellen.

genau darum geht’s. Ich habe immer meinen Rucksack dabei mit meinem Laptop, Unterhosen, Socken und ­einem Hemd – und was auch immer auf mich zukommt: I’m ready. Diese Art zu leben funktioniert ­allerdings nur ohne Familie. Ich habe keine Ahnung, wie ich in zehn Jahren leben werde. Vielleicht werde ich dann der Mann sein mit der grössten Briefmarkensammlung der Welt, so what? Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Was ich mache und wie ich lebe, ist keine Konsumkritik. Ich will niemanden dazu bringen, auch so zu leben. Mich macht diese Freiheit einfach sehr, sehr happy. staubten. Da merkte ich: Das will ich nicht. Ich will unabhängig sein von Dingen. Was ist für dich «Zuhause»? Es klingt vielleicht etwas unromantisch, aber für mich ist Zuhause, wo ich meinen Laptop aufmache. Es gibt doch diesen Spruch: Home is where the Wifi connects automatically. Das stimmt für mich wirklich. Und zwar vollumfänglich und ehrlich, ich fühle mich hier absolut daheim, bin sehr nah mit den Menschen, die hier arbeiten. Aber ich kann dieses Gefühl überall auf der Welt replizieren, und INNOVATOR

Keine Rechenschaft schuldig Der Minimalismus und seine Art zu leben seien keine ­Konsumkritik: «Ich will niemanden dazu bringen, auch so zu leben. Mich macht d ­ iese Freiheit einfach sehr happy», so der Vierzigjährige.

Gehört zur Freiheit auch, nicht ans Telefon zu gehen? Man munkelt, Alan Frei sei telefonisch nicht erreichbar. Ich bin schon erreichbar, aber nicht ohne Termin, zumindest geschäftlich. Ohne Termin nehme ich nur ­Anrufe von Freunden und Familie entgegen. Manchmal. Manchmal ruf ich auch zurück. Unbekannte Nummern ohne Termine nehme ich nie ab. Wie oft bringt einem eine ­unbekannte Nummer etwas Gutes? Wie oft denkt man: «Meine Güte, zum Glück bin ich da rangegangen!»? So gut wie nie. Die meisten dieser 25


Optimiertes Leben Alan hat alles los­ gelassen, was er nicht braucht, und besitzt diese 80 Dinge. Erinne­ rungen hat er im Kopf und auf dem Handy.

Anrufe rauben einem nur Zeit. Was mich wirklich nervt, sind Leute, die einen anrufen, volllabern und am Schluss sagen: Ich schick dir noch ­alles in einem E-Mail. Schick doch einfach die E-Mail!! Ausserdem gibt es ja auch noch SMS und Sprachnachrichten. Oh Gott, diese «Huch, jetzt bin ich grad fast in Hundekacke getreten, aber anyway, was wollte ich noch mal sagen»-Sprachnachrichten … Da müsste wirklich mal eine VoiceMessage-Etikette geschrieben werden. Komm auf den Punkt! Ich höre die übrigens alle in doppelter Geschwindigkeit ab. Denn, ja, Zeit ist die grösste Freiheit und das wichtigste Gut.

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Wie hängen Minimalismus und Business zusammen? Als Allererstes ist es natürlich ein grosser Widerspruch: Ich selber will nichts besitzen, aber allen etwas verkaufen. Ich glaube, dass Sextoys etwas Grossartiges sind und Menschen glücklicher machen können. Für mich selber heisst es halt, dass ich nur eines besitze. Die Reduktion macht das Leben und das Business sehr klar. Ich bin nicht abgelenkt, kann Ziele erkennen und fokussiert darauf hinarbeiten. Pragmatismus scheint sowieso eine Stärke von dir zu sein: Mir wurde erzählt, dass du schon in der Schule sagtest, du wollest primär einmal reich werden. (Lacht.) Echt, hab ich das gesagt? Gut möglich. Tatsächlich bin ich aber eher jemand, der herummäandert. Vor Amorana habe ich so viele Startups in den Sand gesetzt (rund fünfzig Geschäftsideen und acht Firmen, ­Details in der Biografie-Box; Anm.), dass einige meiner Freunde insgeheim wohl die Augen verdrehten, als ich ankam und sagte: Jetzt will ich Dildos verkaufen. Meine Geschichte ist wirklich keine geradlinige, und ich glaube, 26

«ICH HABE IMMER LAPTOP, UNTERHOSEN UND EIN HEMD DABEI. WAS AUCH IMMER AUF MICH ZUKOMMT: I’M READY.» INNOVATOR


1 TA S TAT U R Sie ist faltbar und dient Alan dazu, vom Handy aus zu arbeiten.

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2 SONNENBRILLE Auch diese ist faltbar und nimmt so den kleinstmöglichen Raum ein.

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3 STIFT Alan besitzt einen einzigen kurzen ­Kugelschreiber. Das reicht. 4 FLIEGE Bei aller Liebe zum Minimalismus – für spezielle Ereignisse kleidet sich Alan ­gerne festlich.

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5 SCHUHE Fünf Paare, eines für jeden Anlass. Wenn sie kaputt sind, kauft er neue. 6 F I T N E S S BA N D Sport muss sein, schliesslich will Alan an den Olympischen Spielen teilnehmen. 7 LEDERHOSE Die richtige Hose für das richtige Bier – Alan trägt sie gerne an Oktoberfesten.

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es ist auch wichtig, das so zu erzählen, weil es den Leuten Hoffnung gibt. Vor fünf Jahren hatte ich keinen Franken auf dem Konto und war eher der Loser im Vergleich zu meinen Freunden, die gut verdienten in ­ihren Corporate-Jobs. Aber ja, mein Ziel war immer Unabhängigkeit, und dazu gehört auch der finanzielle Aspekt. Und nein, ich bin nicht un­ bedingt der pragmatische Typ. Ich lasse mich gern ablenken, habe aber gelernt, Nein zu sagen und mich ­phasenweise wirklich zu fokussieren. INNOVATOR

Jetzt bin ich wieder in einer Herumspinn-Phase. Was kommt, was passiert? Keine Ahnung! Bei Amorana bin ich ja noch dabei, das finde ich nach wie vor cool. Aber mich interessieren ­momentan auch NFTs, also Non-­ Fungible Tokens, extrem (ein nicht austauschbares digitales Objekt, das im Kern aus einem geschützten Verweis auf eine digitale Ressource ­besteht, etwa digitale Bilder im Internet. Diese besondere Form von Token

ist nicht teilbar oder austauschbar; Anm.), ich mache einen Podcast und einen YouTube-Kanal, der niemanden interessiert, aber das alles finde ich wahnsinnig spannend. Ist Amorana auch beim Herumspinnen entstanden? Ja und nein. Mein Geschäftspartner, der damals noch bei einer Bank arbeitete, rief mich an und sagte, ihm sei langweilig, ob wir nicht zusammen irgendwas aufziehen wollten. Also trafen wir uns jeden Freitag zum 27


Alles dabei Alan Freis gesamte ­Besitztümer passen in diese schwarzen ­Taschen. Er will unab­ hängig sein von Dingen.

Brainstorming. Und nach vielen schlechten Ideen stolperten wir ­irgendwann über den Fakt, dass achtzig Prozent der Menschen gern mehr ausprobieren wollen im Bett, sich aber nicht getrauen, zu fragen. Und so kamen wir auf die Idee der Sextoy-Box. So muss niemand fragen, die Sachen kommen einfach zu dir nach Hause. Wir bastelten in einem halben Tag eine Website, schrieben 4000 private Mailkontakte an, darunter auch unsere Profs und so (lacht), und drei Leute bestellten ­tatsächlich so eine «Lovebox». Also rannten wir in den Magic-X-Erotik­ store und kauften einfach alles, was im Preis reduziert war, packten das in drei Schachteln, noch ein bisschen Seidenpapier drauf, ab die Post. Die Reaktionen waren nicht allzu gut – «Was schickt ihr mir da abgelaufenes Massage-Öl?!» und so (lacht) – aber wir merkten, dass die Idee Potenzial hatte. Gibt es eigentlich etwas, bei dem gilt: «Mehr ist mehr»? Geld vielleicht? (Denkt lange nach.) Nein, glaube ich nicht. Leute, die sagen, Geld mache nicht glücklich, sind wohl die, die schon immer Geld hatten. Ich hatte auch schon gar kein Geld und wusste nicht, wie ich die Rechnungen bezahlen soll, und kann jetzt sagen: Geld haben ist viel geiler. Aber, und alle Studien zeigen das: Ab einer gewissen Grenze bedeutet mehr Geld nicht mehr Glück. Als uns die Verkaufssumme überwiesen worden ist, habe ich die nächsten zwei Wochen sicher zwanzig Mal pro Tag auf mein Konto geschaut, es war so surreal. Und dann plötzlich nicht mehr. Die Zahl war mir egal. Drei Sachen sind geblieben. Erstens: Meine Mutter lebt auf den Philippinen. Es ist mir extrem wichtig, zu wissen, dass ich ihr immer helfen kann. Ob das Medikamente sind oder ein Arzt – kein Problem. Zweitens: Ich kann in Menschen 28

«ICH MUSS NIE MEHR ETWAS MACHEN, DAS MICH NICHT ÜBERZEUGT. DAS IST ULTIMATIVE FREIHEIT.»

Ku r z e B i o g r a f i e Alan Frei, geboren am 27. März 1982, studierte Finance an der Universität Zürich und versuchte sich danach an rund fünfzig Ge­ schäftsideen und acht Firmen, die allesamt floppten: von einer Platt­ form, um den Tod zu digitalisieren, oder einem Taxi-Raten-VergleichsTool über ein Nachhilfeportal oder Mango-Schnaps bis zu WC-Papier­

rollen ohne Karton. 2014 grün­ dete er zusammen mit seinem ­Geschäftspartner Lukas Speiser den Erotik-Online-Shop Amorana. Diesen verkaufte er im Jahr 2020 an den britischen Sextoy-Her­ steller Lovehoney. Frei arbeitet weiterhin als CMO von Amorana und bloggt und podcastet auf ­alanfrei.com.

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Alans Produktivitäts-Hacks ( i n s p i r i e r t v o n M a r t i n C a r te r)

1 . PL ANE DEN TAG I M VO R AU S Nimm dir am Abend 15 Minuten Zeit, um zu überlegen, was du heute erreicht hast, was morgen erledigt werden muss und wie du den Tag organisieren möchtest. 2 . TO -DO -LISTE Mache aus einer grossen Aufgabe mehrere kleine Aufgaben, die weniger Zeit beanspruchen. Dinge von der To-doListe zu streichen gibt dir Motivation, weitere Aufgaben zu erledigen. 3. WICHTIGE AU F G A B E N Prioritäten setzen: Welches Projekt ist das Wichtigste? Was muss ich tun, um es fertigzustellen?

4 . AU F G A B E N VERBINDEN Suche auf deiner To-do-Liste nach ähnlichen Tasks (etwa Rechnungen schreiben) und erledige diese in derselben Zeit. 5. SEI KEIN PERFEKTIONIST Wenn du dich zu sehr darauf konzentrierst, alles perfekt zu machen, wirst du die Aufgabe immer wieder durchgehen und Zeit verlieren. 6 . K E I N E E- M A I L S AM MORGEN Deine Produktivität leidet darunter, weil es dir zu viel Information auf einmal gibt. Nutze den Morgen für wichtige Aufgaben. Lese die E-Mails in deinen unproduktivsten Stunden.

und Ideen investieren, die ich cool finde. Und drittens: sogenanntes Fuck-you-Money. Klingt negativ, ich meine es aber im allerpositivsten Sinne: Ich werde nie mehr etwas ­machen müssen, obwohl es mich nicht überzeugt. Das ist die ultima­ tive Freiheit. Thema Schlaf: Ist da weniger mehr? Nein, ich liebe schlafen. Das ist so ein Neunzigerjahre-Ding mit diesem «Viel arbeiten, wenig schlafen». Mit wenig Schlaf bin ich einfach nicht gut. Seit zwei Jahren habe ich auch keinen Wecker mehr. Meetings gibt es erst ab zehn Uhr, und ich habe noch kein einziges verschlafen. Ich habe auch eine ganz elaborierte Abendroutine. Zuerst mach ich meine Gua-Sha-Session, das ist so ein Massagestein fürs Gesicht, dann ­klebe ich mir den Mund ab, weil es besser ist, durch die Nase zu atmen, ziehe einen Ring an, der meinen Schlaf trackt, mache den Raum ­komplett dunkel, denke noch kurz INNOVATOR

daran, wie dankbar ich bin, und dann schlafe ich wie ein Baby. Hast du beim Essen auch optimierte Routinen? Immer dasselbe, immer zur selben Zeit? Nein. Essen ist meine Schwäche. Letztes Jahr, nach dem Verkauf, nach den Festtagen, war ich wirklich übergewichtig. Meine Freundin sagte irgendwann: «Hey, das ist nicht gesund, du musst abnehmen.» Aber einfach so weniger essen geht für mich nicht. Da muss schon etwas Ausgeklügelteres her, eine Story, ­damit ich mich gesund ernähre und dabei bei Laune bleibe. Und was ist der Titel der Story? (Dramatische Pause.) «From Obese to Olympics». Ich werde 2026 in Mailand als Olympiateilnehmer in dieses Stadion einlaufen. Auf Biegen und Brechen. Komme, was wolle. Wie bitte? Mein Performance-Coach in Süd­ afrika, ein echter Crack, sagt, mit dem perfekten Training und der ­perfekten Ernährung ist es möglich. Wir haben einen Gentest gemacht und so meine Ernährung mass­ geschneidert, ich habe auch einen Blutzucker-­Tracker implantiert wie bei Diabetikern. Das ist alles hochprofessionell, ich habe eine Ärztin, eine Yoga­trainerin und eine Personal Trainerin in meinem Team. Und in welcher Disziplin könntest du so gut werden, dass das klappt? I. Don’t. Know. Dass ich für die Schweiz antreten kann, wird eh nicht möglich sein, weder in den Sommernoch in den Winterspielen. Aber: Ich habe ja auch einen philippinischen Pass! Und es besteht eine klitzekleine Chance, dass ich für die Philippinen an den Olympischen Winterspielen teilnehmen kann. In dem 100-Millionen-Land hat sich nämlich bisher nur ein einziger Sportler qualifiziert. Zusammen mit dem Sportjournalisten in meinem Team, einem echten Sport-Geek, haben wir nun völlig matrixmässig eine Liste von Sport­ arten entwickelt, die einigermassen realistisch sind für mich. Die gehen wir jetzt durch und schauen, ob ich irgendwo ein Talent haben könnte. Momentan sieht es nach Langlauf aus. Also aufgepasst: Nach Eddie the Eagle kommt jetzt Alan the Albatross. 29


Text Nicole Thurn Illustrationen Aleksandar Savić

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DAS ENDE DER ARBEIT ... WIE WIR SIE KENNEN Kein Chef, keine Zeiterfassung, kein Büro. Dafür Freude, Sinn und hohe Produktivität. Wieso immer mehr Unternehmen mit Traditionen brechen (müssen) und wo «New Work»-Trends bereits erfolgreich vorgelebt werden.

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MODEWORT ODER WANDEL – WAS IST NEW WORK? Unter dem Begriff «New Work» werden unterschiedlichste Ansätze,­ unsere Arbeitswelt nachhaltig zu verändern, zusammengefasst. Das gemeinsame Ziel: mehr Produktivität durch mehr Individualität. ­ Klassische Hierarchien, fixe Arbeitszeiten im Büro und ein Beruf für dreissig Jahre: Die Arbeitswelt, wie wir sie einst kannten, kommt an ihr Ende. Spätestens die Pandemie und die dadurch ausgelöste ­kollektive Homeofficierung ­haben gezeigt: Arbeiten geht auch anders. Gerade die Jungen wollen starre, un­reflektierte ­Berufsstrukturen aufbrechen­ und die Burnouts ihrer Eltern­ nicht wiederholen. Sie fordern­ erfüllende Jobs mit Sinn und mehr Freizeit für Selbst­ verwirklichung. Gleichzeitig müssen Unternehmen schnel­ler, innovativer und ­risikobereiter handeln, wenn sie bestehen wollen. Für den Wandel in der Arbeits­ welt verwenden immer mehr Unternehmen und Experten den Begriff «New Work», also «neues Arbeiten». Ein einheit­ liches Verständnis gibt es nicht, gemeint ist damit vieles: vom Kickertisch und Yogakurs am 32

Arbeitsplatz über digitales Ar­ beiten ohne Büro bis hin zum Selberentscheiden ganz ohne Chefs. Und in Wahrheit ist der Begriff auch nicht neu: Bereits 1982 beschrieb der Arbeits­ philosoph Frithjof Bergmann mit «New Work» ein Gesell­ schaftskonzept, das auf selbst bestimmter Arbeit beruht, «die man wirklich, wirklich will». ARBEIT MAL ANDERS Noch sind so manche Experi­ mente zu New Work in Unter­ nehmen etwas zaghaft, andere wiederum überzogen radikal. Im Idealfall ist New Work ein echter Bewusstseinswandel: mit neuen Werten und einem neuen Menschenbild. Dann sind Sinn, Erfüllung und Potenzial­ entfaltung im Job wichtiger als Status und Geld, die Mitarbeiter werden zu Mitgestaltern, ihre individuellen Bedürfnisse zäh­ len ebenso wie der Teamerfolg. New Work verspricht eine bes­ sere Zusammenarbeit, bessere Ergebnisse, mehr Innovation und glücklichere Mitarbeiter. In der Theorie zumindest. Denn wie es mit Experi­ menten so ist: Sie können auch schiefgehen.

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1. DAS ENDE SINNLOSER TÄTIGKEITEN

Sinn im Job macht glücklicher und produktiver – und wird so für Firmen zur goldenen Währung.

Pionier: Steven HK Ma Radikaler U-Turn in Sydney: CEO Steven HK Ma hat seine Be­ratungsagentur No Moss quasi über Nacht in eine Com­ puter­game-­Schmiede umgewandelt – und zwar auf Wunsch s ­ einer Mitarbeiter.

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GETTY IMAGES

ie sinnvoll ist mein Job? Das fragen­ sich immer mehr Menschen. Laut dem deutschen Zukunftsinstitut­ zählt der Sinn bei der Jobwahl für 87 Prozent der Millennials deutlich mehr als ein gutes Gehalt (55 %). Unternehmen­ müssen also sinnvolle Jobs bieten, wenn sie bei Bewerbern gefragt sein wollen. Laut dem US-Psychologen Adam Grant finden Menschen dann Sinn im Job, wenn sie ihre Aufgaben mit ihren Stärken und Interessen verbinden. Trotz Digi­ talisierung und Automatisierung seien sinnlose «Bullshit-Jobs» in Unternehmen verbreitet, schreibt David Graeber in seinem gleichnamigen Buch. Allein mit dem Streichen ineffizienter Meetings könnten Konzerne laut einer Studie von TimeInvest jährlich 57 Millionen Euro einsparen. Sinn als Teil von New Work zu forcieren ergibt buchstäblich Sinn: Denn er macht uns motivierter, produk­ tiver, glücklicher und gesünder.

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Steven, als deine Mit­ arbeiter mit der Idee an­ kamen, Computerspiele zu entwickeln: Was war dein erster Gedanke? Eigentlich sagten sie sogar: «Ich will der CEO meiner eigenen Compu­ terspielefirma werden.» Zuerst war da der Gedanke: Diese Kids haben Leidenschaft, aber keine Ahnung, ge­ folgt von der Frage, wie ich bei No Moss einen drastischen Wandel herbeiführen kann, um solche Leidenschaften­ zu fördern. Meine Antwort an sie war: «Okay, beweist es. Hier habt ihr 20.000 Dollar, kostenlose Büroräume,­ fünf Experten und

Eintrittskarten für die grösste Spielemesse der Welt – ich hab euch bereits einen Stand­ platz gekauft.» Warum glaubst du, dass der Sinn Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg ist? Wir glauben, dass das individuelle Sinngefühl der Mitarbeiter die Arbeit menschlicher macht. Sinn ist der Schlüssel zum Erfolg im Leben, nicht nur im Unternehmertum, das zeigen Viktor Frankls Logotherapie oder das japanische Ikigai. Unter­ nehmen sollten auf dem Streben nach Sinn gegründet werden. Du hast deine Rolle von CEO in CPO – Chief Purpose Officer – ge­ ändert und sorgst so für den unternehmerischen Sinn: Welche Aufgabe liebst du, und welche hasst du am meisten? Ich liebe es, mich mit Mitarbeitern über den Sinn ihres Jobs zu unterhalten und Sys­ teme zu entwerfen und umzusetzen, die ihre Arbeit menschlicher machen. Und ich hasse Situationen, die mein Mikromanagement er­ fordern – wer das Gefühl hat, seine Mit­arbeiter ständig kon­trollieren zu müssen, hat entweder die falschen Mitarbeiter oder den falschen Job.

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2. DAS ENDE DER BÜROS

Pionierin: Jessica Reeder 1500 Mitarbeiter – kein Office: Campaign Manager Jessica Reeder über GitLab, die grösste Remote Company der Welt.

Büros werden künftig völlig neue Aufgaben erfüllen – und zum Teil sogar komplett verschwinden.

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erzeit sind die Büros halb leer – und das wird in vielen Unternehmen auch so bleiben. Denn die Pandemie verändert auch die Rolle des Büros. Früher Dreh- und Angelpunkt des Arbeits­ alltags, wird es immer mehr zum Ort für den sozialen und kreativen Austausch, für Brainstormings, Events und Workshops, während die Mitarbeiter mal dort, mal zu Hause, im Coworking-Space oder vom Campervan aus arbeiten. Diese Flexibilität wird von Arbeitgebern auch erwartet: Der Grossteil der Büroarbeiter in der Schweiz wünscht sich hybrides ­Arbeiten mit ein bis zwei HomeofficeTagen pro Woche. So manches Start-up wurde während der Pandemie sogar komplett bürolos und ortsunabhängig als «Remote Company» gegründet. Beides, hybrides Arbeiten und «Remote Work», bringt neue Herausforderungen mit sich. Um Ablenkungen, Missverständnisse, Ineffizienzen und Frust zu vermeiden, bedarf es klarer Kommunikationsregeln für alle. Der Trend ist gekommen, um zu bleiben: Die Beratung McKinsey rechnet in ihrer Analyse mit dreimal so viel remote und hybrid Arbeitenden nach der Pandemie wie davor.

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Wie sieht dein Arbeitstag für die SoftwareFirma GitLab aus? Ich wache ohne Wecker auf und beginne nach meiner Morgenroutine mit der Arbeit. Ich recherchiere zur Zukunft der Arbeit, manage Marketing-Kampagnen. Dazu arbeite ich in GitLab und kommuniziere viel über Slack mit den Kollegen. In meinen Pausen schau ich mir dort die Interessen-Channels an oder treffe mich zum virtuellen Kaffeeplausch mit Kollegen. Das bringt Abwechslung. Welche Fähigkeiten braucht man, um gut remote zu arbeiten? Vor allem gute Fähigkeiten in der Kommunikation. Eines unserer Credos ist «short toes».

Das bedeutet: Egal was der andere sagt, nimm’s nicht persönlich. Wichtig sind uns auch Empathie und Freundlichkeit. Und low-context communication – wegen der asynchronen Zusammenarbeit muss man immer den Kontext erklären, damit der andere alles versteht. Euer 3000-Seiten-Hand­ buch ist im Internet zugänglich. Müssen eure neuen Mitarbeiter alles lesen? (Lacht.) Nein, das erwarten wir nicht. Das Handbuch hilft uns allen aber, effizienter zu arbeiten. Man kann dort alle Informationen finden, die man braucht. Wir schicken uns auch gegenseitig Links daraus. Wie stärkt ihr euer soziales Miteinander – trefft ihr euch auch mal persönlich? Nichts kann persönliche Treffen ersetzen. Vor der Pandemie hatten wir jedes Jahr unser grosses globales Team-Retreat namens «Contribute» mit Workshops und Teambuildings. Persön­ liches Kennenlernen hilft später bei der virtuellen Zusammenarbeit. Wir machen aber auch regelmässig virtuelle Events – sogar mit DJ-Partys.

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3. DAS ENDE VOM STRESS IN DER ARBEIT Meetings, Mails, Messages: Digitaler Stress nervt. Künftig helfen gehirn­gerechte Arbeitsphasen.

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KNUT WÖRNER

ie neue Arbeitswelt könnte dank der Digitalisierung einfacher sein. Doch Arbeitsbelastung und subjektives Stressempfinden steigen. Schuld daran sind Unterbrechungen. Wir werden laut einer Studie der University of California­ alle elf Minuten unterbrochen: von auf­ poppenden Mails, Nachrichten auf Whats­ App oder Slack, von Online-Meetings und Kundenanrufen. Die Crux an der Sache: Wir benötigen ganze 23 Minuten, um wieder in die Aufgabe reinzufinden. Unser Gehirn arbeitet im permanenten Unterbrechungsmodus – und hat das ­Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.

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«Das versuchen wir mit Multitasking zu kompensieren», sagt Organisations­ beraterin Vera Starker, die mit «The ­Focused Company» mehr Konzentration in die Unternehmen bringt. Das wieder­ um verschlechtert die Qualität der Arbeit. Cal Newports Buch «Deep Work» kommt hier wie ein Heilsbringer für das digitale Zeitalter daher. Er sagt: Die Kunst, sich länger in eine einzige Aufgabe zu vertiefen, unterscheidet künftig die Er­ folgreichen von den Nicht-Erfolgreichen. Vera Starker setzt auf «Deep Work», also Fokuszeit ohne Unterbrechungen. Unternehmen sollten die Arbeitsabläufe bewusster am Menschen orientieren: «etwa am Biorhythmus und an der Kon­ zentrationsfähigkeit, die sich über den Tag verändert». So sei in kurzer Zeit viel produktiveres Arbeiten möglich als bis­ her – und auch die Zufriedenheit steigt. New Work muss sich also am Menschen orientieren – sonst geht der Schuss nach hinten los.

Pionier: Daniel Hanke Bei Klenk & Hoursch wird es um 10 Uhr still: Fokuszeit für alle.

In der deutschen Agentur Klenk & Hoursch arbeiten die Mitarbeiter gehirn­ gerecht und nach ihrem Biorhythmus. Täglich von zehn bis zwölf Uhr wird es still – denn dann ist Fokuszeit für alle. Das bedeutet: keine Ab­ lenkungen, keine Anrufe, keine Meetings – auch nicht mit Kunden. Dieser Zeitrahmen ist an der inneren Uhr der meisten Mitarbeiter orientiert – denn um diese Zeit ist die Konzentrations­ fähigkeit am höchsten. «Mitarbeiter schaffen mehr in kürzerer Zeit, haben mehr Erfolgs­ erlebnisse und sind zufriedener», sagt CEO Daniel Hanke.

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4. DAS ENDE DER GEHALTSKLASSEN Welchen Wert hat Arbeit, wenn das Ergebnis zählt und Führung abgeschafft wird? New Work braucht eine Neuvermessung von Leistung und Gehalt.

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er Nine-to-five-Job galt seit der Einführung der 40-Stunden-Woche als Klassiker in den Angestelltenjobs: Man leistet zur vorgegebenen Arbeitszeit, auf das Konto bekommt man, was der Vertrag vorsieht. Individuelle Leistung zählt, das Management bestimmt über Gehalts­erhöhungen. Die Frage, wer wie viel verdient, ist tabu. Wer aufsteigt, bekommt mit mehr Verantwortung auch mehr Gehalt. Bei neuen Arbeits- und Organisations­ formen wirkt das traditionelle Leistungsprinzip schnell überholt. Neue Fragen tun sich auf: Wenn die Teamleistung zählt, wenn Führungspositionen ab­ geschafft werden und Verantwortung auf viele verteilt wird, sind Gehaltsunter­ schiede überhaupt noch fair? Wenn Mitarbeiter verschiedenste Rollen und

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Aufgaben übernehmen, nach welchen Tarif- bzw. Kollektivverträgen soll man sie entlohnen? Was ist Leistung überhaupt, wie viel ist der eigene Beitrag wert, was ist faire Entlohnung – und wer bestimmt darüber? Die Autoren Sven Franke, Stefanie Hornung und Nadine ­Nobile beschreiben in ihrem Buch «New Pay» alternative Vergütungsmodelle von Unternehmen, die New Work umgesetzt haben: mit flachen Hierarchien, selbst organisierten Teams und viel Mitsprache. In der Realität sieht das sehr vielfältig aus: Die einen setzen auf Einheitsgehalt für alle, andere auf individuelle Wunschgehälter. Die nächsten bieten 30-Stunden- oder 4-Tage-Wochen und bezahlen ein Vollzeitgehalt. Die Richtung scheint zu stimmen, denn diverse Studien zeigen: Dauerhaftes Engagement lässt sich mit Geld nicht kaufen. INNOVATOR


30 Stunden sind genug Die österreichische Agentur eMagnetix lockt Bewerber mit 30-Stunden- und 4-TageWoche bei vollem Gehalt. Die Marketing-Agentur eMagnetix bei Linz hatte ein Problem: «Oft kamen nur zehn Bewerber auf einen offenen Job», erzählt CEO Klaus Hochreiter. Um für junge Talente attraktiver zu werden, führte er mit den Mitarbeitern im Herbst 2018 die 30-StundenWoche ein – inklusive Gleitzeit. «Manche Kunden mussten wir beruhigen, die meisten reagierten aber positiv: Denn die Qualität unserer Arbeit nahm sogar zu», so Hochreiter. Nicht nur wegen der längeren Erholungsphasen: «Wir haben unsere Abläufe und Meetings effizienter gestaltet.» Seit kurzem gibt es die optionale Vier-Tage-Woche: Die 30 Stunden können wochenweise auf vier oder fünf Tage verteilt werden, Montag oder Freitag dürfen ent­ fallen. Für die Kunden gibt es ein Notfalltelefon. INNOVATOR

Einheitslohn für alle

Wunschgehalt aus dem Lohntopf

Das Start-up Advertima aus St. Gallen führte den Einheitslohn ein – und schaffte ihn wieder ab.

In der Berliner Agentur Wig­wam bestimmen die Mit­ arbeiter ihr Wunschgehalt.

Beim Tech-Start-up Advertima experimentierte Co-Founder Iman Nahvi seit der Gründung 2016 mit dem Einheitslohn. Die Gründer verdienten dasselbe, «das wollten wir auch für unsere Mitarbeiter». Der Einheitslohn kam bei der damals jungen Belegschaft gut an – «es war fair, wir alle hatten ähnliche Ausbildungen», sagt Nahvi. Bis man angesichts des Wachstums beschloss, erfahrene Seniors ein­ zustellen: «Unsere Mitbewerber sind Facebook und Google, hier konnten wir mit dem Einheitslohn nicht mithalten», sagt Nahvi. 2018 wurden die Mitarbeiter in marktkonforme Gehaltsschemata eingestuft. Lohnkürzungen gab es nicht: «Dadurch war die Umstellung kein Problem.»

Bei der Berliner Organisations­ beratung und Genossenschaft Wigwam dürfen alle Mitarbeiter ihr Gehalt selbst wählen – bis hin zur Reinigungskraft. Und ganz ohne Verhandlung. In Gehälter­ runden geben alle Mitarbeiter ihr Wunschgehalt an. «Begründet werden muss die Höhe nicht», sagt Projektmanagerin Amelie Salameh. Wer in den Vorstand wechselt, bekommt weiterhin dasselbe bezahlt. Um profitabel zu bleiben, gibt es einen Lohn­ topf, ein Algorithmus verteilt prozentuell: «Im Moment werden 94 Prozent des Wunschgehalts ausbezahlt.» Aufgrund der Be­ teiligung an der Genossenschaft ist die Motivation hoch. Über­ triebene Gehaltswünsche gibt es nicht, denn «dann bekämen alle anderen weniger», sagt Amelie. Im Gegenteil, Gehaltslücken schliessen sich: «Die Wünsche gleichen sich immer mehr an.»

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5. DAS ENDE DES DOPPELLEBENS

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Künftig beides gleichzeitig: In der Wissensgesellschaft verschmelzen Beruf und Freizeit.

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och vor einigen Jahren sprach man von «Work-Life-Balance». Tagsüber tat man die mehr oder minder beschwerliche Arbeit, nach Feierabend und am Wochenende wartete das Leben. Diese Haltung ist dank Digitalisierung und nicht zuletzt aufgrund der pandemie­bedingten «Homeofficierung» in Wissens- und Kreativjobs schwieriger geworden. Arbeit und Privatleben verschmelzen im «Work-Life-Blending»: Zwischen Projekt­plan und Meeting wird der Haushalt erledigt, das Kind betreut und zu Feierabend der Report geschrieben. Dem tückischen Always-on im Homeoffice entkommen viele nicht. Abschalten abends fällt schwer, Zoom-Ermüdung und Rückenschmerzen kommen hinzu, gerade wenn ein eigener Büroraum fehlt.

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Pionierin: Theresa Steininger

Als Antwort auf diese Entwicklung entstehen immer mehr gut ausgestattete Coworking-Spaces in der Stadt, aber auch auf dem Land. Dass Leben und Arbeiten auch zur positiven Symbiose verschmelzen können, machen skandinavische Unternehmen vor. Dort finden sich nicht nur kaum Überstunden, sondern eine generell andere Haltung: Das Ergebnis im Job muss stimmen, doch das Privatleben ist genauso wichtig. Während der Arbeitszeit das Kind abzuholen, zum Stressausgleich in den Yogakurs oder mal zur Geburtstagsfeier auszurücken, regt dort niemanden auf. Die Arbeit ist Teil des Lebens, das Leben Teil der Arbeit. Arbeiten verschmilzt auch zusehends mit Urlaub: Dann betreut man als digitaler Nomade auf Weltreise an Stränden seine Kunden oder arbeitet mit Kollegen auf kurzen «Workations» am Meer. Auch Wohnen und Arbeiten bekommt eine neue gemeinsame Dimension ausserhalb des Homeoffice: In «Coliving»- und Co­ working-Appartements wohnen digitale Nomaden oder ausländische ExpatManager zusammen, auch Hotels setzen zunehmend auf Coworking Spaces. Und manche gründen sogar mit ihren Arbeitskollegen ein Dorf.

Gemeinsam leben und arbeiten: Das Wiener Unternehmen Wohnwagon ist samt Belegschaft aufs Land übersiedelt, um ein «Dorf im Dorf» zu gründen.

«Wir stehen für Autarkie und Wertschöpfung auf dem Land ein und wollten das auch leben», sagt Theresa Steininger. Die Gründerin von Wohnwagon verlegte 2018 nicht nur die Tiny-HouseProduktion von Wien in das eine Autostunde entfernte Gutenstein in Niederösterreich, sie siedelte auch privat um – gemeinsam mit ihren rund 25 Mitarbeitern. Im ehemaligen Guten­stei­ ner­hof bezogen sie ihr Büro und teilweise auch ihr Quartier. Theresa und die restlichen Mitarbeiter wohnen in der Nachbarschaft. Für mehr regio­ nalen Zusammenhalt gründete sie mit dem Gutensteiner Bürgermeister die Genossenschaft «Dorfschmiede». Gemeinsames Gärtnern, Kochen und Events für die Region stehen auf dem Programm.

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6. DAS ENDE DER ALPHATIERE

Der alles kontrollierende Manager wird im 21. Jahrhundert zu einer seltenen Spezies. Führung bleibt wichtig, aber anders: Leader ­ermutigen ihre Teams, selbst zu entscheiden.

WOLFGANG WOLAK, GIAN PAUL LOZZA

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m 20. Jahrhundert hatte «der Chef» das Sagen: Er schaffte an, kontrollierte und entschied – oft im Alleingang. Die Mitarbeiter führten Befehle und Aufträge aus. Allerdings: Die machtbewussten «Alphatiere» mit steiler Karriere werden im 21. Jahrhundert zur Rarität. Befeuert von der Digitalisierung, verflachen Hier­ archien, es zählen rasche Ergebnisse und innovative Produkte – jede Entscheidung absegnen zu lassen ist ineffizient. Der Anspruch an Führung verändert sich so­ mit: Anstelle von Managern sind «Leader» gefragt. Sie befähigen ihre Teams, selbst zu entscheiden, geben ihnen Freiraum und inspirieren. Für viele Führungskräfte ist das eine Umstellung: Sie müssen Kon­ trolle und Macht loslassen und lernen, ihren Mitarbeitern zu vertrauen und ­Fehler zuzulassen.

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Pionier: Marc Stoffel Marc Stoffel wurde von den Mitarbeitern des St. Gallener SoftwareDienstleisters Haufeumantis demokratisch zum CEO gewählt – und machte sich sieben Jahre später dort selbst überflüssig.

Marc, was ist «Chef­ sein» heutzutage für dich? Chefs werden heute oft mit Schweizer Taschen­ messern verwechselt. Man muss empathisch sein, Biss haben, Ziele erreichen, super kom­ munizieren und orga­ nisieren können, nahe beim Kunden sein, aber doch auch bei den Mit­ arbeitern … Man tut so, als wären Führungskräf­ te MacGyver. Leader­ ship scheitert aus mei­ ner Sicht sehr oft daran,

dass man die Frage, was «Chefsein» denn eigent­ lich sein soll, überhaupt nicht klärt. Unsere Idee bei Haufe-umantis war, genau diese Frage immer wieder neu auszuhandeln. Ihr habt bei von 2013 bis 2020 jährlich eine CEOWahl abgehalten – auch sonst gab es im Unter­ nehmen nur Führung auf Zeit. Warum? Damals ist umantis stark gewachsen, es ging darum, vom Startup ins Scale-up, also von der innovativen in die operative Phase überzugehen. Der da­ malige CEO hatte die Idee dazu und dachte, ich sei die bessere Wahl. Mit Führung auf Zeit ergibt sich weniger Ego, weniger Macht, und Führung wird zur Dienstleistung. Kulturell gesehen war das aber ein Riesen-Einschnitt. Über das Chefsein zu diskutieren war für uns ein grösseres Tabu, als über Sex oder Politik zu reden. Und ich unter­ stelle mal: Das ist heute noch genauso schwierig

wie vor zehn Jahren. Ich halte Führung auf Zeit zwar für den richtigen Weg, aber er führt über ein Minenfeld. Haben die Alphatiere heute ausgedient? Die klassischen AlphaManager des Command & Control brauchen wir nicht mehr. Aber: Wir brauchen bei New-WorkStrukturen dennoch ganz viel Führung – sie muss nur massgeschneidert sein. Bei Haufeumantis haben wir aus dieser Erkenntnis unser sogenanntes Flotten­ modell entwickelt: mit einer Crew aus erfahrenen Kreuzfahrt­ kapitänen für das Kern­ geschäft, verrückten Wildwasserfahrern für Start-up-ähnliche Pro­ jekte und strategischen Wettkampfseglern, die Transformationen hart am Wind meistern.

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TEXT Mario Fuchs

RACHEL BÜHLMANN

VIER TAGE DIE WOCHE

Die vier Mit­ arbeiter:innen der Schweizer Kreativagentur Büro a+o ar­beiten nur von ­Montag bis D ­ onnerstag – bei vollem Gehalt. Führt das zu mehr Zufriedenheit und Kreativität im Team? Ein Lokal­augenschein.

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Andreas Ott, Agenturinhaber Bevor er vor 13 Jahren die Kreativagentur Büro a+o gründete, hatte der Schweizer Medienkunst und ­Grafikdesign studiert. Als er 2016 Vater wurde, führte er in seiner Agentur die 4-Tage-Woche ein. INNOVATOR

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Der Ort, an dem es zwischen Montag­ morgen und Wochenende nur vier ­Arbeitstage gibt, liegt hinter einem guss­ eisernen Gartentürchen in der Schweizer Kleinstadt Aarau. In einem versteckten alten Künstleratelier ist das Büro a+o zu Hause. Auf den ersten Blick eine ­gewöhnliche Grafikagentur: iMacs auf ­Pulten, Typografiebände in Regalen, Skizzenblätter an Wänden. Das Besonde­ re, die kleine Revolution, die diese Agen­ tur von anderen und eigentlich von fast jedem Unternehmen auf dem europäi­ schen Festland abhebt, steht in der letz­ ten Zeile der E-Mail-Signatur – «Unsere Bürozeiten: Montag bis Donnerstag». Nicht auf Knopfdruck Andreas Ott, Inhaber und Creative ­Director der Agentur, und Art-Direktorin ­Aurelia Zihlmann sitzen auf Hockern an einem Stehtisch. «Es war eine Bauch­ entscheidung», sagt Andreas und erzählt die Geschichte, die sein Arbeitsethos für immer verändert hat. 2016 wird er zum ersten Mal Vater. Und stellt fest: «Es ist schön, mehr Zeit mit dem Kind zu ver­ bringen und nicht jeden Tag arbeiten zu gehen.» Am Freitag, seinem Papatag, ist die damals einzige Mitarbeiterin Aurelia allein im Büro. Ein Kunde hat eine drin­ gende Frage, sie will sich absichern, beim Chef klingelt das Handy – und beide merken, dass optimal anders wäre. Kurz

darauf will er ihr am Jahresendgespräch eine Lohnerhöhung geben, weil sie gerade­ ihr Studium abgeschlossen hat und das Geschäftsjahr erfolgreich verlaufen ist. An einem Mittag fahren sie aus der Stadt hinauf in die Hügel, Gastwirtschaft Jura­ weid. Der Weitblick über das Tal eröffnet eine neue Perspektive. Er fragt, ob sie ­bereit wäre, bei gleichem Lohn weiter im Büro zu arbeiten – dafür jede Woche einen Tag weniger. Andreas Ott hatte da­ mals den Begriff 4-Tage-Woche noch nie ­gehört. «Ich wusste nicht, dass das ein Konzept ist. Ich wollte einfach mehr Zeit zum Leben.» Mittlerweile ist Aurelia sechs Jahre bei a+o und sagt: «Für mich war die Umstellung perfekt. Ich war noch nie gut darin, meine kreativen Phasen zu steuern. Am Pult zu sitzen und Ideen auf Knopfdruck zu haben ist nicht die Art, wie es bei mir funktioniert.» Lieber geht sie an einem Freitag ins Museum, lässt sich zum Thema, für das sie gerade ein Corporate Design erarbeitet, be­ rieseln, schreibt daheim erste Ideen auf. «Nicht weil ich das Gefühl habe, dass ich müsste. Sondern weil ich dann gerade im Flow bin.» Blending statt Balance Der Gedanke hinter der 4-Tage-Woche ist simpel. Wer einen Tag weniger arbei­ tet, hat mehr Zeit für anderes. Erholung oder Inspiration, Netzwerkbesuche oder

Das Herz der Agen­ tur: «Im Design­ studio arbeiten wir jeder für sich oder auch gemeinsam in Workshops», sagt Geschäftsführer Andreas Ott.

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DAS SAGT DER EXPERTE

Drei Fragen an den Arbeitspsychologen Prof. Dr. Thomas Rigotti zur 4-Tage-Woche Menschen, die weniger ­arbeiten, sind motivierter. Stimmt das? Studien zur Arbeitszeit­ reduktion zeigen in der Tat positive Effekte auf die ­Zufriedenheit und Einsatzbereitschaft. Aber es sind auch noch andere Faktoren wichtig: etwa die Arbeitsaufgaben und die Beziehungen zu Kollegen.

Janiva Wittmer, Strategie und Beratung Kann den freien Freitag gut zum Pauken ­gebrauchen: Die 25-jährige ­Janiva Wittmer ­studiert nebenher noch Visuelle Kommunikation.

LUIS HARTL, ANDREAS OTT

«ICH WUSSTE DAMALS NOCH NICHT, DASS ES DAS KONZEPT DER 4‑TAGE-WOCHE GIBT. ICH WOLLTE NUR MEHR ZEIT ZUM LEBEN HABEN.» Andreas Ott, 36, Agentur-Inhaber

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Hat die 4-Tage-Woche auch Nachteile? Es kann zu sozialer Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt kommen, wenn diese Option nur Teilgruppen ­eines Berufsfelds ermöglicht wird. Vereinzelt lassen sich auch Hinweise finden, dass es nach einer gewissen Zeit zu Gewöhnungseffekten kommt und die Motivation etwas nachlässt. In welchen Branchen ist sie sinnvoll – und wo schwieriger umzusetzen? Die 4-Tage-Woche flächendeckend umzusetzen wird auf absehbare Zeit kaum gelingen. Besonders im Dienstleistungssektor, wo die Interaktion mit dem Kunden im Vordergrund steht, wird es für Arbeit­ geber nicht rentabel sein.

PROF. DR. THOMAS RIGOTTI, 47, ist Professor für Arbeits-, ­Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der ­Johannes Gutenberg-­ Universität in Mainz.

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«ÜBERSTUNDEN MACHEN? GENAU DREI MAL IN SECHS JAHREN.» Aurelia Zihlmann, Art-Direktorin

­ eiterbildung, um den Kopf wieder W für Kreativität freizubekommen. Das ­Resultat: Work-Life-Blending statt WorkLife-Balance. Keine strikte Trennung mehr von Erwerbs- und Privatleben, ­sondern die Integration des Tuns ins Sein. In der Theorie der Soziologie weichen sich so die Grenzen zwischen der Arbeit hier und dem Vergnügen dort auf, greifen beide Bereiche ineinander über – und es ­resultiert daraus ein zufriedenerer, gesünderer und kreativerer Mensch. In der Praxis im Büro a+o heisst das: Am Donnerstag um 16 Uhr ist Feierabend, dann gibt es «Bier um vier», das «nicht immer Bier sein muss», und «auch nicht immer Punkt vier», aber spätestens um 18 Uhr ist niemand mehr hinter einem iMac zu sehen. Dann ist Wochenende. Grafikerin Roberta Nembrini, 26, geht seit ein paar Monaten freitags in die Schule, um Interaction Design zu studieren. Daneben gestaltet sie in Freiwilligenarbeit die visuelle Kommunikation für das grösste Kultur- und Klublokal von Aarau und engagiert sich im Vorstand eines ­örtlichen Unverpackt-Ladens. «Das wäre ­alles viel schlechter handlebar, wenn ich diesen Tag nicht hätte. Klar ist es auch Arbeit, aber ich schöpfe extrem viel Energie daraus.» Die ehemalige Praktikantin Janiva Wittmer, 25, ist mit einem 20-Prozent-Pensum die einzige Teilzeit-Angestellte. Sie ist noch im Bachelor-Studium und deshalb wie Roberta ganz froh, mit dem Freitag einen fixen Tag zu haben, an dem geschäftlich niemand etwas von ihr will. Beide haben die Erfahrung gemacht, dass sie in der Schule dafür auch mal beneidet werden. Roberta sagt es so: «Die anderen müssen zu Mittag mit der Chefin telefonieren, um einen 44

Auf der Terrasse trifft sich das Team bei schönem Wetter zum Mittagessen – und donnerstags gibt es hier nach ­Feierabend das «Bier um vier». INNOVATOR


RACHEL BÜHLMANN, LUIS HARTL

Druck­auftrag durchzugeben. Ich bin dann die, die entspannt dasitzen und einfach nur zu Mittag essen kann.» Andreas Ott wertet die Umstellung auf die 4-Tage-Woche als Erfolg. Aus dem Team kämen einfach mehr Power, bessere Ideen. Und eine tiefere Verbundenheit mit dem Unternehmen. Die einzige Mitarbeiterin, die das Team in den sechs Jahren verlassen hat, tat dies, weil sie aufgrund der Nachfolgeregelung in ihren elterlichen Betrieb einstieg.

Aurelia Zihlmann, Art-Direktorin Die 31-Jährige arbeitet seit sechs Jahren für Büro a+o und ist zuständig für ­Illustrationen und ­Animationen.

Jetzt einfach schneller Doch weniger Arbeitszeit bedeutet auch weniger Präsenzzeit. Sorgt das für mehr Überstunden? Aurelia: «Genau drei Mal in sechs Jahren.» Ein Problem für die Kundschaft, die stete Ansprechbarkeit ­erwartet? Andreas lächelt halb stolz, halb ungläubig, fast so, als käme es ihm, wenn er es ausspricht, zu kitschig vor: «Im ­Gegenteil. Alle haben es sofort akzeptiert. Und einige haben sogar begonnen, es bei sich auch einzuführen.» Zu wenig Zeit, wichtige Design-Entscheidungen gründlich durchzudenken? Ja, dabei habe man zu Beginn Skepsis gehabt. Aber schnell habe sich gezeigt, dass die Verknappung nicht lähme, sondern ermutige: «Wir ­entscheiden jetzt einfach schneller.» Für jede Woche werden am Montagmorgen

konkrete Ziele gefasst. Montag und Dienstag sind Block 1, Mittwoch und Donnerstag Block 2, dazwischen gibt es ein Status-Update mit dem gesamten Team und involvierten Freelancern. Am Ende von Block 2 müssen die Ziele erreicht sein. Dann gibt es Bier um vier. Eine Einschränkung gibt es von ­Andreas Ott aber doch: «Ob das Modell in der grossen Druckerei, in der ich früher gearbeitet habe, auch funktionieren würde, ist eine berechtigte Frage.» Für die Angestellten im Büro vielleicht – für die im Schichtbetrieb an der Druckmaschine kaum. Es ist deshalb nicht sein Ziel, zu missionieren. Seine Empfehlung lautet, sich eine Frage zu stellen: «Warum?» Quasi: nicht blind zu kopieren, sondern sich selbst zu hinterfragen. Warum bedeutet mir Arbeit etwas, warum Geld, warum freie Zeit? Und dann die Konsequenzen zu ziehen. «Man muss leben, was man bewirken will.» Für ihn ist es deshalb die beste Bestätigung, dass sich im Zuge des 4-Tage-Modells langsam der Kundenstamm verändert. Die jüngsten sind ein Unternehmen, das Arbeitsplätze ökologisch begrünen will, und eines, das umweltverträgliche Bike-Trails baut. Dann müssen sie wieder an die Arbeit. Denn in dreieinhalb Tagen ist schon ­Wochenende.

Roberta Nembrini, Designerin Die 26-Jährige ist vor zwei Jahren als digitale Designerin zum Team ­gestossen. INNOVATOR

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HOME, SMART HOME

WOHNZIMMER

DER KUNSTAFFINE FERNSEHER «Wir haben gar keinen Fernseher mehr» ist ein unter Bildungsbürgern gern gesprochener Satz. Mit der Botschaft: Wir verschandeln unsere Altbauwände doch nicht mit hässlichen Flachbildfernsehern, sondern schmücken sie lieber mit Gemälden. Wer sich aber Samsungs «The Frame» kauft und an die Wand hängt, wird von Kunstsammlern und Designfans gleichermassen Applaus bekommen. Das Gerät ist zugleich ein 4K-QLED-Fernseher und ein digitaler High-EndBilderrahmen. Wenn man also gerade keine Filme, Serien oder Nachrichten sieht, fällt The Frame in einen Schlummermodus,

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TEXT Marc Baumann

«Art Mode» genannt, und wird zum Bilderrahmen. Dann kann man aus bislang schon 1400 Gemälden auswählen (die im Rahmen tatsächlich wie gemalt aussehen) oder auch eigene Fotos zeigen. Mittels smarter Helligkeits- und Bewegungssensoren macht The Frame das Wohnzimmer zum neuen Lieblingsmuseum. Und auch die Farbe des Rahmens kann dank Magneten im Handumdrehen angepasst werden. The Frame, Samsung, ab 1 299 CHF

Wohnungen sind so individuell wie ihre Bewohner. Wir stellen Ihnen smarte Gadgets vor, mit ­denen Sie Ihrem ­Zuhause einen Touch Innovation verleihen können – sei es im Design, in der Nachhaltigkeit oder im Komfort.

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HOMEOFFICE

SAMSUNG, OASE.COM

DAS SMARTE TERRARIUM

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Dass ein Ausflug in die Natur unsere Gesundheit fördert, ist bekannt. Neue Studien zeigen, dass sogar schon Fotos oder Bilder von Bäumen unser Wohlbefinden steigern. Wie gut wird einem da erst so ein schickes «biOrb AIR»Terrarium tun? Damit kann man selbst kleine Tropenpflanzen in seine Wohnung oder sein Büro holen. Das 60 Zentimeter

hohe Terrarium lässt die Pflanzen auch in schwach beleuchteten Räumen oder im tiefsten Winter gedeihen. Das biOrb verdankt seinen grünen Daumen lauter smarter Technik: Ein Verdampfer mit inte­ griertem Tank reguliert die Luftfeuchtig­keit, ein Belüftungs­system filtert die Luft, und eine LED-Beleuchtung simu­ liert den natürlichen

Sonnenverlauf. Im biOrb wachsen übrigens auch Bonsais sehr gut, und deren positive Wirkung kennt man – auch ohne Wissenschaft – aus den «Karate Kid»Filmen (oder der «Cobra Kai»-Neuverfilmung). biOrb AIR, Oase, ca. 430 CHF

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ARBEITSPLATZ

DER SCHLAUE CO 2 -MESSER Es hätte echt keiner ­globalen Pandemie ­bedurft, um uns zu beweisen, dass Lüften guttut. Dafür hätten bereits diese Statistiken gereicht: Schlechte Raumluft mindert die Konzentrationsfähigkeit um bis 70 Prozent und ­erhöht gesundheits­ bedingte Ausfälle um mehr als 50 Prozent.

Das Risiko einer CoronaInfektion durch Aerosole kann mit offenen Fenstern merklich gesenkt werden, darum sollte man das richtige Lüften nicht dem Bauchgefühl überlassen oder warten, bis jemand ins Zimmer kommt und «Puuuh, mach doch entlich ein Fenster auf!» fleht. Die in der Schweiz her­ gestellte Airica-Box misst eindeutig und wartungsfrei CO²-Gehalt, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, flüchtige organische Stoffe,

Feinstaub – und kann sogar in Bürogebäuden anzeigen, welche Räume wie häufig belegt sind. Stromanschluss oder Wi‑Fi sind nicht nötig, die Daten können digital etwa an Slack-Kalender gesendet werden, oder die Box schlägt selbst Alarm bei schlechter Luft. Indoor Air Quality ­Solution, Airica, ab 269 CHF

KÜCHE

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Man muss schon ein sehr, sehr grosser Tierfreund sein, um Fruchtfliegen zu mögen. Und selbst wenn, möchte man sie lieber nicht in Scharen durch die eigene Küche schweben sehen. Das kann aber passieren, wenn der Bioabfall im Sommer in gewöhnlichen Mülleimern landet. Und den entsprechenden Geruch

dazu hat man obendrein in der Wohnung. Darum kamen Schweizer Entwickler auf die Idee zum Freezy­boy. Deren Trick: Wer keine Fruchtfliegen will, braucht ewigen Winter.­Alle Speiseabfälle werden im Behälter auf minus fünf Grad Celsius runtergekühlt – damit ist der Verfaulungs- oder Verwesungsprozess gestoppt, notfalls für Wochen und selbst bei Fisch- und Fleischresten. Der Freezyboy passt in

gängige Mülltrennungssysteme oder lässt sich auch einzeln aufstellen und hat dabei eher die Anmutung eines technischen Gadgets denn eines herkömmlichen Abfalleimers.

AIRICA.COM, FREEZYBOY.COM, NANOLEAF.ME

DER EISKALTE ABFALLEIMER

Freezyboy, ab 1 090 CHF

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SCHLAFZIMMER

DIE STILVOLLE BELEUCHTUNG Es gibt Designer, die möchte man einmal am Tag auf den Schultern um sein Haus tragen – aus Dankbarkeit, weil sie etwas so Schönes wie die Nanoleaf Elements geschaffen haben.

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Sieben kleine sechsecki­ ge Lichtpaneele in Holz­ maserungsfurnier, die sich schon ausgeschaltet ohne Strom sehen lassen können – und erleuchtet dann ihre ganze Eleganz aufbieten. Die Nanoleafs werden an die Wand ge­ klebt, wobei man selber entscheiden kann, ob man daraus eine grosse runde Wabe baut oder doch lieber eine gezackte Linie. Die Nanoleafs sind vorrangig Lampe, also

erst einmal Lichtspender, aber zugleich geben sie die Stimmung des Raums vor – von warmen bis kühlen Beleuchtungs­ tönen, die man per App oder durch blosse Be­ rührung steuern kann. Selbst Lichtsequenzen lassen sich abspielen. Hexagon Starter Kit, Nanoleaf Elements, ca. 240 CHF

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BAD

DIE INTELLIGENTE HANDBRAUSE Wie smart ein Gerät ist, erkennt man am Detail: Die digitale Duschbrause von Amphiro funktioniert ohne externe Strom­ versorgung – weil sie die nötige Energie aus dem Wasserfluss mithilfe ­einer winzigen Turbine gewinnt. Hier denkt je­ mand mit. Ressourcen sparen und damit die Umwelt schonen – das wird bei Amphiro ernst­ haft gross­geschrieben: Deren digitale Brause zeigt nicht nur die ex­ akte Wassertemperatur an, sondern auch die verbrauchte Warm­

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wassermenge – und beides in Echtzeit dank einer f­ arbigen LED. Die zu­gehörige SmartphoneApp zeigt Verbrauchs­ trends an und unter­ stützt so das gezielte Senken des Wasserund Energieverbrauchs langfristig. Studien zei­ gen, dass das EchtzeitFeedback zum eigenen Verbrauch dabei hilft, sparsamer zu sein. Und für die jüngeren Nutzer kriegt das Energiesparen durch die Eisbär-Anima­ tion auf dem LC-Display sogar noch einen spiele­ rischen Charakter. digitale ­Handbrause, Amphiro, 129 CHF

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HAUSEINGANG

DAS LEISE TÜRSCHLOSS Schon einmal voll­ bepackt mit Einkaufs­ tüten nach Hause gekom­ men und dann versucht, den Hausschlüssel aus der hinteren Hosen­ tasche zu kriegen und trotz übervoller Hände aufzusperren? Das endet gerne mit zerplatzten Eiern, Milchflaschen oder Tomaten auf dem Fussboden. Oder: Man kauft sich ein Nuki Smart Lock 3.0 Pro. Das elek­ tro­nische Türschloss rettet einen nicht nur vor Toll­patschig­keit – es hilft auch bei Vergess­

lichkeit und spart viel Geld, weil man keine Schlüsseldienste mehr rufen muss. Die Familie oder andere Mitbewoh­ ner können einem die Tür digital aus der Ferne öffnen. Die neueste NukiVersion 3.0 Pro kann die Tür kontaktlos per Handy­ortung öffnen oder verschliessen, ist noch leiser geworden, und man kann zeitlich begrenzte Zutrittsgenehmigungen an Besucher vergeben. Auch smart: Für die Mon­ tage am bestehenden Türschloss braucht man nur drei Minuten – ohne Bohren. Smart Lock 3.0 Pro, Nuki, ca. 200 CHF

XX AMPHIRO.COM, EDITOR NUKI.IO, ILLUSTRATOR SAMSUNG.COM

KÜCHE

DER COOLE ASSISTENT INNOVATOR

Wenn man zu seinem Kühlschrank sprach, war das früher kein ­gutes Zeichen, Stichwort «plemplem». Auch Sätze wie «Das Kochen hat mir mein Kühlschrank beigebracht» oder «Ich schau jetzt im Kühl­ schrank nach, wie das

Wetter morgen wird» oder gar «Es klingelt an der Haustür – geh doch zum Kühlschrank und mach auf» hätten noch vor wenigen Jahren mit einem Arztbesuch geendet. Aber wir le­ ben ja im Zeitalter des Smart Home und der

Sprach­assistenten. Samsungs «Family Hub»Kühlschrank hat all das integriert – und jede Menge mehr. Der Kühl­ schrank kann auf einem grossen Display das ganze Zu­hause steuern: Haus­türen öffnen, Licht anschalten, Musik ab­ spielen. Er ist aber auch bei seinen eigent­lichen Kernkompetenzen stark: Kameras filmen das In­ nere und zeigen, was an Lebensmitteln noch vor­ rätig ist oder fehlt. Und dass er Kochvideos ab­ spielen kann, überrascht einen dann eigentlich gar nicht mehr. Nur: Essen muss man noch selber. Noch. Kühlschrank Family Hub, Samsung, ab 2 897 CHF

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SCHLAFZIMMER

DIE HELFENDE LICHTQUELLE Wer spätnachts schon einmal im Dunkeln bar­ fuss auf einen Legostein seiner Kinder gestiegen oder über den schlafen­ den Hund gefallen ist oder sich mit dem ge­ schätzten Abstand von Kopf und Türrahmen grob verschätzt hat, der dürfte ein grosser Fan von Paulmanns YourLED Night Comfort Set mit Bewegungsmelder werden. Denn das kann man diskret unterm Bett befestigen. Und wenn man dann mitten in der Nacht aufwacht, muss

man nicht wie früher zum Lichtschalter grei­ fen und sich und seinen Bettpartner grausam grell blenden – sondern findet mit sanft dosier­ ter Bodenbeleuchtung den richtigen Weg und bewahrt obendrein seine Müdigkeit für ein rasches Wiedereinschlafen. Ob man dabei die günstigste Lösung nimmt für nicht

einmal 30 Franken oder den Bewegungssensor mit etwas bunteren YourLED-Stripes ver­ bindet, ist jedem selbst überlassen – wobei man bei allzu kreativen DiskoLicht-Effekten eventuelle Mitschläfer im Raum vielleicht warnen sollte. YourLED, Paulmann, 28.95 CHF

WOHNZIMMER

DER CLEVERE ÜBERMITTLER Mit Käuferbewertungen im Internet sollte man vorsichtig sein, da liest man viel Quatsch – aber in manchen Fällen kön­ nen Kunden in zwei Sät­ zen ein Produkt besser erklären als Marketing­ abteilungen in ganzen Broschüren. Ein gewisser Carsten Z. schreibt über den Google Chromecast: «Ich habe einen Fern­ seher, der ist 7 Jahre alt, steht im Schlafzimmer und ist von Smart TV ganz weit entfernt. Die Lösung ist Chromecast – und schon ist der alte TV ein Smart TV, alles ganz einfach.» Stimmt!

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Der Chromecast über­ trägt nämlich Filme oder Serien oder alles andere, was das kleine Display von Smartphone, Laptop oder Tablet anzeigt, auf den grossen Fernsehbild­ schirm. Wer also genug davon hat, cineastische Meisterwerke, die Oscars für die beste Kamera ge­ wonnen haben, auf einem Handybildschirm in Ziga­ rettenschachtelgrösse zu sehen, der kann hier für wenig Geld viel Bild­ schirm kriegen. Chromecast, Google, 39 CHF

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PAULMANN.COM, GOOGLE.COM/CHROMECAST

KÜCHE

DER AUTONOME MINIGARTEN

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Wie sehr uns das ­Basilikum hassen muss! All die vertrockneten oder bis zur Unkenntlichkeit abgezupften Töpfe, die in unseren Küchen traurig vor sich hin vegetieren. Weil wir zu wenig giessen oder zu viel oder es sogar ganz vergessen. Irgendwie geht das ständig schief mit uns und den Küchenkräutern – aber die Rettung ist nah:

Der «Smart Garden 3» lässt Kräuter, Obst und Gemüse fast von allein wachsen, das ganze Jahr über. Der Mini­garten erinnert entfernt an eine Kapselkaffee­maschine: Abbaubare Pflanzenkapseln mit Samen und Nährstoffen werden eingesetzt, der «Smart Garden» sorgt dann für perfekt kali­brierte, automatisierte Bewässerung

und Licht. Das StarterSet kommt mit drei Basilikum-Kapseln, darüber hinaus gibt es mehr als 75 Pflanzensorten zur Auswahl – und man kann auch seine eigenen Sorten ausprobieren. Smart Garden 3, Click & Grow, ca. 145 CHF

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DAN CERMAK

GOOD NEWS AUS DER ZUKUNFT

SIMON SCHREYER

Sechs erfrischende Schweizer Start-ups und wie sie unseren Alltag einfacher und lebenswerter machen.

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Kostenlose Aus­ bildungen im Bereich der künstlichen ­Intelligenz: Die Initia­ tive «10million.AI» von Global AI Hub bietet Interessierten rund um die Welt ­digitalen Zugang, wie Elena Kessler, Head of Business Global AI Hub Schweiz, erklärt.

«Wir möchten weltweit im Bereich der künstlichen Intelligenz ausbilden.» Elena Kessler, Global AI Hub


«Wir verstehen uns als Community für alle, die ein Interesse an Technologie und künstlicher Intelligenz haben.» Elena Kessler vom Global AI Hub beim Treffen in Zürich

Know-howTransfer. Global AI Hub macht auch ärmeren Regionen der Welt Wissen zugänglich.


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GLOBAL AI HUB AUSBILDUNG FÜR ALLE

DAN CERMAK

Das Start-up Global AI Hub hat im Jahr 2020 die Initia­ tive «10million.AI» ins Leben gerufen, um eine zukunftsweisende Plattform für Aus­ bildungen im Bereich der künstlichen Intelligenz zu schaffen. Ihr hoher Anspruch: kostenloses digitales HomeSchooling und hochwertige Ausbildungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (AI) weltweit zur Verfügung zu stellen. Elena Kessler, Head of Business für die Schweiz: «Wir verstehen uns als Community für alle Menschen, die ein Interesse an Technologie und AI haben. Über unser globales Netzwerk erhalten bereits 100.000 Studierende Zugang zu einer grossen Lehrstoffbibliothek, VideoLectures, Skripten und Live-Unterricht. In unserer Community finden sich auch zahlreiche Jobangebote und Schnittstellen zu Projekten und Firmen, die uns unterstützen: Die Förderung von Talenten ist für alle eine Winwin-Situation.» Wie sieht das konkret aus? Etwa so: Du hast «Blade Runner», «Her» und «Ex Machina» gesehen und seither ein brennendes Interesse an Robotik,

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aber keinen Plan, wie du das Studium am besten angehst. Durch Global AI Hub kannst du dir ein massgeschneider­ tes Career Development an­ legen lassen oder dich über verschiedene Fächeroptionen auf diesem Gebiet informieren. Elena Kessler: «Meistens empfehlen wir in diesem Fall, unseren dreistündigen Einführungskurs ‹Introduction to AI, R ­ obotics and Data› zu be­legen. Den kannst du dir dann selbst zeitlich einteilen und in Abschnitten ansehen. Unsere Lernvideos sind dabei sehr unterhaltsam und zeigen viele praxisorien­tierte Beispiele auf.» Die Klassen werden auf Englisch und Deutsch an­ geboten. Am Ende der Kurse

Wir stellen HomeSchooling im Bereich künstliche Intelligenz zur Verfügung. Und das kostenlos.

legen die Studierenden ganz traditionell eine Prüfung ab und erhalten ein international gültiges Zertifikat. Weitere interessante Lectures des Global AI Hub: künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen, Hyperautomation, neuronale Netzwerke und ihr Einfluss auf Deep Learning, die Techno­logien hinter ­Social Media und vieles mehr. Bis 2025 rechnet Global AI Hub mit 10 Millionen Mitgliedern. Die Initiative «10million.AI» wird vom Co-Initiator AI Business School massgeblich ­unterstützt durch die finanzielle Beteiligung und Bereitstellung der Kursinhalte. Sitz des Unternehmens ist Freienbach, Schwyz, mit einem weiteren Office in Istanbul, wo das Projekt «10million.AI» aufgrund des Netzwerks von Global AI Hub erstmals lanciert ­wurde. Gefördert werden mit be­ sonderem Augenmerk ärmere Regionen der Welt, denen Wissen zu künstlicher Intel­ li­genz zugänglich gemacht werden soll. Und: Das An­ gebot richtet sich explizit an Frauen. An ein besonders ­berührendes Erlebnis er­ innert sich Elena Kessler sehr gerne: «Die meisten unserer Teilnehmer sind zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Unser Einführungskurs in der Programmiersprache Python wurde im vergangenen Jahr allerdings von gleich drei Generationen einer Familie in Indien besucht: Oma, ­Vater und Tochter.» Ein Beispiel, das hoffentlich Schule macht. globalaihub.com

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Obit aut inctibus, veligniet et pratatia volorio dolecto repraes aut lis is explabo. Et acipite cturept atumenest, volorepudic

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CHIMPY BIOSTROM FÜR UNTERWEGS Du kennst das Gefühl: Der Akku deines Smartphones hat nur noch zwei Prozent. Das ist lästig, wenn du gerade einen Sonnenuntergang fotografierst, und stressig, wenn du gerade deinen digitalen Impfpass vorweisen willst. Und richtig alarmierend, wenn du im Backcountry einen Notruf absetzen musst. Mit einem externen Akku von Chimpy allerdings ist es einfach, in all diesen Situationen cool zu bleiben. Wo gibt’s denn so was, fragst du? An bereits 1500 Standorten in ganz Europa, bei denen du gegen ein Deposit von 15 CHF und eine Gebühr von 4 CHF eine 58

Andreas Braendle ist Co-Founder und CEO des Start-ups.

Mirko Hofmann ist ebenso Co-Founder des erfolgreichen Unternehmens.

Clement Obiegbu ist der Creative Brand Manager des Start-ups Chimpy.

mobile Powerbank für sieben Tage ausleihen und bei jedem Chimpy-Automaten wieder zurückgeben kannst. Mit ­dabei: L ­ adekabel für jeden Handytyp. Das Zürcher Start-­ up versteht sich als karbon­ negativer Kreislaufdienst­ leister mit fossilfreier Logistik (E-Bike, Bahn). Die Akkus werden mit 100 Prozent er­ neuerbarer Solarenergie geladen und wiederverwendet. Das bedeutet vier Tonnen ­weniger CO²-Ausstoss pro Million v­ erliehener Akkus. Also: ­Leihen. Laden. Los geht’s!

Die Leih-Akkus des Zürcher Start-ups Chimpy werden mit 100 Prozent erneuerbarer Solarenergie geladen und wiederverwendet.

heychimpy.com

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Heissgetränk ­geniessen und ­etwas Gutes tun: Torge Barkholtz ist Co-Founder von ­Kooky, dem ersten digitalen Mehrwegsystem mit Rück­ gabestationen.

PASCALE WEBER PHOTOGRAPHY

KOOKY CUPS MEHRWEGBECHER FÜR WENIGER ABFALL Täglich landen weltweit 1,6 Milliarden Einwegbecher im Müll. Das entspricht der Masse einer durchschnittlichen Insel in der Lagune von Venedig. Die dabei verschwendete Energie reicht, um Las Vegas für 75 Tage mit Strom zu versorgen. Torge Barkholtz und Max Zott schufen eine Alternative zu diesem Wahnsinn – Kooky, das erste digitale Mehrwegsystem mit Rückgabestationen. Torge: «Unsere Becher sind widerstandsfähig und lassen sich 500 Mal waschen. In Zukunft wollen wir erdölfreie Materialien einführen und unser Portfolio erweitern, nicht nur im Bereich Coffee to go.» Nach dem Genuss wird der Code des Bechers eingescannt und dessen Wert (1 CHF) dem Depot-Guthaben deiner AppWallet zugerechnet. Auch für die Rückgabe-Infrastruktur sorgt das Schweizer Start-up: Die nächste Kooky-Box ist ­näher, als du denkst. In Zürich und Basel gibt es ­Kooky schon in vielen Cafés und Bars. Für Gastronomen rechnet sich das System ab 15 verkauften Einheiten im Vergleich zu ­Einwegbechern – und die ­Abfallgebühr sinkt ebenfalls.

«Unsere Becher sind widerstands­ fähig und lassen sich 500 Mal waschen.» Torge Barkholtz, Co-Founder von Kooky

kooky2go.com INNOVATOR

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SEDIMENTUM SMARTER SCHUTZENGEL

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LIIVA ALLES UNTER DACH UND FACH Hausbesitzer und Hausbesit­ zerinnen haben es mit jeder Menge Husi (Hausaufgaben) zu tun. Liiva, entstanden aus einer Partnerschaft zwischen Mobiliar und Raiffeisen, ist eine responsive Website, die dir volle Kontrolle über alle wichtigen Faktoren verschafft: In welchem Zu­ stand befindet sich mein Haus ­eigentlich? Welches Heizungs­system empfiehlt 60

Sie leiten das junge und ambitionierte Team von Liiva: (von links) CEO Phil Lojacono, Chief Technology Officer ­Benedikt Unold, Chief Business Officer ­Matthias Kern und ­Senior Vice President Marketing & Communication Nathalie Saidj.

sich? Wie hoch sind die Emissions­werte? Welche problema­tischen Isolations­ zonen hat das Dach? Alles Parameter, die Liiva in ­E-­Dossiers veranschaulicht. Noch dazu gratis. Aber nicht nur das: Liiva gibt Tipps zur ökologischen Modernisierung und hilft bei der Suche nach deinem Traumhaus. Deine Daten werden vertraulich ­gehandhabt und nur inner­ halb der Schweiz gehostet. liiva.ch

Jährlich stürzen weltweit über 16,4 Millionen Men­ schen in Wohneinrichtungen, die anschliessend eine me­ di­zinische Versorgung benö­ tigen. Obwohl ein Teil der älteren Menschen ein Notruf­ system besitzt, kann dieses häufig nicht aktiviert wer­ den. Gründe dafür sind oft Bewusst­losigkeit oder andere sturzbedingte Unfähigkeit, den Alarm auszulösen. Wie schafft man es, sturzgefähr­ de­ten und ge­brechlichen Per­ sonen eine passive Sicherheit zu bieten, ohne dass sie dabei etwas aktiv betätigen oder auf sich tragen? Die Antwort darauf l­ iefert Sedimentum mit seinem Sturzmelder, der, ähnlich wie ein Rauchmelder, an der Decke installiert wird und ohne Mikro und Kamera kontaktlos Bewegungen im Raum analysiert. Dabei kann das Gerät in Kombination mit künstlicher Intelligenz Fitness­ übungen von einem Sturz ­unterscheiden. Im Ernst­fall wird ein automatischer Alarm über eine App bei der Bezugsoder Pflegeperson ausgelöst. Somit ist bei Schutzbedürf­ tigen für Safe Living und Un­ abhängigkeit gleichermassen gesorgt. Dafür gab es mehrere Start-up-Awards, etwa von Tech Data Schweiz und von der Hochschule Luzern. sedimentum.com

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Riam alit et quiae pro que evelign atemposae derspic iasseca tiore, ulpa consercit fuga. Hili­ qui cum aut por sumquam ad maios

Das Gerät wird wie ein Rauchmelder an der Decke ­montiert. Es kann Fitness­übungen, spielende Enkel­ kinder oder auch springende Katzen von einem Sturz unterscheiden.

Der Sturzmelder analysiert ­ ewegungen im Raum mithilfe B künstlicher Intelligenz. Im Ernst­ fall löst er einen Alarm aus.

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Das Team rund um die Schweizer Er­ findung Sedimentum: (von links) Chief Techno­logy Officer ­Arthur Habicht, ­Co-Founder und CEO Sandro Cilurzo und ­Co-Founderin und Chief Operating Officer Eugenie Nicoud.

«Jeder Mensch soll sich da, wo er wohnt, sicher fühlen. Ob jung oder alt, krank oder gesund, autonom oder pflegebedürftig – Sicherheit und Schutz steht allen zu.» Eugenie Nicoud, Co-Founderin Sedimentum

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KITRO RETTET LEBENSMITTEL 2016 besuchten Naomi ­MacKenzie und Anastasia Hofmann die École hôte­lière de Lausanne und waren ent­ setzt darüber, wie viele hoch­ wertige Lebensmittel täglich im Küchenabfall lande­ten. Bereits im Jahr darauf dach­ ten sich die beiden Kitro aus, eine Messeinrichtung für Ab­ fälle, und die funktioniert so: Das stabähnliche Gerät mit Kamera, Waage und AI misst Gewicht und Volumen der Abfälle, fotografiert und ana­ lysiert sie. Aus den gewonne­ nen Daten errechnet eine Software, wo das Restaurant oder die Hotelküche in Zu­ kunft Einkäufe und somit Geld sparen kann – nicht nur bei den Frühstücks­klassikern Gipfeli und Butter. Die Hard­ ware ist schnell in­stalliert und robust genug fürs Hand­ ling in Grossküchen. Das ­finden auch viele Küchen­ chefs, Hoteleinkäufer und Restaurant­manager. So zum Beispiel Dörte Bachmann, zuständig für Sustainability bei der Gastronomie- und Hotel­management-Gruppe SV Group: «Kitro ist einfach in der Anwendung und hat unseren Restaurants in drei Monaten geholfen, 34 Prozent der Tellerreste zu reduzieren.» kitro.ch

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Dank künstlicher Intelligenz und ­einer Waage zeigt Kitro Einsparmöglichkeiten auf. Die Daten können in Echtzeit eingesehen werden.

Co-Founderinnen Anastasia Hofmann und Naomi MacKenzie revolutionieren mit Kitro Hotelund Restaurantküchen.

INNOVATOR


sch rau ben

40.– Eurotec Konstruktionsschrauben 25 Stk.

Fast alles für fast jede*n


SEELIG* SIND DIE FITTEN IM GEISTE

Kreativität ist kein Talent, sondern eine Fähigkeit, die du trainieren kannst: 10 Workouts für mehr Spass beim Denken.

* TINA SEELIG, 64, ist Buchautorin und Direktorin des Fach­bereichs Ingenieur­ wissenschaften an der US‑Universität ­Stanford, Kalifornien.

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Der Klassiker im Berufs- und Studien­ alltag: Aus den Kolleginnen und Kol­legen sprudeln die kreativen Ideen nur so heraus – während man selbst seit einer Stunde ratlos auf ein weisses Blatt Papier starrt. Kopf hoch. Kreativität ist kein Talent – sondern eine Fähigkeit. Wie Mathe oder das Spielen ­eines Instruments. Jeder von uns könne Kreativität lernen und darin besser werden, sagt Tina Seelig. Die Professorin an der amerikanischen EliteUniversität Stanford hat zahlreiche Silicon-Valley-­Genies in der Kunst der Kreativität unterrichtet und ihnen zu Geistesblitzen verholfen. Ihr TED Talk wurde im Internet über drei Millionen Mal aufgerufen. Hier verrät uns die Expertin, wie wir auf originelle Lösungen kommen.

KATHERINE EMERY

TEXT Maximilian Reich


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Tanzen und Essen

Plakatieren

Unser Körper und unser Geist hängen immer zusammen. Wenn zum Beispiel das Herz schneller schlägt, dann registriert dies das Gehirn. Man wird gestresst – und damit in der Kreativität blockiert. Im Unterricht frühstücke ich deshalb mit meinen Studenten, und wir haben immer Snacks. Es ist schwierig, sich zu konzen­ trieren und auf kreative Ideen zu kommen, wenn man Hunger hat. Ich hatte auch mal einen Tanz­ lehrer eingeladen, um mit mei­ nen Studenten vor dem Unter­ richt ein paar Tanzübungen zu machen. Körperliche Anstrengun­ gen lösen den Körper und damit auch den Verstand. Wir sind viel kreativer, wenn wir uns vorher ein bisschen bewegt haben.

Bevor Sie mit der BrainstormingRunde anfangen, sollten Sie alle Stühle aus dem Zimmer entfernen. Die Teilnehmer sind dynamischer und engagierter, wenn sie sich be­ wegen. Die ideale Teilnehmerzahl besteht aus sechs bis acht Personen, wobei es wichtig ist, nicht nur Kollegen einzuladen, mit denen man sich gut versteht. Die Mitglieder sollten möglichst verschiedene Ansichten zu dem Thema haben. Meistens wird ein Flipchart benutzt, um die Ideen aufzuschreiben. Aber Achtung: Sobald der Platz zum Schreiben ausgeht, versickert meistens auch der Ideenfluss. Also beklebt man am besten alle Wände im Zimmer mit leeren Plakaten.

Blöde Ideen sammeln

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Chindōgu! Noch eine Übung, die ich sehr gerne mit meinen Studenten zu Beginn zum Aufwärmen mache. Dabei handelt es sich um ein japa­ nisches Spiel. Man überlegt sich eine völlig unnötige Erfindung, die in einer gewissen Weise sogar irgendwie ein bisschen Sinn ergibt – aber e­ igentlich ziemlich albern ist. Zum Beispiel Schuhe, an denen kleine Regenschirme befestigt sind, damit die Füsse im Regen nicht nass werden. Die Erfin­dungen haben immer etwas an sich, was lustig und über­ raschend ist. Das Ziel der Übung ist es, die Vorstellungskraft­ zu ­Beginn des Unterrichts ein bisschen zu stretchen und auf Temperatur zu bringen.

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Eine Regel beim Brainstorming lautet: Kein Vorschlag wird ver­ urteilt. Es gibt keine blöden Ideen. Bei dieser Technik sind sie sogar ausdrücklich erwünscht. Wenn man gute Ideen sammelt, ist das Ergebnis oft vorhersehbar. Wenn man zum Beispiel überlegt, wo man den Urlaub verbringen könnte, dann kommen Vorschläge wie Hawaii, Disneyland oder eine Kreuzfahrt. Doch wenn man verrückte Ideen sammelt – dann kriegt man völlig unübliche Vorschläge, solche, die ziem­ lich absurd sind. Was wäre der denkbar schlechteste Lösungsansatz? Für gewöhnlich steckt in dem Gedanken trotzdem ein interessanter Samen. Und wenn man den durch die Linse näher betrachtet und sich darauf konzentriert – dann kommt man plötzlich auf ziemlich originelle Ideen. Ein weiterer Vorteil: Die Teilnehmer haben mehr Spass und sind engagierter.

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WARUM REGEN SCHIRMCHEN AUF SCHUHEN TOTAL SINNVOLL SIND.

Wörter tauschen Bei dieser Methode geht es dar­ um, den Rahmen des Problems zu verschieben, um einen neuen Blickwinkel zu gewinnen. Dazu reicht es schon, in der Frage­ stellung nur ein Wort zu ver­ ändern – und man setzt damit völlig neue Ideen frei. Ein Bei­ spiel. Die Aufgabe lautet: «Ich muss für meine Gäste ein Weih­ nachtsessen zu­bereiten.» Wie wäre es, wenn wir stattdessen nun sagten: «Ich muss für meine Gäste ein Weihnachtsbuffet zu­ bereiten.» Oder ein Weihnachts­ picknick. Sofort kämen ­einem ganz andere Ideen in den Kopf. Oder was wäre, wenn die Gäste alle fünf Jahre alt sind? Oder neunzig Jahre alt?

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MULTITASKING? VERGISS ES. GEH LIEBER UNTER DIE DUSCHE.

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Das Duden-Orakel

Zu viel des Guten

Eine Weile habe ich aus Spass ­immer die Cover des Magazins «The New Yorker» ausgeschnitten und zu Collagen zusammen­ geklebt. Eigentlich war es ein Kunstprojekt. Es ist aber tat­ sächlich auch eine grossartige Möglichkeit, um neue Ideen zu generieren, wenn man scheinbar zusammenhanglose Dinge mit­ einander verknüpft. Im Grunde baut jede grossartige Geschäfts­ idee auf dieser Methode auf. Ein Beispiel: Wir haben Hotels, und wir haben Wohnungen. Was passiert, wenn wir diese miteinander verknüpfen? Das Ergebnis: Airbnb. Statt Collagen zu basteln, kann man auch ein Wörterbuch benutzen, das funk­ tioniert genauso. Früher habe ich mit meinen Studenten folgende Übung gemacht: Wähle ein Pro­ blem in deinem Leben. Nun tippst du blind auf irgendein Wort im Wörterbuch und überlegst dir, wie dieses Wort dir dabei hilft, dein Problem zu lösen. Das Wort ist wie eine Tür, die dich zu neuen Lösungen führen wird.

Diese Übung habe ich mal mit Studenten im Rahmen eines Workshops gemacht: Sie sollten sich 100 Lösungen zu einem Pro­ blem ausdenken, wie einem oder einer schnarchenden Partner:in im Bett. Und jede Lösung musste in irgendeiner Weise mit Musik zu tun haben. Einige Studenten dachten, ich hätte mich ver­ tan und eigentlich zehn Ideen gemeint. Hatte ich aber nicht. Innovation ist harte Arbeit. Es braucht Durchhaltevermögen, um originelle Ideen zu entwickeln. Am Ende merkten die Studenten, dass die interessantesten und originellsten Ideen erst zum Vor­ schein kamen, als sie dachten, alle Möglichkeiten seien er­ schöpft. Nachdem sich zum Bei­ spiel ein Team durch alle offen­ sichtlichen Lösungen gekämpft hatte, kam es schlussendlich auf die Idee einer Gesichtsmaske, die das laute Schnarchen des Trägers in ruhige Musik umwandelt.

CLEVERE APPS

Schlaue Karten und bunte Mappen: Diese Apps helfen bei der Suche nach ra∞nierten Lösungen.

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Brain­sparker Creativity Cards

SimpleMind Pro – Mind­ mapping

Festgefahren bei der Ideensuche? Diese virtuellen Karteikarten führen die Gedanken mit überraschenden Fragen und Schlagworten auf ganz neue Pfade. Einfach mal ausprobieren!

Mit Mindmaps lassen sich Gedanken wunderbar sortieren und Ideen miteinander verknüpfen. Und dank dieser App braucht man dafür auch kein Whiteboard.

Sketchbook Wenn man unterwegs plötzlich eine Idee hat, sollte man diese am besten sofort festhalten. Zum Beispiel in dieser Design-App. Zur Verfügung stehen dem Nutzer dabei hunderte Skizzierwerkzeuge.

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LESESTOFF

Kraftfutter für flinke Köpfe – und für alle, die es werden wollen.

Musenküsse

Kopf frei!

Hat Frida Kahlo jeden Tag gemalt? Und wo kamen Coco Chanel ihre besten Ideen? Das Buch gibt Einblick in die Rituale erfolgreicher Künstlerinnen. Ruhig mal nachmachen.

Neurowissenschaftler Prof. Dr. Volker Busch kennt unser Gehirn. In seinem Buch verrät er, wie wir unsere Konzentration, Kreativität und Aufmerksamkeit steigern können.

Creativity Rules Wie entwickelt man kreative Ideen – und macht daraus ein tragbares Geschäftsmodell? Dieses Buch liefert die Antwort.

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Was wäre, wenn …

Brain-Jogging

Der Passwort-Turbo

Das ist eine meiner Lieblings­ übungen, die ich regelmässig mit Studenten mache. Einmal bat ich sie darum, alle Annahmen über den Zirkus aufzulisten: grosse Zelte, Tiere, Artisten, Popcorn etc. Anschliessend sollten die ­Studenten diese Annahmen auf den Kopf drehen und sich vor­ stellen, das Gegenteil wäre der Fall. Was wäre, wenn es im Zirkus keine Tiere gäbe? Wenn die Zelte klein wären? Zum Schluss sollten sie sich entscheiden, welche Eigen­ schaften vom traditionellen Zirkus sie behalten wollten. Am Ende hatten wir ein völlig neues ­Zirkus-Konzept à la Cirque du Soleil. Indem wir die Annahmen zu unserem Problem gründlich hinterfragen, gewinnen wir völlig neue Einsichten.

Wenn man am Schreibtisch sitzt, wird man von vielen Dingen ab­ gelenkt. Deshalb bekommen manche Menschen ihre besten Ideen unter der Dusche. Denn dort stört nichts ihre Aufmerksam­ keit. Ich gehe zum Nachdenken oft spazieren. Es ist wichtig, alles abzuschütteln, was einen ab­ lenkt, und dass man den Geist ­befreit, damit er sich entfalten kann. Ausserdem hilft es, sich den Tag in Projekt­abschnitte einzuteilen und zum Beispiel die Social-Media-­Aktivitäten auf eine bestimmte Uhrzeit zu begrenzen. Es führt zu einer erheblich höhe­ ren Kreati­vität, wenn man sich eine längere­Zeitspanne auf eine Sache konzentriert und nicht ­immer meh­rere Dinge gleich­ zeitig erledigt.

Kreativität ist ein Werkzeug, um Probleme zu lösen. Und der Motor, der die Kreativität an­ treibt, ist die Motivation. Ohne Motivation keine Kreativität. Des­ halb ist es wichtig, sich zu über­ legen, was einen motiviert, das Problem lösen zu wollen. Sonst hat man nicht den Antrieb, um die nötigen Kreativitätsübungen durchzuführen und bis zum Ende an einer Idee zu spinnen. Wenn dein Boss dir eine Aufgabe stellt, überlege dir, was dich motiviert. Das könnte eine Ge­ haltserhöhung sein, ein Urlaub, eine Wohnung, die du kaufen möchtest, oder eine Fähigkeit, die du durch das Projekt ver­ besserst. Manche benutzen dieses motivierende Schlagwort wie ein Passwort, um sich ihr Ziel ­täglich vor Augen zu führen.

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PROBLEMLÖSER Entwickelt seit fast 30 Jahren kreative Lösungen: Axel ­Unger, Partner bei IDEO

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WILLKOMMEN IM ZENTRUM DES BRAINSTORMS

IDEO ist eines der kreativsten Unternehmen der Welt. Seit mehr als 30 Jahren entwickelt die Design- und Innovationsberatung Lösungen für andere. IDEO-Partner Axel Unger verrät uns ihre Erfolgsformel. TEXT Pauline Krätzig FOTOS Urban Zintel

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S

Steve Jobs klopfte 1980 an die Tür von David Kelley und Dean Hovey. Da führten die beiden Stanford-Absolventen gerade seit zwei Jahren ihr Design- und Ingenieurbüro Hovey-Kelley in einer kleinen Seitenstrasse in Palo Alto. «Wir müssen eine Maus bauen», sagte Jobs. «Das klingt interessant», sagte Hovey, der zuerst keine Ahnung hatte, was Jobs meinte. Sie sollten ein Computernavigationsgerät schaffen, das zuverlässiger und radikal kostengünstiger war als alle anderen auf dem Markt. Niemand weiss heute genau, warum die aufstrebende Apple Inc. ein kleines Start-up für diese saftige Aufgabe ­anheuerte. «Wir dachten, dass Steve vielleicht nicht genug Fleisch zu essen bekommt», erinnerte sich Designer Jim Sachs später, «aber für 25 Dollar die Stunde hätten wir ihm auch ­einen solarbetriebenen Toaster entworfen.» Stattdessen entwickelten sie eines der kultigsten und massgebenden Produkte von Apple. Aus einer Butterdose und einem Deo-Roller. Aber dazu später mehr. So begann die Erfolgsgeschichte von IDEO, einer der weltweit erfolgreichsten Design- und Innovationsberatungen, die 1991 aus Hovey-Kelley Design hervorging. Seitdem ist viel passiert. Gründerwellen umfluten die Märkte, Geschäftsmodelle ver­ alten rasant. IDEO erschien zu einer Zeit auf der Bühne, als Unternehmen es sich noch leisten konnten, Innovation zu ­ignorieren. Der globale Wettbewerb nötigt sie heute dazu, sich ständig neu zu erfinden – auch Familien- und Traditionsunternehmen wie Bosch und Ford, deren Kernmärkte heute in China und den USA liegen. Nicht mal ein Marktführer wie Apple kann sich auf seinen Mäusen ausruhen. IDEO hat sein Angebot der komplexen Umwelt angepasst. Es geht längst nicht mehr darum, einzelne Objekte zu designen. Mit seinen Methoden gestaltet IDEO ganzheitliche Themenund Erfahrungswelten – für alle Branchen von der Industrie über die Mobilität bis zum Finanzsektor, von Apple bis Zalando. Und obwohl es immer mehr Firmen gibt, die Verbraucher-

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forschung in Produkte und Dienstleistungen umwandeln, und obwohl Beratung, die auf Designprinzipien basiert, boomt, geht es IDEO nach wie vor bestens – an all seinen acht Standorten auf drei Kontinenten, ­davon zwei in Europa: London und München. Wie machen die das? ­Woher kommt ihr Einfallsreichtum? Wie bleibt man der Konkurrenz immer eine Idee voraus? Und wie arbeitet man überhaupt kreativ? Was läge ­näher, als IDEOs bayerische Zweigstelle um Antworten anzuzapfen.

Das offene Geheimnis

Das Münchner IDEO-Büro befindet sich in einem rostroten restaurierten Fabrikgebäude mit hohen Fenstern. 1893 erfand einer der Vorbesitzer, der Schlossermeister Andreas Schärfl, dort eine patentierte «Hebelblechschere». Ein geistreicher Ort also, an dem das hiesige Team seine Gedanken ausbreiten kann. Ein verzweigter Bau, durch dessen Windungen Marketing-Lead Elisa Meyer führt, vorbei an einer Bibliothek, einer BongoTrommel, einer Fotowand mit glücklichen Gesichtern zum «Elephant Room». Dort wartet Axel Unger in ­einem Stuhl mit Elefantenohren-­ Lehnen geduldig auf seinen Einsatz. Der 49-Jährige ist Partner von IDEO und seit 1995 fast ununterbrochen Zahnrad der Denkfabrik. Er hat ­einiges zu erzählen. Die Menschen aus dem IDEO-Kosmos werden ständig nach dem kreativen Geheimnis ihres Unternehmens gefragt. Dabei machen sie gar kein Geheimnis daraus. IDEO teilt sein Wissen und seine Methoden freizügig auf diversen Kanälen, online und ­gedruckt. «Der Unterschied zu klas­ sischen Beratungsfirmen ist, dass wir nicht möglichst viele Projekte verkaufen wollen, sondern Innovation verinnerlichen», sagt Unger und legt frei nach Konfuzius nach: «Wir geben den Leuten nicht einfach einen Fisch. Wir zeigen ihnen, wie man fischt.» Nobel, aber: Schafft sich IDEO damit nicht selbst ab? «Ja, unser Ziel ist es im Grunde, uns durch die Arbeit mit dem Kunden für diesen überflüssig zu machen», bestätigt Unger. IDEO muss aber auch nicht um seine Existenz fürchten. Ständig poppen neue Märkte auf, nicht zuletzt neue gesellschaftliche Herausforderungen wie der Klimawandel. Es herrscht genug INNOVATOR


Kleine Kreativ-Helfer Dürfen bei keiner BrainstormingSession fehlen: Axel Unger beim Beschriften von Post-its

Bedarf an innovativen Lösungen für zunehmend komplexere Probleme. IDEO hilft Unternehmen und Orga­ nisationen, in einer Welt des Über­ flusses relevant zu bleiben – durch «Innovation Labs» als Werkzeug, aber vor allem, indem IDEO allen Beteilig­ ten langfristig Innovationsgeist ein­ haucht. Es reicht einfach nicht, ein Instagram-Profil zu erstellen und auszusitzen, ob das die Zukunft be­ eindruckt. Oder eine externe «Future Task-Force» zu chartern, die nach Wochen im Elfenbeinturm einen Ordner mit Ideen auf den Tisch knallt, mit denen der Kunde nichts anfangen kann. Wie bringt man ein ganzes Unternehmen dazu, auf Dauer innovativ zu sein?

Innovations-Infusionen

Wir spielen keine Solos, wir sind ein Orchester. Und wir teilen unsere Noten und Instrumente gerne mit anderen. AXEL UNGER, PARTNER BEI IDEO

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Auf den Namen «IDEO» kam Mit­ gründer Bill Moggridge, als er ein Wörterbuch durchblätterte. Ideen liegen oft so nah – aber nur, wenn man ihnen nahe kommt und dann richtig hinsieht. Deshalb involviert IDEO bei jedem Projekt auch die An­ gestellten eines Kunden in den Inno­ vationsprozess, holt gerade die CEOs aus ihren Führungsetagen auf den Boden zu den Zielgruppen. Top-­ Manager lässt IDEO auch mal Holz­ klasse fliegen oder in Lingerie-Stores shoppen, damit sie den Eindruck ­ihrer Passagiere oder Käuferinnen gewinnen. Den verlieren Vorstände im Eifer von Meetings und BusinessDinnern nämlich oft aus den Augen. Der Wurm muss dem Fisch schme­ cken, nicht dem Angler. Und während der Kunde diverse Köder ausprobiert, den richtigen vielleicht sogar selbst entdeckt, implementiert sich der ­Reformgeist bereits. «Viele Menschen sprechen sich Kreativität ab», so ­Unger. «Dabei wird jeder Mensch mit einer Veranlagung zur Kreativität ge­ boren, sie muss aber bewegt werden, wie ein Muskel.» Stattdessen wird sie im Bildungssystem oft erdrückt und auch im Berufsalltag nicht eben ge­ fördert. IDEO feuert sie an: «Vor ein paar Jahren wollte die Lufthansa ­ihren Business-Class-Service ver­ 71


Das Gehirn braucht Pausen, um kreativ zu sein. Deshalb stehen bei IDEO u. a. Musik­ instrumente für die Mitarbeiter bereit.

bessern und den fünften Stern bei der Rating-Agentur Skytrax erreichen», erzählt er. «Viele Ideen kamen letztlich von Lufthansa-Leuten» – und, Spoiler: Sie erreichten den Stern. Human Centered Design nennt IDEO seinen holistischen, integrativen Ansatz, bei dem alle am Projekt Beteiligten die Perspektive des Konsumenten einnehmen und sich auf dessen Bedürfnisse konzentrieren. Vielleicht tragen deshalb so viele Mitarbeiter (IDEOer) eine Brille, weil sie so nah an Probleme rangehen, dass man sie eben nicht mit der Nase auf Lösungen stossen muss. «Das Ergebnis muss nicht schön sein, sondern funktio­ nieren, damit die Menschen es in ihr Leben integrieren können und wollen», sagt Unger, der eine Brille mit transparentem Gestellt trägt, und entzaubert die hartnäckige Annahme, Design müsse immer optisch etwas hermachen. Zukunft bedeute auch nicht automatisch künstliche In­ telligenz: Eine Lösung muss Sinn ­er­geben, nicht zwanghaft heisser Hightech-Shit sein.

Im Kopf des Kreativen

Was ist überhaupt Kreativität? Wie ist man kreativ? Der individuelle geistige Schaffensprozess ist schwer, wenn nicht unmöglich begreif- oder messbar – höchstens am ökonomischen Erfolg der Innovation, die aus ihr entsteht. Die Design-Forschung durchleuchtet seit den 1960er-Jahren die Köpfe von Kreativen, um zu entschlüsseln, wie sie denken, Ideen zünden, Aufgaben angehen. Als Quintessenz destillierte sie das ­Design Thinking, das David Kelley später mit IDEO prägte und mit ­eigenen Methoden wie dem Human Centered Design als Konzept vermarktete. Design Thinking ist kein strikter Ablauf, keine Liste zum ­Abhaken, vielmehr ein organischer Ansatz, der sich schrittweise an kreativen Phasen orientiert. Das Ende bleibt offen, denn «starre Ziele sind nicht zielführend», weiss Unger, auch 72

wenn es heute oft heisst: «Ich will ­genau das, und zwar sofort.» IDEO nimmt sich für jedes Projekt erst mal Zeit. Das erfordert Mut und Über­ zeugungskraft, ist aber erforderlich. Viele Unternehmen tun sich anfangs schwer mit den Grundprinzipien des Design Thinking – Wie kann etwas ohne Garantie erfolgversprechend sein? –, bis sie merken, wie viel effi­ zienter, effektiver und profitabler sie danach arbeiten. Ausserdem sind Kunden oft überrascht, wie schnell IDEO neue Projekte realisiert. Das liegt daran, dass man dort schneller scheitert.

Jede Innovation ist mit Misserfolgen gepflastert. Und je früher sie passieren, desto besser.

Schneller scheitern

Am Anfang eines Projekts wird gebrainstormt. Bei IDEO ist der Storm eher ein Hurricane mit bis zu hundert Ideen pro Stunde, die besten nehmen fix Form an. Das Maus­ projekt von Apple ist Paradebeispiel für IDEOs Rapid Prototyping. David ­Kelley zerschnitt den Schaltknüppel seines BMW, als er mit Formen ex­ perimentierte. Dean Hovey zerlegte zu Hause seinen Kühlschrank, streifte durch Apotheken und Haushalts­ warenabteilungen, um Teile zu ­sammeln. «Wir haben nur versucht, fertig zu werden, damit Steve Jobs uns nicht verkloppt», sagte Kelley ­später, aber es steckte schon System INNOVATOR


Wie alles begann David Kelley (* 1951) studierte Elektro­ technik und nennt sich selbst einen lausigen Ingenieur. In den 70erJahren arbeitete er ­den­noch unter ande­ rem bei Boeing in der

David Kelley

Entwicklung und ent­ warf das Besetzt­ zeichen für die WCs der 747-Jumbo-­Jets. Da reizte ihn der neue ­Studiengang Produkt­ design an der StanfordUniversität deutlich mehr, 1978 machte ­Kelley darin seinen zweiten Abschluss und gründete im selben Jahr mit seinem Kom­ militonen Dean Hovey das Design- und Inge­ nieur­büro Hovey-Kelley im Innovations-Hotspot ­Silicon Valley. Nach ­Hoveys Abgang 1991 tat Kelley sich mit

den Designstudios von Bill Moggridge ­(Designer des ersten Laptops) und Mike ­Nuttall zusammen. Zu dritt entfalteten sie zwischen Post-its, einem Xylofon und ­einem ­Vintage-VW-Bus die Design- und Inno­ vationsberatung IDEO, die heute insgesamt acht Standorte hat, ­darunter in San Fran­ cisco, Shanghai, Tokio, London und München.

Das Produkt, mit dem alles ins Rol­ len kam: 1980 be­ auftragte Apple IDEO mit der Ent­ wicklung einer Computer-Maus. Das grundlegende Design des Me­cha­ nismus wird in praktisch allen bis heute produ­ zierten mechani­ schen Mäusen ­ver­wendet.

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dahinter. «Prototypen sind das Lern­ vehikel, an dem man sich orientiert und entlangtestet», erklärt Unger. Wenige Tage nach dem ersten Tref­ fen mit Jobs legte Hovey-Kelley den ­ersten Prototyp vor: Ein DeorollerBall diente als Mauskugel, der Plastik­deckel einer Butterdose als Gehäuse. Dabei blieb es bekannter­ massen nicht – alle Schlüsselkom­ ponenten der Maus wurden bis zur gummierten Ballbeschichtung ver­ feinert. Die ersten Prototypen eines Projekts werden geboren, um zu ­sterben, sie fallen zwangsläufig dem Denkprozess zum Opfer. «Jeder Weg zur Innovation ist unter anderem auch von Misserfolgen ge­ pflastert», weiss Unger. Je früher sie passieren, desto besser – natürlich nur, wenn man auch daraus lernt. Sonst steht man nach Monaten des Hirnwindens vor vollendeten Tat­ sachen und merkt zu spät, wie un­ vollendet diese sind. In München gibt es sowohl eine analoge Werk­ statt mit Drehbank wie auch eine ­digitale mit 3D-Drucker. Dort ent­ stehen aber nicht etwa Miniatur­ modelle oder technische Skizzen für Konferenztischsitzungen, die das Vorstellungsvermögen aller An­ wesenden strapazieren. Die Teams stellen je nach Projekt massstabs­ getreue Prototypen her und realitäts­ getreue Situationen nach. Inzwischen kann ein Prototyp alles sein: Hard­ ware wie die Kugelmaus, digital wie App und Website des Mobility-Startups Wirelane oder eine Dienstleis­ tung wie für Lufthansa.

Befreiung des Geistes

Mit rund 700 IDEOern weltweit, allein 100 in Europa, dürften IDEO die ­Ideen nicht allzu schnell ausgehen, prophylaktisch bietet das Unter­ nehmen seinen Teams alles, was das Hirn begehrt und nicht blockiert: ­ausser Zeit viele weitere Freiheiten. Im Grossraumbüro München bezieht

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ein Team für die Dauer seines Projekts einen von sechs schliessbaren Räumen. Dort brütet es aber nicht wochenlang über Flipcharts und hält sich mit Protokollen und Hypothesen auf. Die meiste Zeit sind die IDEOer unterwegs, um Informationen und Inspiration zu sammeln. Wer im ­Museum geistig aufblüht, geht dorthin, ohne zuvor Freigang beantragen zu müssen. Die Suche nach ansprechenden Erfahrungen für das Lufthansa-Projekt führte IDEOer bis nach Tokio zu einer Teezeremonie, zurück ins Münchner Büro, wo das Team mit einem Prototyp aus mehreren Business-Class-Sitzen die Service-­ Situation nachstellte, und in eine Halle in Frankfurt, um einen ZehnStunden-Flug zu simulieren. «Einmal durften wir einen Operationssaal samt Instrumenten neu gestalten und haben uns hierfür im Motorsport beim Boxenstopp inspirieren lassen», erzählt Unger. «Dort arbeitet man ähnlich präzise und unter Druck.» Keine Idee ist zu irrwitzig; man weiss nie, ob etwas funktioniert, solange man es nicht versucht hat. Womöglich stellt sich heraus, dass man ­Fische am besten mit Mixtapes von Lionel Richie und Sachertorte fängt – oder auf veganen Fisch umsteigen sollte.

Gemeinsam ins Feld

Solche Meta-Erkenntnisse schöpfen IDEO-Teams nicht, indem sie online empirisch eine Zielgruppe X befragen. Sie studieren Konsumenten in deren natürlichen Lebensräumen. «Wenn du eine Software verbessern willst, musst du nur ihre User beobachten. Sobald sie das Gesicht verziehen, weisst du, wo’s hakt», sagte David

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Kelley einmal. Er erweiterte den Blickwinkel von Anfang an, indem er auf inter- und multidisziplinäre Teams setzte: auf IDEOer mit verschiedensten Backgrounds, von ­Industriedesign und Software-­ Entwicklung bis Psychologie und ­Anthropologie. «Wir wollen nicht Leute, die wie wir sind. Wir wollen als Kultur wachsen», sagt Unger und erzählt von Rheumatoider Arthritis: «Wir haben einmal eine ältere Dame besucht, um zu sehen, wie sie ihre Therapie im Alltag umsetzt. Sie meinte, sie komme zurecht – wir ­liessen es uns trotzdem zeigen: Sie holte die Pillenschachtel mit der ­Kindersicherung und öffnete sie mit einem Messer. Das war völlig normal für sie.» Solche Feinheiten für optimierte Lösungen findet man nicht mit Fragebögen heraus. Man muss zur Forschung ins Feld – und muss Antennen für die Be­ dürfnisse anderer Menschen haben, um die richtigen Fragen zu stellen. «Der Erfolg unseres Unternehmens hängt von Menschen ab, die nicht nur klug und talentiert sind, sondern eine grosse emotionale Intelligenz besitzen», schreibt IDEO-Chairman Tim Brown auf seinem Design-ThinkingBlog. Diese ist nicht nur im Feld von Vorteil. IDEOs Grundwerte sind in einem kleinen roten Buch verewigt und in München an eine Wand tätowiert. Im Mittelpunkt steht: Teamwork. IDEO lebt vom «Wir». Ein ­isoliertes, sozial auffälliges Genie braucht sich hier nicht zu bewerben. Narzisstische Persönlichkeiten sind hier ebenso falsch. Hinter jedem ­Erfolg steht ein Team. Und das «buildet» IDEO nicht mit einer Rafting-Tour durchs Ötztal, sondern indem es zukünftige IDEOer sorgfältig aus der Ellbogengesellschaft pflückt: die Sorte, die anderen die Leiter zum Erfolg hält, anstatt sie runterzutreten. Bei IDEO erwartet sie dafür etwas, was ausgerechnet bei vielen Führungspersonen verkümmert ist: Respekt.

LAUTER GUTE IDEEN Projekt Lufthansa Um den Service in der Business Class zu opti­ mieren, stellte sich die Frage: Was bedeuten guter Service und Luxus heute? Was ist Reisenden wichtig? Leute von IDEO, Lufthansa und End­ kunden fanden gemein­ sam heraus: Vielreisende möchten Kontrolle über ihre Zeit und wünschen sich persönlichen Ser­ vice. Sie wollen ihre Essenszeit selbst bestim­ men und persönlich an­ gesprochen statt fliess­ bandartig ab­gefertigt werden. Die Crew nimmt Bestellungen nun wie im Restaurant auf – und nicht wie angedacht via Tablets, s ­ ondern auf schlichten Papier­ blöcken, die i­ntimer als Tech-Tools sind.

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Projekt Zalando Der Online-Versandhändler wuchs rasant, kannte seine Kunden aber lange nicht. Wer kauft diese Mengen an Kleidung eigentlich? Mit IDEOs Hilfe eröffnete­ Zalando ein internes Inno­ vation-Lab, um neue digitale Produkte, Dienstleistungen und Erfahrungen zu entwickeln.

Projekt Innova

IDEO

Seit mehr als zehn Jahren realisiert IDEO Projekte mit Intercorp (einem Konglomerat multinationaler Unternehmen in Peru) – unter anderem im ­Gesundheits-, Finanzund Bildungswesen. Beispiel «Innova»: Hier­bei geht es um die Ver­besse­ rung des Schulsystems, um die vom Abstieg ­bedrohte urbane Mittel-

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schicht zu stärken. Der Plan, kostenlose Schulen anzubieten, war schnell passé – denn Gratis­ schulen werden dort als wertlos betrachtet. Stattdessen wurden die Schulgebühren gesenkt, die Schulen besser ausgestattet und Lehrkräfte ausgebildet. Mitt­ler­weile gibt es über 80 InnovaSchulen in Peru, Mexiko und Kolumbien.

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Einer für alle

Wir erinnern uns an den Physik­ unterricht: Die Energie aus Kartoffel­ stärke erzeugt Strom, um Lichter ­aufgehen zu lassen. Man hätte sich den Kopf von IDEO nicht besser aus­ denken können. David Kelley sieht aus wie ein Fleisch gewordener Mr. Potato Head, nur ohne das Extra­ paar «wütende Augen». «Kopf» ist auch das falsche Wort: Kelley ist das freundliche Gesicht des Unter­ nehmens und wie das Kultspielzeug nur mit all ­seinen Einzelteilen voll­ ständig. Die meisten Vorstände ken­ nen ihre An­gestellten mindestens so schlecht wie ihre Zielgruppe. IDEOer duzen sich und wissen: Die genialste Methode ist nichts ohne geniale Menschen, die sie umsetzen. Deshalb hegt und pflegt, fördert, unterstützt und be­fähigt IDEO seine kreativen Talente, um sie zu halten. Menschen wollen gesehen werden. Bei IDEO München wird regelmässig eine Büh­ ne aus­geklappt, um Teams und ihre Projekte zu feiern. Seit kurzem testet IDEO die «Collective Rest Week», eine Woche bezahlten Extraurlaub für alle IDEOer weltweit, damit ­deren Birnen nicht durch- und sie selbst ausbrennen. IDEO scheint ­verstanden zu haben, woran viele Unternehmen mangeln und daher irgend­wann zerbröseln: wie elemen­ tar Wertschätzung und Vertrauen sind, damit Menschen treu bleiben und ­ihren Geistreichtum teilen.

Wer zuletzt lacht …

Natürlich kann einem dieses har­ monieorientierte und gelassene Auf­ treten von IDEO suspekt sein, und man mag sich über die eigentüm­ lichen, mitunter planlos wirkenden Me­thoden, bunten Post-it-Papp­ wände, Tisch­kicker und die BongoTrommel lustig machen. Ist halt ein billiges Lachen, verhallt schnell. ­Viele Kunden haben ausgesprochen Spass an der Zusammenarbeit mit IDEO und deren u ­ nkonventionellen Techniken, mit denen IDEOer Ideen freisetzen. U ­ nterschätze nie das ­innere Kind. Bodystorming, Unfocus

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Wer ist Axel Unger? Axel Unger (*1972) ist halb Schwede, halb ­Österreicher, studierte Produktdesign an der Rhode Island School of Design in den USA, lebte und arbeitete danach in England und Italien. Jetzt spricht er fünf Sprachen mit leichtem österreichischen Akzent. 1995 startete er bei IDEO in Boston, machte nach fünf Jahren einen Abstecher

in die Wirtschaft und kehrte 2004 zu IDEO zurück. Heute arbeitet er für das Unternehmen in München. Als Partner hat Unger zahlreiche Innovationen mitgedacht. Stolz mache ihn der Erfolg des IDEO-Schul­ projekts in Peru, sagt er, weil es dabei nicht um ein Wachstum der Wirtschaft gehe, sondern um eines von Menschen – letztlich eines ganzen

Landes. «Wir wollen mit unserer Arbeit die Gesellschaft weiter­ bringen, nicht eine reiche Minderheit.» Unger mag Gartenarbeit.

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Groups, Quick and Dirty Prototyping – das klingt irre. IDEO steht offen zu ­seinen Schwächen, zuweilen ins ­kreative Chaos abzudriften und von seiner kindlichen Neugier in den Wahnsinn getrieben zu werden. IDEO ist mehr als die Summe seiner Methoden und Agenturklischees.

ARTWORK BY EDUARDO ALVAREZ LUCAS

Zukunftskurs halten

So also bleibt IDEO innovativ. Wie aber bleibt eine Innovationsberatung progressiv? Dazu wird wohl kaum die Boston Consulting Group engagiert. IDEO verfolgt seit jeher das hehre Ziel, Positives in der Welt zu bewirken – «impact through design» –, und bemüht sich auch um Projekte ausserhalb der freien Wirtschaft: Mit den Innova-Schulen und den A ­ vida-Kliniken entwarf IDEO in Peru bereits ein neues Bildungs- und ­Gesundheitssystem. Deutschlands Schulsystem und -modell reformieren? «Ein Traumprojekt, das könnte unglaublich werden!», sagt Unger. Auch der Politik könnte mehr Weitblick über den Bundestag hinaus und Citizen Centered Design guttun, «leider ist die Zusammenarbeit mit Regierungen bisher überschaubar». Um sich im Wettbewerb weiter ab­ zugrenzen, will IDEO die Welt in­ zwischen ohnehin nicht mehr nur ver­ändern, sondern retten. Überspitzt gesagt: «Lösungen müssen mehr können, als Menschen und ­Unternehmen zu nützen. Sie müssen auch nach­haltig sein», so Unger. Rechts vor dem «Elephant Room» hängt ein v­ ertikales Pflanzenregal, daneben beleuchtet ein Bildschirm IDEOs P ­ rojekt mit dem rasend wachsenden Berliner Start-up «Infarm», das Landwirtschaft für frische Lebens­­ mittel ohne Pestizide und ­lange Transportwege in den urbanen Raum verlegt. «Wir können uns nicht mehr nur auf den Endkunden konzentrieren», betont Unger noch e­ inmal. Quasi Human and Nature ­Centered Design: Der Planet streut nun bei jedem Projekt grüne Post-its ein. Denn ohne Fische wird man ­niemandem mehr das Angeln beibringen können. INNOVATOR

VOM GEDANKEN ZUM DESIGN «Wir sind Experten für den Prozess, wie man Dinge entwirft. Man kann uns anheuern, um einen Automaten, eine Matratze, eine App oder ein Space Shuttle zu bauen, es macht keinen Unterschied», sagte David Kelley einmal. Design Thinking ist das Fundament von IDEO, aber nur ein Element von vielen, um ganze Erfahrungs- und Themen­welten zu erschaffen. Design Thinking

Human Centered Design Der iterative Lösungsansatz beginnt beim Endnutzer und endet mit innovativen, auf dessen Bedürfnisse zu­ geschnittenen Lösungen. Nicht immer nämlich er­ fordert Fortschritt fette Investitionen. Oft reicht es schon, sich einfach gründlich der Zielgruppe zu widmen.

Rapid Prototyping Der in Stanford gelehrte ­Ansatz soll den Einfalls­ reichtum fördern und ist seit jeher ein Markenzeichen von IDEO. « ­ Innovation bedeutet schnelles Experimentieren», so ­Unger, und möglichst früh erste Lösungen, Szenarien oder Prototypen zu ent­ wickeln, um diese mit rele­ vanten Endnutzern zu testen.

Menschen unterschiedlicher Disziplinen arbeiten in einem inspirierenden Umfeld zusammen und entwickeln Konzepte, die mehrfach auf Nutzen, Umsetzbarkeit und Marktfähigkeit geprüft werden. Entwickler und Vertreter sind die Stanford-Professoren Terry Winograd, Larry Leifer und David Kelley.

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ERIC DEMUTH, 35, wuchs nördlich von Hamburg auf und fuhr zwei Jahre als Schiffsmechaniker zur See, bevor er Bitpanda mitbegründete. Eine Regel des jetzigen CEO lautet: Investiere nur in Dinge, die du auch wirklich verstehst. Demuth ist auch als Angel Investor tätig, beteiligt sich also finanziell an anderen Unternehmen und hilft Existenzgründern mit Know-how und Kontakten.

DIE DREI VON DER TANKSTELLE

Ein Besuch bei den Gründern des erfolgreichsten Start-ups Österreichs: Bitpanda. TEXT Niko Jilch FOTOS Konstantin Reyer

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CHRISTIAN TRUMMER, 35, ist in der Steiermark auf­ gewachsen. Er ist Software­ entwickler und ­Technischer Leiter bei Bitpanda, l­ eitet als CTO also alle Aspekte der E ­ ntwicklung. Ausserdem ist er Serial Entrepreneur (dt.: Serien­gründer) – vor Bitpanda hatte er bereits drei Softwarefirmen gegründet.

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PAUL KLANSCHEK, 32, ist südlich von Klagenfurt, in Maria Rain (Kärnten), aufgewachsen und finan­ zierte sich sein Studium an der Wirtschaftsuni Wien mit semiprofessio­ nellem Pokerspiel. Er beschäftigt sich bereits seit 2010 mit Krypto, als es in Europa noch sehr schwer war, sich Bitcoin zu kaufen. Er ist heute CEO bei Bitpanda und Mit­ glied des FinTech-Beirats im Finanzministerium.

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Was steht am Beginn des amerikanischen Traums? Die Garage. Amazon, Apple und Google, drei der grössten Unternehmen des frühen 21. Jahrhunderts, sind sogenannte Garagenfirmen. Sie befeuern den Mythos, dass man den Weltmarkt auch dann erobern kann, wenn man zu Beginn nicht einmal ein Büro bezahlen kann. Aus Österreich sind wenige solche Garagen-Storys bekannt. Vielleicht wird man in vielen Jahren eher von der Autobahnraststätte sprechen, die am Beginn des österreichischen Traums stand. Denn genau dort, neben der Südautobahn, wurde das bisher erfolgreichste Start-up des Landes gegründet. Bitpanda ist das erste und einzige Unicorn Österreichs, also ein Start-up, das mit über einer Milliarde Dollar bewertet wird. Und der Beginn dieser Erfolgsgeschichte klingt fast wie ein Witz: Im ersten Halbjahr 2014 verabredeten sich ein Deutscher und zwei Österreicher zu einem Treffen in einem schmucklosen Kaffeehaus irgendwo an der Autobahn zwischen Wien und Graz. Dort, an der Grenze zwischen ­Niederösterreich und der Steiermark, wurde nach etwas über zwei Stunden Gespräch von Eric Demuth, Paul Klanschek und Christian Trummer die Firma Bitpanda quasi gegründet, der Notar­ termin folgte nur wenige Wochen nach dem Treffen. Inzwischen hat das ehemals kleine Startup Büros in Berlin, Barcelona, Dublin, Krakau, London, Madrid, Mailand und Amsterdam – doch die Zentrale ist in Wien geblieben. Und samt der mittlerweile 700 Mitarbeiter befindet es sich inzwischen im Wiener Prater, nur wenige hundert Meter entfernt von dem Ort, an dem sich zwei der drei Gründer, Demuth und Klanschek, erstmals getroffen haben. 80

Die drei von der Tankstelle haben es in acht Jahren weit gebracht: Ihr Unter­nehmen ist das einzige Unicorn ­Österreichs, es wird mit über vier Milliarden Dollar bewertet.

«Das war Ende 2013», erzählt Klanschek. «Ich hatte schon ein halbes Jahr versucht, etwas auf die Beine zu stellen, und bin nicht weitergekommen. Dann habe ich Eric an der Wirtschaftsuniversität kennengelernt.» Bitcoin war damals bedeutungslos und fast unbekannt. Die Kryptowährung zu kaufen war unendlich mühsam, zeit­ aufwendig und riskant. Man musste Geld nach Japan zu einer rudimentären Börse namens «Mt. Gox» schicken, die Anfang 2014 schliesslich gar zusammenbrach. Klanschek und Demuth hatten drei Dinge gemeinsam: Ihr Erstkontakt mit Bitcoin kam über die Onlinepoker-­Community, wo Geldtransfers naturgemäss eine grosse Rolle spielen. Sie hielten die Bitcoin-­Idee zuerst für Schwachsinn, änderten ihre Meinung jedoch rasch. Und am wichtigsten: Sie erkannten Ende 2014, dass es ein Problem zu lösen gab, und hatten damit eine brauchbare Geschäftsidee. Es brauchte eine euro­ päische Bitcoin-Börse.

Doch zu Bitpanda fehlte das dritte Puzzleteil: der Programmierer. «Wir wussten: Wir können kein Hightech-Start-up gründen, ohne technischen Gründer. Wir kannten uns aus, aber wir konnten nicht programmieren», sagt Eric Demuth.

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Merke: kein Hightech-Start-up ohne technischen Gründer. Also kontaktierten die beiden Christian Trummer, der tief in der Steiermark auf dem Bauernhof seiner Eltern sass.

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Die beiden Studenten riefen Johannes Grill an, den Präsidenten des Vereins Bitcoin Austria. Er empfahl ihnen Christian Trummer, der tief in der Steiermark auf dem Bauernhof seiner Eltern sass und sich in seiner Freizeit mit Bitcoin beschäftigte. Daher das Treffen an der Autobahn. Es lag auf halbem Weg. Trummer war über den Aktienhandel auf Bitcoin gestossen: «Es ist eine extrem interessante Verbindung aus Trading und Technologie. Bei Aktien konntest du damals nicht in die Börsen hineinblicken und dir zum Beispiel das Orderbuch ansehen, also alle Kauf- und Verkaufsaufträge. Bei Bitcoin ging das immer schon. Alles war offen.» Dass Trummer ein Interview gibt, grenzt übrigens an ein Wunder. Er stellte schon bei der Gründung klar: kein Geschäftsführerposten, keine Medien und am besten auch kein Umzug nach Wien. So nahm Bitpanda als Brokerdienst für Kryptowährungen seinen Anfang und 81


Seit wenigen M ­ onaten residieren die Bitpandas bei der Trabrennbahn in Wien, in unmittelbarer Nähe zur Wirtschaftsuniversität: 700 Mitarbeiter arbeiten hier auf 8000 Quadratmetern.

Und dann ging es los. Es folgten zwei Co-Working Spaces in Wien, die erste Mitarbeiterin wurde eingestellt. Im ersten «echten» Büro von Bitpanda, in der Wiener Burggasse, richteten seine Mitgründer dem Programmierer Trummer dann ein kleines Zimmer ein. Seine W ­ eigerung umzu­ ziehen musste er aufgeben, es ging nicht anders. Inzwischen hat er selber eine Bleibe in Wien, zum Schlafen. Demuth erzählt: «Paul und ich fuhren zu Ikea, um Möbel für das ganze Büro zu kaufen. Und ein Bett für Christian. Das kam in ein Zimmer, damit er nicht jeden Tag in die Steiermark fahren muss.» Wenig später mietete Trummer seine erste Wohnung in Wien, gleich über dem Büro. Die Kammer war ihm dann doch

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zu klein. Und Interviews? Alle heiligen Zeiten. Doch bei einem blieb er hart: Das Bitpanda-Imperium besteht inzwischen aus rund zwanzig Firmen in ­mehreren Ländern. Bei keiner einzigen ist Trummer in der Geschäftsführung. Dafür steckt er tief drinnen in der eigentlichen DNA des Unternehmens, dem Code. «Christian ist der typische Gründer-CTO», sagt Klanschek: «Den bekommst du nicht mehr raus. Er hat den Code geschrieben. Er kennt jede Zeile.» Vielleicht liegt es daran, dass Trummer öffentlichkeitsscheu ist. Vielleicht daran, dass Bitcoin, Krypto und der kometenhafte Aufstieg von Bitpanda an sich so viel Gesprächsstoff liefert, dass man über die Technik dahinter gar nicht viel reden muss. Dabei ist das FinTech-Unternehmen, kurz für Financial Technology, ein Start-up, das es mit den Besten aus dem Silicon Valley aufnehmen kann und in mehreren Runden hunderte Millionen­ Euro von Investoren eingesammelt hat. Und dessen Technik nun sozusagen vermietet wird, «White Label» nennt sich das. Der neueste Geschäftsbereich für Bitpanda ist, ihren Service anderen Playern als Paket anzubieten.

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war schnell der grösste und sicherste in Europa. Daraus entwickelte sich eine Online-Börse, über die nicht nur mit Bitcoin und Co gehandelt werden kann. Bitpanda bietet heute tausende Assets an: Neben Bitcoin, Ethereum und vielen anderen Kryptos auch Aktien, Fonds, Gold und Silber. «Als ich angefangen habe, mich dafür zu interessieren, war Bitcoin noch bei Centbeträgen», erzählt Klanschek. «Es gab Phasen, wo wir nicht wussten, ob’s überhaupt weitergeht oder ob das Ding stirbt.» Doch die kleine Firma lief gut. Nach dem Treffen in der Autobahn­ raststätte kam Demuths Wohnung in Wien, die eine Zeitlang als Firmen­ zentrale diente, rund ein Jahr nach dem Treffen folgte der grosse Launch. Am 15. Dezember 2014 wurde über Facebook bekanntgegeben: «Wir sind da, kauft Bitcoin bei uns.»

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In nur acht Jahren schoss Bitpanda von null auf eine aktuelle Bewertung von vier Milliarden Dollar. Dazu waren Mut, Arbeit und auch ein bisschen Glück nötig.

Banken beispielsweise, wie der französischen Mobile-Bank Lydia. «Unsere Technik, eure Kunden», sagt Demuth dazu, in dessen Worten das Geschäft bisher «krass gut anrennt». Wobei er zu bedenken gibt: «Du wirst in der Finanzwelt nie eine ­Winner-takes-it-all-Situation haben. Es wird zum Beispiel immer regionale Banken geben, das ist nicht wie bei Google oder Facebook.» Inzwischen schiessen überall Krypto­ firmen und Neobroker, eine neue Generation von Online-Brokern, aus dem Boden: rasche Anmeldung, schickes Design, coole Features. Das Investieren ist in den vergangenen zwei Jahren ­endgültig bei der Generation Smartphone angekommen. Und allen ist klar, wohin die Reise geht: Egal ob ­Bitpanda, Coinbase, Robinhood oder Trade Republic – am Ende werden alle alles anbieten, von Aktien bis Krypto. Da wird fast vergessen, wie lange die ­Bitpanda-Gründer belächelt wurden. Wie ihnen – und allen anderen Bitcoin-Firmen – das Leben schwer­ gemacht wurde. «Jahrelang wurden wir be­handelt wie die grössten Trottel, und jetzt sagen alle: Schaut euch an, was die Jungs geschafft haben», resümiert Klanschek. «Aber gut, immerhin, die Leute haben dazugelernt.»

Bitpanda hat Stand­ orte in zahlreichen ­europäischen ­Städten: die Zentrale in Wien (1) sowie Berlin (2), Barcelona (3), D ­ ublin (4), Krakau (5), London (6), Madrid (7), Mailand (8) und ­Amsterdam (9).

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Eine Nagelprobe für die damals noch junge Firma gab es 2017, dem Jahr, in dem die ganze Welt erstmals von Bitcoin und den vielen anderen Kryptowährungen hören sollte. Die Medien berichteten permanent, Prominente sprangen auf, Bitcoin stieg innerhalb weniger Wochen von 5000 auf fast 20.000 Dollar. Die Börsen waren überfordert. In den letzten Wochen des Jahres war schon ein Profi, wer überhaupt ein Konto bei einem der grossen Anbieter hatte. Denn Coinbase, Kraken, Binance und Bittrex mussten 83


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missen, ich habe viel gelernt.» Geblieben­ sind die heissgeliebten Rollkragen­ pullis – und die direkte Feedback-Kultur des Norddeutschen. Bis heute fungiert Demuth als Sprachrohr der Firma. Medien, Partner, Konkurrenten – sie kommen zu ihm, denn auch Klanschek ist kein Fan von Öffentlichkeitsarbeit.

Am 15. De­zember 2014 erfolgte die Bekanntgabe über ­Facebook: «Wir sind da, kauft Bitcoin bei uns.» Und so fing es an.

Ein Jahr nach der Gründung trafen die drei ihre beste Entscheidung: Sie änderten den Firmennamen. Der Panda ist heute fast schon in ihrer DNA, natürlich sind sie auch Paten der Grossen Pandas im Wiener Zoo Schönbrunn.

Neuanmeldungen sperren. Zu gross war der Andrang. Bitpanda blieb offen. «Wir waren die einzige Plattform in Europa, die immer Neukunden aufnehmen konnte», erzählt Eric Demuth nicht ohne Stolz. Bitpanda hatte vor­gebaut, die Prozesse zur An­meldung und Identifizierung waren erprobt, und die Mitarbeiter legten Nachtschichten ein. In nur acht Jahren schoss Bitpanda von null auf eine aktuelle Bewertung von über vier Milliarden Dollar. Dazu waren grosser Mut, viel Arbeit und auch ein bisschen Glück notwendig. Dabei hatten die Gründer Demuth, Klanschek und Trümmer vor Bitpanda jedenfalls keine «echten Jobs», wie sie erzählen. Sie waren nie angestellt, sondern immer selbständig oder unternehmerisch tätig. Man kann auch sagen: Sie improvisier­ ten. Einzig Demuth hat so etwas wie Erfahrung in einem Betrieb, allerdings eher einem – wie soll man sagen – spe­ ziellen. Zwei Jahre ist der Norddeutsche im Maschinenraum eines Schiffs zur See gefahren. «Ich wollte Nautik studieren», erzählt er. «Das habe ich dann schnell sein lassen. Aber die Zeit will ich nicht

Der neueste Geschäftsbereich von Bitpanda ist «White Label», sie vermieten ihre Technik als Paket an andere Unternehmen. Oder wie Demuth es nennt: «Unsere Technik, eure Kunden». INNOVATOR

Gibt es etwas, was die Gründer bereuen? «Vielleicht, dass wir nicht rascher die VC-Route gegangen sind», sagt Demuth. VC steht für Venture Capital. Geld­ geber, meist aus den USA, die auch Er­fahrung und Appeal mitbringen. «Es ist unglaublich: Du bekommst ganz andere Zugänge, Partnerschaften, Mit­ arbeiter oder Banken.» Neue Türen gehen auf: «Ab einer gewissen Grösse brauchst du die richtigen­Partner.» Aber anders als viele andere Gründer haben die drei Jungs von der Raststätte immer noch die Kontrolle über ihre Firma, weil sie gemeinsam mehr als 50 Prozent besitzen. Und ihre beste Entscheidung? Die kam ein Jahr nach der Gründung. Denn die bis jetzt erzählte Geschichte hat einen Schönheitsfehler. An der Auto­ bahn wurde eigentlich nicht Bitpanda gegründet, sondern eine Firma mit einem Namen wie ein Zungenbrecher: Coinimal. Und dieser Name stand nun im Weg, das zu erreichen, wofür die drei Gründer ursprünglich zusammen­ gekommen waren: den Nutzern einen einfacheren Zugang zu Bitcoin zu gewähren. Man brauchte einen neuen Firmen­namen. Einen, der einfacher zu merken war. Zwei Argumente sprachen für den alten Namen: «Wir hatten bereits rund 10.000 Kunden, es gab schon Sorgen wegen der Brand Recognition», erzählen sie heute. Trummer, der Tech­ niker, leistete aus einem anderen Grund Widerstand: Bei einem Namenswechsel müsste er den ganzen Code ändern. Die anderen beiden waren trotzdem dafür – und setzten sich durch. Einzig der Panda musste nicht erst erfunden werden, der war schon vorher Teil des Logos.

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GUIDE

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von richtig guten Leuten

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EVENTS Seit über zwölf Jahren leitet Patricia Zupan-­ Eugster gemeinsam mit Schwester Verena Eugster die Event­ agentur W3 Marketing.

Als Eventplanerin und Mitbegründerin des Female Future Festivals weiss Patricia Zupan-­Eugster, 43, wie man auch in unsteten Zeiten gelungene Veranstaltungen auf die Beine stellt. Im Interview verrät sie, wie das funktioniert.

«SO WIRD AUCH DEIN EVENT EIN ERFOLG» Patricia Zupan-­Eugster

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Das war auch schon vor der Pandemie so. Dieses Denken in Worst-Case-Szena­ rien hat sich durch Corona verstärkt, aber ja, ausbremsen ­lassen wir uns trotz­ dem nicht. Deine Arbeit als Veranstalterin hat sich in den letzten zwei Jahren aber trotzdem verändert, oder? Ja, man muss heute noch flexibler sein, noch gelassener reagieren und noch mehr auf die Bedürfnisse aller B ­ eteiligten

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W3/STEFAN MAYR

the red bulletin innovator: 2019 hast du mit deiner Schwester erstmals das Female Future Festival am Bodensee ausgerichtet. 2022 sind es bereits fünf Termine, darunter Stopps in Graz und Wien, zusätzlich expandiert ihr nach München und Zürich. Corona kann euch nichts anhaben – oder wie lässt sich das deuten? patricia zupan-eugster: Als «Event­ lerin» gehe ich immer vom Besten aus, rechne aber mit dem Schlimmsten.


S A V E T H E D AT E achten. Speziell das Thema Sicherheit ist enorm wichtig. Hygienekonzepte müssen passen, damit sich die Besucher so wohl wie möglich fühlen. Bei dem Thema gibt es keine Kompromisse. Zugleich muss man sich aber auch dessen bewusst sein, dass es immer Dinge geben wird, die man nicht in der Hand hat. ­Darum ist mein Nummer-eins-Tipp: ­immer einen Plan B haben. Mal angenommen, die Technik streikt – wie sieht dein Plan B aus? Zunächst rate ich jedem, nicht erst am Tag des Events zu checken, ob der Beamer läuft und die Internetverbindung stabil ist. Schaut euch alles spätestens am Vortag an. So kann man reagieren, Ersatzgeräte besorgen oder Spezialisten kommen lassen. Und so merkt man auch, wie schwach oder auf Zack die lokale Technik-Crew ist. Im Ernstfall eine Person aus dem eigenen Team freischaufeln, damit die sich nur darauf fokussieren kann. Denn egal wie gut die Inhalte sind, wenn Technik oder Catering nicht passen, wird es niemals eine erfolgreiche Veranstaltung. Wie seid ihr im Team aufgestellt, um solche Ausfälle abzufedern? Wir sind insgesamt zwölf Leute und nach dem Vier-Augen-Prinzip organisiert. Wenn ich verhindert bin, wissen ­meine Kolleginnen Verena und Sarah über alles ­Bescheid, und umgekehrt. Es gibt nicht die eine Person, die das ganze Event überblickt, sondern alles ist runtergebrochen in kleinere Arbeitsgruppen, die aus mindestens zwei Personen bestehen. Und wenn kurzfristig eine Speakerin ausfällt? Uns ist von vornherein wichtig, mit den Speakerinnen persönlich zu sprechen, nicht über irgendwelche Manager. Darum ist deren Bindung zu uns und dem Event eine ganz andere. Und wir besprechen auch immer direkt, wie das Ganze abläuft, falls das Festival oder der Auftritt kurzfristig virtuell stattfinden muss. Das kann ja auch mal ganz simpel daran liegen, dass ein Flug storniert wird. ­Ansonsten, wie gesagt, alles so flexibel wie möglich gestalten, Programmpunkte tauschen oder eine spontane Masterclass mit einer Speakerin aus der näheren ­Umgebung machen. Genau da zahlt sich eben der persönliche Draht wieder aus. Ähnlich halten wir es übrigens auch mit unseren Partnern.

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Wie kann man sich das vorstellen? Wir machen kein klassisches Sponsoring nach dem Motto: «Gib mir dein Logo, und ich klatsch es für Geld irgendwohin.» Uns geht es um langfristige, stabile Beziehungen. Dann ist auch mehr Verständnis da, wenn man umdisponieren, verschieben oder wirklich absagen muss. In solchen Fällen ist uns aber auch wichtig, Ersatzleistungen anzubieten. Einmal ­haben wir zum Beispiel Überraschungsboxen mit verschiedenen Goodies für alle Ticket­besitzer rausgeschickt. Oder wir haben Online-Workshops organisiert, bei denen sich die Firmen dann präsentieren können. Mit dieser Devise sind wir super gefahren. So sind uns während der ­vergangenen zwei Jahre alle Partnerschaften erhalten geblieben. Welchen Anreiz schafft ihr für Be­ sucher, trotz aller Verunsicherungen wieder eure Events zu besuchen? Wir versuchen, das ganze Jahr über Kontakt zur Community zu halten und regelmässig spannende Angebote und Inhalte per Mail oder online zu liefern. Davon ab­ gesehen wird neben coolen Speakerinnen, gutem Essen und schönen Locations Networking vor Ort wieder eine grosse Rolle spielen. Dafür feilen wir bereits an verschiedenen Formaten, Round Tables oder Walk-and-Talks mit unseren Expertinnen und Experten. Wie blickst du im Moment auf die ­Zukunft deiner Branche? Sehr positiv. Speziell im Herbst 2022 wird viel los sein, ich glaube, die meisten Veranstalter werden auch die Online-­ Livestreams beibehalten. Zugleich bin ich aber davon überzeugt, dass diese niemals die Emotion realer Treffen werden ersetzen können – das Lachen, den Austausch, die Begeisterung. Denn am Ende kann die Unterhaltung mit einer fremden, offenen Person genauso inspirierend sein wie der Vortrag einer Star-Speakerin auf der Mainstage.

5 × Female Future Festival 2022 Bodensee: 4. Mai Zürich: 15. September Graz: 29. September Wien 6. Oktober München: 27. Oktober Alle Infos unter: female-future.com

PATRICIAS TERMIN -TIPPS

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und 18. Mai 2022 «Auf ihrer Website versprechen sie das heftigste OMRFestival aller Zeiten: TopSpeaker wie Scott Galloway, kreatives Entertainment – mit dem Hamburger Fischerchor oder Lars Ulrich – sowie ­Aftershow-Party mit Live-­ Musik. Da ist Networking der anderen Art angesagt.» #OMR22 – Das Festival für das ­Digitale Universum, Hamburg omr.com

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und 2. Juni 2022 «Ich fand die erste virtuelle Ausgabe des ‹Lead Today ­Shape Tomorrow› von den ­Female Founders im Vorjahr sehr gelungen. Ihren Schwerpunkt, mehr weibliche Talente für die Tech-Szene zu begeistern, haben sie superkreativ umgesetzt. Umso gespannter bin ich, was sie sich heuer überlegt haben.» Lead Today Shape Tomorrow, Wien leadtodayshapetmrw.org

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bis 26. September 2022 «Das Festival steht schon ­länger auf meiner Liste, dieses Jahr soll es endlich mit einem Besuch klappen. Schweizer Events legen den Fokus oft stärker auf den Inhalt als das Drumherum. Ich bin trotzdem sehr gespannt auf die Location, das Catering und natürlich die Speaker.» Digital Festival Zürich digitalfestival.ch

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EVENTTIPPS DER REDAKTION Nach einer langen Durststrecke steigt die Vorfreude auf reale Treffen und echten Austausch. Hier sind Termine und Tipps, die du nicht verpassen solltest.

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bis 30. Juni 2022

Es ist ein Potpourri vieler Dinge, die auf den ersten Blick gegensätzlich wirken, sich am Ende aber ideal ergänzen: Nachwuchsaktivisten treffen auf ­etablierte Politiker. Grosse ­Unternehmer diskutieren mit jungen Start-uppern. Auf Keynotes folgen Musik-Acts. So passt es auch, dass man beim 4Gamechangers Festival an zwei Tagen live per Stream oder im TV-Studio dabei sein kann, der Abschluss dann aber beim grossen Sommerfest in der Wiener Marx Halle zelebriert wird. Frei nach der Devise: Work hard, play hard.

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Juni bis 25. September 2022

Seit Januar 2022

LivingTown realisiert urbanes Arbeiten und Leben im Herzen von Zürich-Altstetten. Das CoLiving-Konzept umfasst Business-Lofts, die die gleichen Services wie im Hotel beinhalten; und noch mehr. Die Community Zone lädt zum Verweilen oder Kochen mit Gleichgesinnten ein. Mit der integrierten Office LAB Mitgliedschaft ist der Zugang zu inspirierenden Co-WorkingSpaces schweizweit ermöglicht. LivingTown livingtown.ch

Die documenta ist die wichtigste Reihe von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst weltweit. Über hundert inter­ nationale Künstler zeigen hier ihre Werke. Selbst Hollywoodstar Brad Pitt kam schon zu Besuch. Leider ­findet die Ausstellung nur alle fünf Jahre statt. Ein Grund mehr, den Termin nicht zu verpassen. documenta, Kassel documenta.de

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bis 8. Mai 2022

Entdecken, staunen, ge­ niessen: Nach einjährigem Unterbruch findet die Man’s World Zürich bereits zum 6. Mal statt. Die Messe für Liebhaber guter Dinge präsentiert sich zum ersten Mal in der neuen Halle 550 in ­Zürich-Oerlikon. Mit dabei sind wieder über 100 aus­ gewählte, vorwiegend regionale Hersteller, hochwertige Produkte oder Dienstleistungen und eine ganze Reihe an Überraschungen und Attraktionen. Man’s World mansworld.com JEAN-CHRISTOPHE DUPASQUIER/MANSWORLD.COM, NICOLAS WEFERS

SAVE THE DATE

4Gamechangers 4gamechangers.io

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K O M M E N TA R E K O M M E N T I E R T

The Red Bulletin Innovator

Dieser Bus revolutioniert die Autoindustrie Das Start-up ElectricBrands entwickelte den XBUS nach dem «Lego-Prinzip».

FAN-POST Innovation sorgt für Irritation. Und Irritation für lustige Kommentare auf Social Media. Hier beziehen Innovatoren zu den Posts Stellung. Diesmal: Mobility-Pionier Martin Henne über seinen Elektrobus XBUS.

D Herb van Dijk

Vergrössertes Playmobil-­ Spielzeug??

Hanns-Helmut Köpke

Das Ding sieht aus wie ein russischer Gefangenentransporter.

Robert Falkner

Billiger Bulli T1, Chinesennachbau.

as deutsche Unternehmen ­ElectricBrands hat mit dem XBUS ein aussergewöhnliches Gefährt entwickelt – mit 20 PS, bis zu 800 Kilometer Reichweite, einem smarten Modulsystem für Einsätze als Transporter, Pick-up oder als Campingbus – und nicht zuletzt mit der Fähig­keit zu polarisieren. Auf der INNOVATOR-­­Facebook-Seite (Liken erlaubt!) zog das Video zum Artikel aus unserer letzten Ausgabe hunderte Reaktionen und Postings nach sich. Wir ­geben nicht nur mit Freude drei der kreativsten wieder, sondern Electric­Brands-CEO Martin Henne zugleich die Möglichkeit, diese gleich selbst zu kommentieren. Denn eines steht fest: Der XBUS wird kommen – ob er gefällt oder nicht.

Martin Henne

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Martin Henne

arbeitete von 2011 bis 2021 als Managing Director bei der CT Engineering Group mit Fokus auf Automotive, Luftfahrt, Schienenfahrzeuge und erneuerbare ­Energien. Seit letztem Jahr ist er CEO des Mobility-Start-ups ElectricBrands.

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ELECTRICBRANDS.DE

Danke für das Feedback! Den Vergleich mit dem Bulli hören wir oft – das ist ein Kult­auto, bei dem vieles richtig gemacht wurde. Daran knüpft ja ­unser «Keep it simple»-Motto an. Design ist immer Geschmacks­sache und kann polarisieren. Aber hey, ­Polarisierung ist bereichernd, regt zu Dis­ kussionen an und kann Veränderungen voran­ treiben. Und genau das wollen wir: Mobilität ­nachhaltig verändern.


1. Aus welchem Buch hast du am meisten gelernt? «Radical Candor: How to Get What You Want by Saying What You Mean» von Kim Scott. Der Untertitel beschreibt sehr gut, worum es geht: Wie man radikale Ehrlichkeit in Teams oder privat umsetzt. Das Buch ist eher schwere Kost, aber dank den vielen ­witzigen Beispielen und Situationen gut nachvollziehbar.

M Y F AV O U R I T E S

DIE TOOLS DER SEX-PIONIERIN

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Welchen Apps und Inspirationsquellen «femtasy»Gründerin Nina Julie Lepique im Alltag vertraut.

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Welche App hast du zuletzt für dich entdeckt?

Welchen News­ letter liest du bis zum Ende? Den von product. growth. Das ist ein cooler Newsletter von Produktdesignern, die bekannte Apps analysieren und konkretes Feedback geben. Auch als Nicht-­ Designer kann man viel lernen: wie man Business Metrics optimiert, wie man Features neu denkt, wie man mit Usern kommuniziert.

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Die Leadership-­ Training-App Bunch. Ich habe vor kurzem ­einen der Gründer kennengelernt. Er und sein Team liefern snackable Leadership-Tipps für ­jeden Tag. Du kannst unter mehreren Bereichen auswählen, je nachdem, in welchem Bereich du noch was lernen möchtest. Ich habe mich etwa für «Mehr Fokus» entschieden.

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Welchen Instagram-­ Account likst du am häufigsten? Ich finde Lea-Sophie Cramers Account gut. Eine Mischung leicht konsumier­ barer Learnings und guten Einblicken über Ups und Downs aus dem Gründe­ rinnen-Alltag.

«Baby got Business» von Ann-Katrin Schmitz ist meine Nummer eins. Wenn es witziger sein soll, aber ebenso mit schlauen Inhalten, dann empfehle ich «Weibers» von Toyah Diebel und Leila Lowfire.

5.

2.

3.

Bei welchem ­Podcast verpasst du keine Folge?

Nina Julie Lepique

Welche digitalen «Guilty Pleasures» erlaubst du dir? Ich erlaube mir viel digitale «Pleasures» bei den femtasyStorys, aber das ist nicht guilty. Also muss ich zugeben: Ich lese manchmal Promiflash, auch wenn es mich eigentlich gar nicht ­interessiert.

hat sich die sexuellen Bedürfnisse von Frauen zum Beruf gemacht: Mit femtasy (ein Kofferwort aus female fantasy) gründete sie 2017 eine Plattform für erotische Audio-Formate, die sich speziell an Hörerinnen ­richtet. Fünf Jahre später steht die 28-Jährige einem 30-köpfigen Team vor und schreibt Umsätze in Millionenhöhe. Im Podcast INNOVATOR Sessions spricht sie über ihren Erfolgsweg und ihre grösste Stärke: Ehrlichkeit. INNOVATOR Sessions gibt es auf allen gängigen Podcast-Plattformen zu hören.

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BIOHACKING-GADGET

«D IESE GLOCKE BRINGT DICH IN BALANCE» Biohacker Andreas Breitfeld zeigt uns Gadgets, die unser Leben verbessern. Dieses Mal: wie wir uns mit der Echobell in Ruhe schwingen. Aussen Design, das an Esoterik erinnert, innen ein Hightech-­ Motor, der den Stössel (ganz ­unten) exakt vibrieren lässt.

Andreas Breitfeld

nimmt als Biohacker seine Gesundheit selbst in die Hand und in seinem Labor Gadgets auf den Prüfstand. Für uns bewertet er diese Gadgets – hier und in seiner Video-Serie. Code scannen und ansehen:

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Da Nervenendpunkte mit dem Mandel­ kern – also dem Emotionszentrum in ­unserem Gehirn – verbunden sind, sorgt das für Entspannung. Der begleitende Ton fördert diesen Prozess noch und wirkt zudem gegen Geräuschverschmutzung, die uns im Alltag meist umgibt. Für mich ist die Echobell mittlerweile ein unver­ zichtbarer Teil meines Abendrituals. Rund 660 CHF; echobell.com GADGE T- O - ME TER

KLAUS PICHLER, NORMAN KONRAD

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pätestens wenn wir die Welt auf ­Molekularebene betrachten, müssen wir uns vom statischen Weltbild ver­ abschieden. Fast alles um uns herum und auch wir sind ständig in Bewegung. Diese Schwingung beeinflusst u. a. die Aktivität unserer Mitochondrien, also unserer ­Zellkraftwerke. Und genau hier setzt die Echobell an. Eine Kombination von feinen Schwingungen und einem subtilen Ton soll harmonisierend wirken und Stress abbauen. Klingt sehr ambitioniert, funk­ tioniert aber tatsächlich. Dafür wird das deorollergrosse Gadget für ein paar Minuten an unterschiedlichen Nerven­ endpunkten wie etwa der Handinnen­ fläche platziert, während der Stössel am ­Boden des Geräts dank Hightech-­ Motor hochfrequent vibriert.

Schnäppchen Luxus 0

für jedermann 0

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SWITZERLAND

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SEI DABEI


KOLUMNE

Top-Speaker Ali Mahlodji erklärt, wieso ihm die Basketball-Ikone in Phasen der Unsicherheit hilft und wie wir Superkräfte auch in uns wecken.

WAS WÜRDE MICHAEL JORDAN TUN?

Widrig­keiten zum Trotz eines konnte: cool bleiben. Wir nennen es gerne auch Gelassenheit. In meiner Jugend war Michael Jordan mein Held. Für mich als stotternden und schüchternen Jugendlichen, dessen Klamotten jahrelang nur secondhand waren, war er diese eine, diese ganz spezielle Person, die mir Kraft gab. Aus einem «einfachen» Grund: Er schaffte es auch in Situationen, in denen die Er­ wartungshaltung an ihn riesig war, bei sich zu bleiben und sich auf sein Können zu verlassen.

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ir schreiben den 7. Mai 1989: Noch wenige Sekunden im finalen Spiel der ersten Runde der NBA Finals zwischen den Chicago Bulls und den Cleveland Cavaliers. Cleveland führt vor eigenem Publikum mit einem Punkt. Der Ball wird eingeworfen, und trotz heftiger Defense findet er zu Michael Jordan. Der macht zwei Schritte, springt … und für einen Augenblick steht die Zeit still. In dem Moment, in dem der Ball von ­seinen Fingern tropft, ahnen alle, dass sie wieder einmal Zeugen davon werden, wie Michael Jordan mit dem Rücken zur Wand das Spiel zu Gunsten seiner Bulls umdreht. Im Laufe des Spiels hatte die Führung sechsmal gewechselt, doch zum Schluss zeigt das Scoreboard 101:100 für die Chicago Bulls. Warum erzähle ich das? Weil es ein einzigartiger Moment war? Nein. Sondern weil es eben kein einzigartiger Moment war. Jordans Leistung an diesem Abend war keine Ausnahme, sondern die Regel, die diesen Ausnahmesportler bestätigt. Michael Jordan war wie schon so oft die eine Person am Spielfeld, die allen

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Ali Mahlodji ist ein Meister des Wandels: vom Schulabbrecher zum Start-up-Gründer und Unternehmensberater, vom stotternden Flüchtlingskind zu einem der Top-Speaker im deutschsprachigen Raum. Der 41-Jährige ist EU-Jugend­ botschafter, Podcaster, Autor und nun auch Kolumnist. Seine Beiträge online: redbull.com/innovator

Von dem Moment an, als er in mein L ­ eben kam (es war ein Basketballheft von einem Kumpel), bis heute stelle ich mir, wenn ich vor einer schier unüberwind­baren Hürde stehe, die Frage: «Was würde ­Michael tun?» Und in diesen Momenten erkenne ich dann schlagartig, dass ge­ rade in Phasen der Unsicherheit nur die innere Gelassenheit das Fundament für die nächsten klugen Schritte sein kann. Gelassenheit ist eine Superpower. Weil sie gegenwärtig ist. Wir erleben ständig, dass Menschen um uns herum Angst vor der Zukunft haben – und bei aller Panik die eine Sache übersehen, die wirklich zählt: den Fokus auf die Dinge, die wir tatsächlich ändern können. Natür­ lich stehen uns Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, oft im Weg. Mental soll­ ten sie uns aber nicht im Weg stehen. Durch Michael Jordan habe ich gelernt, dass alles, was wir tun, niemals nur am Output zu bewerten ist, sondern daran, wie wir die Dinge sehen. Die mentale Haltung einer problematischen Situation gegenüber definiert viel eher unsere ­Lösungsfindung als die Frage, welche Tools wir anwenden. Gerade ältere Menschen sind sehr gut darin, dann gelassen zu bleiben, wenn meine Generation mal wieder den Teufel an die Wand malt. Was ältere Menschen uns voraushaben, ist die Weisheit, dass

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MATO JOHANNIK

Mit der Kraft der Gelassenheit


IMPRESSUM

der Fluss des Lebens eine Mischung aus Stromschnellen und ruhigen Bade­ plätzen vereint und dass wir Menschen mit beidem umgehen können. Voraus­ gesetzt, wir sehen das Leben nicht als eine einzige heimtückische Stromschnelle.

Lernen von Alten … oder Kindern

Was wir brauchen, damit Gelassenheit unser täglicher Begleiter wird, sind das Vertrauen in uns selbst und die un­ schuldige Naivität unserer Kindheit, mit der wir aus dem Nichts heraus den auf­ rechten Gang erlernt haben. Wohlgemerkt sind wir damals ständig hingefallen, ­haben uns das Knie angestossen – und haben trotzdem weitergemacht. Weil wir von Neugierde beflügelt waren und die Gelassenheit unserer Eltern uns ­signalisierte, dass alles gut sei. Gelassenheit ist die innere Kraft, ­Situationen so zu akzeptieren, wie sie sind, und uns auf unser eigenes Wissen und unsere Erfahrung zu verlassen. Und das Beste daran: Das lässt sich üben! Da­ für müssen wir nicht jeden Tag stunden­ lang meditieren. Es reicht schon, dass wir uns – wenn wir das nächste Mal wie­ der anstehen und nicht weiterkommen – in die Fussstapfen jener Menschen hin­ einfühlen, deren Gelassenheit wir gerne hätten. «Was würde Michael jetzt tun?», «Was würde meine Oma jetzt machen?» oder «Was würde meine dreijährige Tochter jetzt sagen?». Egal was das Leben uns hinschmeisst: Es ist deine Gelassenheit, mit der du den langen Pfad beschreitest. Und wenn du gelassen bleibst, hat dein Umfeld durch dich einen Leuchtturm, an dem es sich orientieren kann.

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Gesamtleitung The Red Bulletin Alexander Müller-Macheck (Ltg.), Sara Car-Varming Chefredaktion The Red Bulletin Andreas Rottenschlager (Ltg.), Andreas Wollinger Chefredakteur Innovator Alexander Müller-Macheck Creative Director Innovator Kasimir Reimann (Ltg.), Erik Turek Art Direction Marion Bernert-Thomann, Miles English, Tara Thompson Grafik Martina de Carvalho-Hutter, Kevin Faustmann-Goll, Cornelia Gleichweit, Antonia Uhlig Fotoredaktion Eva Kerschbaum (Ltg.), Marion Batty (Stv.), Susie Forman, Tahira Mirza, Rudi Übelhör Digitalredaktion Christian Eberle-Abasolo (Ltg.), Marie-Maxime Dricot, Melissa Gordon, Lisa Hechenberger, Elena Rodriguez Angelina Head of Audio Florian Obkircher Chefin vom Dienst Marion Lukas-Wildmann Managing Editor Ulrich Corazza Publishing Management Melissa Stutz (Ltg.), Ivona Glibusic, Bernhard Schmied Managing Director Stefan Ebner Head of Media Sales & Partnerships Lukas Scharmbacher Head of Co-Publishing Susanne Degn-Pfleger Projektmanagement Co-Publishing, B2B-Marketing & Communication Katrin Sigl (Ltg.), Katrin Dollenz, Thomas Hammerschmied, Teresa Kronreif (B2B), Eva Pech, Valentina Pierer, Stefan Portenkirchner (Communication), Jennifer Silberschneider, Sophia Wahl Creative Services Verena Schörkhuber-Zöhrer (Ltg.), Sara Wonka , Tanja Zimmermann, Julia Bianca Zmek, Edith Zöchling-Marchart Commercial Management Co-Publishing Alexandra Ita Editorial Co-Publishing Raffael Fritz (Ltg.), Gundi Bittermann, Michael Hufnagl, Irene Olorode, Mariella Reithoffer, Wolfgang Wieser Executive Creative Director Markus Kietreiber Senior Manager Creative Elisabeth Kopanz Art Direction Commercial & Co-Publishing Peter Knehtl (Ltg.), Luana Baumann-Fonseca, Silvia Druml, Erwin Edtmayer, Simone Fischer, Andreea Gschwandtner, Lisa Jeschko, Araksya Manukjan, Carina Schaittenberger, Julia Schinzel, Florian Solly, Dominik Uhl, Sophie Weidinger, Stephan Zenz Head of Direct to Consumer Business Peter Schiffer Direct to Consumer Business Marija Althajm, Victoria Schwärzler, Yoldaş Yarar (Abo) Retail & Special Projects Manager Klaus Pleninger Anzeigenservice Manuela Brandstätter, Monika Spitaler Herstellung & Produktion Veronika Felder (Ltg.), Martin Brandhofer, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad Isailovic, Sandra Maiko Krutz, Josef Mühlbacher Finanzen Mariia Gerutska (Ltg.), Simone Kratochwill MIT Christoph Kocsisek, Michael Thaler IT Service Desk Maximilian Auerbach Operations Alice Gafitanu, Melanie Grasserbauer, Alexander Peham, Thomas Platzer Projekt Management Dominik Debriacher, Gabriela-Teresa Humer Assistant to General Management Sandra Artacker Geschäftsführer Red Bull Media House Publishing Andreas Kornhofer Verlagsanschrift Am Grünen Prater 3, A-1020 Wien Telefon +43 1 90221-0 Web redbulletin.com Medieninhaber, Verlag & Herausgeber Red Bull Media House GmbH, Oberst-LepperdingerStrasse 11–15, A-5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU63611700 Geschäftsführer Dkfm. Dietrich Mateschitz, Dietmar Otti, Christopher Reindl, Marcus Weber

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN Schweiz, ISSN 2308-5886 Länderredaktion Stefania Telesca Country Project Management Melissa Stutz Lektorat Hans Fleißner (Ltg.), Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner, Klaus Peham, Vera Pink Media Sales & Brand Partnerships Christian Bürgi (Ltg.), christian.buergi@redbull.com Marcel Bannwart, marcel.bannwart@redbull.com Jessica Pünchera, jessica.puenchera@redbull.com Goldbach Publishing, Marco Nicoli, marco.nicoli@goldbach.com

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN Deutschland, ISSN 2079-4258 Länderredaktion Maximilian Reich Country Project Management Nina Hahn Lektorat siehe entsprechenden Eintrag bei der Schweiz Media Sales & Partnerships Thomas Hutterer (Markenlead), Alfred Vrej Minassian, Michael Baidinger, Franz Fellner, Ines Gruber, Wolfgang Kröll, Gabriele Matijevic-Beisteiner, Nicole OkasekLang, Britta Pucher, Jennifer Sabejew, Johannes Wahrmann-Schär, Ellen WittmannSochor, Ute Wolker, Christian Wörndle, Sabine Zölss

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN Österreich, ISSN 1995-8838 Länderredaktion Alexander Müller-Macheck Country Project Management Bernhard Schmied Lektorat siehe entsprechenden Eintrag bei der Schweiz Media Sales & Partnerships Thomas Hutterer (Markenlead), Alfred Vrej Minassian, Franz Fellner, Ines Gruber, Thomas Gubier, Wolfgang Kröll, Gabriele Matijevic-Beisteiner, Nicole Okasek-Lang, Britta Pucher, Jennifer Sabejew, Johannes WahrmannSchär, Ellen Wittmann-Sochor, Ute Wolker, Christian Wörndle, Sabine Zölss anzeigen@at.redbulletin.com Sales Operations & Development Anna Schönauer (Ltg.), David Mühlbacher Offenlegung gemäss § 25 Mediengesetz Informationen zum Medieninhaber sind ständig und unmittelbar unter folgender Web-Adresse auffindbar: redbull.com/im/de_AT Kontakt redaktion@at.redbulletin.com

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DER WEISHEIT LETZTER SCHLUSS Unerwartete Digitalisierungs-Hindernisse für Götterkinder mit versteinerndem Charisma.

NICOLAS MAHLER

Nicolas Mahler, 52,

ist einer der renommiertesten Zeichner im deutschsprachigen Raum. Seine Illustrationen erschienen u. a. in «FAZ», «Die Zeit» oder «Der Spiegel». Er lebt und arbeitet (zum Glück die meiste Zeit ohne eingefrorene Gesichter am Bildschirm) in Wien.

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