The Red Bulletin CD 06/25

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Dom Daher

hat in den vergangenen Jahrzehnten im Skisport schon so ziemlich alles fotografiert. Sprünge eines Aerials-Athleten im Schwimmbecken waren noch nicht dabei. Nach dem Shoot mit Noé Roth kann er auch dies abhaken. Ab Seite 64

Ben Tallon

arbeitet als Illustrator (u. a. für «The Guardian», «The New York Times» und die Premier League). Sein energiegeladener Stil verbindet Handarbeit mit digitalem Finishing. Für diese Ausgabe war er für das Handlettering auf unserem Cover zuständig.

Ausgabe hat sie unsere Literaturkolumne «On a Positive Note» übernommen und erzählt, was ein Pony mit innerer Ruhe zu tun hat. Ab Seite 120

Ob bretterharte Abfahrten oder Sprünge in frostigen Höhen:

In dieser Ausgabe nimmt uns die Elite des Wintersports mit auf ihre Abenteuer in Eis und Schnee. Zum Beispiel Ski-Ass Franjo von Allmen, der –wenn nicht mit Skiern auf der Piste – mit dem Töff in wildem Gelände unterwegs ist. Was das eine mit dem anderen gemeinsam hat, lest ihr ab Seite 36. Nur so viel: Mut zum Risiko und Lust auf Spass spielen wichtige Rollen. Auch Marco Odermatt hat beides zur Genüge: Er hat im Ski-Zirkus so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Wie er seine sportliche Flamme am Lodern hält, erfahrt ihr ab Seite 52.

Und als Krönung liefern wir ab Seite 75 einen Einblick in das Mindset von 27 Wintersport-Grössen, die wir dringend im Auge behalten sollten. Viel Freude mit dieser Ausgabe! Die Redaktion

THE M5 TOURING

Paul Verbnjak 22 Skibergsteiger

Der ehemalige Skirennfahrer

Marco «Büxi» Büchel gewährt uns intime Einblicke in den Alltag der Pisten-Profis.

Ski Alpin Risk

Für Franjo van Allmen gehören Spass und Nervenkitzel zusammen: auf den härtesten Abfahrten wie auch auf dem Töff.

Alpin

Doppelweltmeister Loïc Meillard nimmt seine Kamera – und uns –mit durch die Jahreszeiten.

Ski Alpin

Marco Odermatt hat (fast) alles gewonnen. Wie hält er die Freude am Siegen aufrecht?

Freeski Vertrauensfrage 58

Profi Mathilde Gremaud über Bodenhaftung und Kopfarbeit.

Freeski

Schwindelfrei 64

Der Schweizer Noé Roth ist der Aerials-Athlet der Stunde.

Winter Heroes

Let’s go!

27 Publikumslieblinge, die wir in dieser Wintersaison bei Höchstleistungen erleben.

Skicross

Fanny Smith über ihren eindrücklichen «Weg nach oben»

75

Lifestyle Mit viel Stil 98

Ski-Ass Lucas Pinheiro Braathen zeigt uns seine Wahlheimat Mailand.

Mathilde Gremaud hebt ab – hier bei den Laax Open 2025.

Die viertägige Rallye Chile Bio Bío ist für ihre schnellen und anspruchsvollen Schotterpisten bekannt. Die Sicht ist oft durch Nebel eingeschränkt; der Aufschrieb muss also passen, eine verpasste Ansage des Beifahrers katapultiert das Auto ansonsten in Sekundenschnelle ins Unterholz. Bei den beiden Belgiern Grégoire Munster und Louis Louka hat es bei der diesjährigen Ausgabe Mitte September jedenfalls gepasst: Sie landeten mit ihrem Ford Puma Rally1 auf dem sehr guten achten Platz. Insta: @gregoiremunster, @loucodriver

Boston, USA Action2

Besonderes Szenario für einen besonderen Anlass: Zur Feier des 100. Stopps liess die Red Bull Cliffdiving World Series ihre Athleten vom Mast eines Segelschiffs springen. So entstanden im Hafen von Boston Aufnahmen wie diese von Rhiannan Iffland aus Australien (links) und Kaylea Arnett aus den USA. Fast wirkt es, als spiegelten sich die Springerinnen im freien Fall vom 21-Meter-Podest. Nach der Showeinlage gewann Iffland übrigens das Saisonfinale in Boston –und damit die gesamte Serie 2025. Insta: @rhiannan_iffland, @kayleazoe

Taschkent, Usbekistan Dream Team

Der mexikanisch-amerikanische B-Boy Victor (links) ist zweifacher Red Bull BC One World Champion, der kasachische B-Boy Dias (unten) eine regionale Grösse der BreakingSzene – und das ukrainische B-Girl Killa Kim eine der stärksten weiblichen Stimmen im internationalen Breaking. Was sie gemeinsam haben? Den drei Juroren mussten sich die Teilnehmer von Red Bull BC One Cypher Usbekistan stellen. Instagram: @supamontalvo, @dias.awbakir, @_killa_kim_

Porto Alegre, Brasilien

Rampe runter

Ein Traum, der ihn ganze dreizehn Jahre nicht losliess: Die 50-jährige brasilianische Skaterlegende Sandro Dias verwandelte das Centro Administrativo Fernando Ferrari in Porto Alegre in eine gigantische Rampe für ein waghalsiges Kunststück – vom Dach des 22-stöckigen Gebäudes raste er über 70 Meter hinab und erreichte dabei unglaubliche 103,8 km/h. Der sechsmalige Weltmeister im Vert-Skating brach damit gleich zwei Weltrekorde, jenen des höchsten Drops in eine temporäre Quarterpipe und jenen der höchsten dabei je gemessenen Geschwindigkeit. «Gib deine Träume nie auf!», sagte er nach seiner Rekordfahrt. Mission accomplished! Instagram: @diassandro

Finale im Upside Down

In der fünften Stafel der gefeierten Netfix-Serie «Stranger Things» reisen wir ein letztes Mal mit Elf und ihren Buddys in die düstere Schattenwelt von Hawkins.

9,5

Jahre liegen zwischen dem Erscheinen der ersten Folge am 15. Juli 2016 und dem Startschuss der finalen 5. Staffel am 27. November 2025. In der fiktiven Kleinstadt Hawkins vergingen nur vier, von 1983 bis 1987.

906

Jungen und 307 Mädchen sprachen für die verschiedenen Rollen der Kinder vor. Gaten Matarazzo, der Dustin in der Serie mimt, wurde direkt nach seinem Video­Casting unter Vertrag genommen.

11

bzw. Eleven ist nicht nur der Name der Hauptfigur, sondern war auch das Alter von Millie Bobby Brown, als sie für die Rolle gecastet wurde. Heute ist sie 21 und mit Jacob Hurley Bongiovi, Sohn des Musikers Jon Bon Jovi, verheiratet.

1 000 000 000

US­Dollar wurden laut Branchenberichten bis 2023 mit Merchandise­Artikeln zur Serie eingenommen – von eigenen Lego­Welten bis zum «Upside­DownWhopper» bei Burger King.

7,5

Stunden musste der britische Schauspieler Jamie Campbell Bower täglich in der Maske verbringen, um sich in den monströs aussehenden Antagonisten Vecna zu verwandeln.

37

Jahre nach dem Release 1985 stieg Kate Bush mit «Running Up That Hill», dem ikonischen Song aus Staffel 4, erneut in die Charts ein und wurde mit knapp 64 zur ältesten Künstlerin mit einem Nr.­1Song in Grossbritannien.

286 790 000

Streaming­Stunden erzielte die 4. Staffel allein innerhalb der ersten drei Tage. Dieser Raketenstart machte «Stranger Things» 2022 zur meistgestreamten Serie in den USA.

545

Kilo Bittersalz wurden dafür ver wendet, um Elf in der 1. Staffel scheinbar schwerelos im Wassertank schweben zu lassen.

4,5

Stunden dauerte das erste Meeting von Schauspielerin Winona Ryder, die Joyce Byers spielt, und den Regisseuren Matt und Ross Duffer. Am nächsten Tag sagte sie zu –zur Freude aller Beteiligten.

BÜHNE FREI FÜR EINE KLASSE FÜR SICH.

HochBrettern

Auf E-Skimos erleichtert ein Motor den Aufstieg am Berg. Tech-Checker Kirafn begibt sich auf Probe-Tour.

Das Teil

Hinter der Bindung dieses Tourenskis sitzt ein E-Motor, der eine Raupenkette unter dem Ski antreibt. Dank Sensoren und KI erkennt das System anstrengende Passagen und unterstützt dich gezielt beim Aufstieg. Laut Hersteller kommst du so um bis zu 80 Prozent schneller den Berg hinauf, bei 30 Prozent weniger Kraftaufwand. Vor der Abfahrt kannst du Motoren und Ketten im Rucksack verstauen.

Der Hype

Weltneuheiten ziehen auch auf TikTok, viele Videos gibt es aber naturgemäss noch nicht. Der bisher erfolgreichste Clip stammt von User @monsieurgrrr und zählt rund eine Million Views.

Der Check

Für anspruchsvolle Touren eher nicht geeignet. Aber wer entspannt unterwegs ist, hat so nach dem Ausflug noch genug Power für AprèsSki. 4 500 Franken für die Launch-Edition tun aber weh.

MUST-HAVE-FAKTOR

Kirafin

heisst bürgerlich Jonas Willbold, ist 31 und unterhält seine 1,3 Millionen Follower auf TikTok mit ComedyFormaten. Nebenbei folgt er seiner Faszination für Tech-Produkte und -Trends. Für uns nimmt er aktuelle Hypes unter die Lupe.

Am laufenden Band: Der elektrische Motor treibt den Riemen an, der unter dem Ski für Vortrieb sorgt.

Speed up: Auf Knopfdruck am Skistock kann der Fahrer die Power des Motors erhöhen oder reduzieren.

Perfekt für …

… E-Mountainbike-Fans, die ihre Leidenschaft auch im Winter ausleben wollen.

Ungeeignet für …

… Puristen, für die ein Aufstieg nur zählt, wenn er aus eigener Kraft gelingt.

DER NEUE ELEKTRISCHE CLA.

Bis zu 792 km Reichweite: Mit dem neuen CLA erleben Sie die nächste Generation vollelektrischer Fahrfreude. Kombiniert mit künstlicher Intelligenz, progressivem Design und zukunftsweisender Technologie. Steigen Sie ein.

James Vickery

verlor als Kind sein Gehör auf dem linken Ohr, heute ist er einer der aufregendsten Sänger Europas. Hier erzählt er, wie ihm die Taubheit half, seine eigene Stimme zu finden.

Dass er singen kann, entdeckte James Vickery, als er wieder sprechen lernen musste, und das kam so: James, der als Sohn eines walisischen Vaters und einer südafrikanischen Mutter im Süden Londons aufwuchs, verbrachte einen grossen Teil seiner Kindheit in Krankenhäusern. Grund waren Ohrenentzündungen, die sein Gehör immer stärker beeinträchtigten. Nach Jahren wurde die Ursache für die Entzündungen entdeckt: ein lebensbedrohlicher Tumor im Kopf, der sich in Richtung Gehirn vergrösserte. James war neun, als der Tumor entfernt wurde. Sein Leben war gerettet – aber er hörte nun auf dem linken Ohr nichts mehr und hatte seine Stimme verloren.

Die Stimmtrainerin, mit der er arbeitete, um seine Stimme wiederzuerlangen, ermutigte ihn zum Singen. Ein guter Tipp: James Vickerys ebenso gefühl- wie kraftvoller Gesangsstil brachte ihm 2018 mit dem Song «Until Morning» 40 Millionen Klicks auf dem YouTube-Kanal COLORS Er jobbte damals in einem Kino und nahm sich für die Aufnahme des Songs einen Tag frei. «Ich fühlte mich wie am Scheideweg», sagt er heute. «Ich weiss noch, wie ich damals zu meinem Manager sagte: ‹Wenn ich das richtig mache, kann sich alles ändern.›» Tatsächlich machte er es richtig – und tatsächlich änderte sich alles. Es folgten ein Plattenvertrag und eine professionelle Karriere als Musiker. Das laufende Jahr ist das bislang grösste seiner Karriere: Im Mai trat Vickery vor Fans seines heissgeliebten Fussballklubs Crystal Palace FC auf, kurz vor dem sensationellen Sieg des Teams im FA-Cup-Finale (1:0 gegen Manchester City). Zuletzt erschien sein zweites Album «James» (bei Red Bull Records), auf dem er vor allem seine Liebe zum R& B auslebt,

On point

Geboren in South London; Alter: 31; grösster Erfolg: 40 Millionen Views mit Auftritt im YouTube-Format «A COLORS SHOW»; besonderes Merkmal: ein MuteZeichen hinterm linken Ohr; entscheidend: ein Gig der Band Boyz II Men inspirierte James, selbst Sänger zu werden

aber auch andere Sounds einfiessen lässt. Aktuell ist er auf Tour durch die USA und Europa. Wir sprachen mit ihm über Identität, unsichtbare Behinderungen – und warum es so gut ist, Gefühle zu zeigen.

the red bulletin: Was ist die Inspiration hinter deinem neuen Album? james vickery: Als Künstler hast du oft das Gefühl, dich anpassen zu müssen –an aktuelle Sounds oder an Erwartungen von irgendwelchen Leuten. Dieses Album hat mir ermöglicht, mich so auszudrücken, wie ich bin. Es zeigt meine unbeschwerte Seite ebenso wie die emotionale. Meine Lieblingskünstler waren immer die, die Grenzen verschoben haben. Wie Stevie Wonder, dessen Musik Jahrzehnte überdauert hat. Oder wie Luther Vandross: Er hat Disco, Motown, Soul gemacht, später auch Elektronisches und Upbeat.

Emotionale Songs sind immer noch eher ungewöhnlich für einen Mann. Stimmt schon. Aber ich bin stolz darauf, ein ofener, emotionaler Mensch zu sein, das gehört zu mir, und meine Freunde mögen das, glaube ich, auch. Ich war knapp vor meinem Dreissiger, als ich das Album geschrieben habe. Kaum jemand spricht darüber, wie beängstigend diese Marke als Mann sein kann, vor allem, wenn du siehst, dass alle um dich herum im Leben irgendwie angekommen sind.

Ich war weit davon entfernt. Kein 9-to-5Job, keine Langzeitbeziehung, keine fnanzielle Sicherheit. Aber durch das Schreiben am Album und durchs Reisen habe ich gemerkt: Es ist okay. Jeder hat seinen eigenen Weg. Was dazukam: Ich habe mich kurz vor dem Schreiben des Albums verliebt, also gibt’s nicht allzu viel Herzschmerz auf dem Album.

Wie bist du als Kind damit umgegangen, auf einem Ohr nichts mehr zu hören?

Ich war damals noch sehr jung, und mein Gehör hatte sich schon vor der OP immer mehr verschlechtert. Die Jahre danach waren am schwersten. Als Teenager halb taub zu sein und trotzdem ein soziales Leben führen zu wollen, das war hart. Ich fühlte mich als Aussenseiter. Man muss mit einer solchen Behinderung lernen, sich anzupassen. Sie ist ja unsichtbar. Menschen reden mit dir, ganz normal, und du antwortest nicht – einfach nur, weil du sie nicht gehört hast. Aber sie denken, du bist unhöflich oder arrogant.

Wie beeinfusst dieses Handicap deine Arbeit als Musiker?

Live-Auftritte sind am schwierigsten. Man trägt dabei ja In-Ear-Monitore. Bei mir muss das Mono sein, nicht Stereo, sonst höre ich die Hälfte nicht. Es gibt aber auch Vorteile: Sieh dir grosse Sängerinnen wie Mariah Carey an. Sie halten sich beim Singen den Finger ans Ohr, um sich selbst zu hören – ich muss das nicht machen.

Du bist bei den grössten Casting­Shows angetreten, bei «The Voice» und «The X­Factor». Bist du froh, dass dieser Weg nicht funktioniert hat?

Sehr! Wenn man in diesen Shows Erfolg hat, wird man wahnsinnig schnell in eine Schublade gesteckt, in die man vielleicht gar nicht will. Ich verstehe die Leute, die da mitmachen, ich war ja einer von ihnen! Wenn du keine Connections oder reiche Eltern hast, ist das oft deine einzige Chance. Als es damals nicht klappte, war ich am Boden zerstört. Aber rückblickend gesehen war es das Beste, was mir passieren konnte.

Instagram: @jamesvickery

«Ich neige dazu, offen und emotional zu sein. Darauf bin ich stolz.»

James berührt sein Publikum, weil er sein Inneres

nach aussen kehrt.

Funk Tribu

erobert aktuell die Tanzflächen der Welt. Hier erklärt der Trance-DJ, warum seine Songs grosse Emotionen freisetzen – und weshalb sich so viele Menschen danach sehnen.

Eine eingängige Melodie in g-Moll, sich überlagernde fächige Klänge und der sphärische Gesang einer Frauenstimme: Als Funk Tribu im Oktober 2024 sein «Boiler Room»-Set mit dem Track «Azul» eröfnet, gab es endgültig keinen Zweifel mehr: Trance ist zurück auf den Dancefoors dieser Welt.

Boiler Room ist das weltweit einfussreichste Format für elektronische LiveMusik, dessen DJ-Sets im Livestream und als Aufzeichnung überall auf der Welt angeschaut werden. Das erste Stück eines jeden Sets setzt nicht nur den Ton für den Rest des Abends, es muss die Menge umstandslos zum Tanzen bringen.

Genau das gelang Funk Tribu mit seinem eigenen Track «Azul». Der 24-jährige Kolumbianer ist massgeblich mitverantwortlich für das derzeitige Trance-Revival und hat in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg hingelegt.

Italo Disco als Erweckung

Aufgewachsen in einer Mittelschichtsfamilie in Bogotá, kam Eduardo José Montañez Sanchez das erste Mal im zarten Alter von elf Jahren in Kontakt mit elektronischer Musik. Sein Vater, damals Angestellter einer Bank, betrieb eine Zeit lang eine sogenannte Miniteca, einen kleinen Club, in dem er meist mit Freunden Musik auflegte. Funk Tribus früheste musikalische Erinnerung ist das ItaloDisco-Stück «How Old Are You» von Miko Mission aus dem Jahr 1984. «Es ist superkitschig», sagt er, «hatte aber einen bleibenden Einfuss auf mich. Das Stück hat eine starke Melodie – und für mich ist die Melodie in der Musik alles.»

Funk Tribu fing an, zu Hause mit Freunden aufzulegen: «Ich war neugierig, wie das funktioniert. Irgendwann wollte

On point

Geboren in Bogotá, Kolumbien; Alter 24; lebt in Berlin; bürgerlicher Name Eduardo José Montañez Sanchez; Spotify-Abrufe seines Hits «Phonky Tribu»: rund 102 Millionen; produziert seine Musik im Schlafzimmer; Name seines Hundes Teddy

ich wissen, wie Musik gemacht wird.» Mithilfe von YouTube-Videos brachte er sich das Produzieren bei, mit fünfzehn organisierte er mit Freunden erste Partys. Sobald er volljährig war, begann er, in den Clubs in Bogotá zu spielen. Der erste, in dem er jemals auflegte, war «Radio Berlín» – bis heute einer der wichtigsten Clubs für elektronische Musik in der kolumbianischen Hauptstadt. Der Name scheint im Rückblick fast wie eine Prophezeiung. Im Jahr 2021 nämlich veröffentlichte Funk Tribu seinen Track «Phonky Tribu» bei dem damals noch recht jungen Berliner Label Speedmaster Records. «Daraufhin riefen mehrere Major-Labels dort an», erzählt er.

Von Bogotá nach Berlin

Das Interesse an dem damals gerade Zwanzigjährigen war gross. Das Label lud ihn ein, nach Berlin zu kommen, und nahm ihn unter Vertrag. Weil schnell deutlich wurde, dass die Stadt die bessere Basis für Funk Tribus beginnende internationale Karriere sein würde als Bogotá, brach er sein Sound-Ingenieurs-Studium ab und zog vor drei Jahren nach Deutschland. Heute gibt es kaum ein Wochenende, an dem er nicht in Amsterdam, New York City oder auf Ibiza spielt. Im Oktober 2024 erschien Funk Tribus Album «Against All Odds», jüngst kehrte er nach Hause zurück, um die Gründung seines

eigenen Labels «Tribe» mit zwei ausverkauften Arena-Shows zu feiern. «Phonky Tribu» wurde allein auf Spotify inzwischen nahezu 102 Millionen Mal gespielt.

Funk Tribus Erfolg verdeutlicht, dass Trance zurück ist. In den späten 1980erund frühen 1990er-Jahren entwickelte sich das Genre vor allem in Deutschland, den Niederlanden und Belgien aus Techno und House heraus. Typisch sind ein Viervierteltakt, ein mit bis zu 150 Beats pro Minute schnelles Tempo, fiessende Arpeggios – also Töne eines Akkords, die nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gespielt werden – und hypnotische Synthesizer-Melodien. Überhaupt: Melodien. Während dieses musikalische Element in den meisten anderen Genres elektronischer Musik eher keine Rolle spielt, ist es für Trance bestimmend – und macht es vergleichsweise zugänglich.

Der Schlüssel liegt in der Melodie «Trance ist ein Genre, das grosse emotionale Macht besitzt», sagt Funk Tribu. «Es kann dich glücklich machen oder zum Weinen bringen. Viele Leute suchen momentan eine tiefere Verbindung zu dem, was sie hören.»

Das Geheimnis dieser Verbindung liegt in der Melodie und dem Zusammenspiel von «Build» und «Drop». Die Melodie verleiht einem Track das Eingängige und Wiedererkennbare. «Mit einer Melodie kannst du so viel erzählen, ohne Worte zu benutzen», so Funk Tribu. Der «Build» bezeichnet die sich im Verlauf des Tracks aufbauende Spannung durch anziehende Percussion-Elemente, zunehmende Filter und eine ansteigende Tonhöhe, bevor sich schliesslich alles im «Drop» entlädt. Auf Anspannung folgt Entspannung. Und während es auf dem Dancefoor schon immer darum ging, tanzend in der Menge aufzugehen, erlaubt Trance zusätzlich diese nahezu körperlich spürbare Erfahrung. Es ist diese Formel, die Funk Tribu wie kein Zweiter beherrscht, und damit hat er dazu beigetragen, dass die Lebensfreude zurück auf dem Dancefoor ist.

Play it like Funk: Anlässlich des globalen Gaming-Contests Red Bull Tetris produzierte Funk Tribu einen Song mit der Melodie des Nintendo-Klassikers. Erlebe im Stream, wie von 11. bis 13. Dezember die besten Spieler das Weltfinale in Dubai ausspielen: redbull.com/tetris

«Trance kann dich glücklich machen. Viele suchen eine tiefe Verbindung zu dem, was sie hören.»
Die Stärke seines Genres sieht Funk Tribu vor allem in der Emotionalität.

Paul Verbnjak

trainiert schon einmal doppelt so viel, wie sein Coach vorschlägt. Ganz einfach, weil es den österreichischen Skibergsteiger glücklich macht – zu leiden.

«Es macht mir Spass, ans Limit zu gehen», sagt Paul Verbnjak an diesem Morgen nebenbei, ganz so, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Ja, sagt der athletische 23-Jährige mit dem Bubengesicht, die Glückshormone, man wisse schon – und setzt dann ein breites Lächeln auf: «Man kann dieses Gefühl mit keinem anderen vergleichen.»

Paul Verbnjak ist Skibergsteiger, und wer bei dem Wort überlegen muss, welche Sportart sich dahinter verbirgt, der oder die befndet sich in guter Gesellschaft. «Ich sage normalerweise, ich gehe Skitouren, aber halt wettkampfmässig», sagt Verbnjak selbst. «Darunter können sich die Leute dann mehr vorstellen.»

Wobei allerdings auch diese Bezeichnung in die Irre führen kann: Wettkampfmässiges Skitourengehen, auch Skimo genannt, ist weit von dem sonntäglichen Freizeitsport entfernt, den in Österreich immerhin rund 600 000 Menschen betreiben. Aus Gehen ist Laufen geworden, unterbrochen von Tragepassagen und Abfahrten, je nachdem in welcher Disziplin man antritt.

Qual der Wahl

Pauls Lieblingsdisziplinen sind jene, bei denen – Überraschung! – besonders ausgiebig gelitten wird, nämlich Vertical (durchgehender Pistenaufstieg bis zu 700 Höhenmeter) und Individual (mindestens drei Aufstiege und Abfahrten im freien Gelände mit bis zu 1900 Höhenmetern). «Ich habe früh gemerkt, dass im Ausdauerbereich meine Stärken liegen», sagt der Junioren-Doppelweltmeister und U23-Europameister und erzählt dann, wie er als Jugendlicher in Klagenfurt eine

On point

Kommt aus Klagenfurt, Kärnten; Alter 23; erste Skitour mit seinem Vater im Alter von sieben; grösster sportlicher Erfolg Junioren-Doppelweltmeister; isst vor einem Rennen Reis mit Kirsch-Gummibärlis; ist liiert mit Sarah Dreier, ebenfalls Skibergsteigerin

Sportart nach der anderen ausprobierte, schliesslich bei Radfahren und Triathlon hängen blieb, bevor er sich mit fünfzehn fürs Skibergsteigen entschied.

«Das hatte viel mit meinem Vater zu tun, der im Sommer Mountainbikerennen fuhr und im Winter auf Skiern trainierte.»

Sein Vater, Heinz Verbnjak (heute Mannschaftsführer der ÖSV-Skibergsteiger), war es dann auch, der Paul unter seine Fittiche nahm und ihn sogar für ein Jahr trainierte. «Das hat nicht funktioniert», sagt Verbnjak. «Ich habe doppelt so viel trainiert, wie er vorschlug, weil ich dachte, er wolle mich schonen. Schliesslich war ich vollkommen übertrainiert.» Bei Pauls Trainingspensum (er selbst verortet es «an der oberen Grenze») eine beachtliche Leistung: Als ihm einmal zu Silvester noch 2500 Höhenmeter auf sein Jahresziel, nämlich 600 000 Höhenmeter (!), fehlten, schnallte er sich schnurstracks seine Tourenski an und pirschte noch ein paar Mal auf die Gerlitzen (nahe Villach), seinen Hausberg.

Keine Frage: Man muss sich Verbnjak als extrem fokussiert vorstellen. Oder wie er selbst sagt: «Als jemanden, der erfolgreich ist, weil er den Schmerz besser wegstecken kann als andere.» Man sollte aber nicht glauben, Paul ordne dem Sport alles unter, auch den Spass an der Sache. «Wenn ich den verliere, höre ich auf», sagt er. Vielleicht ist das auch der Grund,

warum er zu Ende der Skibergsteig-Saison nicht einfach einmal durchschnauft, sondern seine Pumpe sofort wieder auf Höchstleistungen bringt, und zwar ebenfalls wettkampfmässig: Seit Sommer vergangenen Jahres fährt Verbnjak beim Team von Lidl-Trek Future Racing, mischt also im Sommer bei den Radrennfahrern mit – als sei es im Winter mit den Schmerzen nicht genug. «Ich habe nie aufgehört, am Rad zu trainieren», sagt er. «Und mittlerweile führe ich ein Doppelleben.»

Spass am Reinbeissen

Zwei Sportarten erfolgreich auf Wettkampfniveau zu betreiben, gelingt nicht vielen, Trainingszeiten und körperliche Beanspruchungen konkurrieren zu sehr. «Am Rad trainiere ich den Oberkörper zu wenig», sagt Paul, «und auf den Skiern die Kraft, die ich am Rad aufs Pedal bringen muss.» Eine Lose-lose-Situation? Von wegen! Da ist zum einen, wir wissen es, Pauls Spass am sportlichen Reinbeissen. Zum anderen sind Radrennen für ihn das optimale Herz-Kreislauf-Training: «Sie bringen mir beim Skibergsteigen für das Mixed Relay richtig viel.» In dieser Wettkampfdisziplin wechselt sich ein Team aus einer Frau und einem Mann zwei Mal auf einem wenige Minuten dauernden Parcours-Rundkurs ab. Das Mixed Relay feiert gemeinsam mit der Sprint-Disziplin im Februar sein Olympia-Debüt.

Wiewohl beide nicht wirklich Pauls Lieblingsdiziplinen sind, ist er optimistisch, gemeinsam mit Johanna Hiemer («Sie ist super in der Kurzstrecke») in Bormio antreten zu dürfen. Entscheiden wird sich das im Dezember, den Quotenplatz hat das ÖSV-Team bereits. Und wenn nicht? Daran will Verbnjak nicht denken, derzeit ist er komplett auf Olympia fokussiert.

Aber schliesslich beginnt nach der Skibergsteig-Saison ja schon wieder die Radsaison. Der Spass ist dort auf jeden Fall ebenso garantiert: Der Leidensdruck ist am Fahrrad nämlich mindestens so gross wie auf den Skiern.

Instagram: @paulverbnjak

«Ich bin erfolgreich, weil ich den Schmerz besser wegstecken kann als andere.»
Paul Verbnjak liebt jene Disziplinen, bei denen es um Ausdauer geht.

Noch ruht der Berg

Bei Abfahrten geht es mit irrer Geschwindigkeit die Piste runter. Hat man da überhaupt einen Blick für die Erhabenheit der Natur?

«Mir war schon immer klar, dass ich im schönsten Büro der Welt arbeite», sagt der Ex-Skiprofi Marco Büchel. «Deshalb hatte ich dieses Bild vom Langkofel schon fertig im Kopf.» Oben wird vor der Abfahrt in Gröden noch die eisige Piste besichtigt. Unten wartet der Fotograf – ebenfalls auf Skiern.

Piste, backstage

Action-Aufnahmen? Fehlanzeige! Der Ex-Skirennfahrer Marco «Büxi» Büchel schaut lieber hinter die Kulissen –und zeigt die ruhigen Momente im Skizirkus.

Text Karin Cerny Fotos Marco Büchel

Gondel-Geplänkel

Beim Rennen Feinde, im Alltag Freunde? «Wir kämpfen nicht gegeneinander. Jeder ist allein mit den Schneebedingungen und mit sich selbst», sagt Büxi. Deshalb zeigen seine Backstage-Aufnahmen auch gern ausgelassene Momente unter Kollegen. Wie den Franzosen Matthieu Bailet (li.) und den griechisch-amerikanischen Rennfahrer AJ Ginnis 2025 auf dem Weg zum Training in Zermatt. Worüber sie geredet haben? «Weiss ich nicht mehr, aber wir hatten sichtlich Spass.»

Der

Fotograf

Marco Büchel, 53, gewann

vier Weltcuprennen und nahm sechsmal an den Olympischen Winterspielen teil. Seit 2010 ist der Liechtensteiner mit Schweizer Pass beim ZDF als Rennanalyst tätig.

Als Fotograf ist er Autodidakt.

Seine Spezialität: entspannte Momente im Trubel.

Instagram: @marco_buechel

Als Skiprofi war es Marco «Büxi» Büchel gewohnt, im Rampenlicht zu stehen. «Manchmal schaue ich mir noch die Abfahrtsfotos an – und bin stolz», sagt der Liechtensteiner, der 2010 sein letztes Weltcuprennen gefahren ist. Aber Pressefotografen sind meist weit weg vom Geschehen. Und Aufnahmen von Siegerposen sehen alle gleich aus. Marco war klar: Seine Fotos sollen Emotionen abseits des Adrenalinkicks zeigen. Gelöste Situationen, obwohl alles stressig ist. «Wir plaudern, ich hole die Kamera raus – und warte auf die Bestätigung, dass ich nicht störe.»

Bevor die Bilder dann rausgehen, wird der Abgelichtete gefragt. So entsteht Vertrauen: Selten kommt man Skirennfahrern so ungezwungen nahe. Marco zaubert ihnen sogar ein fettes Grinsen ins Gesicht. «Ich bin ein ungeduldiger Mensch. Für das perfekte Foto musst du aber oft warten», sagt Marco. «Für mich die beste Lebensschule.»

Kniefall im Schnee Wer spiegelt sich denn da in der Skibrille? Büchel ist auf die Knie gegangen, um den Österreicher Marco Schwarz abzulichten, der gerade die Bindung zumacht. «Das war dieses Jahr in Saas-Fee, Marco ist ein dankbares Opfer», scherzt der Fotograf. «Er verkörpert eine Coolness, aber auch eine Sanftheit, die man im Sport selten findet. Ich fotografiere ihn richtig gern.»

Startkapital

Fast scheint es, als würde der Österreicher Vincent Kriechmayr gleich losfliegen. Marco beweist Talent für surreale Szenen im Skirennalltag: «Auf dieses Foto bin ich besonders stolz. Ich habe den Ausschnitt extra so gewählt, dass man die Beine nicht sieht.» Es zeigt das Abschlusstraining vor der Lauberhornabfahrt diesen Januar. Wo hier der Schweizer Soldat entspannt in die Kamera blickt, steht beim Weltcup dann eine Kamera.

Schneegeflüster Januar 2025, es hat die ganze Nacht heftig geschneit in Adelboden. Der Bulgare Albert Popov und der Italiener Alex Vinatzer trotzen dem Wetter, sie unterhalten sich angeregt nach der Pistenbesichtigung. «Was das Bild so spannend macht, ist der Grössenunterschied der beiden: Alex ist mit 1,89 Metern ein Riese, Albert ist dagegen nur 1,64 Meter gross», sagt Büxi.

Lift me up

Schweizer unter sich: Marco Odermatt, Thomas Tumler und Gino Caviezel (von links) nehmen den Skilift in Adelboden. Es ist früh am Morgen und saukalt. Trotzdem meldet sich ein Überraschungsgast an. «Ich hab gefragt: ‹Hey Jungs, darf ich mitfahren?›», erinnert sich Büchel. «Wir haben geplaudert, die Kamera hat nicht gestört. Ich bin Teil der Family.»

«Im Sport wird Übermenschliches geleistet. Aber ich möchte die Menschen dahinter zeigen, mit ihren Ängsten, Nervositäten und ausgelassenen Seiten.»

Mensch, bist du klein! Eine Westernkulisse oder eine Skipiste? «Normalerweise hast du in Skigebieten immer irgendwo einen Wald. Mich hat diese unendliche Weite fasziniert – fast wie in der Prärie, obwohl es ein Gletscher ist. Nur links oben sieht man den Schlepplift», sagt Büxi. Das Bild zeigt die Trainingsstation in SaasFee, auf der unterschiedliche Teams parallel fahren.

Eisige Euphorie

Blöd gelaufen für die Konkurrenz: Den offiziellen Pressefotografen zeigte der Franzose Cyprien Sarrazin in Kitzbühel 2024 nur den Rücken. «Ich stand allein im Ziel und sah, wie Cyprien direkt neben mir auf eine Absperrung sprang», erinnert sich Marco. «Nicht lange nachdenken, Kamera hoch, abdrücken. Zehn Aufnahmen, alle unscharf. Bis auf eine, die perfekt seinen Jubelschrei einfängt. Inklusive eisiger Atemwolke.»

«Ich bin Teil der Family. Dadurch fange ich manchmal ein Grinsen ein, das andere Fotografen nicht zu sehen bekommen.»

MASTER OF MATERIALS

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Franjo van Allmen ist ein Hau-drauf-Fahrer. Hier in einem seltenen Moment der Ruhe.

Der Mutfahrer

Er kam mit einem Knall: Franjo von Allmen ist der neue Überflieger im Schweizer Abfahrtsteam. Warum die steilsten Pisten der Welt genauso sein Revier sind wie die wildesten Motocross-Strecken.

Text Christof Gertsch Fotos Philipp Mueller
Beim Fotoshoot in Zinal am Rande der Schweizer Alpinen Skimeisterschaften im April gab sich Franjo ganz casual cool.

Januar 2024, Kitzbühel. Zum ersten Mal steht

Franjo von Allmen am Start der berühmtesten Abfahrt der Welt, blickt auf den Steilhang, der sich unter ihm wie ein Schacht in den Berg frisst. Er weiss, dass gleich dahinter die Mausefalle wartet, gefolgt von einem Sprung, bei dem man achtzig Meter weit fliegt. Eigentlich will er seine ganze Aufmerksamkeit auf diese Passage richten, doch ein anderer Gedanke drängt sich vor, ein ungeschriebenes Gesetz.

er hier zum ersten Mal fährt, stösst sich am Start dreimal ab. Nicht weil es nötig wäre – im Gegenteil, bei dieser Steilheit braucht niemand Anschwung –, sondern weil es beweist, dass man dazugehört.

Drei Stockstösse bedeuten: Ich traue mich. Ich bin mit vollem Herzen dabei.

Franjo nimmt sich das fest vor. Natürlich nimmt er es sich vor. Er ist keiner, der lange überlegt. Er will da runter, die Streif hinab, so wie man ins kalte Wasser springt: ohne Zögern. Also fährt er los und zählt im Kopf: eins, zwei … war das schon drei? Der Zweifel dauert nur einen

Augenblick. Aber weil Zweifel auf der Streif gefährlicher sind als jeder Schlag, stösst sich Franjo noch einmal ab, vier Stockstösse statt drei, einfach zur Sicherheit.

Auf die Zeitnahme hat das keinen Einfuss. Auf die Geschichte dieses jungen Berners aber schon. Es zeigt, wer er ist: einer, der lieber unten an der perfekten Linie scheitert als oben am Zaudern.

Franjo von Allmen, geboren im Sommer 2001, ist der neue Überfieger im Schweizer Abfahrtsteam, ein Mann der Geschwindigkeit, im doppelten Sinn. Auf den Ski sowieso, aber auch, wenn man seinen Weg nach oben betrachtet. Er kam nicht langsam, nicht schleichend, er kam mit einem Knall.

Hohe Erwartungen: Franjo von Allmen beim Sommertraining in Zermatt im August. Hier bereitete er sich auf die kommende Saison vor.

Schon bei seinem dritten Weltcup-Start fuhr er im Dezember 2023 in die Top Ten: Neunter im Super-G von Gröden. Nur wenige Tage nach dem KitzbühelDebüt folgte der erste Podestplatz, Dritter im SuperG von Garmisch-Partenkirchen. Alles in seiner ersten Saison.

Immer auf Angriff: Franjo von Allmen beim Training (oben) und im AbfahrtsWeltcuprennen (unten) 2024 in Beaver Creek, USA

Und dann das zweite Jahr, ein einziges langes Ausrufezeichen: siebzehn Weltcuprennen, zwölf Top-Ten-Plätze, siebenmal auf dem Podest, drei Siege. Mit dem Höhepunkt im Februar 2025, bei den Weltmeisterschaften in Saalbach: Gold in der Abfahrt, mit dreiundzwanzig Jahren, als jüngster Abfahrtsweltmeister seit 1989.

Der schnelle Aufstieg von Franjo von Allmen ist aus vielen Gründen bemerkenswert – auf einige davon kommen wir gleich –, aus einem aber ganz besonders: Er passiert in der Abfahrt, einer Disziplin, in der steile Karrieren eigentlich kaum vorkommen. Keine andere Sparte des Skisports belohnt Erfahrung so sehr wie diese. Die Pisten bleiben von Jahr zu Jahr fast gleich, einzig die Torsetzung ändert sich leicht. Wer eine Strecke oft gefahren ist, kennt jede Kante, jede Welle, jede

Schlüsselstelle, die über Sieg oder Sturz entscheidet. Es ist ein wenig wie in der Formel 1, mit einem entscheidenden Unterschied: Dort können Neulinge jede Strecke im Simulator hunderte Male durchspielen, dazu kommen unzählige Testtage. Im Skisport gibt es so etwas nicht. Zwei Trainingsläufe pro Rennen, dann zählt es. Mehr Chancen, eine Abfahrt wirklich zu verinnerlichen, gibt es nicht.

Mit vierundzwanzig Jahren – zu Beginn der Saison 2025/26, die Ende November in den USA so richtig Fahrt aufnimmt – vereint Franjo von Allmen zwei Gegensätze: den Übermut eines Jungen und die Abgeklärtheit eines Routiniers. Er wirkt, als hätte er die Erfahrung schon gehabt, bevor er sie sammeln konnte, als trüge er sie im Blut. Rennfahrerblut. Woher kommt das? Was muss am Anfang gestanden sein, damit ein solcher Weg möglich wird? Man würde meinen: Jahre geduldiger Vorbereitung, akri-

Franjo von Allmen vereint zwei Gegensätze: den Übermut eines Jungen und die Abgeklärtheit eines Routiniers.

bische Planung, ein klarer Fahrplan von klein auf, vielleicht Eltern, die das Ziel mit allem Nachdruck verfolgen – so wie bei Marco Odermatt, bei Lara GutBehrami, bei vielen Skifahrerinnen und Skifahrern. Doch nichts davon passt auf Franjo von Allmen. Dass er es in einem Sport, der Geld, Ausrüstung, logistische Präzision und ein frühes Bekenntnis verlangt, an die Weltspitze schafte, ist das Produkt einer fast unmöglichen Mischung: ein bisschen Zufall, ein bisschen Beharrlichkeit – und vielleicht schlicht eine innere Bestimmung.

n einem warmen Frühsommermorgen –der Sommer ist die einzige Jahreszeit, in der Skifahrer nicht rund um die Uhr an ihren Sport denken und auch einmal Zeit für ein längeres Gespräch haben –sitzt Franjo von Allmen auf einer Hotelterrasse am Thunersee. Er lehnt sich in einen weiten Korbsessel zurück, wirkt noch kräftiger als im Fernsehen. Die Haare kurz geschnitten, das Gesicht ofen, die Augen witzig, fast verschmitzt. Er lacht oft, manchmal aus Verlegenheit, manchmal, weil ihm beim Erzählen selber bewusst wird, wie verrückt sein Weg ist. Er hat etwas Spielerisches und Unangestrengtes. Ein Berner Oberländer, wie man ihn sich vorstellt: geerdet, naturverbunden, ohne Eitelkeit.

Typisch Oberland ist auch seine Sprache. Wenn Franjo von sich erzählt, sagt er fast nie «ich». Er sagt «man». «Dann hat man halt mit Skifahren begonnen.»

Oder: «Man hat nicht gross überlegt, was daraus werden könnte.» Dieses «man» ist mehr als eine sprachliche Marotte. Es schaft Abstand, ein kleiner Schutz vor allzu viel Aufmerksamkeit. Und zugleich ist es eine Art, die Dinge zu verallgemeinern, um sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Es klingt, als spreche Franjo von einer Haltung, die grösser ist als er selbst: So macht man es eben hier hinten, so ist das Leben zwischen den Bergen.

Franjo von Allmen stammt aus Boltigen, einem Dorf im Simmental, auf halbem Weg zwischen dem Thunersee und Gstaad. Zum Skifahren kam er, wie hier alle zum Skifahren kommen: fast automatisch. Im Winter gehört es dazu, wie anderswo Fussball auf dem Pausenplatz. Nach der Schule zog er die Ski an, fuhr hoch, blieb, bis die Lifte schlossen –und wenn es genug Schnee hatte, glitt er in der Abenddämmerung bis vor die Haustür. Er baute Schanzen, wagte Sprünge, fuhr einbeinig, immer

2025 wurde Franjo in Saalbach jüngster Abfahrtsweltmeister seit 1989. Sein Alter: 23.

wieder neben der Piste. «Was einem als Bub halt so einfällt», sagt er und lacht. «Viel Blödsinn auch.» Rennen waren Nebensache.

Doch die Schweiz wäre nicht die akribische Skination Schweiz, wenn ein solches Talent unentdeckt bliebe. Irgendwann landete er im Regionalen Leistungszentrum, fuhr regelmässiger, entwickelte Ehrgeiz. «Dann hat man sich mit der Zeit halt ein bisschen reingesteigert.»

Warum er blieb? «Klingt vielleicht kitschig», sagt er und sucht kurz nach Worten, «aber dieses Gefühl, wenn alles zusammenkommt – der Schnee, die Geschwindigkeit, die Berge um einen herum, die Ski, die plötzlich eins werden mit dem Körper –, das liebe ich einfach.»

Ähnlich fühlt es sich für ihn im Sommer an, wenn er auf dem Töf sitzt. Gleich hinter Boltigen beginnt der Jaunpass, eine bei Motorradfahrern beliebte Bergstrasse: wegen der Aussicht, der Idylle, der vielen Haarnadelkurven. Für einen wie Franjo, mit Rennfahrerblut, war das ein Magnet. Zuerst kaufte er dem Vater ein altes TrialBike ab, später gab es eine Supermoto.

«Dann ist man hoch und runter, hoch und runter, bis man müde war», erzählt er. Er weiss, dass die Anwohner nicht immer begeistert waren. Er und sein bester Schulfreund loteten Grenzen aus, hatten wohl auch das eine oder andere Mal Glück. Irgendwann merkten sie: Wenn es dich dort einmal hinhaut, wird es gefährlich. Die Lösung war ein Cross-Töf. «Da schimpft niemand, wenn man mal umfällt. Man kann die Sau rauslassen, ohne dass jemand gefährdet ist.»

either reisen die beiden in jeder von Franjos Saisonpausen quer durch die Schweiz, manchmal nach Italien, Frankreich oder Deutschland, von CrossStrecke zu Cross-Strecke. Ein Bus, ein Bett, ein paar Ersatzteile, und wenn sie Hunger haben, kaufen sie unterwegs etwas ein. Mehr braucht er nicht. «Man ist draussen, riecht Erde, Benzin, frische Luft. Jede Runde ist anders, der Boden verändert sich, man muss sofort reagieren.»

In der Schule hingegen hielt es Franjo nie lange aus. Stillsitzen war nicht seins. Er wusste früh, dass er etwas Handwerkliches lernen wollte, auch wenn das bedeutete, dass Skifahren vielleicht nur ein Hobby bleiben würde. «Hätte ich keinen Lehrbetrieb gefunden, der mir das Training ermöglicht – dann wohl ja», sagt er knapp. Er fand einen: die Zimmerei Chaletbau Schletti in Zweisimmen. «Solange deine Noten stimmen, kannst du so oft fehlen, wie du musst», sagte sein Chef.

Doch mitten in diese Jahre fel ein Einschnitt, der alles infrage stellte. 2019, Franjo war siebzehn, verlor die Familie völlig unerwartet den Vater. Auf einmal ging es nicht nur um Trauer, sondern es ging auch um Existenzfragen. Ob das Geld für Material, Reisen, Trainings reichen würde, war ungewiss – und damit auch, ob Franjos junge Karriere überhaupt weitergehen konnte.

Freunde und Bekannte rieten ihm, es wenigstens zu versuchen. Zusammen mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinem Bruder setzte er ein kleines Crowdfunding auf – er suchte nach

Franjo und sein Cross-Töff

«Da schimpft niemand, wenn man mal umfällt. Man kann die Sau rauslassen, ohne dass jemand gefährdet ist.»

IMMER ACTION

Egal ob auf der Schneeoder der Dreckpiste: Franjo legt sich hart in die Kurven. In den Saisonpausen ist er viel mit seinem Cross-Bike unterwegs – wie hier im Sommer 2025 auf der MXPiste in Schwarzenberg im Berner Oberland. Oder er klappert CrossStrecken in Europa ab. Rennen strebt er keine an. Sein Kommentar zu seinen Töff-Fähigkeiten: «20 Prozent Skills, 80 Prozent Balls».

«Wenn ich einen Fehler mache», sagt Franjo, «denke ich kurz darüber nach, wie ich ihn beim nächsten Mal verhindern kann. Aber ich schaue ihn nicht fünfmal im Replay an.»

Gönnerinnen und Gönnern, die einen Winter lang an ihn glaubten. Genug Menschen taten das. Franjo konnte weitertrainieren.

Als er ein paar Jahre danach im Weltcup debütierte, hatte er das Glück, auf Reto Nydegger zu trefen, den Trainer der Schweizer Speedfahrer, einen Mann, der einen weiten Weg gegangen war, ehe er an diesem Punkt stand. Nydegger hatte einst am Jugendgericht in Biel gearbeitet, dann als Skilehrer in Australien, später mit den Norwegern um Aksel Lund Svindal, Kjetil Jansrud und Aleksander Aamodt Kilde grosse Erfolge gefeiert. Er ist keiner, der schnelle Siege braucht, aber er hört zu. Er spürt, wenn seine Athleten ihm etwas sagen wollen – oder wenn sie ihm etwas verschweigen.

Die liebsten Weltcup-Abfahrten des Weltmeisters

No. 1: Lauberhorn, Wengen

17. Januar 2026

«Mein Heimrennen, hier bin ich immer besonders angespannt. In Wengen passt einfach alles: das Panorama mit Eiger, Mönch und Jungfrau, die Piste, das Publikum. Ausserdem habe ich hier meinen ersten Weltcupsieg gefeiert; das werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Als Kind habe ich jedes Rennen geschaut, allerdings nur im Fernsehen, live war ich nie dabei. Dann stand ich plötzlich selber am Start und konnte es kaum glauben. Die Strecke ist unglaublich, die längste im Weltcup, ein richtiger Ausdauertest. Du kannst dich keine Sekunde entspannen.»

No. 2: Hahnenkamm, Kitzbühel

24. Januar 2026

«Kitzbühel ist Wahnsinn. Am Start beschleunigst du in wenigen Sekunden von null auf hundert, dann kommt schon die Mausefalle –du fliegst extrem weit, erreichst bis zu 120 km/h. Keine Strecke braucht mehr Mut. Hier ist alles ein bisschen grösser: die Zuschauermassen, die Aufmerksamkeit, die Nervosität. Gleichzeitig musst du extrem präzise sein, du musst dich finden, hoch konzentriert bleiben.»

No. 3: Saslong, Gröden

20.

Dezember 2025

«Mir gefallen viele Pisten, aber wenn ich noch eine nennen müsste, wäre es die Saslong. Wegen der Wellen und Sprünge – und weil man ein gutes Rhythmusgefühl braucht, um den Schwung immer mitzunehmen. Gröden ist kein Ort, den man nur mit Adrenalin und Geschwindigkeit bezwingt. Es braucht Flow und Eleganz – du musst die Strecke richtig spüren.»

Und Franjo von Allmen hatte noch ein zweites Mal Glück: Er kam in eine Mannschaft, die mit Marco Odermatt einen klaren Anführer hatte. Einer, der sich vor die Medien stellt, wenn es sein muss, und mit seinen Resultaten Druck von den anderen nimmt. Wenn Franjo, Marco Odermatt und die anderen Speedfahrer eine Abfahrt hinunterrasen, haben sie mehr mit Alpinisten oder Basejumpern gemein als mit Biathleten oder Langläufern. Ihr Sport trägt ein erhebliches Risiko in sich; immer wieder kommt es zu schweren Stürzen, alle paar Jahre auch zu Todesfällen. Es bringt nichts, das zu verdrängen –das weiss Franjo. Trotzdem beschreibt er sich als jemand, der versucht, die Gefahr nicht zu gross werden zu lassen. «Wenn ich einen Fehler mache, denke ich kurz darüber nach, wie ich ihn beim nächsten Mal verhindern kann. Aber ich schaue ihn nicht fünfmal im Replay an. Das gäbe mir ein schlechtes Gefühl – und genau das kannst du am Start einer Abfahrt am wenigsten brauchen.»

So geht er mit Risiko um: Er verschliesst die Augen nicht, aber er lässt sich auch nicht lähmen.

Das macht die Arbeit eines Abfahrtstrainers besonders heikel. In vielen Sportarten ist der Coach derjenige, der seine Athletinnen und Athleten antreibt, sie zu Höchstleistungen pusht. In der Abfahrt muss der Trainer oft das Gegenteil tun: bremsen, mahnen, daran erinnern, dass Respekt vor der Strecke über allem steht. Abfahrer müssen furchtlos sein, sonst könnten sie diesen Sport gar nicht betreiben. Aber manchmal sind sie vielleicht zu furchtlos. Es ist ein schmaler Grat.

ranjo von Allmen gilt als jemand, der diesen Grat besonders mutig beschreitet. Nach seiner ersten Saison hiess es, er habe mehr als einmal nur mit Glück einen Sturz vermieden. Er selbst sagte, er habe alles unter Kontrolle gehabt. Und doch setzte sich das Bild fest, dass er einer sei, den man zügeln müsse. Das Narrativ wurde so stark, dass es selbst im Team in vielen Köpfen hängenblieb. Beim ersten Rennen der Saison 2024/25 in Beaver Creek ging Franjo zur Besichtigung, rutschte von Schlüsselstelle zu Schlüsselstelle. Fast jeder sagte ihm, er müsse es hier besonders vorsichtig angehen. Das Ergebnis: eine Blockade im Kopf, 2,2 Sekunden Rückstand auf den Sieger, Platz 28. Da verstand Reto Nydegger, dass sie auf dem Holzweg waren. Die Idee, Franjo zu bremsen, hatte sich verselbständigt.

So fährt Franjo: mit der Unbekümmertheit, die ihn gross gemacht hat, und dem Respekt, den es braucht, um heil anzukommen.

Franjo von Allmen im Januar 2025 beim Super-G auf der Streif in Kitzbühel.

Nydegger gab die Parole aus, dass von nun an nur noch er selbst mit Franjo über Taktik sprechen würde.

In den nächsten drei Abfahrten wurde Franjo dreimal Zweiter. Dann dreimal Erster, inklusive WM-Gold.

Danach war Schluss für diese Saison. Franjo von Allmen verabschiedete sich in die Sommerpause, zurück nach Boltigen, wo er mit seinem Bruder eine Art WG im alten Elternhaus führt. Er hatte so viele Termine wie nie zuvor: Pressekonferenzen, Sponsorenanlässe, Empfänge. Er nimmt das gern mit, aber am wohlsten fühlt er sich anderswo – in seiner kleinen Motorradgarage, wo immer etwas zu schrauben ist, oder draussen auf den Cross-Strecken.

Technik, Präzision und blitzschnelles Reagieren sind wichtig. Mindestens genauso entscheidend für Franjo ist aber der Spass.

ort ist es fast so wild wie auf den Ski, mit einem entscheidenden Unterschied: Niemand stoppt die Zeit. Es zählt nicht, ob er eine Runde in 18 oder 22 Sekunden fährt. Es ist ein Spiel mit der Geschwindigkeit, ein Suchen nach der perfekten Linie, es geht um das blitzschnelle Reagieren auf wechselnden Untergrund. Vor allem aber macht es ihm einfach Spass.

Doch wenn der Sommer vorbei ist und die ersten Schneekanonen laufen, wechselt er wieder die Maschine: vom Cross-Töf zurück auf die Ski. Dort, auf den schnellsten Pisten der Welt, geht es nicht mehr um Spiel, sondern um höchste Präzision. Der Junge aus Boltigen, der einst jeden Hang zum Spielplatz machte, hat gelernt, seine Lust am Tempo in kontrollierte Aggressivität zu verwandeln.

So fährt er heute Weltcup: mit der Unbekümmertheit, die ihn gross gemacht hat – und mit dem Respekt, den es braucht, um heil unten anzukommen. Darin liegt seine besondere Stärke. Und vielleicht ist es genau diese Mischung, die ihn in einer Disziplin, die Erfahrung verlangt, so schnell an die Spitze gebracht hat – und dort halten könnte.

Instagram: @franjo_v_allmen

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Empfohlen vom Doppel-Weltmeister Franjo von Allmen

Der Doppel-Weltmeister aus dem Wallis hat seit seinem Debüt 2015 über 25 Podestplätze erreicht. Hier erzählt der Technikspezialist, wann und wie er zu Höchstform aufläuft.

Ein Jahr mit Loïc Meillard

Gold im Slalom: Eine Foto-Sequenz von Meillards Lauf bei der WM in Saalbach im Februar.

Riesentorlauf:

In Zermatt feilte Meillard im August an den entscheidenden Hundertsteln.

Frühling

Abschalten und neu starten

Nach der Saison beginnt bei mir nicht sofort die Erholung. Da stehen zuerst noch viele Medientermine an, und das Training für die nächste Saison läuft eigentlich schon. Erst wenn diese ersten Wochen vorbei sind, beginnt die Ruhe. Es ist schön, Tempo rauszunehmen, Ferien zu machen und Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen. Ich geniesse es, einfach in den Tag hinein zu leben, ohne Termine, mit gutem Essen und Kochen zu Hause. In dieser Phase brauche ich Abstand, um die Saison zu verarbeiten. Ich denke darüber nach, was funktioniert hat und was ich ändern will. Meist mache ich das, noch bevor ich auf Urlaub gehe, also solange alles frisch ist. Nach zwei bis vier Wochen Pause beginne ich, meistens im Mai, mit Konditions- und Basistraining: aktivieren, stabilisieren, den Körper neu aufbauen und einen Plan für den Sommer festlegen.

Sommer

Aufbauen, und zwar mit Balance Im Sommer steht volles Training an, da geht es an Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer und Rumpfstabilität. Sechs Tage pro Woche, mit einem Tag Pause. Meistens drei Wochen lang intensives Training, dann eine ruhigere Woche, und das über den ganzen Sommer hinweg. Dazwischen kommen Medien- und Sponsorentermine, was es manchmal schwierig macht, die richtige Balance zu fnden.

Erholung ist genauso wichtig wie Training. Wenn man zu viel will, wird man müde und ausgebrannt. Ich habe gelernt, nicht alles gleichzeitig zu machen und auch Nein zu sagen. Ab August beginnt das Schneetraining, dieses Jahr war das in Neuseeland und auf dem Gletscher. Mir ist wichtig, dass sich der Plan jedes Jahr etwas verändert, damit es abwechslungsreich bleibt. Es gibt keine starren Ziele, wie «so viel Gewicht», sondern ich arbeite an kleinen Details, daran, was es braucht, um körperlich bereit zu sein.

Herbst

Feinschliff und Fokus

Anfang Oktober gibt es Shootings und Materialtests. Der Start der Skisaison kommt schnell, und da muss die Qualität besser und besser passen. Wir arbeiten an Bewegung, Timing und Rhythmus. Im Sommer ist das Fahren ruhiger, jetzt wird es intensiver. Ich bin etwa drei bis vier Tage pro Woche auf den Skiern, zwei Tage im Kraftraum, und ich gönne mir ein bis zwei Tage Pause. Materialtests machen wir das ganze Jahr über, da habe ich eine gute Basis, deshalb verbringe ich nicht zu viel Zeit damit.

Visualisierung mache ich wenig. Ich bin kein Typ, der Läufe im Kopf wiederholt, sondern ich fahre lieber mit Instinkt. Zur Vorbereitung suche ich Situationen im Training, die nicht perfekt laufen, und versuche dann, darin wieder Kontrolle zu fnden.

Winter

Rhythmus, Rennen, Regeneration

Wenn die Saison läuft, sieht jede Woche anders aus. Meist sind die Rennen am Wochenende, also ist Anfang der Woche Pause, dann zwei bis drei Tage Training –je nachdem, was ansteht. Ich höre auf meinen Körper: Wenn die Beine müde sind, mache ich Pause. Meine Erfahrung hilft mir dabei, das richtig einzuschätzen und entsprechend zu handeln.

Wenn die Saison startet, weiss man zwar, was man tun muss, vieles fühlt sich trotzdem neu an. Es dauert die ersten Rennen, dann ist der Rhythmus zurück. Gute und schlechte Tage gehören dazu, genau das bringt Erfahrung. Ich weiss, wie ich mich vorbereite, wann ich den Körper runterfahren muss, wann ich Energie brauche. Wenn ich im Sommer richtig trainiert habe, spüre ich das im Winter – und weiss, dass ich bereit bin.

Instagram: @loicmeillard und @loicscameralife

MomentAufnahmen

Loïc Meillard ist passionierter HobbyFotograf. Am liebsten ist er mit seiner Kamera draussen unterwegs und hält besondere Stimmungen fest.

Levi, Finnland: «Die Lichter im Norden sind besonders, ich versuche sie trotz Rennvorbereitung einzufangen.»

Zermatt: «Oben sieht man den Schnee und freut sich darauf, die Ski anzuziehen und ein paar Kurven zu fahren.»

Hafjell, Norwegen: «Das Nachmittagslicht in einer Hütte direkt neben der Piste.»

Ein Spaziergang in Bisse de Clavau im Wallis, als «Ausgleich für die Seele».

Immer auf Kurs

Zu siegen, ist für die meisten eine Ausnahme. Nicht für Marco Odermatt: Er gewinnt in Serie. Wie behält er da die Freude?

Text Christof Gertsch Fotos Lorenz Richard

ERFOLGSFAHRER

Drei Mal Weltmeister, vier Mal Gesamtweltcupsieger in Folge: Das ist Marco Odermatt.

Es ist der 17. Januar 2025, der erste Tag der

Lauberhornrennen in Wengen, Super­ G. Marco Odermatt

steht im Zielraum und schaut auf die Anzeigetafel: Platz 7. So weit hinten war er seit einem Jahr nicht mehr. Dabei war ihm kein grober Fehler unterlaufen. Er war einfach zu langsam, eine Sekunde Rückstand.

Lag es am Material? Mit seinem Servicemann hatte er ein aggressiveres Set-up versucht, schärfere Kanten, eine gröbere Bindung, einen härteren Ski, der auf Eis besser greift. Nur war die Piste heute weicher als gedacht.

Doch während er sich die Fahrt noch einmal durch den Kopf gehen lässt, merkt Marco: Es liegt nicht nur am Ski. Da ist etwas anderes, das er nicht benennen kann. Er sieht, wie Franjo von Allmen –

Teamkollege, Berner Oberländer, 23 Jahre alt – den Sieg feiert. Und in dieser Freude, diesem ungebremsten Jubel erkennt er sich selbst, ein paar Jahre früher. Er weiss noch genau, wie das war: wie leicht sich alles anfühlte, wie viel Lust er auf alles hatte.

Marco Odermatt gratuliert, gibt Interviews, macht, was dazugehört. Aber innerlich bleibt etwas leer. Er merkt es beim Mittagessen, beim Physio, beim Ausfahren auf dem Hometrainer. Es geht nicht weg. Erst am Abend, als er im Hotelzimmer seine Freundin anruft, fndet er Worte für das Unbehagen. Sie reden über den Tag, den Schnee, das Rennen. Dann sagt er plötzlich: «Weisst du heute hat mir das Skifahren gar keinen Spass gemacht.» Und in dem Moment, in dem er es ausspricht, weiss er: Das ist es. Nicht das Material war das Problem. Sondern die Freude. Sie war weg.

Ende Oktober 2025, am Anfang seiner zehnten Weltcup-Saison, ist von diesem Moment in Wengen nichts mehr zu spüren. Die Freude war schnell zurück. Das Gespräch mit seiner Freundin half. Schon tags darauf, beim Start zur Abfahrt, lachte er wieder – wie er es eigentlich immer tut, seit Jahren, bevor er sich in den Hang stürzt. Und er gewann.

Eine Woche später stand er auch in Kitzbühel zuoberst. Wenige Tage darauf wurde er in Saalbach Weltmeister, zum dritten Mal. Und kurz darauf stand er auch schon als Gesamtweltcupsieger fest, zum vierten Mal in Serie. Was Platz drei in der ewigen Rangliste bedeutet, hinter Marcel Hirscher (acht Titel) und Marc Girardelli (fünf).

Es kam also alles gut. Und mit ziemlicher Sicherheit wird auch in dieser Saison wieder vieles gut kommen. Marco Odermatt, 28 Jahre alt, ist einer der besten Skifahrer der Welt, oft der beste. Er fndet Linien, die andere nicht sehen. Er rettet sich aus Situationen, in denen andere stürzen.

Aber er steht vor einer Herausforderung, die fast niemand sonst kennt. Es ist die Tragik des Seriensiegers. Zu siegen, der Beste zu sein, ist für die meisten Menschen die Ausnahme. Wenn man dauernd gewinnt, wird die Ausnahme zur Normalität, und Normalität ist defnitionsgemäss nicht aufregend. Das heisst: Der Körper produziert nicht mehr dieselbe Dosis an Adrenalin, Dopamin, Endorphinen. Die Belohnungskurve facht ab. Man könnte sagen: Der ständige Erfolg reduziert das Erfolgserlebnis.

Nur ganz wenige Athletinnen und Athleten auf der Welt kennen das: Usain Bolt, Michael Phelps, Mikaela Shifrin. Für alle anderen ist der Sieg das ultimative Ziel. Für Seriensiegerinnen und -sieger ist es der Minimalanspruch.

DETAIL-ARBEIT Marco bei der Vorbereitung für das Sommertraining in Zermatt im August 2025.

«Es braucht den Hunger.»

Marco Odermatt darüber, was neben Motivation, Adrenalin und Fokus noch zählt für den Sieg

Es ist kein Thema, über das sie gerne sprechen. Zu leicht könnte es falsch klingen: als Klage auf hohem Niveau, als Luxusproblem von Menschen, die schon alles gewonnen haben. Während andere davon träumen, überhaupt einmal so gut zu sein.

Aber Marco Odermatt redet darüber. Ziemlich unverblümt. Wenn man ihn fragt, wie er in seine zehnte WeltcupSaison geht, sagt er: «Dass ich sie durchstehen mag, weiss ich. Ich bin gesund, habe viel trainiert, und die Motivation im Sommer war voll da. Da bin ich fast selbst überrascht. Vielleicht ist eher jetzt, im Moment, die Frage: Was ist der Antrieb?»

Er hält inne. «Sobald ich am Start stehe, ist alles da: Nervosität, Adrenalin, Fokus. Aber den Hunger braucht es halt schon, um schnell Ski zu fahren. Und ob ich diesen Hunger in allen dreissig Rennen, die ich beabsichtige zu fahren, haben werde, bezweifle ich.»

Der Schalter im Kopf

Ein Seriensieger muss nicht nur schnell Ski fahren. Er muss funktionieren, immer. Mit jedem Sieg wächst die Zahl der Verpfichtungen, die sich an den Erfolg heften: Pressekonferenz, Dopingkontrolle, Sponsorenauftritte, Fotos, Autogramme, TV-Schalten. Während die anderen auf dem Weg ins Hotel sind, steht er noch im Zielraum, beantwortet Fragen, nimmt Gratulationen entgegen, lächelt. Und wenn, Stunden später, dann auch er endlich ins Hotel kommt, sind die anderen schon auf dem Heimweg.

Marco gibt zu, dass solche Momente ihn manchmal traurig machen. Die gleichen Strecken, die gleichen Hotels, die gleichen Abläufe – das haben alle Skifahrer. Aber ein Sieger erlebt sie anders: Er erlebt sie länger, dichter, voller. Und das zehrt.

«Wenn man so viel gewonnen hat wie ich – wenn man alles gewonnen hat –, dann ist es einfach Fakt: Du kannst nur noch verlieren. Und das ist für den Kopf nicht einfach. Ich merke, dass es in gewissen Rennen nicht mehr das Ziel ist, zu gewinnen. Sondern: nicht zu verlieren.»

Marco Odermatt hat Menschen, mit denen er reden kann. Kurz vor Saisonbeginn spricht er mit seiner Mentaltrainerin über diese Herausforderung. Und auch Helmut Krug, sein Riesenslalomtrainer, der ihn seit Jahren begleitet, ist eine wichtige Bezugsperson. Krug hat einen Blick dafür, wann aus Routine Erschöpfung wird.

SERIENSIEGER

Marco Odermatt findet immer wieder Linien, die andere nicht sehen.

«Es geht darum, die Leichtigkeit zu bewahren.»

Marco Odermatts Riesenslalomtrainer Helmut Krug weiss, wie ein Skifahrer der Routine entkommt.

Im soeben erschienenen Buch «Marco Odermatt – Meine Welt» spricht er darüber. «Je öfter man gewinnt, desto schwieriger wird es, sich zu motivieren», sagt er. «Desto schwieriger wird es, wieder von vorn anzufangen. Desto schwieriger wird es, Spass zu haben. Für Marco wird es in den nächsten Jahren darum gehen, sich diese Leichtigkeit zu bewahren.»

Wie schaft man das?

«Das Training kann zermürbend sein. Du bist in einem Skigebiet mit wunderschönen Pisten, aber du fährst nicht die schönen. Du fährst immer nur die gleiche. Und musst jeden Schwung mit voller Kraft durchziehen. Mein oberstes Ziel während der Saison ist deshalb: Spass haben. Wenn ich mal eine vereiste Piste hinstellen kann, mit schönen Wellen, wo man auch mal durch die Luft fiegt – und Marco sagt hinterher: War das ein geiles Training, das hat so viel Spass gemacht –, dann weiss ich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Dann kommt die Leichtigkeit von selbst. Wir müssen schauen, dass er sich nicht nur als Rennmaschine fühlt, sondern als jemand, der Skifahren liebt. Denn das tut er. Er liebt es.» Krug kennt Marco besser als die meisten.

«Er ist kein Mensch, der jammert, im Gegenteil. Aber er trägt jede Saison ein Pensum, das andere in zehn Jahren nicht stemmen. Und das macht mich traurig. Weil ich ihn als Menschen kenne. Und ich will nicht, dass er daran kaputtgeht.»

Auch Marco Odermatt will nicht, dass die Geschichte hier endet. Er will lernen, auf andere Weise zu gewinnen. Aber wie?

ZWISCHENBILANZ

Für die Biografie «Marco Odermatt – Meine Welt»

(Wörterseh Verlag) hat Autor Christof Gertsch gemeinsam mit Mikael Krogerus den Ski-Star mehr als ein Jahr lang begleitet

WEITBLICK Worauf Marco hinfiebert? Natürlich auf die Heim-WM in CransMontana im Februar 2027.

Teamgeist zählt

Es ist eine gefährliche Frage für jemanden, der gewohnt ist, Antworten im Zielraum zu fnden. Denn wenn die Jagd nach Zahlen, nach dem nächsten Sieg, der nächsten Kristallkugel, dem nächsten Rekord keine Antwort mehr ist – was bleibt dann?

Bei Odermatt ist dieser Punkt noch nicht erreicht. Es gibt Ziele, die ihn weiterziehen. Die Abfahrt in Kitzbühel, die er einmal gewinnen will. Die Heim-WM in Crans-Montana im Februar 2027. Bis dahin, sagt er, wolle er den Spagat zwischen Speed-Disziplinen und Riesenslalom noch wagen.

Und das ganz grosse Ziel, acht Gesamtweltcup-Siege, der Rekord von Marcel Hirscher? Ist für ihn kein Thema, war es vielleicht nie. «Um diesen Rekord zu brechen, müsste ich noch mindestens fünf Jahre lang drei Disziplinen fahren», sagt er. «Und ich weiss, wie anstrengend das ist.» Man sah es bei Hirscher: Der war irgendwann einfach leer.

«Ich will die Lust nie verlieren», sagt Odermatt. Es ist der Satz, der seine Zukunft beschreibt. Denn wie verliert man die Lust nicht, wenn man sie schon einmal verloren hat? Er fand die Antwort dort, wo er sie am wenigsten gesucht hatte. In einem Moment, in dem andere gewannen.

Zum ersten Mal spürte er es Ende 2024 in Beaver Creek, als Thomas Tumler und Justin Murisier gewannen, Teamkollegen und Freunde von ihm. Dann in Wengen wieder, als Franjo von Allmen jubelte. Und dann, ein paar Monate später, als er an einem Herbstabend in einem Kinosaal sass und «Downhill Skiers» sah, den Film über die Saison 2024/25 mit ihm in der Hauptrolle, über Angst und Geschwindigkeit, über Siege und Stürze.

Die Szenen, die ihn bewegten, waren die, in denen seine Teamkollegen gewannen. «Vielleicht, weil ich meine eigenen Bilder schon hundertmal gesehen habe», sagt er und lacht. «Aber wenn ich sehe, wie sich die anderen freuen, berührt mich das. Vielleicht sogar mehr als die eigenen Siege.»

Vielleicht liegt darin das Geheimnis. Alles wird leichter, wenn man es teilt. Das Verlieren. Und auch das Gewinnen.

Instagram: @marcoodermatt

Mathilde Gremaud ist eine der besten Freestyle-Athletinnen der Welt. Auf der Piste eine Draufgängerin, die waghalsige Sprünge landet. Aber woher nimmt sie das Vertrauen? Vier Erkenntnisse, wie man lernt, auf sich selbst zu hören.

KOPFARBEIT MIT MATHILDE

Text Karin Cerny Fotos Mark Clinton

Ob X-Games-Siege, eine Goldmedaille bei Olympia (2022) oder Weltmeistertitel (2023 und 2025): Mathilde brach bereits alle Rekorde.

1. VERTRAUEN

IST KOPFSACHE

Wo hört der Sport auf, wo beginnt das Leben? «Es klingt vielleicht komisch», sagt Mathilde Gremaud, Freeski-Profi, «aber ich visualisiere oft schon beim Zähneputzen einen schwierigen Sprung.» Wie den «Switch Double Cork 1440», den sie 2020 als erste Frau stand. Ein irrer Sprung: rückwärts angefahren, rückwärts gelandet –und dazwischen ein Doppelsalto mit vier Drehungen um die eigene Achse. Schwerkraft? Eine Illusion! Man sitzt mit offenem Mund vor dem Clip. Aber es geht auch darum, besser zu verstehen, warum sie auf der Piste eine «totale Draufgängerin» ist, wie sie sagt. Wir wollen über Vertrauen sprechen, wie es möglich ist, die atemberaubendsten Big-Air-Tricks hinzulegen, ohne die Nerven zu verlieren. Sind es die guten Gene von ihrem Dad, der auch schon Skirennen gefahren ist? Sie stand immerhin bereits mit zwei Jahren auf Skiern.

Mathilde überlegt, sie lässt sich Zeit, als würde sie dieses Rätsel für sich selbst erst lösen. «Ich fühle mich im Wettkampf geborgen. Ich fühle mich safe, wenn mir Menschen zuschauen», sagt sie. «Ich bin den Sprung beim Zähneputzen und beim Autofahren so oft durchgegangen. Bis ich weiss: Ich kann ihn schaffen.» Erfolg ist Kopfarbeit: Man muss lernen, sich selbst zu vertrauen. Aber wie läuft dieses mentale Training ab? Nicht wie ein POV-Video auf TikTok: «Ich sehe mich von aussen, wie eine Drohne, die von oben filmt. Keine Ahnung, aber das funktioniert einfach am besten für mich.»

2.

VERTRAUEN BRAUCHT BODENHAFTUNG

Lange galt die 25-jährige Schweizerin als Wunderkind der Freestyle-Szene. Ihr schien einfach alles ganz easy zu gelingen. Furchtlos brach das Ausnahmetalent alle Rekorde: X-GamesSiege, Olympia-Goldmedaille 2022, Weltmeistertitel 2023 und 2025. Aber vieles war gar nicht so leicht, wie es aussah: Einen Tag vor dem Olympia-Slopestyle 2018 stürzte sie auf den Kopf, steckte den Schock aber weg und gewann Silber. 2022 folgten zwei weitere Stürze und eine leichte Gehirnerschütterung.

«Als ich jung war, habe ich immer Vollgas gegeben», sagt sie. «Ich habe nicht lange überlegt, bin einfach losgefahren. Man macht dumme Sachen. Später muss man daraus lernen.»

Erwachsenwerden bedeutet, eine neue Strategie zu entwickeln, mit der Angst umzugehen, die ständig da ist: «Der Körper erinnert sich an diese kleinen Traumata, schlechte Erfahrungen prägen dich.» Sie bringt ein Beispiel, das jeder versteht: «Wenn du überraschend im Job gekündigt wirst, hast du Angst, dass es beim nächsten Job wieder passieren könnte. Deine Selbstzweifel wachsen.»

Air Force: Freestyle-Skierin

Mathilde Gremaud beim Red Bull Performance Camp in Saas-Fee

Die Unschuld ist verloren. Aber wie kommt das Vertrauen wieder zurück? Man lernt sich und seine Schwächen besser kennen: «Nach einer Verletzung muss mir mein Gefühl sagen: Es passt zu 100 Prozent, wieder auf den Skiern zu stehen. Wenn mein Kopf sagt, ich bin nur zu 90 Prozent ready, dann lasse ich es.»

Die Lebenserfahrung kickt ein: Mathilde übereilt nichts mehr. Genau das war der richtige Weg, den «Switch Double Cork 1440» zu landen. Die Rampe war nicht perfekt. «Ich habe zu meinem Coach gesagt: Ich fühle es irgendwie nicht so.» Deshalb haben sie gewartet, bis alle Leute weg waren, um den Kicker neu bauen zu lassen: «Es war wichtig, auf dieses Gefühl zu vertrauen. Erst dann war ich mir sicher: Es wird gutgehen!»

Das Vertrauen und die Energie der anderen: eine Art Powerbank für Mathilde Gremaud

3. DISTANZ HILFT, DEN SPASS NICHT ZU VERLIEREN

Das Trainingsprogramm einer Spitzensportlerin kann zermürbend sein: ewige Wiederholungen, bis alles perfekt ist. Der Druck wächst, der Fun geht verloren. Wo holt man sich den nötigen Kick? Mathilde liebt zum Ausgleich Sportarten, in denen sie kein Profi ist: Golf, Biken, Surfen. «Da habe ich schnelle Erfolge, die mir zeigen, worum es wirklich geht: Spass am Sport zu haben, um meine Batterien neu aufzuladen.»

Die Schattenseiten des Erfolgs: Mini-Burnouts und mentale Löcher, in die man nach einer fordernden Saison fällt. Auch Mathilde kennt dieses Paradoxon: Als Sportlerin möchte man immer schneller werden, als Mensch muss man manchmal auf die Bremse treten. Sie weiss mittlerweile: «Ich muss auf mich aufpassen und mir Zeit geben. Nur so kann ich als Athletin wachsen.»

4.

VERTRAUEN IST GEMEINSCHAFTSSACHE

Wenn Mathilde durch die Lüfte fliegt, dann sind ihre Eltern immer dabei. Ihr emotionaler Support trägt sie. Bis sie herausfand, dass ihre Mutter aus Angst oft die Augen schliesst. Für sie ein Schock: «Ich hab ihr gesagt: Du musst auf alle Fälle zuschauen! Ohne dein Vertrauen habe ich selbst weniger Vertrauen.» Für Mathilde ist die Energie der anderen eine Art Powerbank: Im richtigen Moment, wenn es um alles geht, zündet sie. Deshalb traut sie sich in Wettkämpfen auch mehr zu als im Training.

Obwohl sie ein Familienmensch ist, hat sie das Hotel Mama verlassen. Seit kurzem lebt sie mit ihrer Partnerin, der Mountainbikerin Vali Höll, in Innsbruck. «Der Austausch ist megacool. Andere würden vieles gar nicht verstehen, was uns beschäftigt.» Haben sie ein ähnliches Mindset? «Wahrscheinlich sind wir tendenziell zu aktiv», scherzt Mathilde. Ein fauler Sonntag mit Netflix? Eher die Ausnahme. «Wir sind Fans von Soups, die drei Stunden köcheln. Wir stellen alles auf den Ofen, gehen eine Runde spazieren, schauen ein Movie, und dann essen wir.» Gemeinsam lernen, einen Gang runterzuschalten? Auch eine Vertrauenssache, zumindest bei Spitzensportlerinnen.

Instagram: @mathilde_gremaud QR-Code scannen und den Dok-Film «Ski Who Flies» mit Mathilde ansehen.

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Kein Schnee? Kein Problem, wenn man wie Skiakrobat Noé Roth stattdessen auf einer Wassersprunganlage trainieren kann.

EINFACH FLIEGEN

Der Schweizer Noé Roth ist der Aerials-Athlet der Stunde. Für seinen Weltrekordsprung bekam er die höchste je in der Skiakrobatik vergebene Wertung. Sein grösstes Talent: Er landet immer auf den Füssen – beziehungsweise auf den Skiern –, egal wie viele Schrauben er in der Luft dreht.

Text Emil Bischofberger Fotos Dom Daher

Im zürcherischen Mettmenstetten herrscht an diesem Vormittag eine entspannte Atmosphäre. Hier, auf der Wassersprunganlage Jumpin, trainiert Aerials-Weltmeister Noé Roth von Mai bis Oktober. «Was meinst du?», fragt sein Vater Michel Roth, 62, als Noé nach seinem ersten Dreifachsalto aus dem Wasser gestiegen ist. «Ja, ja», sagt der Sohn, 24, «ich mache nochmals einen.» Mehr Worte braucht es nicht zwischen den beiden. Sie sind ein eingespieltes Team.

Die Wasserblasen im Becken des Jumpin in Mettmenstetten dämpfen den Aufprall ab. Weltweit gibt es nur eine Handvoll solcher Trainingsanlagen.

Was wie innerfamiliärer Smalltalk klingt, ist der Austausch zwischen Spitzenathlet und Nationaltrainer. Den ganzen Vormittag über hört man nur wenige Worte, bevor Noé wieder seine Ski schultert und die 123 Treppenstufen zur obersten Sprungplattform hochstapft. In wassergetränkten Skischuhen und vollgesogenem Neoprenanzug ist das kein Klacks. Bei zehn Sprüngen pro Training und fünfzehn Stufen pro Stockwerk erklimmt er von Dienstag bis Samstag täglich ein 82­stöckiges Hochhaus.

«Es ist der Teil des Trainings, den ich am wenigsten mag», sagt Roth knapp, als er oben ankommt. Konzentriert steigt er in seine Ski, bevor er sich für den nächsten Sprung bereit macht. «Es ist wichtig, schnell umzuschalten und in den mentalen Tunnel hineinzufnden», erklärt Noé. «Gut auf den Füssen stehen, Schwerpunkt auf die Fersen», murmelt er und beendet sein Mantra mit dem Namen des geplanten Sprungs. In der Spur, bevor er sich in die Höhe schraubt, wird er es noch ein letztes Mal wiederholen.

Roth ist der Aerials­Athlet der Stunde, der Freestyle­Skiing­Disziplin, die oft auch einfach Skiakrobatik genannt wird. Vergangenen Winter wirbelte er im Engadin zu WM­Gold, seinem Karrierehöhepunkt. Dank einem Double Full­Double Full­Full (ein Dreifachsalto mit fünf Schrauben, Erklärung Seite 70), dargeboten in nie gesehener Perfektion. Mit 143,31 Punkten erhielt er die höchste jemals im Aerials vergebene Wertung.

Nach dem Training sagt Noé: «Man muss sich das vorstellen wie beim Sprung im Schwimmbad: Da oben bist du ausserhalb deiner Komfortzone, musst dich überwinden.» Mit dem Unterschied, dass die meisten Mutigen einmal pro Sommer einen Sprung vom höchsten Turm wagen, Roth jedoch zehnmal täglich. «Aerials erfordern viel Kopfarbeit», sagt er. «Ein Sprung muss so im Kopf und Körper sein, dass er in der Luft einfach passiert. Nach dem Training bin ich meist mental müder als physisch.»

Voller Fokus

Überwindung fordern in erster Linie die Dreifachsaltos. Mit jenen mit fünf Schrauben gewinnt man Weltcups und Titelkämpfe. Roth beherrscht deren vier und ist damit eine Ausnahmeerscheinung. Diesen Sommer ging er noch einen Schritt weiter: Als einer der ersten Athleten weltweit stand er souverän einen Dreifachsalto mit sechs Schrauben. Das Instagram­Video sorgte in der Szene für Furore. Doch auf Schnee wird er diesen Sprung vorerst nicht zeigen. «Das Risiko wäre zu gross.

Mit meinen anderen Sprüngen kann ich auch so gewinnen», sagt Roth. Auch einen weiteren Fünf­Schrauben­Sprung, den sogenannten Hurricane, hat er im Repertoire – bisher allerdings nur auf Wasser. Wir lernen: Die Konzentration auf das Wesentliche geht bei Noé mit einer gehörigen Portion Gelassenheit einher.

Einen Sprung zu beherrschen, ist das eine. Sich am Tag X selbstbewusst genug zu fühlen, ihn zu zeigen, etwas anderes. Bei 48 Weltcup­Starts kommt Roth auf 20 Podestplätze – nur vier davon sind Siege. Eine erstaunliche Bilanz für einen Athleten seines Formats: Die Quote der Top ­3 ­Plätze liegt bei über 40 Prozent, die der Siege jedoch nur bei acht Prozent. «Lange trat ich mit der Mentalität ‹Hauptsache Podium› an und riskierte nicht alles, weil mir der Gesamtweltcup wichtig war», sagt Noé. «Was mich zurückhält, ist mehr die Furcht vor einem schlechten Resultat als um meine Gesundheit.»

Es ist eine rationale Abwägung: Mit einem sicheren Sprung aufs Podium zu kommen, bringt langfristig mehr als ein riskanter Versuch, der schiefgehen kann. «Noé geht auf Sicherheit, ich wäre risikobereiter. Deshalb pushe ich ihn nicht, sondern versuche, ihm die Möglichkeit zu geben, etwas zu wagen», sagt dazu Vater und Coach Michel Roth. Der Sohn fügt an: «Im richtigen Moment lasse ich mich durchaus pushen, und bei Titelkämpfen bin ich auch bereit, alles zu riskieren, was ich habe.»

Mit Skiern und in wassergetränkten Skischuhen stapft Noé Roth täglich zehnmal auf die Rampe in Mettmenstetten: Das ist, als ob er ein 82­stöckiges Hochhaus erklimmen würde.

Noé Roths Weltrekord-Sprung

Der Double Full-Double Full-Full

2,9 Sekunden brauchte Noé Roth, um drei Saltos und fünf Schrauben in den besten Sprung seiner Karriere zu packen. Ende März in St. Moritz erzielte er damit 143,31 Punkte –Weltrekord. «Sobald ich in der Luft war, spürte ich: ‹Der kommt gut!›», erinnert sich Roth, der den Gold-Sprung später als «den besten meines Lebens» bezeichnete. Hier beschreibt er, wie er seinen schwierigsten Sprung auf Schnee absolvierte: «Der Anlauf ist entscheidend. Wenn du nicht zentral über dem Ski stehst und der Körper nicht gestreckt ist, fehlt dir danach die Rotation. In der Luft kannst du nichts mehr retten, höchstens die Rotation beschleunigen, indem du die Knie anziehst –und das gibt Abzüge. Du konzentrierst dich also nur noch auf die Landung. Bei einem Double Full im ersten Salto muss die Körperspannung von Beginn weg stimmen. Beim zweiten Salto muss ich sie aufrechterhalten. Das ist schwierig, weil alles so schnell geht. Wenn der zweite Salto geschafft ist, fühlt sich der dritte fast schon entspannt an, weil der nur eine Schraube hat. So kann ich es vor der Landung ganz kurz geniessen – und sehe diese dadurch auch früh genug.»

Wir ergänzen: Gelassenheit bedeutet bei Noé, gut überlegte und in erster Linie pragmatische Entscheidungen zu trefen.

Vater Michel ist seit 34 Jahren AerialsNationaltrainer. Noé verbrachte deshalb von Kindesbeinen an viel Zeit im Jumpin, während sein Vater mit den besten Athletinnen und Athleten des Landes trainierte. Es ist seine zweite Wohnstube, fünfzehn Autominuten vom Elternhaus in Baar entfernt. Hier ist Noés Aura spürbar, ohne dass er den Macker heraushängt. Die jüngsten Talente scharen sich nach dem Training um ihn. Manchmal hilft er beim Coaching der Kleinsten aus. «Sie sind eine lustige Truppe», sagt Roth. «Man merkt, wie gross ihre Freude ist, wenn ich da bin.» Noé kann sich gut in die Kleinen hinein-

«Meine grosse Stärke ist die Orientierung in der Luft: Ich weiss immer, wo ich bin.»

versetzen, einst schaute er genauso zu den Grossen auf. «Das Springen gefel ihm von Anfang an», sagt Michel Roth und erzählt von Noés Fluggefühl, das dieser beim stundenlangen Trampolinspringen entwickelte.

Weder Vater noch Sohn sind Lautsprecher, aber trotzdem klare Anführer: Michel als Cheftrainer, Noé als Teamleader. Wer durch Leistung überzeugt, muss keine lauten Worte spucken, um gehört zu werden.

Generationenübergreifend

Die Roths – auch Mutter Colette war einst Aerials-Weltklasse und gewann 1998 unter ihrem Ledignamen Brand Olympiabronze – trimmten ihren Sohn nicht von klein auf auf Aerials. «Das Ziel war, dass alles spielerisch ging. Viele Tricks hat sich Noé selbst beigebracht», sagt Vater Michel. Noés Sportkarriere begann im Kunstturnen, wo er mit seinem Akrobatiktalent schnell auffel. Über die kleine Wasserschanze wagte er sich mit sechs oder sieben Jahren zum ersten Mal. Ernsthaft mit Aerials begann er mit zehn. Kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag gab

Noé hat Glück: Das Jumpin liegt nur wenige Autominuten vom Elternhaus in Baar entfernt.

Lor aut adipsa volendis derione ctatum accupt. Luptatum es ex errovit milictum.

«Ich liebe es, durch die Luft zu fliegen und Saltos zu machen. Diesen Adrenalin -Rush kriegst du sonst nirgendwo.»

er Anfang 2017 sein Weltcup-Debüt, so ofensichtlich war sein Talent. «Meine grosse Stärke ist die Orientierung in der Luft», sagt Noé selbst, «ich weiss immer, wo ich bin. Wie eine Katze: Ich lande verlässlich auf den Füssen.»

Parallel zur Sportkarriere sollte Noé eine KV-Lehre absolvieren. Doch mit siebzehn brach er die Ausbildung ab –ein mutiger Schritt als Athlet in einer Randsportart. «Die KV-Lehre hätte sich mit dem Spitzensport kombinieren lassen. Doch das war nichts für mich. Ich bin

keiner, der den ganzen Tag vor dem PC sitzt. Ich muss draussen sein, mich bewegen», sagt Noé. Seine Eltern stimmten zu, unter der Bedingung, dass er weiterhin sparsam lebt und Geld für eine spätere Ausbildung spart. So wohnt er bis heute daheim in seinem Kinderzimmer. Gerade kommen Vater und Sohn von einem sechswöchigen Trainingslager in Brisbane, Australien, zurück. Zum einen wollten sie aus der Monotonie im heimischen Jumpin ausbrechen, zum anderen sich optimal auf den nächsten Höhepunkt

«Ich muss draussen sein, mich bewegen», sagt Noé. Neben Freeskiing hat er eine weitere Passion: Wellenreiten.

in Noés Karriere vorbereiten: Olympia in Italien. Es sind Noés dritte Spiele, erstmals tritt er als Topfavorit an. Der Abstecher auf die Südhalbkugel hatte für Noé Roth noch einen weiteren Vorteil. Nach dem Aerials-Training konnte er an der Gold Coast seiner zweiten Sportpassion, dem Wellenreiten, nachgehen. Den entspannten Surfer-Stil verkörpert er auch optisch: Diesen Sommer hat er sich einen Schnauzer stehen lassen. Es ist nicht sein erster Versuch. Meist brach er das Ganze nach zwei Wochen wieder ab – «weil ich fand, es sehe scheisse aus», sagt Roth und lacht. «Nun habe ich ihn länger wachsen lassen, jetzt gefällt er mir echt.» Von Teamkollegen muss er sich dazu trotzdem Sprüche anhören. «Damit kann ich gut leben», sagt Roth.

Gelassenheit als Schlüssel

Es ist ebendiese Gelassenheit, die Noé befähigt, die schwierigsten Sprünge auf der Schanze zu zeigen. Immer und immer wieder. Was treibt ihn an? «Ich liebe es, durch die Luft zu fiegen, Saltos zu machen und im Schnee zu landen. Diesen Adrenalin-Rush kriegst du sonst einfach nirgendwo.»

Noé Roth, 24 Jahre alt, hat noch grosse Ziele. Abtreten will er einst als «einer der besten Aerialisten, die den Sport je ausgeübt haben». Dass er dafür nicht der Lauteste sein muss, nicht der Risikobereiteste, hat er längst bewiesen. Seine Art – entspannt und bedacht – ist sein Erfolgsrezept. Gedanken über die Zeit nach Aerials macht er sich trotzdem schon. Mittlerweile hat sich sein Berufswunsch konkretisiert: Nächsten Sommer will er die Ausbildung zum Helikopterpiloten beginnen. Was wäre passender für einen, der schon jetzt nichts lieber macht, als um die eigene Achse zu rotieren?

Instagram: @noe20000

20.11–25 / 06.01–26 Piazza Grande, Locarno > Gratis Eintritt

Künstlerische Projektionen, Eisbahn, Zip line, Eis Minigolf, Weihnachtsmarkt, Streetfood & Bar, Kinderunterhaltung, Fondue Chalet, Konzerte & mehr

winterland-locarno.ch

Benvenuti in Italia!

Freeski-Königinnen, Pioniere auf dem Board, High-Flyer, Dauerbrenner und Stil-Ikonen am Schanzentisch: Hier kommen 27 Publikumslieblinge, die wir diesen Winter erleben werden.

Er fährt einen Rail auf einem offenen Looping: der schwedische Freeskier Jesper Tjäder

Text Werner Jessner

Dorothea Wierer

ITALIEN, 35, BIATHLON

Die sympathische Südtirolerin gehört mit sage und schreibe zwölf WM-Medaillen seit eineinhalb Jahrzehnten zur Weltspitze.

RUHE UND PRÄZISION

Sie kommt mit 180 Pulsschlägen aus der Loipe und muss beim Schiessen innerhalb von Minuten runterkommen. Wie geht das? «Indem wir unter härtesten Bedingungen trainieren», erklärt Dorothea. «Wir versuchen, so kaputt wie möglich am Schiessstand anzukommen und für jeden Schuss die Luft anzuhalten. Unsere Trainer achten darauf, ob sich Bauch oder Brust bewegen. Wir brauchen da ein sehr gutes Körpergefühl. Der Körper verändert sich über die Jahre. Manchmal hilft es, den Gewehrschaft minimal abzufeilen, um eine bessere Position zu finden.»

Das ist Biathlon: in kürzester Zeit von Maximalpuls auf volle Konzentration

Clément Noël

FRANKREICH, 28, SKI ALPIN

Der französische Slalom-Spezialist elektrisiert mit seiner Fahrweise. Privat gibt er es ruhiger: Clément spielt zum Ausgleich gerne Golf.

WIE EIN PROFI: FIT FÜR SKI

Tipps vom Slalom-Weltcupsieger für Spass & Performance auf der Piste

Noëls drei Säulen: Balance, Kraft, Beweglichkeit

1. Mobilisierung

«20 Minuten, die gut investiert sind und die Muskeln auf das Training einstimmen: Beginnt mit Selbstmassage, gern mit einem Roller. Danach folgt klassisches Dehnen, gerade im Hüftbereich. Zum Schluss bindet man die Beine mit einem Gummiband zusammen und geht seitwärts; 10 Schritte in die eine, dann 10 in die andere Richtung.»

2. Kraft und Explosivität

«40 Minuten: Einbeiniges Balancieren auf wackeligem Untergrund. Seitlich verdrehte Liegestütz. Kniebeugen mit einem Stock über dem Kopf. Zum Schluss

die Dragonfly für Bauchmuskeln: Dabei hebt man im Liegen die Beine nach oben.»

3. Koordination

«Kleine Sprünge von einem Bein zum anderen, verschärft durch Zusatzaufgaben: unterschiedliche Höhen, im Rhythmus die Knie heben. Lässt sich zwischen die Krafteinheiten einschieben.»

4. Regeneration

«Das klassische ‹Ausfahren› nach dem Training. Zum Aufbau von Grundlagenausdauer ist es im Winter längst zu spät. Also: 20 bis 35 Minuten gemächliches Runterfahren der Systeme.»

Anna Gasser

ÖSTERREICH, 34, SNOWBOARD, BIG AIR

SLOPESTYLE. Seit 15 Jahren gehört die Kärntnerin zu den erfolgreichsten Snowboarderinnen der Welt.

DAS ERSTE MAL

«Bevor ich einen neuen Trick zum ersten Mal springe wie den Cab 1200 letztes Jahr (rückwärts angefahren, dreieinhalb Umdrehungen), habe ich ihn im Kopf zuvor hunderte Male durchgespielt. Ich muss mich zu 100 Prozent bereit fühlen! Oben bin ich trotzdem extrem angespannt. Sobald ich losfahre, bin ich im Tunnel. Nach dem Absprung weiss ich, ob es sich anfühlt wie am Trampolin zuvor, ob der Sprung passt. Nach der Landung schiesst Adrenalin ein, die Hände zittern.»

Matěj Švancer

ÖSTERREICH, 21, FREESKI

Der gebürtige Tscheche zählt wegen seiner Technik und innovativen Tricks zu den unkonventionellsten Fahrern überhaupt.

«EIN BISSCHEN MEHR FLOW»

Welcher Trick fühlt sich für dich am meisten nach «Matěj-Style» an, ist also dein Signature Move?

Auf jeden Fall der Baron-Flip, den ich ja auch benennen durfte. Eine Kombination aus Flip und Bring-Back, bei der man in der Luft die Richtung wechselt.

Was geht dir, kurz bevor du einen sehr krassen Sprung machst, durch den Kopf? Ich glaube, die Öffentlichkeit ist nicht bereit für meine Gedanken, wenn ich oben am Drop-in stehe.

Wie sieht ein perfekter Tag für dich aus, wenn du mal nicht auf den Ski stehst? Zuerst ein bisschen ausschlafen, halb elf ist gut. Dann auf den Golfplatz, da spiele ich zweimal den kleinen Platz, weil ich leider nicht besonders gut bin. Anschliessend zu Mittag essen,

noch eine Neun-Loch-Runde spielen, schliesslich heimfahren und noch eine Partie Schach spielen.

Was wünschst du dir sportlich fürs nächste Jahr?

Dass ich ein noch besserer Skifahrer werde. Ich würde gerne ein bisschen mehr powdern gehen und mich nicht nur im Snowpark aufhalten. Und ich wünsche mir allgemein, ein bisschen mehr Flow in mein Skifahren zu bekommen.

KANADA, 31, SNOWBOARD SLOPESTYLE, BIG AIR

Einer der erfolgreichsten und fokussiertesten Boarder der Gegenwart. Motto: «Geh mit einem Lächeln in deinen Run.»

TRAIN YOUR BRAIN

Wie genau trainierst du dein Gehirn?

Durch Visualisierung: Was will ich, wo will ich sein, was will ich erreichen?

Das stelle ich mir vor. Und ich übe Dankbarkeit: Ich erinnere mich, wie glücklich ich bin, wie gut es mir geht. Wie schön es ist, tun zu können, was ich tue. Das hilft auch in schwierigen Phasen nach Verletzungen.

Nutzt du bestimmte Techniken?

Atmen, Visualisieren und Aufschreiben: Ziele, aber auch, wofür ich dankbar bin.

Wie oft machst du das?

Nicht täglich, aber regelmässig. Ausserdem mache ich Yoga und arbeite mit unterschiedlichen Menschen an meiner Atmung. Wie genau, hängt von der Art des Trainings ab. An manchen Tagen steht körperliches Training im Fokus, an anderen das geistige. Manche Trainingstage passieren im Fitnesscenter, andere auf Schnee und manche im Kopf, indem ich meinen Run visualisiere: wie er sich anfühlen wird, wie die Landungen sein werden, aber auch das Gefühl danach, wenn es vorbei ist.

Eileen Gu

CHINA, 22, SKI HALFPIPE UND SLOPESTYLE

Sie wurde 2022 Olympiasiegerin im Big Air und auf der Halfpipe. Neben ihrer Ski-Karriere ist sie Model und setzt sich für Gleichberechtigung ein.

Seine erste Goldmedaille bei einem Grossevent holte Mark 2012. Elf weitere sind mittler weile dazugekommen.

VORBILD SEIN

«Man muss sich nicht zwischen Stärke und Weiblichkeit, zwischen zierlich oder stark entscheiden. Ich möchte jungen Frauen zeigen, dass sie alles zugleich sein können.»

Eileen Gu ist Vorbild einer jungen Generation. Allein auf Instagram erreicht sie zwei Millionen Follower.

NIEDERLANDE, 36, SKI ALPIN

Der achtfache Gesamtweltcupsieger arbeitet nach langer Pause und schwerer Knieverletzung am Comeback in

ZURÜCK AUF SCHNEE

«Olympia, WM, Weltcup: Ich bin in meiner Karriere 270 Skirennen gefahren. Und trotzdem hat für mich in diesem Olympia-Winter eine neue Zeitrechnung begonnen – jene nach meiner Knieverletzung. Gefühlt ist alles wieder ein erstes Mal: jedes Mal am Start stehen, jedes Mal ans Limit gehen. Der Kreuzbandriss war ein harter Cut, die Rückkehr ist ein AdventureTrip. Fragen, die mir gestellt werden, stelle ich mir auch: Bin ich noch der Skifahrer, der ich einmal war? Wie viel Risiko bin ich noch zu gehen bereit? Was geht noch? Auflösung folgt. Live und in Farbe.»

Neue Zeitrechnung: Marcel Hirscher feilt nach einem Kreuzbandriss an seinem Comeback.

Ryōyū Kobayashi

JAPAN, 29, SKISPRINGEN

Hat alles gewonnen, was es in seinem Sport zu gewinnen gibt. Ausserdem hält er mit 291 Metern den (inoffiziellen) Weitenrekord im Skifliegen.

«ICH BIN EIN GANZ NORMALER JAPANISCHER JUNGE»

«Ich mag Mode, schnelle Autos – und ich interessiere mich für Musik. Ich profitiere sehr, wenn ich mit Menschen ausserhalb der Skisprung­Welt essen gehe. Von Designern, Autohändlern oder Musikern kann man eine ganze Menge lernen. Das erweitert meinen Horizont, und ich bin überzeugt, dass es dazu beiträgt, ein kompletterer Skispringer zu werden.»

Stil-Ikone: Ryōyū Kobayashi lässt sich von Mode und Rap beeinflussen.

Liam Brearley

KANADA, 22, SNOWBOARD SLOPESTYLE, BIG AIR

Amtierender Weltmeister plus GesamtweltcupSieger im Slopestyle in der Saison 2023/24: Liam ist der, den es zu schlagen gilt.

TRAINING WIE NIE 1: KEIN BRETT VORM KOPF

Der Mann aus Ontario bestreitet zeit seiner Karriere auch professionelle Wakeboard-Contests. «Die beiden Sportarten befruchten einander», findet er. «Und sie sind einander ziemlich ähnlich.» Das kann man von seiner dritten Sportart, die er früher wettbewerbsmässig bestritt, nicht behaupten: Breakdance. «Moves aneinanderreihen: Wie im Slopestyle!»

SCHWEDEN, 31, SKI SLOPESTYLE, BIG AIR

Seit 2011 auf der AFP World Tour unterwegs, bezieht er Befriedigung aus dem Umsetzen spektakulärer Visionen in besonderen Locations. Jesper Tjäder

KREATIVITÄT SIEGT

«Mit Projekten wie dem Open Rail Loop (rechts) erfülle ich Träume – Ideen, die mich manchmal jahrelang nicht loslassen.»

Kirsty Muir

GROSSBRITANNIEN, 21, SKI SLOPESTYLE, BIG AIR

Die Schottin gehört zu den ganz grossen Zukunftshoffnungen im Freeski. Nach einer Knieverletzung ist sie auf dem Weg zurück an die Spitze.

TRAINING WIE NIE 2: LASS ES LAUFEN

In der Reha-Phase nach einem Unfall entdeckte das britische Supertalent das Mountainbike: «AdrenalinSport hat mir schon immer Spass gemacht. Ich brauche das einfach! Im Sommer sitze ich gern auf meinem Mountainbike. Elektrisch – das hat in den Hügeln Schottlands schon Vorteile! Flow, Speed und Adrenalin sind ähnlich wie auf Skiern.»

Kjeld Nuis

NIEDERLANDE, 36, EISSCHNELLLAUF

Fünf Siege im Gesamtweltcup, 35 Einzelsiege, zwei Weltrekorde: Am Mann aus Leiden führt auf 1000 und 1500 Metern kein Weg vorbei.

Eisschnelllaufen ist in den Niederlanden Nationalsport, und Kjeld ist ein Nationalheld: mehrfacher Sportler des Jahres, zum Ritter geschlagen, eine Erfolgsgeschichte seit Jahrzehnten. Wie geht das? Im Podcast «Mind Set Win» erklärte er das so: «Die Leidenschaft muss da sein. Nicht nur kurz-, sondern auch langfristig, in jedem Training. Auf lange Sicht wird konstante Arbeit immer erfolgreicher sein als blosses Talent.»

Doch Kjeld kennt man nicht nur wegen seiner vielen Siege über all die Jahre, sondern auch wegen seiner speziellen Projekte abseits des Alltäglichen. Unvergessen ist sein Weltrekord aus dem Jahr 2022 in Norwegen, als er (im Windschatten eines Autos) auf seinen Skates unfassbare 103 km/h erreichte! «Ich liebe Adrenalin», grinste er damals. «Was gefährlich ist, ist gleichzeitig auch schön.»

Im Kopf eines Superstars:

hatte
Iceman aus den Niederlanden: Kjeld Nuis liebt den Speed auf seinen Skates.

FRANKREICH, 23, SKI SLOPESTYLE

Ob Weltcup, Weltmeisterschaften oder Winter-X-Games: die Cousine von FreestyleLegende Kévin Rolland ist stets vorn dabei. Tess Ledeux

LASS ES RAUS

«Man muss kreativ sein. Wir haben das Glück, einen hypervisuellen Sport zu betreiben. Skifahren ist meine Art, mich mitzuteilen, meine Gefühle und meine Lebenskraft nach aussen zu zeigen.»

CHINA, 21, SNOWBOARD SLOPESTYLE, BIG AIR

Ein wahrer Pionier: als erster Snowboarder aus China schaffte er es 2021 auf ein Weltcup-Podest – und das sollte erst der Anfang gewesen sein. Su Yiming

INSPIRATION DER NATION

«Meine Eltern haben mich mit vier Jahren zum ersten Mal in die Berge mitgenommen. Das war der Moment, in dem ich mich ins Snowboarden verliebt habe. Zusätzlich war ich schon in frühen Jahren Schauspieler. Diese Kombination macht mich zu dem, was ich bin. In Italien will ich ein noch besserer Snowboarder sein. Und ich will noch mehr Spass haben. Darum geht es beim Snowboarden: um den Weg.»

Mac Forehand

USA, 24, SKI SLOPESTYLE, BIG AIR Junioren-Weltmeister, Sieger im SlopestyleGesamtweltcup mit erst 17 Jahren: Mac mischt die Szene seit 2016 auf.

SPORT TRIFFT KUNST

«Skifahren ist eine Art, sich auszudrücken. Wir sind frei und tun, was wir wollen. Wir erschaffen Kunstwerke auf Skiern.»

Birk Irving

USA, 26, SKI HALFPIPE, SLOPESTYLE, BIG AIR Aufgewachsen in Colorado, stand er seinen ersten 360 mit fünf Jahren. Im Sommer liebt er Fischen und Mountainbiken.

ANGST IST ETWAS GUTES

Der Enkel von Kult-Autor John Irving («Der letzte Sessellift»; oben im Original) und Sohn einer Ski-Rennfahrerin sagt, dass ihn seine Kindheit in den Snow-Parks geprägt hat: «Mein Coach hat mich bei Neuschnee rausgeschickt. Davon profitiere ich noch heute. Mein Stil: wild und kreativ. Die Progression in unserem Sport ist enorm, Weiterentwicklung alles. Angst ist etwas Gutes, Anspannung auch. Darum liebe ich Contests.»

Ein Sprung zum Einrahmen: Mac Forehand, der FreeskiSuperstar, der aus dem Flachland Connecticuts kam

Vinzenz Geiger

DEUTSCHLAND, 28, NORDISCHE KOMBINATION

Der amtierende Sieger im Gesamtweltcup stammt aus Oberstdorf, einem Zentrum des deutschen Wintersports.

MEINE PERSPEKTIVE: VOM JÄGER ZUM GEJAGTEN

«Nach dem Springen liege ich selten vorne und muss beim Langlauf Position um Position aufholen. Wenn ich es dann dort schaffe, die Führung zu übernehmen, lastet richtig viel Druck auf mir. Dann bin ich der Gejagte, ich mag das!»

Vinzenz ist nicht der Typ, der grossartig nervös wird, auch wenn er sich erst an die Spitze kämpfen muss.

Isabeau Levito

USA, 18, EISKUNSTLAUF

Der Vize-Weltmeisterin des Jahres 2024, deren Mutter Italienerin ist, gehört nach Meinung vieler Experten die Zukunft auf dem Eis.

Isabeau Levito verfügt über Stil & Kraft und viel Eleganz.

FÜNF DINGE, DIE ICH MAG

Trainings-Tracks

Justin Bieber: « Confident»

Riha: «Don’t Stop the Music»

Three 6 Mafia: « Stay Fly»

Lieblingsfilm

«My Girl – Meine erste Liebe»

Lieblingsbuch

Delia Owens: «Der Gesang der Flusskrebse»

Lieblingsstadt

Natürlich Mailand!

Lieblingsessen

Burrata und Pasta mit Tomaten, Mozzarella, Kapern und Oliven

JAPAN, 29, SKISPRINGEN

Sie ist die erfolgreichste Skispringerin der Welt. Ihre 63 Weltcupsiege sind auch bei den Männern unerreicht.

PERFEKTION: JEDES DETAIL ZÄHLT

«Ich bin ständig am Optimieren, weil ich oft etwas finde, das mich stört. Neues probiere ich zuerst im Training aus: schmalere Ski-Stellung bei der Anfahrt, andere Blickführung – eigentlich Winzigkeiten, aber beim Skispringen hängt alles zusammen. Ausserdem ist jede Schanze anders. Einige liegen mir mehr, andere weniger. Jede will anders angegangen werden.»

ITALIEN, 33, SKI ALPIN

Die Speed-Spezialistin aus Bergamo hat bereits vier Mal den AbfahrtsGesamtweltcup gewonnen.

MEIN LIEBESBRIEF

AN DEN SKISPORT

«Lieber Skisport! Du bist ein Spiegelbild meiner selbst, an guten wie an schlechten Tagen. Du hast mir jene Medaillen und Pokale geschenkt, von denen ich als kleines Kind geträumt habe. Du hast es mir ermöglicht, Profisportlerin zu werden –etwas, wofür ich zutiefst dankbar bin. Ich weiss, welches Privileg das ist. Und eins noch, lieber Skisport, ich habe dich nie gehasst, nicht einmal in den schwierigsten Momenten. Wenn ich am Boden war, lag das an mir, und du hast mich dazu gebracht, wieder aufzustehen und das Beste aus mir rauszuholen.»

Marcus Kleveland

NORWEGEN, 26, SNOWBOARD SLOPESTYLE, BIG AIR

Der 1,72 Meter grosse Norweger hat bereits zehn Goldmedaillen zu Hause: zwei von Weltmeisterschaften und gleich acht von den Winter­X­Games.

STRATEGIEWECHSEL: FRISCHER FOKUS

Eine solche Knieverletzung wie die von Marcus Kleveland im Dezember 2018 hatte nicht einmal sein abgebrühter Chirurg bis dahin gesehen. Kaum jemand hielt ein Comeback von Marcus auch nur ansatzweise für möglich. Bestenfalls würde er eines fernen Tages mit Freunden wieder einen Hang runterrutschen können. Doch Marcus setzte sich weitaus höhere Ziele. Nicht Contests waren es, worauf er sich fortan konzentrieren wollte, sondern seine völlige Ge-

nesung – egal wie düster die Prognosen waren. Mit diesem Fokus arbeitete er sich innerhalb nur eines Jahres tatsächlich zurück –nicht bloss in den Profisport, sondern an die Weltspitze. Sein Lohn waren – abgesehen von Siegen im Weltcup – Goldmedaillen im Big Air bei den X Games und im Slopestyle bei der Weltmeisterschaft.

Flora Tabanelli

ITALIEN, 17,

SKI

SLOPESTYLE, BIG AIR

Der in Bologna geborene Teenager ist amtierende Weltmeisterin und Weltcupsiegerin im Big Air –und gehört auch im Slopestyle zur Weltspitze.

Flora Tabanelli ist passionierte Kunstturnerin.

Fliegt wieder hoch: Marcus Kleveland ist nach einer brutalen Verletzung zurück.

WAS MICH BEEINFLUSST

Surfen und Skateboarden «Das verbindet mich mit meinem Bruder Miro, selbst Freestyle- X-GamesSieger.»

Abstrakte Kunst «Das habe ich von meinem Vater, einem Grafiker. Ich zeichne und male in meiner Freizeit.»

Kunstturnen «Ich mache das, seit ich zwei Jahre alt war. Es hilft mir, meine Körperposition in der Luft einzuschätzen.»

Alberto Tomba «Als ich ein Kind war, hat er uns in den Bergen besucht. Unvergesslich!»

«Ich liebe das Essen, den Schnee und vor allem Bonsais!»
JAPAN

USA, 41, SKI ALPIN

Sie ist eine der erfolgreichsten Skifahrerinnen der Geschichte. Seit November 2024 ist sie nach fünfeinhalb Jahren Pause wieder zurück. Lindsey Vonn

HERO’S HERO: ALAN KILDOW

«Mein Vater, ein Anwalt und Skilehrer, war immer da für mich, vom Anfang meiner Karriere bis zum zwischenzeitlichen Ende. Er war es, der mich mit drei Jahren zum ersten Mal auf Ski gestellt hat, daheim in Minnesota. Ich erinnere mich genau, es war saukalt. Ich habe es gehasst, aber er hat mich mit Donuts und heisser Schokolade zum Weitermachen überredet. Durch ihn habe ich meine Liebe zu den Bergen und zum Sport entdeckt.»

Wie alles begann: Lindsey und ihr Vater Alan Ende der 1980er-Jahre in Minnesota

STEILABFAHRT

Ihr Stil ist hochgradig aggressiv, ihre Leidensfähigkeit legendär: Lindsey Vonn schreibt seit Jahren Sportgeschichte.

Scotty James

AUSTRALIEN, 31, SNOWBOARD HALFPIPE & SLOPESTYLE. Der erfolgreichste Snowboarder Australiens ist mit Chloe Stroll verheiratet, der Schwester des Formel-1-Fahrers Lance Stroll.

GUTE FREUNDE, HOHE ZIELE

Einst kaufte Scottys Vater dem damals Dreijährigen sein erstes Snowboard –ein 80 Zentimeter kurzes Deko-Stück aus einem Schaufenster eines Ladens in Vancouver. Der Rest ist Geschichte. «Ich habe mich mein Leben lang mit Menschen umgeben», die so ticken wie ich. Und in all den Jahren hat kein einziger gesagt: ‹Du wirst nicht schaffen, was du dir vorgenommen hast.›»

zur Legende, als er den ersten 2340 stand.

1080, mit zwölf wurde er Profi, mit neunzehn

Mit neun Jahren stand er seinen ersten Backside

JAPAN, 20, SNOWBOARD BIG AIR

Hiroto Ogiwara

er sich davor im Training den Unterarm gebrochen hatte.

Sprung mit sechseinhalb Umdrehungen – und das, obwohl

erster Snowboarder überhaupt einen 2340, also einen

gleich bis zum Mond.» Und so geschah es. Hiroto stand als

passen», sagte der Kommentator. «Dieser Mann springt

Aspen, Colorado, Januar 2025. «Air Traffic Control, auf­

Die Welt­Snowboard stand kopf – buchstäblich. ALS DIE SNOWBOARDWELT KOPFSTAND

EINE

Ester Ledecká

TSCHECHIEN, 30, SNOWBOARD & SKI ALPIN

Die Multi-Athletin schlechthin: Sowohl auf dem Snowboard als auch auf Skiern hat Ester Weltcup-Rennen gewonnen.

ATHLETIN, VIELE TALENTE

«Ich bin sturer als andere und übe so lang, bis ich etwas beherrsche. So habe ich auch gelernt, zu jonglieren oder auf Händen zu gehen.»

Maddie liebt das Gefühl, eine Sache durchgezogen zu haben.

Maddie Mastro

USA, 25, SNOWBOARD HALFPIPE & SLOPESTYLE

Die Kalifornierin gehört zu einer neuen Generation an Snowboarderinnen. Sie steht auf dem Board, seit sie sechs Jahre alt ist.

GEDANKEN VOR DEM SPRUNG

«Mein Double Crippler (doppelter Backflip mit Auswärts-Rotation; Anm.) war der erste, den je eine Frau in einem Contest gestanden ist. Es war vielleicht das fünfte Mal, dass ich den Trick versucht habe, und ich hatte die Hosen voll. Dass ich es durchgezogen habe, hat mir einen grossen Boost gegeben. Etwas, das ich fürchtete, wurde zu etwas, das ich liebe.»

Generalistin: Ester fährt sowohl auf einem als auch auf zwei Brettern allen davon.

Mein Weg nach oben

Trotz Rückschlägen zählt sie zu den erfolgreichsten Skicrosserinnen der Welt. Hier zeichnet Fanny Smith ihren Weg von der jungen Pionierin aus der Waadtländer Bergwelt zur mehrfachen Weltmeisterin nach.

Mehr als Medaillen

Fanny Smith, 33, nimmt mit zwölf an ihrem ersten Skicross-Bewerb teil, einem Sport, der damals gerade erst aufkommt, und verliebt sich sofort darin. Die WeltcupSiegerin kämpft nicht nur um Hundertstel, sondern auch für mehr Bewusstsein für mentale Gesundheit im Spitzensport.

1992 als mittlere Tochter (links vorne) in Villars-surOllon geboren, stand Smith ab drei Jahren auf Skiern.

2008

Mit sechzehn haben mir meine Eltern vertraut und mir erlaubt, die Schule zu beenden, um mich voll auf den Sport zu konzentrieren. Eine grosse Chance (für die ich dankbar bin.)

Winter 2006

Die Fahrt mit der Gondel

2006 sass ich mit meinem Papa in einer Gondel in Zweisimmen. Er hat gesagt, dass Skicross ins olympische Programm aufgenommen wurde, und mich gefragt, ob ich Profi werden will. Meine Antwort war Ja. So hat alles begonnen.

24. Januar 2010 Ein Schlüsseljahr: Ich wurde Zweite im Weltcup in Lake Placid (USA, Anm.), der wichtigste Erfolg meiner Karriere. Weil damit klar war, dass das mit dem Skifahren etwas werden kann.

2011/2012

Nach dem Sturz beim Finale in Innichen in Südtirol war in meinem Knie fast alles zerstört. Der Arzt sagte, er wisse nicht, ob ich je wieder fahren kann. Für mich war das keine Frage. Wenn ich ein Ziel habe, werde ich alles tun, um es zu erreichen.

10. März 2013 Yay, Weltmeisterin!

In der Saison 2012/13 gewann ich auf Anhieb die ersten drei Weltcuprennen und war selbst davon überrascht, wie schnell alles wieder funktionierte. Die Verletzung hat mir paradoxerweise Stärke gegeben, ich war besser vorbereitet als je zuvor. Alles klickte. Ich gewann ein Rennen nach dem anderen, stand auf dem Podest, holte den Crystal Globe und wurde in Norwegen mit 20 Jahren Weltmeisterin.

21. März 2025 Die richtige Richtung

Dieses Jahr wurde ich im Engadin Weltmeisterin im Einzel und im Mixed Team – vor Heimpublikum! Das waren schöne Erfolge, die mir nach dem Tief im Jahr 2022 zeigen, es geht in die richtige Richtung. Ich arbeite an mir. Und bin ehrlich zu mir selbst. Das ist das Wichtigste.

2014

Im Halbfinale in Sotschi ist mir als Favoritin ein schwerer Fehler unterlaufen, was ein großer Rückschlag und ein Schock war. Mithilfe eines Mentaltrainers kämpfte ich mich zurück und achte seither viel stärker auf mein seelisches Wohl.

23. Februar 2018 Das Comeback

In dieser Saison hab ich mich wieder nach oben gearbeitet und schliesslich die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang gewonnen. Das war eine Befreiung. Ich wusste, ich bin zurück. Ich war wieder ich selbst.

17. Februar 2022 Kampf um

Gerechtigkeit

Ein extrem forderndes Jahr: Bei den Olympischen Spielen gab es eine ungerechtfertigte Disqualifikation, die später zwar rückgängig gemacht wurde, der Moment war trotzdem verloren. Diese Erfahrung hat mich tief geprägt. Seither arbeite ich mit einer Psychologin und rede offen über mentale Herausforderungen.

Mila

Seine Neugierde auf die Welt ist der Treibstoff seines Lebens: Lucas Pinheiro Braathen hat sich nach seinem Wiedereinstieg in den Skisport in Mailand eine Wohnung genommen. Weil hier die Mode zu Hause ist. Und das Design. Und das gute Essen. Ein Streifzug mit dem norwegischbrasilianischen Rennläufer durch seine zweite Heimat.

nomia!

Guter Lifestyle: Ski-Star Lucas Pinheiro Braathen düst auf seiner Honda Zoomer NPS50 durch Mailand.
Text Stephan Hilpold Fotos Mark Clinton

Vielleicht muss man mit seinem Bett anfangen. Es ist wuchtig und riesig und glänzt wie ein Raumschiff. «Ich wollte ein Bett haben», sagt Lucas Pinheiro Braathen, «in dem ich aufwache und weiss, dass ich zu Hause bin.» Keines dieser Hotel- oder Apartmentbetten, die alle ein wenig ähnlich aussehen und in denen Braathen während der Skisaison die meisten seiner Nächte verbringt. Nein, hier in Mailand wollte Braathen ein Bett haben, das es so kein zweites Mal gibt.

DESIGN: STUDIO NM3

Kreativlabor, Ausstellungsraum oderwie hier ­ Fotostudio: Lucas stattet seinen Freunden vom Designstudio NM3 einen Besuch ab. Der Edelstahlwürfel auf dem linken Bild ist ihr Signature Piece.

Braathens Fokus ist ganz klar: «Dass die Welt des Skisports und jene der Kreativität näher zusammenrücken.»

WORKOUT: CERESIO 7 GYM

Am Morgen unseres Besuchs absolviert Lucas ein Intervalltraining, danach steht ein Workout auf dem Programm. Lucas’ Trainingsdevise: so viele Impulse wie möglich.

Ein Bett aus rostfreiem Stahl. «Ein brutalistisches Ungeheuer», meint Braathen lachend und schielt zu Francesco Zorzi, mit dem er das Edelstahlbett für seine Wohnung in der Innenstadt von Mailand entworfen hat. Francesco ist einer der drei Köpfe des Mailänder Designstudios NM3, das, seitdem das Streetwear­Label Fear of God aus Los Angeles die ersten Hocker orderte, mit seinen Edelstahlmöbeln einen richtigen Lauf hat. Francesco stammt aus Madonna di Campiglio im Trentino, einem Ort, an dem Braathen schon viele Weltcuprennen gefahren ist. «Der Sport verbindet uns», sagt Francesco, «und unsere Liebe zu Design.» Und er sagt dann einen Satz, der an diesem heissen Sommertag in Mailand immer wieder nachhallen wird: «Es gibt keinen zweiten Sportler, der auch nur annähernd so viel Geschmack und Stil hat wie Lucas.» «Paradiesvogel» haben die Medien Lucas Pinheiro Braathen genannt, einen schillernden Showman und Entertainer. Wahrscheinlich, weil sie schlichtweg keinen besseren Begrif zur Hand hatten, um den 25­jährigen Skirennläufer, der in der Skisaison 2022/23 für Norwegen den Slalom­Gesamtweltcup holte, dann völlig überraschend ausstieg und mittlerweile für Brasilien am Start steht, einzuordnen. Vielleicht machte es ihnen Braathen auch einfach zu leicht, ihn in eine Schublade zu stecken, mit seinen grossen Sprüchen, den lackierten Fingernägeln, seinem Faible für Röcke oder ultraweite Shorts. Paradiesvogel. Mit einem solchen Label auf der Stirn musste man sich nicht mehr wirklich auseinandersetzen mit einem Sportler, dem der Sport allein nie genug war.

Es genügt nicht, Braathen auf den Skirennpisten dieser Welt zu beobachten, bei Trainingsläufen und Pressekonferenzen. Dort wird man Braathen, den Techniker kennenlernen, den explosiven Perfektionisten, der um jede Hundertstelsekunde kämpft. Aber um zu sehen, was diesen Mann wirklich ausmacht, woher er seine Inspiration nimmt, muss man sich auf die Spur des anderen Lucas machen, des Modebegeisterten und Möbelsammlers, des DJs und Kunstbesessenen. Und dafür fährt man am besten zu ihm nach Mailand. «Ich liebe alles an dieser Stadt», sagt Braathen, während er am späten Vormittag in Mailands Sonne blinzelt und vor seiner Lieblingsbar, der Bar Paradiso in der Via Gerolamo Tiraboschi, ein paar Artischocken der kleinen Azienda Agricola Fratepietro aus Apulien verkostet: Es seien die besten, die man in Mailand kriegen kann, schwärmt er. Hier, in der Kreativund Wirtschaftsstadt, hat sich Braathen nach seiner Rückkehr in den Skiweltcup

– neben seinem Hauptwohnsitz im österreichischen Altenmarkt – eine Wohnung genommen, weit weg von Norwegen, der Heimat seines Vaters, und Brasilien, wo seine Mutter herkommt. «Ich war und bin in meinem Leben so viel unterwegs», sagt er. «Jetzt will ich endlich an Orten leben, wo ich mich so richtig zu Hause fühle.» Braathens Eltern trennten sich, als er ein Kleinkind war, fortan spielte sich sein Leben zwischen zwei Ländern und zwei Kulturen ab. In Norwegen stellte ihn sein Vater auf Skier, da war Lucas vier: «Ich habe Skifahren gehasst und erfand alle möglichen Ausreden, um ja nicht wieder auf die Piste zu müssen.» In São Paulo dagegen drückte ihm seine Mutter einen Fussball in die Hand, und Lucas war sofort Feuer und Flamme: «Ich war in Brasilien zwar der Gringo, aber auf dem Platz ist es egal, wie man aussieht, woher man kommt oder wie man sich anzieht.»

Weglaufen ...

Zum ersten Mal fühlte sich der Bub akzeptiert und verstanden. Erst mit acht probierte er es wieder mit dem Skifahren und fand im Bærums Skiklub sofort Anschluss: Fortan spielte sich Lucas’ Leben auf Skipisten – und auf Reisen – ab, mit immer neuen Leuten aus verschiedensten Kulturen. «Ich mochte dieses Leben», sagt Lucas und nimmt eine weitere Artischocke von dem kleinen Teller, «aber ich war auch ständig auf der Flucht.»

Auf der Flucht? Ja, sagt Braathen: «Ich bin vor mir selbst weggelaufen.

Lucas Braathen hat eine Mission: den Skisport bunter zu machen und zu zeigen, dass dessen Protagonisten unterschiedliche Charaktere sind –mit verschiedenen Geschichten.
«Skifahren», sagt er, «hat viel Potenzial. Vielleicht kann ich durch meine Offenheit auch andere Athleten ermuntern, mehr von sich selbst zu zeigen. Und so Skifahren diverser machen!»

ESSEN & TRINKEN:

BAR PARADISO

Zwischenstation mit Stärkung: Die Artischocken und getrockneten Tomaten in der Bar Paradiso kommen von der Azienda Agricola Fratepietro. «Die besten», sagt Lucas.

Ich habe versucht, mich in Gruppen zu integrieren, mich anzupassen. Und habe nicht gemerkt, was mir wirklich wichtig ist.» Ob man das Konzept des Janteloven kenne, fragt er. Damit werden in skandinavischen Ländern eine Reihe von ungeschriebenen Verhaltensregeln zum Ausdruck gebracht, die Gleichheit und Bescheidenheit betonen. «Man soll ja nicht glauben, man sei anders oder etwas Besonderes», erklärt Lucas, und dann platzt es aus ihm heraus: «Aber ich bin anders, ich bin Individualist!» Das sei wahrscheinlich seine Latino­Seite, sagt er, womit wir zurück in Mailand sind.

Ein riesiger Schreibtisch aus Edelstahl zieht sich quer durch das Erdgeschoss des zweistöckigen Designstudios NM3 in der Via Carlo Farini im Süden Mailands. Nach dem vormittäglichen Snack in der Bar Paradiso (deren Weinregale ebenfalls NM3 designte), stattet Braathen seinem Freund und Bettenmacher Francesco einen Besuch ab. Wie aufgefädelt sitzen junge Kreative hinter den Screens, an der Wand lehnen Bilder von Federico Hurth, einem italienisch­schweizerischen Fotografen, der am liebsten das abgerockte Leben der Gen­Z zwischen Clubs und Social Media einfängt. Einen Monat zuvor veranstalteten Francesco und seine Freunde hier in ihrem Studio eine Vernissage mit Hurths wilden Fotografen in Edelstahlrahmen, und natürlich war auch Braathen da. Ob er auch ein Bild gekauft habe? Klar, sagt er, ob er es aber ins Schlafzimmer hänge, wisse er noch nicht, und wendet sich wieder an Francesco, um ihn zu fragen, ob er heute noch ins Ceresio 7 schaue, den Fitnessclub, in dem beide trainieren.

Braathen war schon am Morgen dort, für ein Intervalltraining auf leeren Magen. Nach dem Zwischenstopp bei NM3 wird er die zweite Trainingseinheit des Tages in dem hypermodernen Studio absolvieren. Jetzt im Sommer, Monate bevor es mit dem Skiweltcup wieder losgeht, versucht er, so viel Abwechslung als möglich (von Biken, Running über Yoga bis hin zu Surfen und Clif Diving) in sein Training zu integrieren – noch mehr, als dies auch im Rest des Jahres der Fall ist. «Ich trainiere genau so, wie ich mein Leben führe», sagt er. «Nur wenn ich mich so vielen Impulsen wie möglich aussetze, kann ich zu wirklicher Bestform auflaufen.»

...  und sich finden

Mailand ist dafür kein schlechtes Pfaster: Sowohl die Berge als auch die Seen sind nicht weit, die zwei Flughäfen bieten Verbindungen in die ganze Welt. Und dann ist da natürlich Mailand als eine der Modeund Design­Hauptstädte der Welt: Ein Aspekt, der für Braathen zentral war, um hierherzuziehen. «Ich tue alles dafür», sagt Braathen, «dass die Welt des Wintersports und jene der Mode, der Musik und des Designs näher zusammenkommen.»

Das ist Braathens Mission: den Skisport bunter zu machen und zu zeigen, dass dessen Protagonisten unterschiedliche Charaktere sind – mit ganz verschiedenen Geschichten. In der Formel 1 hat genau das die Netfix­Doku­Serie «Formula 1: Drive to Survive» geschaft. «Skifahren», sagt Braathen, «hat so viel Potenzial. Vielleicht kann ich durch meine Ofenheit auch andere Athleten ermuntern, mehr von sich selbst zu zeigen. Und so die Welt des Skifahrens diverser machen!»

Bereits als Kind studiert Braathen Songs und Choreografen ein, die er mehrmals die Woche vor seiner Familie zum Besten gibt, als Teenager fängt er an mit Mode zu experimentieren, die Musikvideos von Michael Jackson und Queen kennt er auswendig. So richtig eingetaucht in die Welt der Kreativen ist Braathen aber erst vor einigen Jahren.

Es war im Januar 2021 in Adelboden, als sich der damals Zwanzigjährige beim Riesentorlauf schwer verletzte. Die Saison musste er frühzeitig abbrechen, zudem legte Covid abermals das öfentliche Leben lahm. «Ich war an einem Tiefpunkt in meinem Leben», erzählt er, «und dachte daran, alles hinzuhauen.» Eine Künstlergruppe, die er in Oslo kennengelernt hatte, half ihm damals aus der emotionalen Krise: «Das waren ein paar Leute, die aus

EINKAUFEN: ALIMENTARI TERROIR

dem ehemaligen Flughafen in Oslo ein Kreativlabor machten. Und ich war mittendrin.» Modelabels trafen auf Musikmacher, Künstler auf Design-Afcionados. Eine Welt nach Braathens Geschmack: «Das Beste aber war: Diese Leute, an vorderster Front Jonny Burns vom Künstlerduo Broslo, haben mir das Gefühl gegeben: Du hast Talent! Lebe es aus!» Ein paar Monate später designte Braathen für die skandinavische Modemarke Swims seine erste Kollektion, samt Kampagne und richtig grossem Launch-Event. Endlich war Braathen ganz bei sich. Oder sagen wir: beinahe.

In Bestform

Es bedurfte noch eines handfesten Streits mit dem norwegischen Skiverband und des überraschenden Ausstiegs aus dem Skiweltcup im Herbst 2023, bis Braathen auf den Tag genau ein Jahr später unter viel medialem Getöse in Sölden seine Rückkehr in den Skisport verkündete –diesmal allerdings unter brasilianischer Flagge. «Ich habe mir zum Ziel gesetzt, das zu tun, was ich am meisten liebe», sagte er beim Wiedereinstieg, «und gleichzeitig zu versuchen, über die Ski- und Sportbranche hinauszuwachsen, indem

ich mich ausdrücke und zeige, wer ich bin – ohne Kompromisse.»

Endlich ist Braathen also dort angekommen, wo er immer hinwollte: Er hat die Zügel selbst in der Hand und arbeitet mit seinem eigenen Betreuerteam (immerhin neun Personen!). Er ist bei seinen Sponsoren Moncler, Atomic und Oakley eng in Design- und Kreativprozesse eingebunden, kann seiner Liebe zum DJing (er steht auf Deep House und Afrobeats), Mode und Design freien Lauf lassen. Und eine neue Freundin, die brasilianische Schauspielerin Isadora Cruz, hat er ausserdem. «Früher habe ich mich nicht einmal an meinen besten Tagen so gut gefühlt wie im letzten Jahr», sagt er, während er seine Sporttasche schultert und sich auf seine Honda schwingt.

Noch eine Location will er seinen Besuchern zeigen, einen Foodstore samt Bar, nein, eigentlich einen Concept-Store in einer unscheinbaren Nebenstrasse: Dort, im Terroir, verkauft Inhaber Gabriele Ornati lauter gute und schöne Dinge, oder anders gesagt: alles, was er selbst schätzt. Kleine, regionale Produzenten, die Qualität über alles stellen, fnden sich hier in den Regalen, vom Kräutertee aus Südtirol bis zur Schokolade aus Chiapas. «Mich

Der Kühlschrank zu Hause ist leer: Lucas besorgt im Spezialitätengeschäft Terroir noch schnell Brot, Salami und Wein.

inspiriert jeder, der von dem, was er tut, selbst inspiriert ist», sagt Braathen. Die Liebe zu Qualität, die Begeisterungsfähigkeit für kreative Leistungen, das hedonistische Schwelgen, all das hat Lucas mit Gabriele und seinem Team gemein, weswegen kein Mailand-Aufenthalt vergeht, ohne dass er seinen Freunden einen Besuch abstattet. Auch jetzt erledigt er noch schnell die Wochenendeinkäufe, sein eigener Kühlschrank ist nämlich leer.

Übrigens genauso leer wie Teile seiner Mailänder Wohnung, die er geruhsam und mit viel Zeit und Liebe ausstatten will. Das Bett hat er schon, eines, das es so kein zweites Mal gibt. Viele weitere massgeschneiderte und einzigartige Dinge werden folgen, damit die Welt des Lucas Pinheiro Braathen noch eine Spur bunter wird – genau so, wie er es sich von Kindesbeinen an erträumt hat.

Instagram: @pinheiiiroo

MIT DEM BOOT INS SKIPARADIES

Loppa, Norwegen

DER TRAUM IM EIS

500 Höhenmeter, 50 Grad Steigung, eine

Rinne: Der Autor Hugh Francis Anderson segelt gemeinsam mit einem Skifahrer und einer Fotografin in Norwegen nach Loppa –auf der Suche nach einer steilen Traumlinie.

Meine Beine brennen wie Feuer, der Schweiss rinnt den Nacken runter, mit jedem Schritt versinke ich hüfttief im Pulverschnee. Über uns peitschen Windböen über den Berggrat. Ich drehe mich zu Paul de Groot und Agathe Ledoux um. Der niederländische Ski-Profi und die französische Fotografin grinsen breit. «Unglaublich, dass wir jetzt wirklich hier sind», keuche ich. Nach einer Woche mit rauer See, kaputtem Equipment und Lawinenwarnungen stehen wir endlich an unserem Ziel: in einer Rinne, weit abgelegen im Norden Norwegens, 400 Kilometer nördlich des Polarkreises. Nur noch 200 Meter trennen uns vom Gipfel und damit vom Höhepunkt unserer Reise. Dass wir hier gelandet sind, mitten im Nirgendwo, verdanken wir einer Verkettung glücklicher Zufälle. Vor Monaten kauften meine Freundin Camilla und ich in Oslo die «Delfin» – ein 45 Jahre altes 7,6-Meter-Segelboot. In Kristiansand, auf halbem Weg nach Tromsø, unserer Wahlheimat im Norden, begann der Motor zu streiken. Nichts Dramatisches, aber wenn man 1400 Kilometer durch die Norwegische See vor sich hat, geht man lieber auf Nummer sicher. Also schraubte ich im Hafen von Kristiansand am Motor herum, als mir Paul de Groot über den Weg lief, ein Freeskier und Segler, den ich schon lange bewundere. Er war gerade mit seiner Familie unterwegs.

Jenseits des Polarkreises

Wir tranken Wein, redeten, und irgendwann nach ziemlich viel Alkohol und tiefen Gesprächen kamen wir auf etwas ganz anderes zu sprechen. De Groot zeigte mir das Foto einer unwirklich schönen Rinne, die er im Winter davor auf einem Segeltrip entdeckt hatte. «Meine absolute Traumlinie», sagte er. Diese Traumlinie liegt auf einer Insel in der Barentssee, bereits in der Arktis. Die Insel heisst Loppa, ist nur per Boot erreichbar und besteht aus ein paar verlorenen Dörfern, keinen Strassen. Skifahrer verirren sich so gut wie nie dort hinauf. Die Rinne zieht sich über die Ostflanke eines tausend Meter hohen Grats, der sich hufeisenförmig um einen Fjord legt. Um sie zu erreichen, muss man einiges auf sich nehmen: Man ankert in diesem Fjord, quert ein unwegsames Tal, arbeitet sich in Serpentinen einen 30 Grad steilen Anstieg empor, ehe man sich der eigent-

VOR ANKER Das Segelboot «Delfin» im Fjord vor der Küste von Loppa
KURS NORD Anderson und de Groot segeln durch die Arktis nach Loppa.
«Als hätte ein skiverrückter Gott die Linie mit dem Messer in den Hang geritzt.»

JEDEN PREIS WERT Frischer, unverspurter Powder als Belohnung für einen stundenlangen, fast senkrechten Aufstieg.

ARKTISCHE IMPRESSIONEN Anderson und de Groot kämpfen sich bergauf.

lichen Herausforderung stellen darf: die 500 Meter lange Rinne hinauf, bei 50 Grad Steigung. (Zum Vergleich: Die berühmte Kitzbüheler Mausefalle bringt es auf 40 Grad.)

Arktischer Frühling

Acht Monate später, in einer Marina bei Tromsø: Ich stehe an Deck der «Delfin» und schippe Schnee. Drinnen stopft de Groot Skiausrüstung in jeden Winkel, den er finden kann. Ledoux sortiert Proviant. Die Berge ringsum sind eingepackt

«Der Wind pfeift über den Grat, das Meer glitzert weit unter uns.»

TRAININGSFAHRT

Anderson (links) und de Groot bei der Abfahrt ins kleine Fischerdorf Bergsfjord. Zwischen Fjord und Gletscher testen sie ihre Ausrüstung, bevor es nach Loppa weitergeht.

in dicke Schneedecken. Es ist April, Morgengrauen nach einer Polarnacht, goldenes Licht flutet bald die gefrorene Landschaft. Das Wetter hier oben ist unberechenbar, aber es ist ein kleines Schönwetterfenster angekündigt, stabil und lang genug für die 20-stündige, 185 Kilometer lange Fahrt ins Fischerdorf Bergsfjord. Dort können wir den nächsten Sturm abwarten, ehe es das letzte Stück weiter nach Loppa geht. Um Mitternacht legen wir ab, eingemummt in mehrere Daunenschichten. Die arktische Kälte kriecht trotzdem bis auf die Haut. Die Segel blähen sich, als wir an Tromsø und den Lyngenalpen vorbeiziehen. Der Motor stottert und spuckt mehr, als er sollte, aber die Stimmung ist bestens. In Bergsfjord ergattern wir einen Liegeplatz zwischen Dutzenden Fischerbooten. Wir warten den nächsten Sturm ab, ehe es das letzte Stück weiter nach

Travel-Tipps

Wie du hingelangst

Loppa liegt auf 70 Grad Nord, also bereits nördlich des Polarkreises. Anreise mit dem Flugzeug nach Alta, dann per Auto nach Øksfjord, mit der Fähre nach Bergsfjord – und von dort noch weiter mit dem Boot.

Wo du unterkommst

Die nächste Unterkunft ist die Bergsfjord Lodge von Bergführer Morten Christensen und seiner Partnerin Mathilda Nyquist. bergsfjordlodge.com

Loppa geht. Als sich dann der Himmel öffnet, sehen wir sie: die Rinne, schmal und steil wie ein Schnitt im Berg. Als hätte ein skiverrückter Gott sie mit dem Messer in den Hang geritzt. De Groot hatte recht. Es ist eine Traumlinie.

Drei, zwei, eins ... Freiheit

Drei Stunden später stehen wir am Fuss der Talfurche. Für den fast senkrechten Aufstieg in frischem, tiefem, aber zum Glück stabilem Schnee ziehen wir uns bis aufs Baselayer aus. Ein Schritt nach dem anderen. Die Beine brennen, wir keuchen tief, und obwohl wir nur eine dünne Schicht Kleidung tragen, fliesst der Schweiss in Strömen.

Nach vier Stunden Aufstieg sind wir am Gipfel. Was vor uns liegt, ist die Erfüllung eines acht Monate alten Traums. Wir wissen: Dieser Moment wird nach ein paar Schwüngen in wenigen Augenblicken vorbei sein. Wir ziehen uns an und steigen in die Bindungen. Ich blicke hinunter zum Fjord. Als winzigen weissen Punkt auf dunklem Wasser sehen wir die «Delfin», das alte Sommersegelboot aus Oslo, das eine Metamorphose zum Winter-Expeditionsschiff hinter sich gebracht und uns so tapfer hierher gebracht hat. Wir jubeln in den heulenden Wind. Ledoux und ich nicken de Groot zu. Er zählt den Countdown: «Drei, zwei, eins dropping!» Dann verschwindet er in einer Wolke aus seidigem Pulver in die beste Linie seines und unseres Lebens.

Instagram: @hughfrancisanderson

MUSIK/

ROCK & FLY

Die Tricks von Freeski-Profi und Doppelweltmeister Fabian Bösch haben es in sich. So energiegeladen wie er sind auch seine Lieblingssongs.

Musik hat einen riesigen Stellenwert in Fabians Leben: Er wurde vom Rock der 70er und 80er und den Schallplatten seiner Eltern geprägt. Ob Fleetwood Mac, The Police, Aerosmith oder Roxette: Sie alle sind auf seiner achtstündigen Playlist zu finden. Inzwischen hört Fabian aber auch Rap und Schweizer Mundart – gerne auch in Kombination miteinander. «Früher hatte ich im Schnee gerne Musik im Ohr», sagt er. Aber als Profi ist das nicht mehr drinnen, da steht die Kommunikation mit Trainer oder Veranstalter im Vordergrund, wenn es etwa Windwarnungen oder Stürze gibt. «Bei Wettbewerben suche ich mir vor dem Start eine ruhige Ecke und höre Musik.» Da läuft dann die Bad Boy Chiller Crew oder etwas anderes, «das Freude macht und Energie gibt». Doch dann heisst es Musik aus und Konzentration – auf seine Freeski­Tricks.

Instagram: @buhsch

Rolling Stones

Beast of Burden (1978)

«Wenn ich nur mehr einen einzigen Song in meinem Leben hören könnte, wäre es dieser. Dank Spotify weiss ich, dass er zu meinen meistgehörten Songs überhaupt gehört, und er poppt daher auch regelmässig auf meiner Playlist auf. Warum er mich so begeistert? Man spürt die Energie der ganzen Band, allen voran die von Mick Jagger. Diese Leidenschaft! Sie reisst mich mit.»

Bloc Party Banquet (2004)

«Ich bin als Jugendlicher von der Schule heimgerannt, um zu gamen und diesen Song zu hören. ‹Banquet› ist einer der Songs bei ‹SSX on Tour›, einem Freestyle-Skiund-Snowboard-Spiel auf der PlayStation 2. Wenn ich ein Wettkampf-Video mache, dann würde ich auch heute noch am liebsten immer diesen Song darunterlegen –weil er für mich perfekt zur Freestyle-World passt!»

Pashanim

Airwaves (2020)

«Es ist der Vibe! Den bringt Pashanim so wahnsinnig gut rüber, und das ganz ohne zu fluchen. Freunde treffen, den Sommer geniessen, in der Stadt unterwegs sein. Diesen Vibe kenne ich gut. Der Zusammenhalt unter uns Kollegen ist super: Pashanim singt über Sachen wie Fussballshirts, bei uns sind es halt Velos oder ein gemeinsamer Sprung in den See an einem Sommerabend.»

The Moldy Peaches

Anyone Else but You (2001)

«Diese Band ist so kreativ! Verschiedenste Tonlagen, Lyrics, die cool sind, aber auch Tiefgang haben. In diesem Song geht es um das perfect match, darum, jemanden zu finden, der alle Seiten an dir mag. Ich habe diese Person glücklicherweise gefunden, mit meiner Freundin bin ich schon lange zusammen. Den Song habe ich aber auch schon vor ihr gehört.»

GANZ VORNE Würde er in einer Band spielen, dann wäre er gerne der Sänger. Die Musik? «Garage Rock, schlecht vertont.»

GUT DURCH DEN WINTER

«I’m all good», stellt Stefanie

Heinzmann bei der Volvo Winter Driving Experience fest.

MOBILITÄT/

Als «Friend of Volvo» ist die Sängerin Stefanie

Heinzmann jährlich dabei, wenn bei der Volvo Winter Driving Experience in Saanen Fahrmanöver auf Eis und Schnee trainiert werden. Sie sagt: Fahrkunst, Musik und überhaupt das Leben haben mehr gemeinsam, als man denkt.

Stefanie, du übersetzt auf deinem kürzlich erschienenen Album «Circles» Emotionen in Musik. Welcher Song darauf passt am besten zum Winterfahrtraining?

Am besten passt für mich «Good». Als ich vor drei Jahren das erste Mal an der Volvo Winter Driving Experience teilnahm, war ich vor den Brems-, Ausweich- und Kurvenübungen extrem nervös. Zu spüren, wie viel Technik im Auto steckt und wie gelassen es in jeder Fahrsituation bleibt – das war ein echter «I’m all good»Moment. Ich kriege das hin.

Was hat dich am meisten überrascht?

Diese Steillagen, komplett mit Neuschnee bedeckt! Und dann fährt das Auto einfach hoch und kontrolliert wieder runter. Es hiess: «Fahr bis zur Kante, und sobald du spürst, dass das Auto nach vorne kippt, lass alles los. Kein Gas, keine Bremse, nur die Hände leicht am Lenkrad.» Mein Adrenalinspiegel stieg ins Unermessliche. Danach war ich einfach beeindruckt vom Offroad-Modus und der Bergabfahrhilfe.

Eine eher unwahrscheinliche Situation im Alltag. Was nimmst du mit?

Täusch dich mal nicht! Ich lebe im Wallis, da gibt es auch verschneite Hänge. Ausserdem habe ich gelernt, die Hände immer in der 10-vor-2-Stellung am Lenkrad zu lassen, weil man auf Eis zum Überlenken tendiert. Und: Abstand halten

SICHERHEIT GEHT VOR Mit Allradantrieb, Offroad-Modus und dem neuen multiadaptiven Sicherheitsgurt sind Volvo-Autos für den Winter gerüstet.

– mehr, als man denkt. Jeder sollte mal ein Winterfahrtraining machen – erst dann merkt man, wie ein Auto reagiert, das ins Rutschen kommt.

Beim Winterfahren geht es um Kontrolle im Grenzbereich. Kennst du solche Momente auch in der Musik? Vor allem körperlich stosse ich manchmal an Grenzen. Es gibt Songs, die verlangen mir alles ab – laut, hoch, emotional. Bei solchen Stücken muss ich mich vorher innerlich sammeln. Entscheidend ist das Vertrauen in den eigenen Körper: Ich weiss, ich kann das, ohne dass mir die Stimme versagt. Genauso wie ich weiss, dass ich dem Auto vertrauen kann.

Siehst du weitere Parallelen zwischen Winterfahren und Musikmachen? In beiden Fällen geht es um Feingefühl, um Vertrauen und Loslassen. Wenn du mit anderen Musik machst, musst du aufmerksam bleiben, spüren, was gerade gefragt ist, und reagieren. Stur dein eigenes Ding durchziehen funktioniert weder auf der Bühne noch auf dem Eis.

Du sprichst viel von Vertrauen. Wie spürst du das in deinem Volvo? Ich fahre sehr viel und oft auch Mietwagen, jeder fühlt sich anders an. In den 18 Jahren, seit ich fahre, habe ich kein Auto erlebt, das mir ein so sicheres Gefühl gibt wie ein Volvo. Der Komfort, die Innen-

«In beiden Fällen geht es um Feingefühl, um Vertrauen und Loslassen.»

Stefanie Heinzmann über die Gemeinsamkeiten von Fahren auf Eis und Schnee und Musikmachen. @stefanieheinzmann

ÜBUNGSSACHE

Im Training lernt man, das Fahrzeug auf rutschiger Fahrbahn zu beherrschen. Etwas, was jeder mal machen sollte, findet Stefanie.

ausstattung, die Stabilität auf der Strasse – alles ist auf dem Punkt.

Von einer jungen Musikerin erwartet man eher eine Vorliebe für emotionale Autos …

Sicherheit ist für mich ein emotionales Thema! Weil ich wahnsinnig an meinem Leben hänge. Ich verbringe viele Stunden im Auto – auch auf deutschen Autobahnen ohne Tempolimit. Da kann schnell etwas passieren. Es fühlt sich besser an, zu wissen, dass das Auto mithilft.

Auch die Musikbranche ist von Unsicherheiten geprägt. Wie kommst du damit klar?

Das ist etwas anderes. Ob es um die Planung eines Albums, einer Tour oder der Karriere geht – das Leben beweist immer wieder Humor, wenn es darum geht, Pläne zu durchkreuzen. Ich liebe es, flexibel und offen zu bleiben. Auf geistiger Ebene brauche ich keine Sicherheit, weil es die sowieso nicht gibt.

Im Winterfahrtraining lernt man, den Blick immer dorthin zu richten, wo man hinwill – selbst wenn der Wagen ausbricht. Gilt das auch in der Musik? Oh ja, genau daran arbeite ich aktiv. Früher bin ich immer vom Schlimmsten ausgegangen, um nicht enttäuscht zu werden. Jetzt sage ich mir: Das Album wird grossartig und die «Circles»-Tour im Herbst 2026 ausverkauft. Es kostet mich Überwindung, weil man gerade in der Schweiz bescheiden sein soll. Aber ich kämpfe bewusst gegen diese falsche Bescheidenheit und richte meinen Blick dorthin, wo ich hinmöchte.

Wohin ist dieser Blick aktuell gerichtet? Auf Leichtigkeit. Eine ausverkaufte Tour, ja – aber mit Spass, nicht mit Druck.

UHREN/ HALTUNG

MIT GRÖSSE

Der Taucheruhr-Klassiker von Tudor im grösseren Format: Die Black Bay 68 mit einem Durchmesser von 43 Millimetern verschwindet nicht so schnell unterm Hemdsärmel.

Wie bei klassischen Taucheruhren ist das Gehäuse bis 200 Meter wasserdicht und mit einem gewölbten Saphirglas ausgestattet. Eine einseitig drehbare Lünette mit 60-MinutenSkala erlaubt präzise Zeitmessung unter Wasser.

Die Black Bay 68 ergänzt die Taucheruhren-Linie von Tudor um ein flacheres Modell. Der charakteristische «Snowflake»Zeiger wurde 1968 entworfen und ist seit dem Folgejahr in TudorKatalogen zu finden – ebenso wie das «Tudor Blau» des Zifferblatts. Neu ist das Armband mit glatten Seitenflanken anstelle klassischer Nietenoptik. Im Inneren der METAS-zertifizierten Uhr sorgt ein automatisches Manufakturwerk für eine präzise Zeitmessung. CHF 4 350, tudor.com

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EVENTS/ WINTER-KICK-OFF

Die Temperaturen sinken, das Energielevel steigt: Hier findest du die coolsten Events für die kalte Jahreszeit.

4.

Dezember 2025

Red Bull Turn It Up

Aufgepasst! Das Red Bull Turn It Up feiert sein Debüt in der Romandie im legendären D!Club in Lausanne. Das Konzept: Vier herausragende DJs treten in Battles gegeneinander an und heizen dem Publikum dabei ordentlich ein. Dieses wiederum entscheidet live darüber, wer gewinnt. GEOS hostet den Abend, DJ Mulah liefert die Beats. Tickets sind ab 15 CHF erhältlich – alle weiteren Informationen gibt es auf: redbull.com/turnitup

20.

November bis 6. Januar 2026

Winterland Locarno

Der Winter verzaubert Locarno auf ganz besondere Weise. Die Stadt am Lago Maggiore wird dann zum stilvollen Winter-Hotspot, inspiriert vom Märchen «Nel cuore del tempo» («Im Herzen der Zeit») mit spektakulären Lichtprojektionen, Gourmetständen, Livemusik, einer Eislaufbahn und vielem mehr. winterland-locarno.ch

Serientipp

Downhill Skiers

Der Dok-Film «Downhill Skiers» porträtiert die männlichen Superstars des Abfahrtszirkus (mit Grössen wie Marco Odermatt, Dominik Paris oder Cyprien Sarazzin) und läuft derzeit in den Schweizer Kinos. Im April wird nachgelegt: Die vierteilige Serie «Downhill Skiers – Im Rausch der Geschwindigkeit» blickt noch tiefer in den harten Alltag von Abfahrtsprofis – diesmal sind auch Speedqueens wie Sofia Goggia, Lindsey Vonn, Conny Hütter oder Nina Ortlieb dabei. Exklusiv auf Amazon Prime.

16. bis 18. Januar

Das Fitness-Event der Saison kommt erstmals nach St. Gallen! In den Olma Messen stellen sich Athletinnen und Athleten aus aller Welt den verschiedenen Hyrox-Disziplinen –solo, im Duo oder als Staffel. Drei Tage voller Energie, Schweiss und Stimmung: ein Muss für alle, die ihre Grenzen austesten wollen. hyrox.com

31.

Dezember 2025 Nouvel An 2026

Planète Rouge mit seiner legendären Silvesterparty ist zurück! Längst ist diese Sause eine Genfer Institution, die dieses Jahr wieder in der Optimhall im Herzen der Stadt gefeiert wird. Hier kannst du das neue Jahr mit einem Grossaufgebot an DJs bis in die Morgenstunden willkommen heissen. Alle Infos auf: planeterouge.org/spectacles

Dezember 2025

Häsch nid gseit!

Eine neue Comedy-Gameshow startet in Schaffhausen: Statt klassischem Stand-up erwarten das Publikum interaktive Games, freche Antworten und hoffentlich jede Menge Lacher. Vier Künstler (Cenk, Julia Steiner, Jozo Brica, Javier Garcia), sechs Spiele und null Skript – hier mischt sich Impro mit guter Energie und viel Publikumswitz. haeschnidgseit.ch

Januar 2026

Red Bull Rail Riot

Im Rahmen der legendären Laax Open (14. bis 18. Januar) geht Red Bull Rail Riot in die zweite Runde: Hier haben Freeskier und Snowboarderinnen wieder die Möglichkeit, ihr Können auf den Rails unter Beweis zu stellen. Über die Qualifiers führt der Weg ins grosse Finale am Freitagabend – das findet mitten im Village des Laax Open statt. Melde dich jetzt an und sichere dir deinen Platz! redbull.com/railriot

Mai 2026 Wings for Life World Run

Hunderttausende Läuferinnen und Läufer, die weltweit wieder zur selben Zeit starten werden: Das ist der Wings for Life World Run 2026. Dabei sein ist alles – Ziellinie gibt es nämlich keine. Wenn das sogenannte Catcher-Car dich einholt, ist der Lauf für dich vorbei. Alle Startgelder und Spenden fliessen zu 100 Prozent in die Rückenmarksforschung und helfen dabei, Querschnittslähmungen zu heilen. Melde dich schnellstmöglich an, die Plätze beim Flagship-Run in Zug sind begrenzt. Per App-Lauf kannst du allerdings von überall aus dabei sein! Anmeldung und Infos auf: wingsforlifeworldrun.com

Herausgeber

Andreas Kornhofer

Chefredakteur

Andreas Rottenschlager

Textchef

Stephan Hilpold

Creative Directors

Erik Turek (Ltg.), Kasimir Reimann

Grafik

Marion Bernert-Thomann, Martina de Carvalho-Hutter, Miles English, Kevin Faustmann-Goll, Carita Najewitz, Patrick Schrack, Tara Thompson

Fotoredaktion

Eva Kerschbaum (Ltg.), Marion Batty (Stv.), Susie Forman, Rudi Übelhör

Chefin vom Dienst

Marion Lukas-Wildmann

Managing Editor

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Global Content

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Sara Car-Varming (Ltg.), Hope Elizabeth Frater

Art Direction Commercial

Peter Knehtl (Ltg.), Lisa Jeschko, Martina Maier, Julia Schinzel, Florian Solly

Retail & Special Projects

Klaus Pleninger

Direct to Consumer Business

Peter Schiffer (Ltg.), Marija Althajm, Matteo Luciani, Katharina Tirouflet, Yoldaş Yarar

Herstellung & Produktion

Veronika Felder (Ltg.), Martin Brandhofer, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig

Lithografie

Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad Isailovic, Josef Mühlbacher

Finanzen

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Digital Business

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Hier schreiben Schweizer Literaturtalente über Themen, die sie bewegen – und liefern ihren positiven Spin dazu.

Jovana Nikic: Das Pony am Ende des Tunnels oder wie ich meine innere Ruhe finde

Die Nacht hat ihre eigenen Rituale, und meines ist die Stille. Es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht wach im Dunkel liege und meine Decke zu einem stummen Firmament wird, auf das ich all meine unerfüllten Sehnsüchte projiziere. Und aus dieser Stille formt sich immer dieselbe Frage, ein leises Echo im Resonanzraum meines Herzens: Wann komme ich endlich an? Seit ich denken kann, bin ich auf dieser Pilgerreise zu einem Ort der endgültigen Zufriedenheit, zu einer inneren Ruhe, einer geistigen Homöostase, wenn man so will.

Schon als Kind war jeder erreichte Zustand nur ein füchtiger Rastplatz, der Ausblick auf einen neuen Horizont. Als ich mit kindlichem Eifer eine kleine Welt für Schnecken in einer Tupperware erschuf, ihr feuchtes Moos hegte und ihre zarten Fühler bestaunte, war ich überzeugt: Wenn ich erst einen Hamster besitze, dann, ja genau dann würde sich das Mosaik meines kleinen Glücks vollenden. Der Hamster kam – und mit ihm der Wunsch nach dem sanften Schnurren einer Katze. Und als selbst ihre samtenen Pfoten ihre Magie verloren, kristallisierte sich das ulti-

mative Heilsversprechen heraus: ein Pony. Ich bin bis heute zutiefst davon überzeugt, dass dieses Pony der Garant für ein lebenslanges Glück gewesen wäre. Ein ungeschriebenes Kapitel, dessen goldenes Ende ich mir bewahre wie eine heilige Schrift. Die Melodie blieb dieselbe, nur die Instrumente änderten sich.

Als Jugendliche malte ich mir aus, wie eine halbe Stunde mehr Freiheit in der Nacht mich mit unendlicher Freude erfüllen würde. Doch dann beobachtete ich meine Cousine beim Ritual des Schminkens für eine Party, und ein neuer Gedanke schlug Wurzeln: Wenn ich erst sechzehn bin, wird alles gut, auch ohne Pony. Ich wurde sechzehn, lernte die Kunst des Eyeliners und erkannte auf den Partys mit ihren klebrigen Böden und wummernden Bässen, dass die wahre Erfüllung bestimmt nur eine weitere halbe Stunde entfernt lag.

Die Deadlines wurden zu sich verschiebenden Horizonten des Glücks: 22 Uhr, 22.30 Uhr, Mitternacht. Doch die Magie blieb aus. Irgendwann, im fahlen Licht des nächsten Morgens, kam die leise Ernüchterung als bittere Pointe: Wäre ich doch früher gegangen, um ein Mix­Getränk ärmer und um einen klaren Kopf reicher. Die existenziellen Ängste der Matura felen über mich her wie ein Raubtier. Ich wünschte mir eine Fernbedienung für das Leben, wie sie Adam Sandler in «Click» besass. Ein Druck auf «Vorspulen», direkt zum achtzehnten Geburtstag, wo die Mündigkeit und das Glück auf mich warten würden. Ich kam durch die Prüfungen, ohne Fernbedienung, aber mit viel Kofein in den Adern. Sinus, Cosinus, Tangens – auf Nimmerwiedersehen!

Doch als ich achtzehn wurde, umarmte mich nicht die Freiheit, sondern die eiskalten Greifer von Panikattacken. Plötzlich sehnte ich mich nicht mehr nach der Zukunft, sondern nach der Vergangenheit, nach der Zeit, als ein fehlender Hamster meine grösste Sorge war. Oder doch wieder nach vorn, den Traum von der Kunst, der Philosophie leben. Also starrte ich wieder zur Decke.

« Ich war überzeugt: Wenn ich erst einen Hamster besitze, dann würde sich das Mosaik meines kleinen Glücks vollenden. Der Hamster kam – und mit ihm der Wunsch nach dem sanften Schnurren einer Katze.»

Das Philosophiestudium entpuppte sich als eine Welt alter grauer Männer, die staunend das Internet entdeckten, und einer Logik, die sich meinem Herzen verschloss. In diesen Nächten des Zweifelns, während die Decke meine einzige Vertraute war, fand ich ein anderes Ventil. Ich begann zu schreiben. Es war ein Versuch, das Chaos zu kartograferen, den Lärm in Worte zu fassen. Kunst und Kultur sog ich auf wie ein Verdurstender.

Ich trat bei Slam­Poetry­Veranstaltungen auf und wälzte mich danach im Bett, wenn meine Worte wieder nur im soliden Mittelmass landeten, statt Funken zu schlagen. Jeder Studienwechsel war ein neuer Versuch, dem Deckenstarren zu entkommen. Doch selbst die Ökonomie, komplexer als jede mathematische Formel zuvor, brachte mich nur zurück zu dem Wunsch nach jener ominösen Fernbedienung.

Die einzige Konstante, der einzige Anker in diesem Meer der Rastlosigkeit war das Schreiben. Und darin entdeckte ich ein seltsames Paradox: Ein Text ist wie eine schlaflose Nacht. Man ist nie ganz zufrieden mit ihm, man ringt mit ihm bis zum Morgengrauen, aber man lernt, das Dunkel zu durchdringen. Das Schreiben war der Gegenentwurf zur Fernbedienung. Es spulte die Zeit nicht vor, es hielt sie an und füllte sie mit Bedeutung.

Jetzt bin ich fünfundzwanzig. Ich studiere nicht mehr, ich lerne, Journalistin zu werden. Und ja, ich liege noch immer manchmal wach. Aber ich habe verstanden, dass diese Nächte kein Fehler in meinem System sind. Sie sind der Raum, in dem mein Kompass neu justiert wird. Diese unstillbare Suche ist kein Defzit, sie ist mein Motor, mein innerer Energydrink. Das Schreiben ist das Werkzeug, das diese unruhige Energie in etwas Greifbares verwandelt. Und doch, bei aller neu gewonnenen Einsicht, hege ich ein letztes, unerschütterliches Dogma, ein Refugium des kindlichen Denkens: Sollte ich jemals endlich ein Pony besitzen, dann, ja genau dann könnte ich vielleicht wirklich glücklich einschlafen.

JOVANA NIKIC ist Kabarettistin, Moderatorin und Kolumnistin. Die heute 25-Jährige wuchs zwischen «Bünzlitum und Bern-Bümpliz» auf. In ihrem aktuellen Programm «Konserviert» geht sie zuckersüssen Erinnerungen auf den Grund: «mit sardellensalzigen Pointen, Ötzi-kalten Fakten und viel Poesie». jovana-nikic.ch

10 Fragen an Noa Atlas

Ob Steilhang oder Storyboard: Noa Atlas ist Skilehrerin und Content-Creatorin – und verbindet beides mit spielerischer Leichtigkeit.

Was motiviert dich aufzustehen?

Warme Schokolade am Morgen.

PERSPEKTIVE. Rund 50 000 Menschen verfolgen die Bergabenteuer der 25­jährigen Walliserin auf Instagram: @noaatla

Worauf freust du dich, wenn du nach Hause kommst?

Ich bin ein richtiges Heimweh-Saasi. So nennt man die Leute aus dem Saastal, die es schnell wieder nach Hause zieht.

Der Soundtrack für den Powderhang?

«Belfast Child» von Simple Minds. Da braucht es aber einen fetten Hang, weil das Lied sieben Minuten lang ist.

Was darf in deinem Rucksack nicht fehlen?

Platz für Neues. Ich sammle gerne neue Sachen und nehme von überall etwas mit.

Welches Küchenutensil wärst du und warum?

Ein Dosenöffner. Einfach so.

Was war dein Wunschberuf als Kind?

Berggorilla-Verhaltensforscherin.

Wie sieht für dich ein perfekter Tag aus?

Der hätte 48 Stunden, in denen man richtig viel erleben kann. Ein gutes Frühstück, eine Skitour, mit den Kollegen zum Sunset-Surfen. Und dazwischen immer wieder ein Nickerchen.

Wie mobilisierst du deine letzten Reserven?

Ich denke an meine Grossmama. Das war eine richtige Powerfrau, sowohl körperlich als auch mental. Sie hat sich gar nichts gefallen lassen.

Outdoors – am liebsten wo?

Irgendwo auf einem Berg, wenn die Sonne auf- oder untergeht. Am besten mit Blick auf Wasser –das hatte ich in Norwegen, und es war Weltklasse.

Dass ich tue, was mich erfüllt. Und dadurch ein Leben führe, das mir jeden Tag Freude bringt.

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Fuji-Apfel & Ingwer

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