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WAS WIRD HIER GESPIELT?
TEAM-MEETING
E-Sports-Trainer Fabian Lohmann mit den Pappfiguren seiner «League of Legends»Mannschaft in Berlin.
ERFOLGSCOACH

Lohmann im Pokalraum des Hauptquartiers seines E-Sports-Teams G2 in Berlin
E-Sports boomt, weltweit und auch in der Schweiz. Die Spieler messen sich in Sportsimulationen, aber auch in Egoshootern wie «Call of Duty» oder «CounterStrike». Das bei weitem beliebteste Wettbewerbsspiel ist allerdings das Echtzeit-Strategiespiel «League of Legends» («LoL»). Nur um die Dimensionen einmal zu verdeutlichen: Ein Startplatz in der höchsten europäischen «LoL»-Liga wurde kürzlich um 25 Millionen Euro verkauft.
E-Sports ist nicht nur für Spieler attraktiv, es zieht auch immer mehr Zuschauer an: Inzwischen füllen die Turniere auch die grössten Stadien. Die grosse Masse der Fans schaut aber auf dem Online-Streaming-Dienst Twitch oder via YouTube zu.
Während viele Top-Teams und Superstars in Asien daheim sind, ist bei den E-Sports-Trainern ein Deutscher an der Weltspitze vertreten: Fabian Lohmann, 25, Kampfname «GrabbZ», aus Wolfsburg, kam mit seiner Mannschaft G2, formiert aus europäischen Top-Spielern, 2019 bis ins WM-Finale von «League of Legends». Wir haben uns von ihm die Welt von E-Sports erklären lassen.
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Warum ist ausgerechnet das Echtzeit-Strategiespiel «League of Legends» bei E-Sports-Turnieren das beliebteste Game der Welt?
Im Mai feierte «League of Legends» («LoL») einen Zuschauerrekord bei Twitch: Die User streamten das Spiel mehr als 174 Millionen Stunden. Dabei ist die Spielidee von «LoL» gar nicht so originell: Zwei Teams mit je fünf Spielern treten gegeneinander an. Jetzt, zwölf Jahre nach der Markteinführung, ist die Beliebtheit des Online-Multiplayer-Games immer noch ungebrochen. Im Gegenteil: Sie wächst sogar noch.
Warum? «LoL» ist einfach zu spielen, aber schwer zu meistern. Es gibt 150 Helden zur Auswahl: Jeder von ihnen hat unterschiedliche Fähigkeiten, Stärken und Schwächen – nicht einmal ein Proftrainer wie Fabian «GrabbZ» Lohmann kann sich die Eigenschaften aller Figuren merken, wie er gerne zugibt.
Die ultimative Herausforderung besteht jedoch darin, dass die Entwickler von Riot Games, Erfnder von «LoL» und in L.A. beheimatet, alle zwei Wochen ein Update («Patch») herausbringen, das das Spiel jedesmal stark verändert. So, als würde der Fussballweltverband beschliessen, dass Kopfballtore plötzlich doppelt zählen. «Wir hatten bis Mitte 2020 einen sehr aggressiven Spielstil, ich wusste damals genau, welche Helden wir wählen mussten. Dann kam ein Patch, mit dem die Entwickler entschieden, dass dieser offensive Stil deutlich schwieriger zu spielen ist – und wir mussten uns total umstellen», erinnert sich Lohmann.
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Was müssen HobbyGamer mitbringen, um unter 100 Millionen aktiven Spielern zur Weltelite aufzusteigen?
Wer wirklich sein Geld mit E-Sports verdienen möchte, muss schnell sein, vor dem Bildschirm wie im Leben: Mit 17 Jahren darf man Prof werden, mit Mitte 20 enden die meisten Karrieren schon wieder. Der Weg zur Spitze sieht bei «LoL» zum Beispiel so aus: Erst einmal gilt es, sich auf Level 30 hochzuspielen, um überhaupt Ranglistenspiele machen zu können. Und dann reiht man sich in eine sehr lange Schlange ein: «Wir haben fünf Millionen Ranglistenspieler in Europa, davon werden vielleicht 50 Prof», sagt Fabian Lohmann. Trotzdem sind Hunderttausende bereit, jeden Tag bis zu zwölf Stunden zu spielen, um richtig, richtig gut zu werden.
Bis die Profmannschaften auf einen Spieler aufmerksam werden, muss der in der Rangliste in den niedrigen dreistelligen Bereich hinaufklettern. Lohmann: «Unsere Mannschaft G2 trainiert 12, 13, 14 Stunden – jeden Tag.» Und die «LoL»-Saison ist lang, elf Monate am Stück.
Unter den Millionen RanglistenSpielern sind nur – geschätzt – tausend Frauen, so Lohmann. «Aber es kommen immer mehr Frauen dazu. Die Türen stehen ihnen offen, sofern sie bereit sind, den exzessiven ‹LoL›Lebensstil zu führen.»
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Kochen, Fitness, Stress: Wie wird man eigentlich E-Sports-Trainer?
«Bei Videospielen habe ich zwei linke Hände», sagt Fabian Lohmann. Im Jahr 2010, im Alter von 14 Jahren, spielte er erstmals «LoL», «ich war spät dran als E-Sportler». Gleichzeitig aber hatte er einen guten Zeitpunkt erwischt, um in die noch junge Szene hineinzurutschen: Ein paar Jahre später arbeitete Lohmann neben dem BWL-Studium als Analyst für «LoL»-Teams. Die dynamische, junge E-Sports-Szene begeisterte ihn mehr als das theoretischere Studium. Im Februar 2016, mit knapp zwanzig, wurde er erstmals Cheftrainer.
Fabian Lohmanns grosse Stärken sind Motivation und Stressmanagement. «Früher habe ich jede Niederlage öffentlich auf meine Kappe genommen, um das Team zusammenzuhalten», erzählt Lohmann. 50 Prozent seines Jobs seien Psychologie, 20 Prozent Organisatorisches und 30 Prozent taktisches Arbeiten am Spiel. Ausserdem muss er am Ende seiner randvollen Arbeitstage noch schauen, was die koreanische oder chinesische Liga so treiben. GrabbZ leitet auch ein Team von mehreren Analysten, einem Fitnesstrainer und einem sehr gesundheitsbewussten Koch – man muss ja nicht jedes E-SportlerKlischee erfüllen.
Lohmanns Spieler wissen oft nicht, was sie gestern gegessen haben – können aber drei Jahre alte Partien analysieren. 4
Wie formt man aus chaotischen Charakterköpfen ein eingeschworenes E-Sports-Team?
Im Wettbewerb agieren seine Spieler messerscharf analytisch, brillieren mit hohem mathematischem Verständnis, berechnen blitzschnell Schadenspunkte und richten ihre Taktik danach aus. «Aber wo sie ihr Handy wieder haben liegen lassen, ist dann als Information nicht mehr gespeichert», erzählt Fabian Lohmann lachend. Seine Spieler wissen oft nicht, was sie gestern gegessen haben, aber sie können dir sagen, wie vor drei Jahren eine unwichtige «LoL»-Partie abgelaufen ist.
Als Fabian Lohmann vor fünf Jahren als Coach anfng, hatte der ehemalige Landesliga-Fussballer ein ganz klares Bild davon, wie ein Trainer sein sollte – «aber das hat sich dann gleich erledigt, weil E-Sportler andere Bedürfnisse und Vorstellungen haben als Fussballer». Er merkte ausserdem, dass seine sehr deutsche Vorstellung von Disziplin weder modern noch umsetzbar ist in E-Sports – mit Spielern aus Slowenien, Polen, Dänemark oder Schweden.
Der erste Schritt war, zu verstehen, warum seine Spieler manche Dinge so und nicht anders haben wollten, und um diese Erkenntnisse herum funktionierende Strukturen zu schaffen. «Für die einen Spieler ist ein strukturierter Tagesablauf sehr wichtig, für andere ist so was eher schlecht. Da muss ich als Trainer herausfnden, wie ich diese Wünsche unter einen Hut bringen kann.» Lohmanns Leitfaden geht so: Vertrauen schaffen, offen über alles reden können, konstant sein in Entscheidungen und berechenbar bleiben.
Zocken nach Zahlen
Herzrasen wie im Formel-1-Cockpit, Marktwerte wie Top-Fussballer, eine Gaming-Community fast so gross wie Japan: Hier sind die Fakten zum E-Sports-Boom.
Platz 1 China 1.434 Mio.
IMMER MEHR ZUSCHAUER
5,41 Millionen Menschen verfolgten 2021 vor ihren Bildschirmen die erste Finalrunde der «Free Fire World Series», ein Turnier in einem mobilen Game aus der AdventureAbteilung. Kein ESportsEvent hatte bis dahin mehr Zuschauer. Zwei Jahre vorher war es gerade einmal die Hälfte gewesen (2.016.157).
LAND DER SPIELER
115 Millionen Menschen spielen «League of Legends». Würden sie alle in einem Land wohnen, bildeten sie die zwölftgrösste Nation der Welt.
Platz 12 «League of Legends»Spieler 115 Mio.
410.000.000
MONUMENTALE MARKTWERTE
410 Millionen Euro beträgt der Marktwert des E-Sports-Teams «TSM» – etwa so viel wie jener des europäischen Fussball-Topklubs Ajax Amsterdam.
BLITZARTIGE REAKTIONEN
Erst wirkt der Wert gering: Die Reaktionszeit von E-Sportlern ist nur 21 Millisekunden kürzer als bei Normalsterblichen – so viel Zeit braucht ein Airbag, um sich aufzublasen. Aber im Spiel unterscheidet genau das zwischen Weltklasse und Amateuren.
HERZKLOPFEN
Bis zu 180-mal pro Minute schlägt das Herz eines E-Sportlers im Spiel – so eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln über Strategie-Spieler. Auf so einen Wert kommen Formel-1-Fahrer, wenn sie auf die erste Kurve zurasen.
FLIEGENDE FINGER
Bis zu 600 Fingerbewegungen pro Minute führen E-Sportler während der Kämpfe bei Real-Time-Strategiespielen an der Maus, am Controller oder am Keyboard aus.
PRÄCHTIGE PREISGELDER
13,18 Millionen Euro kassierte das E-Sports-Team «OG» 2019 für einen Turniersieg im MultiplayerOnline-Game «DOTA 2». Zum Vergleich: TennisAss Novak Djokovic bekam für seinen WimbledonSieg im selben Jahr 2,73 Millionen Euro.
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Busfahrt im Gucci-Bademantel: Wie ticken Stars in E-Sports?
E-Sports-Superstars sind nicht so reich wie junge Proffussballer, die mit achtzehn oder neunzehn oft bereits Multimillionäre sind. Aber die besten Spieler bei «League of Legends» bekommen ein Gehalt, das sich viele Menschen wünschen würden. Teilweise sechsstellig im Jahr. Lohmann: «Wenn ich merke, dass ein Spieler unnötigen Luxus kauft, dann rede ich mit ihm. Mein Team ist da sehr vernünftig, gleich mehrere haben sich Häuser oder Wohnungen gekauft, die Eltern achten da drauf», sagt Lohmann. Aber klar, ein bisschen Protzen kommt schon einmal vor – zwei Spieler haben sich etwa zum Spass Gucci-Bademäntel für 5000 Euro das Stück gekauft. Es gab dann ein Foto von den beiden, wie sie im Bademantel aus dem Teambus steigen – ein grosser Spass! Lohmanns bekanntester Spieler hat eine halbe Million Follower auf Twitter.
Die Leute in E-Sports defnieren sich sehr über den Erfolg in sozialen Medien und auf Streamingdiensten wie Twitch. Aber nur viele Follower zu haben und wenig Leistung zu zeigen geht in E-Sports nicht: «Die Fans lassen einen sonst schnell fallen», weiss Lohmann. Nachsatz: «Superstars sind auch die besten Spieler, weil sie für besondere Momente sorgen.»
Und: Sie kennen ihren Wert. «Früher war ich bei schwächeren Teams, da konnte ich sagen: ‹Verbessert euch, oder ihr spielt nicht mehr›», sagt GrabbZ. «Jetzt arbeite ich mit fünf Stars, die genau wissen, dass man sie nicht so leicht austauschen kann.»
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Warum sind Chinesen, Südkoreaner und Japaner in E-Sports überlegen?
In China und Korea trainieren die Profs 16 Stunden am Tag, das ist dort die Erwartungshaltung. «Es gibt kulturell grosse Unterschiede bei E-Sports – in Asien wird sehr autoritär gearbeitet, die haben ja schon als Schüler viel mehr Leistungsdruck», meint Fabian Lohmann. «Ich kann von meinen Spielern nicht verlangen, den knallharten asiatischen Weg zu gehen.» Kleiner Einschub: In China hat die Regierung vor kurzem autoritär eingegriffen. Unter 18-Jährige dürfen künftig nicht mehr als drei Stunden pro Woche Computer spielen, was die E-Sports-Szene hart treffen wird.
«Wir Europäer werden von den Asiaten ‹die Künstler› genannt, weil wir Konventionen nicht so ernst nehmen und unser eigenes Ding machen», sagt GrabbZ. In Turnieren sind die Europäer anfangs hinten. Aber weil sie nicht ganz so hart trainieren, haben sie noch Reserven, um sich im Turnier zu steigern. Darum war die Verblüffung der Koreaner gross, als sie erstmals gegen Europäer verloren. Lohmann weiss noch, wie Superstar Lee «Faker» Sang-hyeok bei einem Turnier an ihm vorbeigelaufen ist. «Ich merkte: Der weiss gar nicht, wer wir sind. Seit wir gegen sein Team gewonnen haben, ist sein Lächeln anders – er nimmt uns jetzt ernst.»
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Wie gehen E-Sportler mit Shitstorms um?
Wenn GrabbZ und sein Team ein Spiel verlieren, müssen sie nicht fürchten, am nächsten Tag in der «Bild»-Zeitung in der Luft zerrissen zu werden. Klassische Medien berichten selten über E-Sports. Feedback bekommen die E-Sportler auf Reddit, Twitch und Twitter. Vor allem Lob und Unterstützung. Aber auch das Gegenteil davon: Lohmann hatte einen Spieler, der im Spass sagte, die Chinesen würden unter sich ihre Strategien absprechen – «und dann haben ihm über Nacht 20.000 Chinesen auf Twitter ein paar nicht so nette Kommentare dagelassen».
Das muss er seinen jungen Spielern ebenfalls beibringen: souverän durch einen Shitstorm zu segeln. Lohmanns Tipp für alle, die Ärger im Netz haben: relativieren, was wirklich passiert. «Man weiss ja, wie ein paar Leute die Anonymität nutzen, um Dampf rauszulassen.»
Vorsicht bei Scherzen über Gegner: Über Nacht antworten 20.000 chinesische Fans auf Twitter.
ALLES IM GRIFF

50 Prozent seines Jobs, sagt E-Sports-Trainer Lohmann, bestehen aus Psychologie.
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Warum gehen die meisten E-Sportler schon mit Mitte 20 in Rente?
Einer Studie zufolge nimmt die Reaktionsfähigkeit bei Männern erst mit 30 Jahren ab, so lange könnte man theoretisch als ESportsProf an der Weltspitze mithalten. Aber der Lebensstil ist fordernd: Viele Spieler sagen mit 25, 26 Jahren, sie wollen nicht mehr 14 Stunden am Tag – jeden Tag! – ein Computerspiel spielen. Schliesslich verpasst man als ESportsProf einiges, was Gleichaltrige als Teenager oder mit Anfang zwanzig erleben und ausprobieren. Würden Spieler auch einen Coach akzeptieren, der 40 oder 50 Jahre alt ist? «Ich denke, das einzige Problem wäre, dass die Schere der emotionalen Reife zu gross wird. Dass man als Trainer irgendwann zu alt ist, um die Spieler zu verstehen.»
Fabian Lohmann bereitet sein Team auch auf das Leben nach der eher kurzen Karriere vor und ermuntert sie, Eigeninitiative zu entwickeln: «Nutzt Sponsorentermine, zeigt euch in der Öffentlichkeit.» Infuencer zeigten ja, dass viele Follower ein Standbein für später sein können. Viele ExSpieler bleiben in ESports, werden Trainer, Kommentatoren, betreiben eigene Streams. Andere Spieler suchen bewusst den Bruch, machen die Schule fertig, studieren oder wollen endlich die Welt sehen.
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Was kann der Fussball von E-Sports lernen?
Der Weltfussballverband schaut genau auf die ESportsSzene, denn das reale Spiel verliert in der Zielgruppe der 15 bis 21Jährigen beständig Zuschauer an ESports. Einen Machtwechsel in der Zuschauergunst sieht Fabian Lohmann aber (noch) nicht: «Es mag einzelne Spiele geben, wo die Zuschauerzahlen in ESports an die eines FussballBundesligaspiels herankommen. Aber es wäre vermessen zu glauben, dass ESports auf Augenhöhe mit Fussball oder American Football ist.»
Viele ältere Menschen, gerade in Deutschland, sind noch nicht so frm in der digitalen Welt, dass sie ESports auf dem Schirm hätten. «Es gibt aber tatsächlich schon ESportsFans, die schon so lange dabei sind, dass sie mit ihren Kindern Partien oder Turniere schauen – das fnde ich ultrasüss», sagt Fabian Lohmann.
In welcher Hinsicht sich traditionelle Sportarten – vor allem der Proffussball – von ESports eine Scheibe abschneiden könnten, ist die Nähe zum Fan. Auf Twitter können ESportsFans etwa jeden Spieler anschreiben und haben eine reelle Chance, eine Antwort zu bekommen. Vorbildlich auch die digitalen «Ask me anything» Fragerunden für Fans, bei denen man wirklich etwas von den Profs erfährt – und nicht nur einstudierte Floskeln.
Den Reiz eines mit echten Fans gefüllten Stadions hat Fabian Lohmann aber auch am eigenen Leib erfahren: «2019 haben wir den koreanischen Meister im WMHalbfnale in einer Stierkampfarena in Spanien besiegt, da war eine Atmosphäre wie beim Fussball, Fangesänge inklusive. Und nach den Presseterminen haben immer noch tausende Fans auf uns gewartet.»