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DAS PRINZIP ZUVERSICHT

Es kostete beide Überwindung – und belohnte sie mit jener Art von Euphorie, von der man lange zehrt. Sowohl für Thomas Morgenstern als auch für Lukas Müller erwies sich der Wings for Life World Run als Lauf zurück ins Leben. Thomas Morgenstern, Ex-Skifieger und dreifacher Olympiasieger, nahm bereits 2014 teil – nur knapp vier Monate nachdem er sich beim Skifug-Weltcup am Kulm ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und eine Lungenquetschung zugezogen hatte. „ Das Hirntrauma war zum Glück schnell abgeklungen, aber ich konnte mich damals kaum nach links oder rechts drehen und kam schnell außer Atem“, erzählt der 36-Jährige. An den Start zu gehen, wollte er sich dennoch nicht nehmen lassen. Denn die Grundidee, dass jeder mitmachen kann –„sogar derjenige, der nur spazieren gehen oder einen Kinderwagen schieben will“ – und dabei Gutes für sich und die Forschung tut, faszinierte ihn. Also quälte er sich durch. Zehn Kilometer lang. „ Dann habe ich mich an den Straßenrand gestellt

LUKAS MÜLLER, 31 Vermögensberater und Ex-Skispringer

Längste Wings for Life World Run-

Strecke: 34 km

Ein wichtiger Schritt in meinem Leben war aus dem Rollstuhl aufstehen zu lernen.

Welcher Sache muss man freien Lauf lassen?

Dem Denken, denn über die Jahre stellen sich unweigerlich gewisse

Barrieren im Kopf ein.

Das gibt mir immer Hoffnung: die Rückenmarksforschung. Und dass man in dunklen Momenten immer auch Lichtblicke sehen kann – wenn man will.

Erste Reaktion nach einem Wings for Life World Run: Ich frag den Thomas, warum sein Kopf so rot ist – oder bringe einen anderen dummen Sager.

THOMAS MORGENSTERN, 36

Pilot und Skisprung-Legende

Längste Wings for Life World RunStrecke: 15,5 km und gewartet, dass das Catcher Car mich überholt“, lacht er.

Ein wichtiger Schritt in meinem Leben war … nach meinem schweren Sturz 2014 noch mal auf die Skisprungschanze zu gehen.

Welcher Sache muss man freien Lauf lassen?

Der Liebe.

Das gibt mir immer Hoffnung: Dass nichts ohne Grund passiert. Erste Reaktion nach einem Wings for Life World Run: Nachdem ich nur 15 Kilometer beim Lauf schaffe, frage ich meistens: „Wie weit ist der Luki schon?

Zwei Jahre später hieß es für Lukas Müller erstmals: Ready, set, go! Auch er hatte kurz vor dem Wings for Life World Run einen Unfall. Ebenfalls beim Skifiegen: Lukas Müller brach sich bei seinem Sturz das Genick. „Ich dachte immer, so etwas sei tödlich“, sagt er. Doch der damals 23-Jährige überlebte mit der Diagnose „inkompletter Querschnitt“. Das heißt, Lukas ist von der Brust abwärts gelähmt, verfügt aber über eine gewisse Restsensibilität und -funktion in den Beinen. Sein Temperaturempfnden ist dagegen vollständig verloren. „Ob ich mir eine heiße Suppe drüberleere oder in einem eisigen See treibe, ist für mich vom Gefühl her gleich. Ich merke zwar, dass etwas nicht stimmt. Aber ich kann nicht sagen, ob es sich um eine Verbrennung oder Erfrierung handelt.“

Teamwork makes the dream work Morgenstern und Müller kennen einander bestens. Sie sind nicht nur ehemalige Skispringer-Kollegen, beide stammen auch aus Spittal an der Drau, und Morgenstern erinnert lachend daran, dass er „Luki“ schon in Windeln im Turnsaal hat herumlaufen sehen. Und so war schnell klar: „Wir machen gemeinsam beim Wings for Life World Run mit.“ Thomas schob Lukas über weite Strecken, und am Ende schafften sie zehn Kilometer. Mittlerweile liegt Lukas Müllers Rekord bei 34 Kilometern – allein. Morgenstern kommt seit Jahren auf 15 Kilometer und wünscht sich in zähen Etappen oft ein Trittbrett am Rollstuhl für sich herbei.

2016 haben sie das „Team MorgensternMüller“ gegründet, mit dem sie jedes Jahr starten und dem jeder beitreten kann. Und der Rollstuhl hat nichts Trennendes – vor allem deshalb, weil sie ihm diese Funktion nicht zugestehen. „Ich kann nur empfehlen, sich selbst mal reinzusetzen, um zu sehen: Was bedeutet ein Rollstuhl eigentlich?“, sagt Morgenstern. „In meiner Skispringer-

Karriere hatte ich immer wieder mit Versehrten-Sportlern zu tun und dabei die Möglichkeit, zum Beispiel Rollstuhl-Basketball zu spielen. Man braucht wahnsinnig viel Koordination.“ Lukas Müller selbst hat beschlossen, Berührungsängste im Keim zu ersticken. „Ich habe allen signalisiert: Fragt, was ihr wollt, die Gefahr der Pietätlosigkeit gibt es nicht.“ Für diese Stärke schätzt Morgenstern seinen Ex-Kollegen: „Der Luki war schon vor dem Unfall mental sehr weit. Aber das hat sich dann noch mal gesteigert. Er hat schon im Krankenhaus eine unvorstellbare Stärke ausgestrahlt. Wäre mir das Ganze passiert, ich wäre in ein tiefes Loch gefallen. Aber Luki ist den Dingen immer positiv gegenübergestanden.“

Glück im Unglück

Für Müller ist dieser Optimismus eine bewusste Entscheidung. „Statt sich auf Dinge zu fokussieren, die schiefgelaufen sind, sollten wir darauf schauen: Was ist gut gelaufen? Und diese Dinge dann mehr wertschätzen. Für einen Gesunden kann das sein: Man rutscht beim Laufen im Wald aus. Aber hey, man ist zumindest nicht umgeknackst, oder? Und beim Querschnitt ist es genauso. Klar war bei meinem Unfall viel Pech dabei. Aber genauso viel Glück hatte ich in der Situation. Ich habe vielleicht keine volle Kontrolle über meinen Unterkörper – aber es hätte auch schlimmer ausgehen können, ich könnte jetzt nicht mehr hier sein.“

Als Glück weiß Müller auch zu schätzen, dass ein Teil der Reizleitung in seiner Wirbelsäule erhalten ist. Mit eisernem Willen hat er sich erarbeitet, aus dem Rollstuhl aufstehen zu können. Mitunter schafft er sogar ein paar Schritte ohne Hilfe. Ob er an einem Wings for Life World Run auch mal auf Krücken teilnehmen will? „ Prinzipiell habe ich mir das als Ziel gesetzt. Es gibt Tage, da klappt das Stehen ohne Probleme. An anderen brauche ich minutenlang, um hochzukommen, weil mir der Körper den Mittelfnger zeigt. Die Diskrepanz zwischen dem, was ich schaffen kann, und dem, was ich schaffen will, geht weit auseinander. Vor allem beim Wings for Life World Run habe ich den Rollstuhl zu schätzen gelernt: Ich bin damit schnell, fexibler, ich komme weiter als auf Krücken.“ – „Solltest du auf Krücken teilnehmen, gib mir auf jeden Fall Bescheid“, wirft Morgenstern ein. „Du brauchst dann ja eine Begleitperson.“ – „Du fauler Hund, du willst nur vorher nicht richtig trainieren“, grinst Müller. Und dieser kurze Dialog beschreibt vielleicht am besten, dass Normalität dort entsteht, wo man lacht.

Hier geht es zum Podcast mit Lukas Müller, der ab 12. April online ist.

Lukas Müller

Du willst dabei sein, kannst aber nicht selbst laufen? Kein Problem. ServusTV überträgt den Wings for Life World Run live am 7. Mai ab 11.30 Uhr.

2500 v. Chr. Erstbeschreibung

der Querschnittslähmung:

„ein nicht zu behandelndes Leiden“

Die erste schriftliche Erwähnung einer Querschnittslähmung fndet sich im „Papyrus Edwin Smith“. Es ist die weltweit älteste medizinische Niederschrift und beschreibt die über lange Zeit vorherrschende Überzeugung, dass eine Querschnittslähmung nicht heilbar ist. Diese Einschätzung hält sich bis ins 20. Jahrhundert.

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