
4 minute read
IHRE WELT BLEIBT NICHT STEHEN
Wie Unbeweglichkeit Bewegung in das Leben von Heinz und Hannes Kinigadner brachte – und warum sich die Hoffnung auf Heilung lohnt.
The red bulletin: In eurer Familie gab es bereits eine Querschnittsverletzung, als im Jahr 2003 dann auch noch Hannes verunglückte. Wie war das für euch?
heinz kinigadner: Bei meinem Bruder Hansi, der seit 1984 – ebenfalls nach einem Motocross-Unfall – im Rollstuhl sitzt, war ich selbst noch zu jung. Ich bin damals weiter Rennen gefahren, war viel unterwegs, und Hansi hat bei seiner Freundin gelebt, wodurch ich nicht im Detail mitbekommen habe, was eine Querschnittsverletzung bedeutet. Aber dann bei Hannes blieb die Welt für mich stehen. Ich erinnere mich noch, als er mich im Krankenhaus gefragt hat: „Papa, hast du schon mal einen Querschnittsverletzten gesehen, der seine Finger nicht bewegen kann?“ Da wurde uns das Ausmaß seiner Verletzung bewusst. Und auch, dass es mehr Einschränkungen als bei meinem Bruder gab, denn es waren nicht die Brust-, sondern die Halswirbel betroffen.
Es heißt, bei Querschnitt zählt jeder Zentimeter. Wie ist das zu verstehen? hannes kinigadner: Je weiter unten die Wirbelverletzung passiert, desto mehr Bewegungsspielraum bleibt. Verletzt man sich hingegen in Halsnähe – also etwa am dritten oder vierten Halswirbel –, fällt mitunter sogar das Atmen schwer, und man muss künstlich beatmet werden. Bei mir ist der fünfte Halswirbel betroffen. Meine Atmung ist okay, aber meine Finger kann ich nicht willentlich bewegen, wodurch das Anziehen ohne Hilfe kaum möglich ist. Und wegen des fehlenden Trizeps sind mir das Aufrichten im Bett und das Überwechseln in den Rollstuhl allein nicht möglich.
heinz: Wäre das Ganze ein Segment tiefer passiert – also am sechsten Halswirbel –, wäre wahrscheinlich die Bewegung von Daumen, Zeigefngern und Trizeps möglich. Das klingt nicht nach viel, kann aber Welten bedeuten: Hannes fährt mittlerweile dank Hilfsmittel Auto, über eine Fernbedienung steuert er einen Lift zum Einsteigen. Aber kommt er zu einer Mautstelle, an der man nur mit Kreditkarte bezahlen kann, kann er die Karte zwar in den Automaten stecken, wegen der fehlenden Feinmotorik in den Fingern kriegt er sie aber nicht mehr raus.
Wie viel Bewegung hat die Unbeweglichkeit in euer Leben gebracht?
hannes: Sehr viel. Das Ganze hat uns als Familie noch mehr zusammengeschweißt.
heinz: Für uns war immer klar: Wir wollen diese Situation nicht akzeptieren. Also haben wir damals – mit der Unterstützung von Red Bull-Boss Dietrich Mateschitz – Experten an Bord geholt, um zu schauen: Welche Projekte in der Rückenmarksforschung versprechen baldigen Erfolg? Es gab noch nichts Konkretes, aber schon einige gute Ansätze. Es fehlte allerdings an Budget, um diese voranzutreiben. Das führte schließlich auch zur Gründung der Forschungsstiftung Wings for Life.
Die Heilung einer Querschnittsverletzung ist bisher nicht möglich. Was sind die größten Erfolge von Wings for Life? heinz: Dass man mittlerweile mehr darüber weiß, was bei einer Querschnittsverletzung passiert. Inzwischen trauen sich alle namhaften Forscher zu sagen: „ Eine Heilung wird möglich sein.“ Das war vor 15, 20 Jahren noch nicht der Fall. Aber es wird dauern, bis man alle Erkenntnisse erfolgreich zusammenführt. Denn es geht ja nicht nur darum, dass Nerven wieder wachsen. Man muss auch kombinieren: Wie startet man jene Bereiche im Gehirn, die durch den Rollstuhl lange ungenützt geblieben sind?
Das erfordert einen langen Atem. Wie motiviert ihr euch, wenn alles zäh und aussichtslos erscheint?
Heinz Kinigadner hannes: Ich sage mir immer: Die Welt und das Leben bleiben nicht stehen. Und deshalb möchte ich auch nicht stehen bleiben.
HANNES KINIGADNER, 39
Manager der „Kini Red Bull“
Linie, Ex-Motocross-Fahrer
Längste Wings for Life World Run-
Strecke: 12,8 Kilometer im Rollstuhl, geschoben von meinem Vater. Und mit Exoskelett – einer Stützstruktur für den Körper – habe ich knapp einen Kilometer geschafft. Dieser Song motiviert mich beim Training immer:
„Good Riddance (Time of Your Life)“ von Green Day
Welcher Sache muss man freien Lauf lassen?
Den eigenen Gefühlen und der Liebe.
Das gibt mir immer Hoffnung: der starke Rückhalt in meiner Familie
Erste Reaktion nach einem
Wings for Life World Run:
Ich muss erst mal warten, bis der Papa sich wieder erholt (lacht) Dann tauscht man sich mit anderen Teilnehmern aus.
HEINZ KINIGADNER, 63
DoppelMotocrossWeltmeister, Mitbegründer von Wings for Life, der Stiftung für Rückenmarksforschung
Längste Wings for Life World RunStrecke: 12,8 km
Dieser Song motiviert mich beim Training immer: „Sweet Caroline“ von DJ Ötzi
Ein wichtiger Schritt in meinem Leben war eine Familie zu haben, zweimal Weltmeister im Motocross zu werden. Und dass ich beim Wiederaufbau von KTM mithelfen durfte und Red Bull Motorsport das unterstützt. Dank dieser Kontakte konnte ich mich nach Hannes’ Unfall auf die Familie konzentrieren.
Welcher Sache muss man freien Lauf lassen?
Dem Leben. Nur nix erzwingen! Das gibt mir immer Hoffnung: die Stiftung Wings for Life und mein Sohn Hannes
Erste Reaktion nach einem Wings for Life World Run: Ich sehe zu, dass ich wieder etwas Luft bekomme heinz: Unterm Strich motiviert mich der Hannes am meisten, weil er seit seinem Unfall noch keinen Tag den Kopf in den Sand gesteckt oder gesagt hat: „Die ganze Welt kann mich mal“ – was in seiner Situation durchaus verständlich wäre. hannes: Sehr wichtig. Den Körper regelmäßig aufzurichten heißt: Man kriegt Druck auf die Knochen, das Ganze ist gut für die Gelenksfüssigkeit, man spürt wieder, wo man seinen Schwerpunkt hat. Und es ändert auch die Perspektive. hannes: Als ich das erste Mal mit dem Exoskelett raus in den Garten gegangen bin, war ich durch die aufrechte Haltung plötzlich groß genug, um die Kinder meiner Schwester beim Spielen zu beobachten, sitzend hätte ich da gar nicht hochschauen können. Das war schon ein cooles Gefühl.
Hannes, in Videos sieht man, wie du mit einem Exoskelett (kein Forschungsgegenstand von Wings for Life; Anm.) aufrecht gehst. Mit dieser elektrischen Stützstruktur hast du auch schon am Wings for Life World Run teilgenommen. Wie wichtig sind solche Hilfsmittel für deine Therapie?
Inwiefern?