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us dem Dschungeldickicht im Dreiländereck von Brasilien, Venezuela und Guyana ragen 115 Tafelberge wie Inseln aus einem tiefgrünen Meer. Diese sogenannten Tepuis sind bis zu 3000 Meter hohe, in bizarren Geometrien geformte Felsbrocken: An den Rändern quadratkilometergroßer, tischplattenflacher Plateaus stürzen Wände hunderte Meter weit senkrecht in den nebeldampfenden Dschungel. Es ist „The Lost World“, wie Arthur Conan Doyle 1912 seinen berühmten Roman nannte, er beschrieb darin eine vergessene Welt voller Saurier und urzeitlicher Pflanzen. Tatsächlich wurden viele der unter dicken Wolkendecken steckenden Tepuis erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt, vom Helikopter aus, sichtbar nur für Wärmebildkameras. Einer dieser Tepuis ist der Roraima. Zur venezolanischen Seite hin fällt er gutmütig genug ab für geführte Trekkingtouren, Guyana hingegen stemmt er La Proa entgegen, eine vier Kilometer breite, 600 Meter hohe, überhängende Wand bis in den zehnten Schwierigkeitsgrad. Die Expedition der deutschen Abenteurer Stefan Glowacz, Kurt Albert und Holger Heuber hatte das Ziel, diese Wand erstmals zu durchsteigen, frei und nach den speziellen Regeln der drei: „By fair means“ bedeutet, dass technische Hilfsmittel lediglich bei Gefahr für Leib und Leben eingesetzt werden, dass die Besteigung nur Teil der Aufgabe ist, gleichberechtigt mit An- und Abreise, Extremalpinismus auf leisen Sohlen.
Moderner Hochleistungsalpinismus zieht alle technischen Register. Die Athleten werden mit dem Hubschrauber zum Einstieg in die Route gebracht, per GPS hinaufgelotst, am Gipfel wieder abgeholt. „By fair means“ bedeutet weitgehenden Verzicht auf Hightech. Also kämpften sich Stefan Glowacz, Kurt Albert (hinten mit dem weißen Kopftuch) und Holger Heuber (vorne) gemeinsam mit Indio-Trägern per Einbaum durch den Dschungel zum Fuß des Roraima.
Eines der Hindernisse: Südamerikas giftigste Schlange. Glowacz: „Ein Biss, und nach drei Minuten, maximal, ist Ende.“
Der erste Versuch der Expedition, im Frühjahr 2010, scheiterte nach einem Unfall von Glowacz, erst der zweite Versuch fünf Monate später brachte den Erfolg. Glowacz und Heuber mussten die gemeinsame Mission zu zweit vollenden: Kurt Albert war verunglückt. Der Erfinder der weltweit anerkannten „Rotpunkt“Technik des Freikletterns war Ende September an einer ironisch anspruchslosen Stelle eines nordbayrischen Klettersteigs in den Tod gestürzt.