The Red Bulletin_0410_GER

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Ankowitschs Kolumne belebt Körper und Geist

Erfolg bremst

Wer neue Siege anstrebt, sollte bereits erreichte geflissentlich aus seinem Bewusstsein verbannen. Ich habe das Gefühl, dass sich diese sen­ sationelle Neuigkeit noch nicht flächen­ deckend herumgesprochen hat: Wir sind dem großen Menschheitstraum, Zeitreisen unternehmen zu können, einen Schritt näher gekommen; zwar nur einen kleinen, aber immerhin! Das ist ein wenig erklä­ rungsbedürftig. Daher muss ich ein wenig ausholen. Als Gegenleistung erwartet Sie am Ende dieser Kolumne ein sehr nütz­ licher Tipp (selber ausprobiert) und eine Pointe (selbst ausgedacht). Also: Mal angenommen, jemand bittet uns, daran zu denken, was wir morgen zum Frühstück essen werden – und an­ schließend mit der Hand in die Richtung unseres zukünftigen Marmeladenbrots zu deuten. Wohin werden wir zeigen? Richtig: nach vorne! Und wenn nun der­ selbe Jemand uns auffordert, daran zu denken, wie wir vergangenes Jahr einmal das Fitnesscenter besucht haben – wohin ­werden wir in diesem Falle deuten? Hin­ ter unseren Rücken, ebenfalls richtig. Dass wir solcherart deuten und zeigen, ist kein Wunder. Wir Menschen haben nämlich die Gewohnheit entwickelt, uns die Zeit wie eine Linie vorzustellen. Und auf dieser Linie bewegen wir uns hin und her, wenn wir gedanklich durch die Zeit reisen. Wer also in die Vergangenheit will, der dreht sich gleichsam um und geht auf dieser Linie zurück; und wer Zukünftiges

Menschen stellen sich die Zeit gerne als eine Linie vor: Wer in die Vergangenheit will, dreht sich um, wer ­Zukünftiges anpeilt, ­bewegt sich nach vorn. anpeilt, bewegt sich geradeaus nach vorn. Diese Fähigkeit unterscheidet uns Menschen übrigens von allen anderen ­Lebewesen: Weil wir gedankliche Zeit­ reisen unternehmen können, vermögen wir unser Handeln zu bewerten und (gegebenenfalls) zu korrigieren. Also am nächsten Morgen doch lieber Müsli zu essen und kein Marmeladenbrot, weil wir seit vergangenem November das Fitness­ center nicht mehr von innen gesehen ­haben und es mit dem Projekt, ein biss­ chen abzunehmen, sonst nie etwas wird. Und noch etwas ermöglicht uns diese ­ Fähigkeit: Wir finden Filmtitel verlo­ ckend, die „Zurück in die Zukunft“ lau­ ten, weil sie so schön widersprüchlich sind: zurück in die Zukunft reisen? Muss lustig sein, der Film (und ist es auch, aber das nur nebenbei).

Jetzt zur sensationellen Entdeckung, die uns beim Versuch, in die Zukunft zu reisen, ein wenig voranbringen wird. Psychologen der schottischen Universität Aberdeen fanden Anfang des Jahres näm­ lich heraus, dass wir Menschen auch kör­ perlich reagieren, wenn wir an die Zukunft oder die Vergangenheit denken. Dazu befestigten sie zwanzig Personen einen ­Bewegungssensor über dem linken Knie und legten ihnen Augenbinden an (damit sie noch stärker auf ihre Vorstellungskraft reagieren). Anschließend baten die Wissen­ schaftler ihre Zeitreisenden, sich erst mal vorzustellen, wie ihr Alltag vor vier Jahren ausgesehen habe, wie heute aussehe und wie er wohl in vier Jahren aussehen wer­ de. Das Resultat: Dachten die zwanzig an Vergangenes, bewegten sie sich ganze zwei Millimeter nach hinten, stellten sie sich ihre Zukunft vor, machten sie einen drei Millimeter großen Schritt nach vorne. Jaaaa, mir ist durchaus bewusst, dass das nicht allzu große Sprünge sind. Aber es sind Sprünge. Ein Anfang ist also ge­ macht. Und es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis die Schritte größer werden und wir auch noch das ganze Raum-ZeitKontinuum in den Griff bekommen. Weil das noch dauern wird, hier mein Tipp, wie Sie die Erkenntnisse der schottischen Wissenschaftler schon heute nutzen können: Denken Sie beim nächsten Wett­ kampf keinesfalls an vergangene Erfolge! Die Vergangenheit liegt hinter uns. Und denken wir fortwährend an sie, bremsen wir uns unbewusst. Viel besser, Sie stel­ len sich Ihr Frühstück am nächsten Tag vor: Alles Zukünftige zieht Sie gleichsam vorwärts. Ganz zu schweigen von der Aussicht, drei Marmeladenbrote essen zu dürfen. Betreiben Sie nicht heute, in eben­ diesem Moment, so brav Sport? Eben! Christian Ankowitsch, 50, ist ein öster­ reichischer Journalist, Schriftsteller und Lebenshelfer. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Herausgeber und Verleger Red Bulletin GmbH Chefredaktion Robert Sperl, Stefan Wagner (Stv.) Creative Director Erik Turek Art Director Markus Kietreiber Fotodirektion Susie Forman, Fritz Schuster (Stv.) Chefin vom Dienst Marion Wildmann Leitende Redakteure Werner Jessner, Uschi Korda, Nadja Žele Redaktion Ulrich Corazza, Florian Obkircher, Christoph Rietner Grafik Claudia Drechsler, Miles English, Judit Fortelny, Dominik Uhl Fotoredaktion Markus Kucˇera, Valerie Rosenburg, Catherine Shaw Senior Illustrator Dietmar Kainrath Autor Christian Ankowitsch Mitarbeiter Paul Faye, Paul Fearnley, Andreas Jaros, Ruth Morgan, Andreas Tzortzis, André Voigt, Herbert Völker Illustratoren Mandy Fischer, Heri Irawan, Lie-Ins and Tigers Augmented Reality Martin Herz, www.imagination.at Lektorat Hans Fleißner Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Christian Graf-Simpson Herstellung Michael Bergmeister Produktion Wolfgang Stecher Druck Prinovis Ltd. & Co. KG, D-90471 Nürnberg Geschäftsführung Karl Abentheuer, Rudolf Theierl Interna­ tionale Projektleitung Bernd Fisa Sonderprojekte Boro Petric Finanzen Siegmar Hofstetter Verlagsleitung Joachim Zieger Marketing Barbara Kaiser (Ltg.), Regina Köstler Projektmanagement Jan Cremer, Sandra Sieder, Sara Varming Anzeigenverkauf Gruner + Jahr AG & Co KG, G + J Media Sales, Am Baumwall 11, D-20459 Hamburg, Heiko Hager (Anzeigenleiter), Henrike Kahl (Anzeigenverkauf) Telefon +49 40 3703-2538 Fax +49 40 370317-2538 E-Mail kahl.henrike@guj.de Office Management Martina Bozecsky, Sabrina Pichl Firmensitz Red Bulletin GmbH, Am Brunnen 1, A-5330 Fuschl am See, FN 287869 m, ATU 63087028 Sitz der Redaktion Heinrich-Collin-Straße 1, A-1140 Wien Telefon +43 1 90221-28800 Fax +43 1 90221-28809 Kontakt redaktion@at.redbulletin.com Redaktions­ büro London 14 Soho Square, W1D 3QG, UK Telefon +44 20 7434-8600 Fax +44 20 7434-8650 Web www.redbulletin.com Erscheinungsweise Das Red Bulletin erscheint jeweils am ersten Dienstag des Monats als Eigenbeilage von und in Kooperation mit folgenden Partnerzeitungen – in Österreich: Kleine Zeitung, Kurier, Die Presse, Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten; Burgenländische Volkszeitung, Niederösterreichische Nachrichten. In Deutschland: Münchner Merkur, tz. Das Red Bulletin liegt auch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bei. In Großbritannien: The Independent. In Irland: Irish Independent. In Nordirland: Belfast Telegraph. In Polen: Gazeta Wyborcza. In Südafrika: Cape Argus, Cape Times, Daily News, Pretoria News, The Star. In Neuseeland: The New Zealand Herald. Gesamtauflage 3,1 Millionen Leserbriefe bitte an leserbriefe@at.redbulletin.com

Die nächste Ausgabe des Red Bulletin erscheint ab 1. Mai 2010.

illustration: albert exergian

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