The Red Bulletin Februar 2016 - CH

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DIE EWIGE SUCHE VON ROBERT KISCH

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änner sprechen über Fußball, sagt Amelie, und sie sprechen alle über Fußball, kennen dabei angeblich alles, wissen dabei angeblich alles – oder sie hassen Sport und sind witzig und dick. Dabei ist das völliger Blödsinn. Denke ich. Also nicht, dass wir alle über Fußball sprechen oder dicklich sind. Sondern dass es innerhalb der Sport­ liebhaber eine gemeinsame Sprache gäbe. Weil es nämlich zwei Sorten von Männersportlern gibt, die sich untereinander nicht vermischen lassen. Es sind zum einen die Kämpfer, die Schwitzenden – und zum anderen die Gemütlichen. Und eines der schwierigsten Dinge im Leben eines Mannes ist es, einen Freund für den gemeinsamen Sport zu finden. Das sage ich allerdings laut. „Wohl­ gemerkt, es geht nicht um das berühmte erste Mal, an dem sich zwei Männer lautstark und enthusiastisch zu einer Form von Bewegung entschließen, sei es nun wildes Herumgerenne im Wald oder tumbes Herumgeschieße gegen einen Ball.“ Beim ersten Mal macht das noch Spaß, denke ich, und gilt als Auftakt zu einem lebenslangen Ritual. Beim zweiten Mal allerdings stellt sich heraus, dass die Pausen zwischen den Wiesenspurts für den einen überlebensnotwendig, für den anderen mehr erkältend sind. Und beim dritten Mal kommt gerade was ganz Dringendes dazwischen. Von diesem Tag an lernst du als Mann eine ent­ scheidende Lektion: Du bist allein. Und du wirst immer allein bleiben. Vor allem, wenn es regnet. Die zweite Lektion, die du als Mann lernst, ­aufbauend auf der ersten, denke ich, die du aber als Mann nicht einmal denken solltest, denke ich, ist: Du wirst nie eine Frau finden, mit der du Sport machen kannst. Auch nicht, wenn die Sonne scheint. Erst recht nicht, wenn die Sonne scheint. Und erst recht nicht, wenn es regnet oder bewölkt ist oder wenn der Berg zu steil oder die Jogginghose noch in der Wäsche ist.

Robert Kisch

Geboren im Norden Deutschlands, wo er noch immer lebt. Als Journalist be‑ richtete er über das Elend der anderen, das er in einprägsame Geschichten verwandelte, die Preise und Anerkennung brachten. Dann folgten Verlust des Jobs, Verlust der Familie, Verlust der Würde, und er schrieb sich unter dem Pseudonym Robert Kisch das Elend in Buchform von der Seele. „Möbelhaus“ schildert nicht nur seinen neuen Arbeitsplatz als umsatzbeteiligter Verkäufer, sondern auch eine Ausweglosigkeit, die seinen Arbeitskollegen ebenso zu schaffen macht: Auch sie sind in dieser Vorhölle gelandet – einstige Musiker, Ex‑Hoteldirektoren, frühere Architekturstudenten. In einem ZDF-TV-Interview sprach Kisch davon, dass ihm das Buch seine Würde zurückgegeben habe.

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Frauen, die Sport machen, denke ich, und die nicht gerade talentiert sind, also ganz normale Frauen, denke ich, erinnern mich irgendwie an die zwanziger Jahre. Gerade wenn sie Tennis oder Bad­ minton spielen. Sie folgen dem Schläger, vorneweg gestreckt, steif, als jagten sie Schmetterlinge. Wie mit einem Schwert. Und immer dem Ball ausgeliefert. Aber ich lächle Amelie an, weil sie sich schon auf­ wärmt, und nicke. „Wir sind aus der gleichen Schule“, sage ich ­freudig. Was sie ein wenig wundert, denn sie ist in Berlin geboren und aufgewachsen, ich in Köln. Zudem ist sie zwanzig Jahre jünger. „Ich meine dein Aufwärmen“, sage ich, „du dehnst dich sehr schnell und federst bei den Dehnübungen immer nach. Das ist unverkennbar meine Schulzeit, lange her, und es stimmt mich beinahe melancholisch. Dieses Wippen geht nämlich nicht mehr raus. Ich will auch immer noch wippen, beim Aufwärmen …“ Amelie hingegen stimmt ihr Aufwärmen überhaupt nicht melancholisch. Sie stellt es augenblicklich ein und schaut mich befremdlich an. Irgendwie beleidigt. Dabei hat es bei mir erst sehr spät angefangen, mit dem Sport, sage ich, denn mein Vater hat mir jeden Spaß daran abgetötet, sogar an Fußball. „Er hat mich als Kind immer zu Benefizspielen von ehemaligen Nationalspielern mitgeschleppt.“ Und das ist furcht­ bar, das ist grauenhaft, Folter. Er schleppte mich zu irgendwelchen verrotteten Provinzaschenplätzen und sagte: „Schau, der Schnellinger“ und „Huu, der Uwe Seeler!“. Schnellinger und Seeler sind alte Männer, die ein paar Schritte tun und dann furchtbar keuchen, schlechten Fußball spielen, keine Technik mehr haben und tumbe Tore schießen. Ich wollte mit Sport nichts zu tun haben. Einer war dabei, sage ich, bei diesem Benefiz­ gekicke, der war nun wirklich richtig dick. So richtig fett. Der lief auch kaum noch, der stand mehr rum und stolperte herum, wenn er den Ball bekam. Es war soo jämmerlich. Aber die Leute und mein Vater sagten nur: „Huu, das ist doch der XY aus der Vierund­ fünfziger-Elf“, und ich dachte nur: Mein Gott, ist das peinlich! Aber das durfte man nicht sagen. Weil, es war für einen guten Zweck. Also schauten wir dicken Männern zu, die sich nicht mehr bewegen konnten, und zählten lächerliche Tore, weil der Torwart nicht mehr springen konnte. Und in der Pause gab es Brat­ wurst. Das war das Beste an diesen Tagen. Amelie schweigt bezüglich der deutschen Ver­ gangenheit, aber sie greift sich einen Badmintonball und tastet an den Plastikfedern herum. Es soll ­wahrscheinlich wissend wirken. Vielleicht mag sie auch einfach nur Plastik.

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