The Red Bulletin INNOVATOR DE 22/01

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01 2022

AUSGABE DEUTSCHLAND

2,50 EURO

INNOVATOR BY THE RED BULLETIN 01/2022

Ideas for a better future

IDEAS FOR A BETTER FUTURE

Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat.* Ein ganzes Heft über die Freude an guten Ideen *Albert Einstein, Physiker


Give wings to your career

Fernanda Maciel, Ultraläuferin

„Meine größte Stärke ist meine Intuition.“ Finde auch du heraus, worin deine wahren Stärken liegen und lerne diese mit gezieltem Coaching auszubauen.

redbull.com/wingfinder


I N N O V AT O R

EDITORIAL KREATIVITÄT CONTRIBUTORS

Marc Baumann Der Journalist hatte schon einige seltsame Begegnungen mit Künst­ lern. Ai Weiwei bat ihn um ein ­Selfie, als er ihn beim Surfen sah, und Maurizio Cattelan klatschte ein rohes Ei gegen seine Bürotür. Wie sein Interview mit Digital­ künstler Mio verlief, erfährst du AB SEITE 5 8

MARTIN ROLLER (COVER), FRANK STOLLE

Pauline Krätzig Seit ihrem Besuch bei der Innova­ tionsberatung IDEO folgt sie dem Firmenpartner und halben Schwe­ den Axel Unger auf Instagram. Seine Posts haben sie inspiriert, Kanelbullar (Zimtschnecken) zu essen. Was wir sonst noch von ihm und IDEO lernen können: AB SEITE 28

ist der Spielplatz unserer Intelligenz. Das ­behaupten nicht wir, sondern Albert Einstein (und der soll sich in diesem Feld recht gut aus­ gekannt haben). Mehr noch: Kreativität ist die wichtigste Ressource der Menschheit überhaupt. Auch das behaupten nicht wir, sondern einer der renommiertesten Zukunftsexperten Deutsch­ lands, Prof. Bernd Thomsen ab Seite 24. Warum das so ist und wie auch wir in jeder Lebens­lage auf diese Fähigkeit zurückgreifen können, wie wir sie freilegen, verstärken und Spaß daran haben, erzählen wir im Schwerpunktthema ­dieser Ausgabe von Seite 23 bis 73. Spoiler: Du solltest dein Computer-Passwort ändern. Einen ungewöhnlichen Weg schlug der ­Schweizer Parade-Unternehmer Alan Frei ein. Er reduzierte seinen kompletten Besitz auf 80 Gegenstände, wohnt nun in einem Hotel – und fühlt sich so frei wie nie zuvor. Die ganze Geschichte findest du ab Seite 74. Viel Vergnügen mit diesem Heft! Ohren auf! In unserem Podcast warten noch mehr kreative Geschichten.

INNOVATOR

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INHALT BULLEVARD

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Walk the Wine Laure Babin entwirft coole Sneakers – mit Abfällen aus der Weinproduktion.

Mal abschalten Der elektrische Camper Stella Vita versorgt sich im Urlaub komplett selbst.

So ein Mist Der smarte Müllschlucker ­Lasso trennt Abfall – und macht daraus Recyclingmaterial.

Senkrecht-Start-up Bereits in drei Jahren sollen uns elektrische Flugtaxis durch die Gegend chauffieren.

Global Green Der Oberösterreicher Daniel Kallinger hat einen Zaubertrank für Pflanzen entwickelt.

Luftnummer Drei Norweger haben das (Wind-)Rad neu erfunden. Eine Energie-Revolution!

Edle Sache Der Schmuckhersteller „mood“ verwandelt Mund-­ Nasen-Masken in Diamanten.

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INTERVIE W

Die Zukunft hat begonnen Der Künstler Christian Mio L ­ oclair hat Computer programmiert, um Kunst zu schaffen.

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INNOVATOR


I N N O V AT O R

DOSSIER KREATIVITÄT Warum Kreativität in Zukunft die wichtigste Fähigkeit des Menschen sein wird

Design Thinking IDEO ist eines der originellsten Unternehmen der Welt. Wie machen die das bloß?

Land der Erfinder Auto, Impfstoff, Fernseher. Wir verneigen uns vor den größten Innovationen Deutschlands.

Eine Frage der Technik Die Stanford-Professorin Tina Seelig bringt Ihnen bei, wie Sie auf bessere Ideen kommen.

Hinter den Kulissen Fünf kreative Köpfe haben uns einen Einblick gegeben in ihre Arbeitsweise.

Rembrandt 2.0 Wie die moderne Technologie unser Verständnis von Kunst auf den Kopf stellen wird.

Reine Kopfsache Egal ob auf der Ski-Piste oder auf dem Bike – dieser smarte Helm sollte immer dabei sein.

Bester Boss In der Agentur von Andreas Ott arbeiten die Mitarbeiter nur vier Tage in der Woche. Ein Besuch

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Sei Frei Minimalist und Visionär: der Millionär Alan Frei über den Zauber von Unabhängigkeit

Gefühle an die Macht Ein Treffen mit Emotions­ managerin und Instahelp-CEO Bernadette Frech

GUIDE

90 93 94 95 96 98

Nicht verpassen! Diese Events sollten Sie sich unbedingt dick in Ihrem ­Terminkalender markieren.

Ruhig bleiben Biohacking-Experte Andreas Breitfeld entspannt uns – mit dem schwingenden Echobell.

Fanpost Der Elektrobus XBUS sorgt im Netz für lustige Kommentare. Und was sagt der CEO dazu?

Favoriten Ehrliche Bücher und lehrreiche Apps: die Tools der „femtasy“Gründerin Nina Julie Lepique

Kolumne Unternehmer Philipp Westermeyer über die neue Genera­ tion von Gründern

Bitte lächeln! Zeichner Nicolas Mahler gibt Einblick ins Homeoffice.

STUDIO CML

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Essay

FEATURE

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RED BULL MIT DEM GESCHMACK VON KAKTUSFRUCHT. HIER, UM ZU . BLEIBEN

BELEBT GEIST UND KÖRPER.


BULLEVARD

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GETTY IMAGES

für eine bessere Welt

INNOVATOR

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B U L L E VA R D

Die Idee für Zèta kam Laure, die am IAE Bordeaux Ma­nage­ ment studierte, aber schon immer ein Faible für Mode hatte, während ihrer Masterarbeit. „Mir wurde klar, dass ich ein Projekt starten will, das mich repräsentiert. Gleichzeitig wurden mir viele ­Probleme in der Modewelt ­bewusst, speziell was umweltund sozialpolitische Themen angeht. Ich stand also vor der Frage: Wie kann ich diese Her­ ausforderungen aufgreifen, auseinandernehmen und ­besser zusammensetzen?“ MUTIGER SCHRITT

Laure Babin, 24, geht mit der Zeit: Unter ihrem Label Zèta produziert und vertreibt die junge Französin vegane Sneakers, deren Basismaterial aus recycelten Rückständen der Weinproduktion gewonnen wird.

Würde man Laure Babins Sneakers als „trashig“ bezeichnen, könnte es einem die französische D ­ esignerin wohl nicht übel nehmen. Denn die 24-Jährige macht tatsächlich Müll zu Mode. ­Genauer gesagt nutzt sie Abfälle aus der Weinproduktion, recyceltes Plastik und Kork und ver­wandelt all das in vegane „Lederschuhe“. Dadurch schenkt sie Tonnen von Weintrester – so nennt man die Rückstände aus der ­Weintraubenpressung im Fach­jargon – und anderen Mate­rialien, die eigentlich schon am Ende ihres herkömmlichen Verwendungszyklus angekommen sind, eine zweite Bestimmung. 8

JAKOB HÜBNER

WALK THE WINE

Laure beantwortete diese Frage ebenso kreativ wie pragmatisch. Zumal sie die Mecha­ nismen des Managements gründlich erforscht hatte, ­erkannte sie: Der stärkste Verbündete des Idealismus ist der Realismus. Wer die Warenwelt nachhaltig positiv beeinflussen will, sollte nicht auf einen biozertifizierten Linkshänder-Trüffelhobel setzen, sondern die Masse ansprechen. Denn wirklich tief wird der ökologische Fußabdruck auf dem Trampelpfad. Von dieser Erkenntnis war es nur noch ein kleiner Schritt zu Sneakers. „Sneakers sind die meistverkauften Schuhe der Welt. Jeder, egal in welchem Alter, hat ein Paar zu Hause. Es handelt sich also um ein

Produkt, mit dem man wirklich global Einfluss nehmen kann.“ Im September 2020 startete Laure eine Crowd­ funding-Kampagne, und die Hürde von 100 Schuhen war innerhalb weniger Stunden geschafft. Kurze Zeit ­später standen bereits 500 Paare im Vorverkauf; mittlerweile ist Geduld gefragt, wenn man ein Paar dieser handgefertigten Trendtreter ergattern will. Mit einem Verkaufspreis von 129 Euro sind die Teile zwar kein Schnäppchen, liegen angesichts des Markenkults bei Sneakers aber auch in dieser Hinsicht im grünen Bereich. Die genaue Recycling-Rezeptur für das „vegane Leder“ der Zèta-Sneakers ist natürlich streng geheim. Aber allein das Wissen, dass es sich dabei um Reststoffe aus der Wein­herstellung – pro Paar werden rund drei Kilo Abfall wiederverwertet – handelt, macht diese Schuhe nicht nur sehr sympathisch, sondern ­irgendwie auch erlesen. zeta-shoes.com

Manufaktur: Die Zèta-Sneakers werden von einem Familienunternehmen in Portugal hergestellt.

ZÈTA

N A C H H A LT I G E M O D E

MIR WURDE KLAR, DASS ICH EIN PROJEKT STARTEN WILL, DAS MICH REPRÄSENTIERT.

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Da hat eine gut lachen: Um die Nachfrage nach ihren Trendtretern zu befriedigen, hat Laure Babin alle Hände voll zu tun.

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B U L L E VA R D

MIT „ STELLA VITA“ LÄSST SICH IM URLAUB SO RICHTIG ENERGIE TANKEN. Um die leere Batterie voll aufzuladen, benötigt das innovative Wohnmobil zwei bis drei Sonnentage.

M O B I L I TÄT

PERPETUUM WOHNMOBILE Der Sonne entgegen: Ein Studententeam aus den Niederlanden hat einen Camper entwickelt, der komplett ohne externe Energieversorgung auskommt.

Die zentralen technischen Probleme, die herkömmliche E‑Autos nun endlich in den Griff bekommen zu haben scheinen, wiegen bei E-Wohnmobilen dop­ pelt schwer: relativ hoher Strom­ verbrauch, weil relativ hohes Ge­ wicht, und daher relativ geringe Reichweite. Gerade für Urlaubs­ reisen ein ziemliches Totschlag­ argument, zumal in entlegeneren Gegenden bekanntlich nicht an jeder Waldlichtung eine Lade­ station blinkt. Kurz: Ein aus­ gedehnter Camping-Urlaub und ein ruhiges CO²-Gewissen waren bisher nicht wirklich vereinbar.

komplett selbst mit Energie ver­ sorgt. Denn auf dem Dach thront eine Solaranlage, die sowohl das Auto wie auch sämtliche elek­ trischen Geräte im Wohnbereich mit Strom beliefert. Zugegeben, die Idee, eine ­Solaranlage aufs Dach eines Fahr­ zeugs zu klatschen, ist nicht neu. Was aber neu ist: Das Dach von „Stella Vita“ kann über einen aus­ geklügelten Mechanismus aus­ geklappt werden, was einerseits den Wohnraum beim Parken um eine solarzellenpaneelbestückte Markise vergrößert und anderer­ seits die Solarfläche auf immer­ hin 17,5 Quadratmeter verdop­ pelt. So kann beim Parken eine recht beachtliche Menge Strom

Wo Sonne ist, da ist auch Schatten: Im Stand werden bei hochgestelltem Dach die Seitenflügel ausgefahren. Das verdoppelt die Fläche der Solarpaneele auf stolze 17,5 Quadratmeter und dient gleichzeitig als praktische Markise.

Dank extremer Leichtbau­ weise und ebensolcher Aero­ dynamik schafft die Wohn­ flunder an sonnigen Tagen­ bis zu 700 Kilometer und eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h.

SONNENSEGEL

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BART VAN OVERBEEKE

ALEX LISETZ

Das könnte sich aber erstaunlich bald ändern. „Stella Vita“ ist der Name eines revolutionär kon­ zipierten Wohnmobils, das ein Team aus 22 Studentinnen und Studenten der Technischen Uni­ versität in Eindhoven in den Nie­ derlanden von August 2020 bis September 2021 entwickelt hat. Dieser „Lebensstern“ ist das welt­ weit erste Wohnmobil, das sich INNOVATOR


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erzeugt werden. Dank seiner ­konsequenten Leichtbauweise, der aerodynamischen Form und effizienter Energie-Managementsysteme geht das „Stella Vita“Mobil zudem extrem sparsam mit der Energie um, die es zuvor der Sonne abgerungen hat. JUNGFERNFAHRT

Alles an Bord: Trotz vergleichsweise kompakter Maße bietet „Stella Vita“ Küche, Bett, Sofa, Dusche und Toilette.

INNOVATOR

Je nach Wetter und Fahrstil schafft das vollgetankte Mobil bis zu 700 Kilometer, und wenn an sonnigen Plätzen ­gerastet wird, lässt sich der Ladestand der Batte­ rie zwischendurch immer wieder nachbessern. So reichte es bei „Stella Vitas“ Jungfernfahrt von den Niederlanden bis ins südliche Spanien immerhin für eine rund 2000 Kilometer weite Reise. Die leere Batterie voll auf­ zuladen erfordert zwei bis drei Schönwettertage, aber im Urlaub hat man ja zwischendurch auch Muße. 11


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B U L L E VA R D

R ECYC L I N G

SAMMLERSTÜCK Ein revolutionärer Haushalts­ roboter erzeugt aus Plastik, Glas und Metall sortenreine Abfallprodukte, die voll­ ständig wieder­verwertet werden können.

– automatisch. Der Roboter erledigt nicht nur die Mülltrennung, sondern kümmert sich auch um die Säuberung und Zerkleinerung aller zu­ geführten Teile. Selbst stark verschmutztes Leergut ist kein Problem, und smarte Sensoren erkennen sofort, wenn einmal irrtümlich etwas eingeräumt wird, was sich nicht recyceln lässt – Warnmeldung folgt. Am Ende erhält man sortenreines Abfallmaterial, das dicht komprimiert im unteren Teil des Geräts gelagert wird, bis der Abholdienst kommt. KREISL AUF WIRTSCHAF T

In einer späteren Version sollen auch Altpapier oder

Biomüll wiederverwertet werden können. Und irgendwann, wenn alles nach Plan läuft, werden Lasso-Kunden ihre Abfallprodukte sogar selbst weiterverkaufen können – was dem Ziel einer echten Kreislaufwirtschaft schon sehr nahe kommt. Das ambitionierte Projekt soll rund um die Jahreswende 2022/23 zunächst in der Bay Area um San Francisco ausgerollt werden – wohl auch, weil dort Umweltbewusstsein und Einkommen überdurchschnittlich hoch sind. Denn die ersten Lasso-Modelle werden zwischen 3500 und 4500 Dollar kosten. lassoloop.com

Die Statistik ist desaströs: 91 Prozent des weltweit verbrauchten Plastiks werden nicht wiederverwertet. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 in den Ozeanen mehr Plastikreste schwimmen werden als Fische. Saubere Lösungen müssen her, und zwar schnell. Wie die globale Recyclingquote für Hausmüll in die Höhe geschraubt werden könnte, macht derzeit ein Start-up in den USA vor. Das Team von Lasso steht kurz vor der Fertigstellung eines Recyclingroboters, der schon bald seinen Fixplatz in jeder Küche bekommen soll.

Ähnlich wie bei einem Ge­ schirrspüler werden benutzte Plastikbehälter, Aludosen oder Glasflaschen einfach in die obere Lade des Geräts eingeschlichtet. Der Rest geschieht – wie von Zauberhand 12

GÜNTHER KRALICEK

TRENNSCHÄRFE

Einer für alles: Der Lasso-­ Roboter verarbeitet Hausmüll zu komprimiertem und sorten­ reinem Recyclingmaterial. INNOVATOR


R H U 3 1 – 2 2 8. MAI 20 KÖNNEN

T H C I N S E E I D , E L L A R Ü F N E F U A L WIR LAUFEN IT M L L A R E B Ü D N U JETZT APP LADEN

SEI DABEI


B U L L E VA R D

Glaubt man den ­Pro­gnosen, werden elektrisch betriebene Flugtaxis schon bald so normal sein wie einst ein Mercedes Diesel. Der Apeleon X wird in ­Mödling bei Wien ent­ wickelt, der erste Prototyp des „Planecopter“ soll 2023 abheben.

M O B I L I TÄT

SENKRECHTSTART- UP

GRÜNDER UND CEO DER VOLARE GMBH

Mit seinem 15-köpfigen Team arbeitet der passionierte Pilot an Mobilitätskonzepten für die Zukunft.

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Der Apeleon X ist ein „Planecopter“, also ein Hybrid aus Flugzeug und Hubschrau­ ber. Zwei Flügel sorgen für Stabilität während der Luft­ fahrt, 16 Rotoren ermöglichen dem Apeleon, senkrecht zu starten und zu landen – mehr oder weniger auf jedem Gara­ genvorplatz mit entsprechen­

der Genehmigung. Angepeilt wird eine Reichweite von 100 bis 150 Kilometern, was auch schon klar macht, welchen Einsatzbereich Fürlinger für sein Fluggerät im Sinn hat: Es soll als Flugtaxi Gegenden mit magerer Infrastruktur verbinden mit Ballungsräu­ men oder Verkehrsknoten­ INNOVATOR

APELEON, VOLARE GMBH

Andreas Fürlinger

Egal wie die Geschichte ausgehen mag: Andreas Fürlinger lebt seinen Traum. Als Kind begeisterten ihn Modellflugzeuge, er studierte Maschinenbau an der TU Wien, arbeitete bei Airbus am A380 mit, ist Inhaber eines Pilotenscheins und war Teil jenes Teams, das mit der „Solar Impulse“ Geschichte schrieb. Zur Erinnerung: Die „Solar Impulse“ war das erste Flugzeug, das 2015/16 allein mit der Kraft der Sonne eine Weltumrundung schaffte. 2017 gründete Fürlinger die ­VOLARE GmbH und startete sein ambitioniertes Projekt: die Entwicklung eines elek­ trisch betriebenen Flugtaxis, des Apeleon X.

ALEX LISETZ

Können Taxis fliegen? Wenn es nach einem jungen Unternehmen aus der Umgebung Wiens geht: ja. Und zwar schon erstaunlich bald.


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punkten. Schnell, wendig und kostengünstig. Und zwar absolut kostengünstig, nicht nur relativ – denn Fürlinger kalkuliert mit Preisen, die jenen von erdgebundenen Taxis entsprechen. Auf häufig genutzten Strecken können auch Shuttle-Verbindungen angedacht werden, das Platzangebot in einem Apeleon X gleicht dem eines herkömm­ lichen Pkw. LUF T NACH OBEN

„WIR GESTALTEN EINE NEUE GENERATION DES PENDELNS.“ Der Apeleon X soll vor allem im Umland von Ballungsräumen zum Einsatz kommen.

Fürlinger mag mit seinem 15-köpfigen Team aus dem 20.500-Einwohner-Städtchen Mödling keiner der großen Player unter den Produzenten von Kleinstfluggeräten sein, angesichts der unglaublichen Dynamik dieses boomenden Marktes werden sich aber auch Nischen auftun. Mit Lilium und EHang notieren ein deutscher und ein chinesischer Anbieter bereits an der Börse, mit Volocopter und Vertical Aerospace liebäugeln zwei weitere mit einem Börsengang. Sollten sich aktuelle Pro­ gnosen auch nur halbwegs bewahrheiten, wird die Branche mächtig abheben: Der Markt für Flugtaxis soll ab 2025 – nach entsprechenden regulatorischen Weichen­ stellungen – zu wachsen beginnen, irgendwann zwischen 2030 und 2035 könnte ein Teil ­unseres Alltagsverkehrs in der dritten Dimension stattfinden. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) ist jedenfalls schon eifrig am Basteln entsprechender Rahmenbedingungen. Der Zeitplan von Apeleon X verspricht eine präzise Punktlandung: Ein erster Proto­typ soll schon im kommenden Jahr über Mödling zu sehen sein, für erste ­kommerzielle Flüge möchte Andreas Fürlinger ab 2026 ready for take-off sein. apeleon.com

INNOVATOR

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B U L L E VA R D

GARTEN - RE VOLUZ ZER

DEM MUTIGEN GEHÖRT DIE WELT

Eines Tages stand Kallinger dann vor einem Kübel, gefüllt mit einer nicht gerade wohl­ riechenden Brühe, und war kurz davor, das Zeug einfach 16

Je kleiner die Minerale, desto größer die Oberfläche der einzelnen Körner. Diese Mikro­ teilchen können nährende Stoffwechselprodukte besser an sich binden und leichter ins Innere der Pflanze vor­ dringen. Über die Blattober­ fläche gelangen sie durch die Zellwände bis ins Zellplasma.

Flaschennahrung: Für Hobbygärtner gibt es den „Global Green“Dünger in der handlichen 1-Liter-Sprühflasche. Für die professionelle Anwendung darf es aber auch ein bisschen mehr sein.

Was sich in der Petri­ schale da so alles tummelt, ist natürlich streng geheim – aber Gift ist keines dabei.

GÜNTHER KRALICEK

Die Zeichen standen auf Widerstand, als Da­ niel Kallinger, 35, vor fünf Jahren damit begann, an einem Düngemittel für seine Garten­pflanzen zu tüfteln. Dem ­Österreicher schwebte ein biologisch nachhaltiges Gemisch aus Mineralien und Mikroorganismen vor. Fach­ leute, die er zu Rate gezogen hatte, belächelten den Auto­ didakten jedoch nur milde. So, wie er es angehe, könne das niemals funktionieren.

wegzuschütten. Er atmete einmal tief durch und ent­ schied sich dafür, weiterzu­ machen. Die Sache ging auf. Und wie. Bis zu 30 Prozent mehr Wachstum und Ertrag ver­ spricht „Global Green“, das wundersame Pflanzennah­ rungsmittel, das Kallinger da zusammengebraut hat. Das Geheimnis liegt nicht nur in der Kombination von Mine­ ralien und Mikroorganismen, sondern in deren innovativem Zusammenspiel. Entscheidend­ dabei ist ein spezielles Mahl­ verfahren, bei dem die Mine­ ralien zu extrem feinem Staub zerkleinert werden.

FLORIAN VOGGENEDER

Ein Autodidakt aus Oberösterreich ließ sich vom milden Lächeln der Experten nicht beirren und entwickelte ein Düngemittel, das seine ehemaligen Kritiker mittlerweile staunen lässt.

INNOVATOR


I N N O V AT O R

DER ZAUBERTRANK AUS OBERÖSTERREICH ­V ERSPRICHT BIS ZU 30 PROZENT MEHR WACHSTUM. Möglich macht’s ein innovatives Zusammenspiel von Mineralien und Mikroorganismen.

FÜR HEIMGÄRTNER & BAUERN

Ob Gemüsebeet oder Wein­ garten, Weideland oder Hanf­ plantage, Fußballrasen oder Ackerbau – für jede Anwen­ dung gibt es die richtige Mi­ schung. Der botanische Zau­ bertrank ist in der handlichen Literflasche für Hobbygärtner ebenso erhältlich wie in deut­ lich größeren Gebinden für die Landwirtschaft. Und das Schönste: Diese Düngemittel kommen komplett ohne Gifte und Schadstoffe aus. Der Boden wird geschont, Nutz­ insekten und andere Tiere dürfen aufatmen. G U T F Ü R S S A AT G U T

Daniel Kallinger, 35, Autodidakt: Die Idee zu „Global Green“ ist auf seinem Mist gewachsen.

INNOVATOR

Daniel Kallinger und sein Team forschen am Standort in Mondsee unermüdlich wei­ ter. Die F&E-Abteilung unter der Leitung von CTO Dr. Lukas Kramberger-Kaplan arbeitet derzeit an einer Methode, Saatgut vorab mit einer spe­ ziellen Kultur von Stickstoff­ bakterien zu „beizen“. Diese Bakterien sind in der Lage, atmosphärischen Stickstoff in Ammonium umzuwandeln, das die Pflanze zum Wachsen braucht. Der Stickstoffbedarf aus konventionellen Dünge­ mitteln lässt sich auf diese Weise deutlich reduzieren. Dies bringt auch eine signi­ fikante Reduktion von CO²Emissionen mit sich, weil die Herstellung von stickstoff­ haltigem Kunstdünger be­ sonders energieintensiv ist. 17


B U L L E VA R D ENERGIE

FANG DEN WIND

Das Rad kann man nicht neu erfinden – das Windrad schon. Ein innovatives Offshore-Konzept aus Norwegen führt die Wind­ energie­gewinnung in eine neue Dimension. Wind ist ja eigentlich ein perfekter Rohstoff für die Energieproduktion: Er ist ­kostenlos, wird immer wieder­ frisch angeliefert, und bei ­seiner Verarbeitung zu elek­ trischem Strom wird die Umwelt nicht verschmutzt. So weit auf dem Papier. In der Realität sieht die Sache freilich differenzierter aus. Denn neben der optischen Umweltverschmutzung durch horizontfüllende Propeller­ landschaften ist auch die akustische Belastung – Stich­ wort Infraschall – ein hoch­ sensibles Thema. Dazu kommt die ­simple Logik, dass Wind­ energie nur dann ­gewonnen werden kann, wenn auch tatsächlich Wind weht. Da Windenergie zudem auch nicht die kostengünstigste Art ist, Strom zu erzeugen, gibt sie unterm Strich also eher ­eine „Ja, aber …“-Antwort auf die großen Energiefragen.

Damit wollten sich Asbjørn Nes, Arthur Kordt und Ole Heggheim nicht zufrieden­ geben. Die drei Norweger be­ gannen 2017, Windenergie ganz neu zu denken: effizien­ ter, beständiger und kosten­ günstiger als alles, was es bis dahin gab. Das Ergebnis ist der „Wind Catcher“. Dabei handelt es sich um eine Offshore-Windkraft­ anlage, bestehend aus rund 100 kleinen Windrädern, die 18

Um mehr als 70 Meter über­ ragen die größten Kreuzfahrtschiffe die Wasser­ oberfläche.

324 Meter hoch: der Eiffelturm, eines der Wahr­ zeichen von Paris

INNOVATOR

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I N N O V AT O R

EFFIZIENTER, BESTÄNDIGER UND KOSTENGÜNSTIGER ALS ALLES, WAS ES BISHER GAB.

in einem gut 300 Meter hohen Gerüst angeordnet sind. Die Innovation liegt in der Kom­ paktheit der einzelnen Tur­ binen – die Rotorblätter sind gerade mal 15 Meter lang – und deren Anordnung. Her­ kömmliche Windräder kön­ nen Windgeschwindigkeiten bis 11 m/s in Strom umwan­ deln, der „Wind Catcher“ hält bis 17 m/s mit. Was nach einem Plus von knapp 50 Pro­ zent klingt, ist tatsächlich ­eine Vertausendfachung der erzeugten Strommenge, weil die Ausbeute exponentiell­ steigt. Ein weiteres Plus bringt die schlaue Anordnung der Rotoren: Sie verwirbeln die Luft und erzeugen damit ­zusätzlichen Wind, den der Nachbarrotor wiederum als Energiequelle nützen kann.

Anstelle eines großen Rotors setzt der „Wind Catcher“ auf einen Cluster mit über 100 kleinen Windrädern.

G E R I N G E R E KO S T E N

ALEX LISETZ

Das Standardmodell des „Wind Catcher“ ist 324 Meter hoch und soll in der Lage sein, eine Stadt mit 250.000 Einwohnern mit Strom zu versorgen. Geplante Inbetriebnahme des ersten Prototyps ist bereits dieses Jahr.

INNOVATOR

93 Meter hoch: die Freiheits­ statue vor New York

Kenner der Materie werden nun sagen: Offshore? Okay. Gute Idee, weil es dort per­ manent relativ viel Wind gibt und sich keine Anwohner ge­ stört fühlen. Aber sie werden auch den Kopf schütteln und sagen: Offshore bedeutet ­unheimliche Kosten bei Er­ richtung und Erhaltung. Rechnet sich niemals. Valider Punkt, aber nicht in diesem Fall: Denn der „Wind Catcher“ lässt sich dank seiner kom­ pakten Konstruktion ver­ gleichsweise einfach aufs Meer transportieren und dort ver­ ankern. Und wenn im Betrieb einer der Rotoren Schaden nimmt, läuft die Anlage­un­ beeindruckt weiter. ServiceIntervalle sind planbar und lassen sich gegebenenfalls ins nächste Schönwetterfenster verschieben, das spart erheb­ liche Kosten. Außerdem soll der „Wind Catcher“ nicht wie eine herkömmliche Wind­ kraftanlage 20 Jahre, sondern 50 Jahre lang Strom erzeugen – was Ökonomen und Öko­ logen gleichermaßen freut. 19


I N N O V AT O R

B U L L E VA R D

Diamonds are ­forever (MNSMasken hoffent­ lich nicht): So schön kann nachhaltiges ­Upcycling sein.

U P CYC L I N G

Hightech-Alchemie: wie der Schweizer Schmuckhersteller „mood“ gebrauchte Mund-NasenMasken in etwas sehr Edles verwandelt – und obendrein die Natur schützt.

Sie schützen uns seit nun­ mehr zwei Jahren, in denen uns das Coronavirus intensiv be­schäftigt: Mund-NasenSchutzmasken sind zu oft ­lästigen, aber unverzichtbaren Accessoires unseres Alltags geworden. Doch was den Menschen hilft, gefährdet zunehmend die Umwelt. Ein Großteil der zig Milliarden benutzten Masken aus Polypropylen wird im ganz normalen Hausmüll entsorgt. Viele landen auch dort, wo wir sie keinesfalls sehen wollen: auf Gehsteigen oder 20

mitten in der Natur. Im Pazifik kreist bereits eine mehrere Quadratkilometer große ­„Insel“ aus Plastikmasken. Deren Halbwertszeit beträgt ein paar Jahrhunderte, sagt die Forschung. Zum Glück macht Not auch erfinderisch. Könnte man nicht etwas Schönes und Wertvolles aus dieser Rohstoffquelle machen? Das fragte sich der Schweizer Schmuckhersteller mood. Die Firma aus Orbe im Kanton Waadt stellt seit 2004 stilvolle Ringe her, die aus einer Edelstahl- oder Titanfassung und verschiedensten Auf­ sätzen („Add-ons“) be­stehen, die sich je nach Laune aus­ tauschen lassen. E D E L S T E I N E A U S A B FA L L

Das zukunftsweisende Projekt des Masken-Upcy­clings von mood funktioniert folgendermaßen: Jeweils ein Labor-Diamant kann unter hohem Druck (150 Kilo­bar)

Schmucke Verwertung: Unter hohem Druck und großer Hitze werden aus alten MNS-Masken Kunstdiamanten hergestellt.

und großer Hitze (1200 bis 1400 °C) aus einer benutzten Maske hergestellt werden. Diese werden dann zu Ringaufsätzen weiterverarbeitet. Bei mehr als 50.000 Kunden weltweit kann man also davon ausgehen, dass schon bald viele einstige Schutzmasken als Diamanten am Finger getragen werden. Wer das Projekt unterstützen möchte, kann seine gebrauchten Masken übrigens ganz einfach an den mood-Store in Orbe senden. Sämtliche ­Informationen dazu ­finden sich auf der Website. yourmood.net INNOVATOR

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ZÜNDSTOFF DER ZUKUNFT

KREATIVITÄT IST DER INNOVATOR

Kaum ein Land ist so innovativ wie Deutschland.. Diesen Geist feiern wir mit einem Special auf den folgenden Seiten. Wir stellen die besten Er­findungen vor, verraten, wie die Profis auf originelle Ideen kommen – und was das für dich persönlich bedeutet.

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Kreativität

NEU DENKEN

EIN ESSAY ÜBER DIE WICHTIGSTE KOMPETENZ DES MENSCHEN.

PROF. BERND THOMSEN, 60, ist Zukunftsexperte und CEO der Managementberatung THOMSEN GROUP, die seit rund vierzig Jahren weltweit aus­gewählten ­Regierungen, Institutionen und Unternehmen in Schlüssel­industrien hilft, die Chancen­des Wandels zu nutzen. Er lehrt in Asien und Europa, schreibt Bücher und wählt Hochbegabte für die Bundesrepublik Deutschland aus. Er lebt in Hamburg und Miami. thomsen.de linkedin.com/in/profberndthomsen/

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INNOVATOR


Der Berliner Künstler Martin Roller, von dem auch unser Cover stammt, kombiniert gerne gewöhnliche Dinge zu etwas Neuem. Beispiel: seine „Orangenwelt“

A

THOMSEN GROUP, MARTIN ROLLER

Am 27. Juli 1890 schoss sich ein Mann eine Kugel in die Brust. Er war ein Kreativer, dessen umfang­ reiches Werk viele Künstler nach ihm beeinflussen sollte. Die Preise für seine Werke erreichen heute schwindelerregende Höhen. Zu Lebzeiten musste er von seinem Bruder unter­stützt werden, denn außer­ halb der Familie konnte er nur ein einziges Gemälde verkaufen. Sein Name: ­Vincent van Gogh. Und auch Rembrandt, dem bedeutendsten niederländischen Künstler des Barock, erging es nicht anders. Er starb ebenfalls in Armut. Heute ist die Situation für viele Kreative kaum anders: Die Tages­zeitung „taz“ berichtete, deutsche Kunstschaffende verdienten durchschnittlich nur knapp 700 Euro im Monat. Im Alter seien es gar nur 357 Euro Rente. 80 Prozent aller Künstlerinnen und Künstler brauchen einen Nebenjob, um über die Runden zu kommen. Aber muss Kreativität immer „brotlose Kunst“ sein? Oder verkennen wir ihr Erfolgspotenzial?

Kreativität als Wirtschaftsfaktor Finanzieller Erfolg basiert bekanntlich auf Wert­ schöpfung. Sie beschreibt zum einen, um wie viel der monetäre Output den Input übersteigt. Sie ist aber auch das Ergebnis der Realisierung von ideellen und ethischen Werten. Denn diese tragen zu inno­ vativer Führung bei – die wiederum wirtschaftlichen Erfolg schafft. INNOVATOR

Diese Beziehung zwischen Kreativität und Erfolg beleuchtet die renommierte­ Studie von Emanuela Marrocu und Raffaele Paci, „Education or Creativity: What Matters Most for Economic Per­ formance?“, durchgeführt in 257 Regio­ nen der Europäischen Union. Ihr Fazit: ­Kreative Berufsfelder haben im Vergleich zu nichtkreativen einen rund viermal (!) so starken Effekt auf die Produktivität. Dagegen steht die weit verbreitete Vor­ stellung, Kreativität habe wenig mit Busi­ ness, sondern eher mit bildender Kunst, vielleicht noch mit Werbung zu tun. Hier der Kaufmann, dort der Kreative­ – diese Vorstellung ist schon heute nicht richtig. Und wird sich morgen und über­ morgen erst recht als grundfalsch her­ ausstellen. Die Zukunft wird beweisen, dass Kreativität nicht nur für einzelne Berufsfelder, sondern für jede Berufs­ gruppe, ja jeden Menschen ein unver­ zichtbares Kapital ist.

Unrulity: Ausbruch aus der Norm Kreativität ist meist ein Regelbruch, der etwas Neues schafft. Einer der Ver­ treter­dieser „Unrulity“ ist Steve Jobs. Der Apple-Gründer fasste seine Sicht wie folgt zusammen: Man könne sie verachten, aber nicht ignorieren, die positiven Nonkonformisten, die den Status quo missachten. Sie identifizieren überholte­Formeln, werfen sie über Bord und ersetzen sie durch innovative. Statt im vermeintlich ruhigen Hafen zu liegen und dann doch im Orkan neuer Wett­ bewerber unterzugehen, führen kreative Unternehmer ihre Firma lieber selbst in und durch einen Sturm. Das rüttelt ein Unternehmen zwar richtig durch, belebt es aber zugleich.

Mensch vs. Maschine Diese kreative Stimulation ist vor allem in der Bildung dringend vonnöten – denn Schulen vermitteln leider nicht die Fähig­keiten, die jeder Einzelne von uns in den nächsten Jahrzehnten zwingend benötigen wird. Deswegen ist das deutsche Bildungssystem in seiner jetzigen Form auch nicht zukunftsfähig. Wären unsere Schulen Firmen, wären 25


Kreativität

sie längst pleite. Kein Firmenchef würde in Mit­ arbeiterfortbildungen investieren, die sich mittelfris­ tig zu 90 Prozent als ziel- bzw. ergebnislos erweisen. Wofür müssen wir Menschen noch lernen, wenn ­immer mehr Maschinen vieles besser können als wir? Worauf müssen wir unser Wissen ausrichten, damit­ wir als Menschen „wettbewerbsfähig“ bleiben? Wenn die Kinder, die heute eingeschult werden, in Rente gehen, werden zwei menschliche Fähigkeiten zentral sein: Kreativität und Soziabilität!

Einheits-Bildungsbrei nicht schmeckt, nicht mehr als die „Schwächsten“ oder „Abgehängten“ gebrandmarkt werden. Online werden sie sich in digitalen Par­ allelwelten mit maßgeschneiderten Programmen ihr persönliches Skillset zu­ sammenstellen und offline ihre kreativen und sozialen Fähigkeiten entwickeln.

Dieses Erfolgspaar macht uns gegenüber der künf­ tigen Konkurrenz – den Robotern – mit ihrem schier unendlichen Wissensspeicher überlegen. Es ist unser wichtigstes menschliches Kapital, weil wir anders als Maschinen mit Unrulity-Denken algorithmische Muster brechen und zukunftsweisende Ideen ent­ wickeln können. Dagegen produziert die Schule heute oft totes Wissen. Damit versetzen wir unsere Kinder nicht in die Lage, ihr kreatives und soziales Kapital optimal zu nutzen.

In der Schule der Zukunft kann sich ent­ falten, was auch für Erwachsene enorm wichtig ist: kindliche Neugier, Bedenken­ losigkeit und Freude. Oder kurz, als Summe dieser Fähigkeiten: „Kidability“. Kinder sind neugierig, wissenshungrig und wollen hinter den oberflächlichen Details zum Kern der Sache vordringen. „Warum“, fragte die dreijährige Tochter des Physikers Edwin Land, „kann ich unsere Fotos nicht sofort sehen?“ Land dachte darüber nach und gründete 1937 in Boston eine Firma. Das war die Ge­ burtsstunde von Polaroid. Mittlerweile ist das Unternehmen im 3D-Druck tätig.

Die Schule der Zukunft Statt hauptsächlich zu pauken, was sich längst goo­ geln lässt, sollten Kinder in Fächern wie künstliche Intelligenz die Chancen und Risiken neuer Techno­ logien kennenlernen. Damit sie ethisch und fachlich mit den Herausforderungen der Zukunft umgehen können. 2050 werden Lehrpläne vielfältiger sein und auch Fächer wie „Happiness“ enthalten. Glück ist nämlich ebenso wichtig wie Sport oder Biologie und kann durch eine bewusste Lebensführung be­ günstigt werden. Und die muss man lernen. In den Niederlanden ist Happiness bereits ein Unterrichts­ fach. Es trainiert nicht nur Selbstvertrauen und Fehlertoleranz, sondern auch Soziabilität. Kinder in den Niederlanden sind laut einer UN-Studie weniger übergewichtig, trinken weniger Alkohol,­haben spä­ ter Sex, reden mehr mit ihren Eltern und sind nach der Schule seltener arbeitslos. Und sie sind freiere,­ auto­nomere Persönlichkeiten mit geringerem Obrigkeitsglauben.

Kernkompetenz: Kidability

Start-ups: Fehler werden begrüßt Kidability macht kreativer. Das klappt aber nur, wenn Scheitern erlaubt ist und Fehler begrüßt werden. Im Innovations­ zeitalter müssen Misserfolge gewisser­ maßen als Preis für den späteren Erfolg einkalkuliert werden. Das Geheimnis von Innovationen haben viele Start-upUnternehmer verstanden. Sie nehmen – wie Kinder – kein Blatt vor den Mund

Auch die Frage, warum eigentlich alle das Gleiche lernen müssen, wenn jedes Kind anders ist, wird sich im Jahr 2050 erübrigt haben. Technologie wird es in Zukunft möglich machen, dass Kinder, denen der

Kreativität und Geselligkeit gehören in die Lehrpläne unserer Schulen. Sie sind unser wichtigstes Kapital gegenüber Robotern. 26

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Das Ziel von Rollers Arbeit: „neue bildliche Vokabeln erzeugen“. Wie die „Bananenschuhe“

MARTIN ROLLER

und lernen lieber aus ihren Fehlern, als den Kopf in den Sand zu stecken. Ver­ änderung macht dort niemandem Angst, weil sich alle der viel größeren Gefahr bewusst sind: durch Disruption hinweg­ gefegt zu werden. Die Augen zu verschließen, das scheint oft der deutsche Weg zu sein, der bessere ist es nicht! Anders als viele Erwachsene gehen Kinder mit offenen Augen durch die Welt und lösen eine Aufgabe nicht selten kreativer und besser, weil sie beim Denken keine normativen Grenzen haben. Das zeigt eindrucksvoll die so­ genannte Marshmallow-Challenge. Ein Experiment, bei dem die Teilnehmer aus ungekochten Spaghetti, Klebeband und einer Schnur einen Turm bauen sollen mit einem Marshmallow an der Spitze. Am erfolgreichsten waren weder BWLStudenten noch Rechtsanwälte, sondern Kindergartenkinder. Während die Er­ wachsenen ihre Zeit mit überbordender Planung verschwendeten, legten die Kids gleich mit Prototypen los und lernten aus ihren Fehlern. Wir Erwachsenen limitie­ ren uns oft mit den guten wie schlechten Erfahrungen, die wir in der Vergan­ genheit gemacht haben. Das ist jedoch tückisch, wenn es um Innovation geht. Denn damit laufen wir Gefahr, neue Ide­ en im Keim zu ersticken. Oder wir stellen viel zu spät fest, dass eine auf Erfahrun­ gen basierende Theorie nicht funktio­ niert. Dann haben wir eine Menge Geld, Zeit und Energie und im schlimmsten Fall eine erfolgreiche Zukunft schon in der Gegenwart vergeudet. Mit Kid­ability INNOVATOR

gelingt es Führungskräften, dass ihre Teams im Kopf jung bleiben, egal wie alt sie sind. Und dass alle ge­ meinsam die höchsten Türme bauen, also Lösungen für Herausforderungen finden, die noch keiner so genau kennt.

Kreativität = Anspannung + Entspannung Natürlich stimmt es, dass Maschinen bereits heute einiges besser beherrschen als wir Menschen, weil sie Muster deutlich schneller und genauer berechnen und interpretieren können. Was also können wir Menschen tun, um unsere einzigartige Kreativität als Zündstoff zu nutzen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Besuch bei William Duggan. Der Professor für Strategische Intuition an der Columbia University in New York sagt: Manchmal seien es nur Momente, die Kreativität in einem einzigen Gedankengang hervorbringen. Solche Geistesblitze kämen oft in entspanntem Zustand, etwa unter der Dusche, wenn wir uns nicht verkrampft auf die Lösung einer bestimmten Aufgabe konzentrieren. Das klappt übrigens umso besser, je mehr wir uns zuvor einem ebenso konkreten wie relevanten Ziel verschrieben haben. Dieser Mix aus Anspannung und Entspannung verschafft uns den Vorteil aus kreativer und sozialer Kompetenz, in denen uns zumindest in diesem Jahr­ hundert kein Roboter schlagen wird. Wir haben es in der Hand, unsere Kreativität so zu nutzen, dass wir nicht mehr anstreben, die Besten der Welt, sondern die Besten für die Welt zu sein. 27


Kreativität PROBLEMLÖSER Entwickelt seit fast 30 Jahren kreative Lösungen: Axel ­Unger, Partner bei IDEO

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WILLKOMMEN IM ZENTRUM DES BRAINSTORMS

IDEO ist eines der kreativsten Unternehmen der Welt. Seit mehr als 30 Jahren entwickelt die Design- und Innovationsberatung Lösungen für andere. IDEO-Partner Axel Unger verrät uns ihre Erfolgsformel. TEXT Pauline Krätzig FOTOS Urban Zintel

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Kreativität

S

Steve Jobs klopfte 1980 an die Tür von David Kelley und Dean Hovey. Da führten die beiden Stanford-Absolventen gerade seit zwei Jahren ihr Design- und Ingenieurbüro Hovey-Kelley in einer kleinen Seitenstraße in Palo Alto. „Wir müssen eine Maus bauen“, sagte Jobs. „Das klingt interessant“, sagte Hovey, der zuerst keine Ahnung hatte, was Jobs meinte. Sie sollten ein Computernavigationsgerät schaffen, das zuverlässiger und radikal kostengünstiger war als alle anderen auf dem Markt. Niemand weiß heute genau, warum die aufstrebende Apple Inc. ein kleines Start-up für diese saftige Aufgabe ­anheuerte. „Wir dachten, dass Steve vielleicht nicht genug Fleisch zu essen bekommt“, erinnerte sich Designer Jim Sachs später, „aber für 25 Dollar die Stunde hätten wir ihm auch ­einen solarbetriebenen Toaster entworfen.“ Stattdessen entwickelten sie eines der kultigsten und maßgebenden Produkte von Apple. Aus einer Butterdose und einem Deo-Roller. Aber dazu später mehr. So begann die Erfolgsgeschichte von IDEO, einer der weltweit erfolgreichsten Design- und Innovationsberatungen, die 1991 aus Hovey-Kelley Design hervorging. Seitdem ist viel passiert. Gründerwellen umfluten die Märkte, Geschäftsmodelle ver­ alten rasant. IDEO erschien zu einer Zeit auf der Bühne, als Unternehmen es sich noch leisten konnten, Innovation zu ­ignorieren. Der globale Wettbewerb nötigt sie heute dazu, sich ständig neu zu erfinden – auch Familien- und Traditionsunternehmen wie Bosch und Ford, deren Kernmärkte heute in China und den USA liegen. Nicht mal ein Marktführer wie Apple kann sich auf seinen Mäusen ausruhen. IDEO hat sein Angebot der komplexen Umwelt angepasst. Es geht längst nicht mehr darum, einzelne Objekte zu designen. Mit seinen Methoden gestaltet IDEO ganzheitliche Themenund Erfahrungswelten – für alle Branchen von der Industrie über die Mobilität bis zum Finanzsektor, von Apple bis Zalando. Und obwohl es immer mehr Firmen gibt, die Verbraucher-

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forschung in Produkte und Dienstleistungen umwandeln, und obwohl Beratung, die auf Designprinzipien basiert, boomt, geht es IDEO nach wie vor bestens – an all seinen acht Standorten auf drei Kontinenten, ­davon zwei in Europa: London und München. Wie machen die das? ­Woher kommt ihr Einfallsreichtum? Wie bleibt man der Konkurrenz immer eine Idee voraus? Und wie arbeitet man überhaupt kreativ? Was läge ­näher, als IDEOs bayerische Zweigstelle um Antworten anzuzapfen.

Das offene Geheimnis

Das Münchner IDEO-Büro befindet sich in einem rostroten restaurierten Fabrikgebäude mit hohen Fenstern. 1893 erfand einer der Vorbesitzer, der Schlossermeister Andreas Schärfl, dort eine patentierte „Hebelblechschere“. Ein geistreicher Ort also, an dem das hiesige Team seine Gedanken ausbreiten kann. Ein verzweigter Bau, durch dessen Windungen Marketing-Lead Elisa Meyer führt, vorbei an einer Bibliothek, einer BongoTrommel, einer Fotowand mit glücklichen Gesichtern zum „Elephant Room“. Dort wartet Axel Unger in ­einem Stuhl mit Elefantenohren-­ Lehnen geduldig auf seinen Einsatz. Der 49-Jährige ist Partner von IDEO und seit 1995 fast ununterbrochen Zahnrad der Denkfabrik. Er hat ­einiges zu erzählen. Die Menschen aus dem IDEO-Kosmos werden ständig nach dem kreativen Geheimnis ihres Unternehmens gefragt. Dabei machen sie gar kein Geheimnis daraus. IDEO teilt sein Wissen und seine Methoden freizügig auf diversen Kanälen, online und ­gedruckt. „Der Unterschied zu klas­ sischen Beratungsfirmen ist, dass wir nicht möglichst viele Projekte verkaufen wollen, sondern Innovation verinnerlichen“, sagt Unger und legt frei nach Konfuzius nach: „Wir geben den Leuten nicht einfach einen Fisch. Wir zeigen ihnen, wie man fischt.“ Nobel, aber: Schafft sich IDEO damit nicht selbst ab? „Unser Ziel ist es im Grunde, uns durch die Arbeit mit dem Kunden für diesen überflüssig zu machen“, bestätigt Unger. IDEO muss aber auch nicht um seine Existenz fürchten. Ständig poppen neue Märkte auf, nicht zuletzt neue gesellschaftliche Herausforderungen wie der Klimawandel. Es herrscht genug INNOVATOR


Kleine Kreativ-Helfer Dürfen bei keiner BrainstormingSession fehlen: Axel Unger beim Beschriften von Post-its

Bedarf an innovativen Lösungen für zunehmend komplexere Probleme. IDEO hilft Unternehmen und Orga­ nisationen, in einer Welt des Über­ flusses relevant zu bleiben – durch „Innovation Labs“ als Werkzeug, aber vor allem, indem IDEO allen Beteilig­ ten langfristig Innovationsgeist ein­ haucht. Es reicht einfach nicht, ein Instagram-Profil zu erstellen und auszusitzen, ob das die Zukunft be­ eindruckt. Oder eine externe „Future Task-Force“ zu chartern, die nach Wochen im Elfenbeinturm einen Ordner mit Ideen auf den Tisch knallt, mit denen der Kunde nichts anfangen kann. Wie bringt man ein ganzes Unternehmen dazu, auf Dauer innovativ zu sein?

Innovations-Infusionen

Wir spielen keine Solos, wir sind ein Orchester. Und wir teilen unsere Noten und Instrumente gerne mit anderen. AXEL UNGER, PARTNER BEI IDEO

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Auf den Namen „IDEO“ kam Mit­ gründer Bill Moggridge, als er ein Wörterbuch durchblätterte. Ideen liegen oft so nah – aber nur, wenn man ihnen nahe kommt und dann richtig hinsieht. Deshalb involviert IDEO bei jedem Projekt auch die Mit­ arbeiter eines Kunden in den Innova­ tionsprozess, holt gerade die CEOs aus ihren Führungsetagen auf den Boden zu den Zielgruppen. Top-­ Manager lässt IDEO auch mal Holz­ klasse fliegen oder in Lingerie-Stores shoppen, damit sie den Eindruck ­ihrer Passagiere oder Käuferinnen gewinnen. Den verlieren Vorstände im Eifer von Meetings und BusinessDinnern nämlich oft aus den Augen. Der Wurm muss dem Fisch schme­ cken, nicht dem Angler. Und während der Kunde diverse Köder ausprobiert, den richtigen vielleicht sogar selbst entdeckt, implementiert sich der ­Reformgeist bereits. „Viele Menschen sprechen sich Kreativität ab“, so ­Unger. „Dabei wird jeder Mensch mit einer Veranlagung zur Kreativität ge­ boren, sie muss aber bewegt werden, wie ein Muskel.“ Stattdessen wird sie im Bildungssystem oft erdrückt und auch im Berufsalltag nicht eben ge­ fördert. IDEO feuert sie an: „Vor ein paar Jahren wollte die Lufthansa ­ihren Business-Class-Service ver­ 31


Kreativität

Das Gehirn braucht Pausen, um kreativ zu sein. Deshalb stehen bei IDEO u. a. Musik­ instrumente für die Mitarbeiter bereit.

bessern und den fünften Stern bei der Rating-Agentur Skytrax erreichen“, erzählt er. „Viele Ideen kamen letztlich von Lufthansa-Leuten “ – und, Spoiler: Sie erreichten den Stern. Human Centered Design nennt IDEO seinen holistischen, integrativen Ansatz, bei dem alle am Projekt Beteiligten die Perspektive des Konsumenten einnehmen und sich auf dessen Bedürfnisse konzentrieren. Vielleicht tragen deshalb so viele Mitarbeiter (IDEOer) eine Brille, weil sie so nah an Probleme rangehen, dass man sie eben nicht mit der Nase auf Lösungen stoßen muss. „Das Ergebnis muss nicht schön sein, sondern funktio­ nieren, damit die Menschen es in ihr Leben integrieren können und wollen“, sagt Unger, der eine Brille mit transparentem Gestellt trägt, und entzaubert die hartnäckige Annahme, Design müsse immer optisch etwas hermachen. Zukunft bedeute auch nicht automatisch künstliche In­ telligenz: Eine Lösung muss Sinn ­er­geben, nicht zwanghaft heißer Hightech-Shit sein.

Im Kopf des Kreativen

Was ist überhaupt Kreativität? Wie ist man kreativ? Der individuelle geistige Schaffensprozess ist schwer, wenn nicht unmöglich begreif- oder messbar – höchstens am ökonomischen Erfolg der Innovation, die aus ihr entsteht. Die Design-Forschung durchleuchtet seit den 1960er-Jahren die Köpfe von Kreativen, um zu entschlüsseln, wie sie denken, Ideen zünden, Aufgaben angehen. Als Quintessenz destillierte sie das ­Design Thinking, das David Kelley später mit IDEO prägte und mit ­eigenen Methoden wie dem Human Centered Design als Konzept vermarktete. Design Thinking ist kein strikter Ablauf, keine Liste zum ­Abhaken, vielmehr ein organischer Ansatz, der sich schrittweise an kreativen Phasen orientiert. Das Ende bleibt offen, denn „starre Ziele sind nicht zielführend“, weiß Unger, auch 32

wenn es heute oft heißt: „Ich will ­genau das, und zwar sofort.“ IDEO nimmt sich für jedes Projekt erst mal Zeit. Das erfordert Mut und Über­ zeugungskraft, ist aber erforderlich. Viele Unternehmen tun sich anfangs schwer mit den Grundprinzipien des Design Thinking – Wie kann etwas ohne Garantie erfolgversprechend sein? –, bis sie merken, wie viel effi­ zienter, effektiver und profitabler sie danach arbeiten. Außerdem sind Kunden oft überrascht, wie schnell IDEO neue Projekte realisiert. Das liegt daran, dass man dort schneller scheitert.

Jede Innovation ist mit Misserfolgen gepflastert. Und je früher sie passieren, desto besser.

Schneller scheitern

Am Anfang eines Projekts wird gebrainstormt. Bei IDEO ist der Storm eher ein Hurricane mit bis zu hundert Ideen pro Stunde, die besten nehmen fix Form an. Das Maus­ projekt von Apple ist Paradebeispiel für IDEOs Rapid Prototyping. David ­Kelley zerschnitt den Schaltknüppel seines BMW, als er mit Formen ex­ perimentierte. Dean Hovey zerlegte zu Hause seinen Kühlschrank, streifte durch Apotheken und Haushalts­ warenabteilungen, um Teile zu ­sammeln. „Wir haben nur versucht, fertig zu werden, damit Steve Jobs uns nicht verkloppt“, sagte Kelley ­später, aber es steckte schon System INNOVATOR


Wie alles begann David Kelley (* 1951) studierte Elektro­ technik und nennt sich selbst einen lausigen Ingenieur. In den 70erJahren arbeitete er ­den­noch unter ande­ rem bei Boeing in der

David Kelley

Entwicklung und ent­ warf das Besetzt­ zeichen für die WCs der 747-Jumbo-­Jets. Da reizte ihn der neue ­Studiengang Produkt­ design an der StanfordUniversität deutlich mehr, 1978 machte ­Kelley darin seinen zweiten Abschluss und gründete im selben Jahr mit seinem Kom­ militonen Dean Hovey das Design- und Inge­ nieur­büro Hovey-Kelley im Innovations-Hotspot ­Silicon Valley. Nach ­Hoveys Abgang 1991 tat Kelley sich mit

den Designstudios von Bill Moggridge ­(Designer des ersten Laptops) und Mike ­Nuttall zusammen. Zu dritt entfalteten sie zwischen Post-its, einem Xylofon und ­einem ­Vintage-VW-Bus die Design- und Inno­ vationsberatung IDEO, die heute insgesamt acht Standorte hat, ­darunter in San Fran­ cisco, Shanghai, Tokio, London und München.

Das Produkt, mit dem alles ins Rol­ len kam: 1980 be­ auftragte Apple IDEO mit der Ent­ wicklung einer Computer-Maus. Das grundlegende Design des Me­cha­ nismus wird in praktisch allen bis heute produ­ zierten mechani­ schen Mäusen ­ver­wendet.

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dahinter. „Prototypen sind das Lern­ vehikel, an dem man sich orientiert und entlangtestet“, erklärt Unger. Wenige Tage nach dem ersten Tref­ fen mit Jobs legte Hovey-Kelley den ­ersten Prototyp vor: Ein DeorollerBall diente als Mauskugel, der Plastik­deckel einer Butterdose als Gehäuse. Dabei blieb es bekannter­ maßen nicht – alle Schlüsselkom­ ponenten der Maus wurden bis zur gummierten Ballbeschichtung ver­ feinert. Die ersten Prototypen eines Projekts werden geboren, um zu ­sterben, sie fallen zwangsläufig dem Denkprozess zum Opfer. „Jeder Weg zur Innovation ist unter anderem auch von Misserfolgen ge­ pflastert“, weiß Unger. Je früher sie passieren, desto besser – natürlich nur, wenn man auch daraus lernt. Sonst steht man nach Monaten des Hirnwindens vor vollendeten Tat­ sachen und merkt zu spät, wie un­ vollendet diese sind. In München gibt es sowohl eine analoge Werk­ statt mit Drehbank wie auch eine ­digitale mit 3D-Drucker. Dort ent­ stehen aber nicht etwa Miniatur­ modelle oder technische Skizzen für Konferenztischsitzungen, die das Vorstellungsvermögen aller An­ wesenden strapazieren. Die Teams stellen je nach Projekt maßstabs­ getreue Prototypen her und realitäts­ getreue Situationen nach. Inzwischen kann ein Prototyp alles sein: Hard­ ware wie die Kugelmaus, digital wie App und Website des Mobility-Startups Wirelane oder eine Dienstleis­ tung wie für Lufthansa.

Befreiung des Geistes

Mit rund 700 IDEOern weltweit, allein 100 in Europa, dürften IDEO die ­Ideen nicht allzu schnell ausgehen, prophylaktisch bietet das Unter­ nehmen seinen Teams alles, was das Hirn begehrt und nicht blockiert: ­außer Zeit viele weitere Freiheiten. Im Großraumbüro München bezieht

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Kreativität ein Team für die Dauer seines Projekts einen von sechs schließbaren Räumen. Dort brütet es aber nicht wochenlang über Flipcharts und hält sich mit Protokollen und Hypothesen auf. Die meiste Zeit sind IDEOer unterwegs, um Informationen und Inspiration zu sammeln. Wer im ­Museum geistig aufblüht, geht dorthin, ohne zuvor Freigang beantragen zu müssen. Die Suche nach ansprechenden Erfahrungen für das Lufthansa-Projekt führte IDEOer bis nach Tokio zu einer Teezeremonie, zurück ins Münchner Büro, wo das Team mit einem Prototyp aus mehreren Business-Class-Sitzen die Service-­ Situation nachstellte, und in eine Halle in Frankfurt, um einen ZehnStunden-Flug zu simulieren. „Einmal durften wir einen Operationssaal samt Instrumenten neu gestalten und haben uns hierfür im Motorsport beim Boxenstopp inspirieren lassen“, erzählt Unger. „Dort arbeitet man ähnlich präzise und unter Druck.“ Keine Idee ist zu irrwitzig; man weiß nie, ob etwas funktioniert, solange man es nicht versucht hat. Womöglich stellt sich heraus, dass man ­Fische am besten mit Mixtapes von Lionel Richie und Sachertorte fängt – oder auf veganen Fisch umsteigen sollte.

Gemeinsam ins Feld

Solche Meta-Erkenntnisse schöpfen IDEO-Teams nicht, indem sie online empirisch eine Zielgruppe X befragen. Sie studieren Konsumenten in deren natürlichen Lebensräumen. „Wenn du eine Software verbessern willst, musst du nur ihre User beobachten. Sobald sie das Gesicht verziehen, weißt du, wo’s hakt“, sagte David

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Kelley einmal. Er erweiterte den Blickwinkel von Anfang an, indem er auf inter- und multidisziplinäre Teams setzte: auf IDEOer mit verschiedensten Backgrounds, von ­Industriedesign und Software-­ Entwicklung bis Psychologie und ­Anthropologie. „Wir wollen nicht Leute, die wie wir sind. Wir wollen als Kultur wachsen“, sagt Unger und erzählt von Rheumatoider Arthritis: „Wir haben einmal eine ältere Dame besucht, um zu sehen, wie sie ihre Therapie im Alltag umsetzt. Sie meinte, sie komme zurecht – wir ­ließen es uns trotzdem zeigen: Sie holte die Pillenschachtel mit der ­Kindersicherung und öffnete sie mit einem Messer. Das war völlig normal für sie.“ Solche Feinheiten für optimierte Lösungen findet man nicht mit Fragebögen heraus. Man muss zur Forschung ins Feld – und muss Antennen für die Be­ dürfnisse anderer Menschen haben, um die richtigen Fragen zu stellen. „Der Erfolg unseres Unternehmens hängt von Menschen ab, die nicht nur klug und talentiert sind, sondern eine große emotionale Intelligenz besitzen“, schreibt IDEO-Chairman Tim Brown auf seinem Design-ThinkingBlog. Diese ist nicht nur im Feld von Vorteil. IDEOs Grundwerte sind in einem kleinen roten Buch verewigt und in München an eine Wand tätowiert. Im Mittelpunkt steht: Teamwork. IDEO lebt vom „Wir“. Ein i­ soliertes, sozial auffälliges Genie braucht sich hier nicht zu bewerben. Narzisstische Persönlichkeiten sind hier ebenso falsch. Hinter jedem ­Erfolg steht ein Team. Und das „buildet“ IDEO nicht mit einer Rafting-Tour durchs Ötztal, sondern indem es zukünftige IDEOer sorgfältig aus der Ellbogengesellschaft pflückt: die Sorte, die anderen die Leiter zum Erfolg hält, anstatt sie runterzutreten. Bei IDEO erwartet sie dafür etwas, was ausgerechnet bei vielen Führungspersonen verkümmert ist: Respekt.

LAUTER GUTE IDEEN Projekt Lufthansa Um den Service in der Business Class zu opti­ mieren, stellte sich die Frage: Was bedeuten guter Service und Luxus heute? Was ist Reisenden wichtig? Leute von IDEO, Lufthansa und End­ kunden fanden gemein­ sam heraus: Vielreisende möchten Kontrolle über ihre Zeit und wünschen sich persönlichen Ser­ vice. Sie wollen ihre Essenszeit selbst be­ stimmen und persönlich angesprochen statt fließ­ bandartig ab­gefertigt werden. Die Crew nimmt Bestellungen nun wie im Restaurant auf – und nicht wie angedacht via Tablets, s ­ ondern auf schlichten Papier­ blöcken, die i­ntimer als Tech-Tools sind.

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Projekt Zalando Der Online-Versand­ händler wuchs rasant, kannte seine Kunden aber lange nicht. Wer kauft diese Mengen an Kleidung eigentlich? Mit IDEOs H ­ ilfe eröffnete Zalando ein ­internes Innovation-Lab, um neue digitale Produkte, Dienstleistungen und Erfahrungen zu entwickeln.

Projekt Innova

IDEO

Seit mehr als zehn Jahren realisiert IDEO Projekte mit Intercorp (einem Konglomerat multinationaler Unternehmen in Peru) – unter anderem im ­Gesundheits-, Finanzund Bildungswesen. Beispiel „Innova“: Hier­bei geht es um die Verbesserung des Schul­systems, um die vom Abstieg ­bedrohte urbane Mittel-

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schicht zu stärken. Der Plan, kostenlose Schulen anzubieten, war schnell passé – denn Gratis­ schulen werden dort als wertlos betrachtet. Stattdessen wurden die Schulgebühren gesenkt, die Schulen besser ausgestattet und Lehrkräfte ausgebildet. Mitt­ler­weile gibt es über 80 InnovaSchulen in Peru, Mexiko und Kolumbien.

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Kreativität

Einer für alle

Wir erinnern uns an den Physik­ unterricht: Die Energie aus Kartoffel­ stärke erzeugt Strom, um Lichter ­aufgehen zu lassen. Man hätte sich den Kopf von IDEO nicht besser aus­ denken können. David Kelley sieht aus wie ein Fleisch gewordener Mr. Potato Head, nur ohne das Extra­ paar „wütende Augen“. „Kopf“ ist auch das falsche Wort: Kelley ist das freundliche Gesicht des Unterneh­ mens und wie das Kultspielzeug nur mit all ­seinen Einzelteilen vollstän­ dig. Die meisten Vorstände kennen ihre An­gestellten mindestens so schlecht wie ihre Zielgruppe. IDEOer duzen sich und wissen: Die genialste Methode ist nichts ohne geniale Menschen, die sie umsetzen. Deshalb hegt und pflegt, fördert, unterstützt und be­fähigt IDEO seine kreativen Talente, um sie zu halten. Menschen wollen gesehen werden. Bei IDEO München wird regelmäßig eine Büh­ ne aus­geklappt, um Teams und ihre Projekte zu feiern. Seit kurzem testet IDEO die „Collective Rest Week“, eine Woche bezahlten Extraurlaub für alle IDEOer weltweit, damit de­ ren Birnen nicht durch- und sie selbst ausbrennen. IDEO scheint ­verstanden zu haben, woran viele Unternehmen mangeln und daher irgend­wann zerbröseln: wie elemen­ tar Wertschätzung und Vertrauen sind, damit Menschen treu bleiben und ­ihren Geistreichtum teilen.

Wer zuletzt lacht …

Natürlich kann einem dieses har­ monieorientierte und gelassene Auf­ treten von IDEO suspekt sein, und man mag sich über die eigentümli­ chen, mitunter planlos wirkenden Me­thoden, bunten Post-it-Papp­ wände, Tisch­kicker und die BongoTrommel lustig machen. Ist halt ein billiges Lachen, verhallt schnell. ­Viele Kunden haben ausgesprochen Spaß an der Zusammenarbeit mit IDEO und deren u ­ nkonventionellen Techniken, mit denen IDEOer Ideen freisetzen. U ­ nterschätze nie das in­ nere Kind. Bodystorming, Unfocus

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Wer ist Axel Unger? Axel Unger (*1972) ist halb Schwede, halb ­Österreicher, studierte Produktdesign an der Rhode Island School of Design in den USA, lebte und arbeitete danach in England und Italien. Jetzt spricht er fünf Sprachen mit leichtem österreichischen Akzent. 1995 startete er bei IDEO in Boston, machte nach fünf Jahren einen Abstecher

in die Wirtschaft und kehrte 2004 zu IDEO zurück. Heute arbeitet er für das Unternehmen in München. Als Partner hat Unger zahlreiche Innovationen mitgedacht. Stolz mache ihn der Erfolg des IDEO-Schul­ projekts in Peru, sagt er, weil es dabei nicht um ein Wachstum der Wirtschaft gehe, sondern um eines von Menschen – letztlich eines ganzen

Landes. „Wir wollen mit unserer Arbeit die Gesellschaft weiter­ bringen, nicht eine reiche Minderheit.“ Unger mag Gartenarbeit.

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Groups, Quick and Dirty Prototyping – das klingt irre. IDEO steht offen zu ­seinen Schwächen, zuweilen ins ­kreative Chaos abzudriften und von seiner kindlichen Neugier in den Wahnsinn getrieben zu werden. IDEO ist mehr als die Summe seiner Methoden und Agenturklischees.

ARTWORK BY EDUARDO ALVAREZ LUCAS

Zukunftskurs halten

So also bleibt IDEO innovativ. Wie aber bleibt eine Innovationsberatung progressiv? Dazu wird wohl kaum die Boston Consulting Group engagiert. IDEO verfolgt seit jeher das hehre Ziel, Positives in der Welt zu bewirken – „impact through design“ –, und bemüht sich auch um Projekte außerhalb der freien Wirtschaft: Mit den Innova-Schulen und den A ­ vida-Kliniken entwarf IDEO in Peru bereits ein neues Bildungs- und ­Gesundheitssystem. Deutschlands Schulsystem und -modell reformieren? „Ein Traumprojekt, das könnte unglaublich werden!“, sagt Unger. Auch der Politik könnte mehr Weitblick über den Bundestag hinaus und Citizen Centered Design guttun, „leider ist die Zusammenarbeit mit Regierungen bisher überschaubar“. Um sich im Wettbewerb weiter ab­ zugrenzen, will IDEO die Welt in­ zwischen ohnehin nicht mehr nur ver­ändern, sondern retten. Überspitzt gesagt: „Lösungen müssen mehr können, als Menschen und ­Unternehmen zu nützen. Sie müssen auch nach­haltig sein“, so Unger. Rechts vor dem „Elephant Room“ hängt ein v­ ertikales Pflanzenregal, daneben beleuchtet ein Bildschirm IDEOs P ­ rojekt mit dem rasend wachsenden Berliner Start-up „Infarm“, das Landwirtschaft für frische Lebens­ mittel ohne Pestizide und lange Transportwege in den urbanen Raum verlegt. „Wir können uns nicht mehr nur auf den Endkunden konzentrieren“, betont Unger noch einmal. Quasi Human and Nature Centered Design: Der Planet streut nun bei jedem Projekt grüne Post-its ein. Denn ohne Fische wird man niemandem mehr das Angeln beibringen können. INNOVATOR

VOM GEDANKEN ZUM DESIGN „Wir sind Experten für den Prozess, wie man Dinge entwirft. Man kann uns anheuern, um einen Automaten, eine Matratze, eine App oder ein Space Shuttle zu bauen, es macht keinen Unterschied“, sagte David Kelley einmal. Design Thinking ist das Fundament von IDEO, aber nur ein Element von vielen, um ganze Erfahrungs- und Themen­welten zu erschaffen. Design Thinking

Human Centered Design Der iterative Lösungsansatz beginnt beim Endnutzer und endet mit innovativen, auf dessen Bedürfnisse zu­ geschnittenen Lösungen. Nicht immer nämlich er­ fordert Fortschritt fette Investitionen. Oft reicht es schon, sich einfach gründlich der Zielgruppe zu widmen.

Rapid Prototyping Der in Stanford gelehrte ­Ansatz soll den Einfalls­ reichtum fördern und ist seit jeher ein Markenzeichen von IDEO. „­ Innovation bedeutet schnelles Experimentieren“, so ­Unger, und möglichst früh erste Lösungen, Szenarien oder Prototypen zu ent­ wickeln, um diese mit rele­ vanten Endnutzern zu testen.

Menschen unterschiedlicher Disziplinen arbeiten in einem inspirierenden Umfeld zusammen und entwickeln Konzepte, die mehrfach auf Nutzen, Umsetzbarkeit und Marktfähigkeit geprüft werden. Entwickler und Vertreter sind die Stanford-Professoren Terry Winograd, Larry Leifer und David Kelley.

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1 MANFRED VON ARDENNE Der Fernseher 2 FELIX HOFFMANN Aspirin

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3 KARLHEINZ BRANDENBURG Das mp3-Format 4 WERNER VON SIEMENS Die elektrische Straßenbahn 5 JOHANNES GUTENBERG Der Buchdruck 6 CARL FRIEDRICH BENZ Das Auto 7 UĞUR ŞAHIN UND ÖZLEM TÜRECI mRNA-Impfstoff 8 KONRAD ZUSE Der Computer 9 WILHELM CONRAD RÖNTGEN Die Röntgenstrahlung 10 KARL LEO Die OLED-Technologie

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LAND DER ERFINDER

EUROPEAN PATENT OFFICE, GETTY IMAGES (7), PICTUREDESK.COM (2)

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Keine Nation in Europa ist so kreativ wie Deutschland. Jedes Jahr melden wir die meisten Erfindungen an. Deshalb möchten wir an dieser Stelle die wichtigsten deutschen Erfindungen einmal gebührend würdigen.

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Kreativität

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Stellen Sie sich folgendes Sze­ nario vor: Es herrscht Lockdown, man sitzt zu Hause fest – und es gibt keinen Fernseher und keine Bücher. So viel Bananenbrot kann man gar nicht backen, um die ganze Zeit totzuschlagen. Aber zum Glück gibt es ja diese Errungenschaften. Und wer hat’s erfunden? Nein, nicht die Schweizer, sondern die Deutschen. Wir sind nämlich nicht nur das Land der Dichter und Denker – son­ dern auch der Erfinder. Jedes Jahr kommen aus Deutschland die zweitmeisten Erfindungen der Welt. Allein 2020 meldeten deutsche Unternehmen beim ­Europäischen Patentamt ganze 25.954 Erfindungen an. Mehr entwickeln bloß die USA (44.293 Patente). Anlass für uns, mal die wichtigsten deutschen Erfindun­ gen und ihre kreativen Schöpfer vorzustellen …

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ADOBESTOCK, PICTUREDESK.COM (2)

Der Hamburger Naturwissen­ schaftler ­Manfred von ­Ardenne (1907– 1997) hielt rund 600 Patente, viele davon auch im Bereich Funktechnik.

1DER FERNSEHER 1930, Manfred von Ardenne

Bewegtbilder gab es schon ab etwa 1926. Doch die Ap­parate wurden mechanisch b ­ etrieben, und die Bilder waren von schlechter Qualität. Der Ham­ burger Manfred von Ardenne entwickelte deshalb e ­ inen Leuchtfleckabtaster, mit dem die Bilder elektronisch und so­ mit flüssiger wiedergegeben werden konnten. Der Fernseher war nun massentauglich. 1931 stellte der Tüftler seine Erfindung auf der IFA Funk­ ausstellung vor. Vier Jahre ­später s ­ endete der deutsche Fern­sehsender „Paul Nipkow“ das erste Fernsehprogramm.

Warnung: Zum Aufhängen an der Wand völlig ungeeig­ net! Ein Fern­ seher der Marke Lorenz AG aus dem Jahr 1936.

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Kreativität 42

1897, Felix Hoffmann Wie genau es zu der Erfindung kam, weiß man heute nicht. Doch der Mythos geht so: Der Vater von Felix Hoffmann soll unter verschiedenen Beschwerden gelitten haben. Um die Schmerzen zu bekämpfen, nahm er Salicylsäure, die allerdings als Nebenwirkungen die Schleimhäute verätzte und zu Brechreiz führte. 1897 kam der junge Chemiker, der drei Jahre zuvor bei Bayer angefangen hatte, um neue Medikamente zu entwickeln, auf die Idee, die Salicylsäure mit Essigsäure zu verbinden. Das Ergebnis: die viel verträglichere Acetylsalicylsäure (ASS), der Wirkstoff von Aspirin.

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Felix Hoffmann (1868–1946) war ein deutscher Chemiker und Apotheker. Er arbeitete ab 1894 für das ChemieUnternehmen Bayer, wo er neben dem AspirinWirkstoff „ASS“ noch eine weitere Entdeckung machte: Heroin.

2ASPIRIN

Karlheinz Brandenburg (* 1954) beschäftigte sich schon in den 80ern in seiner Doktorarbeit mit der Komprimierung von Audio-Dateien. Von 2000 bis 2019 leitete der Elektrotechniker das Fraunhofer-­ Institut für Digitale ­Medientechnologie IDMT.


3DAS

MP3 - FORMAT 1991, Karlheinz Brandenburg

MP3 steht für MPEG-1 Audio Layer 3 und führte Ende der 90er-Jahre zu einer Musik­ revolution. Karlheinz Branden­ burg vom Fraunhofer Institut hatte damit eine Möglichkeit erfunden, Musikdateien zu komprimieren. Erst diese Technik machte es möglich, dass wir Songs im Internet ver­ schicken und auf dem ­Handy hören können. Der aller­erste MP3-Song war übrigens die A‑cappella-Version von „Tom’s Diner“ von Suzanne Vega.

Werner von Sie­ mens (1816–1892) gilt als Pionier der modernen Elektro­ nik. 1847 gründete er den Techno­ logiekonzern, der heute als Siemens AG bekannt ist.

4DIE

STRASSENBAHN

1881, Werner von Siemens Mit Elektrik kannte sich der ­Unternehmer Werner von ­Siemens bestens aus. 1880 stellte sein Unternehmen – ­damals noch unter dem Firmen­ namen „Siemens & Halske“ – bereits den ersten elektrischen Aufzug vor. Ein Jahr später folg­ te die erste elektrische Straßen­ bahn. Die 4,3 Meter lange ­Gondel nahm am 16. Mai 1881 die Fahrt auf und verkehrte in Berlin zwischen den Stationen Lichter­felde und Kadetten­ anstalt mit einer Geschwindig­ keit von 20 km/h.

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Kreativität

5DER

BUCHDRUCK 1450, Johannes Gutenberg

Die Idee von Johannes Gutenberg war eigentlich ganz einfach – aber sie löste 1450 eine Medienrevolution aus: beweg­liche Lettern aus Metall, die immer wieder verwendet werden konnten. Zusammen mit der von ihm erfundenen Druckpresse mussten Schriften nun nicht mehr mühsam von Hand abgeschrieben werden – sondern man konnte sie in kurzer Zeit vervielfältigen. Damit leistete er einen großen Beitrag zur Verbreitung der deutschen Sprache und zur ­Bekämpfung des Analphabetismus. Und ohne ihn gäbe es auch diese Ausgabe nicht.

Viel ist über Johan­ nes Gutenberg (ca. 1400–1468) ­leider nicht bekannt. ­Sicher ist: Er war ein Mainzer Hand­ werker aus gutem Haus und hieß ­eigentlich Henne Gensfleisch. Der Name, unter dem er heute bekannt ist, stammt von dem Hof „von Guten­ berg“, auf dem er aufwuchs.

Gutenbergs Druck­ presse musste von zwei Arbeitern be­ dient werden: Der eine färbte den Satz, während der andere die Seiten zusam­ menpresste.

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GETTY IMAGES (4), ADOBESTOCK

Redaktions­ meeting: ­Gutenberg prüft in seiner Werkstatt das Druckerzeugnis.

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Carl Friedrich Benz (1844–1929) studierte ab 1860 Maschinenbau in Karlsruhe. 1872 heiratete er Bertha, mit der er seine erste Firma gründete und Zweitaktmotoren entwickelte.

6DAS AUTO

1886, Carl Friedrich Benz Am 29. Januar 1886 reichte Carl Friedrich Benz das Patent für den „Benz Patent-Motorwagen Nummer 1“ ein. Das erste Benzinauto der Welt hatte drei Räder und gerade mal 0,75 PS. Damit schaffte es eine Spitzengeschwindigkeit von 16 km/h. Der Erfolg blieb allerdings aus. Kritiker verspotteten das Vehikel als „pferdlose Kutsche“. Erst eine heimliche Fahrt seiner Frau Bertha 1888 mit dem Motorwagen ins knapp 100 Kilometer entfernte Pforzheim zu ihrer Schwester überzeugte die Menschen vom Auto. Zugfahrten schienen nun überflüssig.

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Kreativität

7COMIRNATY

2020, Özlem Türeci und Uğur Şahin

Gold aus der Spritze: Im vergangenen Jahr ­erzielte BioNTech mit diesen kleinen Impfdöschen ­einen Umsatz ­zwischen 16 und 17 Milliarden Euro.

2008 gründeten Özlem Türeci und ihr Ehemann Uğur Şahin das Pharma-Unternehmen ­BioNTech. Damals war die ­Firma nur wenigen Menschen bekannt. Bis 2014 soll es nicht mal eine eigene Homepage ­gegeben haben. Ihr Ziel: der Sieg gegen Krebs mithilfe von mRNA-Medikamenten. ­Diese Therapiemethode war ­damals noch unüblich. Aber als die ­ersten Coronafälle in Asien be­ kannt wurden, erkannten die beiden Mediziner aus Mainz die Gefahr und nutzten die Technik, um 2020 „Comirnaty“ zu entwickeln: den ersten mRNAImpfstoff gegen Covid-19.

8DER

COMPUTER

Auf die Frage, warum er den Computer erfunden hat, antwortete der ehemalige Statiker Konrad Zuse einmal scherzhaft: „Ich bin zu faul zum Rechnen.“ Sein erster Entwurf von 1938, der „Z1“, arbeitete allerdings noch zu unzuverlässig. Doch drei Jahre später präsentierte er mit dem „Z3“ den ersten funktionstüchtigen Compu46

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1941, Konrad Zuse


DAS SAGT DER EXPERTE

ILJA RUDYK, 38, ist Senior Economist beim Europäischen Patentamt in München.

ter der Welt. Ein monströses Teil, das etwa eine Tonne ge­ wogen und aus 30.000 Ka­ beln bestanden haben soll. Leider wurde die Maschine bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Den ersten Com­puter baute Konrad Zuse (1910–1995) im Wohnzimmer seiner Eltern. Der „Z1“ las die P ­ rogramme von ­gelochten Kino­filmstreifen ab.

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Welche Voraussetzungen muss meine Erfindung ­erfüllen, um ein Patent zu bekommen? Sie muss drei Bedingungen erfüllen: Sie darf nirgend­ wo auf der Welt bereits be­ kannt sein. Außerdem muss sie erfinderisch sein, das heißt nicht offensichtlich für jemanden, der in dem Bereich arbeitet – und sie muss gewerblich anwend­ bar sein. Kein Patent erhal­ ten können mathematische Formeln, Gedankenspiele oder Geschäftsverfahren. Deutschland ist Vizewelt­ meister bei den Patent­ anmeldungen. Und das fast jedes Jahr. Woran liegt das? Unter anderem an hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die die vierthöchsten weltweit sind. Dazu kommt, dass in Deutschland innovative ­Unternehmen ansässig sind. Unter den zehn größten ­Anmeldern beim EPA (Euro­ päischen Patentamt; Anm.) befinden sich drei deutsche Unternehmen: Siemens AG (6. Platz), ­Robert Bosch (7.) und BASF (10.).

Aus welchen Bereichen kommen die meisten ­deutschen Erfindungen? Die fünf wichtigsten tech­ nischen Gebiete für Patent­ anmeldungen aus Deutsch­ land im Jahr 2020 waren elektrische Geräte, darunter viele Erfindungen im Be­ reich Klimatechnologien, Transporttechnologien, Messtechnik, Medizintech­ nik und Spezialmaschinen, von Landwirtschaft bis 3D-Druck. Die Patentanmeldung ­kostet etwa 4000 Euro. Eventuell plus weiterer ­Gebühren. Viel Geld für ­einzelne Erfinder … Patentschutz kann tat­ sächlich teuer werden. ­Kleine und mittlere Unter­ nehmen können jedoch ­Unterstützung, zum Beispiel vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ­beantragen. Zudem fallen nicht alle Verfahrenskosten gleichzeitig an. Damit hat der Anmelder stets die Chance zu reagieren. Man­ che Kosten kommen erst am Schluss mit der Erteilung des Patents, also nach drei bis vier Jahren. Und ins­ besondere kleineren und jüngeren Technologieunter­ nehmen können Patente zum geschäftlichen Durch­ bruch verhelfen.

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Kreativität

Eine medizinische Revolution: Dank der Strahlen wurden Knochen sichtbar und konnten so leichter untersucht werden.

9RÖNTGEN-

STRAHLEN

1895, Wilhelm Conrad Röntgen

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Wilhelm Conrad Röntgen (1845– 1923) arbeitete als Physik-Professor an der Universität Würzburg, wo er 1895 seine bahnbrechende Ent­ deckung machte: die Röntgenstrahlen. 1901 erhielt er ­dafür den Nobelpreis für Physik.

GETTY IMAGES, ADOBESTOCK, EUROPEAN PATENT OFFICE

Schon andere Forscher hatten mit Kathodenstrahlröhren Röntgenstrahlen erzeugt. Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen war aber der Erste, der ihre Bedeutung erkannte, als er am 8. November 1895 bei Versuchen mit der Röhre bemerkte, dass mit schwarzer Pappe abgedeckte Gegenstände leuchteten. Eine Sensation. Röntgen selbst gab seiner Entdeckung übrigens den Namen „X-Strahlen“. Seine Kollegen schlugen dann vor, sie nach seinem Entdecker umzubenennen. Im Englischen heißen sie noch immer „X-rays“.

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10OLED-

TECHNOLOGIE

Der deutsche Physikprofessor Karl Leo (1960) arbeitet seit fast 30 Jahren an der TU Dresden. Im vergangenen Jahr bekam er den Europäischen Erfinderpreis für sein Lebenswerk verliehen.

1998, Karl Leo

Zusammen mit seinem Team entwickelte der Physikprofessor Karl Leo 1998 eine organische Halbleiter-LED (OLED). Sagt dir nichts? Aber bestimmt hast du seine Erfindung trotzdem schon mal benutzt. Denn heutzutage steckt die OLEDTechnologie in vielen Fernsehern und der Hälfter aller Smartphone-Displays auf der Welt. Ihr Vorteil: Sie sind deutlich energieeffizienter und haben eine bessere Farbauflösung.

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Kreativität

SEELIG* SIND DIE FITTEN IM GEISTE

Kreativität ist kein Talent, sondern eine Fähigkeit, die du trainieren kannst: 10 Workouts für mehr Spaß beim Denken.

* TINA SEELIG, 64, ist Buchautorin und Direktorin des Fach­bereichs Ingenieur­ wissenschaften an der US‑Universität ­Stanford, Kalifornien.

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Der Klassiker im Berufs- und Studien­ alltag: Aus den Kollegen und Kol­leginnen sprudeln die kreativen Ideen nur so heraus – während man selbst seit einer Stunde ratlos auf ein weißes Blatt Papier starrt. Kopf hoch. Kreativität ist kein Talent – sondern eine Fähigkeit. Wie Mathe oder das Spielen ­eines Instruments. Jeder von uns könne Kreativität lernen und darin besser werden, sagt Tina Seelig. Die Professorin an der amerikanischen EliteUniversität Stanford hat zahlreiche Silicon-Valley-­Genies in der Kunst der Kreativität unterrichtet und ihnen zu Geistesblitzen verholfen. Ihr TED Talk wurde im Internet über drei Millionen Mal aufgerufen. Hier verrät uns die Expertin, wie wir auf originelle Lösungen kommen.

KATHERINE EMERY

TEXT Maximilian Reich


WORKOUT

WORKOUT

WORKOUT

Tanzen und Essen

Plakatieren

Unser Körper und unser Geist hängen immer zusammen. Wenn zum Beispiel das Herz schneller schlägt, dann registriert dies das Gehirn. Man wird gestresst – und damit in der Kreativität blockiert. Im Unterricht frühstücke ich deshalb mit meinen Studenten, und wir haben immer Snacks. Es ist schwierig, sich zu konzen­ trieren und auf kreative Ideen zu kommen, wenn man Hunger hat. Ich hatte auch mal einen Tanz­ lehrer eingeladen, um mit mei­ nen Studenten vor dem Unter­ richt ein paar Tanzübungen zu machen. Körperliche Anstren­ gungen lösen den Körper und da­ mit auch den Verstand. Wir sind viel kreativer, wenn wir uns vor­ her ein bisschen bewegt haben.

Bevor Sie mit der BrainstormingRunde anfangen, sollten Sie alle Stühle aus dem Zimmer entfernen. Die Teilnehmer sind dynamischer und engagierter, wenn sie sich be­ wegen. Die ideale Teilnehmerzahl besteht aus sechs bis acht Personen, wobei es wichtig ist, nicht nur Kollegen einzuladen, mit denen man sich gut versteht. Die Mitglieder sollten möglichst verschiedene Ansichten zu dem Thema haben. Meistens wird ein Flipchart benutzt, um die Ideen aufzuschreiben. Aber Achtung: Sobald der Platz zum Schreiben ausgeht, versickert meistens auch der Ideenfluss. Also beklebt man am besten alle Wände im Zimmer mit leeren Plakaten.

Blöde Ideen sammeln

WORKOUT

Chindōgu! Noch eine Übung, die ich sehr gerne mit meinen Studenten zu Beginn zum Aufwärmen mache. Dabei handelt es sich um ein japa­ nisches Spiel. Man überlegt sich eine völlig unnötige Erfindung, die in einer gewissen Weise sogar irgendwie ein bisschen Sinn ergibt – aber e­ igentlich ziemlich albern ist. Zum Beispiel Schuhe, an denen kleine Regenschirme befestigt sind, damit die Füße im Regen nicht nass werden. Die Erfin­dungen haben immer etwas an sich, was lustig und über­ raschend ist. Das Ziel der Übung ist es, die Vorstellungskraft­ zu ­Beginn des Unterrichts ein bisschen zu stretchen und auf Temperatur zu bringen.

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Eine Regel beim Brainstorming lautet: Kein Vorschlag wird verurteilt. Es gibt keine blöden Ideen. Bei dieser Technik sind sie sogar ausdrücklich erwünscht. Wenn man gute Ideen sammelt, ist das Ergebnis oft vorhersehbar. Wenn man zum Beispiel überlegt, wo man den Urlaub verbringen könnte, dann kommen Vorschläge wie Hawaii, Disneyland oder eine Kreuzfahrt. Doch wenn man verrückte Ideen sammelt – dann kriegt man völlig unübliche Vorschläge, solche, die ziem­ lich absurd sind. Was wäre der denkbar schlechteste Lösungsansatz? Für gewöhnlich steckt in dem Gedanken trotzdem ein interessanter Samen. Und wenn man den durch die Linse näher betrachtet und sich darauf konzentriert – dann kommt man plötzlich auf ziemlich originelle Ideen. Ein weiterer Vorteil: Die Teilnehmer haben mehr Spaß und sind engagierter.

WORKOUT

WARUM REGEN SCHIRMCHEN AUF SCHUHEN TOTAL SINNVOLL SIND.

Wörter tauschen Bei dieser Methode geht es dar­ um, den Rahmen des Problems zu verschieben, um einen neuen Blickwinkel zu gewinnen. Dazu reicht es schon, in der Frage­ stellung nur ein Wort zu ver­ ändern – und man setzt damit völlig neue Ideen frei. Ein Bei­ spiel. Die Aufgabe lautet: „Ich muss für meine Gäste ein Weih­ nachtsessen zu­bereiten.“ Wie wäre es, wenn wir stattdessen nun sagten: „Ich muss für meine Gäste ein Weihnachtsbuffet zu­ bereiten.“ Oder ein Weihnachts­ picknick. Sofort kämen ­einem ganz andere Ideen in den Kopf. Oder was wäre, wenn die Gäste alle fünf Jahre alt sind? Oder neunzig Jahre alt?

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Kreativität

MULTITASKING? VERGISS ES. GEH LIEBER UNTER DIE DUSCHE.

WORKOUT

WORKOUT

Das Duden-Orakel

Zu viel des Guten

Eine Weile habe ich aus Spaß ­immer die Cover des Magazins „The New Yorker“ ausgeschnitten und zu Collagen zusammen­ geklebt. Eigentlich war es ein Kunstprojekt. Es ist aber tat­ sächlich auch eine großartige Möglichkeit, um neue Ideen zu generieren, wenn man scheinbar zusammenhanglose Dinge mit­ einander verknüpft. Im Grunde baut jede großartige Geschäfts­ idee auf dieser Methode auf. Ein Beispiel: Wir haben Hotels, und wir haben Wohnungen. Was passiert, wenn wir diese miteinander verknüpfen? Das Ergebnis: Airbnb. Statt Collagen zu basteln, kann man auch ein Wörterbuch benutzen, das funk­ tioniert genauso. Früher habe ich mit meinen Studenten folgende Übung gemacht: Wähle ein Pro­ blem in deinem Leben. Nun tippst du blind auf irgendein Wort im Wörterbuch und überlegst dir, wie dieses Wort dir dabei hilft, dein Problem zu lösen. Das Wort ist wie eine Tür, die dich zu neuen Lösungen führen wird.

Diese Übung habe ich mal mit Studenten im Rahmen eines Workshops gemacht: Sie sollten sich 100 Lösungen zu einem Problem ausdenken, wie einem oder einer schnarchenden Partner:in im Bett. Und jede Lösung musste in irgendeiner Weise mit Musik zu tun haben. Einige Studenten dachten, ich hätte mich vertan und eigent­ lich zehn Ideen gemeint. Hatte ich aber nicht. Innovation ist harte Arbeit. Es braucht Durch­ haltevermögen, um originelle Ideen zu entwickeln. Am Ende merkten die Studenten, dass die interessantesten und originells­ ten Ideen erst zum Vorschein kamen, als sie dachten, alle Möglichkeiten seien erschöpft. Nachdem sich zum Beispiel ein Team durch alle offensichtlichen Lösungen gekämpft hatte, kam es schlussendlich auf die Idee einer Gesichtsmaske, die das laute Schnarchen des Trägers in ruhige Musik umwandelt.

CLEVERE APPS

Schlaue Karten und bunte Mappen: Diese Apps helfen bei der Suche nach ra∞nierten Lösungen.

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Brain­sparker Creativity Cards

SimpleMind Pro – Mind­ mapping

Festgefahren bei der Ideensuche? Diese virtuellen Karteikarten führen die Gedanken mit überraschenden Fragen und Schlagworten auf ganz neue Pfade. Einfach mal ausprobieren!

Mit Mindmaps lassen sich Gedanken wunderbar sortieren und Ideen miteinander verknüpfen. Und dank dieser App braucht man dafür auch kein Whiteboard.

Sketchbook Wenn man unterwegs plötzlich eine Idee hat, sollte man diese am besten sofort festhalten. Zum Beispiel in dieser Design-App. Zur Verfügung stehen dem Nutzer dabei hunderte Skizzierwerkzeuge.

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LESESTOFF

Kraftfutter für flinke Köpfe – und für alle, die es werden wollen.

Musenküsse

Kopf frei!

Hat Frida Kahlo jeden Tag gemalt? Und wo kamen Coco Chanel ihre besten Ideen? Das Buch gibt Einblick in die Rituale erfolgreicher Künstlerinnen. Ruhig mal nachmachen.

Neurowissenschaftler Prof. Dr. Volker Busch kennt unser Gehirn. In seinem Buch verrät er, wie wir unsere Konzentration, Kreativität und Aufmerksamkeit steigern können.

Creativity Rules Wie entwickelt man kreative Ideen – und macht daraus ein tragbares Geschäftsmodell? Dieses Buch liefert die Antwort.

WORKOUT

WORKOUT

WORKOUT

Was wäre, wenn …

Brain-Jogging

Der Passwort-Turbo

Das ist eine meiner Lieblings­ übungen, die ich regelmäßig mit Studenten mache. Einmal bat ich sie darum, alle Annahmen über den Zirkus aufzulisten: große Zelte, Tiere, Artisten, Popcorn etc. Anschließend sollten die ­Studenten diese Annahmen auf den Kopf drehen und sich vor­ stellen, das Gegenteil wäre der Fall. Was wäre, wenn es im Zirkus keine Tiere gäbe? Wenn die Zelte klein wären? Zum Schluss sollten sie sich entscheiden, welche Eigen­ schaften vom traditionellen Zirkus sie behalten wollten. Am Ende hatten wir ein völlig neues ­Zirkus-Konzept à la Cirque du Soleil. Indem wir die Annahmen zu unserem Problem gründlich hinterfragen, gewinnen wir völlig neue Einsichten.

Wenn man am Schreibtisch sitzt, wird man von vielen Dingen ab­ gelenkt. Deshalb bekommen manche Menschen ihre besten Ideen unter der Dusche. Denn dort stört nichts ihre Aufmerksam­ keit. Ich gehe zum Nachdenken oft spazieren. Es ist wichtig, alles abzuschütteln, was einen ab­ lenkt, und dass man den Geist ­befreit, damit er sich entfalten kann. Außerdem hilft es, sich den Tag in Projekt­abschnitte einzuteilen und zum Beispiel die Social-Media-­Aktivitäten auf eine bestimmte Uhrzeit zu begrenzen. Es führt zu einer erheblich höhe­ ren Kreati­vität, wenn man sich eine längere­Zeitspanne auf eine Sache konzentriert und nicht ­immer meh­rere Dinge gleich­ zeitig erledigt.

Kreativität ist ein Werkzeug, um Probleme zu lösen. Und der Motor, der die Kreativität an­ treibt, ist die Motivation. Ohne Motivation keine Kreativität. Des­ halb ist es wichtig, sich zu über­ legen, was einen motiviert, das Problem lösen zu wollen. Sonst hat man nicht den Antrieb, um die nötigen Kreativitätsübungen durchzuführen und bis zum Ende an einer Idee zu spinnen. Wenn dein Boss dir eine Aufgabe stellt, überlege dir, was dich motiviert. Das könnte eine Ge­ haltserhöhung sein, ein Urlaub, eine Wohnung, die du kaufen möchtest, oder eine Fähigkeit, die du durch das Projekt ver­ besserst. Manche benutzen dieses motivierende Schlagwort wie ein Passwort, um sich ihr Ziel ­täglich vor Augen zu führen.

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Kreativität

Koch, Gamer, Filmer, Zeichner, Schmuck­ designerin. Fünf Menschen, eine Frage: Wie kommst du auf deine besten Einfälle?

WILL­KOMMEN IM IDEEN­R EICH! W

er schon einmal mit ­leerem Einkaufskorb ratlos durch den ­Supermarkt geirrt ist und einfach nicht wusste, welche Zu­taten er einkaufen soll, um daraus mit den Resten aus dem ­Kühlschrank ein halbwegs genieß­ bares Abendessen zuzubereiten, der weiß: Krea­tivität zeigt sich nicht nur in Form ­eines hübschen Gemäldes an der Wand oder durch einen griffigen Werbeslogan. Auch Kochen ist kreative Arbeit. Und ­warum sieht das Schmuckstück,

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das wir tragen, so aus, wie es nun einmal aussieht? Wieso kann die Spielfigur in unserem Lieblings­ game fliegen? Die Antwort: weil sich kreative Menschen darüber den Kopf zerbrochen haben. Aber wie sind sie auf ihre Ideen ge­ kommen? Fünf schlaue Köpfe mit den unterschiedlichsten kreativen ­Berufen verraten uns, wie sie bei ihrer Arbeit vorgehen.

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KATHRIN FRANK/CAROLINESEIDLER.COM

TEXT Maximilian Reich ILLUSTRATIONEN Kathrin Frank/carolineseidler.com


DAVID DJITÉ

Snowboarder und Filmemacher

ARELÍUS ARELíUSARSON Game Designer

MARTIN FENGEL Fotograf und Zeichner

JOSEFINE DIETZ Goldschmiedin

INNOVATOR

ROLF CAVIEZEL FreestyleKoch

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Kreativität

„ICH MUSS DAS RAD NICHT NEU ERFINDEN.“ ARELÍUS ARELÍUSARSON, 46 Gameforge, Senior Game Designer

Computerspiele sind zu einer Hälfte Wissenschaft und zur anderen Hälfte Kunst. Wenn ich ein neues Spiel ent­ wickle, betreibe ich erst einmal Recherche. Ich besorge mir eine Reihe von Titeln aus dem gleichen Genre und spiele sowohl die er­ folgreichsten Games – als auch die nicht so erfolgreichen. Denn auch hier können kleine Gold­ nuggets drinstecken. Manchmal entdeckt man darin eine Idee, die die Entwickler hatten – und die in­spi­riert mich dann zu einer anderen Idee. Kreativität bedeu­ tet nicht, dass man das Rad neu erfinden muss. Es reicht auch, an dem Rad Spikes anzubringen. Danach beginnt der eigentliche Kreativprozess. Wichtig ist da­ bei, sich auszutauschen. Viele ­Menschen haben Angst davor, anderen von ihren Ideen zu erzäh­ len, weil sie befürchten, jemand klaut sie sonst. Aber du brauchst einen Sparringspartner, um dei­ ne Idee weiterzuentwickeln. Oft haben Menschen ähnliche Ideen. Und vielleicht hat diese Person ja an Aspekte gedacht, die dir vor­ her noch gar nicht in den Sinn ge­ kommen sind. Das sind dann die Momente, in denen die kreativen ­Funken sprühen.

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„ES MUSS NICHT IMMER GLEICH PERFEKT SEIN.“ JOSEFINE DIETZ, 33

Goldschmiede Josefine, Geschäftsführerin

Wenn ein Kunde oder eine Kun­din zu mir in den Laden kommt und möchte, dass ich zum Beispiel ein Armband entwerfe, dann gucke ich mir die Person zunächst an. Ist sie ein sportlicher oder ein eleganter Typ? Jung oder alt? Anschließend fertige ich eine Skizze von dem Schmuckstück an. Solche krea­ tiven Arbeiten mache ich nie in meiner Werkstatt, sondern am Sonntagabend bei mir zu Hause, wo ich Ruhe habe. Manchmal kommt die zündende Idee nicht sofort. Dann lass ich die Arbeit zwei Wochen liegen und widme mich erst einmal anderen Aufträ­ gen, um Abstand von dem Projekt zu gewinnen und den Kopf freizu­ bekommen. Ist der Entwurf fertig, präsentiere ich ihn dem Kunden. Manchmal ist gleich das Richtige dabei, und manchmal muss ich noch ein bisschen an ihm feilen. So arbeite ich mich dann Stück für Stück voran, bis ich das per­ fekte Schmuckstück auf Papier habe. Deshalb mein Tipp: einfach anfangen!

INNOVATOR


„KREATIVITÄT SOLL SPASS MACHEN.“

„IDEEN BRAUCHEN NEUGIERDE.“

MARTIN FENGEL, 57

ROLF CAVIEZEL, 49

Fotograf und Zeichner

freestylecooking, Koch

„MIR HELFEN VERSCHIEDENE BLICKWINKEL.“ DAVID DJITÉ, 29 Snowboarder und Filmemacher

Das Wichtigste ist, dass man die Augen offen hält. Man muss alles hinterfragen. Wenn ich mit dem Auto an e ­ inem Zucker­rüben­feld vorbeifahre oder am Frühstückstisch meinen Espresso trinke, dann rattert in meinem Kopf ­sofort der Motor: Was könnte ich daraus zuberei­ ten? Bei der Ideenfindung hangle ich mich immer an drei Regeln entlang, die mir als Leuchtturm dienen. Egal welche Zutat mein Ausgangspunkt ist – am Ende soll daraus ein Gericht entstehen, das a) saisonal ist, b) speziell ist und c) provoziert. Aus einer Zucker­ rübe koche ich zum Beispiel eine Suppe. Haben Sie schon einmal eine süße Suppe gegessen?

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Früher bin ich um die halbe Welt gereist und habe in der Halfpipe irgend­ welche Tricks vorgeführt, die eine Jury bewertet hat. Darauf hatte ich irgendwann keine Lust mehr. Snowboarden ist für mich eine Form von Kunst. Wie ein Gemälde. Kunst kann man nicht objektiv bewerten. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, lieber Snowboard-Filme zu machen. Ich möchte aber nicht noch einen Film machen, wo man nur eine Megakulisse sieht und ein Fahrer seine besten Tricks zeigt. Die gibt es zur Genüge. Ich möchte über den Tellerrand hinausschauen und Aspekte von außen mit dem Snowboarden verbinden. Durch mein Psychologie­studium kam mir die Idee, einen Film zu ma­ chen über den „State of Flow“, dieser Moment, wenn du dich in einer Tätigkeit komplett verlierst. Dazu habe ich für die Filmmusik mit dem Musiker Miles Singleton zusammengearbeitet. Ich finde es hilfreich, bei solchen Projekten je­ manden dabeizuhaben, der nicht aus der Snowboardwelt kommt und noch einmal ein anderes Auge drauf wirft. So entstand am Ende unser neuer Film „Eu­ demonia“ in Zusammenarbeit mit The North Face und K2.

Wenn ich einmal in der Woche nach Südtirol fah­ re, um an der Freien Universität Bozen Foto­grafie zu unterrichten, dann versuche ich, den jungen Menschen beizubringen, dass Kreativität nichts ist, wovor man Angst haben muss. Es soll Spaß machen. Man darf nicht zu ver­ krampft sein. Wenn ich an einer Zeichnung ar­beite, dann mache ich es mir gemütlich. Ich setze mich meistens an den Küchen­ tisch und schalte das Radio ein. Beim Fotografieren geht das nicht, dafür muss ich rausgehen. Die Motive finde ich überall. Ein einfacher Stuhl kann viel inter­ essanter sein als ein Kunstwerk. Ich finde Dinge spannend, die Menschen nicht ganz richtig gemacht haben, an denen sie so ein bisschen gescheitert sind. Zu gucken, was ich dem noch hinzu­ geben kann, reizt mich viel mehr, als etwas, was bereits perfekt ist, einfach nur schön wiederzu­ geben. Um solche Motive zu fin­ den, ist Neugierde eine wichtige Eigenschaft.

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Kreativität

DIE KUNST DER ZUKUNFT TEXT Marc Baumann

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STUDIO CML

Pinsel waren gestern. Moderne Künstler wie Christian Mio Loclair programmieren künstliche Intelligenzen und lassen Computer die Kunstwerke erschaffen.

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Kreativität

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ie verändert der Fortschritt der Technik unser Verständnis von Kunst? Ein Gespräch mit dem Medienkünstler Christian Mio Loclair über tanzende Computer, Maschinen mit Todesangst und was einen Menschen überhaupt zum Künstler macht. innovator: Mio, wofür braucht die Kunst die Techno­logie? Warum sind Pinsel oder Meißel als Werkzeug nicht genug? Christian Mio Loclair: Ich glaube, als Künstler ist es immer unsere Aufgabe, die Gegenwart kritisch zu betrachten und Entwicklungen unserer Zeit in Frage zu stellen, sie zu kommentieren, neue Per­ spektiven auf das Leben zu suchen. Das ist in der Pandemie, im Lockdown noch mal schwieriger. Dass wir dafür digitale Methoden verwenden, die auch unseren Alltag prägen, finde ich nur natürlich. Wie ein Gemälde entsteht, kann man sich vorstellen. Aber wie sieht die ­Arbeit eines digitalen Künstlers aus? Meistens ist meine Arbeit supertech­ nisch, der Wissenschaft sehr nahe. Ich nehme etwa funktionierende Algorith­ men, versuche, die aufzubiegen, und schaue, was ich finde. Ich programmiere, seit ich ein Kind war, ich liebe das, ich mache das die ganze Zeit: Programmier­ codes aufbrechen und neu zusammen­ stellen. Es ging mir nie darum, den ­Pinsel zu ersetzen durch Tools wie Photo­ shop – sondern darum, mit dem Compu­ ter einen Operateur an meine ­Seite zu stellen und mit der Technik eine Partner­ schaft zu gründen.

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Der Computer ist also kein Werkzeug, sondern eher ein Koautor? Wenn ich eine künstliche Intelligenz so trainiere, damit sie etwas macht, was es vorher nie gab, dann ist das keine ­Effizienzsteigerung des Werkzeugs mehr, sondern die Frage, ob es die Möglichkeit gibt, eine neue künstlerische Autorität zu ­denken. Nimmt Ihnen der Computer dann nicht die Denkarbeit ab? Stellen Sie sich vor, Sie sollen einen ­gehenden Roboter bauen und wollen da­ für herausfinden, wie der Mensch läuft. Wenn man den ganzen Tag über das Lau­ fen nachdenkt und dessen Komplexität erkennt, wird man abends auf dem Nach­ hauseweg das Wunder sehen, das der aufrechte Gang ist. Wer mithilfe einer Maschine etwas Neues erschaffen will, der muss vorher reflektieren, was er selbst tut und wie etwas im Innersten funktio­ niert. Man merkt: Das ist irre komplex, so ein Mensch. Was für ein unglaubliches Wunder das ist, dass wir mit 80 Milliar­ den Neuronen bei 37 Grad Celsius im ­Gehirn das alles machen – mit nur zwei Bananen und einem Glas Wasser als Energie­quelle. Wann beginnt der künstlerische Prozess denn? Schon mit dem Einschalten des Computers? Wann ist ein berühmter Maler ein Künst­ ler? Wenn er den Pinsel in die Farbe taucht? Oder nicht vor dem ersten genia­ len Strich? Ich glaube, man ist die ganze Zeit Künstler, in allen Schritten. Kunst ist, wenn man nachts um zwei Uhr noch am Code schreibt – obwohl du ja gar kei­ nen Auftrag erfüllen musst –, weil man etwas ausdrücken möchte und findet, es müsse gesagt werden. Es gibt keine Kun­ den, die uns Aufträge erteilen – wir ha­ ben hier ein mittlerweile recht großes Team, und wir schaffen die Dinge aus uns heraus. Wer ohne liefern zu müssen trotzdem viel erschafft, der fühlt sich früher oder später als Künstler. Was war der schönste Moment in ­Ihrem Leben als digitaler Künstler? Als wir einen Algorithmus erkannt haben,

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„Als Künstler ist es unsere Aufgabe, die Gegenwart in Frage zu stellen.“

CHRISTIAN MIO LOCL AIR

STUDIO CML, PALAZZO DELLE ESPOSIZIONI ROMA

Der Berliner Medienkünstler war früher professioneller Tänzer und studierte Computerwissenschaften. Heute entwirft der 41-Jährige in seinem Studio Waltz Binaire Kunstprojekte mit K. I. ­Seine Werke wurden unter anderem im Design Museum London und auf der Ars Electronica in Linz ausgestellt.

SELBST ­ REFLEKTIE­R ENDE PROZESSOREN Eine künstliche Intel­ ligenz betrachtet sich selbst: Für sein Projekt „Narciss“ hielt Mio ­einen Spiegel vor den Prozessor der Maschine. Die Technologie sollte daraufhin mit­hilfe einer Webcam ­beschreiben, was sie sieht.

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Kreativität

der in Sätzen beschreiben kann, was er sieht. Der Mensch denkt ja anmaßend, er sei das einzige Geschöpf mit der Fähig­ keit zur Selbstreflexion. Also haben wir einen Computer genommen und eine kleine Kamera angebracht über der Hauptplatine des Computers, auf der die unverbauten Bestandteile wie Arbeits­ speicher, Grafikkarte oder Hauptprozes­ sor zu sehen waren. Die Maschine hat sich also selbst fotografiert und dann kommentiert. Das Projekt heißt „Narciss“, wir durften es vor den Vereinten Natio­ nen vorstellen. Noch einen besonderen Moment, bitte. Wir haben ein Computerprogramm ge­ schrieben, mit dem eine virtuelle drei­ dimensionale Figur auf dem Bildschirm tanzen kann – ohne dass die künstliche Intelligenz dahinter je einen Tänzer ge­ sehen hat. Stellen Sie es sich vor wie einen Schüler-Algorithmus und einen LehrerAlgorithmus. Der Lehrer-Algorithmus wurde von uns mit ganz vielen Tanz­ aufnahmen gefüttert, darauf aufbauend entwirft er eine Figur. Der Schüler-Algo­ rithmus soll diese Figur nun tanzen las­ sen und kriegt vom Lehrer-Programm eine gute oder schlechte Note für die ­Bewegungsabläufe. Durch das ständige Feedback werden die Bewegungen der 3D-Figur immer menschlicher. Das macht man ein paar Milliarden Mal – und dann erschafft die Maschine tatsächlich realistische Tänze. Es gibt ja zwei Möglichkeiten, Kunst zu machen: Ich zeichne das Bild, das ich im Kopf habe – oder ich werfe einen Farbeimer gegen die Wand und schaue, was entsteht. Letzteres wäre eher Ihr Kunstverständnis, oder? Mehr Jackson Pollock als Rembrandt … Ich will, dass der Computer genau das macht, was ich ihm sage – und er mich trotzdem überrascht. Ich will etwas sehen, was ich nicht habe kommen sehen. Bei unserer Arbeit „Helin“ haben wir ein Netzwerk darauf trainiert, alle Büsten der Bildhauerei der letzten 2000 Jahre zu analysieren und daraus eine neue Skulptur zu schaffen. Wann weiß denn der Computer, dass er beim Entwerfen einer Figur fertig ist? Diese Vorgaben hätten wir geben können, aber das fände ich künstlerisch nicht ­interessant. Wir haben die künstliche ­Intelligenz immer wieder neue flüssige

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EIN COMPUTER LERNT TANZEN „Blackberry Winter“: Bei ­diesem Projekt hat Mio den Algorithmus mit 120.000 unsortierten Bildern von mensch­ lichen Haltungen ge­ füttert. Das Ergebnis: Der Computer lernte da­ raus – und erzeugte auf einem Bildschirm selbst eigene Posen. Er tanzte.

„Die Technologie wird die Kunst schlucken, nicht andersherum.“

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Formen erzeugen lassen – und dann haben wir in einem Moment auf Stopp gedrückt. Diese virtuelle Skulptur haben wir in Marmor pressen lassen. Das ist faszinierend: Man steht einer echten Statue aus Stein gegenüber, die keinen natürlichen menschlichen Ursprung hat. Künstliche Intelligenz ist anfassbar geworden.

MARK ASHKANASY

Ist der digitale Künstler mehr Kurator als Erschaffer? Die K.-I.-Kunst wird sich möglicherweise genau an dieser Frage aufhängen – und das finde ich spannend. Wenn der Code einmal geschrieben ist, dann macht der Mensch nur mehr den Auswahlprozess, er wird vom Künstler also zum Kurator der Kunst einer Maschine.

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Das Werk „Everyday’s – The First 5000 Days“ von Mike Winkelmann, eine Collage aus 5000 Digitalbildern, wurde dieses Jahr für 69 Millionen USDollar versteigert. Immer noch wenig, verglichen zu einem Gemälde von Leonardo da Vinci, das für 450 Millionen versteigert wurde. Wie ernst wird die digitalen Kunst von klassischen Künstlern genommen? Es gilt schon noch als nischig. Auch wenn der Erfolg von NFTs den Geldhahn gelockert hat und digitale Kunst durch die „Non-Fungible Tokens“ einzigartig werden kann. Die digitale Kunstszene empfindet die klassische Kunstszene ­übrigens lustigerweise selbst als nischig.

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Kreativität „Ich will, dass der Computer genau das macht, was ich ihm sage – und mich trotzdem überrascht.“

DIE MASCHINE ALS KÜNSTLER Kann ein Computer eigen­ständig Kunst ­erschaffen? Für sein ­Projekt „Helin“ zeigte Christian Mio Lo­clair ­einem Netzwerk sämt­ liche Büsten der letzten 2000 Jahre – und befahl ihm anschließend, selbst eine Skulptur zu entwerfen.

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Während Museen jetzt mehr und mehr digitale Kunst aufnehmen, lebt das Inter­ net, leben Firmen wie Google oder Face­ book sehr gut ohne Museum. Die Tech­ nologie wird die Kunst schlucken, nicht andersherum. Kunst hat oft Emotionen als Trieb­ feder: Krieg, Liebeskummer, Eitelkeit. Kann man dem Computer aufgeben, dass er ein Gefühl ausdrücken, eine ­Intention haben soll? Nehmen wir etwas Komplexes wie Frie­ den als Botschaft – da müsste man damit anfangen, dass die Maschine vorher ­einen Selbsterhaltungstrieb bekommt. Krieg ist erst drastisch, wenn man um sein Leben fürchten kann. Man müsste dem Computer beibringen, dass er von Gewalt und Zerstörung schockiert ist. Und dann müsste er so ein Kriegstrauma erst noch mathematisch abbilden. Das ­alles ist unheimlich schwierig, aber auch nicht undenkbar. Ich habe mir Ihre Kunst teilweise auf dem Smartphone angesehen. Hätten Sie mir Ihr Werk lieber anders gezeigt? Ich habe viele große LED-Wände bespielt, und diese Wucht, die da entsteht, hätte ich Ihnen gerne demonstriert. Ich arbeite auch ganz altmodisch mit Prints, weil mir digital manchmal das Gewicht und die Haptik eines Drucks fehlt. Es ist ein ständiger digitaler Rausch von einem Bild nach dem anderen, ohne Begren­ zung, ohne Verknappung. Ich mag sehr gerne auch echte Ausstellungsflächen, wo sich Menschen begegnen und sich die Zeit für Kunst nehmen.

EPFL PAVILIONS

Man sagt, dass TikTok unseren Musik­ geschmack verändert durch die Ver­ kürzung auf 15-sekündige Sound­ schnipsel. Wird digitale Kunst unseren Kunstgeschmack ändern? Das hat schon begonnen. Im Bereich der Non-Fungible Tokens (NFTs) zum Bei­ spiel, wo computergenerierte Kunstwerke durch Blockchain-Technologie zu Einzel­ stücken werden. Twitter erlaubt es einem jetzt, die NFTs im Profil anzuzeigen. Die­ ser neue Kunstbesitz wird ganz anders gedacht, er beschleunigt und verändert damit auch die Seherfahrung. Wie wird die Zukunft unserer Krea­ tivität aussehen? Alles wird sich beschleunigen. Die Per­ formance-Erwartung ändert sich auf ­jeden Fall: Wie einst der Bildhauer

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NFT, WTF?

Eine kleine Erklärung der wichtigsten Begriffe aus der digitalen Kunstwelt. NFT Das Kürzel steht für „Non-Fungible Token“ und bedeutet: nicht ersetzbarer Token. Dabei handelt es sich um Zertifikate, die dem Käufer einer digitalen Datei (z. B. eines Bildes) garantieren, dass die Datei nur einmal existiert. Entsprechend hoch ­gehandelt werden ­diese Werke zum Teil. K. I. Künstliche Intelligenz bezeichnet Maschinen, die so programmiert wurden, dass sie selbständig Antworten auf Probleme finden. ­Beispiele für K. I. sind selbstfahrende Autos und Chatbots. BLOCKCHAIN Eine dezentrale Datenbank, auf der alle möglichen digitalen Informationen (z. B. Fotos, Texte etc.) gespeichert werden können. ALGORITHMUS Ein Rechenvorgang, der Ordnung in das ­Daten-Wirrwarr im Web bringt. So entscheidet er etwa, in welcher ­Reihenfolge die Treffer bei der Google-Suche angezeigt werden. ­Dafür folgt er R ­ egeln, die vom Programmierer fest­gelegt werden. ­Beispielsweise, ob er deutsche Internet­ sites bevorzugen soll.

Auguste Rodin acht Jahre lang zurück­ gezogen an einer Skulptur zu arbeiten, das kann man als digitaler Künstler oder digitale Künstlerin nicht mehr bringen. Was werden Quantencomputer ver­ändern? Bei der immensen Steigerung der Rechen­ leistung, die man sich davon verspricht, kann die K. I. ein angenehmerer Ge­ sprächspartner sein als dein eigener Part­ ner. Von diesem Level von Veränderungen reden wir. Da kommen ganz andere philo­ sophische Fragen auf uns zu. Ist die Vorstellung toll, erschreckend oder überfordernd? All das. Es ist total urgent, es ist total ­fantastisch, es ist auch total gruselig. Was es am Ende wird, ist davon abhän­ gig, wie viel wir davon wissen und ob wir gemeinsam darüber abstimmen möchten. Ist die Kunst voraus oder hinterher im Erahnen, was da auf uns zukommt? Die meiste klassische Kunst ist dem ­hinterher. Viele Museen haben ja nicht mal eine Homepage. Aber das große, weite Feld der digital aktiven Künstler ist der Gesellschaft in ihren ­Experimenten auf jeden Fall voraus. Blockchain-Tech­ nologie, virtuelle Rea­lität, künstliche ­Intelligenz – das wird ­alles schon selbst­ verständlich benutzt. Jetzt bitte noch Tipps: Wo finde ich tolle digitale Kunst? Wo sind die span­ nenden Künstlerinnen und Künstler zu sehen? Das wahrscheinlich in Europa oder sogar weltweit bekannteste Museum ist das ZKM, das Zentrum Kunst und Medien in Karlsruhe, das eine große Kollektion an Ausstellungsobjekten hat von überall auf der Welt. Und dann gibt es die Ars Elec­tronica in Linz, das ist ein größeres Festival, das sich auch mit digitaler ­Musik beschäftigt. Und wie kann ich selbst digitale Kunst ausprobieren? „Open processing“ oder „processing.org“ sind ganz einfache Benutzeroberflächen, auf denen man schon kleine Muster er­ schaffen kann. Dann ändert man den Code und versteht plötzlich das Regel­ werk, das faszinierende Zusammenspiel zwischen der eigenen kreativen Annahme und dem virtuellen Resultat.

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HELM MIT HIRN

Gehirnerschütterungen werden im Sport und im Alltag zu oft übersehen. Drei Stralsunder Studenten wollen das ändern. Mit einem speziellen Helm und der Kombination aus Einfachheit und Formel-1-Technologie. TEXT Lisa Hechenberger

Hannes Lüder, 21, interessiert sich lei­ denschaftlich für Bio­ logie – und deshalb für die Frage: Wie wirkt ein Schlag auf das Gehirn?

Valentin Müller-Judex, 26, engagiert sich bei der Formula Student, einem Wettbewerb, bei dem Studenten Formelrenn­ wagen konstruieren.

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Impact von außen direkt ein Lichtsignal abgibt, wenn eine Gehirnerschütterung vorliegen könnte. Inspirieren ließ sich das Team dabei auch von der Formel 1, wo die auf die Fahrer wirkenden g-Kräfte gemessen werden. Zur Einordnung: Steigt ein PkwFahrer aufs Gas, wirken etwa 0,3 g auf ihn ein. Fährt ein Rennfahrer in die Kur­ ve, kann dieser Wert auf bis zu 5 g an­ steigen. Je höher diese Belastung ist und je länger sie andauert, desto kritischer wird es. Deshalb werden Lewis Hamil­ ton, Max Verstappen und Co auch per Sensor im Helm genau kontrolliert. „Wir sind große Formel-1-Fans und haben uns gefragt, warum Motorsport ­einer der wenigen Bereiche ist, wo über­ haupt solche Daten erfasst werden“, sagt Maximilian. So entstand die Vision, eine Art Frühwarnsystem auch für Hobby­ sportler, Bauarbeiter, Kinder, die sich im Falle eines Falles schlecht artikulieren können, oder auch Menschen mit Ein­ schränkungen, die einen medizinischen INNOVATOR

LENNARD KÄTZEL

Maximilian Briz, 24, kam die Idee mit dem smarten Schutz­ helm beim Skifahren nach einem Sturz auf der Piste.

ährlich werden allein in Deutsch­ land knapp 40.000 Gehirn­erschüt­ terungen behandelt – das klingt auf den ersten Blick recht viel, ist aber in der Realität viel zu wenig. Denn: Experten schätzen die Dunkelziffer näm­ lich auf etwa fünf- bis sechsmal so hoch. Das Problem: Das Bewusstsein dafür, wie schnell eine Einwirkung auf den Kopf zu Schäden führen kann und wie empfind­ lich die Schalt­zentrale unseres Körpers tatsächlich ist, ist in der Bevölkerung kaum vorhanden. Und viel zu häufig wird ein Sturz beim Skifahren oder ein Unfall beim Fahrrad­ausflug einfach ab­ getan: Passt schon, halb so schlimm – ­weiter geht’s. „Wenn man sich ein bisschen intensi­ ver damit befasst, zeigt sich, dass wahr­ scheinlich schon jeder von uns einmal eine Situation erlebt hat, die kritisch war und viel schlimmer hätte enden können“, erklärt Maximilian Briz, der im Winter 2019 selbst auf der Skipiste gestürzt war. Darum hat er gemeinsam mit seinen bei­ den Kommilitonen Hannes Lüder und Valentin Müller-Judex ACCIST ins Leben gerufen. Die Idee der drei MotorsportEngineering-Studenten von der Universi­ tät Stralsund, an der sie seit eineinhalb Jahren tüfteln: ein Sensor, der fix im Helm integriert ist und bei einem hohen

Da ist das Ding! Den Prototyp des Helms ha­ben die Stu­ denten mithilfe eines 3D-Dru­ckers erstellt.


Helm tragen müssen, zu entwickeln – also eigentlich für jeden in allen Bereichen, wo es sinnvoll ist, einen Helm zu tragen.

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Im Labor ihrer Hochschule Stralsund testen Hannes (li.) und Maximilian ihren Helm. Der Entwicklungszyklus besteht aus Idee – Umsetzung – Computersimulation – Prüfstandsversuch – Ergebnisauswertung.

E X PERTEN SCH ÄT ZEN DIE DUNKEL ZIFFER BEI GEHIRNERSCHÜT TERUNGEN E T WA FÜNF - BIS SECHSM A L SO HOCH.

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Für den gesunden Menschenverstand „Unser Ziel ist es nicht, den Gang zum Arzt zu ersetzen, im Gegenteil“, erklärt Hannes sowohl Motivation als auch In­ tention des Trios. „Vielmehr wollen wir den Leuten einen Anstoß geben, sich ­direkt untersuchen zu lassen und in einer Stresssituation eine objektive Einschät­ zung der Lage zu bekommen. Damit man eben nicht unnötig Zeit verstreichen lässt, die am Ende entscheidend sein könnte.“ Deshalb haben sie die Funktion vorerst auch so simpel wie möglich ge­ halten: autark, ohne zusätzliche Apps oder Anzeigen, um so auch die AkkuLaufzeit zu erhöhen. In die Zukunft ge­ dacht, können sich die Studenten aller­ dings schon vorstellen, die Features und Trackingmöglichkeiten zu erweitern, eventuell auch Stirnbänder und andere Kopfbedeckungen anzubieten. Status quo der Funktionalität soll aber vorerst blei­ ben: Leuchtet das Licht, bitte ärztlich checken lassen – that’s it. Genauer können die drei momentan noch nicht auf technische Details ein­ gehen. Nicht weil es nichts vorzuweisen gäbe. „Wir haben bereits Entwürfe, bau­ en für unseren Pitch beim Finale von Red Bull Basement, dem Innovationswett­ bewerb für Studenten, einen Prototyp, ar­ beiten mit Professoren von unserer Hoch­ schule am mathematischen Teil dahinter. Die Theorie und das Business-Konzept stehen schon. Allerdings haben wir vor kurzem ein Patent auf unser System an­ gemeldet und müssen deshalb noch ab­ warten, bis wir konkretere Einblicke ge­ ben können“, so Hannes. Kostentechnisch soll dieses Feature für den Kunden aber weniger als 30 Euro zusätzlich zum regu­ lären Helmpreis ausmachen. Im Vergleich dazu, ­womit man im schlimmsten Fall ohne ­ACCIST bezahlt, ein Schnäppchen. Bewegende Ideen Maximilian, Hannes und Valentin haben es mit ihrer Innovation aus über 4000 Be­ werbern als Repräsentanten für Deutsch­ land ins Finale von Red Bull Basement 2021 geschafft. In Online-Workshops fei­ len sie nun mithilfe von Experten weiter an ACCIST und können sich dort mit den anderen 43 Finalisten aus aller Welt ver­ netzen – in der Hoffnung, beim finalen Pitch dieses Jahr die Jury von ihrer Idee zu überzeugen. Die Gewinner werden mit Trainings und Workshops unterstützt, um ihre Idee zu perfektionieren. 67


Kreativität

TEXT Mario Fuchs

RACHEL BÜHLMANN

VIER TAGE DIE WOCHE

Die vier Mit­ arbeiter:innen der Schweizer Kreativagentur Büro a+o ar­beiten nur von ­Montag bis D ­ onnerstag – bei vollem Gehalt. Führt das zu mehr Zufriedenheit und Kreativität im Team? Ein Lokal­augenschein.

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Andreas Ott, Agenturinhaber Bevor er vor 13 Jahren die Kreativagentur Büro a+o gründete, hatte der Schweizer Medienkunst und ­Grafikdesign studiert. Als er 2016 Vater wurde, führte er in seiner Agentur die 4-Tage-Woche ein. INNOVATOR

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Kreativität

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Der Ort, an dem es zwischen Montag­ morgen und Wochenende nur vier ­Arbeitstage gibt, liegt hinter einem guss­ eisernen Gartentürchen in der Schweizer Kleinstadt Aarau. In einem versteckten alten Künstleratelier ist das Büro a+o zu Hause. Auf den ersten Blick eine ­gewöhnliche Grafikagentur: iMacs auf ­Pulten, Typografiebände in Regalen, Skizzenblätter an Wänden. Das Besonde­ re, die kleine Revolution, die diese Agen­ tur von anderen und eigentlich von fast jedem Unternehmen auf dem europäi­ schen Festland abhebt, steht in der letz­ ten Zeile der E-Mail-Signatur – „Unsere Bürozeiten: Montag bis Donnerstag“. Nicht auf Knopfdruck Andreas Ott, Inhaber und Creative Direc­ tor der Agentur, und Art Directorin ­Aurelia Zihlmann sitzen auf Hockern an einem Stehtisch. „Es war eine Bauch­ entscheidung“, sagt Andreas und erzählt die Geschichte, die sein Arbeitsethos für immer verändert hat. 2016 wird er zum ersten Mal Vater. Und stellt fest: „Es ist schön, mehr Zeit mit dem Kind zu ver­ bringen und nicht jeden Tag arbeiten zu gehen.“ Am Freitag, seinem Papatag, ist die damals einzige Mitarbeiterin Aurelia allein im Büro. Ein Kunde hat eine drin­ gende Frage, sie will sich absichern, beim Chef klingelt das Handy – und beide merken, dass optimal anders wäre. Kurz

darauf will er ihr am Jahresendgespräch eine Lohnerhöhung geben, weil sie gerade­ ihr Studium abgeschlossen hat und das Geschäftsjahr erfolgreich verlaufen ist. An einem Mittag fahren sie aus der Stadt hinauf in die Hügel, Gastwirtschaft Jura­ weid. Der Weitblick über das Tal eröffnet eine neue Perspektive. Er fragt, ob sie ­bereit wäre, bei gleichem Lohn weiter im Büro zu arbeiten – dafür jede Woche einen Tag weniger. Andreas Ott hatte da­ mals den Begriff 4-Tage-Woche noch nie ­gehört. „Ich wusste nicht, dass das ein Konzept ist. Ich wollte einfach mehr Zeit zum Leben.“ Mittlerweile ist Aurelia sechs Jahre bei a+o und sagt: „Für mich war die Umstellung perfekt. Ich war noch nie gut darin, meine kreativen Phasen zu steuern. Am Pult zu sitzen und Ideen auf Knopfdruck zu haben ist nicht die Art, wie es bei mir funktioniert.“ Lieber geht sie an einem Freitag ins Museum, lässt sich zum Thema, für das sie gerade ein Corporate Design erarbeitet, be­ rieseln, schreibt daheim erste Ideen auf. „Nicht, weil ich das Gefühl habe, dass ich müsste. Sondern weil ich dann gerade im Flow bin.“ Blending statt Balance Der Gedanke hinter der 4-Tage-Woche ist simpel. Wer einen Tag weniger arbeitet, hat mehr Zeit für anderes. Erholung oder Inspiration, Netzwerkbesuche oder

Das Herz der Agen­ tur: „Im Design­ studio arbeiten wir – jeder für sich, ganz im Stillen – oder auch gemein­ sam in Workshops“, sagt Geschäftsführer Andreas Ott.

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DAS SAGT DER EXPERTE

Drei Fragen an den Arbeitspsychologen Prof. Dr. Thomas Rigotti zur 4-Tage-Woche Menschen, die weniger ­arbeiten, sind motivierter. Stimmt das? Studien zur Arbeitszeit­ reduktion zeigen in der Tat positive Effekte auf die ­Zufriedenheit und Einsatzbereitschaft. Aber es sind auch noch andere Faktoren wichtig: etwa die Arbeitsaufgaben und die Beziehungen zu Kollegen.

Janiva Wittmer, Strategie und Beratung Kann den freien Freitag gut zum Pauken ­gebrauchen: Die 25-jährige ­Janiva Wittmer ­studiert nebenher noch Visuelle Kommunikation.

LUIS HARTL, ANDREAS OTT

„ ICH WUSSTE DAMALS NOCH NICHT, DASS ES DAS KONZEPT DER 4 ‑ TAGE - WOCHE GIBT. ICH WOLLTE NUR MEHR ZEIT ZUM LEBEN HABEN.“ Andreas Ott, 36, Agentur-Inhaber

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Hat die 4-Tage-Woche auch Nachteile? Es kann zu sozialer Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt kommen, wenn diese Option nur Teilgruppen ­eines Berufsfelds ermöglicht wird. Vereinzelt lassen sich auch Hinweise finden, dass es nach einer gewissen Zeit zu Gewöhnungseffekten kommt und die Motivation etwas nachlässt. In welchen Branchen ist sie sinnvoll – und wo schwieriger umzusetzen? Die 4-Tage-Woche flächendeckend umzusetzen wird auf absehbare Zeit kaum gelingen. Besonders im Dienstleistungssektor, wo die Interaktion mit dem Kunden im Vordergrund steht, wird es für Arbeit­ geber nicht rentabel sein.

PROF. DR. THOMAS RIGOTTI, 47, ist Professor für Arbeits-, ­Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der ­Johannes Gutenberg-­ Universität in Mainz.

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Kreativität

„ ÜBERSTUNDEN MACHEN? GENAU DREI MAL IN SECHS JAHREN.“ Aurelia Zihlmann, Art-Direktorin

­ eiterbildung, um den Kopf wieder W für Kreativität freizubekommen. Das ­Resultat: Work-Life-Blending statt WorkLife-Balance. Keine strikte Trennung mehr von Erwerbs- und Privatleben, ­sondern die Integration des Tuns ins Sein. In der Theorie der Soziologie weichen sich so die Grenzen zwischen der Arbeit hier und dem Vergnügen dort auf, greifen beide Bereiche ineinander über – und es ­resultiert daraus ein zufriedenerer, gesünderer und kreativerer Mensch. In der Praxis im Büro a+o heißt das: Am Donnerstag um 16 Uhr ist Feierabend, dann gibt es „Bier um vier“, das „nicht immer Bier sein muss“, und „auch nicht immer Punkt vier“, aber spätestens um 18 Uhr ist niemand mehr hinter einem iMac zu sehen. Dann ist Wochenende. Grafikerin Roberta Nembrini, 26, geht seit ein paar Monaten freitags in die Schule, um Interaction Design zu studieren. Daneben gestaltet sie in Freiwilligenarbeit die visuelle Kommunikation für das größte Kultur- und Klublokal von Aarau und engagiert sich im Vorstand eines örtlichen Unverpackt-Ladens. „Das wäre ­alles viel schlechter handlebar, wenn ich diesen Tag nicht hätte. Klar ist es auch Arbeit, aber ich schöpfe extrem viel Energie daraus.“ Die ehemalige Praktikantin Janiva Wittmer, 25, ist mit einem 20-Prozent-Pensum die einzige Teilzeit-Angestellte. Sie ist noch im Bachelor-Studium und deshalb wie Roberta ganz froh, mit dem Freitag einen fixen Tag zu haben, an dem geschäftlich niemand etwas von ihr will. Beide haben die Erfahrung gemacht, dass sie in der Schule dafür auch mal beneidet werden. Roberta sagt es so: „Die anderen müssen zu Mittag mit der Chefin telefonieren, um einen 72

Auf der Terrasse trifft sich das Team bei schönem Wetter zum Mittagessen – und donnerstags gibt es hier nach ­Feierabend das „Bier um vier“. INNOVATOR


RACHEL BÜHLMANN, LUIS HARTL

Druck­auftrag durchzugeben. Ich bin dann die, die entspannt dasitzen und einfach nur zu Mittag essen kann.“ Andreas Ott wertet die Umstellung auf die 4-Tage-Woche als Erfolg. Aus dem Team kämen einfach mehr Power, bessere Ideen. Und eine tiefere Verbundenheit mit dem Unternehmen. Die einzige Mitarbeiterin, die das Team in den sechs Jahren verlassen hat, tat dies, weil sie aufgrund der Nachfolgeregelung in ihren elterlichen Betrieb einstieg.

Aurelia Zihlmann, Art-Direktorin Die 31-Jährige arbeitet seit sechs Jahren für Büro a+o und ist zuständig für ­Illustrationen und ­Animationen.

Jetzt einfach schneller Doch weniger Arbeitszeit bedeutet auch weniger Präsenzzeit. Sorgt das für mehr Überstunden? Aurelia: „Genau drei Mal in sechs Jahren.“ Ein Problem für die Kundschaft, die stete Ansprechbarkeit ­erwartet? Andreas lächelt halb stolz, halb ungläubig, fast so, als käme es ihm, wenn er es ausspricht, zu kitschig vor: „Im ­Gegenteil. Alle haben es sofort akzeptiert. Und einige haben sogar begonnen, es bei sich auch einzuführen.“ Zu wenig Zeit, wichtige Design-Entscheidungen gründlich durchzudenken? Ja, dabei habe man zu Beginn Skepsis gehabt. Aber schnell habe sich gezeigt, dass die Verknappung nicht lähme, sondern ermutige: „Wir ­entscheiden jetzt einfach schneller.“ Für jede Woche werden am Montagmorgen

konkrete Ziele gefasst. Montag und Dienstag sind Block 1, Mittwoch und Donnerstag Block 2, dazwischen gibt es ein Status-Update mit dem gesamten Team und involvierten Freelancern. Am Ende von Block 2 müssen die Ziele erreicht sein. Dann gibt es Bier um vier. Eine Einschränkung gibt es von ­Andreas Ott aber doch: „Ob das Modell in der großen Druckerei, in der ich früher gearbeitet habe, auch funktionieren würde, ist eine berechtigte Frage.“ Für die Angestellten im Büro vielleicht – für die im Schichtbetrieb an der Druckmaschine kaum. Es ist deshalb nicht sein Ziel, zu missionieren. Seine Empfehlung lautet, sich eine Frage zu stellen: „Warum?“ Quasi: nicht blind zu kopieren, sondern sich selbst zu hinterfragen. Warum bedeutet mir Arbeit etwas, warum Geld, warum freie Zeit? Und dann die Konsequenzen zu ziehen. „Man muss leben, was man bewirken will.“ Für ihn ist es deshalb die beste Bestätigung, dass sich im Zuge des 4-Tage-Modells langsam der Kundenstamm verändert. Die jüngsten sind ein Unternehmen, das Arbeitsplätze ökologisch begrünen will, und eines, das umweltverträgliche Bike-Trails baut. Dann müssen sie wieder an die Arbeit. Denn in dreieinhalb Tagen ist schon ­Wochenende.

Roberta Nembrini, Designerin Die 26-Jährige ist vor zwei Jahren als digitale Designerin zum Team ­gestoßen. INNOVATOR

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Blick nach vorne Unternehmer Alan Frei erzählt uns von seinem ­minimalistischen ­Lebensstil: „Ich bin nicht abgelenkt und kann fokus­ siert auf Ziele hin­ arbeiten.“ 74

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Minimalist, Entrepreneur, Optimierungsjunkie: Amorana-Co-Gründer Alan Frei darüber, wie man im Leben maximale Effizienz erreicht, weshalb er im Hotel lebt und weshalb er sich jeden Abend den Mund zuklebt. TEXT Michèle Roten FOTO Gian Paul Lozza

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Es ist ein nebliger Dienstagabend, Alan Frei empfängt im Wohnzimmer: gedämpftes Licht, bequeme Sofas, kuschelige Kissen, der Fernseher läuft ohne Ton. In seinem Zuhause sind alle willkommen, Leute, die er nicht kennt, trinken ­einen Rosé und nehmen keine Notiz von ihm. Wir befinden uns im „Citizen M“ mitten in Zürich – der Co-Gründer des Erotik-­ Online-Shops Amorana lebt seit dem Verkauf seines Unternehmens 2020 im Hotel. Ein stringenter Schritt: Schon vor acht Jahren hatte der Vierzigjährige begonnen, seinen Besitz zu reduzieren. Nach einem Einbruch in seiner Wohnung verbrachte er im Gegensatz zu anderen Opfern einer solchen Tat „die schönste Nacht seines Lebens“ in seinem Bett: Die Diebe waren mit leeren Händen wieder gegangen, es gab nichts zu holen bei ihm, „ich hatte gewonnen“. Naheliegend eigentlich, dass die nächste Konsequenz war, auch noch die Verbindlichkeit eines eigenen Zuhauses aufzugeben. Auch ansonsten ist Alan Frei ein Mann, der alles in seinem Leben optimiert – und die Millionen aus dem Verkauf von Amorana (genaue Zahlen wurden nie genannt) erlauben ihm neue, noch radikalere Möglichkeiten, das zu tun. Er trinkt Verveine-Tee und verbreitet Lebensfreude – oder ­besser: Lebensspaß – mit jedem Wort, jeder Geste, jedem Grinsen. Frei trägt Khakis, weiße Turnschuhe, ein weißes Hemd und eine blaue Weste – seine Uniform bringt perfekt auf den Punkt, wie er als Mensch ist: locker, aber klar, Street, aber Business. Was das Outfit nicht zeigt: Dieser Mann ist ein Freak. Im allerbesten Sinne.

„DIE REDUKTION MACHT DAS LEBEN UND DAS BUSINESS SEHR KLAR.“ 76

the red bulletin inno­vator: Gemütlich ist’s hier bei dir. Seit wann und warum wohnst du im Hotel? alan frei: Seit fünfzehn Monaten. Zum einjährigen Jubiläum hat mir das ­Hotel ein Kissen geschenkt, auf das „Alan’s Spot“ gestickt ist und das jetzt dort liegt, wo ich immer meinen Espresso trinke. Total herzig. Ist ja gar nicht so einfach, einem Mini­ malisten was zu schenken. Im Hotel wohne ich, weil ich ja mit Amorana ein Art Glückslos gezogen habe und seit dem Verkauf letzten September zu ein bisschen Geld gekommen bin. Und als ich mir überlegt habe, was ich damit anstellen könnte, wurde mir bewusst, dass mir vor allem zwei Dinge richtig Freude machen: Reisen und Hotels. Ich liebe Hotels. Also hab ich ein Unternehmen be­ auftragt, meine Wohnung zu leeren und einen Nach­mieter zu suchen, und bin mit zwei Taschen hier ein­ gezogen. Und seither fühlt sich jeder Tag ein bisschen an wie Ferien. Was war in den zwei Taschen, und wie hast du die Dinge ausgewählt? Einfach nur die Dinge, die ich wirklich brauche. Es sind etwa achtzig Sachen, Verbrauchsartikel wie Zahnpaste oder Gesichtscreme zähle ich nicht. Gehören zu den Dingen keine ­emotionalen Besitztümer, Sachen, die keine Funktion haben, aber dir etwas bedeuten? Ich habe schon eine Beziehung zu meinen Sachen, meine Schuhe zum Beispiel mag ich sehr, aber wenn sie kaputt sind, kauf ich mir neue. Als mein Vater gestorben ist, habe ich von ihm eine Uhr geerbt, die natürlich einen sentimentalen Wert hatte. Aber damit hatte ich zwei Uhren. Also hab ich sie meinem Bruder geschenkt. Und es stellte sich heraus, dass der Besitz oder Nichtbesitz der Uhr nichts daran ändert, wie oft ich an meinen Vater denke. Stimmt es, dass der Tod deines ­Vaters der Auslöser für deinen ­minimalistischen Lebensstil war? Einer davon, ja. Als wir das Haus ausräumten, fand ich es erschreckend, wie viel Zeug sich ansammelt in so einem Menschenleben. Dinge, die über Jahrzehnte nicht bewegt wurden, die von niemandem be­ achtet wurden, einfach vor sich hin INNOVATOR


Tools & Apps, die er nutzt L A S T PA S S Passwörter zu vergessen kann wahnsinnig nerven. lastpass. com ist ein superpraktisches Tool, außerdem kann ich damit sichere Notizen mit Mitarbeiter:innen teilen. NOTION Ich liebe notion.so für übersichtliche Ordner und To-do-Listen. A SA N A Asana ist perfekt für Aufgaben und Projekte, besonders wenn diese von ­m ehreren Personen be­arbeitet werden.

AU D I B L E Mein absolutes Lieblings-Tool für Hör­ bücher ist Audible. G E N I U S S CA N Genius Scan ex­ portiert Dokumente als JPEG oder PDF und beseitigt auto­ matisch Fehler und Verzerrungen, außerdem lassen sich mehrseitige ­Dokumente zu­ sammenstellen.

genau darum geht’s. Ich habe immer meinen Rucksack dabei mit meinem Laptop, Unterhosen, Socken und ­einem Hemd – und was auch immer auf mich zukommt: I’m ready. Diese Art zu leben funktioniert ­allerdings nur ohne Familie. Ich habe keine Ahnung, wie ich in zehn Jahren leben werde. Vielleicht werde ich dann der Mann sein mit der größten Briefmarkensammlung der Welt, so what? Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Was ich mache und wie ich lebe, ist keine Konsumkritik. Ich will niemanden dazu bringen, auch so zu leben. Mich macht diese Freiheit einfach sehr, sehr happy. staubten. Da merkte ich: Das will ich nicht. Ich will unabhängig sein von Dingen. Was ist für dich „Zuhause“? Es klingt vielleicht etwas unromantisch, aber für mich ist Zuhause, wo ich meinen Laptop aufmache. Es gibt doch diesen Spruch: Home is where the Wifi connects automatically. Das stimmt für mich wirklich. Und zwar vollumfänglich und ehrlich, ich fühle mich hier absolut daheim, bin sehr nah mit den Menschen, die hier arbeiten. Aber ich kann dieses Gefühl überall auf der Welt replizieren, und INNOVATOR

Keine Rechenschaft schuldig Der Minimalismus und seine Art zu leben seien keine ­Konsumkritik: „Ich will niemanden dazu bringen, auch so zu leben. Mich macht d ­ iese Freiheit einfach sehr happy“, so der Vierzigjährige.

Gehört zur Freiheit auch, nicht ans Telefon zu gehen? Man munkelt, Alan Frei sei telefonisch nicht erreichbar. Ich bin schon erreichbar, aber nicht ohne Termin, zumindest geschäftlich. Ohne Termin nehme ich nur ­Anrufe von Freunden und Familie entgegen. Manchmal. Manchmal ruf ich auch zurück. Unbekannte Nummern ohne Termine nehme ich nie ab. Wie oft bringt einem eine ­unbekannte Nummer etwas Gutes? Wie oft denkt man: „Meine Güte, zum Glück bin ich da rangegangen!“? So gut wie nie. Die meisten dieser 77


Optimiertes Leben Alan hat alles los­ gelassen, was er nicht braucht, und besitzt diese 80 Dinge. Erinne­ rungen hat er im Kopf und auf dem Handy.

Anrufe rauben einem nur Zeit. Was mich wirklich nervt, sind Leute, die einen anrufen, volllabern und am Schluss sagen: Ich schick dir noch ­alles in einem E-Mail. Schick doch einfach die E-Mail!! Außerdem gibt es ja auch noch SMS und Sprachnachrichten. Oh Gott, diese „Huch, jetzt bin ich grad fast in Hundekacke getreten, aber anyway, was wollte ich noch mal sagen“-Sprachnachrichten … Da müsste wirklich mal eine VoiceMessage-Etikette geschrieben werden. Komm auf den Punkt! Ich höre die übrigens alle in doppelter Geschwindigkeit ab. Denn, ja, Zeit ist die größte Freiheit und das wichtigste Gut.

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Wie hängen Minimalismus und Business zusammen? Als Allererstes ist es natürlich ein großer Widerspruch: Ich selber will nichts besitzen, aber allen etwas verkaufen. Ich glaube, dass Sextoys etwas Großartiges sind und Menschen glücklicher machen können. Für mich selber heißt es halt, dass ich nur eines besitze. Die Reduktion macht das Leben und das Business sehr klar. Ich bin nicht abgelenkt, kann Ziele erkennen und fokussiert darauf hinarbeiten. Pragmatismus scheint sowieso eine Stärke von dir zu sein: Mir wurde erzählt, dass du schon in der Schule sagtest, du wollest primär einmal reich werden. (Lacht.) Echt, hab ich das gesagt? Gut möglich. Tatsächlich bin ich aber eher jemand, der herummäandert. Vor Amorana habe ich so viele Startups in den Sand gesetzt (rund fünfzig Geschäftsideen und acht Firmen, ­Details in der Biografie-Box; Anm.), dass einige meiner Freunde insgeheim wohl die Augen verdrehten, als ich ankam und sagte: Jetzt will ich Dildos verkaufen. Meine Geschichte ist wirklich keine geradlinige, und ich glaube, 78

„ICH HABE IMMER LAPTOP, UNTERHOSEN UND EIN HEMD DABEI. WAS AUCH IMMER AUF MICH ZUKOMMT: I’M READY.“ INNOVATOR


1 TA S TAT U R Sie ist faltbar und dient Alan dazu, vom Handy aus zu arbeiten.

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2 SONNENBRILLE Auch diese ist faltbar und nimmt so den kleinstmöglichen Raum ein.

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3 STIFT Alan besitzt einen einzigen kurzen ­Kugelschreiber. Das reicht. 4 FLIEGE Bei aller Liebe zum Minimalismus – für spezielle Ereignisse kleidet sich Alan ­gerne festlich.

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5 SCHUHE Fünf Paare, eines für jeden Anlass. Wenn sie kaputt sind, kauft er neue. 6 F I T N E S S BA N D Sport muss sein, schließlich will Alan an den Olympischen Spielen teilnehmen. 7 LEDERHOSE Die richtige Hose für das richtige Bier – Alan trägt sie gerne bei Oktoberfesten.

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es ist auch wichtig, das so zu erzählen, weil es den Leuten Hoffnung gibt. Vor fünf Jahren hatte ich keinen Franken auf dem Konto und war eher der Loser im Vergleich zu meinen Freunden, die gut verdienten in ­ihren Corporate-Jobs. Aber ja, mein Ziel war immer Unabhängigkeit, und dazu gehört auch der finanzielle Aspekt. Und nein, ich bin nicht un­ bedingt der pragmatische Typ. Ich lasse mich gern ablenken, habe aber gelernt, Nein zu sagen und mich ­phasenweise wirklich zu fokussieren. INNOVATOR

Jetzt bin ich wieder in einer Herumspinn-Phase. Was kommt, was passiert? Keine Ahnung! Bei Amorana bin ich ja noch dabei, das finde ich nach wie vor cool. Aber mich interessieren ­momentan auch NFTs, also Non-­ Fungible Tokens, extrem (ein nicht austauschbares digitales Objekt, das im Kern aus einem geschützten Verweis auf eine digitale Ressource ­besteht, etwa digitale Bilder im Internet. Diese besondere Form von Token

ist nicht teilbar oder austauschbar; Anm.), ich mache einen Podcast und einen YouTube-Kanal, der niemanden interessiert, aber das alles finde ich wahnsinnig spannend. Ist Amorana auch beim Herumspinnen entstanden? Ja und nein. Mein Geschäftspartner, der damals noch bei einer Bank arbeitete, rief mich an und sagte, ihm sei langweilig, ob wir nicht zusammen irgendwas aufziehen wollten. Also trafen wir uns jeden Freitag zum 79


Alles dabei Alan Freis gesamte ­Besitztümer passen in diese schwarzen ­Taschen. Er will unab­ hängig sein von Dingen.

Brainstorming. Und nach vielen schlechten Ideen stolperten wir ­irgendwann über den Fakt, dass achtzig Prozent der Menschen gern mehr ausprobieren wollen im Bett, sich aber nicht getrauen, zu fragen. Und so kamen wir auf die Idee der Sextoy-Box. So muss niemand fragen, die Sachen kommen einfach zu dir nach Hause. Wir bastelten in einem halben Tag eine Website, schrieben 4000 private Mailkontakte an, darunter auch unsere Profs und so (lacht), und drei Leute bestellten ­tatsächlich so eine „Lovebox“. Also rannten wir in den Magic-X-Erotik­ store und kauften einfach alles, was im Preis reduziert war, packten das in drei Schachteln, noch ein bisschen Seidenpapier drauf, ab die Post. Die Reaktionen waren nicht allzu gut – „Was schickt ihr mir da abgelaufenes Massage-Öl?!“ und so (lacht) – aber wir merkten, dass die Idee Potenzial hatte. Gibt es eigentlich etwas, bei dem gilt: „Mehr ist mehr“? Geld vielleicht? (Denkt lange nach.) Nein, glaube ich nicht. Leute, die sagen, Geld mache nicht glücklich, sind wohl die, die schon immer Geld hatten. Ich hatte auch schon gar kein Geld und wusste nicht, wie ich die Rechnungen bezahlen soll, und kann jetzt sagen: Geld haben ist viel geiler. Aber, und alle Studien zeigen das: Ab einer gewissen Grenze bedeutet mehr Geld nicht mehr Glück. Als uns die Verkaufssumme überwiesen worden ist, habe ich die nächsten zwei Wochen sicher zwanzig Mal pro Tag auf mein Konto geschaut, es war so surreal. Und dann plötzlich nicht mehr. Die Zahl war mir egal. Drei Sachen sind geblieben. Erstens: Meine Mutter lebt auf den Philippinen. Es ist mir extrem wichtig, zu wissen, dass ich ihr immer helfen kann. Ob das Medikamente sind oder ein Arzt – kein Problem. Zweitens: Ich kann in Menschen 80

„ICH MUSS NIE MEHR ETWAS MACHEN, DAS MICH NICHT ÜBERZEUGT. DAS IST ULTIMATIVE FREIHEIT.“

Ku r z e B i o g r a f i e Alan Frei, geboren am 27. März 1982, studierte Finance an der Universität Zürich und versuchte sich danach an rund fünfzig Geschäftsideen und acht Firmen, die allesamt floppten: von einer Plattform, um den Tod zu digitalisieren, oder einem Taxi-Raten-VergleichsTool über ein Nachhilfeportal oder Mango-Schnaps bis zu WC-Papier-

rollen ohne Karton. 2014 grün­ dete er zusammen mit seinem ­Geschäftspartner Lukas Speiser den Erotik-Online-Shop Amorana. Diesen verkaufte er im Jahr 2020 an den britischen Sextoy-Her­ steller Lovehoney. Frei arbeitet weiterhin als CMO von Amorana und bloggt und podcastet auf ­alanfrei.com.

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Alans Produktivitäts-Hacks ( i n s p i r i e r t v o n M a r t i n C a r te r)

1 . PL ANE DEN TAG I M VO R AU S Nimm dir am Abend 15 Minuten Zeit, um zu überlegen, was du heute erreicht hast, was morgen erledigt werden muss und wie du den Tag organisieren möchtest. 2 . TO -DO -LISTE Mache aus einer ­großen Aufgabe mehrere kleine Aufgaben, die weniger Zeit beanspruchen. Dinge von der To-doListe zu streichen gibt dir Motivation, weitere Aufgaben zu erledigen. 3. WICHTIGE AU F G A B E N Prioritäten setzen: Welches Projekt ist das Wichtigste? Was muss ich tun, um es fertigzustellen?

4 . AU F G A B E N VERBINDEN Suche auf deiner To-do-Liste nach ähnlichen Tasks (etwa Rechnungen schreiben) und erledige diese in der selben Zeit. 5. SEI KEIN PERFEKTIONIST Wenn du dich zu sehr darauf konzentrierst, alles perfekt zu machen, wirst du die Aufgabe immer wieder durchgehen und Zeit verlieren. 6 . K E I N E E- M A I L S AM MORGEN Deine Produktivität leidet darunter, weil es dir zu viel Information auf einmal gibt. Nutze den Morgen für wichtige Aufgaben. Lese die E-Mails in deinen unproduktivsten Stunden.

und Ideen investieren, die ich cool finde. Und drittens: sogenanntes Fuck-you-Money. Klingt negativ, ich meine es aber im allerpositivsten Sinne: Ich werde nie mehr etwas ­machen müssen, obwohl es mich nicht überzeugt. Das ist die ultima­ tive Freiheit. Thema Schlaf: Ist da weniger mehr? Nein, ich liebe schlafen. Das ist so ein Neunzigerjahre-Ding mit diesem „Viel arbeiten, wenig schlafen“. Mit wenig Schlaf bin ich einfach nicht gut. Seit zwei Jahren habe ich auch keinen Wecker mehr. Meetings gibt es erst ab zehn Uhr, und ich habe noch kein einziges verschlafen. Ich habe auch eine ganz elaborierte Abendroutine. Zuerst mach ich meine Gua-Sha-Session, das ist so ein Massagestein fürs Gesicht, dann ­klebe ich mir den Mund ab, weil es besser ist, durch die Nase zu atmen, ziehe einen Ring an, der meinen Schlaf trackt, mache den Raum ­komplett dunkel, denke noch kurz INNOVATOR

daran, wie dankbar ich bin, und dann schlafe ich wie ein Baby. Hast du beim Essen auch optimierte Routinen? Immer dasselbe, immer zur selben Zeit? Nein. Essen ist meine Schwäche. Letztes Jahr, nach dem Verkauf, nach den Festtagen, war ich wirklich übergewichtig. Meine Freundin sagte irgendwann: „Hey, das ist nicht gesund, du musst abnehmen.“ Aber einfach so weniger essen geht für mich nicht. Da muss schon etwas Ausgeklügelteres her, eine Story, ­damit ich mich gesund ernähre und dabei bei Laune bleibe. Und was ist der Titel der Story? (Dramatische Pause.) „From Obese to Olympics“. Ich werde 2026 in Mailand als Olympiateilnehmer in dieses Stadion einlaufen. Auf Biegen und Brechen. Komme, was wolle. Wie bitte? Mein Performance-Coach in Süd­ afrika, ein echter Crack, sagt, mit dem perfekten Training und der ­perfekten Ernährung ist es möglich. Wir haben einen Gentest gemacht und so meine Ernährung maß­ geschneidert, ich habe auch einen Blutzucker-­Tracker implantiert wie bei Diabetikern. Das ist alles hochprofessionell, ich habe eine Ärztin, eine Yoga­trainerin und eine Personal Trainerin in meinem Team. Und in welcher Disziplin könntest du so gut werden, dass das klappt? I. Don’t. Know. Dass ich für die Schweiz antreten kann, wird eh nicht möglich sein, weder in den Sommernoch in den Winterspielen. Aber: Ich habe ja auch einen philippinischen Pass! Und es besteht eine klitzekleine Chance, dass ich für die Philippinen an den Olympischen Winterspielen teilnehmen kann. In dem 100-Millionen-Land hat sich nämlich bisher nur ein einziger Sportler qualifiziert. Zusammen mit dem Sportjournalisten in meinem Team, einem echten Sport-Geek, haben wir nun völlig matrixmäßig eine Liste von Sport­ arten entwickelt, die einigermaßen realistisch sind für mich. Die gehen wir jetzt durch und schauen, ob ich irgendwo ein Talent haben könnte. Momentan sieht es nach Langlauf aus. Also aufgepasst: Nach Eddie the Eagle kommt jetzt Alan the Albatross. 81


MATO JOHANNIK

Bernadette Frech, CEO von Instahelp: Die studierte Emo­ tionsmanagerin hilft anderen, Gefühle richtig einzusetzen.

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DEINE GEFÜHLE SIND DEIN KAPITAL FOTOS Mato Johannik INTERVIEW Waltraud Hable

Psychohygiene auf Knopfdruck: Das österreichische Start-up Instahelp bietet psychologische Online-Beratung – via Textchat oder Videotelefonie. Für CEO Bernadette Frech ein wichtiger Teil der Gesundheitsvorsorge. Bei uns erklärt sie, wie du durch Emotionsmanagement dein ­Leben veränderst – und auch das deiner Umgebung. INNOVATOR

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Zwischen 17 und 21 Uhr herrscht Hochbetrieb bei Instahelp. Dann, wenn Psychologen-Praxen bereits geschlossen haben, trudeln die meisten Anfragen ein. Ob Beziehungsstress, Jobängste, Selbstwertprobleme: Via Textchat oder Audio- und Videotelefonie kann man bei Instahelp orts- und zeit­ flexibel auf Psychologen zugreifen und sich seine Probleme von der Seele reden bzw. schreiben. Und das in mittlerweile fünf europäischen Ländern.

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Millionen Euro Investment heimst Geschäfts­ führerin ­Bernadette Frech ein, nachdem sie Instahelp in der TV-Show „2 Minuten 2 Millionen“ (Österreichs Pendant zur „Höhle der Löwen“; Anm.) präsentiert. Auf dem 4GAMECHANGERS Festival wird das 2015 von Toto Wolff, René Berger und den ehemaligen sms.at-Machern Jürgen und Martin Pansy gegründete Unternehmen zum „Startup of the Year“ gekürt. Zwei Milestones, ein Resümee: Die Idee der psychologischen ­Online-Beratung ist gut, Bedarf ist vorhanden. Rund 20 Prozent der Europäer kämpfen mit psychischen Problemen. Viele davon suchen nie professionelle Hilfe auf. Die gebürtige Grazerin Frech setzt auf Prävention: „Man geht

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ins Fitnessstudio, um physisch gesund zu bleiben. Warum also nicht auch regelmäßig Emotionshygiene betreiben? Konzerne wie Renault und trivago stellen ihren Mitarbeitern unser Angebot als Teil der betrieblichen Gesundheitsvorsorge gratis zur Verfügung.“ Im Interview erklärt die 38-Jährige, warum vermeintlich schlechte Gefühle eigentlich gut sind – und wie du lernen kannst, mit ihnen besser umzugehen. innovator: Frau Frech, Sie sind Geschäftsführerin von Instahelp – und eine gute Kundin auf Ihrer Plattform, wie man hört? bernadette frech: (Lacht.) Ja, ich nutze die psychologische Online-Beratung immer montags um 21 Uhr, das ist mein Fixtermin. Um diese Uhrzeit sind meine beiden Söhne im Bett. Dann kann ich am Computer mit dem Experten in aller Ruhe Situationen durchgehen, die mich beschäftigen, oder mich anleiten lassen, was ich im Alltag an mir beobachten soll. Man enttarnt so rasch Ver­ haltensmuster und lernt die eigenen Stressoren besser kennen. Kann ich nur jedem empfehlen. Sie haben an der Aston Business School in England im

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FA C T S & F IGURE S 7.000 Anfragen pro Monat verzeichnet Instahelp. Das Geschlechter­ verhältnis ist 50:50, Männer und Frauen suchen gleicher­ maßen bei Instahelp Rat. 30–50 Jahre ist die Alters­ spanne der User.

Bernadette Frech in trotziger, wütender Pose. Aber sie weiß: Negative ­Gefühle können ein guter Treiber sein.

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­Bereich Emotionsmanagement promoviert. Das klingt sehr technisch. Kann man Gefühle überhaupt managen? Man kann sie sogar sehr gut managen! Wir sind unseren Emotionen ja nicht einfach nur aus­geliefert. Wir regulieren sie täglich. Beruflich wie privat gibt es klar definierte Emotionen, die von uns erwartet werden, und Emotionen, die wir unterdrücken sollen. Von meinem Shareholder René Berger habe ich den Satz: „Manage deine Emotionen, sonst managen sie dich.“ Das trifft es ganz gut.

Dabei heißt es: Gefühle haben im Job nichts verloren. So tough ein Manager vielleicht nach außen hin wirkt und auf wie viele harte Zahlen und Fakten er sich auch berufen mag – Entscheidungen kannst du nur treffen, wenn Emotion da ist. Allein mit Ratio geht es nicht. Und generell werden im Job ja durchaus Ge­fühle erwartet: Im Start-upBereich will man etwa dauerhaft pure Leidenschaft ­sehen, obwohl Begeisterung eine kurzfristige Emotion ist.

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„Wut ist gut für Innovationen. Wenn du nie Wut spürst, wenn etwas nicht funktioniert, veränderst du auch nichts, suchst du nicht nach neuen Lösungen.“

Und von welchen Gefühlen wird erwartet, dass man sie unterdrückt? Ein Beispiel wäre Stolz. Oft ­zeigen wir ihn nicht, um nicht arrogant zu wirken. Studien belegen, dass unterdrückte Emotionen sich nicht nur negativ auf die psychische Gesundheit auswirken, sondern auch auf das Immunsystem. Genau! Deswegen sind Angebote wie Instahelp auch so wichtig. ­Unsere psychologische Online-­ Beratung ersetzt keine Therapie, das darf sie rein rechtlich auch nicht, sie kann aber dazu bei­ tragen, dass es gar nicht erst zu ­einer psychischen Erkrankung oder zum Burn-out kommt. Aber niemand kann nur positive Gefühle haben. Wut und Angst gehören zum Leben. Ich habe gelernt: Es gibt keine „schlechten“ Gefühle, sie sind nur falsch besetzt. Wut, Angst und Scham können tolle Treiber sein, die man für sich nutzen kann. Wut als Erfolgsbaustein? Solange man dem anderen nicht an die Gurgel springt, ja. (Lacht.) Wut ist gut für Innovationen. Wenn du nie Wut spürst, wenn ­etwas nicht funktioniert, ver­ änderst du auch nichts, suchst du nicht nach neuen Lösungen. Angst wiederum kann dich pushen, deine Sinne zu schärfen, fokussierter zu agieren. Man nennt das ­„reframing“. Du nimmst einfach einen anderen Blickwinkel ein. Sie meinen damit, sich Dinge einfach schönzureden? Es bedeutet eher, flexibel zu denken. Es wäre ein Leichtes, zu sagen, mein Job stresst mich, meine Kinder zehren an mir. Stattdessen

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Ein Lächeln ist laut Frech so ansteckend wie Gähnen: „Umso wichtiger ist es, positive Gefühle zu schaffen.“


versuche ich zu sehen, was für ein schöner Abschnitt das gerade ist, in dem ich meine Söhne begleiten darf. Oder was für ein Privileg es ist, dass ich überhaupt Arbeit und so eine verantwortungsvolle Position habe. Man kann das ­beliebig durchspielen: Wut über eine vermeintlich ungerechte ­Behandlung – das kennt jeder – bietet zum Beispiel eine Chance, zu erkennen, warum genau mich der Vorfall so wütend macht. Ver­ steht man den wahren Grund, bringt einen das wirklich weiter.

kommen wir nicht weiter, weil die Person in dieser Emotion ge­ fangen ist. Bei Instahelp visieren wir neue Märkte an, das bedeutet viel Veränderung für das Team. Für mich als Geschäftsführerin lohnt es sich, nachzufragen: ­Warum machst du dir Sorgen? Warum bist du dagegen? Nur wenn du die Ängste aufdeckst, wirst du den gesetzten Meilen­ stein erreichen. Und: Man muss mit Visionen arbeiten, gemein­ sam erarbeiten, was unserem Tun einen Sinn gibt.

Und wie „managt“ man seine Gefühle noch? Durch „emotional forecasting“ etwa. Wir haben ja mitunter die Wahl, welcher Situation wir eine Emotion schenken wollen.

Ein Satz, der immer für positive Stimmung sorgt? „Danke.“ Wir alle leisten viel und freuen uns, wenn das erkannt und anerkannt wird.

Was meinen Sie damit? Will ich mich wirklich mit einer Person treffen, von der ich weiß, dass sie mir nicht guttut – ja oder nein? Will ich den Job, der keine Work-Life-Balance erlaubt? Vieles ist vorhersehbar, man muss nur achtsamer werden. Dabei kann ein neutraler Experte helfen. Was ist eigentlich falsch daran, Gefühle einfach rauszulassen? Gar nichts. Aber rauszulassen heißt nicht, dass es total un­ kontrolliert oder für das Gegen­ über unangenehm sein muss. Ich darf natürlich verbalisieren: „Das macht mich jetzt richtig ­wütend.“ Dann wissen die ande­ ren Bescheid, dass da mein Herz daran hängt. Man sollte sich nur bewusst sein: Stimmungen sind so ansteckend wie Gähnen. Umso wichtiger ist es, positive Gefühle zu schaffen. Mich selbst mag ich ja steuern können. Aber was ist mit den anderen? Was, wenn in einem Team einer immer dagegen ist und alle runterzieht? Mein persönlicher Zugang wäre, es anzusprechen, aber ich pflege sicher einen sehr empathischen Führungsstil. Wir übergehen ­unangenehme Situationen sehr gerne, weil wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Wir reden zwar weiter, aber letztlich

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Wir haben heute viel über direkte Kommunikation ­gesprochen. Bei Instahelp kann ich Psychologen – wenn gewünscht – auch nur via Textchat konsultieren. Lässt sich per Chat überhaupt eine ­Beziehung aufbauen? Ja. 60 Prozent unserer Kunden nutzen Textchat, 40 Prozent ­Audio- und Videotelefonie. Der Chat mag unpersönlicher wirken, aber er hat Vorteile: Wenn du um zwei Uhr früh nicht schlafen kannst, kannst du die Emotion in dem Moment formulieren, in dem du sie gerade fühlst. Die Antwort des Psychologen be­ kommst du am nächsten Morgen, aber die Beschreibung ist frisch. Außerdem hat der Chat auch eine Art Tagebuchfunktion, du kannst nach­lesen, darüber reflektieren … Dass Online-Angebote eine gute Ergänzung zum Gesundheits­ wesen sind, zeigt sich an Ländern wie Schweden. Dort kannst du auch schon per Webcam zum Arzt gehen und ihm deine Symptome zeigen. Bis dorthin ist es aber noch ein weiter Weg. INSTAHELP.ME Styling Simon Winkelmüller Hair & Make-up Sabine Reiter Bluse CELINE Hose FILIPPA K über NFive

Psychologische Beratung online

SO FUNK TIONIERT INSTA HELP 1 Du loggst dich anonym und kostenlos auf Instahelp ein.

2 Innerhalb von Minuten meldet sich ein „Ersthelfer“, ein geschulter Psychologe, der je nach Problemstellung einen passenden Gesundheits- oder klinischen Psychologen vorschlägt.

3 Dieser nimmt binnen 24 Stunden Kontakt auf. Alle Psychologen verfügen über mindestens drei Jahre Berufserfahrung und eine Zusatzqualifikation im Bereich der Online-Beratung. Das E-Health-Angebot wurde mit der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien und einem wissenschaftlichen Beirat entwickelt. Wird man sich mit dem Psychologen einig, finden die Beratungen per Textchat oder verschlüsselter Audiound Videotelefonie statt.

4 30 Minuten Beratung kosten 49 Euro, 50 Minuten 69 Euro. Alles ohne Mindestlaufzeit.

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EVENTS Seit über zwölf Jahren leitet Patricia Zupan-­ Eugster gemeinsam mit Schwester Verena Eugster die Event­ agentur W3 Marketing.

Als Eventplanerin und Mitbegründerin des Female Future Festivals weiß Patricia Zupan-­Eugster, 43, wie man auch in unsteten Zeiten gelungene Veranstaltungen auf die Beine stellt. Im Interview verrät sie, wie das funktioniert.

„SO WIRD AUCH DEIN EVENT EIN ERFOLG“ Patricia Zupan-­Eugster

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war schon vor der Pandemie so. Dieses Denken in Worst-Case-Szenarien hat sich durch Corona verstärkt – aber ja, aus­ bremsen ­lassen wir uns trotzdem nicht. Wie hat sich deine Arbeit in den ­letzten zwei Jahren verändert? Man muss heute noch flexibler sein und noch mehr auf die Bedürfnisse aller ­Beteiligten achten. Speziell das Thema Sicherheit ist enorm wichtig. Hygiene­ konzepte müssen passen, damit sich die

W3/STEFAN MAYR

the red bulletin innovator: 2019 hast du mit deiner Schwester erstmals das Female Future Festival am Bodensee ausgerichtet. 2022 sind es bereits fünf Termine, darunter Stopps in Graz und Wien, zusätzlich expandiert ihr nach München und Zürich. Corona kann euch nichts anhaben – oder wie lässt sich das deuten? patricia zupan-eugster: Als „Event­ lerin“ gehe ich immer vom Besten aus, rechne aber mit dem Schlimmsten. Das

INNOVATOR


S A V E T H E D AT E Besucher so wohl wie möglich fühlen. Bei dem Thema gibt es keine Kompromisse. Zugleich muss man sich aber auch dessen bewusst sein, dass es immer Dinge geben wird, die man nicht in der Hand hat. Darum ist mein Nummer-einsTipp: immer einen Plan B haben. Dann mal angenommen, die Technik streikt – wie sieht dein Plan B aus? Zunächst rate ich jedem, nicht erst am Tag des Events zu checken, ob der Beamer läuft und die Internetverbindung stabil ist. So kann man reagieren, Ersatzgeräte besorgen, und man merkt, ob die lokale Technik-Crew auf Zack ist. Im Ernstfall eine Person aus dem eigenen Team freischaufeln, damit die sich nur darauf ­fokussieren kann. Denn egal wie gut die Inhalte sind, wenn Technik oder Catering nicht passen, wird es niemals eine erfolgreiche Veranstaltung. Wie seid ihr im Team aufgestellt, um solche Ausfälle abzufedern? Wir sind zwölf Leute und nach dem VierAugen-Prinzip organisiert. Wenn ich ver-

hindert bin, wissen m ­ eine Kolleginnen Verena und Sarah über alles ­Bescheid, und umgekehrt. Es gibt nicht die eine Person, die das ganze Event überblickt. Wie blickst du im Moment auf die ­Zukunft deiner Branche? Sehr positiv. Speziell im Herbst 2022 wird viel los sein. Ich denke, die meisten Veranstalter werden auch die Online-­ Livestreams beibehalten. Ich bin aber ­davon überzeugt, dass das niemals die Emotion realer Treffen ersetzen kann. Am Ende kann die Unterhaltung mit ­einer fremden, offenen Person genauso inspirierend sein wie der Vortrag einer Star-Speakerin auf der Mainstage.

5× Female Future Festival 2022: Bodensee: 4. Mai Zürich: 15. September Graz: 29. September Wien: 6. Oktober München: 27. Oktober Alle Infos unter: female-future.com

PATRICIAS TIPPS 1. und 2. Juni Lead Today Shape Tomorrow, Wien „Ich fand die virtuelle Ausgabe im Vorjahr sehr gelungen. Mehr Frauen für die Tech-Szene zu begeistern: Das haben sie ­super umgesetzt.“ leadtodayshapetmrw.org

23. bis 26. September Digital Festival, Zürich „Schweizer legen den Fokus oft eher auf den Inhalt als auf das Drumherum. Ich bin trotzdem gespannt auf die Location – und natürlich auf die Speaker.“ digitalfestival.ch

6. und 7. Oktober herCAREER, München „Frauen, die ihre Karriere ­starten, bietet die Messe coole Netzwerk-Formate wie Lunchdates und Round Tables.“ her-career.com

60K+ VISITORS • 10 STAGES • 23 MASTERCLASSES • 700+ SPEAKERS


EVENTTIPPS DER REDAKTION Wie sieht’s die kommenden Monate im Kalender aus, ist noch ein bisschen Platz? Dann legen wir dir diese Termine wärmstens ans Herz …

SAVE THE DATE

29.

und 30. Juni 2022

23.

und 24. April 2022

Auf der größten Messe für Gründer:innen in Deutschland verraten Profis wie Investment­ punk Gerald Hörhan und ­Promis wie Dieter Bohlen ihre Strategien und Anekdoten aus ihrem Leben als Gründer. The Founder Summit, Wiesbaden thefoundersummit.de

17.

und 18. Mai 2022

Auf dem Online Marketing Rockstars (OMR) Festival in Hamburg dreht sich alles um ­digitale Plattformen. Wie geht digitales Storytelling und wie vermarktet man sich auf Social Media? Als Speaker sind unter anderem die YouTuber Rezo und Fynn Kliemann e ­ ingeladen. Dazu werden Aussteller die neuesten Trends präsentieren. Es gibt Vorträge, Workshops … und Partys.

Auf der K5 Conference ver­ sammelt sich dieses Jahr nun schon zum zehnten Mal die E-Commerce-Branche, um sich mit den etwa 4000 Teilnehmer:innen über die Trends der digitalen Handels­ welt auszutauschen. Als ­Speaker ist Tarek Müller ­eingeladen. Der Hamburger ist Mitgründer des Online-­ Versandhänders About You. K5 CONFERENCE, Berlin k5.de

18.

Juni bis 25. September 2022

Die Documenta ist die ­wichtigste Reihe von Aus­ stellungen zeitgenössischer Kunst. Weltweit. Über hun­ dert ­internationale Künstler zeigen hier ihre Werke. Selbst Holly­woodstar Brad Pitt kam schon zu Besuch. Leider findet die Ausstellung nur alle fünf Jahre statt. Ein Grund mehr, den Termin nicht zu verpassen. Documenta, Kassel documenta.de

LUCAS WAHL, MAXIMILIAN PRECHTEL, NICOLAS-WEFERS

OMR Festival, Hamburg omr.com

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INNOVATOR


BIOHACKING-GADGET

„ DIESE GLOCKE BRINGT DICH IN BALANCE“ Biohacker Andreas Breitfeld zeigt uns Gadgets, die unser Leben verbessern. Dieses Mal: wie wir uns mit der Echobell in Ruhe schwingen. Außen Design, das an Esoterik erinnert, innen ein Hightech-­ Motor, der den Stößel (ganz ­unten) exakt vibrieren lässt.

S KLAUS PICHLER, NORMAN KONRAD

Andreas Breitfeld

nimmt als Biohacker seine Gesundheit selbst in die Hand und in seinem Labor Gadgets auf den Prüfstand. Für uns bewertet er diese Gadgets – hier und in seiner Video-Serie. Code scannen und ansehen:

INNOVATOR

pätestens wenn wir die Welt auf ­Molekularebene betrachten, müssen wir uns vom statischen Weltbild ver­ abschieden. Fast alles um uns herum und auch wir sind ständig in Bewegung. Diese Schwingung beeinflusst u. a. die Aktivität unserer Mitochondrien, also unserer ­Zellkraftwerke. Und genau hier setzt die Echobell an. Eine Kombination von feinen Schwingungen und einem subtilen Ton soll harmonisierend wirken und Stress abbauen. Klingt sehr ambitioniert, funk­ tioniert aber tatsächlich. Dafür wird das deorollergroße Gadget für ein paar Minuten an unterschiedlichen Nerven­ endpunkten wie etwa der Handinnen­ fläche platziert, während der Stößel am ­Boden des Geräts dank Hightech-­ Motor hochfrequent vibriert.

Da Nervenendpunkte mit dem Mandel­ kern – also dem Emotionszentrum in ­unserem Gehirn – verbunden sind, sorgt das für Entspannung. Der begleitende Ton fördert diesen Prozess noch und wirkt zudem gegen Geräuschverschmutzung, die uns im Alltag meist umgibt. Für mich ist die Echobell mittlerweile ein unver­ zichtbarer Teil meines Abendrituals. 630 Euro; echobell.com GADGE T- O - ME TER Schnäppchen Luxus 0

für jedermann 0

10

für Freaks 10

Wissenschaft Esoterik 0

10

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K O M M E N TA R E K O M M E N T I E R T

The Red Bulletin Innovator

Dieser Bus revolutioniert die Autoindustrie Das Start-up ElectricBrands entwickelte den XBUS nach dem „Lego-Prinzip“.

FAN-POST Innovation sorgt für Irritation. Und Irritation für lustige Kommentare auf Social Media. Hier beziehen Innovatoren zu den Posts Stellung. Diesmal: Mobility-Pionier Martin Henne über seinen Elektrobus XBUS.

D Herb van Dijk

Vergrößertes Playmobil-­ Spielzeug??

Hanns-Helmut Köpke

Das Ding sieht aus wie ein russischer Gefangenentransporter.

Robert Falkner

Billiger Bulli T1, Chinesennachbau.

as deutsche Unternehmen ­ElectricBrands hat mit dem XBUS ein außergewöhnliches Gefährt entwickelt – mit 20 PS, bis zu 800 Kilometer Reichweite, einem smarten Modulsystem für Einsätze als Transporter, Pick-up oder als Campingbus – und nicht zuletzt mit der Fähig­keit zu polarisieren. Auf der INNOVATOR-­­Facebook-Seite (Liken erlaubt!) zog das Video zum Artikel aus unserer letzten Ausgabe hunderte Reaktionen und Postings nach sich. Wir ­geben nicht nur mit Freude drei der kreativsten wieder, sondern Electric­Brands-CEO Martin Henne zugleich die Möglichkeit, diese gleich selbst zu kommentieren. Denn eines steht fest: Der XBUS wird kommen – ob er gefällt oder nicht.

Martin Henne

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Martin Henne

arbeitete von 2011 bis 2021 als Managing Director bei der CT Engineering Group mit Fokus auf Automotive, Luftfahrt, Schienenfahrzeuge und erneuerbare ­Energien. Seit letztem Jahr ist er CEO des Mobility-Start-ups ElectricBrands.

INNOVATOR

ELECTRICBRANDS.DE

Danke für das Feedback! Den Vergleich mit dem Bulli hören wir oft – das ist ein Kult­auto, bei dem ­vieles richtig gemacht wurde. Daran knüpft ja unser „Keep it simple“-Motto an. Design ist immer Geschmacks­sache und kann polarisieren. Aber hey, ­Polarisierung ist bereichernd, regt zu ­Diskussionen an und kann Veränderungen vorantreiben. Und genau das wollen wir: Mobilität nachhaltig verändern.


1. Aus welchem Buch hast du am meisten gelernt? „Radical Candor: How to Get What You Want by Saying What You Mean“ von Kim Scott. Der Untertitel beschreibt sehr gut, worum es geht: Wie setzt man radikale Ehrlichkeit in Teams oder privat um? Das Buch ist eher schwere Kost, aber durch die vielen witzigen Beispiele und Situationen gut nachvollziehbar.

M Y F AV O U R I T E S

DIE TOOLS DER SEX-PIONIERIN

4. Bei welchem ­Podcast verpasst du keine Folge?

Welchen Apps und Inspirationsquellen „femtasy“-Gründerin Nina Julie Lepique im Alltag vertraut.

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5. Welche App hast du zuletzt für dich entdeckt?

2. Welchen News­ letter liest du bis zum Ende? Den von product. growth. Das ist ein cooler Newsletter von Produktdesignern, die bekannte Apps analysieren und konkretes Feedback geben. Auch als Nicht-Designer kann man viel lernen: wie man Business Metrics optimiert, wie man Features neu denkt, wie man mit Usern kommuniziert.

3. Welchen Instagram-­ Account likst du am häufigsten? Ich finde Lea-Sophie Cramers Account gut. Eine Mischung aus leicht konsumier­ baren Learnings und guten Einblicken über Ups und Downs aus dem Gründe­ rinnen-Alltag.

„Baby got Business“ von Ann-Katrin Schmitz ist meine Nummer eins. Wenn es witziger sein soll, aber ebenso mit schlauen Inhalten, dann empfehle ich „Weibers“ von Toyah Diebel und Leila Lowfire.

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Die Leadership-­ Training-App Bunch. Ich habe vor kurzem ­einen der Gründer kennengelernt. Er und sein Team liefern snackable Leadership-Tipps für ­jeden Tag. Du kannst unter mehreren Bereichen auswählen, je nachdem, in welchem Bereich du noch was lernen möchtest. Ich habe mich etwa für „Mehr Fokus“ entschieden.

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Nina Julie Lepique

Welche digitale „Guilty Pleasure“ erlaubst du dir? Ich erlaube mir viel digitale „Pleasure“ bei den femtasyStorys, aber das ist nicht guilty. Also muss ich zugeben: Ich lese manchmal Promiflash, auch wenn es mich eigentlich gar nicht ­interessiert.

hat sich die sexuellen Bedürfnisse von Frauen zum Beruf gemacht: Mit femtasy (ein Kofferwort aus female fantasy) gründete sie 2017 eine Plattform für erotische Audio-Formate, die sich speziell an Hörerinnen ­richtet. Fünf Jahre später steht die 28-Jährige einem 30-köpfigen Team vor und schreibt Umsätze in Millionenhöhe. Im Podcast INNOVATOR Sessions spricht sie über ihren Erfolgsweg und ihre größte Stärke: Ehrlichkeit. INNOVATOR Sessions gibt es auf allen gängigen Podcast-Plattformen zu hören.

INNOVATOR

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KOLUMNE

Was treibt Start-up-Unternehmer an? Und welche Unterschiede gibt es bei der Firmengründung? Der Unternehmer Philipp Westermeyer analysiert für uns die Gründerszene.

SO TICKT DIE NEUE GRÜNDER-GENERATION

Modell 2: Man kommt aus der Tiefe eines

Themas, etwa in Forschung oder Technologie, stößt auf eine Dynamik, die nach eigener Auffassung starkes wirtschaft­ liches Potenzial hat, setzt sich ein inhaltlich großes Ziel – und verwirklicht es (Beispiel: BioNTech). Modell 3: Man ist ein sogenannter Tinkerer

(das bedeutet mehr oder weniger „Spielkind“). Bastelt aus Leidenschaft an etwas rum und merkt so langsam, dass dieses Hobby – z. B. seine Lautsprecherboxen (Beispiel: Teufel) oder seine Fahrräder (Beispiel: Canyon) – ein richtig gutes ­Geschäft ergeben könnten.

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nnovationen hängen in meiner Wahrnehmung und Bewertung immer mit den Unternehmer:innen dahinter zusammen. Wie verhalten sie sich? Was genau treibt sie an? Und genau das scheint sich bei vielen der jüngsten Generation gerade zu verändern, zum Positiven. Was ich damit meine: Heute gibt es – ­etwas vereinfacht – drei Wege, ins Unternehmertum zu finden: Modell 1: Man möchte wirtschaftliche

­ icherheit, und das schnell. Besser noch: S reich werden. Gäbe es noch kein Internet, würde dieser Typus als Banker oder Immobilien-Spekulant durchstarten. Mit Web jedoch gründet er eine Digital-Firma nach US-Vorbild und verkauft sie dann zügig wieder.

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Philipp Westermeyer Der 42-Jährige gründete ­etliche Start-ups. 2011 rief er das „OMR Festival“ ins ­Leben, eines der wichtigsten Events für Digitales Marketing mit 50.000 Besuchern im Jahr.

In den vergangenen 10 bis 15 Jahren war vor allem Modell 1 dominant. So entstand zum Beispiel innerhalb von ein paar Monaten das Social Network Studi­VZ und wurde dann für irgendwas zwischen 60 und 100 Millionen Euro ­verkauft. Viele Leute wurden reich. Diese wenigen StudiVZ-Monate reichten aus, um eine ganze Generation damals 25bis 35-Jähriger zu prägen. Es folgten entsprechend viele Gründungen nach dem Drehbuch von StudiVZ: Recherchieren, Geld besorgen, Firma aufbauen, Exit. Das hat aus heutiger Sicht zu wenigen richtig großen und nachhaltigen Firmen geführt. Delivery Hero kommt aus dieser Zeit. Zalando auch. Aber schon bei Zalando gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Gründer sind bis heute an Bord. Ihr Exit war ein IPO (Initial Public Offering), also ein Börsengang. Und so ist es heute fast überall. ­Daher gibt es derzeit kaum noch Firmen, die „geflippt“ werden. Das bedeutet: Man muss nicht die gesamte Company verkaufen, sondern holt sich mehr Geld über die Börse, um selber weiter­

INNOVATOR

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Der StudiVZ-Effekt


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zubauen. Und es gibt neue Vorbilder. Trade Republic wurde von seinen Grün­ dern jahrelang vorbereitet, bevor sie ­damit auf den Markt gegangen sind. Heute ist die Firma vier Milliarden wert, die Gründer sind immer noch da und dürften noch eine Weile bleiben. Ähnlich Personio, Commerce Tools, AboutYou, LeanIX, Lilium und bestimmt zwanzig weitere.

Good News: Es wird noch besser

Ich sehe derzeit aber auch, dass andere Motive zur Gründung und andere Heran­ gehensweisen wieder stärker in den Vor­ dergrund treten. Typ 1 wird mehr und mehr überholt von Typ 3 („Tinkerer“) und von Typ 2 („Die große inhaltliche Idee“) oder einer Mischung aus beiden. Das heißt auch, Gründer:innen bleiben dauerhaft an Bord, keine schnellen Exits, sondern Aufbau echter, gewachsener ­Firmen mit tiefem Wurzelwerk. Begüns­ tigt wird die Entwicklung durch viel reichhaltigere Finanzierungsquellen für Unternehmer:innen als jemals zuvor in Deutschland Ebenfalls sehr erfreulich an dieser Entwicklung ist, dass der gesamtgesell­ schaftliche Nutzen von großen Firmen mit vielen Arbeitsplätzen, internatio­ naler Relevanz, dauerhaft antreibenden Gründungs-CEOs und nachhaltig rele­ vanten Produkten natürlich viel größer ist als alles, was ab 2005 und in den Jah­ ren danach so gemacht wurde. Und das Beste daran: Wenn die neue Innovatoren­ generation, zu der sicher auch Firmen wie FlixBus, Sennder, Forto, Hellofresh oder Audibene gehören, wenn also diese ­ganzen Macher:innen ähnliche Abstrahl­ effekte hätten wie damals StudiVZ auf die seinerzeitige Kohorte – dann wird es in den kommenden Jahren sogar noch besser.

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Gesamtleitung The Red Bulletin Alexander Müller-Macheck (Ltg.), Sara Car-Varming Chefredaktion The Red Bulletin Andreas Rottenschlager (Ltg.), Andreas Wollinger Chefredakteur Innovator Alexander Müller-Macheck Creative Director Innovator Kasimir Reimann (Ltg.), Erik Turek Art Direction Marion Bernert-Thomann, Miles English, Tara Thompson Grafik Martina de Carvalho-Hutter, Kevin Faustmann-Goll, Cornelia Gleichweit, Antonia Uhlig Fotoredaktion Eva Kerschbaum (Ltg.), Marion Batty (Stv.), Susie Forman, Tahira Mirza, Rudi Übelhör Digitalredaktion Christian Eberle-Abasolo (Ltg.), Marie-Maxime Dricot, Melissa Gordon, Lisa Hechenberger, Elena Rodriguez Angelina Head of Audio Florian Obkircher Chefin vom Dienst Marion Lukas-Wildmann Managing Editor Ulrich Corazza Publishing Management Melissa Stutz (Ltg.), Ivona Glibusic, Bernhard Schmied Managing Director Stefan Ebner Head of Media Sales & Partnerships Lukas Scharmbacher Head of Co-Publishing Susanne Degn-Pfleger Projektmanagement Co-Publishing, B2B-Marketing & Communication Katrin Sigl (Ltg.), Katrin Dollenz, Thomas Hammerschmied, Teresa Kronreif (B2B), Eva Pech, Valentina Pierer, Stefan Portenkirchner (Communication), Jennifer Silberschneider, Sophia Wahl Creative Services Verena Schörkhuber-Zöhrer (Ltg.), Sara Wonka , Tanja Zimmermann, Julia Bianca Zmek, Edith Zöchling-Marchart Commercial Management Co-Publishing Alexandra Ita Editorial Co-Publishing Raffael Fritz (Ltg.), Gundi Bittermann, Michael Hufnagl, Irene Olorode, Mariella Reithoffer, Wolfgang Wieser Executive Creative Director Markus Kietreiber Senior Manager Creative Elisabeth Kopanz Art Direction Commercial & Co-Publishing Peter Knehtl (Ltg.), Luana Baumann-Fonseca, Silvia Druml, Erwin Edtmayer, Simone Fischer, Andreea Gschwandtner, Lisa Jeschko, Araksya Manukjan, Carina Schaittenberger, Julia Schinzel, Florian Solly, Dominik Uhl, Sophie Weidinger, Stephan Zenz Head of Direct to Consumer Business Peter Schiffer Direct to Consumer Business Marija Althajm, Victoria Schwärzler, Yoldaş Yarar (Abo) Retail & Special Projects Manager Klaus Pleninger Anzeigenservice Manuela Brandstätter, Monika Spitaler Herstellung & Produktion Veronika Felder (Ltg.), Martin Brandhofer, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad Isailovic, Sandra Maiko Krutz, Josef Mühlbacher Finanzen Mariia Gerutska (Ltg.), Simone Kratochwill MIT Christoph Kocsisek, Michael Thaler IT Service Desk Maximilian Auerbach Operations Alice Gafitanu, Melanie Grasserbauer, Alexander Peham, Thomas Platzer Projekt Management Dominik Debriacher, Gabriela-Teresa Humer Assistant to General Management Sandra Artacker Geschäftsführer Red Bull Media House Publishing Andreas Kornhofer Verlagsanschrift Am Grünen Prater 3, A-1020 Wien Telefon +43 1 90221-0 Web redbulletin.com Medieninhaber, Verlag & Herausgeber Red Bull Media House GmbH, Oberst-LepperdingerStraße 11–15, A-5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU63611700 Geschäftsführer Dkfm. Dietrich Mateschitz, Dietmar Otti, Christopher Reindl, Marcus Weber

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INNOVATOR BY THE RED BULLETIN Österreich, ISSN 1995-8838 Länderredaktion Alexander Müller-Macheck Country Project Management Bernhard Schmied Lektorat siehe entsprechenden Eintrag bei Deutschland Media Sales & Partnerships Thomas Hutterer (Markenlead), Alfred Vrej Minassian, Michael Baidinger, Franz Fellner, Ines Gruber, Wolfgang Kröll, Gabriele Matijevic-Beisteiner, Nicole Okasek-Lang, Britta Pucher, Jennifer Sabejew, Johannes WahrmannSchär, Ellen Wittmann-Sochor, Ute Wolker, Christian Wörndle, Sabine Zölß anzeigen@at.redbulletin.com Sales Operations & Development Anna Schönauer (Ltg.), David Mühlbacher Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz Informationen zum Medieninhaber sind ständig und unmittelbar unter folgender Web-Adresse auffindbar: redbull.com/im/de_AT Kontakt redaktion@at.redbulletin.com

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COMIC

DER WEISHEIT LETZTER SCHLUSS Unerwartete Digitalisierungs-Hindernisse für Götterkinder mit versteinerndem Charisma.

NICOLAS MAHLER

Nicolas Mahler, 52,

ist einer der renommiertesten Zeichner im deutschsprachigen Raum. Seine Illustrationen erschienen u. a. in „FAZ“, „Die Zeit“ oder „Der Spiegel“. Er lebt und arbeitet (zum Glück die meiste Zeit ohne eingefrorene Gesichter am Bildschirm) in Wien.

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Noch mehr kreative Köpfe Innovator by The Red Bulletin gibt’s auch zum Anhören: inspirierende Interviews, Expertenwissen, kreative Selbstversuche. Laura Larsson entdeckt im Podcast „Innovator Sessions“ Kreativität auf eine neue Art und verrät dir Tipps und Tricks, wie auch du mehr Kreativität in deinen Alltag integrieren kannst.

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