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SOZIALES & GESUNDHEIT TITELTHEMA

HEINRICH OBERLEITER

Ein Puschtra Bui kehrt in seine Heimat zurück Nach der Ende 2021 erfolgten Begnadigung durch den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella kehrte der Puschtra Bui Heinrich Oberleiter Ende Juli zum ersten Mal seit fast 60 Jahren nach Südtirol zurück. Zusammen mit der Tochter Sonja Buchzik, dem Rechtsanwalt und ehemaligen Politiker Karl Zeller und der Historikerin Martha Stocker erzählte er über seine Vergangenheit. von Samuel Schneider

D

er gebürtige Ahrntaler Heinrich Oberleiter wuchs in einer Zeit auf, in der das Land Südtirol unter der Unterdrückung des italienischen Staates litt. Trotz Autonomiestatus, welcher im Jahr 1948 verliehen wurde, verbesserte sich die Situation für die Einheimischen kaum. So kam es dazu, dass sich viele dem Befreiungsausschuss Südtirol (BAS), anschlossen. Auch Oberleiter schloss sich mit den drei Gesinnungsgenossen Sepp Forer, Heinrich Oberlechner und Siegfried Steger dieser Gruppe an. Sie sahen darin den Weg zu einem besseren Leben mit Autonomie und Freiheiten. Mit Anschlägen auf Sacheigentum mit symbolischem Gehalt, wie Denkmäler aus der Zeit des Faschismus, Strommasten oder Sozialwohnbauten für zuziehende Italiener versuchte die Gruppe sich gegen die italienische Regierung aufzulehnen. Den Höhepunkt erreichten diese Anschläge in der „Feuernacht“, der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961, in welcher in der Umgebung von Bozen 42 Freileitungsmasten gesprengt wurden.

DIE HINTERGRÜNDE

Damals sah man keine Erfolge hin zu einer Besserung in der Politik und entschloss sich daher, die Segel selbst in die Hand zu nehmen, erklärt Oberleiter. Auf die Frage, was sie bewegt habe solche Anschläge zu verüben, antwortet er: „Es war damals eine schwierige und rechtlose Zeit. Wegen jeder Kleinigkeit […] wurde man verhaftet […] dann war es auch so, dass viele Menschen keine Arbeit bekommen haben. Die mussten dann ins Ausland und dort ihr Brot verdienen. Wir haben damals die Volkspartei als zu schwach gesehen, weil sie zu wenig erreicht hat in unseren Augen. […] Die Volkspartei verhandelte, aber richtete nichts aus, dann fuhren Sie nach Rom und kamen wie6

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Der Heimkehrer Heinrich Oberleiter mit Tochter Sonja. Die Freude war groß.

der ungerichteter Dinge zurück.“ Und so sahen die Südtiroler Einheimischen in der Gewalt ihre letzte und einzige Lösung. Besonders der Pfunderer Prozess im Jahr 1957 sorgte bei der Bevölkerung für Empörung. Es ging um eine Wirtsrauferei zwischen zwei italienischen Beamten und acht jungen Männern aus Pfunders, die mit dem Tod von Raimondo Falqui, dem aus Sardinien stammenden Staatsbediensteten, endete. Der Fall sorgte vor allem deshalb für Aufsehen, weil den Verteidigern viele Schritte verwehrt wurden. Beispielsweise wurde die Leiche vom Tatort weggebracht, ohne dass zuvor Spuren gesichert oder Aufnahmen von der Lage dieser gemacht wurden. Der Mann hatte zudem 1,7 Promille Alkohol im Blut und die Angeklagten hatten in ihrem Dialekt Aussagen gemacht, die sinngemäß nicht mit der italienischen Übersetzung übereinstimmten und sich daher belastend für sie ausgewirkt hätten. Schlussendlich wurden sieben der acht Beschuldigten für haftbar erklärt. Dieses Unrecht entsetzte die Bevölkerung, erzählt Oberleiter: „Dieser Prozess war so ungerecht, da konnte

Alfred Stolzlechner

man nicht mehr glauben, dass man von der italienischen Justiz noch Recht bekommen würde.“ Und es war diese Ungerechtigkeit, welche die Puschtra Buibm veranlasst hat, Anschläge auszuüben.

GROSSARTIGE KINDHEIT

Die Tochter von Oberleiter, Sonja Buchzik, die in Bayern aufgewachsen ist, spricht über ihre Kindheitstage nur in den höchsten Tönen. Sie und ihre zwei Brüder wuchsen auf einem Hof auf, wo ihre Eltern alles selbst herstellten und verkauften und hätten dort eine großartige Kindheit gehabt. Später wie Oberleiter und seine Frau sich dazu entschieden zwei Kinder mit Behinderung aufzunehmen, waren sie gezwungen den Hof zu verlassen und zogen in eine Behinderteneinrichtung, was ihren Horizont enorm erweiterte, erzählt Buchzik. Über ihre Eltern spricht sie nur von den höchsten Tönen. „Meine Mutter war eine der mutigsten Personen, die ich gekannt habe und mein Vater hat sich immer für uns Kinder Zeit genommen - wir waren bei ihm immer an erster Stelle.“


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