PZ15_23.07.2020

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EXKLUSIV

SOZIALES & GESUNDHEIT

CORONA UND DIE NACHWEHEN

Die vergessene Generation Es läuft. Halbwegs, unter den gegebenen Umständen. Die Wirtschaft wird wieder angekurbelt, Arbeitstätigkeiten aufgenommen, die Touristen kommen und retten unsere Sommersaison, Lockerungen ermöglichen stückweise ein Gefühl von Normalität. Bis dato sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Möchte man meinen. Tatsächlich? Immer wieder erreichen uns in der Redaktion Situationsberichte, E-Mails, Briefe, offene Fragen.

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esorgte Eltern, deren Kinder sich aus dem Lockdown-Loch nicht mehr befreien können, unfähig, an die vorhergehenden sozialen Kontakte anzuknüpfen. Verzweifelte Familien, deren menschlichen Tragödien bis hin zum Selbstmord reichen. Überforderte Verwandte, die sich der Gefahren in Bezug auf Kranke aber auch in Bezug auf die Vereinsamung von alten Menschen durchaus bewusst, deren Hände aber gebunden sind. Von einer schwierigen Zeit war die Rede, aber auch von Hoffnung, von der Chance, dass Corona womöglich eine Gelegenheit bietet, unsere Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Von einer Zweckrationalität, bestimmt durch „schneller“, „besser“ und „größer“ vielleicht hin zu ein wenig mehr Demut. Was ist übrig geblieben von der angekündigten Selbstreflexion? Experten warnen eindringlich davor, die seelischen Folgen der Corona-Pandemie auf Kosten der finanziellen völlig unter den Tisch zu kehren. Denn wie immer trifft es dabei gerade diejenigen, die unseren Schutz in unstabilen Zeiten ganz besonders brauchen. In einem offenen Brief mit dem Titel „Die verleugnete Generation“ bringt es die Brunecker Psychologin und Psychotherapeutin Manuela Schaiter wie folgt auf den Punkt: „Wo bleibt die Reflexion? Der Austausch? Die Nachhaltigkeit? Das Vertrauen? Wir müssen unsere Kinder und ihre Belange ernst nehmen. Wir nehmen doch alle die Merkwürdigkeit diese Zeit wahr, warum teilen wir unsere Bedenken, Zweifel und Hoffnungen nicht mit den kleinen und jungen Menschen? Damit wir gemeinsam die Erschütterung einordnen lernen, damit wir gemeinsam nachhaltige Perspektiven entwickeln und zukünftigen Herausforderungen begegnen lernen? Damit wir sie nicht zurücklassen in der Ungewissheit und in der Bevormundung angesichts einer unsicheren Zukunft.“ PZ-Redakteurin Judith Steinmair hat sich mit der Psychologin, die seit 13 Jahren mit Jugendlichen und Eltern arbeitet, getrof-

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Die Psychologin Manuela Schaiter (im Bild): Die seelischen Folgen der Corona-Pandemie nicht auf Kosten der finanziellen unter den Tisch kehren. jst

fen. Ein Gespräch über die zunehmenden Ängste unserer Gesellschaft, über Leistungsdruck und unsere Unfähigkeit, auch mal Fehler einzugestehen und über unsere Verantwortung unseren Kids gegenüber. PZ: Wenn man Ihren Brief liest lässt sich unschwer erkennen, dass es in Ihnen brodelt … Manuela Schaiter: Ich bin irritiert über die einseitige Aktivierung der Gesellschaft, und ich finde es unverantwortlich von meiner Generation, dass wir unsere Kinder derart vernachlässigen. Medial wurden Kinder und Jugendliche wochenlang vorwiegend erwähnt, wenn es um Übertragungstheorien des Virus oder um Regelübertretungen ging. Mehrere Dienste und Netzwerke haben Unterstützungsmaßnahmen angebo-

ten, aber politisch scheinen die Bedürfnisse der Jungen nicht wirklich vorrangig zu sein. Perspektive schaut anders aus. Welche Botschaft geben wir unseren Kids in Zeiten wie diesen? Welche Botschaft geben wir ihnen denn? Dass Wirtschaft, Tourismus, Geld das Wichtigste sind. Werden Kinder und Jugendliche thematisiert, dann bezüglich Betreuungsplätze und Beschulung. Aber wir reden nicht Klartext! Gestehen nicht ein, dass Vieles schiefgelaufen ist. Binden sie nicht ein mit ihren Ängsten, Sorgen, Bedürfnissen sind ihnen also nicht Vorbild im Händeln von neuen angstbesetzten Herausforderungen. Zeigen ihnen nicht, dass man trotz Unsicherheit und Fehlern ein zukunftsorientiertes Miteinander gestalten kann.


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