SchreibRÄUME 2/2021

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Sch rei b räu m e 2    2021

Magazin für Journal Writing, Tagebuch & Memoir

© oOhyperblaster, shutterstock.com

Die Wechseljahre mit Humor gestalten

Diese ominösen Jahre stellen das Leben so mancher Frau auf den Kopf. Wie können wir diese Zeit des Umbruchs sinnvoll gestalten und dabei unseren Humor bewahren? Und wie kann uns Schreiben dabei helfen? Beim 1. Onlinekongress für Personal Writing (13.11.21) gibt Michaela Muschitz, Autorin & Coachin, einen Ausblick auf ihr neues Buch Heiter bis zickig. Schreiben in den Wechseljahren (Herbst 2022, Verlag punktgenau)

personal-writing.at

Zum Durchstarten in die zweite Lebenshälfte gibt es ab Jänner 2022 einen Onlinekurs.

michaela-muschitz.at

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Editorial

Möge der Humor immer mit Ihnen sein. Michaela Muschitz, Evi Hammani-Freisleben (Redaktion) und Andrea Schiffer (Layout und Verlag)

Evi Hammani-Freisleben Andrea Schiffer

wir hätten es wissen müssen: Beim Thema Humor kommt alles anders. Gleich zwei neue Redakteurinnen betreuen dieses Heft. Statt einer Illustratorin gib es acht. Und das Editorial schreibt die Verlegerin. Ja, wieso das denn? Nun, manchmal überfällt auch mich die Inspiration zu schreiben. Doch meine Muse ist gleichermaßen Nachtvogel wie Sadistin und so sitze ich um drei Uhr früh am Küchentisch und hechle dem Text in meinem Kopf hinterher. Also, wie war das mit den Neuheiten? Die Zeichner*innen sind jene vom Buch Grätzlgekritzel (siehe S. 76). Ganz keck haben wir alle Künstler*innen eingeladen, das Magazin zu bebildern. Humor ist Vielfalt, nicht nur, was Worte anbelangt. Mit dem Redaktionsteam ist die Sache so: Aus einem Grüppchen von fünf Frauen (Tendenz steigend) werden sich pro Ausgabe jeweils neue Zweiergespanne formieren. Das tut Effizienz und Kreativität gleichermaßen gut. Auf dass niemandem fad wird – uns nicht, und Ihnen, liebe Leser*innen sowieso nicht. Michaela Muschitz ist die strukturierende Kraft im aktuellen Team. Selbst sagt sie dazu: „Diese kreativen Frauen unter einen Hut zu bringen, braucht manchmal eine gehörige Portion Humor. Gut, dass ich als Hundeführerin von meinem Rudel genug gelernt habe, um diese genialen Weiber zum Werkeln in eine gemeinsame Richtung zu bringen.“ Evi Hammani-Freisleben versorgt die Redaktion mit einer Prise Anarchie und meint: „Als akademische Prokrastiniererin habe ich Michaelas Produktionsplan und Nerven ganz schön strapaziert. Jetzt ist alles im Kasten und kann serviert werden – Hey ho, let’s go!“ Nun hab’ ich Ihnen noch gar nichts zum Thema Humor erzählt! Aber keine Bange – genau das tut Evi Hammani-Freisleben sogar alphabetisch in Freejazz des Schreibens (S. 4). Susanne Buchberger und Sonja Knoll finden im Humor ein Werkzeug, mit dem frau gut gerüstet in so manche persönliche Schlacht ziehen kann. (S. 90 und 68). Die sehr jungen Freewriters um Gundi Haigner zeigen, wie lustvolles Schreiben geht (S. 50). Ein besonderes Schmankerl (wie Ösis Delikatessen gerne nennen) halten wir auch für Sie bereit: Humor-Schreibübungen zum Rausnehmen und an einem gut sichtbaren Ort Platzieren.

Michaela Muschitz

Liebe Leserin, lieber Leser,


was suchen sie? haben sie heute schon ...

... geschrieben? Zum Ausschneiden und an den Kühlschrank hängen gibts diesmal Schreibinspirationen von Evi Hammani-Freisleben auf den Seiten 37,

65, 77, 87 + 107


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... gelacht? Freejazz des Schreibens / Evi Hammani-Freisleben

... gelernt? Witchey Writing / Britta Badura

Immer der Nase nach / Barbara Pachl-Eberhart

Mit Humor lacht es sich leichter / Gabriele Gäbelein

... gezeichnet? 48

Ein Comic von Nina Hable

... gestaunt?

50 Humorsanitäter / Gundi Haigner 54 Katastrophisieren / Freewriters

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67

... gelesen? Vier Buchrezensionen

... gesehen? Portrait Schreibraum / Ana Znidar

... gelebt?

68 Der Kenner stirbt in Wien / Sonja Knoll 80 Wenn Humor alt wird / Gabriele Graumann 90 Die eigene Geschichte / Susanne Buchberger 100 Sooo viel Saft, Herr Schneider! / Susanne Femers-Koch 108 Vorschau & Impressum


gelacht

Text Evi Hammani-Freisleben bilder Oliver Höller

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Freejazz des schreibens

Freejazz des Schreibens Ein kleines Wörterbuch des Humor Writing, eine Verführung zum Lesen und Schreiben und ein Plädoyer für die Narrenfreiheit. Dies ist nicht das ABC des Humor Writing, es ist ein ABC, es ist mein ABC, und auch als solches eine Improvisation. Statt von Anarchie bis Zeitschrift, könnte es auch von Allusion bis Z’wuzeln (österreichisch für Lachkrampf, sich vor Lachen nicht mehr halten können) gehen. Zwischen den notierten Lemmata stehen gedanklich viele andere: Fasching, Glosse, Reim, ... sind diesmal leer ausgegangen. Das folgende ABC ist in seinem zufälligen Gewordensein etwas höchst Persönliches. Sie lernen vielleicht ein paar Ausschnitte der Welt des Humor Writing kennen, in jedem Fall werden Sie mich kennenlernen. Salam! Jedes Lexikon erinnert uns daran, dass es nicht die Welt selbst ist, es versammelt Hinweise, Verweise, Konzentrate und Auslassungen. Aber ein gutes Lexikon enthält etwas, was ich noch nicht wusste, liefert nützliche Tipps und stiftet mich zur höchst eigenen Exploration der Welt, die nicht zwischen zwei Buchdeckeln passt, an. Mögen Ihre Augen und Ohren, Ihr Hirn oder Ihr Zwerchfell – in jedem Fall Ihre schreiberische Experimentierlust in irgendeiner Weise von meinem ABC in neue Abenteuer geschubst werden!

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gelacht

A

narchie / Humor Writers sind die Anarchos unter den Schreibenden. Auch für die schreibende Spaßguerilla gilt: Kenne genau, wogegen du anschreibst. Sand ins Getriebe, Holzschuh in die Maschin’! Schwarzer Humor ist Headbangen für die Seele: Es schaut ung’sund aus, aber danach fühlst du dich lebendiger. Die Text Pistols grölen aus vollem Herzen: „I wanna be Anarchy!!“

B

est Bledsinn (→Quatsch) / Haben Sie einen Lieblingswitz? Eine Lieblingssatiriker*in? Eine Lieblingsautor*in des Humor Writing? Welche Filme im Komödienfach finden Sie am allerbesten? Worüber haben Sie zuletzt gelacht? Gene und Linda Perret empfehlen angehenden Humor Writern, die besten Pointen zu sammeln, um davon zu lernen – also quasi ein eigenes Museum einzurichten. Sie nennen das Your own Comedy-Louvre. Eingang in diese erlesene Auswahl sollten wirklich nur Dinge finden, die Ihrem Urteil nach (und dem Ihres Zwerchfells) supersupertoll sind. Seien Sie wählerisch! Das schärft den analytischen Blick. Ich komme damit der Machart meiner Lieblingspointen auf die Spur und mein Humor-Louvre bietet mir Orientierung und Kriterien für meine eigenen Humor Writing-Projekte. Schritt 1: Legen Sie sich eine Sammlung von Cartoons, Texten und One-Linern, „Nummern“ und Szenen an, die Sie großartig finden. Schritt 2: Analysieren Sie, warum Sie sie großartig finden und wie sie gebaut sind.

Literatur: Gene Perret and Linda Perret: Comedy Writing Self-Taught Workbook Aus meinem eigenen Comedy-Louvre empfehle ich wärmstens die genialen Lieder und Texte von DÖF (Deutsch-Österreichisches Feingefühl) auf Vinyl!

C

omedy / Gehören Sie zu den Fans von Bülent Ceylan, Cindy aus Marzahn, Thomas Stipsits oder anderen aktuell kommerziell erfolgreichen Comedians oder rümpfen Sie bei hallenfüllender Comedy die Nase und mögen es eher sophisticated? Comedy ist ein Riesengeschäft, in Deutschland und noch viel mehr in den USA. Titel wie Shatz’ & Helitzers Comedy Writing Secrets – Bestselling Guide to Writing funny and Getting paid for it oder Judy Carpenters Comedy-Bible – The Comedy writer’s ultimate how to-guide zeugen von einem riesigen Markt, in dem Schreiber*innen Humor produzieren – von Schenkelklopfer bis Abgrund. Aus handwerklichen Gründen bin ich dagegen, E und U, Kunst und Kommerz, Comedy und Satire streng voneinander zu trennen. Von gut gemachter Comedy lässt sich einiges Handwerkszeug lernen: Pointenökonomie zum Beispiel.

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Freejazz des schreibens

Die These ist: Es lässt sich besser schräg jazzen, wenn ich die Tonleitern beherrsche, mein Instrument im Griff und ein paar Standards in den Fingern habe. Diese Tools und Skills dann in den Mixer schmeißen, drüberimprovisieren und mit einer originellen Note versehen – that’s Humor-Jazz, der sich dann vom Villacher Fasching1 wohltuend unterscheidet! Also lasst uns die Öhrchen spitzen und vom Kommerz lernen. Und es ist ja auch keine Schand, mit Humor Writing ein paar Broterln zu verdienen. Brauchbares aus der How to Kommerz-Guide-Ecke: Gene Perret: The Ten Commandments of Comedy

d

efinition joke / Mein erster Aphorismus war ein Definition Joke: „Wirklichkeit ist die öffentliche Kollision inkompatibler Träume.“ Die Formel a ist b (auch bekannt als Kopula) zu gebrauchen ist eine einfache und wirksame Methode, die Hybris der Welterklärung zu mimen und fast per se vom Anspruch her schon lustig. Die Form der Definition ist eine der gängigsten Bauformen im Joke Writing und auch viele Aphorismen (Lesen Sie Georg Christoph Lichtenberg, Karl Kraus!) sind Definition Jokes. Der Aphorismus ist eine Textsorte (meine Lieblingstextsorte!!), die den Bereich des Humor Writing freilich sprengt und gleichzeitig eine der Königsdisziplinen desselben. Der Definition Joke ist die kleine Revolution des Umverstehens2 eines Begriffs, deren Verbündete die Sprache und deren Ladung die Konnotation ist. Noch ein Beispiel: „Die Ehre ist ein Wurmfortsatz im seelischen Organismus. Ihre Funktion ist unbekannt, aber sie kann Entzündungen bewirken. Man soll sie getrost den Leuten abschneiden, die dazu inklinieren, sich beleidigt zu fühlen.“ (Karl Kraus: Sprüche und Widersprüche) Legendär geworden ist Ambrose Bierce’ Teufels Wörterbuch. Beispieltexte für die satirische Parodie von Wissensdiskursen zum Analysieren und Lernen sind Kurt Tucholskys Der Mensch, Kurzer Abriß der Nationalökonomie, Zur soziologischen Psychologie der Löcher

1 Karneval in Kärnten 2 Begriff von Thomas Raab: Neue Anthologie des Schwarzen Humors

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gelernt

Zutaten für den Schreibworkshop Witchy Writing Fünf freudvolle Freewritings, zwei gehäufte Löffel Leichtigkeit, ein halbes Kilo Humor, ein bisschen Augenzwinkern, drei gelachte Tränen und eine kräftige Prise Glitzerkonfetti. Text Britta Badura bilder Sandra BiskuP

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witchey writing

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n Witchy Writing wird bewusst die Absicht verfolgt, mit spielerischen und humorvollen Schreibimpulsen den Fokus auf Leichtigkeit und Lebendigkeit zu legen.

Witchy was? Zusammen mit Saskia Dyk gründete ich 2016 die offene Schreibgruppe Witchy Writing. Der Name ist eine künstliche Zusammensetzung aus engl. witch für Hexe, betörendes Wesen oder Wünschelrute sowie engl. witty, das witzig, geistreich oder launig bedeutet. Ziel dieser etwa alle zwei Monate stattfindenden Schreibzusammenkünfte ist das spielerische Entdecken eigener Ressourcen und freudvolles Verfassen von Textminiaturen, die den Teilnehmer*innen oft als Anstoß für weitere Werke dienen. Ein Themenschwerpunkt ist eine humorvolle Herangehensweise bzw. ein Perspektivenwechsel, der neue Möglichkeiten aufzeigt, die sonst vom Alltag verschüttet werden. Hierfür dienen Schreibimpulse, die auf konventionellen Spielen oder lustigen Aktivitäten aufbauen.

Gemeinsam schreiben (und lachen) verbindet Die Witchy Writing-Abende dauern zwei Stunden und stehen immer unter einem Motto, dem die Impulse folgen. Nach der Vorstellrunde, die meistens das Thema der Einheit schon aufgreift, folgen ein bis zwei spielerische Aufwärmübungen, um ins Schreiben zu kommen und ein Gemeinschaftsgefühl der Gruppe zu generieren. Danach folgen eine längere Schreibeinheit und eine (freiwillige) Vorleserunde. Ein bis zwei Impulse, die sowohl zukunftsorientiert als auch ressourcenstärkend konzipiert sind, entlassen die Teilnehmer*innen in den Abend. Im Folgenden wird eine Auswahl der in Witchy Writing durchgeführten Schreibspiele und absurden Impulse näher vorgestellt.

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GELERNT

Immer der Nase nach

Wie ich vom Clown zur Autorin wurde. Und wie beides zusammengehört. Text barbara pachl-eberhart bilder gerlinde schweiger

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IMMER DER NASE NACH

B

arbara Pachl-Eberhart war Clown. Zehn Jahre lang brachte sie Kinder zum Lachen, als Beruf, aus Passion. Dann schrieb sie ein Buch. Eines, bei dem man nicht lacht, sondern Tränen vergießt: Vier minus drei heißt ihr Bestsel-

ler, der vom Tod handelt, aber vor allem vom Überleben in dankbarer Liebe. Heute ist Barbara Pachl-Eberhart Kolumnistin, Tagebuch-Influencerin und Schreibgruppenleiterin. In ihrem Artikel erzählt sie, inwiefern ihre Prägung als Clown ihr Schreiben beeinflusst. Und wie sie das, was sie als Clown lernte, an ihre Schreibschüler*innen weitergibt.

Ich glaube, es war die beste Nummer, die wir jemals gespielt haben. Jedenfalls fühlte es sich so an: Wir waren im Flow, mein Partner und ich. Die Impro-Idee, die uns trug, war toll, wir fühlten uns prächtig und kamen gerade so richtig in Schwung. Da stellte der kleine Marcus – sieben Jahre alt und mit Gips am Bein – eine leise Frage. Nicht frech, nicht provozierend. Eher in bittendem Ton. „Könnt ihr auch etwas Lustiges machen?“ Wir, zwei Clowns, die gerade noch meinten, sehr witzig zu sein, fielen jäh aus den Wolken. Hatten wir richtig gehört? Leider ja. Natürlich will man weglaufen in so einem Moment. Natürlich fragt man sich, ob der Partner etwas falsch gemacht hat, ob das Kind zu früh pubertiert, ob man den Beruf

verfehlt hat, ob man doch schnell das Zehnfingersystem erlernen oder sich irgendwo als Lagerarbeiter bewerben sollte, statt noch einen Moment länger da stehen zu bleiben, wo man gerade so kolossal scheitert. Natürlich beginnt man zu schwitzen. Die Spucke bleibt weg, das Blut schießt heiß in den Kopf.

Aber dann holt man Luft Und man bleibt. Auch wenn es schwerfällt, nein, gerade deshalb: Weil es schwerfällt. Denn man erinnert sich: Genau darum geht es ja, im Leben des Clowns. Dazubleiben, wenn man sich schämt. Weiterzumachen, obwohl man nicht weiß, wie und womit. Es geht darum – man hat es gelernt und oftmals geübt: Offen zu bleiben, in so einem Moment. Nicht so zu tun, als hätte man es

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GELERNT

überhört. Nicht drüberzuhuschen. Es geht darum, sich zu stellen. Man lässt das Heiße herein, in den Bauch, in den Kopf. Man lässt den Boden zittern, das Herz Schlagzeug spielen, lässt den Mund offen hängen. Und man weiß: Da kommt keine Idee. Denn jede Idee, jede noch so gute Idee, wäre geschummelt, in so einem Moment.

Die Ur-Erfahrung des Clowns Was man noch weiß, weil es die Kern-Lektion jeder Clownschule ist: dass man da, wo der Boden sich auftut, nie ganz alleine ist. Dass man besser darauf verzichtet, noch irgendetwas machen zu wollen. Der nächste Impuls kommt von außen. Verlässlich. Marcus ließ uns nicht im Stich. Wir fragten ihn ehrlich: „Was wäre denn lustig?“ „Na, gegen die Wände rennen und so“, sagte er ernst. Wir probierten es aus. Und Marcus lachte. Ja, er schüttelte sich vor Lachen, er gluckste und kicherte immer weiter, während wir uns die Köpfe anschlugen, den Ausgang suchten, an die Klotüre krachten und mit lautem „Uaah!“ aneinanderstießen. Wir spielten Wand-Autodrom. Marcus lachte immer noch, als die Schwester hereinkam, um ihm das Essen zu bringen. Wir nutzten sie (sanft, weil gekonnt) als Aufprallfläche, ihr Po diente als Bande, um das Zimmer zu verlassen. Gerne wären wir noch geblieben, nun, da nun alles so einfach war. Aber auch das gehört zum Clownberuf: gehen, wenn es am schönsten ist. Und sich der nächsten Herausforderung stellen, die wieder, man weiß es ja nie, die Gefahr des Debakels birgt. Worum es ursprünglich, in der besten Clown-Impro aller Zeiten, gegangen war, weiß ich heute nicht mehr. Aber ich erinnere mich gut an das Spiel mit der Wand. An das Lachen des Buben. Und an das, was

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ich damals begriff: Das Gute, das Richtige, ist meistens viel einfacher als man denkt. Dass es ganz nahe liegt. Und dass es sich aus dem Zuhören ergibt. Nicht aus dem, was man glaubt, „bringen“ zu müssen.

Warum ich das alles erzähle? Weil ich immer noch Clown bin. Nicht mehr im Krankenhaus, nicht mehr im rosa Kostüm mit Perücke und roter Nase. Aber bei allem, was ich tue, beruflich, privat. Vor allem beim Schreiben. Und wenn ich mich frage, wie sich das Clown-Sein in meinem Schreiben zeigt, wohin es mich lenkt und wie weit es mich trägt, dann muss dieser Essay mit Marcus beginnen. Mit der Scham von damals. Und mit dem Entschluss, ihr nicht auszuweichen. Nicht zu fliehen, wenn das Heiß mich erfasst. Nein, das hier ist kein Artikel von einer, die komische Texte schreibt. Kein Artikel, der zeigt, wie man es hinkriegt, dass andere lachen. Vielmehr versuche ich eine Erkundung, die von ein paar Fragen geleitet ist.

Wohin kann das führen? Wohin führt es, wenn man sich beim Schreiben nicht allzu ernst nimmt? Wohin führt es, wenn man sich nicht mehr dafür schämt, dass man sich schämt – für Wortgewalt, für Selbstgerechtigkeit, Unwissenheit, Ideenlosigkeit, Banalität, gekünstelte Kreativität, für sperrige Zeilen, für kitschige Poesie, also für alles, was einem beim Schreiben passieren kann, wenn man sich nicht a priori zensuriert? Was kann man tun, wenn man sich dabei erwischt, an so einem Punkt der Scham schummeln oder weglaufen zu wollen? Und wie erreicht man den Punkt danach: jenen Punkt, an dem man plötzlich zu lächeln beginnt?


IMMER DER NASE NACH

Kill your Darlings Angeblich hat William Faulkner das gesagt. Oder Billy Wilder. Oder Stephen King. Und viele andere, die schreiben und filmen und Kunst produzieren, überall hört man andere Namen zu diesem Zitat. Laut Google stammt der Rat ursprünglich von Sir Arthur Quiller-Couch. All diese Künstler waren dem kleinen Marcus vermutlich unbekannt. Aber der Hinweis, den er uns gab, war im Grunde derselbe: Die Idee, in die du dich gerade bis über beide Ohren verliebt hast, darf gern in den Müll. Weil die wirklich gute, die bessere Idee viel simpler ist. Und meistens irgendetwas mit Wehtun zu tun hat. Schreibend sitze ich hier und habe, an diesem Punkt des Textes, schon ganz schön oft innegehalten und Dinge gelöscht. Manchmal, weil mir eine noch bessere Formulierung eingefallen ist. Öfter, weil das, was da stand, irgendwie eckte. Weil es zu kompliziert war und noch nicht genau wusste, wohin es will. Meistens: weil es vorgab, klug zu sein. Und sich dann doch als Hülse entpuppte, die nicht lange hielt.

Er redet mit, der Clown in mir Er sieht zu, wenn ich mich verrenne – und das passiert ständig. So ungefähr bei jedem zweiten Satz. Ich glaube, das ist normal. Und genau das sagt der Clown in mir: Es ist normal. Und dann sagt er: Lösche. Und

setze neu an, mit etwas, das klarer, ehrlicher, einfacher ist. Auch das geht immer. So ungefähr bei jedem zweiten Satz. Wenn ich mit der Hand schreibe, lösche ich nicht. Aber auch hier erlaube ich mir, jederzeit die Richtung zu wechseln. Ich lasse eine Zeile frei und setze neu an. Oder ich schreibe nach dem Punkt einen neuen, klareren Satz. Die Erlaubnis zum Richtungswechsel nenne ich meine „innere Servolenkung“. Sie funktioniert nicht im Schwung der Begeisterung. Sondern da, wo ich – nach dem begeisterten Lauf – innehalte und mich frage: Was will, was wollte ich eigentlich sagen? Schreib es halt jetzt, sagt der Clown. Ich höre fast immer auf ihn.

Natürlich bin ich auch gerne begeistert Als Clown war das Begeistertsein sogar meine Spezialität. Frau Doktor Heidi Appenzeller (das war mein Name) verlor sich ständig im Jodeln, in verrückten Schuhplattlern, in der Imitation des Berner Sennenhuhnes (sic!), in Soprankoloraturen, in wilden Gitarrenriffs. Und immer merkte sie es erst, wenn es schon richtig peinlich war. Wenn ihr Partner streng schaute. Und der Lärm der Begeisterung so laut geworden war, dass er noch in die Stille hinein hallte. Am Lachen der Kinder erkannten wir, mein strenger Partner und ich, ob wir den Rhythmus organisch hinbekommen hatten. Stoppte ich zu früh, war es nicht lustig. Stoppte ich zu spät, verlor das Extempo-

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IMMER DER NASE NACH

HUMOR WRITING Scherzkekstext zum Selberbacken

iversum des n U s Gu Da

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n rls ge

Voraussetzung: Zugang zu einem Kramuri-Ladl oder -Schüsserl oder einer unaufgeräumten Handtasche Zeitaufwand: 20 Minuten

#1

Schritt 1 (Dauer 3‘) Begeben Sie sich zu einem kleinen Hort des großen Chaos in Ihrer Bude und ziehen Sie spontan irgendeinen Gegenstand heraus. (Die ganz Mutigen greifen mit geschlossenen Augen ins KramuriLadl und lassen sich überraschen, was sich ihrem Griff(el) anempfiehlt.) Schritt 2 (Dauer 7‘) Sie pflanzen den erbeuteten Gegenstand vor sich auf und vertiefen sich empathisch in seine Perspektive auf die Welt. Zu diesem Zwecke machen Sie ein Steckbrief-Clustering (spontan Assoziationsketten von einem Kern (Name des Gegenstandes) in der Mitte eines Blattes ausgehend aufschreiben): Welche Eigenschaften hat der Gegenstand, welche Vorlieben, Freunde, Feinde, Weltanschauung, Ängste, etc. Schritt 3 (Dauer 10‘) Sie stellen eine Stoppuhr auf 10‘ und schreiben einfach drauflos: ein innerer Monolog aus der Perspektive des Gegenstandes. Also der Bewusstseinsstrom des Radiergummis, der Tintenpatrone, des Hustenzuckerls, des Teebeutels, des angebissenen Müsliriegels ... Wenn die Zeit um ist, schreiben Sie noch ein knackiges Ende und aus!

Vorlesen und freuen!

Der HUMOR WRITING-Schmäh daran: Der Perspektivenwechsel auf die Welt erzeugt den komischen Effekt. Der menschliche Blick wird dezentriert. In der Fachliteratur heißt das transmogrification of an object (z. B. die tanzende Karotte im Cartoon, siehe Freejazz des Schreibens, Seite 16) oder Anthropomorphismus (einem Tier oder Objekt menschliche Fähigkeiten zuschreiben). Die Mensch-Tier, Mensch-Objekt, Mensch-Alien-Perspektivenwechsel sind Klassiker des Humor Writing. © Evi Hammani-Freisleben


Text einer Teilnehmerin des Workshops Humor Writing

Aus der Sicht eines Ackerschachtelhalmkonzentrats Hey! Endlich werde ich rausgeholt! Wurde auch Zeit! Hörst du?! Höchste Zeit! Ich verwende so viele Ausrufezeichen, wie ich will. Und mir ist der Schnee draußen scheißegal. Mir egal! Ich finde, es ist Frühling. Jetzt. Punkt. Ich habe keine Lust mehr auf Bedeutungslosigkeit. Ich bin wichtig. Viel zu wichtig, um ungeliebt im Bad zu versauern. Gib doch zu, ohne mich wäre alles nix. Nix Schmetterlinge, nix Hummeln, nix Bienen. Und nix Pflanzen. Dann könntest du eine Mehltauparty feiern. Ja, Mehltauparty, wie Coronaparty. Danach haben alle Mehltau. Und dann kommst du und jammerst. Du musst meine Bedeutung erkennen! Ich verdiene den Nobelpreis! Ich verdiene Beachtung! Auch im Winter. Und sag nie wieder, ich sei teuer! Ich bin jeden Cent wert. Du hättest einen Kredit für mich aufnehmen sollen. So sieht es aus. Ich versteh nicht wie du die Brenesseljauche so diskriminieren kannst. Die muss immer draußen stehen. Ich gründe eine Gewerkschaft. Du wirst schon sehen. Wir verbünden uns. Dann wohnst du draußen in der Tonne. Das hast du davon. Du hast uns unterschätzt. Du hast uns nicht den Wert zugemessen, den wir verdienen. Eine Gewerkschaft. Und dann wollen wir den Nobelpreis! Also ich zuerst natürlich. Für unsere herausragenden Dienste gegen den Klimawandel. Wir sind das einzige Vakzin gegen Mehltau. Du verstehst?! HA! Ohne uns wärst du aufgeschmissen, sowas von im Eimer. Ohne uns is nichts mit bunte Blümchen und nettes Gemüse. Vergiss es! Wir machen jetzt Revolution! Pass nur auf! Katharina Fischer

Alle Scherzkeksbeispieltexte sind in Freewritinghaltung entstandene Erstentwüfe.


GESTAUNT

H umo r sanitäter Text gundi Haigner bilder bettina Wong

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HUMORSANITÄTER

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on’t worry, be funny! ist der Titel eines Buches, von dem ich immer weiß, wo es ist und welches ich in doppelter Ausführung besitze. Ein

Exemplar ist inzwischen gespickt mit Notizen, die ich mir für Schreibseminare gemacht habe. Einmal habe ich es nicht gefunden, als ich für die Schule Übungen heraussuchen wollte und bin regelrecht in Panik geraten. Das war dann gar nicht funny und mit zwei Exemplaren passiert mir das nicht mehr so leicht. Meine Lieblingsübungen daraus kenne ich, inklusive meiner Abwandlungen, zwar schon auswendig, aber es gibt eben Zeiten, da will ich es ganz genauso machen, wie es im Buch steht. Nun, was hat es mit diesem Buch von Petra Wüst auf sich?

Ich war schon 15 Jahre lang Lehrerin, als ich Lust bekam, meine innovativen Ideen auf eine wissenschaftlich fundierte Basis zu stellen und den Master in Language and Literacy machte. Im Rahmen des Studiums habe ich ein Jahr lang einer meiner Englischklassen ganz ohne Schulbuch, nur mit Freewriting und englischer Original-Jugendliteratur den Lehrstoff vermittelt. Eines Tages hat sich ein Schüler beschwert darüber, dass wir immer Bücher lesen, in denen es um Probleme geht. „Warum lesen wir nicht einmal etwas Lustiges?“, hat Benjamin damals gefragt. Ich war extra nach London gefahren um preisgekrönte englischsprachige Jugendliteratur heranzuschaffen und wurde belohnt mit einer Beschwerde. Aber er hatte recht. In einem Buch ging es um Adipositas, im anderen um Gewalt in der Familie, im nächsten ist ein Mädchen abgehauen. „Es gibt kein lustiges Buch, das auch literarisch etwas hergibt“, habe ich trotzig erwidert. Damit gab sich Benjamin natürlich nicht zufrieden. Er meinte: „Wenn wir uns schon Freewriters nennen, müssen wir so ein lustiges Buch eben selber schreiben!“

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gElEbt

der

Kenner stirbt in

wien

tEXt sOnja knOll bildEr iDa rÄtHEr

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der kenner stirbt in wien

F

ilmszene: Zwei Schwestern im fortgeschrittenen Alter unterhalten sich. Eine hat fast die ganze Zeit ihres Lebens im Ausland verbracht, jetzt ist sie todkrank und kommt nach Wien, in ihre Heimatstadt, zurück. Auf die Frage, warum sie aus-

gerechnet jetzt – beziehungsweise erst jetzt – komme, meint die Kranke: „Der Kenner stirbt in Wien!“

Das ist einer meiner Lieblingssprüche, den ich übernommen habe, als ich – nach dreißig Jahren in der Schweiz – nach Wien zurückkehren wollte. Ich hatte Zeit meines jahrzehntelangen Schweiz-Lebens Heimweh, und ich war damals seit Jahren „unheilbar“ (wie die Schulmedizin mir attestierte) krebskrank. Meinen Schweizer Freundinnen und Freunden habe ich als geborene Wienerin auf deren Fragen, wieso ich, schwer krank, denn nicht in der Schweiz bleiben wolle, geantwortet: „Die Kennerin stirbt in Wien!“ Die meisten waren – wenn sie ihn überhaupt als solchen erkannten – entsetzt über den morbiden Humor, fanden ihn so gar nicht lustig und quittierten meinen Ausrutscher mit schreckgeweiteten Augen, mit „Um Gottes willen, bist du depressiv?“ oder mit einem verständnislosen: „Typisch Wiener Humor halt …“.

Typisch Wienerischer Humor? Muss man Wienerin oder Wiener sein, um schwarzen Humor lustig zu finden? Eine Antwort darauf gebe ich am Schluss des Artikels. Wenn ich mit Freundinnen schwarzhumorige Geschichten austausche oder wir uns in Galgenhumor ergehen (oft als Synonym verwendet), muss ich oft einfach herzlich lachen. Ich mag vor allem die Ironie, die in dieser Art von Lebenszugang steckt – Humor ist für mich eine Haltung, eine Lebenseinstellung, mehr eine Eigenschaft als ein Verhalten. Wobei humorvoll nicht unbedingt mit lustig gleichzusetzen ist. Schenkelklopfer-Lustigsein hat oft mit Witzen zu tun. Wenn Humor eine (Charakter-) Eigenschaft ist, dann ist Witze-Erzählen ein Verhalten.

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GELEBT

Text Gabriele graumann bilder rené van de vondervoort

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Familienbande– wenn humor alt wird

Familienbande

oder Wenn Humor alt wird

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emeinsam lachen verbindet in der Regel. Mutter und Tochter wohnen gemeinsam mit der Urgoßmutter, der Urli, in einem Haus und erleben, dass Witze auch Trennscheiben zwischen Generationen und Persönlichkeiten sein können. Die Urli und die Tochter sind einander sehr ähnlich, aber bei der Frage worüber man lachen kann, scheiden sich ihre Geister. Die Erzählerin steht staunend und aufmerksam dazwischen. Es braucht eine gehörige Portion Humor, um das alles lustig zu finden.

Der Witz und der Generationenkonflikt Es ist sieben Uhr in der Früh. Meine Tochter, Urli und ich trinken in der Küche Kaffee. Urli macht das freiwillig, wir beide nicht. Sie ist eine heitere Frühaufsteherin, wir beide sind das nicht. Urli ist zweiundneunzig Jahre alt und hat blaue Augen. Das Lachen von Jahrzehnten hat sich in fröhlichen Falten um ihre Augen eingegraben. Nicht alle meine Falten sind fröhlich und mein Kind hat noch keine. Urli ist richtig alt, und die Witze, über

die sie lacht, manchmal auch. Einige haben einen Bart bis zum Boden. Wer bitte schön lacht heute noch über diesen Uhrenwitz? „Wo hast du denn deine Armbanduhr gelassen?“ „Ach, die geht immer vor, die ist sicherlich schon zu Hause.“ In Urlis Kopf läuft eine Armbanduhr auf dünnen Beinen und mit wehenden Uhrzeigern nach Hause. Sie lacht darüber, selbst achtzig Jahre nachdem sie ihn das erste Mal gehört hatte. Meine Tochter nicht. Sie hat keine Armbanduhr, wollte nie eine. Sie hat ein Handy mit automatischer – und immer korrekter – Uhrzeit-Anzeige. In ihrem Kopf läuft keine Comic-Uhr mit verbissenem Gesicht nach Hause. Sie lächelt dennoch, bleibt höflich und revanchiert sich. „Chuck Norris würzt seine Steaks mit Pfefferspray.“ Urli blinzelt verwirrt. „Wer ist Tschak Noriss und warum ist das witzig?“, erwartungsvoll schaut sie meine Tochter an. Die zückt ihr Smartphone. Ich verstecke mich hinter der Zeitung, Chuck-Norris-Videos am frühen Morgen, soviel Humor habe ich nicht. Die drei Generationen zwischen den beiden werden zu Lichtjahren, wenn Urli Witze mit dem N-Wort erzählt. So wie jetzt. Ja, sie benützt dieses Wort noch,

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GELEBT

Text Susanne Buchberger bilder alexander czernin

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Die eigene Geschichte ist als Geschichte lustiger als die Wirklichkeit

Die eigene Geschichte ist als Geschichte lustiger als die Wirklichkeit

I

m Juli 2017 entfernte man mir einen Tumor zwischen Kleinhirnbrückenwinkel und Innenohr. Der Tumor war gutartig, aber lag – wie mein Neurochirurg zu sagen pflegte „an einer saublöden Stelle“. Kollateralschäden waren zu erwarten gewesen. Die acht Monate von der Diagnose zurück in einen Alltag wie ich ihn für mich gewohnt gewesen war, waren schmerzhaft und anstrengend. Manchmal auch zum Verzweifeln. In jenem Jahr habe ich neue Grenzen an psychischer und physischer Belastbarkeit kennengelernt. Und ich habe jede Menge Material geschenkt bekommen, über das ich schreiben konnte. Ich hatte schon gern geschrieben, bevor ich an einem lauen Nachmittag im Mai mit der Diagnose „Akustikusneurinom im rechten Ohr“ und dem Operationstermin in der Hand aus der Privatordination des Universitätsprofessors für Neurochirurgie taumelte. Ich ließ mich in einem Café gegenüber der Ordination auf einen Sessel fallen und versuchte, meinen Mann zu erreichen. Als mich der Kellner fragte, was ich trinken möchte, zögerte ich kurz. Sagen wollte ich „irgendwas mit viel Alkohol“. Tatsächlich hörte ich mir selber zu, wie ich ein „großes Obi g’spritzt“ bestellte. Ich holte mein Notizbuch aus der Tasche und

wollte das aufschreiben, dachte, ich müsste aufschreiben was da gerade mit mir passierte. Doch es ging nicht. Ich saß da und starrte in die Luft. Erst als ich mit meinem Mann telefoniert hatte, war ich in der Lage, ein paar klare Gedanken zu fassen. Gerade ausreichend viele klare Gedanken, um alleine den Weg nach Hause zu finden.

Schreiben, um es aus dem Kopf zu bekommen Schon wieder. Die Operation war etwa drei Wochen her, seit etwas mehr als einer Woche war ich zuhause. Nacht für Nacht

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