Pro und Kontra
Pro
Von Tanja Haiden
Zu diesem Thema schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin einmal sehr jung mit knapp 21 Jahren Mutter geworden und dann nochmal 24 Jahre und 25 Jahre später. Ich war also über 40 und somit vielleicht das weibliche Beispiel zum Vater mit 60. Ich bin extrem dankbar, dass ich noch mal Mutter werden durfte, wenngleich es etwas total anderes war als mit Anfang 20. Als junge Mutter war ich unbedarft, fast naiv. Damals gab es keine sozialen Medien, Smartphones oder Internet, die einen ständigen Überblick über deine Mutterschaft gegeben hätten, und somit war es mein Gefühl und meine Maus. Ich bekam überschaubare Tipps aus der Familie und agierte spontan. Ich war die einzige Mama in meinem Freundeskreis, und so passierte auch das Leben einer Frau in den Zwanzigern neben meiner Tochter. Ich stillte meine Tochter nach Bedarf, Kleidung sollte für sie praktikabel sein, sie hörte ausschließlich meine Musik in Dauerschleife, und die Schule wurde nach Nähe zum Wohnort ausgesucht. Jetzt, über zwei Jahrzehnte später, ist vieles anders: die Verantwortung, Mama zu sein ist durchdachter. Ich genieße meine Kinder extrem und kann über manchen Perfektionismus, der einem von Instagram & Co. suggeriert wird, nur schmunzeln. Trotzdem ertappe ich mich manchmal, wie ich mitmache – als müsste ich das Sinnbild „alte“ Mutter abschütteln. Ja, sie sind da, diese Gedanken und Rechenspiele, denn durch die gewonnene Lebenserfahrung hat man auch eine Fülle an möglichen Szenarien im Hinterkopf. Was oder wie viel ich in Zukunft von meinen Kindern miterleben darf, liegt nicht allein in meiner Hand, obwohl ich sehr viel umsichtiger mit meiner Gesundheit geworden bin und sämtliche Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig erledige. Mir ist auch bewusst, dass diese Zeit schnell vorbeigeht und man viel zu schnell einen jungen Erwachsenen zu Hause hat – aber bis dahin dürfen sie gefördert und beschützt werden. Die Volksschule ist schon lange ausgesucht, im Kleiderschrank liegen auch Dinge, die der Mama mehr gefallen als vielleicht den Kindern, individuelle Nachmittagskurse post Corona sind organisiert, und so manches Kinderlied verfolgt mich in Dauerschleife bis in meine Träume. Ein weiter positiver Aspekt am Älter-Eltern-Werden: die finanzielle Sicherheit. Während ich als junge Mutter ehrgeizig die Karriereleiter erklommen habe, bin ich jetzt absichert und zufrieden da, wo ich bin. Mein Lebensstandard ist gefestigt, und meine Kinder können davon profitieren. Dazu zählt auch, dass ich eine feste Partnerschaft habe und verheiratet bin – davon war ich in meinen Zwanzigern weit entfernt. Was mich allerdings ein wenig triggert, ist die Tatsache, dass ich nächstes Jahr 50 werde. Ein halbes Jahrhundert! Das fühlt sich schon ein wenig komisch an, aber solange ich bei meinem Geburtsjahr immer wieder gefragt werde, ob es ein Schreibfehler ist, habe ich gute Chancen, dass mich meine Kinder lange cool finden.
Kontra
© Unsplash / Chris Curry
Spät Eltern werden
Von Peter Draxl
Wir schreiben das Jahr 2022. Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie es wäre, wenn jetzt 60+-Jährige noch ein Kind bekommen würden. Also … rein biologisch beträfe es nur den Vater, die Mutter müsste ein paar Jahre jünger sein, und denke mir: Nein, um Gottes willen. Wenn ich mir jetzt über 60-Jährige ansehe – das geht sich doch hinten und vorne nicht aus. Der typische „Boomer“ ist in ganz einer anderen Welt groß geworden. In einer Welt, die aus 3 Milliarden Einwohnern bestand, und nicht 9 Milliarden. In einer Welt ohne Smartphone, ohne Internet, ohne Inflation, Teuerungswelle, Technologiewahnsinn, Politwahnsinn und noch ein paar anderen Wahnsinnen dazu – wie die Informationsüberflutung, die hyper political correctness, die gespaltene Gesellschaft (seit Corona), die Social Media Blase(n), Hyper-Aktivismus und eine Klimakrise und ein Krieg obendrein. Nein, danke. In den 60ern und 70ern war die Welt noch voll in Ordnung, Leistung war mehr wert als das Kapital, man hatte reale Freunde statt virtuellen, man traf sich persönlich anstatt in Chatrooms, man ließ seine Urlaubsfotos noch entwickeln und zeigte sie seinen Freunden bei Besuch, man durfte noch ohne Helm Moped und Fahrrad fahren, und die Tageszeitung bzw. die „Zeit im Bild“ war die einzige Informationsquelle. Fertig. Eine Zeit ohne Fake News, ohne Fake-Lives auf Instagram, ohne Hasstiraden auf Twitter, ohne beißenden Zynismus auf Facebook, ohne YouTube, Google, TikTok und Co. Wie soll so ein Mensch bitte später mit einem Teenager mithalten können, der in einer völlig anderen Welt lebt als er selbst? Der einzige Vorteil wäre, dass Ü-60 einem Kind noch Werte vermitteln könnten (für alle, die das jetzt googeln müssen: Werte sind so was wie Ehrlichkeit, Anstand, Tugendhaftigkeit, Demut, Loyalität etc.) und hoffen, dass davon was kleben bleibt und nicht durch Schule und Sozialisierung unter Gleichaltrigen gleich wieder zerstört wird. Aber sonst? Sehen wir uns die Welt doch an: Google gibt’s seit 20 Jahren, der erste iPod wurde auch vor 20 Jahren vorgestellt, das erste iPhone vor 15 (!!) Jahren. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Alles, was jetzt zu unserem täglichen Leben gehört – von Apps, ohne die wir nicht mehr allein aufs Klo finden, bis zu Social Media, Alexa, Smart Home, Smart Cars, Smart-Irgendwas – ist erst innerhalb der letzten 15 Jahre entstanden! Nicht viel anders steht es um Elon Musk oder Jeff Bezos, die haben erst die letzten 15 Jahre mit Amazon und EMobilität den Planeten versaut, so was wie Streaming – Spotify, Netflix und Co. – ist auch erst in den letzten 15 Jahren entstanden. In diesem Zeitraum hat sich die Welt so rasend schnell verändert wie noch nie in der Geschichte der Menschheit zuvor. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ein 70-Jähriger hat einen 10-Jährigen daheim … das sind verschiedene Planeten, die nicht mal im selben Sonnensystem zu Hause sind. Also klares Nein von mir. Bis auf das Thema eben: Vermittlung echter Werte. Die aber höchstwahrscheinlich digital erdrückt werden, sobald das Kind die Schulbank drückt.
122 | som m er 2022
122_PRO_KONTRA_2022S.indd 122
14.06.22 16:57