Ausnahmezustand

Page 12

VINSCHGER GESELLSCHAFT

Für Respekt und Dialog Youness Ghazali spricht über Integration, den Islam, das Frauenbild, über Vorurteile und seine neue Heimat, den Vinschgau. BURGEIS/MALS - Es war 1999, als Youness Ghazali aus Marokko zu seinem Vater zog, der sich im Obervinschgau niedergelassen hatte. Youness war damals 12 Jahre alt. „Ich bin in der Nähe von Marrakesch bei meiner Mutter und meiner Oma aufgewachsen. Als ich nach Burgeis kam, verstand ich kein Wort Deutsch und auch nicht Italienisch“, erinnert sich der jetzt 33-Jährige, der mittlerweile sogar fast perfekt den Vinschger Dialekt spricht. Wie ist es ihm gelungen, in neue Welt hineinzuwachsen? Youness: „Es war in erster Linie die Schule, vor allem die Lehrpersonen und die Freunde, die ich in der Schule und in der Freizeit kennenlernte und die mir beim Lernen der Sprache und beim Einstieg in die neue Kultur sehr geholfen haben. Dass der Satz ‚Deutsche Sprache, schwere Sprache’ tatsächlich stimmt, habe ich selbst hautnah festgestellt.”

Kontakte in der Schule und in der Freizeit

weitert und ihm die Tür zu einer gelungenen Integration weiter geöffnet. Unvergessen bleiben Zusätzlich zur Schule hat You- Youness auch die Dankesworte ness auch sofort Kontakte für vieler Patientinnen und Patienten, seine Freizeitgestaltung gesucht die er bei Krankentransporten und auch gefunden, etwa als Fuß- und Rettungseinsätzen kennenballspieler. Nach dem Abschluss lernte. Von 2014 bis 2018 war der Mittelschule besuchte er Youness Festangestellter beim die 3-jährige Metallfachschule Weißen Kreuz Mals. Mittlerweile in Schlanders und absolvierte arbeitet er als Fahrer von Gäsnachher ein Praktikumsjahr. Als ten in St. Moritz in der Schweiz. er spürte, dass diese Arbeit doch Ganz eingestellt aber hat er die nicht das Richtige für ihn war, Freiwilligenarbeit beim Weißen „sattelte“ er um. Er meldete sich Kreuz bis heute nicht: „Einmal im als Freiwilliger beim Weißen Monat bin als Freiwilliger in der Kreuz Mals und absolvierte dort Sektion Schlanders im Einsatz.“ 2009 ein freiwilliges Zivildienstjahr. „Es war eine sehr schöne „Der Wille, sich zu integrieren, und lehrreiche Zeit“, erinnert muss gegeben sein“ sich Youness. Abgesehen von der Aus- und Weiterbildung habe er Auf die Frage, wie Integration viele nette Menschen kennen und gelingen kann, antwortet Youschätzen gelernt. Die Aufnahme ness: „Das Wichtigste ist, dass in die „große Familie“ des Weißen die Menschen, die in ein anderes Kreuzes habe seinen Horizont er- Land mit einer anderen Kultur

und einer anderen Religion kommen, sich tatsächlich integrieren wollen. Sie müssen motiviert sein, in der neuen Gemeinschaft Wurzeln zu schlagen. Gute Möglichkeiten dazu bieten die Vereine, egal welcher Art.“ Er selbst habe das beim Fußballspielen erfahren. Wenn es ab und zu unschöne Bemerkungen gab, „waren es meine Fußballfreunde, die sich hinter mich stellten und mich in Schutz nahmen.“ Einen großen Hemmschuh für das Gelingen von Integration sieht er immer dann, „wenn sich zugewanderte Menschen abschotten, sich nicht öffnen, die eigenen vier Wände nicht verlassen und am Gemeinschaftsleben nicht teilhaben.“ Andererseits dürften Einwanderer von der angestammten Bevölkerung auch nicht ausgegrenzt werden. Und wie lebt es sich als praktizierender Muslim in einem überwiegend katholischen Land? Youness: „Ich

„Im Koran, unserer heiligen Schrift, wird der Mensch nicht aufgerufen, anderen Menschen Leid zuzufügen, sie gar zu töten oder einen Angriffskrieg in Angriff zu nehmen“, sagt Youness Ghazali.

12

DER VINSCHGER 10-11/20


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.