philtrat nr. 103

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Zeitung der Studierendenschaft der Philosophischen Fakultät der Uni Köln

philtrat

nummer 103 april/mai 2012

Eine Million weniger bna www.flickr.com/people/khem93

Die Kasse der Philosophischen Fakultät ist am Limit, jetzt streicht die Uni noch mehr Gelder. Der Prodekan für Finanzen warf darum das Handtuch. Kuddelmuddel Sie kamen mit den Studiengebühren und wären mit ihrem Ende beinahe wieder abgeschafft worden: die Lecturer. Jetzt können die Fachschaften über die Stellen bestimmen. Seite 3.

Die TrösterInnen Stress vor den Klausuren und gleichzeitig Liebeskummer, manchmal geht gar nichts mehr. Der „Gang durch die Uni“ führt diesmal zur Psychosozialen Beratung des Studentenwerks. Seite 4

Alternativer Rock Hier ist nichts mehr zu holen: die Fakultätskasse ist leer

Der Prodekan für Finanzen, Franz Peter Mittag, ist zum 31. März zurückgetreten. Er sah sich nicht länger in der Lage, mit den knappen Mitteln zu wirtschaften. Grund für den Rücktritt ist vor allem der Wirtschaftsplan der Uni für das Jahr 2012. Er sieht vor, dass die Fakultäten weniger Geld als im Vorjahr erhalten. Die Philosophische Fakultät soll mit etwa 800 000 Euro weniger auskommen als 2011. Unter Berücksichtigung steigender Personalkosten rechnete das Dekanat sogar ein Defizit von rund 1,3 Millionen Euro aus. Und das, obwohl das Land die Mittel für die Universität in diesem Jahr erhöht hat. »Einen solchen Haushalt kann ich als Prodekan für Finanzen nicht vertreten«, begründet Mittag seinen Rücktritt.

Der Plan war zunächst im Senat kontrovers diskutiert worden, im März bewilligte ihn der Hochschulrat als höchstes Beschluss fassendes Gremium der Uni. Rund 1,3 Millionen Einsparungen im Jahr: Das lässt sich nicht mal eben so bewerkstelligen, indem man ein paar Hilfskräfte entlässt oder den Rolltreppen im Philosophikum den Strom abstellt. »Das ist schon ein erheblicher Einschnitt«, sagt Peter Hacke, der bis zum April Studierendenvertreter in der Engeren Fakultät (EF) war. Die EF entscheidet über wichtige Belange der Fakultät. »Große Fächer können das noch eher verkraften. Aber die Befürchtung ist, dass es vor allem kleine Fächer trifft und dass Fächer zugemacht Fortsetzung auf Seite 2

Genug von C&A? Schlechtes Gewissen an der H&M-Kasse? Als ersten Teil der Reihe „Alternativen“ stellen wir vor, wo es ökologisch produzierte und fair gehandelte Kleidung gibt. Die ist nämlich auch in Köln zu haben. Seite 9

Im Auge des Sturms Die arabische Welt ist im Umbruch, doch im Libanon bleibt es verhältnismäßig ruhig. Was fordert die Opposition iund weshalb kann sie sich mit ihrem Ruf nach einem säkularen System nicht durchsetzen? Seite 10 und 11


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Ouvertüre

»Unseren Namen klauen ist uncool«, finden die PiratInnen.

Die Liberalen sonnen sich bundesweit nicht gerade in Beliebtheit. Bei der anstehenden NRW-Landtagswahl wird die FDP die 5-ProzentHürde voraussichtlich nicht schaffen. Um Wahlen zu gewinnen, müssen sie daher schon sehr tief in die Trickkiste greifen. Die Liberale Hochschulgruppe (LHG) der Uni Köln hatte sich da einen besonderen Coup ausgedacht: Sie nannte sich schnell in »Campuspiraten & Liberale Hochschulgruppe« um. Schließlich konnten die Piraten den Liberalen in Berlin viele Stimmen klauen, da wollte man sich wohl die WählerInnen zurückholen. Auch, wenn man diese dafür etwas betuppen musste. Geschenkt! Da geht sicher noch mehr. Warum nächstes mal nicht als grüne, sozialdemokratische oder christliche Campuspiraten antreten? Das Wort »liberal« lässt man besser gleich ganz weg, in Zeiten von Occupy kommen liberale Wirtschaftsansätze nicht immer so gut an. Es bleibt also spannend, was sich die liberalen Füchse als nächstes ausdenken, damit niemand merkt, wen er oder sie wählt. Auf die Wahlplakate muss man ja auch nicht unbedingt sich selbst drucken, man könnte doch Gandhi oder Veronica Ferres nehmen! Irgendwen mit Starappeal. Oder Katzen! Katzen verkaufen sich immer. Deutlich wird, dass die LHG nicht unter der blassen Politik ihrer BundesministerInnen leidet, blamieren kann man sich in Köln auch herrlich alleine. Geholfen hat das Namensplagiat jedenfalls nicht, die Liberalen konnten nur einen Sitz im Studierenden Parlament ergattern und sich somit nicht verbessern. Aber vielleicht wird auch der Status quo gefeiert, man muss sicher bescheiden sein, als Liberale oder Liberaler heutzutage. Im Werbevideo der PseudopiratInnen wird im Hintergrund gesungen: Be the one you want to be! Anscheinend wollen die LiberalInnen im Moment lieber wer anders sein. Ist nicht verwundert, die Redaktion.

Fortsetzung von Seite 1 werden müssen, weil die Fakultät sie sich nicht mehr leisten kann.« Bedroht wären dann so genannte Orchideenfächer wie Indologie, Judaistik oder Ägyptologie, die ohnehin nur ein oder zwei ProfessorInnen haben. Eine solch radikale Lösung wünscht sich wohl niemand an der Fakultät und sie ließe sich auch nicht von heute auf morgen durchsetzen. Immerhin sind ProfessorInnen verbeamtet und die Studierenden haben ein Recht darauf, ihr Studium an ihrem Institut abzuschließen. Dennoch werden Fächerschließungen als Sparmaßnahme immer wieder diskutiert. Zuletzt war im Sommer 2011 eine mögliche Schließung des Slavischen Instituts ins Gespräch gekommen, nachdem zwei Professoren emeritiert worden waren (siehe philtrat Nr. 101). Das Institut konnte vorerst gerettet werden. Die Lehrstühle wurden verkleinert und die

Professuren in der Besoldung herabgestuft. Das Geld, auf das die Fakultäten laut Wirtschaftsplan verzichten müssen, will die Universitätsleitung stattdessen für die so genannte strategische Hochschulentwicklung verwenden. Diese Mittel dienen zum Beispiel dazu, besonders renommierten ProfessorInnen Anreize zu bieten, an die Uni Köln zu kommen oder hier zu bleiben. Damit will die Uni sich in der Exzellenz­ initiative besser positionieren. StudierendenvertreterInnen wie Peter Hacke kritisieren die Exzellenzinitiative, weil sie viel Geld verschlinge und kaum zur Verbesserung der Lehre beitrage. »Ich befürchte sehr stark, dass wenig von dem Geld an der Philosophischen Fakultät ankommt.« Eher werde etwa die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät davon profitieren. Die Universitätsleitung argumentiert, dass in den

letzten Jahren praktisch keine Mittel gekürzt worden seien. Allerdings sind die Kosten der Fakultät gestiegen: Der Hochschulpakt mit dem Land verpflichtet sie dazu, mehr Studierende aufzunehmen. Das hatte die Fakultät im Sommer 2011 an den Rande eines finanziellen Desasters gebracht (siehe philtrat Nr. 102). Erst in letzter Minute konnte sie das Soll an Einschreibungen erfüllen, sonst hätten Strafzahlungen in Millionenhöhe gedroht. Wie der finanzielle GAU diesmal abgewendet werden kann, soll bald eine kaufmännische Fachkraft im Dekanat klären. »Das wird dann wahrscheinlich jedes Fach empfindlich zu spüren bekommen«, befürchtet Student Peter Hacke. Wo genau die fehlende Million dann abgeknapst wird, weiß derzeit niemand. Johanna Böttges, Sebastian Grote


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Lecturer dürfen erstmal bleiben Im Sommer wurden Lecturerverträge nicht verlängert, die ausfallenden Seminare sorgten für Aufregung. Nun entscheiden die Fachschaften über Einzelfälle. Da haben die schlecht vernetzten Lecturer noch einmal Glück gehabt.

ban www.flickr.com/people/ungutknut

Im vergangenen September ging ein Schock durch die Institute der Philosophischen Fakultät: Pflichtseminare für das Philosophiestudium, Kurse zum IT-Zertifikat, Seminare querbeet durch die Institute drohten zwei Wochen vor Semesterbeginn wegzufallen. Der Grund: Alle auslaufenden Lecturerstellen wurden nicht verlängert. Die Lecturer waren mit den Studiengebühren eingeführt und aus ihnen finanziert worden. Sie hatten aber nur einen schlecht bezahlten, befristeten Lehrauftrag. KritikerInnen sagen, die Stellenform sei unsozial und eine Sackgasse für eine universitäre Karriere. Die Fachschaften hatten sich von Anfang an dagegen gewehrt. Sie argumentierten, dass sich die Lehre langfristig verschlechtere, da die Lecturer nicht forschen. Die Fachschaften formulierten also 2007 ein Positionspapier, in dem sie die Stellen grundsätzlich ablehnten. Da die Studierenden jedoch in der Kommission zur Vergabe der Studiengebühren in der Minderheit waren, verhallte ihr Protest.

Nach der Abschaffung der Studiengebühren änderte sich dies. Studierende haben in der neu eingerichteten Kommission zur Qualitätsverbesserung in Lehre und Studium (kurz: QVM). Hier haben die Studierenden die Mehrheit und bestimmen, wie die Ausgleichszahlungen des Landes NRW verteilt werden. Damit konnten sie über die Zukunft der Lecturer entscheiden. Direkt in der kostituierenden Sitzung im vergangenen Juli kündigte Peter Hacke, Studierendenvertreter in der EF und QVM, an, dass sie sich an den Fachschaftsbeschluss von 2007 halten müssen und die Verträge nicht verlängern würden. Im August wurden dann sämtliche Verlängerungen ohne weitere Prüfung abgelehnt. Dass dadurch Seminare ausfallen würden, nahm man zunächst in Kauf. Die Lecturer erfuhren dies erst im September. Sie waren befristet angestellt, wer nicht lange bleibt, der richtet sich auch nicht ein. Sie haben keine VertreterInnen und keinen gemeinsamen Emailverteiler. In der QVM werden die Lecturer zwar

durch den Vertreter des Mittelbaus Andreas Klingenberg vertreten, der gab jedoch zu, keine Namen gehabt zu haben, an die er die Infos hätte leiten können. Mitte September fielen die Lecturer jedenfalls aus allen Wolken und aus ihren Lohnverhältnissen. Die fehlende Vernetzung wurde ihnen fast zum Verhängnis. Und nun geschah, was längst überfällig war: die Lecturer begannen zu kommunizieren, sie erstellten im Oktober 2011 ein eigenes Positionspapier und wiesen die ihnen unterstellte Ausbeutung weit von sich. »Eine Verstetigung dieser notwendigen Beschäftigungsverhältnisse ist überaus wünschenswert, bedarf aber einer frühzeitigen und an den Realitäten orientierten Konzeption«, schrieben zehn Lecturer aus unterschiedlichen Instituten. Als Mitte September die DozentInnen die Studierenden über die ausfallenden Kurse informierten, herrschte große Verwirrung. Das rief die Fachschaften auf den Plan. In einer eilig einberufenen Fachschaftskonferenz im Oktober 2011 wurde das Positionspapier von 2007 überdacht: Nun entscheiden die jeweiligen Fachschaften über die Verlängerung der Verträge. An diese Einzelentscheidungen sind dann ihre studentischen VertreterInnen in der QVM gebunden. Die meisten Kursangebote finden daher weiterhin statt. »Doch dies kann nicht die langfristige Lösung sein«, sagt Peter Hacke, studentisches Mitglied der EF. Die Lehrenden müssten auch forschen, die Lecturer müssten in wissenschaftliche MitarbeiterInnen umgestuft werden, findet er. Die QVMKommission wird nun ein Konzept erarbeiten und damit die Institute unterstützen, einen sanften Ausstieg aus den Lecturer-Stellen zu schaffen. Cornelia Wienen

Reden nicht viel miteinander: QVM-Kommission und Lecturer.


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Gang durch die Uni XXV: Der Psycho-Soziale Dienst des Kölner Studentenwerks

Von wegen Lotterleben

b flickr.com/peole/22964099N05

»Ich fühle mich total ausgebrannt.« Immer mehr Studierende wenden sich mit dieser oder ähnlichen Klagen an die Psycho-Soziale Beratung des Kölner Studentenwerks. Nicht immer droht jedoch die undifferenzierte Diagnose Burnout. »Hinter dem Modebegriff Burnout, früher auch Managerkrankheit genannt, verstecken sich verschiedene Probleme«, sagt die Leiterin der Psycho-Sozialen Beratung Gaby Jungnickel. Dazu zählen Motivationsprobleme, Depression und Überforderung. Solche Probleme nimmt die Beratungsstelle ernst. Das so genannte Burnout-Syndrom sei in allen Berufsgruppen vorhanden, sagt Jungnickel. »Warum soll es an den Studierenden vorbeigehen?« Oft sind depressive Verstimmung und Traurigkeit Gründe für die Studierenden, das Angebot der psychologi-

schen Beratung in der Luxemburgerstraße in der Nähe des Uni-Centers in Anspruch zu nehmen. Jungnickel erläutert, dass es sich hierbei häufig nicht um tatsächliche Depressionen, sondern um vorübergehende trübselige Phasen handelt. Sie seien oft das Resultat von Schwierigkeiten im Studium und persönlichen Problemen, zum Beispiel im Elternhaus oder in der Partnerschaft. Besonders in diesem Bereich des Psycho-Sozialen Dienstes ist die Nachfrage in den letzten Jahren gestiegen. Grund dafür sind laut Jungnickel verschiedene Faktoren. Zum einen ist die Einrichtung unter den Studierenden bekannter geworden. Zum anderen ist die Hemmschwelle bei der Suche nach psychologischer Unterstützung gesunken. »Was noch vor 15 Jahren schambesetzt war, ist heute weniger ein Problem,” sagt

Jungnickel. Vor allem Studierende der Philosophischen und Humanwissenschaftlichen Fakultät nehmen die psychologische Beratung in Anspruch. Dort studieren nicht nur mehr Personen, die Studierenden seien auch offener gegenüber psychologischen Themen, meint Jungnickel. Allerdings können die Studierenden nicht mehr so intensiv betreut werden wie noch in den Neunzigerjahren. Durch den gestiegenen Andrang kann die Terminvergabe 10 bis 14 Tage dauern. »Wir sind alle ausgelastet«, sagt die Leiterin der Beratung. Bei Problemen im sozialen Bereich wie bei Versicherungsfragen und finanziellen Engpässen helfen die MitarbeiterInnen der sozialen Beratung. »Studienfinanzierung war schon immer einer unserer Kernbereiche«, erklärt Jungnickel. Ein Beispiel für die provisorische Lösung finanzieller Probleme ist das Kurzdarlehen, wenn es darum geht eine »akute Notlage« zu überbrücken. Wenn Studierende beispielsweise den Nebenjob verlieren, aber kurz vor einem Umzug stehen und die Kaution hinterlegen müssen, kann das Studentenwerk kurzfristig mit 250 Euro aushelfen. Die soziale Beratung legt außerdem einen Fokus auf die Betreuung von Schwangeren und Studierenden mit Kind. Ausgehend von der psychologischen Beratung, die es seit den Siebzigerjahren gibt, hat sich das Angebot später um die soziale Beratung und das Kompetenztraining beim Schreiben und Lernen erweitert. Die Schreibberatung bietet verschiedene Workshops an, wie den Crashkurs für Examenskandidaten. Der Kurs gibt Hilfestellungen beim Verfassen der Abschlussarbeit. Eine wichtige Aufgabe sei außerdem die Unterstützung bei prüfungsvorbereitenden Fragen und Problemen, so Jungnickel. Weitere Angebote erfährt man über den Newsletter der Psycho-Sozialen Beratung. Julia Haas, Sabrina Schmidt

Wenn der Studiumsstress zu groß wird, hilft kein Anti-Stress-Ball mehr.


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Auberge Espagnole +bn flickr.com/people/wolamaloo_gazette

Einen Platz im Erasmus-Programm zu ergattern ist zur Zeit gar nicht so schwer. Aber Eile ist geboten.

So lässt‘s sich doch studieren.

Ein paar Monate im Ausland studieren – das ist ein Traum, den sich Kölner Studierende zur Zeit noch relativ einfach erfüllen können. Denn das Kontingent an Studienplätzen im Ausland ist derzeit noch nicht völlig erschöpft. »Fakt ist, wir haben durchaus Plätze frei«, so Christiane Biehl vom Akademischen Auslandsamt der Uni Köln. Studierende der Philosophischen Fakultät, aber auch anderer Fakultäten, haben gute Chancen, mit Erasmus ins Ausland zu gehen. Das gilt natürlich nicht für ganz Europa. Vor allem an den Universitäten in den osteuropäischen Ländern gibt es einen Überschuss an Plätzen. Das liegt zum Teil auch an der Sprache, in der gelehrt wird. Zwar wächst auch in Osteuropa das Angebot der Partnerhochschulen an englischsprachigen Kursen und Vorlesungen, aber häufig finden diese noch in der Landessprache statt. Das Erasmus-Programm des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) bietet seit knapp 25 Jahren europäischen Studierenden die Möglichkeit, ein oder zwei Semester an einer Partneruniversität der eigenen Hochschule im europäischen Ausland zu verbringen. Organisation, Erlass der Studiengebühren und finanzielle Förderung sind nur drei der Vorteile, die das Programm mit sich bringt. Die Uni Köln hat 250 Partnerhochschulen in Europa. Mehrere hundert Kölner Studieren-

de nutzen jährlich das Angebot des Erasmus-Programms. Nachdem zum Wintersemester 2007/08 die Diplom- und Magisterstudiengänge auf das Bachelor-/ Master-Modell umgestellt wurden, ging die Anzahl der BewerberInnen vorerst zurück. Dies könne mit der Verunsicherung der Studierenden zusammenhängen, ob ein Auslandssemester noch mit dem modularisierten Studienplan vereinbar sei, so die Teamleiterin des ErasmusProgramms Christiane Biehl. Die Besorgnis scheint sich jedoch zu legen. Die BewerberInnenzahlen für das aktuelle akademische Jahr sind schon deutlich höher als zuvor. Voraussichtlich werden im Jahr 2011/12 etwa 580 Studierende mit Erasmus ins Ausland gehen. »Ich gehe davon aus, dass die Zahlen weiter steigen«, sagt Biehl. Im Wintersemester 2010/11 verbrachten die meisten Studierenden der Kölner Uni ihren Auslandsaufenthalt in Spanien. Mehr als 100 Studierende nahmen das Angebot der spanischen Partnerhochschulen wahr. Dicht dahinter folgte Frankreich und auf Platz drei die Türkei. Für Studierende, die einfach Lust und Interesse daran haben, eine neue Sprache kennenzulernen, bietet das ErasmusProgramm studienbegleitende sowie vorbereitende Sprachkurse an. Sabrina Schmidt

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Einfacher bleiben Die Bundesregierung plant ein Gesetz, welches es unter anderem ausländischen Studierenden einfacher machen soll, nach dem Studium in Deutschland zu arbeiten. Der Entwurf sieht vor, die Einkommensschwelle für eine Aufenthaltserlaubnis abzusenken. Bislang müssen ausländische HochschulabsolventInnen ein Einstiegsbruttogehalt von mindestens 66 000 Euro vorweisen. Nach dem neuen Gesetz müssten sie nur noch 48 000 Euro verdienen. Für besonders nachgefragte Bereiche wie Informatik oder Medizin soll die Grenze auf 33 000 Euro sinken. Die AbsolventInnen sollen außerdem 18 statt 12 Monate Zeit für die Jobsuche haben. Der Bundesverband ausländischer Studierender kritisiert jedoch, dass die Veränderungen nicht weit genug gehen. So sei es ausländischen Studierenden immer noch nicht erlaubt, auf selbstständiger Basis zu arbeiten, beispielsweise als ÜbungsleiterInnen im Hochschulsport. (HLH)

Öfter mal abwesend StudierendenvertreterInnen der Philosophischen, Humanwissenschaftlichen und Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten verlangen ein Ende unrechtmäßiger Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen. Sie kündigten an, eine Liste mit Veranstaltungen, in denen noch immersten geführt werden an den Prorektor für Lehre und Studium Stefan Herzig zu schicken und sein Eingreifen zu fordern. Anwesenheitslisten in Seminaren und Vorlesungen sind nur in Ausnahmefällen erlaubt. Darauf hatte im September 2011 das NRW-Wissenschaftsministerium hingewiesen. Anwesenheitspflichten seien nur dann zulässig, wenn das Lernziel der Veranstaltung nicht auch durch »mildere Mittel« erreicht werden könne, wie Selbststudium oder Arbeitsgruppen. Rektor Axel Freimuth sicherte den Studierenden seine Unterstützung zu. (LR/JB)


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Es wird enger in der Engeren In der Engeren Fakultät vertritt nicht mehr allein die Fachschaftsliste die Studierenden. Unklar ist, wie die Zusammenarbeit mit den Fachschaften laufen wird. lassen und nicht gegen sie zu kandidieren. Dieses Prinzip wurde nun aufgegeben. Nina Weinbrenner betont, dass es diese informelle Abmachung aus einem guten Grund gegeben habe. Die Studentin ist Mitglied im SprecherInnenrat der Philosophischen Fakultät, dem Ausschuss der Fachschaften. »Die Engere Fakultät trifft viele Entscheidungen in Fragen, bei denen sich die Fachschafterinnen und Fachschafter am besten auskennen«, sagt sie. Dort gehe es um Wiederzuweisungen von Professuren oder um Änderungen an Prüfungs- und Studienordnungen. Das seien Themen, mit denen sich vor allem die Fachschaften beschäftigen. »Unsere Kandidatinnen und Kandidaten von der Fachschaftsliste sind gebunden, die Fachschaften

© Hanna-Lisa Hauge

Sie hatten jahrelang keine Konkurrenz: bei den Wahlen zur studentischen Vertretung in der Engeren Fakultät (EF) der Philosophischen Fakultät gewannen stets KandidatInnen der Fachschaftlsiste »das Original«. Bei den vergangenen Wahlen für das höchste Beschluss fassende Gremium der Fakultät ist nun jedoch überraschend die »Liste Linker Aktiver – Bündnis für eine soziale, zivile und demokratische Hochschule« gegen sie angetreten und hat einen der drei Sitze erhalten. In dem Bündnis ist unter anderem die Hochschulgruppe die Linke/SDS und der Wendepunkt vertreten. Seit Jahren war es unter den verschiedenen hochschulpolitisch engagierten Gruppen üblich gewesen, der Fachschaftsliste die EF-Sitze zu über-

in für sie wichtigen Angelegenheiten zu fragen.« Da das neue Bündnis offen gegen die Liste der FachschafterInnen kandidierte, ist unklar, inwieweit sie sich mit den Fachschaften koordinieren wird. »Selbstverständlich wollen wir mit den Fachschaften zusammenarbeiten«, sagt Peter Förster, der für das Bündnis ab April als studentischer Vertreter in der EF sitzt. »Leider war es im letzten Jahr nicht möglich, mit den damaligen Vertreterinnen und Vertretern der Fachschaftsliste in der EF in entscheidenden politischen Auseinandersetzungen vernünftig zusammenzuarbeiten.« Das Bündnis will sich zum Beispiel für eine Offenlegung von Drittmittelverträgen mit externen GeldgeberInnen und gegen die Zwangsexmatrikulation von Studierenden der alten Studiengänge einsetzen. Weinbrenner wehrt sich gegen den Vorwurf, die VertreterInnen der Fachschaftsliste seien unpolitisch. »Natürlich sind auch die Fachschaften politische Strukturen«, sagt sie. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bündnis und der Fachschaftsliste sieht auch sie kritisch. »Die Art und Weise der bisherigen politischen Arbeit des Wendepunktes hat es für uns unmöglich gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten«, sagt sie. »So kann man nichts für die Studierenden erreichen.« Hanna-Lisa Hauge

Bildungsstreik 2010: In der Engeren Fakultät können Studierende ihre Forderungen einbringen.

Impressum philtrat – Die Zeitung der Studierendenschaft der Philosophischen Fakultät wird vom SprecherInnenrat der Philosophischen Fakultät (Phil-SpRat) herausgegeben.

Hölscher (AH), Fatima Khan (FK), Elisa Moll (EM), Nambowa Mugalu (NAM), Thomas Petrikowski (TPI), Laura Reina (LR), Sabrina Schmidt (SAS), Cornelia Wienen (CWI).

Redaktion: Johanna Böttges (JB), Sebastian Grote (SG), Julia Groth (JG), Julia Haas (JH), Hanna-Lisa Hauge (HLH, V.i.S.d.P.), Anna

Mitarbeit: Patrick Gomolka (PG), Sabine Fischer (SF). Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 30. Mai.

Redaktionsadresse: philtrat, c/o Phil-SpRat, Universitätsstr. 16, 50937 Köln. Fon: (0221) 470-26 20, (0221) 470-26 11, Fax: (0221) 41 33 18. E-Mail: philtrat-red@uni-koeln.de. Layout und Satz: Carolin Wedekind, die Redaktion. Druck: Verlag Neuer Weg, Essen. Auflage: 2000.


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AStA bleibt grün-rot-rot Der neue AStA ist der alte AStA und will an die Arbeit des vergangenen Jahres anknüpfen. Auf seiner Agenda stehen vor allem soziale und ökologische Themen.

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Die Uni Köln behält ihren grün-rotroten Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Ende Januar hat das Studierendenparlament (SP) den AStA gewählt. Wie im vergangenen Jahr setzt er sich aus den Hochschulgruppen Campus Grün, der JusoHochschulgruppe und der Linken/SDS zusammen. »Da die Arbeit im letzten Jahr so erfolgreich war, ist es für uns eine Wunschkoalition«, sagt die neue erste Vorsitzende Luisa Schwab von Campus Grün. Anders als im vergangenen Jahr verfügt die Koalition jedoch im Studierendenparlament mit 25 Sitzen nicht mehr über eine absolute Mehrheit. Für diese wären wie im letzten Jahr mindestens 26 Sitze erforderlich gewesen. Um geplante Vorhaben dennoch umsetzen zu können, ist Campus Grün eine Kooperation mit der Alternativen

Liste (AL) eingegangen. Die AL war noch vor einigen Jahren die stärkste linke Hochschulgruppe, ist aber im vergangenen Jahr nicht angetreten. Sie ist nun im SP mit einem Sitz vertreten. Innerhalb des AStA hat es mehrere Ämterwechsel gegeben. Der gesamte AStA-Vorstand wurde ausgetauscht. Neben der neuen ersten Vorsitzenden Schwab wird Philipp Schubert von der Linken/SDS das Amt des zweiten Vorsitzenden ausfüllen. Finanzreferent wird Daniel Duarte (parteilos). Campus Grün stellt das Ökologiereferat und das Fachschaftsreferat, die Jusos übernehmen das Politikreferat und das Sozialreferat. Das Letztere vertritt ab sofort den sozialen Aufgabenbereich des ehemaligen Referats für Integration, Internationales und Antidiskriminierung. Dazu gehört un-

ter anderem das TEAM-Programm. Es ist eine Art Patenschaftsprogramm für ausländische Studierende in ihren ersten Wochen an der Uni. Die Linke/ SDS stellt das Öffentlichkeitsreferat und das Referat für Wissenschaft und Antidiskriminierung. Für die nächste Legislaturperiode hat sich der neue AStA einiges vorgenommen. »Wir wollen mehr für die Gleichstellung der Frauen tun und uns weiter gegen jegliche Form der Diskriminierung einsetzen«, sagt Schwab. Der AStA will sich beispielsweise dafür starkmachen, rassistischen, sexistischen oder homophoben Burschenschaften den Status als Hochschulgruppe entziehen zu lassen. Weiterhin sollen Studierende die Bio-Gemüsekiste abonnieren können. Das Ökologiereferat plant außerdem, einen Nutzgarten anzulegen, in dem Studierende ihr eigenes Gemüse anbauen können. »Wir befinden uns noch in der Anfangsplanung und recherchieren gerade nach möglichen Flächen«, sagt Jan Wowrek (Campus Grün). Die ebenfalls vom grün-rot-roten AStA ini­ tiierte selbstverwaltete Fahrradwerkstatt wird ausgebaut. Zudem will der AStA unter den Studierenden noch bekannter werden. Er plant eine stärkere Zusammenarbeit mit den lokalen Medienanstalten und eine Flyer-Aktion. Im Vorfeld der SP-Wahlen im Dezember hatte die Liberale Hochschulgruppe (LHG) für einen kleinen Skandal gesorgt. Sie trat unter dem Namen »Campus-Piraten & Liberale Hochschulgruppe« an. In den Augen von KritikerInnen erweckte das den Eindruck, als befänden sich unter ihren KandidatInnen auch Mitglieder der Piraten-Hochschulgruppe. Die war aber gar nicht zur SP-Wahl angetreten. Die »echten« Piraten verteilten daraufhin Flyer an der Uni, in denen sie der LHG Namensklau vorwarfen. Nambowa Mugalu

»Nochmal!« Nächste Runde für den grünrot-roten AStA.


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Signal nach Ehrenfeld Der Inklusiven Universitätsschule fehlt zur Verwirklichung nur noch ein Grundstück. Der Traumstandort ist das Helios-Gelände in Ehrenfeld.

© Sebastian Grote

Wer in Deutschland zur Schule geht, ist schnell einsortiert. Ob Gymnasium, Real- oder Hauptschule: Mit der Entscheidung für eine weiterführende Schule ist nach nur vier Jahren oft auch schon besiegelt, welchen Platz in der Gesellschaft die SchülerInnen als Erwachsene einnehmen werden. Das Fatale: Unser Schulsystem produziert soziale Ungleichheit. Dass die Bundesrepublik dadurch das Menschenrecht auf Bildung verletze, hat bereits 2007 Vernor Munoz angemahnt, der als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung auf Deutschlandbesuch war. Aber auch viele angehende LehrerInnen wollen nicht länger Teil einer Institution sein, die nur den ohnehin Privilegierten Chancen bietet und kaum Freiräume lässt für die eigenen Vorstellungen vom Unterrichten. Vor

einigen Jahren beschlossen daher Studierende der Humanwissenschaftlichen Fakultät, ihre eigene Schule zu gestalten. Zusammen mit Lehrenden gründeten sie das Projekt school is open und entwickelten das Konzept für eine Inklusive Universitätsschule (IUS). Inzwischen hat die Initiative viele UnterstützerInnen gefunden, darunter die Kölner Schuldezernentin Agnes Klein. Keine Privatschule für Wenige wird die IUS, sondern eine Schule in öffentlicher Trägerschaft. Nach dem Motto »Eine Schule für alle« will die IUS Kinder aus unterschiedlichen sozialen Milieus, mit und ohne Behinderungen zusammenbringen. Soziale oder ethnische Herkunft, Behinderung oder Geschlecht sollen nicht mehr über die Bildungschancen von Kindern entscheiden. Eine demokratische Selbstverwaltung soll sicherstellen, dass alle

Angehörigen der Schule an deren Gestaltung beteiligt sind. Neben dem Schulsystem will school is open auch die LehrerInnenausbildung verbessern. Angehende LehrerInnen sollen hier schon während des Studiums Unterrichtsmethoden erproben – auch unkonventionelle. Ob »teaching in public« oder Lernen auf Sitzsäcken, hier soll ein Raum sein, mit unterschiedlichen Lernformen zu experimentieren. In Praxisphasen werden die Studierenden jeweils einen Tag pro Woche den Schulunterricht begleiten. Das Schulkonzept steht so im Einklang mit dem neuen Lehrerbildungsgesetz, demzufolge Lehramtsstudierende nicht erst im Referendariat sondern schon während des Studiums Praxiserfahrung sammeln sollen. Nur eines scheint dem Projekt noch zu fehlen, um in der Praxis durchstarten zu können: ein Standort. Ganz oben auf der Liste steht derzeit das umkämpfte Ehrenfelder Heliosgelände. Der Besitzer des Grundstücks will dort ein Shoppingcenter bauen, wogegen AnwohnerInnen und EhrenfeldFans heftig protestieren. Die Stadt hat sich darum auf einen Dialog eingelassen. In Arbeitsgruppen erarbeiten derzeit engagierte BürgerInnen einen Nutzungsvorschlag, den sie im Mai der Öffentlichkeit vorlegen wollen. Danach entscheidet der Stadtrat über die Zukunft des Heliosgeländes. Schuldezernentin Klein hat sich für eine Integration der IUS in das Bebauungskonzept ausgesprochen. Wenn der Plan aufgeht, könnte in etwa drei Jahren die Schulglocke zum ersten Mal läuten. Die Inklusive Universitätsschule will ein Leuchtturmprojekt sein – für Nordrheinwestfalen, aber auch darüber hinaus. Der Standort auf dem Heliosgelände mit seinem Wahrzeichen, dem Heliosturm, wäre gut geeignet, diesem Selbstverständnis symbolischen Nachdruck zu verleihen. Johanna Böttges

Ein Leuchtturm für‘s Projekt: der Heliosturm.


Grünkäppchen Alternativen I: Grün kaufen, fair sparen? Wo das geht verrät unsere neue Reihe. Diesmal: Klamotten.

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Ökokleidung ist teuer und hässlich. Dieses Urteil war lange Zeit zutreffend. Inzwischen gibt es jedoch ein größeres Angebot für fair gehandelte und biologisch produzierte Kleidung, die sogar gut aussieht. Auch in Köln gibt es immer mehr Boutiquen und Labels, die öko- und sozialverträgliche Ware verkaufen. Denn was H&M und Co bieten, scheint nur auf den ersten Blick unschlagbar: Die niedrigen Preise gehen auf Kosten der NäherInnen, die für Billiglöhne und unter katastrophalen Arbeitsbedingungen schuften. Auch der Vorwurf der Kinderarbeit wird immer wieder laut. Hinzu kommt, dass diese HerstellerInnen beim Anbau der Baumwolle umweltbelastende Pestizide und Chemikalien verwenden. Viele KonsumentInnen achten darum beim Kleiderkauf nicht mehr nur auf Aussehen und Preis, sondern wollen ihre T-Shirts auch mit gutem Gewissen tragen. Die Bewegung, die mit unförmigen Ökoklamotten angefangen hat, produziert mittlerweile attraktive Mode.

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Besonders kleine Labels bieten eine Alternative zu den bekannten Ketten. Sie sind im Sortiment von Online-Shops und Boutiquen zu finden. Seit 2007 zählt beispielsweise das Kölner Label Armed Angels zu den Erfolgslabels im Biofair-Bereich. Die Gründer Martin Höfeler und Anton Jurina verkaufen auf ihrer Plattform ausschließlich Streetwear, die das Fairtrade Siegel trägt. Die Organisation Transfair garantiert mit ihrem Logo sozialverträgliche Produktionsbedingungen. Die Baumwolle, die Armed Angels verwendet, ist nach dem Global Organic Textile Standard zertifiziert. Neben der eigenen Kollektion verkauft Armed Angels auch Jeans, Schuhe und Taschen von gleich gesinnten Marken wie die Nudie Jeans aus Göteborg. Auch der Versand muss nicht die Ökobilanz belasten. Dienste wie DHL GoGreen ermitteln die durch den Transport entstandenen Co2-Emissionen und investieren als Wiedergutmachung in Klimaschutzprojekte. Dieselben Standards erfüllt auch das Münchener Label ThokkThokk, das sich durch kreative, verspielte Designs auszeichnet, die teilweise in Kooperation mit DesignerInnen aus aller Welt entstehen. Ein Manko der fair gehandelten Kleidung ist und bleibt für viele der Preis. Statt 5 Euro beim KleidungsDiscounter kostet ein Shirt von einem Öko-Label um die 30 Euro, oftmals auch mehr. Ein Mix ist die Lösung, sagt Fabian Simon, der das Infoportal fair-trade-kleidung.com betreibt. »In erster Linie kommt es darauf an, ein Bewusstsein für diese Themen zu schaffen«, sagt er. »Es geht nicht darum, nur noch fair zu kaufen, das können sich die meisten nicht leisten.« Nambowa Mugalu

Das schlechte Gewissen lauert im Kleiderschrank.

Radioretter Ein offener Brief an die WDRIntendantin Monika Piel, der sich gegen eine geplante Reform beim Kultursender WDR 3 richtete, hat bereits Wirkung gezeigt. Mehr als 13 000 UnterstützerInnen unterzeichneten bis Mitte März das Schreiben in einer Online-Aktion, darunter viele Kulturschaffende und JournalistInnen. Grund für die Petition der »Radioretter« waren drohende Streichungen im Programm. Nun wies der WDR Rundfunkrat die Reform zurück und forderte im gleichen Zug ein neues Gesamtkonzept von der Geschäftsleitung. Die InitiatorInnen des Briefs begrüßten diese Entscheidung. »Wir werten den Beschluss des Rundfunkrates als Beleg dafür, dass ein demokratisches Engagement, eine kritische Öffentlichkeit Wirkung haben können, wenn sie mit guten Argumenten einhergehen«, heißt es in einer Pressemitteilung vom 3. März. Sie kritisieren jedoch die Eile, mit der nun ein neues Konzept entwickelt werden soll und fordern mehr Raum für kreative Diskussion und Beteiligungsmöglichkeiten. (LR/HLH)

Galgenfrist fürs AZ Die BetreiberInnen des Autonomen Zentrums (AZ) in Kalk müssen im Sommer raus. Die ehemalige KHD-Kantine in der Wiersbergstraße 44 soll abgerissen werden und einer Grünfläche weichen. Diese ist Teil eines größeren Bebauungsplanes rund um die benachbarte Kaiserin-TheophanuSchule. Das hat im Februar der Kölner Stadtrat beschlossen. Zuvor hatten KölnerInnen einen Erhalt des AZ auf Platz 1 der Anliegen im Bürgerhaushalt gewählt. AktivistInnen hatten im April 2010 das Gebäude besetzt und zu einem Zentrum nichtkommerzieller Kultur entwickelt. Im September 2011 unterschrieben sie einen befristeten Mietvertrag mit der Sparkasse. Aufgrund einer Auflage der Europäischen Kommission verkauft die Sparkasse das Objekt an die Stadt Köln. Die ehemaligen HausbesetzerInnen planen Protestaktionen. (JB)


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Kein libanesischer Frühling Im Zuge der arabischen Revolutionen gab es auch im Libanon Demonstrationen, die sich gegen das politische System richteten. AktivistInnen und ExpertInnen sehen jedoch kaum Chancen für einen Wandel zu einem säkularen System. »Ash-shab yurid isqat an-nizam« – «Die Menschen wollen den Sturz des Regimes«. Dieser Slogan wurde weltbekannt, als ihn die protestierenden Massen vor etwas mehr als einem Jahr in Ägypten, Tunesien und anderen arabischen Ländern ausriefen. Auch im Libanon gab es im vergangenen Frühjahr Demonstrationen, auf denen die Menschen diese Worte wiederholten, jedoch mit einer Abwandlung. Auf den Straßen Beiruts riefen die DemonstrantInnen »Die Menschen wollen den Sturz des konfessionalistischen Regimes.« Während die Proteste in Ägypten, Tunesien und Libyen tatsächlich zum Sturz der Regime geführt haben, flauten die Demonstrationen im Libanon schnell wieder ab.

Demokratie mit Einschränkung

© Hanna-Lisa Hauge

Der Libanon ist bereits seit seiner Unabhängigkeit von dem französischen Mandat von 1943 demokratisch, hat also zumindest nicht mit einer Dikta-

tur zu kämpfen. Dennoch war die Politik des Libanon lange Zeit zu einem großen Maß vom Nachbarn Syrien bestimmt. Die so genannte Zedernrevolution 2005 führte dazu, dass die syrischen Truppen abzogen, doch auch heute noch übt das syrische Regime einen gewissen Einfluss auf den Libanon aus. So sind beispielsweise in den vergangenen Monaten syrische Oppositionelle in der libanesischen Hauptstadt Beirut gefasst worden.

gab es bisher nicht in den hohen politischen Ämtern, lediglich ein paar der Parlamentssitze sind von Frauen besetzt. ChristInnen und MuslimInnen erhalten im Parlament jeweils die Hälfte der Sitze, welche wiederum nach einem festen Verhältnis, dem sogenannten Proporz, unter den verschiedenen Konfessionen aufgeteilt werden.

Religion und Politik

Ursprünglich wurde das Prinzip des Konfessionsproporzes eingeführt, um den Frieden zwischen den 18 verschiedenen Religionsgemeinschaften zu sichern, die das kleine Land bewohnen. De facto hat der Konfessionalismus jedoch die Spaltung der Gesellschaft anhand konfessioneller Linien zementiert, wie KritikerInnen argumentieren. Diese Spaltung zieht sich durch den gesamten Alltag. Was auch daran zu erkennen ist, dass die meisten BewohnerInnen Beiruts in Stadtteilen wohnen, die nach Religionen und Sekten getrennt sind. Die Teilung geht aber noch viel weiter. »Der Konfessionalismus hat eine angenehme und eine unangenehme Seite«, sagt Wolf-Hagen von Angern, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Orientalischen Seminar der Uni Köln. »Jeder landet durch die Geburt in einer Schublade. Darin läuft dann das berufliche und persönliche Leben ab.« Hat man Glück, so findet man innerhalb der eigenen religiösen Gruppe einen Partner oder eine Partnerin und eine Karriere. Möchte man jedoch über die Konfession hinweg heiraten oder bewirbt sich auf einen Job, der für Bewerber­ Innen einer anderen Konfession »reserviert« ist, so stößt man schnell an die Grenzen. »Der Konfessionalismus verhindert damit gewisse Entwicklun-

Die Demonstrationen im vergangenen Frühling richten sich jedoch gegen die libanesische Spielart der Demokratie, den so genannten politischen Konfessionalismus. Diesem Prinzip entsprechend werden öffentliche Ämter nach der Religionszugehörigkeit vergeben. So ist beispielsweise der Staatspräsident immer ein maronitischer Christ, der Premierminister ein Sunnit und der Parlamentssprecher ein Schiit. Frauen

Die Macht der Konfession

Ein Graffiti in Beirut: Wann hört der Bürgerkrieg auf? Wenn das konfessionalistische System fällt


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Schusslöcher in einem Beiruter Wohnhaus: Der Bürgerkrieg ist nicht nur in den Köpfen präsent.

gen, im Guten wie im Schlechten«, sagt von Angern. Die Religionsgemeinschaften stellen ein soziales Netz und soziale Fürsorge, welche der libanesische Staat selbst nicht für seine BürgerInnen leistet. Das verhindere einerseits, dass es eine Entwicklung hin zu einer »Atomisierung« der Gesellschaft gibt, so von Angern. »Der Konfessionalismus verhindert aber auch die Entwicklung des Landes in anderer Hinsicht, da nicht danach ausgesucht wird, wer die Besten und Fähigsten sind.«

Im Frühjahr vergangenen Jahres waren bis zu 20 000 Menschen bei Demonstrationen an mehreren Sonntagen in Beirut auf die Straße gegangen. Es waren so viele wie noch nie. Karolin Sengebusch, Mitarbeiterin am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Uni Marburg betont, dass der Protest nicht neu ist. Die Unzufriedenheit mit verschiedenen Aspekten des Konfessionalismus sei weit verbreitet. »Es gehört zum guten Ton, den Konfessionalismus zu kritisieren«, sagt Sengebusch. »Lippenbekenntnisse zu seiner Abschaffung sind bei Politikern an der Tagesordnung, freilich ohne im Detail konkrete Schritte und Alternativen zu planen.« Zum Misserfolg der Demonstrationen hat diese politische Führungsschicht aktiv beigetragen, indem sie die Proteste für sich instrumentalisierte und somit die Glaubwürdigkeit der Forderung nach Säkularismus untergrub. Schließlich sind Politik und Konfession im Libanon stets miteinander verwoben. So solidarisierte sich beispielsweise der schiitische Parlamentssprecher der Amal Partei, Nabih Berri, mit den Protesten. »Die politischen Parteien sind in die Proteste eingestiegen und haben sie von Innen zerstört«, sagt Samir Farah, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut. Zum politischen Stillstand tragen die politischen Führer einen großen Teil bei. Die meisten von ihnen waren in den Bürgerkrieg involviert, teilweise als Milizenfüh-

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So viel Protest wie nie

rer, und stehen seit Jahrzehnten an der Spitze der politischen Strömungen. Sie profitieren also von dem gegenwärtigen System.

Kein schneller Wandel Farah sieht keine Chance für eine säkulare Demokratie, so lange es das Wahlgesetz gibt, welches den Konfessionen eine bestimmte Prozentzahl an Parlamentssitzen garantiert. Dass sich daran etwas ändern kann, hält er für unwahrscheinlich. »Die meisten politischen Parteien sind glücklich mit dem Gesetz.« Auch von Angern sieht keine Chance für eine Änderung des Proporzsystems auf friedlichem Weg. »Nur zweimal in der Geschichte wurde der Proporz verändert, aber beide Male nur nach Kriegen.« Die libanesische Aktivistin und Film-Studentin Ghina ist nicht ganz so pessimistisch. Aber auch sie glaubt, dass es noch ein weiter Weg zu einem säkularen System ist. »Bislang versteht nur ein kleiner Teil der Gesellschaft wirklich, wie schlecht das System für das Land ist«, sagt sie. »Entweder sie sind blind, oder sie haben sich dazu

entschieden, blind zu sein. Vielleicht haben sie auch die Hoffnung verloren.« Demonstrationen hält sie nicht für ein wirkungsvolles Mittel. Das war für sie der Grund, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen und ihrem Engagement eine andere Richtung zu geben. »Nach ein oder zwei Malen realisierte ich, dass diese jungen Frauen und Männer auf eine Art und Weise kämpfen, die für den Libanon nicht richtig ist.« Die DemonstrantInnen hätten keine konkreten Pläne für eine Alternative und deshalb auch zu wenig Überzeugungskraft gehabt. Das sei auch ein Grund gewesen, warum die Demonstrationen nach ein paar Wochenenden von selbst aufgehört hätten. »Wir müssen erst ein Bewusstsein schaffen«, sagt Ghina. Eine Revolution, wie sie in anderen arabischen Ländern zur gleichen Zeit passierte, sei nicht der richtige Weg für den Libanon. Besonders die Leute, die den Bürgerkrieg miterlebt haben, seien noch nicht bereit, eine Revolution gegen diese politische Schicht zu starten. »Ich glaube an einen langsamen Wandel«, sagt Ghina. Hanna-Lisa Hauge


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In Traumland zeigt sich Island von seiner Aluminiumseite

Paradies zu verkaufen Die IsländerInnen gehören zu den glücklichsten und wohlhabendsten Menschen der Welt. Dennoch leiden viele PolitikerInnen seit Generationen an einem Minderwertigkeitskomplex. Zu lange musste ihr Volk in grasbedeckten Hütten wohnen und vom Fischfang leben. Die USA, die im Kalten Krieg eine Militärbasis auf Island errichten wollten, kamen ihnen deshalb gelegen. Sie brachten Arbeitsplätze und Fernsehgeräte. Dass ihre Insel dabei ein potentielles Ziel für russische Atombomben wurde, nahmen sie als Opfer für den Fortschritt hin. Bloß keine grasbedeckten Hütten mehr! Nun ist der Kalte Krieg vorbei, die AmerikanerInnen sind nach Hause gegangen und der Wohlstand muss erneut gerettet werden. Dieses Mal ist es die Aluminiumindustrie, die mit günstigen Energiepreisen ins Land gelockt werden soll. Island ist nicht allein ein Paradies für Touristen, die sich an seiner gewaltigen Landschaft erfreuen. Die aktiven Vulkane, Geysire und reißenden Strö-

me stehen auch für 30 Terawattstunden, von denen die Isländer nur einen Bruchteil benötigen. 30 Terawattstunden, die zur Produktion von Alufolie und Bierdosen dienen sollen. »Grüne Energie«, die aber nur durch eine kaum vorstellbare Naturzerstörung erschlossen werden kann. Andri Snær Magnason rechnet in Traumland mit der isländischen Regierung ab, die den Ausverkauf des Landes an die Schwerindustrie propagiert. Durch gut recherchierte Fakten überzeugt er die LeserInnen von dem Größenwahn der VisionärInnen. Mit mitreißenden Worten kämpft er für den Erhalt der isländischen Natur. Magnason belässt es allerdings nicht bei der Ökokritik. So betont er auch die Gefahr, sich von einem einzigen Wirtschaftszweig abhängig zu machen. Spätestens hier gelingt ihm dann auch der Blick über seine Insel hinaus. Island ist nämlich bei Weitem nicht das einzige bedrohte Traumland der Welt. Sebastian Grote

Andri Snær Magnason: Traumland – Was bleibt, wenn alles verkauft ist? Orange Press, Freiburg 2011, 288 Seiten, 20 Euro.

Im Eifel-Krimi Müllers Morde darf auch der Mörder erzählen

Tot im Totenmaar Es ist die pure Ironie: Der Umweltmanager eines Kölner Energieunternehmens stirbt an einer CO2- Vergiftung im Totenmaar in der Eifel. Die Polizei hält den Tod für einen Unfall. Der Liebhaber des Toten aber vermutet einen Mord und widmet sich fortan der Aufklärung. Die Ermittlungsarbeit legt er in die Hände des mehr oder weniger befreundeten Geschichtsprofessors Richard Romanoff. Dieser spürt normalerweise nur Kunstgegenstände für KundInnen auf, um sein Konto aufzubessern. Interessant ist, dass in Müllers Morde abwechselnd der Mörder selbst sowie der ermittelnde Romanoff als Erzähler auftreten. Monika Geier, die ihre Krimis bislang in der Pfalz spielen ließ, liefert ein weiteres Mal ein wunderbar leicht und mit viel Witz geschriebenes Werk, das durch seine vielseitigen Charaktere und zahlreiche Wendungen fesselt. Die Handlung mutet zwischenzeitlich fast kafkaesk

an, als der Mörder Müller versucht aus seinem missglückten Auftrag lebend herauszukommen, ohne zu wissen gegen welche Gegner er kämpft und für wen er überhaupt gearbeitet hat. Manchmal wünscht man ihm schon fast, dass dies gelingt. Im nächsten Moment schockiert der äußerst intelligente Mann allerdings wieder durch seine Kaltblütigkeit. Es macht Spaß, dem Amateurdetektiv Romanoff dabei zu zusehen wie er versucht, Müller das Handwerk zu legen. Da sich alle Personen mit dem Energiekonzern in Verbindung bringen lassen, vermuten die LeserInnen schon den Grund für den Mord, aber die Autorin wartet da noch mit einer raffinierten Wendung auf. Das Buch ist nur schwer aus der Hand zu legen. Gut recherchiert, clever geschrieben und amüsant verpackt. Laura Reina

Monika Geier: Müllers Morde, Argument Verlag, Hamburg 2011, 394 Seiten, 11 Euro.


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Hamas - Die islamische Bewegung in Palästina räumt mit dem gängigen Bild der Hamas auf

Hamas mal anders Über die Hamas wird viel geschrieben. So behaupten die Schreiber­ Innen des passenden WikipediaArtikels, dass die Hamas in Palästina einen islamischen Staat errichten und den israelischen Staat beseitigen will. Khaled Hroub, der am Zentrum für Islamstudien der Uni Cambridge lehrt, möchte dem verzerrten Bild, welches in Bezug auf die Hamas vorherrscht, entgegenwirken. Er betont, dass die Hamas durchaus andere Seiten hat als die einer »Terrororganisation« und dass sie sich besonders seit ihrem Sieg in den demokratischen Wahlen zur Nationalbehörde Palästinas 2006 verändert hat. Mit dieser Position steht er weitgehend alleine: die meisten Regierungen erkennen diese Entwicklung noch nicht an. Ein solches Buch ist also bitter nötig, um diese immer wichtiger werdende und sich wandelnde Organisation realistisch einschätzen zu können. Ein zentraler Ansatzpunkt seiner Analyse ist es, sich nicht nur auf die schriftlichen Dokumente der Organisationen zu verlassen, sondern auch die Handlungen der Hamas als politischer Akteurin zu untersuchen. Der Aufbau nach einem

Frage-Antwort-Schema macht dabei das komplexe Thema zugänglich. Hroub stellt fest, dass beispielsweise das angebliche Ziel der Hamas, einen islamischen Staat zu schaffen, nur in den frühen Schriften auftaucht und in seiner Bedeutung für die heutige Politik überschätzt wird. Das Ziel Israel zu vernichten, wie es der Hamas zumeist unterstellt wird – so auch in allen deutschsprachigen WikipediaArtikeln zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Texts –, sei niemals öffentlich propagiert worden. Ebenso drücke die Hamas-Charta, welche vielen JournalistInnen und anderen, die über die Hamas sprechen, sehr oft als Grundlage der Charakterisierung dient, nicht die gegenwärtige Zielsetzung der Hamas aus. Diese sei viel pragmatischer ausgerichtet, als es den Anschein hat. Die jahrelange Beschäftigung des Autors mit der Hamas macht das Buch sehr informativ. Gerade weil das Thema eine solche politische Sprengkraft besitzt, wäre es jedoch wünschenswert gewesen zu Lasten der Lesbarkeit durchgehend die Quellen in Fußnoten anzugeben. Hanna-Lisa Hauge

Khaled Hroub: Die Hamas, Die islamische Bewegung in Palästina, Palmyra, Heidelberg 2011, 244 Seiten, 17,90 Euro.

Horrorjobs

London fürs Handgepäck

Das Buch entstand aus einer Kolumne für ein Berliner Magazin: Tobias Kurfer hat sich in die vermeintlichen Nieder­ ungen der Arbeitswelt begeben und überhaupt nicht witzige Dinge erlebt – auch wenn er das zu glauben scheint. Das Buch Horrorjobs – Wie ich mich probehalber ausbeuten ließ (Fischer) ist der Leidensbericht zu einigen Probearbeitstagen. Was Kurfer über die Arbeit der MuseumswächterInnen, DogwalkerInnen oder KinderanimateurInnen berichtet ist meist nur ein erster Eindruck und selten überraschend. Einzig die Menschen, denen er begegnet, können das Interesse der LeserInnen wecken. Ein paar gute Gags werden vom ständigen Jammern und von einigen abschätzigen Bemerkungen überlagert. Kurfer ist sich auch eigentlich zu schade für all das und macht es nur, um endlich ein Kolumnist zu sein. Die verdrehte Logik scheint er nicht zu bemerken. Am Ende erleichtert er die LeserInnen mit dem Versprechen, dass er nie wieder solche Jobs machen wird. Wenn er weiter so schlechte Bücher schreibt, sollte man sich da nicht sicher sein. (CWI)

Wer sich fragt, wie die großen SchriftstellerInnen der letzten zwei Jahrhunderte eine Großstadt wie London wahrgenommen haben, ist mit dem Kulturkompass London fürs Handgepäck (Unionsverlag) gut beraten. Holger Ehling hat eine bunte Auswahl von Texten berühmter britischer und ausländischer SchriftstellerInnen und PolitikerInnen zusammengestellt, die Englands Hauptstadt von allen Seiten beleuchten. Adrian Bailey bietet eine Pub-Tour für jene, die sich nicht vom neuen Chic einiger Pubs täuschen lassen und authentische Pubs bevorzugen. Michael Frayne führt vor Augen, was die in England seit dem 17. Jahrhundert bestehende Pressefreiheit für die Entwicklung der Printmedien bedeutete, die ihr Zentrum in der Fleetstreet hatten. Die Fussballkultur erklärt Nick Hornby, der Anhänger eines nicht so erfolgreichen Londoner Clubs ist. Auch Fontane und Heine kommen zu Wort und berichten staunend über Urbanisierung und Industrialisierung, die in der Heimat noch nicht in diesem Maße voran geschritten war. Diese Textsammlung macht Lust auf einen Trip nach England zum historischen Sightseeing. (LR)


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Gegen den Männerwahnsinn Ein kleines, abgelegenes Dorf in den Bergen Libanons. Hier leben Alte und Junge, Reiche und Arme, Verheiratete und heimlich Verliebte, Christen und Muslime. Bislang hat dieser bunte Haufen Menschen zwar nicht immer ganz harmonisch, aber doch friedlich zusammen gelebt. Als aber einer der Dorfjungen von einem Querschläger getötet wird, drohen die gewalttätigen religiösen Konflikte im Rest des Landes auf das Dorf überzuspringen. Die Frauen sind verzweifelt. Nicht wenige haben im Bürgerkrieg ihre Ehemänner und Söhne verloren und wollen es nicht akzeptieren, dass die Gewalt wieder ausbricht und Leben fordert. »Glaubt ihr, wir sind nur hier, um euch zu betrauern?«, ruft Amal, eine der Hauptfiguren, die von der Regisseurin Nadine Labaki selbst gespielt wird. Die Frauen greifen zu kreativen Mitteln, um einen Krieg im Dorf abzuwenden. Warum nicht eine Truppe von ukrainischen Prostituierten ins Dorf holen, um die Männer abzulenken? Vielleicht hilft auch ein wenig Haschisch, heimlich eingeflößt, gegen die Dummheit der Männer? Als der Nachfolger von Labakis Regie-Debut Caramel in die Kinos kam, war er für Wochen ausverkauft. Das mag daran liegen, dass es im vom

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In Wer weiß, wohin? rebellieren die Frauen eines libanesischen Dorfes gegen ihre Männer, die in den Religionskrieg einsteigen wollen.

Libanesinnen, die nicht noch mehr Männer betrauern wollen.

Bürgerkrieg geschundenen Libanon keine Selbstverständlichkeit ist, dass das Thema der Religionskonflikte in einem Kinofilm verarbeitet wird, und schon gar nicht auf solch humorvolle Weise. Der Film rutscht aber nicht in die komödiantische Harmlosigkeit ab, sondern bietet neben Stoff zum Lachen und Schmunzeln auch genügend Anregung zum Nachdenken. Labaki, Libanons bekannteste Regisseurin, möchte in ihrem Film die Sicht der Frauen darstellen. Sie versuchen, den mit wenig Gnade dargestellten Männern Vernunft beizubringen.

Diese – zugegeben etwas vereinfachende – Sichtweise ist verständlich, denn in einer so von Männern und Kriegen dominierten Geschichte wie der des Libanon fanden die Frauen bislang viel zu selten Gehör. Außerdem ist dem Film durchgehend anzumerken, wie liebevoll Labaki trotz allem auf ihr Land und ihre Landsleute blickt. Hanna Lisa Hauge Wer weiß, wohin? ���������������������� Ägypten/Italien/Frank� reich/Libanon 2011. Regie: Nadine Labaki, DarstellerInnen: Nadine Labaki, Julien Far� hat, Layla Hakim u.a., Kinostart: 22. März.

Die Science-Fiction-Komödie Iron Sky würde selbst Darth Vader beeindrucken.

Nazis auf dem Mond 1945. Eine kleine Gruppe von Nazis findet mit Hilfe von Ufos, so genannten Reichsflugscheiben, Zuflucht auf der dunklen Seite des Mondes. Als im Jahr 2018 eine amerikanische Mondmission auf die Kolonie stößt, sehen sie ihre Zeit für eine Rückkehr auf die Erde gekommen. Obwohl die verblendete Mondnazilehrerin Renate Richter überzeugt ist, dass man Frieden auf die verkommene Erde bringen will, lässt ein überdimensionales Raumschiff namens Götterdämmerung Böses ahnen. Den Weltraumnazis fehlt lediglich noch ein geeigneter Antrieb für das Ungetüm. In den Smartphones der ErdbewohnerInnen sehen sie die Lösung. Während sich

Renate mit einem kleinen Stoßtrupp auf die Suche nach den kleinen Wunderdingern begibt, wird sie sich der Lügen bewusst, mit denen sie aufgewachsen ist. Ihren Verlobten, den größenwahnsinnigen Klaus Adler, kann sie da aber nicht mehr stoppen. Eine Invasion steht kurz bevor. Die Präsidentin der USA nimmt das ganze dagegen gelassen und nutzt den Anlass für eine PR-Kampagne. Immerhin wurden alle ihre Vorgänger, die in der ersten Amtszeit einen Krieg führten, wiedergewählt. Die Entstehung von Iron Sky ist fast genauso verrückt wie seine Story, denn ohne das Internet wäre der Film nicht möglich gewesen. Zum Beispiel spar-

ten die ProduzentInnen Kosten durch das so genannte Crowd Funding. Dabei leisten Fans vorab finanzielle und kreative Unterstützung. Weniger geizig ging es dagegen bei der Auswahl derHauptdarstellerInnen zu. Vor allem Julia Dietze und Götz Otto überzeugen die ZuschauerInnen. Gelungene Computeranimationen sorgen schließlich für die genretypischen Effekte, sodass man dem Film den No-Budget-Charakter kaum noch ansieht. Sebastian Grote Iron Sky. Finnland, Deutschland, Australien 2012. Regie: Timo Vuorensola. DarstellerIn� nen: Julia Dietze, Götz Otto, Christopher Kirby u.a. Kinostart: 5. April.


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© Arsenal

Monsieur Lazhar

Monsieur Lazhar. Canada 2011. Regie: Philippe Fa� lardeau. DarstellerInnen: Mohamed Saïd Fellag, So� phie Nélisse, Émilien Néron u.a. Kinostart: 12. April.

Eines Mittwochabends erhängt sich die Lehrerin Martine Lachance in ihrem Klassenzimmer in Montreal. Am nächsten Tag entdecken Simon und Alice ihre tote Lehrerin. Beide erleiden einen Schock. Alice, weil sie ihre Lehrerin auch als Bezugsperson sah und Simon, da ihn Schuldgedanken quälen. ���������������������������������� Damit der Schulalltag für die Kinder weitergehen kann, wird der Algerier Bachir Lazhar als Lehrer eingestellt. Der geheimnisvolle Monsieur Lazhar bringt Wärme und Herzlichkeit in das verschneite Montreal, jedoch sorgt seine veraltete Unterrichtsart zunächst für Unverständnis. Trotzdem fassen die Kinder nach und nach Vertrauen zu ihm. So beginnen die SchülerInnen

langsam über ihre Trauer zu sprechen und auch Monsieur Lazhars bewegende Geschichte wird offenbart. Der Film beleuchtet sehr vielschichtig die Probleme der Schulleitung durch den Verlust der Kollegin, die Trauerarbeit der Kinder und die Vorgeschichte des Monsieur Lazhar. Dem Regisseur Philippe Falardeau gelingt ein berührendes Drama, welches anstelle von vielen Settings auf Authentizität und gute SchauspielerInnen setzt. Vor allem überzeugt die Natürlichkeit der KinderdarstellerInnen. Ein sehr empfehlenswerter Film, der ohne Kitsch mitten ins Herz geht. Julia Haas

© Limelight

Russendisko

Russendisko. Deutschland 2012. Regie: Oliver Zie� genbalg. DarstellerInnen: Matthias Schweighöfer, Friedrich Mücke, Christian Friedel, u.a. Kinostart: 29. März.

Was hilft einem Russen gegen Liebeskummer? Wodka mit Honig und Pfeffer. Neben diesem Klischee beschäftigt sich die Adaption des Bestellers von Wladimir Kaminer mit den Träumen und der Freundschaft dreier junger Russen im wiedervereinigten Deutschland. Nach dem Mauerfall tauchen sie in die bunte, multikulturelle Szene Berlins ein. Wladimir, dargestellt von Matthias Schweighöfer, und seine beiden besten Freunde verwirklichen sich also im Kapitalismus. Mischa will Musiker werden und Andrej Geschäftsmann. Er fängt mit Dosenbier an. Wladimir ist überaus zufrieden damit, seinen

Freunden bei ihrer Selbstverwirklich­ ung zu helfen. Nebenbei findet er die Frau seines Lebens und macht Mischa zu einem Juden, damit er ebenfalls unbefristet in Deutschland bleiben darf. Ansonsten verkörpert er Unbeschwertheit und gute Laune, wobei er eher zufällig den Sinn des eigenen Lebens findet. Bekannt charmant besticht Schweighöfer mal wieder in einer lustig-romantischen Rolle. Einen besonderen ästhetischen Reiz bekommt die Filmversion von Russendisko durch die in mehreren Sequenzen unterlegten wunderbaren Animationen von Alla Churikova. Laura Reina

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Spieglein, Spieglein

Spieglein, Spieglein – die wirklich wahre Geschich� te von Schneewittchen. USA 2012. Regie: Tarsem Singh. DarstellerInnen: Julia Roberts, Lily Collins, Armie Hammer u.a. Kinostart: 5. April.

Was macht eine Prinzessin allein im Wald? Räuber jagen! Denn dieses Schneewittchen ist nicht wie das Original. Als sie erfährt, dass ihr Volk hungern muss, um die ausschweifenden Feste der Stiefmutter (dennoch sanfte Rehaugen: Julia Roberts) zu finanzieren, sagt sie ihr den Kampf an. Klar, Schneewittchen ist bildhübsch, die Königin eitel und fies, und am Ende tanzen Prinzessin und Prinz einen Bollywood-Hochzeitstanz. Aber der Plot des Grimm-Märchens wird zwischendurch ordentlich aufgemischt. Denn dieses Schneewittchen wartet nicht in einem Glassarg darauf, dass ein Prinz sie erlöst. Allein im Wald ausgesetzt, schwingt sie sich zur Anführerin einer Räuberbande auf.

Die sieben Zwerge, aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen, erbeuten sich ihren Lebensunterhalt als Diebe. Damit ist Schneewittchen natürlich nicht einverstanden, lässt sich jedoch die Kniffe und Kampftechniken der Räuber beibringen. So bezwingt sie die Königin, erobert ihr Reich zurück und befreit das Volk. Und der Prinz? Den befreit sie schon bei ihrer ersten Begegnung aus einer peinlichen Lage. Der Funke springt über, trotz dessen leicht arroganter und dümmlicher Art. Und schließlich kommt es auch zum Märchenkuss: Allerdings, wie könnte es anders sein, unter ungewöhnlichen Umständen. Johanna Böttges


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Abgelichtet II: Die Mensa-Ampel

© Sebastian Grote

Bei Rot kein Brot

Bei Grün durfte man gehen, bei Rot musste man sehen – wo man sein Essen herbekam. Die Mensa-Ampel zeigte früher an, ob noch Platz im Hause war. Heute verschönert sie nur noch das Areal vor der Hauptmensa und dient JoggerInnen als Fixpunkt beim Durchhalten.

Termine Bund für‘s Leben

Party für alle Welt

Große Gefühle

Asozialer Krawall

Klima ahoi!

Sommerschnäppchen

Die große Zeit der Studentenverbindungen ist vorbei. Oder? Hundert Jahre lang haben sie das Hochschulmilieu dominiert. Wie kam es eigentlich dazu und woher kommt jetzt ihr Niedergang? Darüber spricht Mattheus Hagedorny am 30. April um 19 Uhr in der Probebühne (Universitätsstr. 16). Der Eintritt ist frei.

Kraake Konzerte im Autonomen Zentrum (Wiersbergstr. 44): Am Freitag, dem 6. April heizen Pyramido und Gun Mob ein. »Gegen den Staat & Sauberkeitswahn« randalieren am Donnerstag, dem 26. April die Punkbands Mülheim Asozial und Schnur. Jeweils ab 21 Uhr ist der Krawall angesagt!

Mit Balkan Beats, Global Ska und Elektro Swing rockt die Allerweltsparty am Freitag, dem 20. April und 18. Mai. Der Erlös aus 3 Euro Eintritt geht an das Projekt »Erinnern und Handeln für die Menschenrechte«. Ab 22 Uhr in der Ehrenfelder Simrockbar (Körnerstr. 65). Infos unter www.menschenrechtekoeln.de.

Am Freitag, dem 27. April dreht sich bei einem Thementag alles um Klimawandel und EU-Klimapolitik. Veranstalter sind die studentischen Nachhaltigkeitsfans von oikos und der Lehrstuhl für Energiewirtschaft der Uni Köln. Es kommen ReferentInnen aus NGOs, Unternehmen, Politik und Wissenschaft.

Die Reihe Allerweltskino im Off Broadway richtet am Dienstag, dem 1. Mai den Blick auf Argentinien. Alma und Roberto werden wiederholt durch den Zufall zusammengeführt – oder ist es doch Bestimmung? Paula Hernández inszeniert mit »Im Regen des Südens« (110 Minuten, OmU) einen eindringlichen Liebesfilm. Eintritt 6 Euro.

Das schönste Flohmarktflair der Stadt gibt es am Sonntag, dem 20. Mai zwischen 11 und 17 Uhr im Innenhof der Alten Feuerwache (Melchiorstr. 3). Hier gibt es Klamotten, Kleinkram und hausgemachte Leckereien für wenig Geld. Auch VerkäuferInnen sind willkommen, die Anmeldung ist am 14. Mai.


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