Oliver Kraus
Der unglaubliche
FINGERSTYLE CREATOR


Vorwort
Die Fingerstyle-Gitarre ist aktuell beliebter denn je, auch in den sozialen Netzwerken wie Instagram, TikTok und YouTube gibt es eine große Community, die spielerisch und musikalisch erstklassige Arrangements präsentiert. Mit der Verknüpfung von Melodie, Akkorden und Groove kann man schließlich einen Song in Gänze darstellen und sein technisches Geschick zeigen und schulen. Es ist aber auch gleichzeitig die Königsdisziplin: Man muss einen Überblick über das Grifbrett haben, über harmonische Kenntnisse verfügen, rhythmusfest sein, und die Spieltechnik sollte sitzen. In diesem Lehrbuch möchte ich Methoden zeigen, wie man selbst Fingerstyle-Arrangements und spannende Song-Begleitungen in verschiedensten Genres entwickeln und diese mit Verzierungen, Fill-Ins und Klangfarben versehen und natürlich spielen kann.
Inklusive Video zum Download unter www.fngerprint-download.de
Launching Fingerstyle
Eine neue Perspektive
Bestimmt hast du dich schon an einigen Tabulaturen deiner Lieblingsgitarristen versucht oder staunend vor einem YouTube-Video gesessen und dich gefragt, wie man so ein Fingerstyle-Arrangement entwickelt. Wechseln wir doch die Seite und schreiben selbst eines! Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu starten: mit einer Melodie, einem Groove-Pattern oder einer Akkordfolge. In diesem Beispiel starte ich mit einer Auswahl von Akkorden:
1. Akkorde wählen: Aus dem C-Dur-„Topf“ (Seite 7) habe ich folgende Akkorde gewählt und trage sie zur Übersicht jeweils auf die Zählzeit 1 ein. Alternativ kannst du einen Akkord auch über mehrere Takte laufen lassen oder noch zusätzlich Akkorde auf die Zählzeit 3 setzen.
Neue Perspektive
2. Die Melodie: Nun wähle ich Töne aus dem jeweiligen Akkord aus, am besten welche, die auf der g-, h- oder e‘-Saite liegen. Setze auf jeden Fall einen Ton auf die Zählzeit 1, nach Bedarf weitere auf 2, 3, 4. In meinem Beispiel hat sich ein Muster ergeben, die Töne kommen immer auf 1, 3 und 4.
3. Der Bass: Auf die Zählzeit 1 setze ich immer den tiefsten Ton des Akkordes, den Grundton.
4. Rhythmisch aufüllen: Die leer gebliebenen Zählzeiten fülle ich mit Akkordtönen, die noch nicht in der Melodie genutzt wurden. Damit bekomme ich einen durchgängigen Rhythmus und eine harmonische Verbindung zwischen Bassbereich und Melodie.
Ganz wichtig: Die Töne sollen immer bis zum Taktende oder nächsten Ton auf derselben Saite weiterklingen, let ring... 06
Percussion, Ghost Notes & Backbeat
Perkussive Akzente als feine Zwischentöne sind angesagt, machen das Arrangement „fufg“ und sorgen für Groove. Übe die Percussion-Einwürfe sowie die Ghost-Note zuerst einzeln:
Der Percussion-Schlag
Die rechte Hand klatscht gebeugt leicht auf die Saiten, alle Töne werden gestoppt.
Ghost-Note
Der Daumen zupft beiläufg und kaum hörbar die leere Saite.
Die Akkordfolge mit Percussion-Schlag auf die Zählzeit 3, den Backbeat. Damit simulieren wir die Snare eines Schlagzeugers:
Das Backbeat-Arrangement: Nun kommt wieder die Melodie hinzu. An den Stellen, wo viel Bewegung in der Melodie ist, setzen wir keinen Percussion-Schlag. Zum Beginn empfehle ich, das Arrangement in Zeitlupe „Abzuarbeiten“, die Kombination aus Melodie und den verschiedenen Einwürfen ist durchaus anspruchsvoll!
Das Folkpicking
Wenn man einige Groove-Pattern beherrscht, kann man stilistisch kreativ werden und für Abwechslung in der Begleitung sorgen. Eine ganze Reihe von Fingerstyle-Grooves zeige ich ausführlich in „Der unglaubliche Groove Creator“. Das Folkpicking ist ein „Must-have“, wenn es um Fingerstyle geht. Übe zuerst wieder das Pattern, achte auf das Finger-Management! Ich unterscheide in Außenstimme und Innenstimme:
Außen-/ Innenstimme Außen-/ Innenstimme nacheinander
Die Stimmenauswahl macht die Melodie
Das Folkpicking mit abwechselnder Außen- und Innenstimme. Der letzte Ton muss nicht gespielt werden.
Die Daumenbewegung extrahiert
Je nachdem wie ich beim Folkpicking nun die Außenstimme auswähle, bekomme ich einen anderen Melodieton. Hier drei Varianten für den G-Akkord:
G-Dur mit Melodieton g‘: G-Dur mit Melodieton d‘: G-Dur mit Melodieton h:
Der Canon in C von Johann Pachelbel mit dem Folkpicking versehen, alleine durch die Stimmauswahl ergibt sich die Melodie. Je
Akkord muss auch der Basston der Außenstimme immer angepasst werden:
Sexten und horizontale Melodien
Melodien kannst du auch immer mit Sexten „unterfüttern“. Der zweistimmige Klang verstärkt die Melodie und erzeugt eine besondere Stimmung. Besonders gut geht das bei horizontalen Melodien auf der hohen E-Saite. = 60
Eine Melodie in A-Moll auf der E-Saite:
Unterlegt mit Sexten:
Mit Slides versehen:
Hin- und hergespielt:
Diese Sexten-Kette passt zu allen Akkorden aus A-Moll oder C-Dur:
Übung: Spiele sie zu den Bass-Saiten A, D und E, wähle beliebige Reihenfolgen der Sexten.
*Eine Sexte ist ein Intervall und beschreibt den Abstand zwischen zwei Tönen. Im Beispiel „Sextenkette“ ist die erste Sexte zwischen den Tönen g und e´. Durchgezählt:
g a h c´
1 2 3 4 5 6 genauer: 9 Halbtonschritte (große Sexte)
Der erste und letzte Ton werden mitgezählt. Diese Zählweise erklärt am besten den Begrif „Sexte“ und setzt voraus, dass man sich innerhalb einer bestimmten Tonleiter bewegt. Je nach der Tonleiterstufe ergeben sich aus der Konstellation der Ganz- und Halbtonschritte kleine und große Sexten.
a h c´ d´ e´ f´ 1 2 3 4 5 6 genauer: 8 Halbtonschritte (kleine Sexte)
Bei Halbtonschritten wird der erste (Start)-Ton nicht mitgezählt.
a a# h c´ c#´ d´ d#´ e´ f´ 1 2 3 4 5 6 7 8 Halbtonschritte
Welche Tonart ist die beste?
Nicht jede Tonart ist für jeden Fingerstyle-Song geeignet. Testen wir einmal die gängigsten Gitarrentonarten durch mit einer einfachen Melodie im Stil von Monty Pythons Always Look On The Bright Side Of Life. Nebenbei kannst du etwas über die verschiedenen Tonarten lernen, und darüber, welche Akkorde zusammengehören:
C-Dur
C, Dm, Em, F, G, Am, Hmb5 sind die sieben in C-Dur vorkommenden Akkorde, d.h. wir spielen immer den 1., 6., 4., und 5. Akkord. In Musikersprache: I-VI-IV-V.
D-Dur
D, Em, F#m, G, A, Hm, C#mb5 sind die sieben in D-Dur vorkommenden Akkorde. Wir spielen wieder den 1. (D), 6. (Hm), 4. (G), und 5. Akkord (A).
E-Dur
E, F#m, G#m, A, H, C#m, D#mb5 sind die sieben in E-Dur vorkommenden Akkorde.
Warum ist der Quintenzirkel so interessant?
Beim Quintenzirkel ist mein meistgehörter Satz: „Schon mal gehört, wofür ist das gut?“. Die Antwort: Akkordverbindungen werden dort übersichtlich. Mache einmal den Selbstversuch und kreise die vorkommenden Akkorde der Beispielsongs im Quintenzirkel ein. Ergänze Moll (m) oder die Septime (7/j7).
Zum Geburtstag: C, F, G
C, F und G ist der „Klassiker“ unter den Akkordverbindungen. C ist die Tonart und das Zentrum (Tonika), G oder noch deutlicher G7 ist der spannungsreiche Gegenspieler, die Dominante. Die Subdominante F kann als ofene Klangfarbe bei Bedarf eingesetzt werden (Siehe Seite 8).
Fragile-Rif (S. 34): Am, Dm, E7
Auch Lieder in Moll haben ihr Zentrum und die Subdominante und die Dominante anliegend. Eigentlich wäre der Akkord an der Dominant-Position ein Em. Um die Spannung einer Dominante zu bekommen, wird er häufg als E7 gespielt. Die dazugehörigen Dur-Akkorde wären dann links davon G, C und F.
Canon in C: C, G, Am, Em, F, Dm
Zu den drei Durakkorden C (Tonika), G (Dominante) und F (Subdominante) gesellen sich rechts anliegend die drei zugehörigen Moll-Akkorde Dm, Am und Em. Der siebte Akkord Hmb5 schließt die Kette ab.
Ragtime (S. 21): C, E7, A7, D7, G7, C
Eine Kette von Dominanten ist hier zu sehen: E7 ist die Dominante von A, A7 ist die Dominante von D, D7 die von G, G7 ist die Dominante von C, der Tonika.
Komplettes Arrangement mit Miles Davis
In diesem Arrangement im Stil vom All Blues von Miles Davis versuche ich noch einmal alles zusammenzubringen: Eine Bass-Figur, einen Groove, in diesem Fall ein 3/4-Swing, sowie ein phrasiertes Melodie-Thema. Außerdem soll es ein Intro und Outro geben, sowie einen Solo-Part. Zuerst stelle ich die Bass-Figur vor:
Die Bassfgur versetze ich auf die g- und h-Saite, einige Töne ersetze ich durch Leersaiten-Töne um einen Basis-Groove zu bekommen, der sich durch das ganze Arrangement zieht:
Das Thema setze ich mit Sexten aus und fülle, wo es möglich ist, mit dem Basis-Groove auf:
Danke an
Danke an meine Schülerinnen und Schüler. Durch ihre Rückfragen, ihr Feedback und das Probespielen ist dieses Lehrbuch praxisnah und gut für den Unterricht und das Eigenstudium geeignet. Besonderer Dank geht an Bodo Kolbe, mein Mentor zum Einstieg in die Fingerstyletechnik in frühen Jahren.
Feedback
Gerne kannst du mir eine Rückmeldung per Email geben: mail@oliverkraus.de
Clip-Liste
01 Linke Hand
02 Rechte Hand
03 Akkorde
04 Takt
05 Töne
06 Eine neue Perspektive
07 Erstes Arrangement in drei Schritten
08 Das Zwischenergebnis
09 Verfeinern und verzieren
10 Perkussive Akzente
11 Die Akkordfolge
12 Das Backbeat-Arrangement
13 Reggae
14 Das Groove-Pattern-Arrangement
15 Das Folkpicking
16 Die Stimmauswahl
17 Der Canon in C
18 Begleitung Streets Of London
19 Begleitung Dust In The Wind
20 Travis und der Daumen-Beat
21 Ein Ragtime mit Septakkorden
22 Kombination aus Viertel- und Achtelnoten
23 Vorm Door Steher Rag
24 Die gängigsten Verzierungen
25 Arpeggiertes Picking und Fill-Ins
26 Fill-In Training
27 Eric-Clapton-Style
28 Melodische Basslinien
31 Zauberklänge
32 Zauberklänge Teil 2
33 Die Umkehrungen
34 Amazing Grace
35 Sexten und horizontale Melodien
36 Brown Eyed Girl
37 Weihnachtliches
38 Ganz klassisch
39 Spiel nach Noten
40 Der Crashkurs
41 Ode an die Freude
42 Happy Birthday
43 Jingle Bells
44 Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald
45 Ode an die Freude
46 Happy Birthday
47 Welche Tonart ist die beste?
48 Gitarren-Boogie
49 In Form gebracht
50 Walking-Bass
51 Walking-Bass und Melodie verknüpfen
52 Summertime Arrangement
53 Route 66 Arrangement
54 All Blues Arrangement
29 Popsongs im Ed-Sheeran- und James-Bay-Style
30 Quint-Sext-Pattern
Impressum:
Fotos: Manfred Pollert
Umschlaggestaltung: Manfred Pollert
Layout und Fotos im Innenteil: Oliver Kraus
Notensatz: Oliver Kraus
Lektorat: Rebecca Bojara und Marian Menge
Produktion: Peter Finger
© 2023 by Acoustic Music GmbH & Co. KG, Osnabrück
Das Notenbild ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht ohne Genehmigung des Verlages vervielfältigt werden.
Music engraving copyright protected.
Best.-Nr. FP 8201
ISBN 978-3-945190-47-0
ISMN 979-0-700437-03-9
FingerPrint / Acoustic Music GmbH & Co. KG
Arndtstraße 20 · 49080 Osnabrück
Tel.: +49(0)541-71 00 20 · Fax +49(0)541-70 86 67
E-Mail: order@acoustic-music.de www.acoustic-music.de www.fngerprint-verlag.de

Bereits bei Fingerprint erschienen:

Oliver Kraus: Der unglaubliche Solo Creator Das Kochbuch für dein perfektes Gitarrensolo
Buch + DVD, 56 S., Best.-Nr. FP 8185

Oliver Kraus: Der unglaubliche Song Creator Die komplette Anleitung zum Komponieren auf der Gitarre
Buch + CD, 68 S., Best.-Nr. FP 8190

Oliver Kraus: Der unglaubliche Groove Creator Fingerstyle Patterns & Rhythm Secrets
Buch, 68 S., Videos zum Download Best.-Nr. FP 8193
Oliver Kraus zeigt in diesem Lehrbuch, wie man Akkorde, Melodie und Grooves einfach verbinden kann, mit Verzierungen und Fill-Ins versieht und in den verschieden-sten Genres umsetzen kann. Anhand bekannter Fingerstyle-Künstler wie Merle Travis, Tommy Emmanuel, Eric Clapton, Ed Sheeran u.a. werden Methoden, Tipps und Tricks zum selbst Entwickeln von FingerstyleArrangements und Song-Begleitungen gezeigt.
Gitarrist Oliver Kraus hat Jazz- und Popularmusik studiert und fasst in den Lehrbüchern sein Unterrichtsmaterial und seine Erfahrungen im Austausch mit Schülerinnen und Schülern praxisnahe zusammen.

Best.-Nr. FP 8201
ISBN 978-3-945190-46-3 ISMN 979-0-700437-02-2
FingerPrint / Acoustic Music GmbH & Co. KG · Arndtstraße 20 49080 Osnabrück · Tel.: 0541-71 00 20 · Fax 0541-70 86 67
E-Mail: order@acoustic-music.de · www.acoustic-music.de www.fingerprint-verlag.de

Oliver Kraus: Spaß mit Dreiklängen Improvisieren, Begleiten, Verzieren
Buch, 68 S., Videos zum Download Best.-Nr. FP 8198

Oliver Kraus: Der unglaublich praktische Sessiontrainer Eine Anleitung zum gemeinsamen Jammen
Buch, 64 S., MP3-Files zum Download Best.-Nr. FP 8200

Oliver Kraus spielt Stoll-Gitarren.
