Der fliegende Holländer 22
Wagner-Echsen unter sich Der walisische Bassbariton Bryn Terfel ist der fliegende Holländer in unserer neuen Produktion der Wagner-Oper. Zum ersten Mal singt der Weltstar am Zürcher Opernhaus. Eine Probenreportage
E
s ist natürlich kein Zufall, dass an dem Tag, an dem Bryn Terfel mit den Proben zum Fliegenden Holländer beginnt, die dritte Szene im ersten Akt auf dem Probenplan steht. Andreas Homoki, der Regisseur, hat es so gewollt. Einen passenderen Einstieg gibt es nicht: Der Holländer geht an Land und begibt sich erstmals unter Menschen. «Holla! Seemann!», singt Daland, «Nenne Dich! Wes Landes!» Und Bryn Terfel, der Bassbariton von Weltrang, der nur in sehr ausgewählten Häfen des internationalen Opernbetriebs vor Anker geht, spielt bei seiner Ankunft in Zürich die Ankunft des Holländers. Wir sind auf der Probebühne am Zürcher Escher-Wyss-Platz. Provisorisch verschraubte Holzwände und Stoffbespannungen deuten einen Raum an. Am rechten Bühnenrand steht ein holzgedrechselter Bürodrehstuhl. Im Vordergrund thront ein breiter, wuchtiger Holztisch, auf dem Seekarten ausgerollt sind. Bryn Terfel trägt einen schwarzen, langen Mantel als Probenkostüm und schwere, hohe Lederstiefel, die er vom ersten Moment an so sehr mag, dass er sie nach der Probe versehentlich anlassen wird und das erst in der Tram auf dem Weg ins Hotel bemerkt. Der Regisseur erklärt die Situation. Terfel nickt. Mit dem Rücken zur Bühnenrampe nimmt er auf dem Drehstuhl Platz. Der Dirigent Alain Altinoglu gibt den Einsatz und fadenfein, aus unbestimmbarer Ferne erklingt die dunkle, warme Stimme des fliegenden Holländers: «Weit komm ich her...» Bryn Terfel steigt zwei Wochen zu spät in die Produktion ein. Darf er das? Wo doch Andreas Homoki als Intendant die strenge Richtlinie ausgegeben hat, es möge auch für Stars in der Probenarbeit keine Sonderrechte geben. Bei Terfel kommt man mit solchen Verfügungen allerdings nicht weit. Er ist ein walisischer Dickschädel und ein unabhängiger Geist. Die ganze Opernwelt weiss, dass er nur
ungern länger weg ist von zu Hause und sich am wohlsten fühlt, wenn er im Kreise der Familie in das satte Inselgrün seiner Heimat blicken kann. Legendär ist der Skandal, den er vor fünf Jahren auslöste, als er am Londoner Royal Opera House als Wotan mitten in der Probenarbeit aus einer kompletten Ring-Produktion ausstieg, weil sich sein Sohn zu Hause in Wales einen Finger gebrochen hatte und operiert werden musste. Die englische Presse stand Kopf. Kommentatoren verglichen sein Verhalten mit dem eines Offizier, der mitten in der Schlacht seiner Truppe den Rücken kehrt. Terfel liess sich davon nicht beeindrucken und blieb bei seiner Entscheidung. Von der Met bis zur Scala ist seit diesem Vorfall jedem Operndirektor klar, dass Bryn Terfel zu engagieren ein spezielles Unterfangen ist. Deshalb hat auch der Regisseur Homoki den strengen Intendanten Homoki überredet, seinem Holländer durch geschickte Probendisposition einen verspäteten Einstieg in die Produktion zu ermöglichen. Und das Engagement kam zustande. Terfels äussere Erscheinung ist imposant, männlich, charismatisch. Ein Hüne mit massigem Körper, extrabreitem Kinn und durchdringendem Blick. Ein idealer Holländer. Doch am ersten Probenmorgen schläft das Bühnentier zunächst noch in ihm. Konzentriert, aber nachdenklich und zögernd vernimmt er die Regieanweisungen, prägt sich die Wege und Gesten ein, die Homoki vorgibt. Sich auf eine neue Inszenierung einzulassen, bedeutet für jeden Sängerdarsteller, die vorherigen Produktionen des Stücks aus dem Gedächtnis zu löschen, und man spürt, wie Terfel sich bemüht, von früher Eingeübtem wegzukommen. Er spielt vorerst eher zu wenig als zu viel und bewegt sich durch die erste Probenstunde wie ein gefährliches Reptil, das langsam aus seiner Erstarrung erwacht und mit bedächtigen, echsenhaften Bewegungen das Terrain erkundet. Über