MAG 123

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MAG

Andreas Homoki inszeniert «Elias»

Starke Erscheinung

Der neue Audi SQ5 mit intelligenten Matrix LED-Scheinwerfern. This is Audi

SQ5

Audi Vorsprung durch Technik

Ein Meisterwerk zum Schluss

Verehrtes Publikum,

wenn man sechs Wochen lang in den Proben für eine Neuinszenierung sitzt, hat man das Privileg, ein Werk in allen Nuancen von innen heraus kennenzulernen. Immer wieder werden die einzelnen Stellen wiederholt und szenisch gedeutet, sodass man die Musik ständig wie unter einem Vergrösserungsglas hört, und bei manchen Werken wird einem erst in den Proben so richtig klar, wie gekonnt und berührend sie bis ins kleinste Detail geschrieben sind. Das Oratorium Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy, das in einer szenischen Produktion am 9. Juni Premiere hat, ist ein solcher Fall: Je tiefer man eintaucht in die Musik, desto mehr geht einem der unendliche kompositorische Reichtum auf, der dem Werk innewohnt – in der Stimmführung der fugierten Chöre, der Harmonik, der Ausdeutung des Textes oder der Innigkeit der Arien. Mendelssohn war wirklich ein Genie – das sagt nicht nur unser Regisseur Andreas Homoki –, Elias ist sein Meisterwerk. Wir freuen uns, dass wir mit diesem grossartigen, vom Chor dominierten Werk noch einmal zeigen können, welche ergreifende Emotionalität vom Musiktheater ausgehen kann, denn Elias ist die letzte Premiere der Direktion von Andreas Homoki, die im Juli endet.

MAG 123 / Jun 2025

Unser Titelbild zeigt Andreas Homoki, den Intendanten des Opernhauses Zürich und Regisseur von «Elias». Einen Podcast hören Sie auf unserer Webseite.

(Foto Florian Kalotay)

Das bedeutet auch, dass Sie die letzte Ausgabe unseres Opernhaus-Magazins MAG in den Händen halten. Mit dieser Publikation, die zehnmal pro Spielzeit erschienen ist, haben wir dreizehn Jahre zu zeigen versucht, dass Oper und Ballett keine abgehobenen Kunstformen sind, sondern mit unserem Leben unmittelbar korrespondieren, dass sie gesellschaftlich relevant sind und dem Menschen als empfindungsbegabte Kreatur sehr viel zu sagen haben, vielleicht sogar mehr als jede andere Kunstform. Wir wollten mit unserem MAG den Diskurs über Oper und Ballett wegführen vom reinen Expertenwissen und Liebhabergeplauder und ihn öffnen für die Themen, die uns im Musiktheater wie in der Welt gleichermassen beschäftigen. Deshalb haben wir mit Politologen über die Tradition russischer Gewaltherrscher gesprochen und mit Philosophen über das Wesen der Schwermut, haben Religionswissenschaftler, Traumatherapeuten, Kulturwissenschaftlerinnen und Historiker interviewt, Nonnen im Kloster besucht, über Schadenfreude, die Eskapaden der britischen Royals, toxische Männlichkeit oder die Schwarmintelligenz der Bienen schreiben lassen und Opernfiguren auf die Couch eines Psychoanalytikers gelegt. Weil Opern und Ballette eben mehr bieten als einen schönen, kulinarischen Abend. Natürlich wollten wir Ihnen mit unseren Kolumnen, Künstlerporträts, Fotogeschichten und Illustrationen in jeder Ausgabe auch die Menschen unseres Theaterbetriebs nahebringen, die berühmten, die im Rampenlicht stehen, ebenso wie die unscheinbaren, deren Arbeit aber genauso wertvoll ist. Wenn es gelungen ist, etwas von unserer Begeisterung für die Welt der Oper und des Balletts auf Sie zu übertragen, sind wir zufrieden. Wir bedanken uns von Herzen für Ihre Treue als Leserinnen und Leser.

Das MAG-Team

Andreas Homoki

Zwischenspiel

Der Podcast des Opernhauses Dreizehn Jahre war Andreas Homoki Intendant des Opernhauses Zürich, im Sommer verabschiedet er sich von seinem Amt. Im Gespräch mit Claus Spahn blickt er noch einmal zurück auf die Direktionsjahre, die hinter ihm liegen. Hat sich das Opernhaus seit seinem Amtsantritt 2012 verändert? Hat sich die Kunst verändert? Hat sich die Welt verändert? Hat sich Andreas Homoki verändert? Und was bleibt eigentlich von einer Kunstform, die nur im Moment ihrer Aufführung existiert? Unser Podcast gibt Auskunft.

14 Felix Mendelssohn Bartholdy gehört zu den Superbegabten unter den Komponisten. Volker Hagedorn schreibt über seine letzten beiden Lebensjahre

20 Regisseur Andreas Homoki über seine Lesart von Mendelssohns Oratorium «Elias» 28 Ein

Gespräch mit dem Chordirektor

Ernst Raffelsberger über die Arbeit an «Elias» 46 Unsere Education-Abteilung bringt ein neues Stück mit Schulklassen aus Embrach zur Premiere

Ich sage es mal so – 4, Oper nhaus aktuell – 6, W ie machen Sie das, Herr Bogatu? – 9, Letzte Fragen an Andreas Homoki – 11, Der Fragebogen – 32, W ir haben einen Plan – 34, Volker Hagedorn trifft … – 38, Auf dem Pult – 42, Kalendarium – 53

Ich sage es mal so

Stumme Antworten auf grundsätzliche Fragen – mit Wiebke Lehmkuhl, die in Felix Mendelssohn Bartholdys «Elias» die Alt-Partie singt

Fotos Michael Sieber

Wiebke Lehmkuhl

gehörte von 2008 bis 2012 dem Ensemble des Opernhauses Zürich an. Die Altistin hat ein breites Repertoire, das von Monteverdi, Händel und Bach über die romantischen Oratorien bis hin zu Mahler und Wagner reicht. Zu einer ihrer Paraderollen zählt Wagners Erda, die sie zuletzt an der Bayerischen Staatsoper verkörperte. Auf den internationalen Konzertpodien ist sie regelmässig bei renommierten Orchestern zu Gast.

Du singst in «Elias» einen Engel. Bist du auch im Leben einer?

Du hast viel in Bayreuth gesungen. Ist ein Sommer ohne Festspiele denkbar?

Kann dich ein konzertant aufgeführtes Oratorium genauso berühren wie eine Oper?

Du lebst in Oldenburg. Wie ist das norddeutsche Lebensgefühl?

Entzündet die Musik von Mendelssohn dein Herz?

Farewell

Die Abschiedsveranstaltungen der Direktion Homoki

Galakonzert

Fabio Luisi und Stars des Operngesangs

Bevor die Intendanz von Andreas Homoki zu Ende geht, dürfen Sie in den beiden Galakonzerten noch einmal in Erinnerungen schwelgen. Fabio Luisi, von 2012 bis 2021 Generalmusikdirektor des Opernhauses, kehrt ans Pult zurück und dirigiert die Philharmonia Zürich sowie den Chor der Oper Zürich. Mit Camilla Nylund, Klaus Florian Vogt und Bryn Terfel sind drei hochkarätige Sängerpersönlichkeiten zu hören, die die vergangenen Jahre insbesondere im Wagner­Fach stark mitgeprägt haben. Der feierliche «Einzug der Gäste» und Elisabeths Arie «Dich, teure Halle, grüss ich wieder» aus Wagners Tannhäuser eröffnen denn auch dieses Galakonzert, das an Opern­Highlights kaum zu übertreffen ist. Das Programm reicht von Rossinis Wilhelm Tell­Ouvertüre über das «Te Deum» aus Puccinis Tosca bis hin zum Operettenschlager «Dein ist mein ganzes Herz» von Lehár, bevor das Konzert mit dem Jubelfinale aus Beethovens Fidelio ausklingt.

Samstag, 5 Jul 2025, 19 Uhr Donnerstag, 10 Jul 2025, 19 Uhr Opernhaus

7. Philharmonisches Konzert

Festkonzert der Philharmonia Zürich

Mit dem letzten Philharmonischen Konzer t und einem Festakt verabschiedet sich die Intendanz von Andreas Homoki vom Opernhaus Zürich. Am Pult der Philharmonia Zürich steht Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda. Das Programm, das auch Festreden umfasst, beginnt mit der stürmisch bewegten Ouvertüre zu Wagners Fliegendem Holländer – der ersten Oper, die Andreas Homoki 2012 hier am Haus selbst inszenierte. Auch in diesem Abschiedskonzert beschreiten wir neue Wege: Der Schweizer Komponist Stefan Wirth, dessen Oper Girl with a Pearl Earring hier 2022 zur «Uraufführung des Jahres» gewählt wurde, hat mit Trypophobia ein neues Werk für grosses Orchester geschrieben, das von einem eigenartigen Phänomen inspirier t ist: dem Unbehagen, das manche Menschen vor löchrigen oder blasenwerfenden Oberflächen empfinden. Und selbstverständlich pflegen wir auch zum Schluss die Tradition: mit der formal strengen Sinfonie Nr. 4 e-Moll, die den Gipfel und Endpunkt des Werks von Johannes Brahms bildet.

Sonntag, 13 Jul 2025, 17 Uhr Opernhaus

oper und kino für alle

Les Contes d’Hoffmann unter freiem Himmel

Seit der ersten Liveübertragung im Juni 2014 begeistert «oper für alle» Jahr für Jahr tausende Zuschauerinnen und Zuschauer und ist nicht mehr aus dem Zürcher Veranstaltungskalender wegzudenken. Auch dieses Jahr ver wandelt das Opernhaus Zürich den Sechseläutenplatz wieder in ein Freiluftparkett und zeigt am letzten Wochenende der Spielzeit Jacques Offenbachs phantastische Oper Les Contes d’Hoffmann. Am Vorabend dürfen Sie sich zudem auf das beliebte Schwesterformat «kino für alle» freuen. Nehmen Sie Ihre Klappstühle, Sitzdecke und Picknick mit, und geniessen Sie stimmungsvolle Sommerabende unter freiem Himmel mit bester Unterhaltung.

Freitag, 11 Jul 2025, 18 Uhr

Samstag, 12 Jul 2025, 18 Uhr

Sechseläutenplatz, Eintritt frei

Extra

Plakat­Ausstellung

François Berthoud

Dreizehn Jahre lang haben sie die Plakatwände der Stadt Zürich geprägt, zum Schluss zeigen wir die prägnanten Motive des Schweizer Illustrators François Berthoud noch einmal in einer Ausstellung.

Vom 7 Jun bis 13 Jul 2025 Opernhaus

Benefizkonzert mit Cecilia Bartoli

Über 35 Jahre sind vergangen, seit Cecilia Bartoli selbst als junge Sängerin erstmals auf der Bühne des Opernhauses Zürich gestanden hat. Im Laufe ihrer beispiellosen Karriere ist die Sängerin immer wieder hierhin zurückgekehrt und hat das Publikum mit ihren virtuosen, temperamentvollen und spielfreudigen Auftritten begeistert. Junge Gesangstalente zu fördern, ist Cecilia Bartoli, die unterdessen auch die Opéra de Monte­Carlo als Direktorin leitet, ein wichtiges Anliegen. Sie spendet den Erlös ihres Benefizkonzerts am Opernhaus Zürich nicht nur dem Internationalen Opernstudio, sondern steht auch mit ausgewählten Sängerinnen und Sängern dieser Institution gemeinsam auf der Bühne. Das Programm umfasst Arien und Ensembles aus Opern von Händel, Mozart, Rossini und Donizetti. Gianluca Capuano dirigiert das Orchestra La Scintilla.

Sonntag, 15 Jun 2025, 13 Uhr Opernhaus

Brunch-/Lunchkonzerte

Verklärte Nacht

Arnold Schönbergs Verklärte Nacht und Alexander von Zemlinskys Maiblumen entstanden kurz hintereinander um die Jahrhundertwende; beide Stücke beruhen auf einem Gedicht von Richard Dehmel. Schönberg war Schüler von Zemlinsky, und auch privat standen sich die beiden sehr nahe: Im Sommer 1899 verliebte sich Arnold Schönberg in Mathilde, die Tochter von Zemlinsky, und diese Liebe war es wohl auch, die Schönberg zur Komposition seines bekanntesten Stücks Verklärte Nacht inspirier te – viele Gründe also, Verklärte Nacht und Maiblumen in diesem Konzert einander gegenüberzustellen. Ausschnitte aus dem Briefwechsel der Komponisten ergänzen die Aufführung der Stücke. Zum Streichsextett finden sich Maya Kadosh, Dmitry Serebrennikov, Rumjana Schamlieva, Izabella Markova, Xavier Pignat und Alexander Ioan Gropper zusammen. Die Mezzosopranistin ist Indyana Schneider, es liest Claus Spahn.

Sonntag, 15 Jun 2025, 11.15 Uhr Montag, 16 Jun 2025, 12 Uhr Spiegelsaal

Internationales Opernstudio Galakonzert

Die Mitglieder unseres Internationalen Opernstudios gestalten traditionell zum Ausklang der Spielzeit ein GalaKonzer t, in dem sie ihr Talent mit Arien und Ensembles aus dem Opernrepertoire unter Beweis stellen. In diesem Jahr erklingen unter anderem Ausschnitte aus Mozarts La clemenza di Tito, Die Entführ ung aus dem Serail, Le nozze di Figaro und Don Giovanni, aus Verdis Rigoletto sowie Richard Wagners Rheingold und den Meistersingern. Und da es das letzte Galakonzert in der Intendanz von Andreas Homoki sein wird, übernimmt der Intendant das szenische Arrangement gleich selbst. Doch keine

Angst, sentimental wird’s nicht, dafür sorgt die Schlussfuge aus Verdis Falstaff: «Tutto nel mondo è burla», alles ist Spass auf Erden!

Montag, 7 Jul 2025, 19 Uhr Opernhaus

Zu Gast

Zürcher Tanznachwuchs

Am Ende der Spielzeit gehört die Hauptbühne des Opernhauses zweimal den jungen Tanztalenten aus Zürich. Am 28. Juni ist die benachbarte Ballettschule für das Opernhaus zu Gast, am 5. Juli sind dann Mitglieder der Tanz Akademie Zürich zu sehen, die an der Zürcher Hochschule der Künste angesiedelt ist. Das Programm taZ – Curtain Up! ist der jährliche Höhepunkt des Schuljahres der Tanz Akademie Zürich. Zu sehen sind in diesem Jahr u. a Choreografien von Shahar Binyamini, Timothy Couchman, Cathy Marston, Julieta Martinez, Altea Nunez, Filipe Portugal und Ihsan Rustem. Für beide AMAG ­Volksvorstellungen können jeweils ein Monat vorher Tickets erworben werden.

Ballettschule für das Opernhaus Samstag, 28 Jun 2025, 11 Uhr taZ – Curtain Up Samstag, 5 Jul 2025, 11 Uhr Opernhaus

Auktionen:

24.– 27. Juni 2025

Vorbesichtigung: 14.–23. Juni 2025

Paul Signac (1863– 1935).

Le Port de Saint-Tropez. 1896. Öl auf Leinwand. 65 × 81,5cm.

Koller Auktionen AG

Hardturmstrasse 102, 8031 Zürich +41 44 445 63 63 office@kollerauktionen.ch www.kollerauktionen.ch

Ich habe es nicht gemacht

Ich weiss noch, wie Kathrin Brunner aus der Dramaturgie im Sommer 2012 auf mich zukam und mich fragte, ob ich für das neue Magazin jeweils für ein Interview zu den technischen Raffinessen der Neuproduktionen bereitstehen würde. Bei dem Gespräch stellte sich heraus, dass ich dann ja jeweils auch die Fragen vorgeben müsste – es fühlte sich für mich falsch an und ich bot an, dass ich einfach eine Kolumne zu den Themen schreibe, die mich jeweils gerade beschäftigen. So ging es gleich in MAG 1 mit einem Beitrag zu Jenůfa los, die die erste Spielzeit von Andreas Homoki eröffnete, und nun, 13 Jahre später, schreibe ich die 123. und letzte Kolumne der Serie. Am Anfang machte mir die von der Redaktion vorgegebene Überschrift «Wie machen Sie das, Herr Bogatu?» am meisten Probleme – weil ich eben nicht derjenige bin, der «das» macht, sondern meist unsere Mitarbeitenden auf der Bühne, aus dem Lager, den Ateliers und Werkstätten. Aber meine engsten Mitarbeitenden meinten, dass das schon für alle klar sei, und ich hoffe, auch in meinen Kolumnen meine höchste Wertschätzung für die Kolleginnen und Kollegen auf und hinter der Bühne deutlich gemacht zu haben. Die Leistungen dieser Personen motivierten mich dazu, auch im grössten Stress und zu später Stunde noch rechtzeitig vor dem Redaktionsschluss eine Kolumne zu schreiben. Das ging nur, weil ich selbst auch immer wieder begeistert bin von den Dingen, die wir auf die Bühne bringen. Und das waren seit Jenůfa über 160 Neuproduktionen, die genügend Stoff für diese Kolumnen geliefert haben. Ich verstand «Wie machen Sie das?» immer aus einer Sicht der Begeisterung, Ver- und Bewunderung über das, was auf unserer Bühne geschieht. Ich habe meinen persönlichen «Wie machen die das?»-Moment jedes Mal, wenn ich unsere Ballettcompagnie auf der Bühne sehe. Was diese jungen Menschen leisten, übersteigt mein Fassungsvermögen: Jede Bewegung in einem Hochleistungssport bis ins letzte Detail unter Kontrolle zu haben und sich Tausende von Bewegungsabfolgen zu merken und abrufen zu können, und dabei noch über Mimik und Ausstrahlung Gefühle ver mitteln zu können – das ist unglaublich und für mich nicht erklärbar. Und so liefert diese Kolumne für einmal keine Antwort auf die Frage: «Wie machen Sie das?». Die leicht abgewandelte Frage «Was machen Sie jetzt, Herr Bogatu?» hingegen kann ich gut beantworten: Ich sitze an Plänen von Abschiedsveranstaltungen von Andreas Homoki und gleichzeitig am Zeitplan vom Eröffnungsfest, mit dem die nächste Spielzeit beginnt. Ich werde mich noch länger damit befassen, wie wir das eigentlich machen, und freue mich darauf.

Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich

Das Buch zur Ära Homoki

Von 2012 bis 2025 hat Andreas Homoki das Opernhaus Zürich geleitet. Die dreizehn Jahre seiner Intendanz stehen für handwerklich perfektes, packendes Musiktheater, internationales Sängerniveau, grosse Publikumsakzeptanz und einen künstlerischen Höhenflug des Balletts. Ein hochwertig gestaltetes Buch erinnert mit spektakulären, grossformatigen Fotos, reflektierenden Texten, persönlichen Widmungen und einer umfassenden Chronik an die Homoki-Jahre. Das Buch ist auch ein Zeitdokument über die faszinierende ästhetische Vielfalt von Bühnenkunst im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert. Es ist für CHF 35 im Opernhaus und unter opernhaus.ch erhältlich.

› 346 S eiten

› mit Fotos, Texten und Essays

› Alle Produktionen im Überblick

› CHF 35 ab sofort erhältlich

Alle brennen für die Sache

Herr Homoki, in wenigen Wochen ist Ihre Zeit als Intendant am Opernhaus Zürich zu Ende. Muss mit Tränen zum Abschied gerechnet werden?

Das will ich doch stark hoffen, denn es geht ja eine Zeit zu Ende, in der sich sehr viele schöne künstlerische Freundschaften entwickelt haben. Ich hoffe zwar, dass viele von ihnen weitergehen, aber natürlich ist das Ende meiner Intendanz eine Zäsur und deshalb auch ein bisschen traurig.

Wann und wo wird Ihr letzter öffentlicher Auftritt sein?

Am 13. Juli, dem letzten Tag der Spielzeit, nehmen wir ein Philharmonisches Konzert zum Anlass, den Abschluss meiner Direktion festlich zu feiern mit geladenen Gästen, einer Uraufführung, einer Festrede meines Freundes und langjährigen künstlerischen Weggefährten Barrie Kosky und einer anschliessenden Party.

Was passiert am 14. Juli?

Da werde ich ausschlafen, vielleicht im See schwimmen, schön Essen gehen und alles einfach geniessen.

Wie viel Zeit brauchen Sie, um Ihr Intendantenbüro zu räumen?

Das geht schnell. Ich habe keinen vollen Schreibtisch. Ich packe ein paar Erinnerungssachen ein wie zum Beispiel meine Premierengeschenke. Fertig.

Wann waren Sie glücklich als Intendant am Opernhaus Zürich?

Sehr oft. Und zwar immer, wenn ich in Vorstellungen sass und gespürt habe, dass sich alles zum Besten gefügt hat, von der Besetzung über die szenische Einstudierung bis zur musikalischen Leitung. Ich rede nicht nur von den Premieren, sondern vor allem auch von den Wiederaufnahmen. Ich habe oft in der Loge gesessen und gedacht: Besser kriege ich es nicht.

Was war die grösste Krise, die Sie durchstehen mussten?

Natürlich Corona. Nicht künstlerisch tätig sein zu dürfen, nicht proben, nicht spielen zu dürfen, kein Publikum und keine Einnahmen zu haben. Das war schlimm. Selbst nicht mehr handeln zu können und unbeeinflussbaren Umständen ausgeliefert zu sein, das halte ich nicht aus. Aber am Ende sind wir ja sehr gut über diese Krise hinweggekommen.

Wieviele schlaflose Nächte haben Sie wegen des Opernhauses verbracht? Eigentlich keine. Weil hier alles sehr gut aufgestellt ist, die Strukturen funktionieren und ich mich immer auf die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, verlassen konnte.

Welche Stimmen der vergangenen dreizehn Jahre werden Sie nicht vergessen?

Ich habe so viele wunderbare Sängerinnen und Sänger erlebt, dass es mir widerstrebt, einzelne hervorzuheben. Ich fand es immer am Schönsten, wenn in einer Produktion ein echtes Ensemble entstanden ist.

Was haben Sie an der Belegschaft des Opernhauses geschätzt?

Die Identifikation des gesamten Hauses mit dem künstlerischen Geschehen auf der Bühne. Alle arbeiten mit, denken mit, brennen für die Sache, auch in den Abteilungen, die gar nicht konkret in die Produktionen involviert sind. Toll. Das erlebt man sonst nirgends.

Was schätzen Sie am Zürcher Publikum?

Seine Neugier, seine Offenheit, die grosse Treue und den Respekt gegenüber der Kunst, selbst bei der Äusserung von Kritik. Ein besseres Publikum kann man sich nicht wünschen.

Der letzte Vorhang

Felix, tust du nichts?

Die letzten beiden Schaffens- und Lebensjahre von Felix Mendelssohn Bartholdy waren von extremer Produktivität geprägt. In ihnen ist auch das Oratorium «Elias» entstanden.

Ein Blick zurück auf die Jahre 1846 und 1847 von Volker Hagedorn

«Ich bin zuweilen in meinem Zimmer hoch in die Höhe gesprungen, wenn mir’s gar so gut zu werden schien», schreibt Felix Mendelssohn Bartholdy am Freitag, dem 15. Mai 1846, höchst zufrieden mit der Arbeit am Elias. Er sitzt in seinem Arbeitszimmer am Tisch, Blick nach Süden, draussen hört er die kleine Elisabeth krähen. Sie stört ihn nicht, er kann auch «unter Kinderlärm» gut arbeiten. Vor acht Monaten ist sie zur Welt gekommen, das fünfte Kind des Gewandhausdirektors und seiner Frau Cécile. Platz genug haben sie hier in Leipzig, in der Beletage der Königsstrasse 3, eine Viertelstunde vom Bahnhof entfernt. Acht Zimmer, Küche, Musiksalon, ein langer Korridor mit breiten Holzdielen, alles in schlichtem Klassizismus dekoriert. Es sind ein paar entspannte Minuten in einem Leben unter Hochdruck. Schon eine Woche später schickt Mendelssohn den fertigen ersten Teil des Oratoriums nach London, dann bricht er auf nach Aachen, um das Niederrheinische Musikfest zu leiten und bei der Gelegenheit die Sängerin zu treffen, der er an diesem Freitag noch mehr mitteilt. «Wenn ich heut blos schriebe, wie mir zu Muth ist, so schrieb ich in den ganzen Brief nichts als blos: Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen! Denn eigentlich denke ich in diesem Augenblicke doch gar nichts anders. Und wie ich mich darauf freue…» Er möchte mit ihr eine Rheinfahrt machen, «und ich will Ihnen sagen, wie die Burgen heissen.» Er plant auch schon eine Oper mit ihr in der Hauptrolle, Loreley. Spätestens am 4. Dezember 1845 ist ein Funke übergesprungen zwischen der 25-jährigen Jenny Lind, der europaweit gefeierten «schwedischen Nachtigall», und dem 36-jährigen Komponisten, Dirigenten, Pianisten. Es war das Debüt der Sopranistin im Leipziger Gewandhaus, ein Triumph. Die Billetts kosteten doppelt so viel wie sonst, an zwei Abenden. Lind wurde von Mendelssohn am Flügel begleitet. Am Schluss aber begleitete sie sich zu einem schwedischen Nationallied selbst und verzauberte alle mit einem lang ausgehaltenen hohen fis im Pianissimo. Mendelssohn hat dieses fis dann obsessiv in die Sopranarie «Höre Israel» übernommen, mit der der zweite Teil seines neuen Oratoriums Elias beginnt. Nach ihrem Gastspiel ist er mit Jenny Lind in der Eisenbahn ein Stück in Richtung Berlin gefahren, bis nach Dessau. Dort lebt der Theologe Julius Schubring, mit dem Mendelssohn sich über das Libretto des Elias berät.

Das Wunderkind Felix ist früh auf dem Olymp angekommen

In Dessau hat aber gewissermassen auch alles begonnen, mit Moses Mendelssohn, dem Grossvater von Felix. Ärmsten Verhältnissen entstammte dieser, im jüdischen Ghetto der Stadt war er aufgewachsen. Der 14-Jährige sprach neben Hebräisch und Jiddisch kaum Deutsch, als er 1743 nach Berlin aufbrach, seinem Rabbi folgend. Geradezu im Zeitraffer wurde aus diesem Jungen eine Schlüsselfigur der deutschen Aufklär ung. Moses Mendelssohn hatte ausser Deutsch auch Latein, Französisch, Englisch gelernt, war zuerst Hauslehrer geworden, dann Geschäftsmann, dann Mitbegründer einer deutschen Literaturkritik, befreundet mit Kant, Herder, Lessing, Wegbereiter der jüdischen Emanzipation und «Schutzjude» mit dem Recht auf Grundbesitz, Wohnungswechsel und Ausübung eines Gewerbes. Diese Privilegien gingen auch an seine sechs Kinder über, also auch an Abraham Mendelssohn, den Vater von Felix, der als Bankier eine Bankierstochter heiratete, Lea Itzig, vielsprachig, hochmusikalisch. Ihre Grosstante hat das Klavierspielen noch bei Bachs Sohn Friedemann gelernt und in ihrem Wiener Salon Mozart empfangen. Auf so einem Level bewegt man sich da. Zwei der wohlhabendsten und kultiviertesten jüdischen Familien verbinden sich in der Ehe von Abraham und Lea. Doch die Gleichstellung der Juden, 1812 in Preussen verkündet, wird 1815 widerrufen. So lassen die Mendelssohns ihre vier Kinder taufen und konvertieren später selbst. Und sie lassen ihren Kindern Privatunter richt von einer Qualität und Spannweite angedeihen, als rechneten sie mit Universalgenies. Ausgeruht wird nie, aufgestanden um fünf Uhr morgens, um das Pensum zu schaffen. «Felix, tust du nichts?» fragt Lea ihren Sohn, wenn er mit einem Freund plaudert.

Es erweist sich, dass Felix und seine ältere Schwester Fanny sprachlich und musikalisch wahnwitzig begabt sind. Dichterfürst Goethe persönlich testet mit Musikern in Weimar, ob der zwölfjährige Mendelssohn mit dem Wunderkind Mozart mithalten kann, und findet ihn sogar noch erstaunlicher. Felix ist früh auf dem Olymp angekommen –und trägt seither die volle Beweislast für den Triumph seiner Familie über alle Diskriminierungen. Mit 17 Jahren schreibt er die schwerelos geniale Ouver türe zum Sommernachtstraum, mit 20 realisiert er die epochemachende Wiederaufführung von Bachs Matthäuspassion.

Lange ist das jetzt her, im Sommer 1846. In fünfzehn, sechzehn Jahren kann viel passieren. Die Pariser Julirevolution 1830 hat das Gesicht Europas ebenso verändert wie die Eisenbahn. Man kann das Schienennetz in Mendelssohns Briefen kilometerweise wachsen sehen, seit 1837 das erste Teilstück zwischen Leipzig und Dresden eröffnet wurde. Als er mit seinem Violinkonzert fertig wird, im September 1844, zeichnet er ein Biedermeiersofa, auf dem er und seine Frau Tee trinken, während sich Gouvernanten um die Kinder kümmern – und unten auf demselben Blatt fährt die Eisenbahn, Modell Saxonia, die erste deutsche Dampflok, präzise dargestellt. Mendelssohn ist der einzige Komponist neben Hector Berlioz, dem die Züge mit maximal 40 Stundenkilometern nicht schnell genug sind. Kein Wunder bei seinem Terminkalender. Seit 1835 ist er Direktor der Leipziger Gewandhauskonzerte, parallel dirigiert er dann in Berlin, 1843 wird das Leipziger Konservatorium eröffnet, das auf Mendelssohns Initiative entstanden ist und von ihm geleitet wird, mit Stipendien für mittellose Hochbegabte. Er kümmert sich um bessere Bedingungen für Orchestermusiker; er leitet die Uraufführung der neu entdeckten, letzten Sinfonie in C-Dur von Franz Schubert; er ist innovativ an allen Ecken. Ein goldenes Dutzend Jahre, das die Leipziger später mit einem Mendelssohn-Denkmal vor dem Gewandhaus würdigen. 1936 wird es von den Nazis abgeräumt. Der Antisemitismus ist Staatsdoktrin geworden, auf den schon Mendelssohn selbst immer wieder stiess – ausser im Vereinigten Königreich.

Zehnmal reist er dorthin, erstmals 1829. Man liebt ihn in Grossbritannien, er wird dort wie ein Popstar gefeiert. Er schreibt und spricht Englisch so fliessend wie Französisch. London hat schon den 20-Jährigen tief beeindruckt: «Es ist entsetzlich! Es ist toll! Ich bin confus und verdreht! London ist das grandioseste und complicierteste Ungeheuer, das die Welt trägt. […] Seht die Läden mit den Manns hohen Inschriften, und die stage coaches, auf denen die Menschen sich aufthürmen, […] und wie die Menschen gebraucht werden, um Ankündigungszettel herumzutragen, auf denen man uns die graziösen Kunststücke gebildeter Katzen verheisst, und die Bettler, und die Mohren, und die dicken John Bulls mit ihren dünnen, schönen zwei Töchtern an den Armen.»

Eine innige Nähe zu den alten

Meistern Bach und Händel

In London verfasst er 1837 auch einen ersten Textentwurf zum Elias, lange bevor es einen Auftrag gibt. Fast 70 Sakralwerke hat Mendelssohn komponiert. Mit den Meistern des Barock so vertraut, wie es zu dieser Zeit überhaupt nur möglich ist, hat schon der 16-Jährige in seinem Oktett den Messias von Händel zitiert; im Finale der Reformations-Sinfonie des 20-Jährigen wird Luthers Choral Ein feste Burg ist unser Gott kontrapunktischen Eskapaden unterworfen, die selbst Bach hätten aufhorchen lassen. Die innige Nähe zu alten Meistern ist in die Musiksprache Mendelssohns integriert. Das Disparate und Desperate stellt er dabei ungern aus – «Zerreisst eure Herzen und nicht eure Kleider», heisst es im Elias.

Da ist Berlioz ganz anders, der Freund und Antipode, mit dem sich Mendelssohn, wenn auch skeptisch, auseinandersetzt. 1831 verurteilt er dessen Symphonie fantastique in einem Brief noch als «Grunzen, Schreien, Kreischen», doch zwölf Jahre später darf

Berlioz das Werk mit dem Gewandhausorchester aufführen, wo Mendelssohn am Klavier die Harfenpartie übernimmt. Im Februar 1846 hat er den Leipzigern wieder einen Avantgardisten zugemutet und Richard Wagners Tannhäuser-Ouvertüre dirigier t. Der einzige Hörer, dem sie gefiel, war offenbar der dänische Autor Hans Christian Andersen, Mendelssohns Gast.

Donnerstag, 23. Juli 1846. Inzwischen sind es nur noch vier Wochen bis zur Uraufführung des Elias in Birmingham, und Mendelssohn ist noch nicht fertig. Er lebe seit der Rückkehr vom Rhein so arbeitsam «wie ein Hamster», schreibt er an Jenny Lind. «Da ich von Mitte des nächsten Monats an bis zum September wieder ein wenig in der Welt herumschweifen werde, so könnte es ja sein, dass wir uns irgendwo um eine Woche, oder um einen Tag, oder um eine Meile fehl gingen. Und das könnte mich sehr verdriessen. Denn wenn’s nicht gerade sein muss, dass es mit unserm nächsten Wiederzusammentreffen bis zum Frühjahr dauert, so wäre mir’s schon ganz recht.» Aber so lange wird es doch dauern. Auf den letzten Metern schreibt er noch die Ouvertüre für den Elias. Eigentlich wollte er keine, das Werk soll mit dem Fluch des Elias beginnen. Aber sein englischer Übersetzer William Bartholomew hat ihn auf die Idee gebracht, den Orchestertreibsatz nach dem Rezitativ zu bringen. Es wird eine raffinierte Fuge, deren Thema den Tritonus, das Intervall des Fluchs, enthält. Er hat sie nach der Niederschrift im Kopf; bei der ersten Durchspielprobe am 19. August in London spielt er sie aus dem Gedächtnis, ehe er sich mit den Primadonnen plagt: Die eine möchte «Höre Israel» einen Ganzton tiefer singen (was würde da aus dem Jenny-fis!), die andere überrascht mit Extratrillern. Mit den Solisten, etlichen Orchestermitgliedern, Choristen und einem Presseteam steigt Mendelssohn am 23. August in den Sonderzug nach Birmingham. Elias ist das Hauptevent des Festivals dort, man erwartet ein Epochenereignis, es wird auch eines.

Der Schluss der Uraufführung von «Elias» geht in rasendem Beifall unter

Am Mittwoch, 26. August, versammeln sich in der Stadthalle 125 Orchestermusiker, 271 Chorsängerinnen und Chorsänger, die Solisten und ein Publikum von 2000 Menschen, darunter Prominenz aus Politik, Adel und Kirche. Gejubelt wird schon zu Beginn, acht Nummern müssen wiederholt werden, das Ende des Schlusschors geht in rasendem Beifall unter. Es ist, der Uraufführung von Mahlers Achter vergleichbar, der grösste Erfolg, den Mendelssohn je mit einem neuen Werk erlebt hat. Und wie dort kommt auch hier eine lebenslange Auseinandersetzung mit Religion – fünfzehn Jahre nach der von Mendelssohn verworfenen Reformations-Sinfonie – zu einer Lösung jenseits der Dogmen. Mehr noch: Das Drama Elias ist auch die grosse Oper, die Mendelssohn nie schrieb.

«Noch niemals ist ein Stück von mir bei der ersten Aufführung so vortrefflich gegangen und von den Musikern und den Zuhörern so begeistert aufgenommen worden», schreibt er an den jüngeren Bruder Paul in Berlin. An Fanny, die ältere Schwester, hat er kurz vor der Reise einen weit wichtigeren Brief geschrieben. Einen Monat lang hat sie darauf warten müssen. Fanny war vierzehn, als ihr der Vater erklärte, für sie werde die Musik «stets nur Zierde» sein, nie Beruf. Jetzt aber, 40 Jahre alt und Mutter eines 16-jährigen Sohnes, hat sie den Bruder um sein Einverständnis gebeten, dass sie sechs Lieder als Opus 1 unter ihrem Namen drucken lässt. Der 37-Jährige erteilt ihr den «Handwerksegen». Die beiden treffen sich im Dezember 1846 in Berlin, wo Felix seiner Schwester Teile des Elias vorspielt. Inzwischen hat er mit der Überarbeitung seines Oratoriums begonnen, dazu kommen seine Verpflichtungen am Gewandhaus mit fünf Programmen bis zum März, einschliesslich der Uraufführung der Zweiten Sinfonie des fast gleichaltrigen Freundes Robert Schumann. Nach dem letzten Konzert am 18. März teilt Mendelssohn mit, dass er die Leitung der Konzerte niederzulegen wünscht. «Ich denke jetzt oft an Ihre Fragen auf dem

Rheinischen Dampfboot», hat er schon im Oktober an Jenny Lind geschrieben, «ob ich nicht wieder von Leipzig fortgehen würde, und dass Sie wünschten ich möchte nicht immer in Leipzig bleiben & c. & c. – Sie haben wohl Recht gehabt… » Derweil ist die politische Lage angespannt, die Hungersnot in Deutschland führt zu Unruhen. «Du wirst dieselbe Verstimmung und dieselbe Unzufriedenheit überall, durch ganz Deutschland verbreitet finden», schreibt Mendelssohn Anfang 1847 seinem Schwager, der einen Wegzug aus Berlin erwägt. «Die Besserung der allgemeinen Krankheit kann nur durch ganz andre Dinge, oder durch eine sehr starke Crisis kommen. Auch ein drittes kann kommen, und ist in Deutschland leider nicht das unwahrscheinlichste: es kann alles beim Alten bleiben.» Die Märzrevolution 1848 wird Mendelssohn nicht mehr erleben, aber er scheint schon zu wissen, wie sie ausgeht.

Drei Tage Fahrt bis Köln, ein weiterer per Bahn bis Ostende, fünf Stunden auf dem Liniendampfschiff nach Dover, fast noch mal so viele Schienenstunden bis London. Als Mendelssohn dort am 12. April eintrifft, fällt einem Freund sein ungewöhnlich müder Gesichtsausdruck auf. Aber ein gewaltiges Programm steht bevor – sechs Aufführungen des Elias in London, Manchester, Birmingham, ein zusätzliches Konzer t, bei dem der Musiker Beethovens Viertes Klavierkonzert spielt (natürlich aus dem Gedächtnis) und seine Schottische Sinfonie sowie die Sommernachtstraum-Musik dirigiert – und Jenny Lind wiedersieht, die ebenso dabei ist wie Queen Victoria und Prince Albert. Sie singt in London die Hauptrolle in Meyerbeers Robert le Diable Natürlich geht er hin, obwohl er diesen Blockbuster als «Dekorationsmalerei» verachtet. Alles andere steht wohl in den Briefen, die nach Jennys Tod 1887 ihr Ehemann entdeckt – und verbrennt.

Der Tod seiner Schwester Fanny ist der grösste Schmerz seines Lebens

Vielleicht aber hört man etwas von dieser Passion auch noch im letzten bedeutenden Werk, das Felix Mendelssohn Bartholdy schreibt und dessen Auslöser der wohl grösste Schmerz seines Lebens ist. Fanny Hensel, die seit Monaten wie im Rausch komponierte, zuletzt ein Klaviertrio in d-Moll, hat bei der Probe zu einer ihrer Sonntagsmusiken einen Schlaganfall erlitten, am 14. Mai ist sie gestorben, zwei Tage später erfährt es ihr Bruder, der auf der Rückreise von London in Frankfurt Station macht. Er flieht vor dem Schmerz in einen mehrmonatigen Urlaub mit der Familie in die Schweiz, wo er im August das f-Moll-Streichquartett schreibt. Es zeigt einen so anderen, subjektiven, rücksichtslosen Komponisten, als hätte er uns bis dahin etwas verschwiegen. Seine Tonsprache erreicht eine Zerrissenheit und Intensität, die die neue Dringlichkeit des Elias noch übertrifft. Das ist nicht nur ein Requiem für Fanny. Diesen Mann zerreisst vieles. Den letzten seiner Briefe muss Cécile für ihn schreiben, am 1. November 1847 an einen Wiener Veranstalter: «Mein Mann [ist] in diesem Augenblick noch bettlägerig, mit schrecklichen Schmerzen geplagt.» Drei Tage zuvor hat Mendelssohn einen Schlaganfall erlitten. Dem nächsten erliegt er am 4. November. Lebenslange Anspannung, unlebbare Liebe, grösster Verlust geraten da ineinander, in keinem Klang mehr aufzulösen.

Dieser Elias ist ein Querulant

Mit «Elias» von Felix Mendelssohn Bartholdy verabschiedet sich Andreas Homoki von der Zürcher Opernbühne. Ein Gespräch über den Spass, mit einem Opernchor zu arbeiten, über die spannenden, theatralen Perspektivwechsel in einem Oratorium und einen biblischen Stoff, der an die grossen Menschheitsfragen rührt

Andreas, nach dreizehn Jahren inszenierst du deine letzte Neuproduktion als Intendant am Opernhaus Zürich. Warum ist die Wahl ausgerechnet auf das Oratorium Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy gefallen?

Dafür gab es mehrere Gründe. Zum einen hat mir die Idee gefallen, mit der Form eines szenisch aufgeführten Oratoriums noch einmal zu zeigen, dass meine Vorstellungen von Musiktheater nicht alleine an die Opernform gebunden sind. Ein weiterer Grund war, dass wir ein Stück für Christian Gerhaher gesucht haben. Mit ihm verbindet mich eine enge künstlerische Freundschaft, die in Zürich entstanden ist. Wir haben hier gemeinsam Alban Bergs Wozzeck, die Holliger­Uraufführung Lunea und Simon Boccanegra gemacht. Deshalb hatte ich grosse Lust, ihn auch in meiner letzten Spielzeit noch einmal zu präsentieren. So kamen wir auf den Elias von Mendelssohn Bartholdy. Ein Werk, das Christian sehr gut kennt und für das er als grossartiger Konzert­ und Liedsänger eine ideale Besetzung ist. Ausserdem fand ich es sehr stimmig, meine künstlerische Arbeit in Zürich mit einem Werk zu beschliessen, in dem der Chor die zentrale Rolle spielt. Ich liebe es, als Opernregisseur mit dem Chor zu arbeiten und habe es schon zu Beginn meiner Karriere bewundert, wenn Regisseure gut mit dem Chor umgehen konnten. Es war immer mein Ziel, diesen spezifischen Bestandteil der Kunstform Oper kraftvoll zur Darstellung zu bringen. Deshalb habe ich auch die Beziehung zu unserem Chor hier in Zürich als eine sehr nahe und vertrauensvolle empfunden. Für mich war es eine tolle künstlerische Reise, die wir in den zurückliegenden Jahren unternommen haben. Deshalb endet sie nun mit einem Oratorium, das zu den anspruchsvollsten Sachen gehören, die ein Opernchor auf die Bühne bringen kann. Für mich ist die Elias­Produktion auch ein Bekenntnis zum Chor des Opernhauses Zürich.

Du hast von Musiktheater gesprochen. Warum ist dir dieser Begriff so wichtig? Musiktheater umfasst mehr als nur die Oper. Für mich gehört auch das Ballett dazu, insbesondere wenn es Geschichten erzählt, wie das bei Christian Spuck und Cathy Marston der Fall ist. Wir haben uns in der Direktion immer auch für spartenüberschreitende Projekte stark gemacht, in der zeitgenössischen Musik, im Barock und in szenisch realisierten konzertanten Formen. Dieses Selbstverständnis kommt jetzt auch in Elias zum Ausdruck. Mich als Regisseur interessiert die Frage von jeher: Wo beginnt eigentlich Musiktheater? Was braucht es, dass Theater anfängt, Theater zu sein?

Was ist die Antwort?

Man braucht nur ganz wenig: Musik. Einen Darsteller. Imagination. Das ist eigentlich schon in einem Liederabend gegeben. Schuberts Schöne Müllerin kann Musiktheater sein.

Worin liegt der Reiz, ein Oratorium zu inszenieren?

Elias ist ein Werk voller Dramatik, auch wenn es nicht für die Bühne geschrieben wurde. Es thematisiert die Geschichte des Propheten aus dem Alten Testament, aber die Erzählform ist viel freier als in einer Oper. Es gibt konkrete Figuren wie Elias, den jüdischen König Ahab und seine Frau Isebel. Aber es gibt eben auch abstraktes Personal, das in der Partitur nur allgemein als Sopran, Alt, Tenor bezeichnet wird, und die riesige Chorpartie ist voll von Perspektivwechseln: In einer Nummer tritt der Chor als das an den jüdischen Gott Jahwe glaubende Volk auf, in der nächsten verwandelt er sich in Anhänger des feindlichen, polytheistischen Baal­Kults. Dann wieder ist er nur eine betende oder die Geschehnisse kommentierende Ansammlung von Menschen. Die Erzählform im Oratorium ist ungebundener. Ich bin als Regisseur nicht auf die Bühnenlogik eines Librettos festgelegt. Das finde ich spannend. Ich habe vor zwanzig Jahren in Basel das Verdi­Requiem inszenier t und es als unglaublich inspirierend empfunden, Musiktheater mit einem Werk zu machen, das gar keine Oper ist, aber alle Merkmale eines Musiktheaters

aufweist. In meinen Regiearbeiten reagiere ich eigentlich immer zuerst auf die Musik und ihre Struktur und entferne mich auch in den Opern gerne von dem durch das Libretto vorgegebenen Handlungsrahmen. Ich folge der musikalischen For m und gewinne dadurch neue szenische Darstellungsmöglichkeiten. Deshalb kommt ein Oratorium meiner Art zu inszenieren entgegen.

Was heisst es für die Bühnenkonzeption, wenn man es mit einem Oratorium zu tun hat?

Ein Oratorium legt von vornherein eine antinaturalistische Bühnendarstellung nahe. Hartmut Meyer, mein Bühnenbildner, hat dementsprechend einen abstrakten, rätselhaften, sich ständig wandelnden Raum geschaffen, der mir die Möglichkeit gibt, grosse Chor­Tableaux zu zeigen und im nächsten Augenblick ein intimes Engels­Quartett. Es ist eine Drehscheiben­Konstr uktion mit fahrbaren Wänden, die sich öffnen und schliessen. Die Bühne schafft ein Bild für die Rätselhaftigkeit unseres Weltgefüges. Es ist ständig in Bewegung, aber keiner weiss, wer das Ganze steuert. Der Raum zwingt den Menschen die Gesetze seiner Bewegung auf. Sie können sich den Veränderungen nicht entziehen und sind dieser Welt­Mechanik ausgeliefert. Das schafft archetypische Situationen, mit denen man, wie ich finde, viel eher zum inhaltlichen Kern des Stücks vordringt.

Was inszeniert man, wenn die Handlung stillsteht und Gebete, Choräle oder Engelsreflexionen komponiert sind?

Das Oratorium ist in der musikalischen Abfolge der Nummern von Mendelssohn sehr klug und raffiniert angelegt. Er arbeitet mit starken Kontrasten und permanent variierten Perspektiven. Darauf kann ich als Regisseur reagieren. Ich lasse die Kontraste aufeinanderprallen. Die Musik bietet mir Spannungswechsel an, denen ich szenisch folge. Elias muss sich allein gegen die aufgebrachte Masse behaupten. In der nächsten Nummer erlebt man ihn einsam, von Selbstzweifeln geplagt. Dann wird ihm Mut zugesprochen. Man muss die Geschichte an den Hauptfiguren und ihren Emotionen ausrichten, am Hass, an den Schuldgefühlen, Demütigungen, Mahnungen zur Mässigung. Konflikte spitzen sich zu, alte innere Verletzungen brechen später wieder auf. Darauf bauen auch in einem Oratorium die szenischen Vorgänge auf. Natürlich sind sie vor allem auf die zentrale Figur des Elias ausgerichtet. Aber in meiner Inszenierung spielt als Gegenfigur etwa auch König Ahab eine wichtige Rolle, obwohl er gar nicht so viel zu singen hat. Er ist der oberste Repräsentant seines Volkes und der Angriffspunkt für Elias bei seinem Kampf gegen den Abfall vom rechten Glauben. Dem Stoff wohnt auch das Scheitern dieses Königs inne, das war mir auf den ersten Blick gar nicht so klar.

Wer ist dieser Elias?

Über seine Herkunft teilt uns die Bibel so gut wie nichts mit. Er ist eine charismatische Figur, die wie aus dem Nichts heraus erscheint. Wie alle Propheten ist er ein einsamer Rufer in der Wüste, ein Aussenseiter, apodiktisch in allem, was er fordert. Deshalb ist er nicht wohlgelitten. Heute würden wir sagen, er ist ein Querulant. Er hat kein Interesse am harmonischen Ausgleich und eigentlich immer schlechte Laune. Christian Gerhaher nimmt ihn auch so wahr. Es ist nicht unbedingt eine sympathische Figur. Ein schwieriger Charakter, voller Ambivalenzen und alles andere als eine Christusfigur, die allen Menschen salbungsvoll vergibt. Er ist eine alttestamentarische Figur, die mit dem Hammer gegen den Unglauben vorgeht und zerschlägt, was ihr nicht gefällt.

Propheten glauben, die höhere Wahrheit zu kennen. Sie propagieren sie mit maximaler Überzeugung, haben aber keinen Beweis, dass sie stimmt und sind deshalb immer auch von Selbstzweifeln geplagt. Klar. Darauf baut die theatrale Spannung auf. Wenn Elias reinkommt und sich

oben:

Mauro Peter als Obadjah

unten und Seite 20:

Der Chor der Oper Zürich

Julia Kleiter als Witwe und Sylwia Salamońska als Der Knabe

immer sicher sein kann, dass Gott ihm bei seinem Feldzug gegen die Baal­Anhänger zur Seite steht, wäre es langweilig. Man muss miterleben, wie er sich an seiner Wahrheit abarbeitet. Ein theatraler Höhepunkt im ersten Teil ist der von Elias heraufbeschworene Gottesbeweis: Er lässt zwei Opferstätten errichten und fordert die Baal­Anhänger heraus, ihr Gott soll das Feuer in ihrer Stätte entzünden, was ihm trotz inständiger – von Mendelssohn übrigens bewusst einfältig komponier ter –Gebete nicht gelingt. Und dann muss Elias liefern! Dann muss sein Gott die Opferstätte entzünden. Er hat hoch gepokert. Das dauert, und je länger sich das Ergebnis nicht einstellt, desto grösser werden die Zweifel. Der Druck steigt. Erst wenn eigentlich schon alles verloren scheint, passiert es.

Ein grosser Opferaltar, in den Gott ein Feuer aus dem Himmel einschlagen lässt – zeigt man das?

Ich tue mich schwer mit der Vorstellung, so etwas realistisch zu zeigen. Ein riesiges Feuer, das in einen Scheiterhaufen fährt, funktioniert für mich auf der Bühne nicht Das Theater ist kein Medium für Grossartigkeit. Bei special effects ist das Kino viel besser. Das Theater ist das Medium für Übersetzungen, und deshalb kann man etwas Grosses vielleicht auch ganz klein zeigen. Das Entscheidende ist doch, dass wir nicht eine monumentale biblische Geschichte lebendig werden lassen, sondern sie mit unseren Mitteln nachvollziehbar machen. Sie wird als Gleichnis für uns heute erzählt. So beginnt auch unser Abend. Der Chor, der am Anfang auf der Bühne steht, das sind Menschen. Das sind wir. Wir durchleben diesen Stoff, indem wir ihn spielen.

Das Oratorium kreist die ganze Zeit um die Fragen: Wer ist Gott? Wo ist Gott? Kann man Elias inszenieren, ohne eine Antwort auf diese Frage zu geben? Wir inszenieren das Stück, also den Glauben oder den Nichtglauben der Menschen, und ich bin als Regisseur auch nur so schlau wie die Menschen. Ich kenne die letzte Wahrheit nicht. Das Oratorium thematisiert ja mehr als einen theologischen Glaubensstreit. Es rührt an die universellen Menschheitsfragen, die Fragen nach dem Ursprung unseres Seins und alldem, was sich dem Verständnis des Menschen entzieht. Wir sind geworfen in eine Welt, deren letzte Fragen wir nicht beantwor ten können. Wir schauen in den Nachthimmel und sehen da oben diese Sternenkrümel. Das ist das Universum. Und welche Rolle spielen wir darin?

Am Ende des Oratoriums fährt Elias immerhin im Feuerwagen zu Gott in den Himmel, und ein Messias wird angekündigt. Als Theatermann bin ich skeptisch. Ich kann da kein Erlösungsversprechen erkennen. Für mich ist das Ende wie der Anfang. Das Stück dreht sich im Kreis. Der nächste Zweifel, der nächste Abfall vom Glauben kommt bestimmt. Bei jedem Erkenntnisprozess wird ein unverstandener Rest bleiben, und an dem wird sich der nächste Konflikt entzünden. Ich lese die Geschichte auch als eine politische: Eine Gesellschaft folgt einer Überzeugung, die Konsens ist, und dann kommt ein Aussenseiter und sagt, dass diese Überzeugung falsch ist, dass sich alles radikal ändern muss. Das ist ein politischer Konflikt, an dem sich alle abarbeiten. Die Bibel ist voll von Geschichten über Umstürzler und kollabierende Herrschaftssysteme.

Aber Gott zeigt sich bei Mendelssohn dem Propheten Elias an einer Stelle, darum kommt man nicht herum.

Ja, das ist eine grossartige Stelle. Eine Gotteserscheinung muss immer gewaltig sein, so stellen wir Menschen uns das eigentlich vor. Gott zeigt sich in einem Erdbeben, einem Feuersturm oder einer Flutwelle. Hier ist es anders. Der Chor singt, dass Gott nicht im Erdbeben, im Sturmwind oder im Feuer war, sondern: «Nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen, und in dem Säuseln nahte sich der Herr.» Das ist eine höhere Abstraktionsstufe der Unsichtbarkeit Gottes.

Seine Erscheinung ist nichts Gewaltiges, sondern etwas Nichtmaterielles, eigentlich gar nichts. Da thematisiert Mendelssohn eine Wandlung des Gottesbegriffs vom gewalttätigen, strafenden zu einem zarten, freundlichen Gott.

Wie zeigst du das sanfte Säuseln auf der Bühne? Das möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten.

Du bist als Künstler in der Welt der Oper zu Hause und jetzt mit dieser Musik von Mendelssohn Bartholdy konfrontiert. Kannst du die Partitur dieses Komponisten, der uns keine grosse Oper hinterlassen hat, aus dem Blickwinkel eines Opernmannes musikalisch einordnen? Was wir hören, ist tolle deutsche Romantik. Für mich sind Schumann und Brahms nicht weit. Wenn man das Stück mit Opernohren wahrnimmt, hat man zunächst das Gefühl, dass die emotionalen Aussschläge nicht so extrem sind, wie wir das von Opern kennen. Alles erklingt mit einer gewissen Moderiertheit im Ton. Wenn man aber intensiver eintaucht, merkt man, dass die Partitur unglaublich erfüllt und stark ist, zutiefst empfunden und unglaublich subtil konzipiert. Die kanonisch verzahnte Stimmführung im Chor ist wahnsinnig raffiniert, harmonisch passieren atemberaubende Dinge. Formal scheinbar regelmässige Perioden werden ständig aufgebrochen. Das Ganze ist wahnsinnig virtuos in allen musikalischen Parametern Vor allem spürt man bei Mendelssohn immer eine Imagination des menschlichen Ausdrucks, was ja auch ein Ausweis für wirklich grosse Opernkomponisten ist. Alles ist angefüllt mit Leben und Empfindung. In den verschachtelten Chorpassagen reden die Menschen wirklich alle wie in einer grossen Ansammlung durcheinander. Mendelssohn war ohne Frage ein Genie. Ich muss immer an die Geschichte denken, die Cosima Wagner in ihrem Tagebuch aufgeschrieben hat: Wagner sei mittags nach dem Komponieren hochgekommen und habe gesagt: Heute habe ich mich schwer getan. Hätte Mendelssohn mich gesehen, er hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Nach welchen Kriterien wurden die Partien für dieses Oratorium besetzt? Christian Gerhaher war von Anfang an gesetzt, wie bereits erwähnt. Einen besseren Elias kriegt man nicht. Aber nicht nur Christian, auch alle anderen Sängerinnen und Sänger dieser Produktion sind – abgesehen davon, dass sie fantastische Opernstimmen haben – sehr erfahren im Lied­ und Konzertfach. Das gilt für Julia Kleiter und Wiebke Lehmkuhl ebenso wie für Mauro Peter. Und alle sind Weggefährten meiner Zürcher Jahre und dem Haus eng verbunden. Wiebke war hier im Ensemble Julia hat etwa Land des Lächelns gesungen, Mauro ist von Jaquino in Fidelio über Tamino, das Ballett Winterreise bis zu Narraboth in Salome in ganz vielen Produktionen zu erleben gewesen. In vielerlei Hinsicht kommt hier langjährige, erfolgreiche Zusammenarbeit zu einem schönen Abschluss. Elias mit diesem Solistenensemble zu erarbeiten, macht mir unglaublich grossen Spass. Am Pult wird unser Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda stehen und nach dem Ring und etwa dem Brahms­Requiem während der Corona­Zeit mit Mendelssohn Bar tholdy eine weitere Farbe seines Könnens im deutschen romantischen Repertoire zeigen. Darauf freue ich mich auch.

Das Gespräch führte Claus Spahn

Elias

Oratorium von Felix Mendelssohn

Bartholdy

Musikalische Leitung

Gianandrea Noseda Inszenierung

Andreas Homoki

Bühnenbild

Hartmut Meyer Kostüme

Mechthild Seipel

Lichtgestaltung

Franck Evin

Choreinstudierung

Ernst Raffelsberger

Dramaturgie

Claus Spahn

Elias

Christian Gerhaher

Sopran

Julia Kleiter

Alt

Wiebke Lehmkuhl

Tenor

Mauro Peter Bass

Felix Gygli

Ahab

Raúl Gutiérrez

Der Knabe

Sylwia Salamonska

Die Königin / Alt 2

Indyana Schneider

Sopran 2

Flavia Stricker

Tenor 2

Raúl Gutiérrez

Bass 2

Max Bell

Philharmonia Zürich

Chor der Oper Zürich

Zusatzchor der Oper Zürich

Mit freundlicher

Unterstützung der René und Susanne

Braginsky Stiftung

Premiere 9 Jun 2025

Weitere Vorstellungen

13, 17, 19, 21, 24, 26, 29 Jun; 2, 6 Jul 2025

Stimmt die Sprache, stimmt auch die Musik

Die szenische Produktion von Mendelssohns Oratorium «Elias» ist für den Chor des Opernhauses ein Höhepunkt der Spielzeit. Ein Gespräch mit dem Chordirektor Ernst Raffelsberger über die Qualitäten der Partitur und die Herausforderungen, die sie an einen Opernchor stellt

Fotos Admill Kuyler

Ernst, was bedeutet es für einen Opernchor, den Elias von Mendelssohn Bartholdy szenisch auf die Bühne zu bringen?

Es ist die anspruchsvollste Aufgabe für uns in dieser Spielzeit und noch aufwändiger als Schnittkes Leben mit einem Idioten, die zeitgenössische Oper, die wir im vergangenen November zur Premiere gebracht haben.

Woran liegt es?

Die Chorpartie des Elias hat einen riesigen Umfang. Der Chor bestreitet mehr als die Hälfte aller musikalischen Nummern, über eine Stunde ist nur für Chor komponiert. Allgemein gilt Wagners Lohengrin als grösste Choroper des Opernrepertoires, aber selbst da hat der Chor nicht so viel zu singen wie in Elias. Lohengrin hat andere Tücken, aber von der Länge her ist der Elias gewaltig. Und vor allem ist er wahnsinnig schwer, auswendig zu singen. Man merkt, dass Mendelssohn das Werk für eine konzertante Aufführungssituation geschrieben hat, bei der die Sängerinnen und Sänger die Noten vor sich haben. Es kostet viel Zeit, bis man die ganzen, oft nur minimal variierten Texte in den verschachtelten Fugen des Chorsatzes wirklich memoriert hat. Da helfen uns jetzt die szenischen Proben, denn wenn zu Musik und Text die Bewegung hinzukommt, hilft das einem Opernchor beim Auswendiglernen sehr.

Wann habt ihr mit der Einstudierung begonnen, die in einem straffen Reper toirebetrieb wie in Zürich sorgfältig geplant sein muss, denn ihr steht ja jenseits der Proben ständig in den Vorstellungen auf der Bühne? Ich habe sehr viele Proben disponiert. Konzertant ist man nach zehn Proben eigentlich durch, aber wenn man das Werk auswendig können muss, braucht man den dreifachen Aufwand. Die ersten Proben haben wir im Herbst gemacht. Intensiv sind wir ab Februar eingestiegen.

Ist es für einen Opernchor, der bei Verdi und Wagner zu Hause ist, eine grosse Umstellung, sich auf ein romantisches Oratorium wie Elias einzulassen? Nein, im Gegenteil: Es ist eine grossartige Aufgabe, wir lieben es. Ein Opernchor muss in der Lage sein, von der Barockmusik bis zur zeitgenössischen Musik die ganze Bandbreite des Repertoires zu beherrschen. Die Sängerinnen und Sänger sind geschult, verschiedenste stilistische Facetten abzudecken. Deshalb ist es auch kein Problem für unseren Chor, sich auf den Oratoriumsstil von Mendelssohn einzustellen. Flexibilität gehört zu unseren Stärken. Wir haben vormittags Elias geprobt und abends eine Vorstellung von Rigoletto gesungen. Auch an Lohengrin und Elias haben wir in den vergangenen Wochen parallel gearbeitet.

Welche Fähigkeiten sind bei Mendelssohns Musik gefragt?

Der Elias ist sehr vielfältig im Ausdruck. Es gibt dramatische Chöre, die die Handlung zu ihren Höhepunkten treibt, wenn wir nur an die grosse Szene im ersten Teil denken, in der Elias die Baal­Anhänger auffordert, sie sollen ihren Gott dazu bringen, sich zu zeigen und ein Feuer in ihre Opferstätte zu schicken; oder die ebenfalls vom Chor vorgetragene Szene im zweiten Teil am Berg Horeb, in der Gott sich Elias nicht in einem Sturmwind, nicht im Erdbeben und einem Feuer zeigt, sondern in einem sanften Säuseln. Demgegenüber gibt es auch sehr lyrische und choralhafte Nummern. Im Elias sind Farbigkeit und damit eine grosse Ausdrucksvielfalt gefragt. Mendelssohn ist unglaublich versiert in der Stimmführung. Die grossen Fugen sind meisterhaft geschrieben. Normalerweise bevorzuge ich eine «gemischte» Aufstellung, aber bei Elias haben wir bei manchen Nummern darauf achten müssen, in den Stimmgruppen zu stehen, weil es einfach äusserst anspruchsvoll ist. Was mir persönlich gut gefällt, ist Mendelssohns harmonisches Raffinement. Er kennt sich mit der Charakteristik der Tonarten aus, jede einzelne Tonart steht für eine bestimmte Stimmung und Ausdrucksform. Gerade in der

Ernst Raffelsberger auf der Probe

Romantik hat dies eine grosse Rolle gespielt und kommt im Elias immer wieder zum Tragen. Das Licht etwa strahlt in C ­Dur wie in Haydns Schöpfung. Das alles gilt es, im Chor musikalisch herauszuarbeiten.

Mendelssohn kannte sich aus in der Geschichte des Oratoriums. Seine Wiederaufführung der Matthäus-Passion im Jahr 1829 ist dafür das berühmteste Beispiel. Hört man historische Vorbilder im Elias?

Ja unbedingt, die Vorbilder sind sehr präsent. Immer wieder gibt es Reminiszenzen vor allem an Bach und Händel. Man glaubt, die Johannes-Passion oder den Messias herauszuhören, eine Stelle erinnert mich immer an Bachs h-Moll-Messe. Mendelssohn war musikalisch extrem gebildet. Er hatte von klein auf die besten Lehrer, und aus diesem Fundus an Wissen schöpft er.

Wie ist das Verhältnis zwischen Wort und Ton in Elias?

Faszinierend dicht. Mendelssohn interpretiert den Text bis in feinste Nuancen. Deshalb steht und fällt jede Elias­Interpretation auch mit der Textausdeutung. Stimmt die Sprache, stimmt auch die Musik. Die Phrasierung muss sich am Wort orientieren. Nur wenn der Chor genau phrasiert, kommt auch Durchsichtigkeit in das Stimmengeflecht. Und nimmt man das Wort ernst und weiss um die tiefere Bedeutung, erreicht man eine ganz besondere Tiefe des musikalischen Ausdrucks. Aber der Text darf nicht gekünstelt klingen, sonst schalte ich und höchstwahrscheinlich auch das Publikum ab. Darin bin ich stark geprägt von meiner Zusammenarbeit mit Nikolaus Har noncourt, dessen Credo immer war, dass der Text natürlich klingen muss. Mit Christian Gerhaher, Julia Kleiter, Wiebke Lehmkuhl und Mauro Peter haben wir natürlich in unserer Elias­Produktion Solistinnen und Solisten, die die Textausdeutung unvergleichlich gut beherrschen.

Wir sprechen darüber, wie kontrastreich, farbig und nuanciert dieser Elias geschrieben ist, aber bei der Uraufführung in Birmingham haben 270 Sängerinnen und Sänger mitgewirkt. Ist eine Differenzierung mit einem so grossen Chor möglich?

Wir wissen nicht, wie es in Birmingham geklungen hat. Es sollen übrigens Countertenöre gewesen sein, die die Altstimme gesungen haben. Und es war ein Laienchor. Der kam irgendwann sicherlich an seine Grenzen, zumal die Sängerinnen und Sänger die Noten erst ein halbes Jahr vor der Uraufführung bekommen hatten. Mit einem Berufschor unserer Zeit hat man, davon bin ich überzeugt, viel mehr interpretatorische Möglichkeiten, und für mich ist der ideale Chor eben ein grosser Opernchor, weil der die grösste Flexibilität und Vielfalt mitbringt. Er weiss durch die Oper auch, wie Emotionen musikalisch umgesetzt werden können. Bei konzertanten Aufführungen bin ich oft enttäuscht, wenn alles nur brav ist und der Text nie wirklich gedeutet wird. Es klingt nur schön. Meine Mutter hat immer gesagt: Immer schön, ist nie schön. Die Dramatik, die Kontraste, der Mut zum Risiko, die Bereitschaft über das Makellose hinauszugehen, machen eine Aufführung erst spannend. Dafür sind die Voraussetzungen und Möglichkeiten in einer szenischen Produktion wie der unseren von vornherein viel grösser.

Der Dirigent unserer Elias-Produktion ist Gianandrea Noseda. Wie bereitest du den Chor für eine Interpretation vor, die du noch nicht kennst?

Der Chor soll nach meiner Einstudierung offen sein für verschiedene interpretatorische Möglichkeiten. Ich variiere deshalb die Tempi bei den Proben immer, probiere verschiedene Schlusswendungen aus und versuche etwa auch die Phrasierung flexibel zu halten, damit der Chor darauf vorbereitet ist, wenn der Dirigent etwas anders möchte. Es gibt ja nicht nur eine Wahrheit in der Musik.

Das Gespräch führte Claus Spahn

Mauro Peter und der Chor der Oper Zürich
«Dramatik, Kontraste, der Mut zum Risiko und die Bereitschaft über das Makellose hinauszugehen, machen eine Aufführung erst spannend.»

Julia Kleiter

Aus welcher Welt kommst du gerade?

Aus einer Welt mit einer emotional bunten Flora und Fauna, in bräutlicher Erwartung meines Hochzeitsgeschenks! Myrthen von Robert Schumann, ein Liederabend, auch mit Christian Gerhaher übrigens

Was macht für dich den Reiz der Zürcher Elias-Produktion aus? Ich hatte noch nie das Glück, Teil einer szenischen Oratorien-Produktion zu sein, und es interessiert mich sehr, ein Stück, welches ich nur in einer konzertanten Situation kenne, sozusagen in Bewegung zu setzen. Ich bin als Chormädchen mit Kirchenmusik aufgewachsen und stelle es mir wahnsinnig spannend vor, diese Inhalte szenisch darzustellen, so ein bisschen, als ob in einem Gottesdienst plötzlich getanzt würde!

Was schätzt du an der Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy? Mendelssohn, so wie fast kein anderer, hat es geschafft, Melodien zu komponieren, die in ihrer emotionalen Sprache direkt ins Gefühlszentrum strahlen und zwar unmissverständlich, grundehrlich und ohne unnötige Verkünstelungen oder Manierismen.

Was siehst du, wenn du auf die Jahre der Zürcher Intendanz von Andreas Homoki zurückblickst?

Persönlich blicke ich mit grosser Dankbarkeit zurück, weil es kein Opernhaus gibt, an dem ich so viele Chancen bekommen habe. Die meisten wichtigen Rollendebüts durfte ich hier versuchen. Ausserdem ist die familiäre Atmosphäre, mit der man als Gast am Opernhaus Zürich empfangen wird, einzigartig. Ich erinnere mich an ausgelassene Hoffeste, viele nette Gespräche in der Kantine, den wunderbaren Chor, von dem man sich immer unterstützt fühlt und und und… Das alles kann sich die Intendanz auf die Fahne schreiben, es ist wirklich nicht überall so!

Welches Bildungserlebnis hat dich besonders geprägt?

Als 17-Jährige war ich Teil des europäischen Jugendchores (Europa Cantat) und bin mit ca. 40 mir fremden, jungen Erwachsenen durch Spanien und Frankreich getourt. Ich glaube, damals habe ich für mich beschlossen, dass das Kennenlernen fremder Kulturen, Menschen und Länder Teil meines Lebens sein muss.

Welchen überflüssigen Gegenstand in deiner Wohnung magst du am liebsten?

Das ist schwer!! Ich sage, bei uns gibt es keine überflüssigen Gegenstände (mein Mann würde mir sicher widersprechen!).

Welches Buch würdest du niemals aus der Hand geben?

Auch schwer. Aber das Buch, welches ich zurzeit lese, halte ich für absolut empfehlenswert und unverzichtbar in unserer Zeit: Im Grunde gut von Rutger Bregman.

Welches künstlerische Projekt in der Zukunft, das du gerade vorbereitest, liegt dir besonders am Herzen?

Jedes einzelne Liederabendprogramm, das ich zusammenstellen darf. Und meine erste französische Rolle: Antonia in Les Contes d’Hoffmann.

Julia Kleiter ist ein gern gesehener Gast am Opernhaus Zürich. So sang sie hier Lisa in «Das Land des Lächelns», Donna Elvira, Pamina oder Ilia. Zu ihren jüngsten Auftritten zählen die Marschallin im «Rosenkavalier» an den Staatsopern in Wien und Berlin, Donna Anna an der Pariser Oper sowie Rosalinde in der «Fledermaus» an der Bayerischen Staatsoper. Als Liedsängerin tritt sie regelmässig in der Londoner Wigmore Hall, bei den Schubertiaden in Schwarzenberg und Vilabertran oder dem Heidelberger Frühling auf.

Der letzte Vorhang

Von

Wir haben einen Plan

Plan

In unserer «Elias»-Produktion wird ein Papierflieger seinen grossen Auftritt haben. An welcher Stelle, dürfen wir noch nicht verraten, aber aus dem Schnürboden soll er losgeschickt werden und dann gemächlich zu Boden gleiten, am besten in grossen Kreisen. Seit dieser Ansage ist in unser er Requisite viel Papier geknickt worden. Bauanleitungen wurden studiert, unterschiedlichste Papiere getestet. Aber Papierflieger sind kapriziös, das weiss jeder, der schon einmal einen gebaut hat. Manchmal fliegen sie wunderschön, manchmal stürzen sie ab, ohne dass man weiss, warum. Unsere Requisite nennt das den «Pearl Harbour-Effekt», den es auf jeden Fall zu verhindern gilt. Der «Elias»-Flieger soll schliesslich in jeder Vorstellung schön fliegen, trotz widriger Zugluft im Bühnengehäuse. Die Kollegen haben sogar einen Zauberer kontaktiert, der im Internet atemberaubende Papierflieger-Flugshows zeigt, aber der wollte seinen Trick nicht verraten. Inzwischen ist sich die Requisite sicher: Der Teufel steckt im Detail. Hier vielleicht noch eine Landeklappe, dort ein schwerpunktverlagernder Knick, eventuell leichteres Material. So wird gefaltet und gefalzt. Aber am Ende wird der Papier flieger segeln. Wetten?

Liebe, Verrat und Schuld

Cathy Marston hat Ian McEwans Erfolgsroman «Atonement» in die Ballettwelt verlegt und reflektiert in ihrem grossen Handlungsballett über Erinner ung, Selbsttäuschung und Vergebung.

Vorstellungen: 14, 18, 20, 22 Jun 2025

Bianca Castafiore

Bianca Castafiore ist eine fiktive Opernsängerin aus der Comicreihe «Tim und Struppi» des belgischen Zeichners Hergé. Die exzentrische Diva tritt in mehreren Abenteuern von «Tim und Struppi» auf und steht im Zentrum des Bands «Les Bijoux de la Castafiore». Zu ihrem Repertoire gehör t die sogenannte Juwelenarie aus Charles Gounods Oper «Faust».

Um fünf vor drei schwingt lautlos das grosse Gittertor auf, dabei habe ich nicht geklingelt, es gibt keine Klingel, eine Überwachungskamera sehe ich auch nicht. Alte, hohe Bäume rechts und links in der Sonne, hinten das Schloss, wie man es von vielen Bildern kennt. Siebzehntes Jahrhundert, zwei Flügel, verbunden durch den turmartigen Mittelbau… Als ich die Stufen hochsteige, öffnet sich das Portal, und kurz rechne ich damit, dass mir gleich Nestor gegenübersteht, der Butler mit der gestreiften Weste. Es ist aber eine Dame im schlichten beigen Kostüm, die Haare hochgesteckt, ein bisschen an Simone de Beauvoir erinnernd. «Bonjour, Sie wollen zu Madame …», sagt sie, ohne sich vorzustellen, und geht mir voran in die Eingangshalle. Vor der Marmortreppe biegt sie nach links ab.

Ein sonniger Saal, Porträts, Skulpturen, ockerfarbene Wände, Sessel mit orangefarbenen Polstern. «Ich sage Madame, dass Sie da sind. Sie können sich in der Zwischenzeit ja ein paar Fragen überlegen», sagt sie trocken. Als könne es jemand wagen, sich nicht gründlich auf eine Begegnung mit Bianca Castafiore vorzubereiten, neben Maria Callas die berühmteste Sopranistin des 20. Jahrhunderts, knapp 30 Jahre vor ihr geboren. Ein Asteroid heisst nach ihr, ein Platz in Amsterdam, sie wurde in Bühnenwerken, TV­Serien, einem Film von Spielberg gewürdigt. Sie hat ihre Kollegin inzwischen um 48 Jahre überlebt. «No questions concerning her age», hat mir ihre Londoner Agentin eingeschärft.

«Bienvenue, benvenuto a Moulinsart!» Der ganze Saal ändert sofort sein Gravitationsfeld. Sie ist etwas kleiner, als ich erwartet hatte, spricht auch tiefer, mindestens eine Dezime unterhalb ihrer Singstimme, und sieht jünger aus – auch wenn mir schon klar war, dass man ihr die 130 Jahre nicht ansehen würde. Sagen wir, so um die fünfzig, in einem Sommerkleid aus den 1960ern, vielleicht eine Idee zu tailliert geschnitten für diese Figur, aber so eine Frau macht sich ja alles passend. Schwarzer Stoff, mit weissen Rosen und violetten Blättern bedruckt. Natürlich weisse Rosen! «Castafiore» heisst keusche Blume. Sie ist derartig präsent, dass sie das Bild verblassen lässt, das ich in mir trage, aus den acht Bänden Tim und Struppi, in denen sie vorkommt. Aber es passt schon. Die Adlernase, das ondulierte Blond, das auf dem Dekolleté ruhende Amulett…

Sie steuert gleich auf das barocke Porträt über drei Dreimastermodellen zu, Frantz Ritter von Hadoque, um 1670. «Karpock, wie er leibt und lebt, finden Sie nicht, Herr…» Ich murmele meinen Namen, ehe ich frage: «Wie haben Sie ihn denn kennengelernt? Ich meine, den Kapitän, nicht seinen Vorfahren.» «Nun ja, sein Vorfahr, der…» , sie lacht kurz. «Zuerst hörte Harrock mich, wie ich später erfuhr. Das muss 1944 in Brüssel gewesen sein. Er verglich meine Stimme mit einem Hurrikan. Charmant, nicht wahr?» Sie sagt das ohne Ironie, fast gerührt, als habe Haddock auf ihren Gesang nicht jederzeit mit Fluchtreflexen reagiert. Auf jene Juwelenarie aus dem Faust von Gounod, die sie… «Wissen Sie noch, Signora, wann Sie diese Arie zum ersten Mal sangen?» Sie hat in einem Sessel Platz genommen, nun darf auch ich mich setzen, an ein Marmortischchen.

«Dopo la prima guerra mondiale, a Piacenza». Sie wechselt wieder in ihr erstaunlich gutes Englisch. «It was my debut in that century…1921.» «Darf ich fragen, wie Sie dorthin kamen? Wie kamen Sie überhaupt zur Musik?» «Wissen Sie, dass mich das noch keiner gefragt hat? Aber erwarten Sie nichts Aufregendes, junger Mann!» Ein Städtchen in Süditalien, einfache Verhältnisse, die bande musicali, die Amateurblasorchester, die oft auch beliebte Nummern aus Verdis Opern spielen. Ein kleines Mädchen, das davon berührt ist, dann im Kirchenchor singt, ein Lehrer, dem die

Stimme des Mädchens auffällt, der erste Ausflug nach Napoli, Teatro San Carlo… Es wird doch eine längere Geschichte. «Madame?» Die Dame im beigen Kostüm schaut herein. Die vereinbarte Stunde sei um, sagt sie mir. «Non, non, Irma, ça va», sagt die Signora. «Bringen Sie uns einen Tee.» Ob Irma immer noch die Irma ist, die ich als Zofe Luise aus den Comics kenne? Dann hätte sie sich sehr geändert. Nach dem Debüt an der Scala brauche ich die Sängerin gar nicht erst zu fragen. 1926, Liù in Puccinis Turandot, eingesprungen für Maria Zamboni, «sie sang die Uraufführung, wie Sie sicher wissen. Toscanini hat uns auf Händen getragen! Welcher Dirigent tut das heute noch?» Von da an war Bianca Castafiore im italienischen Fach so gefragt wie für die französische Oper. Und was blieb davon übrig im Comic? Immer nur die Juwelenarie, auch im Radio. Aus Röhrenempfängern und Transistorradios, 1939 in Watisdah, 1958 in Tibet, im Zelt der Sherpas. «Die Castafiore! Hier? Potzblitz! Will sie uns überallhin verfolgen?»

Irma erscheint, um das Teegeschirr abzuräumen, und tippt auf ihre Armbanduhr, die Signora hebt begütigend die Hand und stimmt ein Liedchen an. «La pendule fait tic­tac tic­tic», schnelle Noten, kein bisschen schrill, mezzopiano, «les oiseaux du lac pic­pac pic­pic», ein Chanson, «kennen Sie es?» «Um ehrlich zu sein…» «Mais boum, quand notre cœur fait boum, le monde entier fait boum… das war wohl vor Ihrer Zeit, junger Mann.» Jetzt singt sie dieselbe Weise mit anderem Text. «Boum, quand vot’moteur fait boum…» «Macht dein Auto Bumm!», entfährt es mir. Im Reiche des Schwarzen Goldes! Da hört man es im Radio, wie dann natürlich auch «Mich zu sehn, so schön…». Nun gibt sie mir Nachhilfe. Man habe diesem Chanson 1938 gar nicht ausweichen können in Frankreich und Belgien, «ein Liebeslied von Charles Trenet, aber Sie können sich denken… ‹Die ganze Welt macht bumm›, in dieser Lage! Wir hatten alle Angst vor dem Krieg. Und als er begonnen hatte, der Krieg, erschien diese Tintin­Geschichte, in Fortsetzungen.» Sie kennt das also alles bestens. Dann weiss sie auch, welche Bestürzung ihr Gesang nicht nur beim Kapitän auslöste, der ihr gleichwohl dieses Schloss für immer überlassen hat. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagt sie: «Monsieur Hergé musste ja vieles ändern. Natürlich hat mich mein guter Kapitän Bartock auch mit Verdi und Puccini gehört. Er reiste mir nach! Und natürlich habe ich nie in Szohôd gesungen, das es nicht gibt…» «Oberst Sponsz!» «Jaja… das war in… einer anderen Diktatur.» «Aber, wenn ich das so sagen darf, Berührungsängste hatten Sie nie, politisch?» «Nein, das dürfen Sie nicht so sagen», sagt Irma, die wie auf ein Stichwort hin wieder erschienen ist. «Madame hat die Nähe zu den Mächtigen oft genutzt, um deren Widersachern zu helfen. Sie wurde sogar einmal inhaftiert.» Das war 1976, in San Theodoros. Sie kam frei. Aber danach trat sie nie wieder auf.

Bianca Castafiore blickt lächelnd vor sich hin, fast bewegungslos, wie zum Bild erstarrt, die Hände mit Ringsteinen in vier Farben über dem Schoss gefaltet, während Irma fortfährt: «Sie ist in diesen bandes dessinées nicht zufällig zu einer Zeit aufgetaucht, in der die Frauen begannen, ihre Stimme zu erheben. Der Preis dafür war, dass diese Stimme…» «Boum, le monde entier fait boum», singt die Diva da erneut, versonnen, leise, bricht ab und erklärt: «Eine gute technische Basis ist alles. Damit kann eine Sängerin sehr alt werden.» Ich hatte sie noch nach der Oper Die Sache Makropulos fragen wollen, in der die Sängerin Emilia Marty mithilfe eines Elixiers dreihundert Jahre alt wird. Aber ich bin sicher, dass die Castafiore mit Janáček nichts anfangen kann, zuwenig bel canto… Mir ist ein bisschen schwindlig, als ich das schöne Schloss verlasse, am späten Nachmittag. Und im Zug nach Brüssel frage ich mich, ob mir vielleicht ein paar Dinge durcheinandergeraten sind, Dichtung und Wahrheit, Comics und Musik, feministische Essays, die zweiunddreissig Sopranistinnen, die ich schon für die Oper Zürich traf. Aber die Dreiunddreissigste – schlägt nicht gerade in ihr das Herz der Oper? Alles ist dort möglich, und nie vergeht die Zeit, das sonderbar’ Ding. Ja, nach der Marschallin hätte ich sie auch noch fragen können…

Volker Hagedorn

Fotos: Monika Rittershaus

Flucht in die Fantasie

Ob mit Olympia, Antonia oder Giulietta, jedes Mal scheitert Offenbachs Titelfigur in «Les Contes d’Hoffmann» –an sich selbst, an der Liebe und an seinen teuflischen Gegenspielern.

Mit Saimir Pirgu, Marina Viotti u.a. Vorstellungen: 28 Jun; 1, 4, 9, 12 Jul 2025

Elias

Die Konzertmeisterin Hanna Weinmeister über eine besondere Stelle in Mendelssohns Oratorium

Sich bei Elias für eine Lieblingsstelle zu entscheiden, ist eigentlich unmöglich. Der Gott, der sich im Säuseln zeigt, oder der feurige Wagen, der Elias am Ende in den Himmel trägt, erschüttern mich jedes Mal. Eine besonders berührende Stelle befindet sich im zweiten Teil, sie ist ein Wendepunkt für Elias: Soeben noch wünschte er sich in der Celloarie «Es ist genug» in der Wüste den Tod. Das Volk, das er im ersten Teil mit einem Dürrefluch vom Unglauben abbringen wollte, liess sich im zweiten Teil von der Königin gegen ihn aufhetzen und ver folgt ihn. Elias ist zerrüttet, seine Bluttat an den Baalspriestern ist wahrscheinlich nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er kommt zur Einsicht, dass er nicht besser als seine Väter ist: Sein Handeln war vergeblich, er ist gescheitert, das Volk davon zu überzeugen, dass es nur einen Gott gibt. Die Arie endet mit einem tiefen fis, das sich in ein Rezitativ fortsetzt, als ob dieser Liegeton das Nichts, die Leere oder die Wüste beschreiben würde. Nun singt der Tenor: «Siehe, er schläft unter dem Wacholder in der Wüste. Aber die Engel des Herrn lagern sich um die her, so ihn fürchten.»

Beim Wort «Engel» setzen die Geigen ein. Es folgt eine unerwartete Har monie, ein überraschendes Leuchten und eine Melodie wie eine tröstende Umarmung, bis drei Engelsstimmen im reinsten a­capella­Gesang einsetzen und Elias – wie in Mozarts Zauberflöte die drei Knaben der verzweifelten Pamina – Trost und Mut spenden. Das Engelsterzett ist der Beginn für Elias’ psychische Genesung, so dass er seinen Auftrag schliesslich fortsetzen kann. Im Grunde hat das Bild des Wacholderbaums diese Genesung bereits angekündigt: Er ist eine alte Heilpflanze, die in der Antike als Räucherwerk gegen böse Geister und Krankheiten eingesetzt wurde. Den Gedanken an Rettung und daran, dass sich die Seele an etwas aufrichten kann, finde ich sehr schön. Und einen weitsichtigen – keinen fanatischen – Propheten könnten wir heute für unseren gebeutelten Planeten gut gebrauchen.

Hanna Weinmeister

Der letzte Vorhang

In die Hölle und zurück

Mit seiner Stimme holt Orfeo Euridice wieder ins Leben zurück. In Monteverdis erster Oper «L’Orfeo» offenbaren die Figuren zarte Herzensregungen und singen sich tiefsten Liebesschmerz von der Seele.

Mit Krystian Adam, Miriam Kutrowatz u.a. Vorstellungen: 29 Jun, 3, 6, 8, 11 Juli 2025

Das Leben ist kein Candy-Land

Berufslehre oder Gymnasium? Ist die schöne Zeit vorbei? Diese Fragen beschäftigen die Jugendlichen aus zwei Sekundarschulklassen in Embrach gerade am meisten. Im Education-Projekt «Entscheide dich!» setzen sie sich auf künstlerische Weise damit auseinander. Ein Probenbesuch Text Fabio Dietsche Fotos Maria Cheilopoulou

#Entscheide dich! Musiktheaterprojekt von und mit Jugendlichen nach Motiven von Hans Christian Andersens Märchen «Die kleine Meerjungfrau»

Textfassung und Co-Regie

Andreas Sauter Musikalische Leitung

Simon Wunderlin

Choreografie und Co-Regie

Simon Wehrli

Bühnenbild / Kostüme

Elisa Alessi

Produktionsleitung

Roger Lämmli

Klassenlehrpersonen

Pascal Benz

Adrian Truninger

Schüler:innen der 3. Sekundarklassen aus Embrach

Unterstützt von der Ernst Göhner Stiftung

Premiere 3 Jul 2025

Weitere Vorstellungen 4, 5, 6, 8 Jul 2025 Studiobühne

Das Einzugsgebiet des Opernhauses Zürich ist grösser, als man es sich als Stadtmensch zuweilen denkt. Der Weg zu einer Probe für unser diesjähriges «Hashtag»Projekt führt zunächst mit der S-Bahn an den Flughafen und von dort mit dem Bus durch ländliches Gebiet nach Embrach. Es steigen immer mehr Jugendliche zu. Ob sie es sind, die am Education-Projekt teilnehmen? Unter dem #-Titel organisiert die Theaterpädagogik des Opernhauses Zürich jährlich ein gross angelegtes Projekt für Schulklassen aus dem Kanton und der Stadt Zürich. Der Prozess beginnt jeweils dor t, wo die Jugendlichen zur Schule gehen, und mündet in einer intensiven sechswöchigen Endprobenzeit auf der Studiobühne des Opernhauses, wo auch in diesem Juli mehrere Vorstellungen zu sehen sein werden. Das Projekt heisst diesmal #Entscheide dich!

An der Haltestelle Gemeindehaus Embrach angekommen, biegen die meisten Jugendlichen dorthin ab, wo sie ihre Tage normalerweise verbringen: in die Schule. Im hellen und neu riechenden Gemeindesaal ist es noch ruhig. Neben unserer Theaterpädagogin Thirza Möschinger sind bereits zwei der Projektleiter da, die beide Simon heissen und für die musikalische und choreografische Erarbeitung verantwortlich sind. Die beiden besprechen die anstehende Probe. Geplant ist ein allgemeiner Teil, in dem die ganze Gruppe an Grundübungen arbeitet, und ein zweiter Teil, in dem konkret das Stück geprobt wird, das im Juli auf die Bühne kommen soll.

Einen gewichtigen Teil des gesamten Prozesses haben die Schülerinnen und Schüler bereits hinter sich. Den Stoff, den sie in Zürich auf die Bühne bringen, haben sie gemeinsam mit dem Schreibcoach Andreas Sauter entwickelt. Dieser ist auf der heutigen Probe nicht anwesend, erzählt aber am Telefon, wie der Text entstanden ist: Die «Hashtag»-Projekte sind jeweils lose an eine Oper oder ein Ballett des Opernhauses angelehnt. In diesem Fall sind es die Märchen von Hans Christian Andersen, die in Kim Brandstrups Ballett Of Light, Wind and Waters vorkommen. Die beiden Schulklassen aus Embrach haben sich mit Andersens Märchen von der Kleinen Meerjungfrau beschäftigt:

Dieses Fantasiewesen verliebt sich bekanntlich in einen menschlichen Prinzen, wünscht sich ein Leben mit ihm und trifft dafür eine Entscheidung mit fatalen Folgen. Eine Adaption dieses Stoffes war aber nicht das Ziel des gemeinsamen Schreibworkshops, erzählt Andreas Sauter. Es schälten sich vielmehr bald die Träume, Forderungen und Sehnsüchte der Schülerinnen und Schüler selbst heraus. Ein zentrales Thema des Texts ist deshalb der enorme Druck geworden, den die Jugendlichen gerade verspüren, wenn sie sich im kommenden Jahr entweder für das Gymnasium oder eine Berufslehre entscheiden müssen.

«Die Gruppe muss im Raum ankommen, sich wahrnehmen, eins werden …»

Kurz vor Probenbeginn hat sich der Vorraum des Gemeindesaals hörbar gefüllt. Ungebündelte jugendliche Energie liegt in der Luft, aus dem Sprachgewirr sticht immer wieder eine laute Stimme hervor, die so etwas wie Affengeräusche nachahmt. Doch als die beiden Schulklassen den Saal betreten, findet diese Energie überraschend schnell einen Fokus. Es gibt in diesem Moment weder eine Diskussion über Sinn und Zweck dieses Projekts, noch muss irgend jemand daran erinnert werden, das Handy wegzulegen. Einer der beiden Simons – sie leiten diese Probe gemeinsam und mit v iel positivem Engagement – sagt: «Wir gehen in den Kreis», und die Arbeit beginnt. In den ersten Übungen geht es um Reaktion. Die Gruppe muss im Raum ankommen, sich wahrnehmen, eins werden. Allmählich schliessen sich die unregelmässigen Lücken im Kreis – und plötzlich ein lauter Schlag: Über vierzig Jugendliche klatschen in die Hände, und zwar synchron. Nicht beim vierten Anlauf, sondern auf Anhieb. Das ist beeindruckend und zeugt von dem hohen Aufmerksamkeitslevel, das in diesem

Raum von Beginn an herrscht. Überhaupt funktioniert in diesem ersten Teil der Probe alles sehr gut, was mit Rhythmus zu tun hat, mit Puls und direkter Körperlichkeit. Nicht umsonst heisst eines der bekanntesten musikalischen EducationProjekte, 2003 in Berlin durchgeführt und verfilmt, Rythm Is It!. Etwas mehr Unsicherheit ist zu spüren, wenn die Stimme dazukommt, dieses sehr persönliche Instrument, das sich bei jedem und jeder Einzelnen in diesem Raum schon ganz unterschiedlich anhört, wenn es nur darum geht – «eins, zwei, eins, zwei...» – durchzuzählen und den Kreis in verschiedene Gruppen aufzuteilen. Das anschliessende gemeinsame Summen klingt zunächst wie ein avantgardistisches V iertelton-Cluster, bevor es sich allmählich auf einer gemeinsamen Tonhöhe einschwingt. Und nach einigem Probieren erklingt sogar ein Dur-Dreiklang. Das sei ihnen heute zum ersten Mal gelungen, erzählt Simon, der Musiker, später und freut sich sichtlich.

«Etwas mehr Unsicherheit ist zu spüren, wenn die Stimme dazukommt.»

Nach der Pause ist dann erst einmal Logistik gefragt. Die Jugendlichen sollen jetzt in einzelnen Gruppen selbständig arbeiten und verteilen sich ins Foyer, auf die Bühne und in die Nebenräume des Gemeindesaals. Eine Lehrperson hat eine Schachtel mit Manuskripten mitgebracht. «Entscheid di eifach! oder Willkommen im Candy-Land!» steht als Titel vorne drauf. Es ist der Text, den die Schülerinnen und Schüler zusammen mit dem Coach Andreas Sauter entwickelt haben. Der Text ist so angelegt, dass er chorisch gesprochen werden kann. Im Zentrum stehen also nicht einzelne Figuren, sondern Schwärme, bei denen potenziell alle Schülerinnen und Schüler den Lead übernehmen können. Diese Gruppendramaturgie war Andreas Sauter, der dem Text den

finalen Schliff gegeben hat, wichtig. Mit den Figuren des Andersen-Märchens hat das Stück nichts mehr zu tun. Die fantastischen Figuren begeben sich hier auf eine gemeinsame Reise voller Gefahren und Entscheidungen – die anders als die der Kleinen Meerjungfrau aber kein trauriges Ende findet, sondern positiv ausgeht. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Auf der Probe memorieren «Waisenmädchen», «Kannibalen» und «normale Jugendliche» ihre Texte zunächst in Kleingruppen, bevor sie ganze Szenen zusammensetzten –und man merkt, dass hier noch viele Wiederholungen nötig sind, damit der Text an Lebendigkeit und Bildhaftigkeit gewinnt. In einer Gruppe wird gerade gar nicht geprobt. Hier stellt sich nun doch die Sinnfrage: «Warum soll gerade ich diesen Text sprechen? Ich will das nicht…» Mehr Drive ist bei der Gruppe vorhanden, die an einer Choreografie arbeitet: Während sie die Bewegungsabläufe wiederholt und präzisiert, ist sie laut am Zählen, denn für die Musik zum Projekt wird vorerst noch im Saal nebenan geprobt. Dort hat sich eine grosse Gruppe hinter den verlockenden DJ-Pults verschanzt, doch der Musikalische Leiter versammelt die Jugendlichen zunächst einmal im Kreis und dann an der Seitenwand des Saals und gibt ihnen jeweils zwei Schlegel in die Hand. Die Rhythmen, die er vorgibt, werden jetzt komplexer – und die Gesichter der Schülerinnen und Schüler deutlich angestrengter

Am Ende dieser Kleingruppenarbeit, in der Eigeninitiative, Kreativität und Mut gefragt sind, kommen noch einmal alle zusammen in den Kreis. Jetzt wird die Lautstärke am DJ-Pult richtig hochgefahren. Ein Bass wummert. Und alle Entscheidungsfragen, die noch beantwortet werden müssen, treten in den Hintergrund. Zum Schluss darf die ganze überschüssige Energie rausgetanzt werden. Und die Freude, die in diesem Moment zu erleben ist, lässt schon erahnen, wie gross der Stolz und die Erleichterung sein werden, wenn im Juli alle Fäden dieses Projekts auf der Studiobühne im Opernhaus Zürich zusammenlaufen.

Der letzte Vorhang

Zitat aus Wagners «Lohengrin»

1 So Zurich Talks Dance

1 1.15 Gesprächsreihe, Studiobühne

Salome

14.00 Op er von Richard Strauss

Die tote Stadt

19.30 Op er von Erich Wolfgang Korngold

2 Mo Italienisches Liederbuch von Hugo Wolf

19.00 Hauptbühne Opernhaus

3 Di Don Pasquale

19.00 Op er von Gaetano Donizetti

open space stimme

19.00 Chor-Workshop, Dienstags

4 Mi open space tanz

19.00 Tanz-Workshop, Mittwochs

5 Do Countertime

19.00 Choreografien von Kenneth MacMillan, Cathy Marston und Bryan Arias

6 Fr Autographs

20.00 Choreografien von Crystal Pite, Wayne McGregor und William Forsythe

7 Sa Salome

19.00 Op er von Richard Strauss

9 Mo Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy Premiere

11 Mi Autographs

19.00 Choreografien von Crystal Pite, Wayne McGregor und William Forsythe

12 Do Salome

19.00 Op er von Richard Strauss

13 Fr Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

14 Sa Familienworkshop O rfeo

14. 30 ab 9 Jahren, Kinder in Begleitung von Erwachsenen Treffpunkt Billettkasse Atonement

19.00 Ballet t von Cathy Marston

15 So Verklärte Nacht

1 1.15 Brunchkonzert, Spiegelsaal B enefizkonzert für das Internationale Opernstudio unter Mitwirkung von Cecilia Bartoli

13.00 Hauptbühne Opernhaus Familienworkshop O rfeo

14. 30 ab 9 Jahren, Kinder in Begleitung von Erwachsenen Treffpunkt Billettkasse Salome

20.00 Op er von Richard Strauss

16 Mo Verklärte Nacht

12.00 Lunchkonzert, Spiegelsaal

17 Di Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

18 Mi Atonement

19.00 Ballet t von Cathy Marston

19 Do Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

2O Fr Atonement

19.00 Ballet t von Cathy Marston

21 Sa Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

22 So Atonement

14.00 Ballet t von Cathy Marston Atonement

20.00 Ballet t von Cathy Marston

24 Di Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

25 Mi Countertime

19.30 Choreografien von Kenneth MacMillan, Cathy Marston und Bryan Arias

26 Do Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

27 Fr Countertime

19.00

Choreografien von Kenneth MacMillan, Cathy Marston und Bryan Arias

Fraumünsterstrasse 9, Zürich – Zentralstrasse 12, Luzern

T E R B A L L E T T O

KKL Luzern

ROSSINI: IL BARBIERE DI SIVIGLIA

Les Musiciens du Prince — Monaco | Gianluca Capuano | Cecilia Bartoli | Edgardo Rocha | Peter Kálmán u.a.

KKL Luzern

CHARPENTIER

Les Arts Florissants | William Christie | Solist*innen des «Jardin des Voix» 2025

WAGNER: SIEGFRIED

Dresdner Festspielorchester | Concerto Köln | Kent Nagano | Thomas Blondelle | Thomas Ebenstein | Derek Welton | Åsa Jäger u.a. KKL Luzern

28 Sa B allettschule für das Opernhaus Zürich

1 1.00 Premiere, AMAG Volksvorstellung

Les Contes d’Hoffmann

19.00 Op er von Jacques Offenbach

29 So L’Orfeo

14.00 Op er von Claudio Monteverdi

Elias

20.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

Juli

1 Di open space stimme

19.00 Chor-Workshop, Dienstags

Les Contes d’Hoffmann

19.30 Op er von Jacques Offenbach

2 Mi Elias

19.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

3 Do L’Orfeo

19.30 Op er von Claudio Monteverdi

#Entscheide dich!

19.30 Premiere, Studiobühne

4 Fr Les Contes d’Hoffmann

19.00 Op er von Jacques Offenbach

#Entscheide dich!

19.30 Studiobühne

5 Sa taZ – Curtain Up!

1 1.00 Tanzakademie Zürich zu Gast Premiere, AMAG Volksvorstellung

Galakonzert

19.00 Fabio Luisi, Musikalische Leitung

Mit Camilla Nylund, Sopran; Klaus Florian Vogt Tenor Bryn Terfel, Bariton u.a.

#Entscheide dich!

19.30 Studiobühne

6 So L’Orfeo

14.00 Op er von Claudio Monteverdi

#Entscheide dich!

19.30 Studiobühne

Elias

20.00 Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy

7 Mo Galakonzert des Internationalen Opernstudios

19.00 AMAG Volksvorstellung

8 Di #Entscheide dich!

10.00 Studiobühne

L’Orfeo

19.00 Op er von Claudio Monteverdi

#Entscheide dich!

19.30 Studiobühne

9 Mi Les Contes d’Hoffmann

19.00 Op er von Jacques Offenbach

1O Do Galakonzert

19.00 Hauptbühne Opernhaus

11 Fr kino für alle

18.00 Kinofilme auf dem Sechseläutenplatz Sechseläutenplatz

L’Orfeo

19.00 Op er von Claudio Monteverdi AMAG Volksvorstellung

12 Sa oper für alle

18.00 Sechseläutenplatz

Les Contes d’Hoffmann

19.00 Op er von Jacques Offenbach AMAG Volksvorstellung

13 So Festkonzert der Philharmonia Zürich

17.00 7. Philharmonisches Konzert / Festlicher Ausklang der Direktion Homoki Sommerpause

Impressum

Magazin des Opernhauses Zürich

Falkenstrasse 1, 8008 Zürich

www.opernhaus.ch

T + 41 44 268 64 00

Intendant

Andreas Homoki

Generalmusikdirektor

Gianandrea Noseda

Ballettdirektorin

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Fabio Dietsche

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Claus Spahn Gestaltung

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Admill Kuyler

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Michael Sieber Illustration

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MAG, das OpernhausMagazin, erscheint zehnmal pro Saison und liegt zur kostenlosen Mitnahme im Opernhaus aus. Sie können das OpernhausMagazin abonnieren: zum Preis von CHF 40 bei einer inländischen Adresse und CHF 60 bei einer ausländischen Adresse senden wir Ihnen jede Ausgabe druckfrisch zu.

Bestellungen unter: T +41 44 268 66 66 oder tickets@opernhaus.ch.

Sponsoren

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie der Beiträge der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und der Kantone Nidwalden, Obwalden, Schwyz und Schaffhausen.

Partner

Produktionssponsoren

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Atto primo

Clariant Foundation

Freunde der Oper Zürich

Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

Projektsponsoren

René und Susanne Braginsky-Stiftung

Freunde des Balletts Zürich

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Hans Imholz-Stiftung

Max Kohler Stiftung

Kühne-Stiftung

Georg und Bertha Schwyzer-Winiker Stiftung

Hans und Edith Sulzer-Oravecz-Stiftung

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Swiss Re

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Gönnerinnen und Gönner

Josef und Pirkko Ackermann

Alfons’ Blumenmarkt

Familie Thomas Bär

Bergos Privatbank

Elektro Compagnoni AG

Stiftung Melinda Esterházy de Galantha

Fitnessparks Migros Zürich

Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung

Walter B. Kielholz Stiftung

Klinik Hirslanden

KPMG AG

Landis & Gyr Stiftung

Die Mobiliar

Annina und George Müller-Bodmer

Fondation Les Mûrons

Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung

StockArt – Stiftung für Musik

John G. Turner und Jerry G. Fischer

Else von Sick Stiftung

Ernst von Siemens Musikstiftung

Elisabeth Weber-Stiftung

Förderinnen und Förderer

Art Mentor Foundation Lucerne

Theodor und Constantin Davidoff Stiftung

Dr. Samuel Ehrhardt

Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG

Garmin Switzerland

Elisabeth K. Gates Foundation

Stiftung LYRA zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen

Minerva Kunststiftung

Irith Rappaport

Luzius R. Sprüngli

Madlen und Thomas von Stockar

Der Ticketverkauf beginnt am 21 Jun 2025

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