MAG 54: Madama Butterfly

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56 Auf dem Nachhauseweg

Dreissig Sekunden schütteln Rossinis Musik wirkt besser als die D3-Vitamin-Tropfen zur Stärkung der Abwehrkräfte, die Frau Mani jetzt in der dunklen Jahreszeit einnehmen muss, etwa die perlende Musik aus Le Comte Ory! In der Pause sind alle zur Bar gerannt, nach diesen Klängen dürstet es alle nach mehr Leben. Frau Mani ist, wie so oft, da und dort bei den Gästen hängen geblieben. «Brillant!», hat sie gerufen, «welch ein verführerisches Timbre, dieser Graf!» Einen Prosecco hätte Frau Mani schon gern getrunken, aber sie konnte nicht aufhören zu loben. Da stösst Frau Manis vermisster Fürst Gremin mit einem Glas dazu. «Sie sitzen auf dem Trockenen?» Galant überlässt er ihr sein Glas und stellt sich mit einer angedeuteten Verbeugung zurück in die Schlange. Es klingelt zum zweiten Akt. Frau Mani trinkt das Glas in einem Zug aus und eilt, dem Fürsten zuwinkend, zurück in den Saal. Denn gleich kommt ihre Lieblingsszene mit den falschen Nonnen, die Trinklieder anstimmen und dann schnell wieder zu sittsamen Chorälen übergehen, sobald sie beobachtet werden. Eine köstliche Maskerade. Die Musik Rossinis belebt, man lauscht ihr und versteht den subtilen Witz. Quel frisson! Die nächtliche Szene zu Dritt im Dunkeln, mit dem an der Nase herumgeführten Ory, der seinen Pagen für die Gräfin hält. Eine delikate Szene mit Schmachten und Jauchzen; eine Freude auch der Page, die Hosenrolle. Und am Ende bereits wieder: Vorhang! Mit roten Wangen geht Frau Mani schnellen Schrittes über den Sechseläutenplatz, die Nacht ist um viele Grad wärmer geworden, scheint ihr. Der Fürst erreicht sie, ist ausser Puste und fragt keuchend, ob sie noch auf einen Drink mitgehen möchte, einfach so, um den Abend zu zelebrieren. Einen Opernabend zu zelebrieren, das behagt Frau Mani, auch der vorgeschlagene Ort, die Kronenhalle-Bar. Die ist spärlich besucht, das Licht gedämpft. Auf dem bequemen Sessel fühlt sich Frau Mani glücklich. Die quirlige Stimme der Gräfin Adèle hallt in ihrem Kopf, un esprit éveillé. Ihr Kompagnon kommt heran, gesteht ihr, sich in seinem nüchternen Alltag nach einer kreativen Tätigkeit zu sehnen – etwa danach, ein Cocktail-Buch zu schreiben, Drinks zu mixen und sie verführerisch zu präsentieren. Den Drinks, schlägt Frau Mani vor, könne er Namen aus der Opernwelt geben und die Musik in Aromen und Geschmack überführen. «Aber bitte keinen I Capuleti e i Montecchi-Cocktail», scherzt sie. «Und auch keinen Lucrezia Borgia», erwidert der Fürst. Wie selbstverständlich geht er hinter den leeren Tresen und verkündet, Frau Mani nun einen Comte Ory-­Cocktail zu mixen. Seine Kühnheit passt auf jeden Fall zu dieser Oper, das muss Frau Mani zugeben. Der Barwand entnimmt der Fürst ein halbes Dutzend Flaschen, vermantscht mit Schwung Zucker, Zitronensaft und Pfefferminzblätter, gibt Rum und im Handtuch zerstossenes Eis hinzu. Frau Mani schaut immer wieder zum Durchgang, ob jemand kommt. «Lassen Sie sich überraschen», flüstert der Fürst und leert drei Messbecher mit Alkoholika unterschiedlicher Farbe in den Shaker. Frau Mani glaubt, Cointreau herausgerochen zu haben, flüchtig auch Gin. Der Fürst beginnt, den Inhalt zu schütteln. «Dreissig Sekunden schütteln, unter keinen Umständen mehr!» Frau Mani fügt beschwipst hinzu: «Shake the Shaker and not yourself!» Sie lachen auf, und lachen auch nach dem dritten Drink noch, bevor sie, ohne zu bezahlen, ja ohne sich auch nur umzusehen, die Bar verlassen. «Die zweite Phase beim Schütteln», sagt der Fürst, bei dem sich Frau Mani untergehakt hat, «die zweite Phase, bei der man Eiswürfel dazugibt, kühlt die Flüssigkeit stark und dickt den entstandenen Schaum ein.» Der Fürst winkt ein Taxi heran. Er öffnet Frau Mani die Tür, reicht ihr die Handtasche. Als er ums Auto geht und seine Tür öffnen will, braust das Taxi davon. Dana Grigorcea


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