FIVE #178

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ZUR

BASKETBALL FOR LIFE

BUYOUTS ABSCHAFFEN! ABSCHAFFEN !

LAGE

05/2021

178

SUPER-FREE AGENCY 2021 SUPERSTARTRADES 2021 BUBBLE 2.0 ?

DER TOD DER NCAA 3,90 €

Österreich 5,00 € Schweiz 7,80 SFR BeNeLUX 4,60 € Italien 5,25 € Spanien 5,25 €

ISSUE 178

ISSN 1614-9297

WWW.FIVEMAG.DE

DER

NATION DAS SIND DIE WICHTIGSTEN THEMEN DER NBA 2K21 !


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editorial

IMPRESSUM

FIVE 178

Redaktion: redaktion@fivemag.de Verlag: KICKZ.COM GmbH Landwehrstr. 60 80336 München Tel.: +49-89-324 781 70 Fax: +49-89-324 781 99

Einfach mal machen LIEBE FIVE-GEMEINDE, hat Corona etwas Gutes? Zu Beginn der Pandemie wurde viel darüber geschrieben, wie dieses Jahrhundertereignis die Menschen verändern würde. Ob das so ist? Keine Ahnung, aber in Sachen Basketball lässt sich eine Sache vermuten: Maßnahmen wie der Lockdown scheinen für viele Motivation gewesen zu sein. Wofür? Um einfach mal zu machen. In den vergangenen zwölf Monaten ist der BasketballContent aus Deutschland explodiert. Egal ob als Podcast, auf YouTube, Instagram, Twitch oder „traditionell“ in Form eines Blogs: Immer mehr Fans fühlen sich berufen, ihre Leidenschaft in verschiedenste Formate zu gießen. All diesen Kreativen, den „Content Creators“, ist in diesem Monat diese Seite gewidmet. FIVE wird im Sommer in seine 19. Saison gehen – als wir 2003 starteten, gab es diese Fülle an Basketballinhalten nicht. Natürlich waren da Websites wie Crossover-Online.de, Blogs setzten sich langsam auch in Deutschland durch. An selbst produzierte Videos über die NBA oder Podcasts war nicht zu denken. Wie auch? FIVE ist älter als der Begriff „Podcast“ selbst, der erstmals 2004 verwendet wurde. YouTube? Ging 2005 online.

Dass im Jahr 2021 in Deutschland mehr Menschen Basketball-Content produzieren als jemals zuvor, ist keine intellektuell verwegene Annahme, das dürfte ein Fakt sein. Bedeutet das einen Boom unseres Sports in Deutschland? Nein. Der kann nicht aus der Mitte der Fans heraus kommen. Aber es braucht auch nicht immer gleich einen Boom. Dass sich die Leidenschaft in etwas manifestiert, das gehört, gelesen und angeschaut werden kann, ist eine Menge wert – auch wenn bei den meisten das Publikum überschaubar sein dürfte. Sicherlich werden nicht alle Formate, die in den vergangenen Monaten gestartet wurden, in einem Jahr noch existieren. Das ist halt so und überhaupt kein Problem. Jeder einzelne Versuch hat die Szene erweitert, vielleicht irgendwen irgendwo dazu motiviert, selbst einfach mal zu machen. Und darum geht es ja im Endeffekt beim Basketball in Deutschland. Diese kleine Nische, in der wir uns alle bewegen, braucht motivierte Leute, die etwas starten. Das kann ein Podcast sein, ein Blog oder eine Trainerausbildung, eine Hobbytruppe an der Uni, der Bau eines Freiplatzes für den eigenen Verein, ja sogar ein Schiedsrichterkurs etc.

BESTEN DUNK

nächste aUSGABE

Dré dunkt allen, die zu Hause bleiben! #noCovid

Die FIVE #179 erscheint am 21. Mai 2021 oder liegt schon bis zu vier Tage vorher bei allen Abonnenten im Briefkasten. Dann im Heft: die ultimative NBAPlayoff-Vorschau 2021. Alle Teams im großen Check!

Ausgabe verpasst? Kein Thema. Scannt den nebenstehenden Code mit eurem Smartphone ein oder

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Unter anderem diese Newcomer bereicherten BasketballDeutschland in der Pandemie.

Wichtig ist am Ende, dass es Spaß macht und dass es nicht verbissen wird. Basketball ist ein Hobby. Basketball ist Freude. Eine, die uns schon viel zu lange in der reinsten Form – nämlich selbst zu spielen – genommen wird, weil es vielerorts nicht anders geht. Irgendwann wird das wieder anders sein. Irgendwann werden wir wieder in der Kabine nach dem Training Blödsinn erzählen, beim Dreierwettbewerb nach dem Auslaufen um ein Kaltgetränk werfen – bis der Hausmeister das Licht ausmacht. Bis es so weit ist, müssen wir alles dafür tun, dass die Leidenschaft nicht versiegt. So wie Jan Delay es mal gesagt hat: Denn das Wichtigste ist, Dass das Feuer nicht aufhört zu brennen Denn sonst wird es ganz bitterlich kalt Ja, die Flammen im Herzen, Die sind durch nix zu ersetzen Darum halt sie am Laufen mit aller Gewalt!

Chefredakteur: André Voigt (verantw.) Grafik: Patrick „Mochokla“ Ortega Fotos: Getty Images Lektorat: Thomas Brill Mitarbeiter dieser Ausgabe: Christian Orban Tobias Feuerhahn Julius Schubert Jan Hieronimi Torben Rosenbohm Manuel Baraniak Peter Bieg Ole Frerks Ivan Beslic Jens Leutenecker Robbin Barberan Aboservice: KICKZ.COM GmbH E-Mail: abo@fivemag.de Tel.: +49-89-324 781 70 Druck: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG Frankfurter Straße 168 34121 Kassel Vertrieb: MZV GmbH & Co. KG Ohmstr. 1 85716 Unterschleißheim Für unverlangt eingesandtes und nicht mit einem Urhebervermerk gekennzeichnetes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Beiträge, die namentlich gekennzeichnet sind, geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Vervielfältigung, Speicherung sowie Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages. Gerichtsstand ist München.

ISSN 1614-9297

Egal ob in der digitalen oder realen Welt … Viel Spaß mit FIVE #178! André Voigt

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FIVE 178

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Prospect, Einwurf, Mixtape, DAZN x FIVE, Sneaker Hall of Fame, Legenden-Liebling etc.

Kobe, Zion, Hill … Praktikanten auf der Eins.

Interview mit einem Basketball-Rentner.

24 SECONDS

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ONE-ON-ONE

Young vs. Sexton.

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FIVE-ACADEMY

Die zehn wichtigsten Arten von Screens.

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STATE OF THE NBA

Expansion, Dreier, Trades, Age Limit – der Stand der Dinge.

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NICHT-ALL-STARS

Die Besten, die nie NBA-All-Stars waren.

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TRAE YOUNG

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inhalt

Ist der Hype vorbei oder Trae Young einfach nicht so gut?

POINT FORWARDS

KONRAD WYSOCKI

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Ineffizient, aus der Zeit gefallen? Nicht mehr.

Japan, Recruiting, „40 Minutes of Hell“.

DEMAR DEROZAN

JOHN PATRICK

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Der Schatten-ROY.

Merlin und Go-to-Guy.

TYRESE HALIBURTON

TRAE BELL-HAYNES

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Zu früh geboren, zu oft verletzt, Erfinder.

Endlich angekommen.

JONATHAN BENDER

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FOTOSTRECKE

Schattendunks!

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EUROLEAGUE

Was lief in der Euroleague gut, was schlecht?

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BBL-TAKTIK-CHECK

Peel Switches? Will Voigt und seine Taktik.

JAN NIKLAS WIMBERG

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IN-DRÉ-SSANT

Kampf der Schinderei!

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WARENKORB

KICKZ hat die Styles, die ihr wollt!

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IVAN BESLIC

Grandmama Johnson … enough said!

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DAS FIVEMIXTAPE DES MONATS! „Bball is Jazz“, sagt Holger Geschwindner, und da hat der Mann recht! Trotzdem gibt es an dieser Stelle in loser Reihenfolge das FIVE-Mixtape des Monats, damit ihr euch beim nächsten Heimspiel nicht zu den Greatest Hits von The Police warmmachen müsst, nur weil „der Anschreiber die so gerne hört“. Einfach den QR-Code einscannen, und schon landet ihr bei den FIVE-Playlists auf Spotify.

Scannt den Code, um direkt zum FIVE-Profil auf Spotify zu gelangen, und folgt uns, damit ihr keins der fetten Mixtapes verpasst! https://bit.ly/FIVE178

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mixtape FIVE #178 A Black Thoug ht – W Freddie elcom e to A Gibbs merica – Educ Ruhe ation & Bit – Elfe nbein Die P. – Neu er Tag EPMD – Da J oint Xzibit – Papa r azzi Kurtis Blow – Basket Wu-T ball ang Cl an – P rotect Ya Nec k

8 A FIVE #17

way B #178 Shum n o d hit r FIVE Go ork S loh – ew Y N – Mega e ymes a Gam a Rh for D Bust e v p o e a L – Cre For D TLC eff – J y z u z jitz DJ Ja hot – Spin My S avas S l da – o n a Ko ir M anuel Lin-M

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EINWURF

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Fotos: Vernon Biever/NBAE via Getty Images

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VORREITER & VORBILD

In seiner Kolumne „Einwurf“ schaut Christian Orban über den Spielfeldrand hinaus und schreibt über die weniger beachteten Aspekte der Basketballkultur. Text: Christian Orban

nde März ist Hall of Famer Elgin Baylor im Alter von 86 Jahren verstorben. Mit ihm hat die NBA einen einflussreichen Akteur verloren, der in mehrfacher Hinsicht ein Vorreiter war und zugleich für viele als Vorbild fungierte. Eine Würdigung der Liga- und Lakers-Legende. Zunächst sind da die imposanten Zahlen, die auf die Großartigkeit des Ausnahme-Basketballers Elgin Baylor hindeuten. So war er 1960 der erste NBA-Profi, der in einer Partie mehr als 70 Punkte auflegte. Nur Wilt Chamberlain, David Thompson und Kobe Bryant haben seine Ausbeute von 71 Zählern seither übertroffen. Nach wie vor ist Baylor der einzige Spieler, der die 60-Punkte-Marke in den NBAFinals durchbrochen hat (61 Zähler in Game Five der Endspielserie von 1962). In einer Playoff-Partie vermochte einzig und allein Michael Jordan mehr Punkte zu generieren. Über die Karriere gesehen können allein „MJ“ und Wilt einen höheren Punkteschnitt als „Elg“ (27,4) vorweisen. Auch war der erwiesene Profiscorer ein außergewöhnlicher Rebounder (13,5 pro Partie) – nämlich der einzige Spieler unter 1,98 Meter, der in der NBA-Bestenliste unter den Top Ten rangiert. Obwohl er erst mit 24 Jahren in der Liga debütierte und sich mit 30 Jahren eine schwere Knieverletzung zuzog, hat Baylor zudem die viertmeisten Berufungen ins All-NBA First Team erhalten (zehn). Lediglich Bryant, Karl Malone und LeBron James stehen hierbei noch vor ihm. Was den elffachen All Star indes vor allem auszeichnete, war sein avantgardistischer Spielstil. Schließlich war Baylor einer der ersten Athleten, die in der NBA das seinerzeit noch erdverbundene Spiel offensiv in die Luft brachten. Dabei bestach er weniger als Hochspringer im Stile eines Bill Russell – vielmehr brillierte er mit seiner famosen „Hang Time“ (checkt

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Baylors gleichnamige Autobiografie). So hatte der gewandte und gleichermaßen kraftvolle Flügelspieler erstaunliche laterale Bewegungen, eine ebensolche Körperkontrolle sowie Layups und Sidesteps zu bieten. Den heute populären Eurostep hatte „Mr. Inside“ etwa schon vor sechs Jahrzehnten in seinem umfangreichen Repertoire. Für viele junge Spieler war Baylor daher ein einnehmendes Vorbild. „Elgin war definitiv ein Innovator und seiner Zeit voraus“, betont beispielsweise Julius Erving, der dem Aushängeschild der Los Angeles Lakers einst voller Bewunderung nacheiferte. „Sein Zug zum Korb, diese Vielseitigkeit und Gewandtheit – das war eine Kunstform.“ Altmeister wie Abo-All-Star Vern Mikkelsen hoben überdies auf das ausgeprägte Spielverständnis des Virtuosen ab: „Der Versuch, Elgin Baylor etwas über das Basketballspiel beizubringen, wäre so, als würde man Picasso beibringen, wie man malt.“ Für eine der heute ruhmreichsten Franchises im US-Profisport war Baylor mit seiner Schöpfungs- und Strahlkraft ohnehin ein Heilsbringer. So führte er die Minneapolis Lakers, die im Vorjahr gerade mal 19 Siege verbucht hatten, als „Rookie des Jahres“ 1959 nahezu im Alleingang in die NBA-Finals. Derweil war er als Publikumsmagnet ein Garant für das Überleben der finanziell strauchelnden Lakers, die 1960 als erste NBA-Franchise an die Westküste abwanderten und alsdann in der „Stadt der Engel“ zum angesagten GlamourTeam avancierten. Kurz gesagt: Ohne einen der ersten Superstars der Liga gäbe es heute wohl keine Lakers. Dabei wusste Baylor um seinen Stellenwert und seine Plattform. Entsprechend nutzte er diese, um für die Gleichberechtigung schwarzer Profis und die Interessen der Spieler couragiert einzutreten. Nicht zuletzt, weil er früh einprägsame Erfahrungen gemacht hatte. Aufgewachsen im segregierten District of Columbia, hatte „Rabbit“ (wie Baylor als

Heranwachsender genannt wurde) erst mit 14 Jahren begonnen, organisiert Basketball zu spielen, da ihm zuvorderst der Zugang zu den Spielstätten verwehrt worden war. Als die Lakers während seiner Rookie-Saison in Charleston, West Virginia gastierten und ihm und seinen afroamerikanischen Mitspielern die Unterbringung im Teamhotel sowie der Service in einem Restaurant versagt wurden, beschloss Baylor, die Partie zu boykottieren. Seine Erklärung war unmissverständlich: „Ich liebe Basketball, und ich spiele sehr gerne in der Liga, aber nicht auf Kosten meiner Würde. Ich bin ein Mensch – und kein Tier, das man in einen Käfig sperrt und zur Show rauslässt. Sie werden mich nicht wie ein Tier behandeln.“ Es war in der NBA eine bis dahin beispiellose Protestaktion sowie ein ermächtigender Moment für den Aktivismus schwarzer Athlet:innen während der Hochphase der Bürgerrechtsbewegung. Dass Baylor nicht die Klappe hielt und dribbelte, bewies er auch 1964 beispielhaft. Seinerzeit drohten die NBA-Spieler, das All-StarGame, das erstmals im Fernsehen übertragen wurde, zu bestreiken, sollten die Teameigner ihre Gewerkschaft der NBPA nicht umgehend anerkennen. Durch die verbarrikadierte Tür der Umkleide drohte Lakers-Boss Bob Short wiederum, dass Baylor und Teamkollege Jerry West kein weiteres Spiel in der NBA bestreiten würden, wenn sie nicht einlenkten. Baylor ließ seinen Brötchengeber daraufhin deutlich wissen, dass dieser sich verziehen solle. Wenig später triumphierten die Profis, die wie „Mr. Inside“ nicht klein beigaben, sondern beherzt für substanziellen Wandel eintraten. Nicht umsonst konstatiert Julius Erving: „Elgin sollte das Vorbild sein.“ Schließlich war Baylor auf dem Hartholz sowie abseits davon ein „Game Changer“ – der zu Lebzeiten indes nie so recht die Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen schien, die er sich nachhaltig verdient hatte.


DAZN DAZN X FIVE:

NBA-TRADE-DEADLINE 2021 Es wächst zusammen, was zusammengehört! Ab sofort findet ihr an dieser Stelle DAZN x FIVE. Hier kommen die Kommentatoren und Experten eures LieblingsSport-Streamingdienstes zu Wort, um Themen rund um die NBA zu diskutieren. In diesem Monat geht es um die Frage: Welcher war der beste Trade der Deadline?

IMMER WEITER ROLLT DER BALL!

www.dazn.com

Was es in diesem Monat auf DAZN zu sehen gibt? Hier ein paar der absoluten NBAHighlights im Programm. Ach ja, und seit Anfang März läuft auch NBA.TV auf der Plattform. 17.04. 21.04. 23.04. 24.04. 25.04. 25.04. 29.04.

22:30 01:30 03:30 21:30 02:30 21:30 04:00

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Lakers vs. Jazz Nets vs. Pelicans Lakers vs. Mavericks 76ers vs. Bucks Lakers vs. Mavericks Suns vs. Nets Clippers vs. Suns

CHRISTOPH STADTLER

MARTIN GRÄFE

Gleich mal vorneweg: War es der wichtigste Trade? Nein. War es der sinnvollste Trade? Überhaupt nicht. Und dennoch finde ich den Wechsel von Norman Powell zu den Portland Trail Blazers richtig spannend. In Oregon heißt es ganz nach Rammstein: „Feuer frei!“ Powell hat in Toronto richtig stark gespielt – vor allem als die Stars Siakam und VanVleet wegen Corona raus waren. Der Typ hat abgeliefert – über die ganze Saison: 50 Prozent aus dem Feld, 44 Prozent getroffene Dreier, 19,6 Punkte pro Spiel. Ein Top-Mann für die Blazers. Die hatten bis dahin eine Top-6Offensive und eine katastrophale Defensive. Daran wird sich auch mit Powell nichts ändern. Na ja, vielleicht doch. Offensiv sind sie jetzt sogar noch einen Tick besser, defensiv aber halt eben nicht. Für Powell haben sie Gary Trent Jr. (starke Saison!) und Rodney Hood abgeben müssen. Hood ist eigentlich ein guter Bankspieler, diese Saison läuft es aber nicht wirklich für ihn. Gary Trent Jr. war für mich bisher ein Außenseitertipp auf den „Most Improved Player“-Award und wird den Blazers richtig fehlen. Vor allem weil er nach der Saison Restricted Free Agent wird, Powell dagegen Unrestricted Free Agent. Der wird den NBAMarkt im Sommer schön austesten. Jetzt also im Backcourt die Herren Lillard, McCollum und Powell. Ich höre schon wieder Rammsteins „Feuer frei!“ im Ohr. Schon ohne den Ex-Raptor haben sie in Oregon mit die meisten Dreier der Association genommen. Die Zahl dürfte noch mehr ansteigen. Wer Offensiv-Basketball liebt, muss sich ab jetzt die Trail Blazers geben. Ob das dann zum ganz großen Wurf reicht (Titel)? Ein klares „NEIN“. Zum Schluss noch der wahre Grund, warum der Powell-Trade für mich mit der spannendste zur Deadline war. 1998 wird Gary Trent Sr. – damals im dritten NBA-Jahr – nach 41 Saisonspielen von Portland nach Toronto geschickt. 23 Jahre später schickt Portland seinen Sohn Gary Trent Jr. ebenfalls nach Toronto. Und das in dessen drittem NBA-Jahr und nach 41 Saisonspielen für die Blazers … Come on!

Die Gewinner der Trade-Deadline kommen für mich aus Florida. Sorry Tampa, ich meine die Traditionsvereine des Bundesstaates. Zum einen gefällt mir der Rebuild des Rebuildversuchs der Magic. Seit dem Dwight-Howard-Trade 2012 hat Orlando ganze zwei Playoff-Spiele gewonnen. Jetzt hat man mit Markelle Fultz, Jonathan Isaac, Cole Anthony, Mo Bamba, Chuma Okeke, R.J. Hampton, Wendell Carter Jr. und einigen Picks ein handfestes Zukunftsprojekt. Man kann natürlich streiten, ob die Magic für Nikola Vucevic, Evan Fournier und Aaron Gordon genug Gegenwert bekommen haben. Aber es ist immerhin ein klarer Cut, und man sollte die 17 Millionen Dollar schwere TradeException, die die Magic zusätzlich von den Celtics bekommen haben, nicht vergessen – die können sie noch für einen Spieler eintauschen. Den mit Abstand besten Trade haben aber die Heat eingefädelt. Victor Oladipo für Avery Bradley, Kelly Olynyk und einen PickSwap 2022. Damit haben wir wieder einen Vierkampf um den Titel im Osten mit den Nets, 76ers, Bucks und jetzt wohl auch wieder den Heat. Miami is back. Und: Oladipo is back. Das zeigen zumindest seine Zahlen in dieser Saison. Er spielt überraschend dynamisch und legte für die Rockets zuletzt 21,2 Punkte, 4,8 Rebounds und 5,0 Assists im Schnitt auf. Miami bekommt einen ehemaligen All Star, der seinerseits in der Vergangenheit durchblicken ließ, für die Franchise spielen zu wollen. Win-win. Aber es wird noch besser für die Heat. Der Guard wird im kommenden Sommer Free Agent. Heißt: Während Oladipo in den kommenden Monaten helfen soll, einen Titel an den South Beach zu holen, können die Verantwortlichen um Pat Riley und General Manager Andy Elisburg analysieren, wie gut der 28-Jährige zur „Heat Culture“ passt. Falls es nicht funktioniert, hat man im Sommer ordentlich Cap Space für die anstehende Free Agency. Auch die Verträge von den gerade verpflichteten Trevor Ariza und Nemanja Bjelica laufen dann aus. Pat Riley ist halt einfach der „Godfather“. Fassen wir zusammen: Floridas Gegenwart gehört den Miami Heat, Floridas Zukunft gehört Orlando – und Tampa gehört eh eigentlich zu Kanada, zumindest in diesem Jahr.

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Fotos: Kent Smith/Martin Hangen/Euroleague Basketball via Getty Images

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five-prospects P rospects

Jason George

in Foul. Mehr konnte und durfte Jason George bei seinem Euroleague-Debüt am 21. Januar 2021 leider nicht beitragen. Sein Team, der FC Bayern München, kam in Mailand mit 51:75 gehörig unter die Räder. Und George zu seinen ersten 1:16 Minuten Einsatzzeit in der Euroleague. Deutlich längere Einsätze erhält der 2,02 Meter große Flügelspieler in der ProB, wo er mit der Münchner Reserve eine sehr gute Rolle spielt. Dort ist George, der am 21. Mai 20 Jahre alt wird, ein Leistungsträger, der starke Zahlen auflegt: 19,4 PPG, 2,1 APG und 5,3 RPG bei ordentlichen 47,3 Prozent aus dem Feld in fast 30 Minuten pro Partie. Seit seinen Zeiten als JBBL-Spieler in Urspring eilt George der Ruf voraus, zu den größten deutschen Talenten seines Jahrgangs zu gehören. Ein Ruf, den er im Trikot der Bayern(-Reserve) untermauert. Jason George ist ein geschmeidiger, recht explosiver Spieler mit Hangtime. Diese nutzt er nicht nur für gelegentliche Highlight-Plays, sondern insbesondere aus der Mitteldistanz: Sein Sprungwurf aus dem Dribbling, oft angebracht nach einigen Täuschungen, ist eine starke Waffe. Mit Wade Baldwin IV hat er in dieser Hinsicht im Profikader der Bayern einen sehr guten Lehrmeister. Ähnlich wie Baldwin ist George ein guter Eins-gegen-eins-Spieler und profitiert von einer hervorragenden technischen

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Jeden Monat stellt euch Peter Bieg an dieser Stelle die größten Talente Europas und Deutschlands vor. Text: Peter Bieg

Grundausbildung. Seine „Beinarbeit“, in Form von Eurosteps oder Spinmoves aus voller Geschwindigkeit, ist hier hervorzuheben. Seinen Sprungwurf trifft er aber nicht nur aus der Mitteldistanz, auch aus dem Catch-andShoot von jenseits der Dreierlinie (38,5 3P% in der ProB) ist George gefährlich – mit einem sehr sauberen Jumper samt hoher Flugkurve und vorbildlichem Follow-Through. Im Gegensatz zu Baldwin ist George allerdings kein primärer Dribbler, sondern ein Flügel, der den Ball gelegentlich nach vorne bringen und das Pick-and-Roll einleiten kann. Offensiv ist der Deutsche multidimensional und damit sehr wertvoll. In der Defense und beim Rebounding helfen ihm seine körperlichen und athletischen Voraussetzungen enorm. Absurde 19,4 Rebounds im Schnitt sammelte er in der JBBLSaison 2016/17 ein, in der ProB sind es aktuell 5,3 Bretter im Schnitt. Am Ball kann er mit langen Armen und guten Seitwärtsbewegungen viel Druck erzeugen. Im Worst Case sollte George zu einem brauchbaren Three-and-D-Spieler auf Euroleague-Niveau werden. Doch wer seine Partien sieht, erkennt früh, dass deutlich mehr drin ist. Die kommenden Spielzeiten werden zeigen müssen, ob sich George mit dem FCBB den richtigen Ausbildungsverein ausgesucht hat – und in der Euroleague mehr als ein Foul beitragen darf. redaktion@fivemag.de

Jason George Geburtstag: 21. Mai 2001 Größe: 2,02 Meter Gewicht: 88 Kilogramm Position: Shooting Guard Verein: FC Bayern München

Stats: 19,4 PPG, 2,1 APG, 5,3 RPG, 29,5 MPG, 47,3 FG%, 38,5 3P% (ProB 2020/21)

QR-code: Hier einige Highlights von George aus der Saison 2020/21. http://bit.ly/ JGeorgeFCBB


LaMelo Ball

LaMelo Ball

skills-check

LaMelo Ball galt bis zu seinem Handgelenksbruch als sicherer „Rookie of the Year“. Höchste Zeit also für einen Skills-Check des 19-jährigen Aufbaus. Text: Jens Leutenecker

Name: LaMelo Ball Position: Point Guard Geburtstag: 22.08.2001 Größe: 1,98 Meter Gewicht: 81 Kilo Verein: Charlotte Hornets Erfahrung: 1 Saison

Stats 2020/21: 20,0 PPG || 7,4 RPG 7,7 APG || 2,0 SPG 37,5 3P% || 111,0 ORTG 52,8 eFG% || 18,5 PER (PER 36 MIN.)

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5,9 Punkte, 5,9 Rebounds, 6,1 Assists – LaMelo Ball legt in seiner Rookie-Saison beeindruckende Zahlen auf und ist der Offensivmotor der Charlotte Hornets. Obwohl das Team aus North Carolina mit Gordon Hayward, Terry Rozier und Devonte’ Graham über drei weitere Pick-and-RollSpieler verfügt, gab Coach James Borrego dem 19-Jährigen im Laufe der Spielzeit die Schlüssel für den Angriff in die Hand. Knapp elf Pick-and-Rolls laufen durch die Hände von Ball, der es versteht, die Mitspieler in Szene zu setzen. 55 Prozent dieser Pick-and-Rolls enden mit einem Pass zum Mitspieler, und die gestiegenen Wurfquoten von Hayward und Rozier begründen das Vertrauen der Topspieler in den Rookie. Hayward und Rozier werfen und treffen ihre direkten Dreierversuche etwas häufiger als in den vorangegangenen Spielzeiten, die Pässe von Ball finden also die Mitspieler. Dabei ist der Youngster kein Spieler wie Luka Doncic, der Defensivreihen mit Pass- oder Blicktäuschungen manipuliert, per Snake-Drive das Tempo variiert oder den Gegner auf den Rücken nimmt, um dann den perfekten Pass zu spielen. LaMelo Ball nutzt den Block, um seine Athletik auszuspielen. Er ist schnell und wendig, schlängelt sich durch kleinste Verteidigungslücken hindurch und kreiert „Paint Touches“. Das ist zwar nicht immer strukturiert, aber LaMelo Ball kreiert Vorteile für seine Mannschaft. Dabei reiht er sich mit diesem Spielstil in die Riege US-amerikanischer Guards ein, die nicht in einem Pick-and-Roll-lastigen Spielsystem aufgewachsen sind. Drive-and-Kick Im Gegensatz zur Ausbildung eines Luka Doncic oder Dennis Schröder steht bei vielen amerikanischen Programmen

das Fastbreak-Spiel und die „Driveand-Kick-Offense“ im Vordergrund. Das Ziel ist es, aggressiv die Zone zu attackieren. Und genau das ist für die Charlotte Hornets extrem wichtig, um ihre unterdurchschnittliche Halbfeld-Offensive zu verbessern. Wenn Ball in die Zone kommt und den Spalding dann auf die Shooter hinter der Dreierlinie spielt, agieren die Hornets deutlich effizienter als mit Hayward, Rozier oder Graham als Ballhandler. 115 Punkte auf 100 LaMelo-Pässe nach dem Pick-and-Roll erzielen die Hornets, damit rangieren sie im oberen NBA-Drittel. Das Vertrauen in den Liganeuling liegt auch darin begründet, dass alle anderen Pickand-Roll-Spieler in den Reihen von Charlotte eine eher unterdurchschnittliche Offensive vorzuweisen haben. Beim individuellen Scoring erinnert der 19-jährige Ball phasenweise an den jungen (noch verletzungsfreien) Derrick Rose. Mit seinem athletischen Spiel, dem unbändigen Drang zum Korb und schnellen Richtungswechseln erzielte Rose 2010/11 nicht nur 25 Punkte und fast acht Assists, sondern wurde gleichzeitig zum jüngsten MVP der NBA-Geschichte gewählt. Dieses Level hat LaMelo Ball natürlich noch nicht erreicht, aber die Spielweise ähnelt sich doch sehr. Der junge Point Guard muss sich Schritt für Schritt Lösungen für verschiedene Verteidigungsvarianten erarbeiten. Aggressive „Hedge“-Verteidigungen attackiert LaMelo Ball mit schnellen Pässen. Extrem passive Varianten, wenn der Verteidiger unter dem Block durchgeht und der Centerspieler in der Zone parkt, kann er mit einem komplett freien Dreier bestrafen. Aber sämtliche Grautöne bereiten dem 1,98 Meter großen Guard trotz internationaler Erfahrung in Litauen und Australien noch ziemliche Probleme.

Alle Pick-and-Roll-Abschlüsse, die nicht mit einem Layup-Versuch enden, muss LaMelo Ball hochprozentiger verwerten: Dreier aus dem Dribbling finden in nur knapp 30 Prozent aller Versuche ihr Ziel, und Floater-Bewegungen am Zonenrand verwertet Ball mit weniger als 40 Prozent. Zwischenfazit: Während Ball in klaren Verteidigungssituationen wie zum Beispiel bei einem Switch oder im Einsgegen-eins seine Athletik auszuspielen weiß, muss das individuelle Scoring im Pickand-Roll noch besser werden. Pace-and-Space 12 Punkte mehr pro Partie, fast doppelt so viele Dreierversuche und 25 Prozent mehr Fastbreak-Abschlüsse – die National Basketball Association hat sich in den vergangenen zehn Jahren offensiv fundamental verändert! Und was wäre ein Sohn von LaVar Ball ohne Fastbreak-Fähigkeiten? Genauso wie sein Bruder Lonzo schmeißt LaMelo den Offensivmotor im Handumdrehen an, und die Hornets profitieren davon. Lediglich die Milwaukee Bucks schließen häufiger im Fastbreak ab, wenngleich mit deutlich schwächerer Wurfquote. LaMelo pusht den Ball und kreiert mit eigenen Punkten und Assists knapp zehn Zähler für Charlotte. Das schnelle Spiel hat dennoch seine Schattenseiten, denn fast jeder fünfte Fastbreak-Angriff mit Ball als ballführendem Spieler endet in einem Turnover. Fazit: LaMelo Ball ist ein talentierter Spieler, der mit Athletik und Kreativität Partien beeinflussen kann. Mit verbessertem Pick-and-RollScoring und etwas mehr Spielkontrolle könnte der junge Point Guard eine sehr erfolgreiche NBA-Karriere hinlegen. redaktion@fivemag.de

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Bei der geburt getrennt

twenty four seconds Calvin Candie

Tomas Satoransky 12

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nter Bestätigungsfehler aka Confirmation Bias versteht man in der Psychologie die Neigung, eigene Annahmen und Erwartungen zu bestätigen. Alle Informationen und Umstände werden unbewusst so ausgewählt, gedeutet und gewichtet, dass sie in das bereits bestehende Weltbild passen. Wer beispielsweise glaubt, dass Klimawandel und globale Erwärmung großer Quatsch ist, findet sich schnell in FacebookGruppen und Message Boards wieder, wo alle Mitglieder derselben Meinung sind. Man tendiert dazu, Nachrichten-Outlets zu folgen, die „beweisen“, dass Global Warming nicht existiert, und man neigt dazu, Freunde zu haben, die einem bei dem Thema zumindest nicht widersprechen. Es wird automatisch ein Umfeld geschaffen, in dem unsere Überzeugungen immer wieder bestätigt werden. Alles, was diesen Überzeugungen widerspricht, wird als Unwahrheit identifiziert, weil alles um einen herum ja sagt, dass man recht hat. Somit ist der Bestätigungsfehler vielleicht die am weitesten verbreitete Form der Wahrnehmungsverzerrung. Was hat das Thema hier in der FIVE verloren? Ganz einfach. Wie Frauenbasketball auf der Welt und insbesondere in der NCAA gesehen wird, ist meiner Meinung nach ein Musterbeispiel für Confirmation Bias. Frauenbasketball – so die Denke – ist dem Männerbasketball weit unterlegen, langweilig und unspektakulär, dementsprechend fließen sowohl Gelder als auch Medienaufmerksamkeit fast ausschließlich in das alljährliche NCAA-Turnier der Herren. Eine Milliarde Dollar, um genau zu sein, generiert die NCAA allein durch die TV-Einnahmen der March Madness. Demgegenüber stehen nur 35 Millionen Dollar an TV-Einnahmen für das March-MadnessTurnier der Frauen. Die Herren bekommen in der Turnier-Bubble einen Kraftraum für Olympioniken, die Frauen zwölf Kurzhanteln, eine Yogamatte und einen Heimtrainer. Die Herren werden mit dem zuverlässigen PCR-Test auf Covid getestet, die Frauen mit dem unzuverlässigeren (und preiswerteren)

Antigen-Test. Das Essen ist zudem schlechter, und die Goodie Bags sind kleiner. Auf dem Court der Herren prangt in großen Lettern das offizielle und weltbekannte March-Madness-Logo. Auf dem Court der Frauen steht „NCAA Women’s Basketball“. Faktisch richtig, aber doch so falsch. Als die Rutger University vor einigen Wochen den haushohen Favoriten Clemson aus dem Turnier kickte, erklärte der US-Sender CBS überschwänglich, es wäre der erste Rutgers-Sieg seit 1983 gewesen. Falsch. Rutgers hat seit 1983 jede Menge Siege im NCAA-Turnier verbucht. 36, um genau zu sein. Aber da das die Frauen waren, zählt es wohl nicht. „Sie generieren das ganze Geld, deshalb sollten sie auch die ganze Aufmerksamkeit bekommen“ – es ist derselbe Trugschluss wie in der Debatte „Frauenfußball vs. Herrenfußball“. Ist es nicht vielmehr so, dass der Frauenbasketball nicht einmal die Chance hat, Geld zu generieren, wenn der Sport keine Aufmerksamkeit bekommt und die Athletinnen ständig minderwertig behandelt werden? Vom Frauenbasketball erwartet man niedrige Einschaltquoten und weniger Spannung, deshalb werden genau diese Erwartungen auch immer wieder bestätigt. Wenn die NCAA-Entscheider es anders sehen würden, wäre es anders, weil sie automatisch darauf hinarbeiten würden. Dabei ist der Frauenbasketball momentan so stark wie noch nie. In der NCAA tummeln sich derzeit viele junge Talente, von denen die ganze Welt sprechen würde, wenn es Männer wären. Die Freshman-Phänomene Paige Buckers (UConn), Caitlin Clark (Iowa) und Hailey van Lith (Louisville) sind schon jetzt im ersten Jahr überragende Spielerinnen, die nicht nur das Talent, sondern auch den Mamba-Mentality-Killerinstinkt haben, der vielen Frauen abgesprochen wird. Haley und Hanna Cavinder (Fresno State) sind eineiige Zwillinge, die nahezu identische Top-Stats für ihr Team abliefern. Wie beim Thema Klimawandel erwarte ich nicht von jedem, dass er nach dem Lesen dieser Kolumne hundertprozentig an Frauenbasketball glaubt. Aber es würde schon helfen, wenn man dem Thema gegenüber aufgeschlossen ist und ihm eine faire Chance gibt. Damit aufzuhören, sich selbst zu belügen und das Leben ausschließlich in einer sich selbst bestätigenden Bubble zu verbringen, ist für alles im Leben ein wichtiger erster Schritt. Für alle, die Basketball lieben, sollte Frauenbasketball keine Ausnahme sein. #SheGotGame Robbin Barberan (Editor-in-Chief, KICKZ.com)

Fotos: Scott Audette/C. Morgan Engel/Noah Graham/NBAE via Getty Images

- kollisionskurs Der Bestätigungsfehler

Bei der geburt getrennt

kollisionskurs


nba-plays

At l a n t a H a w k s 1

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4

A

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Trae Young (1) nutzt den Block von Danilo Gallinari (4), um auf den Flügel zu dribbeln. Gleichzeitig schneidet John Collins (5) in den ballfernen Lowpost.

B

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Young passt den Ball zum nach außen poppenden Gallinari, der eventuell schon werfen kann, sollte sein Verteidiger bei Young zu sehr ausgeholfen haben. Collins schneidet durch die Zone auf die andere Seite.

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C

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Gallinari dribbelt jetzt auf Kevin Huerter (2) zu, der Shooting Guard läuft seinerseits aus der Ecke zu seinem Big Man. Young verschiebt sich weit von der Dreierlinie nach außen – wohl wissend, dass sein Verteidiger ihm auch dorthin halbwegs folgt.

1

D

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HO

2

Laufweg

Atlanta Hawks

Pass Dribbling Block HO Handoff

5

3

Gallinari und Huerter spielen einen Handoff, der Guard passt den Ball jedoch sofort zum nach oben schneidenden Collins und positioniert sich hinter der Dreierlinie.

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Die Atlanta Hawks ersetzten Lloyd Pierce durch Nate McMillan und starteten direkt in der Tabelle durch. Warum? Text: André Voigt

I

n Atlanta waren sie zur Saisonhalbzeit ziemlich enttäuscht. Na klar. Im Sommer mit Danilo Gallinari und Bogdan Bogdanovic prominent verstärkt, stotterte der Motor zu Beginn. Das lag an den Verletzungen der Neuzugänge, aber auch an unterschiedlichen Basketballphilosophien … nämlich denen der Spieler und des Cheftrainers. Also musste der Coach gehen und wurde durch seinen Assistenten ersetzt. Doch Nate McMillan ist ein alter Hase. Der ehemalige Point Guard stand schon als verantwortlicher Übungsleiter in Seattle, Portland und zuletzt Indianapolis an der Seitenlinie. Und so wusste McMillan, was zu tun war. Er bremste das Spieltempo runter, rangierte in den ersten zehn Spielen seiner Amtszeit ligaweit in

Sachen Offensiv- und Defensivrating in den Top 10. Die Hawks gewannen die ersten acht Partien unter McMillan. Wie nachhaltig der Aufschwung ist, wird sich aber erst noch zeigen müssen. Unter den acht Siegen fanden sich nur zwei gegen Teams auf einem Playoff-Platz. Die Miami Heat mussten bei ihrem Matchup mit Atlanta auf Jimmy Butler verzichten, bei den Lakers fehlte Anthony Davis – und LeBron James verletzte sich bereits in der ersten Halbzeit. Direkt nach dieser Serie setzte es zwei Niederlagen gegen die Clippers und Kings. Auf jeden Fall sind die Hawks zurück im Playoff-Geschäft und mit voller Kapelle ein gefährliches Team, das fünf Dreierschützen gleichzeitig aufs Parkett schicken kann. So wie bei diesem Spielzug …

E

2

4

3

Collins spielt einen kurzen Pass zu Young, läuft auf ihn zu, täuscht den Screen aber nur an. Young penetriert sofort.

F

5 2

3

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Collins füllt an der Dreierlinie auf, Young hat nun alle Optionen: selbst abschließen oder einen der vier Schützen an der Dreierlinie bedienen.

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24 twenty four seconds

Legenden-Liebling des Monats

LEGENDEN-LIEBLING DES MONATS

MJ, Magic, Larry, Kobe … sie sind die unsterblichen Legenden, die jeder kennt. An dieser Stelle wird aber ab sofort der Baller gedacht, die keine Überstars waren, aber auf die eine oder andere Art einfach Kult – die LegendenLieblinge des Monats!

G

ibt es bessere Spitznamen als „The Boston Strangler“? Natürlich, aber nicht viele … also wenn es um Basketball geht. Und dieser Nickname war wohlverdient. Als Andrew Toney 1980 in die NBA kommt, hat er mit Boston oder überhaupt dem Nordosten der USA wenig bis gar nichts zu tun. Geboren in Alabama, besucht er später die Southwestern Louisiana University (heute: University of Louisiana at Lafayette). Dort liefert der 1,90 Meter große Shooting Guard in vier Jahren als Scorer auf allerhöchstem Niveau ab. 26,1 Zähler im Schnitt sind es in seinem letzten Unijahr – damals noch ohne Dreierlinie. Toney verfügt über einen unwiderstehlichen Antritt, wirft viel aus der Mitteldistanz und zieht immer wieder das Foul, sodass er sehr oft zum And-One an die Linie geht. Dass er in Louisiana an einer relativ unbekannten Uni spielt und sein unorthodoxer Wurf keinem Lehrbuch entsprungen ist, tut der Begeisterung in der NBA keinen Abbruch. Auch seine dünnen „nur“ 1,90 Meter für einen Shooting Guard schrecken die Manager nicht ab. „Der Junge ist ein sicherer Erstrundenpick“, erklärt Knicks-Macher Dick McGuire 1980 in der „Sports Illustrated“. Genau dazu machen die Philadelphia 76ers Toney am 10. Juni 1980. Als achter Rookie hört er seinen Namen

14

und legt in der Folge direkt los. 12,9 Punkte plus 3,6 Assists sind es als Liganeuling. Im Folgejahr steigert er sich auf 16,5 und 3,7, hinzu kommt eine für einen kleinen Guard grandiose Trefferquote von 52,2 Prozent. „Als ich zu den Sixers kam, war es für mich viel einfacher als am College. Niemand hat mich in der NBA gedoppelt oder sogar mit drei Spielern verteidigt. Gegen mich wurde Box-and-One und Triangle-and-Two gespielt – damals habe ich alles gesehen“, erklärt Toney später. „In der NBA war es total einfach zu scoren. Es war schon lange her, dass ich es nur mit einem Verteidiger zu tun hatte.“ Der Grund, warum Toney sich einer geringeren Aufmerksamkeit erfreut? Die 76ers schicken damals ein Veteranenteam ins Rennen, das von Julius „Dr. J.“ Erving, Mo Cheeks, Darryl Dawkins und Bobby Jones angeführt wird. Vor allem der „Doctor“ wird öfter gedoppelt, was auch für Toney Räume öffnet. „Doc nahm mich damals auch unter seine Fittiche“, so Toney. „Als ich nach Philly kam, kannte ich absolut niemanden. Er nahm mich Weihnachten mit nach New York zu seiner Familie. Überall wo er hinging, ging ich mit.“ Toney ist aber schnell viel mehr als nur als eine Klette. Im Meisterschaftsjahr 1982/83 ist er hinter Moses Malone (24,5 Punkte) und Irving (21,4) drittbester Scorer

des Teams mit 19,7 Zählern. Er verteilt die zweitmeisten Assists (4,5) und avanciert immer mehr zum Mann für die ganz großen Momente. Vor allem, wenn es gegen die verhassten Rivalen aus dem Norden geht … die Boston Celtics. „Ich wünschte, wir hätten Andrew Toney gehabt“, erinnert sich Larry Bird Jahre später. „Er war ein Killer. Wir nannten ihn den ‚Boston Strangler‘, weil er immer punktete, wenn er den Ball gegen uns bekam. Er war der absolut Beste, den ich je gesehen habe, wenn es darum ging, in den wichtigen Momenten zu werfen.“ Diese Einschätzung teilt auch ein Konkurrent vom anderen Ende der USA. „Er ist der großartigste Clutch-Player, den ich je gesehen habe“, adelt der damalige LakersCoach Pat Riley. Leider endet die Karriere von Toney bereits im Alter von 30 Jahren. Ermüdungsbrüche in beiden Füßen sorgen für Schmerzen während der Saison 1984/85. Toney hat gerade einen lukrativen neuen Vertrag unterschrieben, und 76ers-Boss Harold Katz glaubt seinem Star nicht, dass er wirklich verletzt ist. „Damals war die Sportmedizin noch nicht so weit“, erklärt Toney. In seinen letzten drei NBA-Saisons absolviert der zweifache All Star insgesamt nur 87 Partien – in seiner dreijährigen Hochzeit liefert er 19,3 Punkte und 4,8 Assists bei einer Quote von 50,7 Prozent.

Vor einer Partie gegen die Lakers hörte Toney, dass Michael

Charles Barkley sagt bis heute, dass Andrew Toney

„Ich hatte mehr Angst vor Andrew Toney als vor Michael

Cooper ein Defensivspezialist sei. Toney wollte wissen, was das

der beste Spieler war, mit dem er jemals in einem

Jordan“, sagt Danny Ainge. Kein Wunder, im Ost-Finale

sein sollte … dann legte er 46 Punkte auf und fragte danach in

Team stand: „Dr. J und Moses Malone waren bereits

1982 gegen die Celtics legte Toney 30 (2. Spiel), 39 (4.)

der Kabine: „Wer war jetzt der Defensivspezialist von denen?“

im Herbst ihrer Karriere, als ich nach Philly kam.“

und 34 Punkte (7.) auf dem Weg in die NBA-Finals auf.

Fotos: Thearon W. Henderson/Joe Murphy/Nathaniel S. Butler/ Dick Raphael/NBAE via Getty Images/Brian Bahr /Allsport

ANDREW TONEY


sneakers

SNEAKER HALL OF FAME: NIKE FOAMPOSITE ONE FIVE hat eine eigene Hall of Fame eröffnet! Ab sofort nehmen wir jeden Monat einen herausragenden Sneaker der Basketballschuhgeschichte in unsere Ruhmeshalle auf. Der „Inductee“ in diesem Monat? Der „Nike Foamposite One“.

DID YOU KNOW? Die Original-Gussform des Foamposite wurde zerstört. Obwohl dafür 750.000 Dollar ausgegeben wurden, dachte niemand daran, sie nach dem Auslaufen der ersten Serie aufzuheben.

D

rei Jahre sind eine lange Zeit. Vor allem, wenn dir so gut wie jeder sagt, dass diese Sache, an der du in diesen Jahren getüftelt hast, einfach unmöglich ist. Eric Avar ließ sich dennoch nicht von seinem Weg abbringen, der mit einer verrückten Idee begann. „Da war diese Idee: Was, wenn du im wahrsten Sinne des Wortes deinen Fuß in dieses flüssige Material tauchen könntest und es einfach an deinem Fuß haften würde? Was, wenn du darin Basketball spielen könntest?“, erinnert sich Avar, Lead Designer bei Nike und Mitte der 90er Jahre Mitglied von A.P.E. (Advanced Product Engineering), der Ideenfabrik von Nike. Schnell stand fest, dass das Upper des Schuhs aus Plastik sein müsste, ein absolutes Novum. Damals gab es quasi kein hartes Plastik in Basketballschuhen. Die damals vorherrschenden Materialen waren Leder, Wildleder oder Gummi. Die Fabriken, die den „Foamposite One“ für Nike herstellen sollten, lehnten zu Beginn eine Zusammenarbeit mit der Firma aus Oregon ab. Der Fertigungsprozess schien zu kompliziert, um in Massenproduktion zu gehen. Deshalb handeln sich Avar und Nike einen Korb nach dem anderen in der ganzen Welt ein … bis sie in Südkorea fündig werden. Daewoo ist eigentlich als Automarke

bekannt. Hinter dem Namen verbirgt sich jedoch ein Mischkonzern, der neben der Automobilindustrie zum Beispiel auch noch im Schiffbau, der Stahlverarbeitung, der Waffenindustrie und im Finanzsektor tätig ist. Daewoo fertigt eine spezielle Gussform für Nike an, in der das Polyurethan – also der Kunststoff, der das Upper bilden soll – gegossen wird. Bei einer Temperatur von 54 bis 77 Grad Celsius wird das Material ausgehärtet, bevor es weiterverarbeitet werden kann. Komplizierter geht es eigentlich kaum … und teurer auch nicht. Eigentlich soll das Endergebnis Scottie Pippens neuer Schuh werden, der findet die Foamposites aber hässlich. Also nimmt Avar einen Prototyp des neuen Schuhs mit zu einem Meeting mit Penny Hardaway, bei dem der dritte Schuh des Point Guards diskutiert werden soll. „Ich wollte Penny den Prototyp gar nicht zeigen“, erinnert sich Avar. „Aber er sah ihn in dem Sack, den ich dabeihatte, fragte: ‚Welche sind das denn?‘, und zog sie heraus. Ich erklärte ihm, dass es ein Prototyp sei und wir noch am Konzept feilen würden. Er fiel mir ins Wort und sagte nur: ‚Das ist er! Das soll mein nächster Schuh sein!‘“ Und das wurde er auch. Allerdings waren die Foamposites aufgrund des heftigen Preises von 180 Dollar und des superfuturistischen Designs kein sofortiger Hit.

NAME: FOAMPOSITE ONE HERSTELLER: NIKE DESIGNER: ERIC AVAR JAHR: 1997 PREIS: 180 DOLLAR OG-FARBEN: ROYAL BLUE

Für die NBA war der RoyalBlue-Colorway nicht dunkel genug, um zu den Trikots der Orlando Magic zu passen. Also malte Penny mit einem Edding schwarze Streifen auf seine Sneakers.

Nicht Hardaway, sondern Mike Bibby (damals noch an der University of Arizona) war der Erste, der öffentlich die Foamposites trug.

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one-on-one

T r a e Yo u n g v s . C o l l i n S e x t o n

TRAE YOUNG Geburtstag: 19. September 1998 Größe: 1,85 Meter Gewicht: 81 Kilo Erfahrung: 3 Saisons

Stats 2020/21*: 27,0 PPG || 4,3 RPG 9,8 APG || 0,8 SPG 4,5 TPG || 47,0 FG% 36,8 3P% || 87,2 FT%

Advanced Stats: 22,8 PER || 32,6 USG 59,2 TS% || 6,5 RBR 45,3 AST**

T

rae Young runs the show!“ Wenn man gegen die Atlanta Hawks gewinnen möchte, muss man Trae Young stoppen. Unglaubliche 26 Pickand-Rolls läuft er pro Partie und ist damit nur einer von sechs NBA-Profis, die 2020/21 mehr als 20 Pick-and-RollAngriffe pro Spiel leiten. In den beiden Spielzeiten seit unserem One-on-One über ihn in FIVE #161 hat sich Trae Young enorm weiterentwickelt – und das gleich in mehreren Kategorien. Das größte Pfund des 22-Jährigen ist seine Wurfstärke aus dem Dribbling. Eine Dreierquote von mehr als 40 Prozent bei Pick-and-RollJumpern ist ein wahnsinnig guter Wert, nicht selten drückt Young kurz nach der Mittellinie ab. Für genau drei Spieler in der NBA ist dieser Wurf kein schlechter: Stephen Curry, Damian Lillard und eben Trae Young. Diese exzellente Fähigkeit nutzt er aus, um die Verteidigung konstant unter Druck zu setzen und aggressiv an die Dreierlinie herauszutreten. Young dribbelt um die Verteidiger herum und bedient anschließend seine Shooter an der Dreierlinie oder den abrollenden Center. Nur vier NBA-Mannschaften erzielen mehr Punkte nach Pick-andRoll-Pässen als die Hawks, und Trae Young zeichnet verantwortlich für Volumen und Effizienz. Eine Switch-Verteidigung gegen Atlantas Point Guard ist nicht wirklich eine Option: Er punktet entweder per Sprungwurf oder mit einem Drive zum Korb hochprozentig und bestraft Defensivrotationen mit seinem Passspiel. Kurzum: Wenn „Ice Trae“ die Show läuft, dann agiert Atlantas Offensive auf Hochtouren. 119 Punkte pro 100 Angriffe mit Young auf dem Spielfeld sind auf einem Level mit Damian Lillard, Stephen Curry oder Luka Doncic. Bessere Trefferquoten und weniger Ballverluste sind die magischen Elemente für die große „Trae Young Show“.

ONE-ON-ONE Leichtbau-Point-Guards mit schnellem Wurf? Trae Young und Collin Sexton sind welche … doch wer von beiden ist besser? Text: Jens Leutenecker 16


Fotos: Scott Cunningham/Nick Falzerano/NBAE via Getty Images

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er beste Spieler einer schlechten Mannschaft ist noch lange kein guter NBA-Spieler! Diesen Vorwurf hört Collin Sexton nicht selten, und mit Blick auf die Advanced Stats muss man sagen: Da ist etwas dran … Sexton spielt die meisten Minuten, nimmt die meisten Würfe und erzielt mit Abstand die meisten Punkte. 24,0 Zähler und 4,3 Assists bei 2,8 Ballverlusten – ein Playmaker der alten Schule ist Sexton definitiv nicht. Fast zwei von drei Pick-andRolls enden mit einem SextonAbschluss, damit befindet sich der 1,85 Meter große Guard in einer Reihe mit „Score-first-Spielern“ wie Kyrie Irving oder Donovan Mitchell. Der Vergleich mit den beiden hinkt jedoch deshalb, weil deren Passqualität um ein Vielfaches besser ist als Sextons Anspiele auf die Mitspieler. 100 Pässe ihrer Stars verwerten die Jazz und die Nets zu knapp 120 Punkten – die Cavs erzielen nach Sextons Anspielen nur 98 Zähler. Natürlich steht bei den Cavaliers kein Kevin Durant, James Harden oder Joe Ingles an der Dreierlinie, aber Sextons Pässe gleichen eher einer Notlösung denn einer Strategie. „Ich kann selbst punkten, warum also den Ball weiterspielen?“, das scheint Sextons Devise im Pickand-Roll zu sein. Das eigensinnige Spiel ist aus Sextons Sicht nicht unbegründet, denn er kann den Ball durchaus im Korb unterbringen. Neun Pick-and-Roll-Abschlüsse sucht er pro Spiel und kommt dabei auf eine effektive Trefferquote von 52 Prozent. Zudem ist sein FastbreakScoring beachtlich, mit knapp fünf Punkten pro Spiel bei exzellenter Effizienz gehört er zu den besten Transition-Spielern der NBA. Zwischenfazit: Die Cleveland Cavaliers mit Topscorer Collin Sexton sind sehr gut in Transition und sehr schlecht in der Halbfeld-Offensive.

FAZIT *Auf 36 Minuten Spielzeit hochgerechnet **PER – Player Efficiency Rating, USG – Usage Rate, TS% – True Shooting Percentage, AST – Assistrate, RBR – Reboundrate

COLLIN SEXTON Geburtstag: 04. Januar 1999 Größe: 1,85 Meter Gewicht: 86 Kilo Erfahrung: 3 Saisons

Stats 2020/21*: 24,1 PPG || 2,8 RPG 4,3 APG || 1,1 SPG 2,9 TPG || 50,6 FG% 39,1 3P% || 80,8 FT%

Advanced Stats: 17,2 PER || 28,6 USG 57,3 TS% || 4,3 RBR 21,2 AST**

Das Urteil lautet ganz klar: Trae Young ist der bessere Spieler. Er kreiert mit eigenen Wurfversuchen und Assists mehr als 45 Punkte pro Spiel, das können nur wenige NBA-Profis. Die Frage lautet aber: Wie gut muss Youngs Offensive sein, damit er seine Defensivschwächen auf hohem Level kaschieren kann? 115 Punkte pro 100 Angriffe erlauben die Hawks mit ihm in der Defense, und beim defensiven Real Plus-Minus liegt er auf Platz 84 von 86 Point Guards.

Die Atlanta Hawks und Interims-Coach Nate McMillan müssen einen Weg finden, Trae Young defensiv entweder zu verstecken oder ihn tatsächlich zu verbessern, damit er in möglichen Playoffs nicht unspielbar wird. Collin Sexton hat noch einen weiten Weg vor sich, und der erste Schritt sollte sein, dass er Basketball als Teamsport interpretiert. Das hohe Spieltempo der Cavs kommt ihm entgegen, aber in der Halbfeld-Offensive muss

Cleveland Wege finden, Sextons Skillset effektiv einzusetzen. Er ist ein exzellenter Werfer, wenn er direkt angespielt wird und ohne Dribbling wirft (47,1 Prozent Dreierquote). Die ideale Ergänzung wäre möglicherweise ein Passfirst-Spieler wie Ricky Rubio, der Sexton als sekundären Spielmacher bedient, um aggressiv zu punkten. Sexton hat das Scoring-Gen und sollte auch vornehmlich als Punktesammler eingesetzt werden.

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FIVE-Academy F I V E

ACADEMY

Screens

Basketball ist voller Fachbegriffe, die nicht jeder kennt. Damit ihr lernt, das Spiel besser zu verstehen, ist sie jetzt zurück: die FIVE-Academy! Julius Schubert, auf YouTube bekannt als „Just A Kid From Germany“, erklärt an dieser Stelle ab sofort die Feinheiten des Spiels. In diesem Monat auf der Tafel: die zehn Arten von Screens. Text: Julius Schubert 1

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Ball Screen

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enau wie Pässe, Würfe und Rebounds sind auch Screens aus dem Basketball nicht Dribbling wegzudenken. Ein Screen (oder auch Block) ist eine Aktion eines offensiven Block Spielers, bei der dieser hinter oder neben HO Handoff einem defensiven Spieler steht und diesem den Weg in eine bestimmte Richtung blockiert. Das macht er mit dem Ziel, einem Mitspieler genug freien Platz zu Julius Schubert, auch bekannt als generieren, damit dieser den Ball fangen, „Just A Kid From Germany“, ist ein dribbeln, werfen oder passen kann. deutschsprachiger NBA-YouTuber, Screens sind ein beliebtes Mittel, um einen der auf seinem Kanal regelmäßig aktuelle offensiven Vorteil zu kreieren, und werden Analysen zur NBA veröffentlicht. deshalb in nahezu jedem Angriff genutzt. Wenn ihr mehr zum Thema Screens Dabei unterscheiden wir ganz allgemein erfahren wollt: Über den QR-Code kommt zwischen direkten Blocks am Ball (On-Ball ihr zu einem weiterführenden Video. Screens) und indirekten für Spieler, die LINK: das Spielgerät nicht in den Händen halten HTTP://BIT.LY/ (Off-Ball Screens). JUSTAKIDG Innerhalb dieser beiden Kategorien gibt es allerdings eine Vielzahl der verschiedensten Arten von Screens. Im Folgenden werden zehn der gängigsten Möglichkeiten vorgestellt und anhand von visuellen Beispielen erklärt. Laufweg Pass

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Als „Ball Screen“ wird ein Block bezeichnet, der für den Spieler mit dem … na klar … Ball gestellt wird. Ein bekanntes Beispiel sind Pick-and-Roll- oder Pick-and-PopAktionen. Ball Screens sind die am häufigsten gestellten Blocks in der NBA und ein beliebtes Mittel, um einen offensiven Vorteil zu schaffen. Zu den besten Blockstellern in diesen Aktionen gehören Nikola Jokic, Joel Embiid oder Anthony Davis, zu den besten Empfängern dieser Ball Screens Luka Doncic, LeBron James, Damian Lillard oder James Harden. A: Der Dribbler (1) hat den Ball. B: Der Blocksteller (2) stellt einen Ball Screen gegen den Verteidiger von 1. C: Angreifer 1 geht links am Block vorbei Richtung Korb.


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Down Screen

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Als „Down Screen“ (oder auch „Pin Down“) werden Blocks bezeichnet, die mit der Brust in Richtung Grundlinie gestellt werden. Häufig führt das dazu, dass sich der Spieler, für den der Block gestellt wird, vom Korb wegbewegt und den Ball für einen Wurf bekommt. Aus diesem Grund werden solche Spielzüge in der Regel für die besten Werfer aus der Bewegung gelaufen, dazu gehören unter anderem Stephen Curry, Joe Harris, Seth Curry oder Buddy Hield.

Ein „Back Screen“ ist ein Block, der in den Rücken des Verteidigers in Richtung Korb gestellt wird. Dabei postiert sich der Blocksteller hinter dem Verteidiger seines Mitspielers. Sein Block überrascht im Idealfall den Verteidiger, wenn dieser den Blocksteller nicht herannahen sieht und er nicht vom Verteidiger des Blockstellers über dessen Aktion informiert wird. Oft enden solche Situationen mit freien Korblegern oder Dunks. Die Dallas Mavericks laufen immer wieder Spielzüge mit einem Back Screen, welcher beispielsweise von Maxi Kleber oder Kristaps Porzingis gestellt wird.

Ein „Flare Screen“ ist ein Block abseits des Balles auf dem Flügel, der in der Regel dazu dient, einem Spieler einen offenen Dreier zu kreieren. Der Blocksteller stellt hierbei seinen Block so, dass sich der Freigeblockte zur Seitenlinie freilaufen kann. In vielen Fällen folgt danach ein sogenannter „Skip Pass“, also ein Pass über den Blocksteller und geblockten Spieler hinweg zum Blockempfänger. Auch in dieser Saison nutzen zum Beispiel die Miami Heat eine Menge Flare Screens. Besonders gefährlich ist dort die Kombination Bam Adebayo und Duncan Robinson.

A: Angreifer 3 stellt im Rücken von Verteidiger 2 einen Back Screen.

A: Angreifer 3 stellt am Flügel einen Flare Screen für 2.

B: 2 nutzt den Screen und schneidet in Richtung Korb.

B: Angreifer 2 geht über den Screen in Richtung Seitenlinie.

C: Dort wird er von 1 angespielt und verwandelt den offenen Dunk.

C: 1 spielt den Pass über die in den Block involvierten Akteure zu 2 für einen offenen Dreier.

Fotos: Mark Blinch/Jared C. Tilton/Getty Images

A: Angreifer 3 stellt einen Down Screen für Angreifer 2. B: Angreifer 2 nutzt den Screen und läuft an der Dreierlinie auf Dribbler 1 zu. C: 1 passt den Ball zu 2 für einen offenen Dreier.

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Fotos: Fernando Medina/Scott Audette/NBAE via Getty Images

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Stagger Screen

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Ein „Stagger Screen“ (auch „Staggered Screen“) besteht aus zwei Blocks für einen Spieler abseits des Balles. Häufig sind es zwei aufeinanderfolgende Down Screens. Diese haben das Ziel, einem Spieler an der Dreierlinie genug Platz zu schaffen, damit dieser entweder zu einem offenen Wurf kommt oder in Richtung Korb ziehen kann. Stagger Screens lassen sich schwerer verteidigen als einfache Pin Downs, da es schwerer ist, einen Gegenspieler über zwei Blocks zu verfolgen als nur über einen – und weil gleich drei Verteidiger kommunizieren müssen, wer eventuell die Gegenspieler wechselt. Die Los Angeles Lakers laufen 2020/21 mehr Stagger Screens als jedes andere NBA-Team. Mit zwei Big Men als Screener, LeBron James als Passspieler und Flügelspielern wie Kyle Kuzma, Kentavious CaldwellPope oder Wesley Matthews als Werfer hat L.A. eine Menge Optionen, um sich mit dieser Aktion effiziente Scoring-Möglichkeiten zu erarbeiten.

Geht ein Spieler quer durch die Zone und stellt einen Block für einen Mitspieler auf der anderen Seite des lackierten Parketts, reden wir von einem „Cross Screen“. Solche Blocks sind hervorragend dafür geeignet, einen Spieler von der Seite ohne Ball (der „Weakside“) zum Mann mit dem Spielgerät zu bringen. So kann sich der Freigeblockte schnelle einfache Punkte am Ring oder zumindest eine tiefe Position am Zonenrand erarbeiten. In der NBA sind Cross Screens besonders beliebt, wenn sie von Guards für ihre Center gestellt werden, da die Verteidiger so nicht die Angreifer wechseln („switchen“) können, ohne dass danach der eigene Big Man von einem viel kleineren Gegenspieler verteidigt wird. Spielzüge mit Cross Screens finden bei so gut wie jedem NBA-Team Anwendung, am häufigsten aber bei den Philadelphia 76ers, Denver Nuggets oder San Antonio Spurs.

A: Angreifer 3 stellt einen Block gegen den Verteidiger von 2. B: 2 läuft nach oben und bekommt dann von Angreifer 4 einen weiteren Block gestellt, um Verteidiger 2 endgültig abzuschütteln. C: Angreifer 2 läuft um den zweiten Block herum und schneidet in diesem Fall direkt zum Korb („curled“), wo er von 1 angespielt wird und zum Korb zieht.

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A: Angreifer 3 stellt am Zonenrand einen Cross Screen gegen den Verteidiger von 2. B: 2 geht über den Block und rotiert dann quer durch die Zone auf die andere Seite. C: 1 passt den Ball anschließend an den Zonenrand.

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Horns Screen Dieses Play beinhaltet zwei Spieler, die beide gleichzeitig einen Ball Screen für den Dribbler stellen – und zwar jeder auf einer Seite. Der Ballführende hat jetzt die Wahl, welchen der beiden Blocks er nutzen möchte. Danach gibt es verschiedene Optionen, wie der Spielzug weiterläuft. Häufig rollt einer der Blocksteller in Richtung Korb ab, während der andere hinter die Dreierlinie rotiert. A: Angreifer 2 und Angreifer 3 stellen gleichzeitig auf beiden Seiten jeweils einen Ball Screen für Angreifer 1. B: 1 geht rechts am Block von Angreifer 2 vorbei und dribbelt in Richtung Korb.


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Ein „Floppy Set“ ist ein sehr beliebter Spielzug in der NBA, der für gefährliche Werfer gelaufen wird. Dabei startet der Schütze unter dem Korb und kann sich entscheiden, ob er einen Stagger Screen auf der einen Seite oder einen einzelnen Pin Down auf der anderen Seite nutzen will. Teams wie die Miami Heat laufen Floppy Screens für Spieler wie Tyler Herro und vor allem Duncan Robinson … ebenso wie die New Orleans Pelicans für J.J. Redick und die Brooklyn Nets für Joe Harris.

Ein „Hammer Screen“ ist eine Art Back Screen, welcher auf der Weakside – also der Seite ohne Ball – gestellt wird. Ziel: dort einen freien Wurf zu generieren. Häufig wird hier versucht, auf der Seite mit Ball einen Vorteil zu kreieren, bevor dann überraschend auf der anderen Seite ein Hammer Screen gestellt wird. Die San Antonio Spurs machten diese „Hammer Plays“ in der NBA populär, in den vergangenen Jahren sind auch die Toronto Raptors immer mehr für ihre gefährlichen Spielzüge mit Hammer Screens bekannt geworden.

A: Angreifer 2 ist in die Zone gelaufen und bereitet die Floppy Action vor.

A: Angreifer 1 hat den Ball und bekommt einen Ball Screen von Angreifer 4 gestellt.

B: Angreifer 3 stellt einen einfachen Pin Down, während die Angreifer 4 und 5 einen Stagger Screen für 1 auf der anderen Seite stellen.

B: Angreifer 1 geht rechts vorbei und dribbelt in Richtung Korb.

„Elevator Screens“ sind eine sehr kreative Möglichkeit, einen offenen Dreier für einen guten Werfer zu generieren. Dabei stehen die beiden Blocksteller relativ nah beieinander und lassen zwischen sich gerade mal so viel Platz, dass der Cutter in der Mitte durchgehen kann. Danach rücken sie zusammen und versperren damit dessen Verteidiger den Weg, sie schieben sich quasi zusammen wie die Tür eines Fahrstuhls (auf Englisch „Elevator“). Das Ziel dieses Spielzugs ist es in der Regel, dass der beste Werfer des Teams einen offenen Wurf an der Dreierlinie bekommt. Elevator Screens sieht man in der Association eigentlich eher selten, die Golden State Warriors liefen solche Spielzüge aber in den vergangenen Jahren immer mal wieder für Stephen Curry oder Klay Thompson.

C: Angreifer 2 entscheidet sich dafür, über den Stagger Screen zu gehen, und wird anschließend vom Dribbler angespielt.

C: Auf der Weakside stellt Angreifer 3 einen Hammer Screen gegen den Verteidiger von 2. D: Angreifer 1 spielt zu den Pass zu 2, welcher bereits auf dem Weg in die Ecke ist.

A: Die Angreifer 3 und 4 stellen einen Elevator Screen für den Angreifer 2. B: Dieser geht durch den Screen hindurch, rotiert hinter die Dreierlinie, wo er sich Richtung Korb dreht und auf das Anspiel von 1 wartet. C: 3 und 4 rücken zusammen, so versperren sie Verteidiger 2 den Weg zu 1. D: Angreifer 1 passt zu 2 für einen offenen Dreier.

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State of the NBA

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ZUR LAGE DER NBA-NATION Die NBA absolviert eine der schwierigsten Saisons ihrer Geschichte. Und während diese einige Fragen aufwirft, stehen der Liga weitaus schwerwiegendere Änderungen bevor, die den US-Basketball auf allen Ebenen verändern könnten. Kommt die Playoff-Bubble? Stirbt der College-Basketball endgültig? Ändert die Super-Free-Agency 2021 alles? Muss die Flut der Dreier eingedämmt werden? Kommt eine LigaExpansion? Text: André Voigt

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Fotos: Steph Chambers/Getty Images


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State of the NBA

COVID-19, BUBBLE 2.0, DIE SAISON 2021/22

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as wäre, wenn? Was wäre, wenn die NBA in die Playoffs geht und plötzlich bei den L.A. Lakers ein Spieler oder Coach positiv auf Covid-19 getestet wird? Was, wenn dann gleich mehrere Profis nach Auswertung der Kontaktverfolgung nicht spielen dürfen? Wenn eine PlayoffSerie entweder gar nicht oder nur unter wettbewerbsverzerrenden Bedingungen absolviert werden kann, weil einem Team nur acht Spieler zur Verfügung stehen? Genau dieses Horrorszenario umschiffte die NBA 2020 mit ihrer „Bubble“ in Orlando. 22 Teams wurden eingeladen bzw. in Hotelkomplexen von Disney World eingesperrt. Tägliche Tests und strenge Isolationsauflagen machten die Bubble zu einer erfolgreichen, aber auch kostspieligen Angelegenheit. Da war das Finanzielle: Über 180 Millionen Dollar soll die Durchführung des Restarts gekostet haben. Da war aber auch das Mentale: Lange von ihren Familien isoliert, immer nur dieselben vier Hotelzimmerwände, das Wissen um das chaotische Infektionsgeschehen vor den Toren Disney Worlds, wo die eigenen Lieben bis zu den Playoffs lebten – die Bubble machte den Spielern und Coaches zu schaffen. Und so lehnten die Franchises auch die Einführung regionaler Bubbles zum Saisonstart 2020/21 ab. So gut wie niemand wollte zurück in Quarantäne. Die Folge: infizierte Profis, Trainer und Mitarbeiter, viele Spielausfälle früh in der Saison. Doch genau wie sich das Infektionsgeschehen in den USA selbst beruhigte, so sank die Zahl der Infektionen in der NBA selbst. „Wir konnten 95 Prozent unserer Partien absolvieren“, erklärte Ligaboss Adam Silver beim All-Star-Game in Atlanta Anfang März. „Wir wussten, dass wir positive Tests bei Spielern und anderen Angestellten haben würden. Ich denke, unsere Maßnahmen haben so gut funktioniert, wie wir uns das erhofft haben.“ Im März wurden die ersten Spieler geimpft – je nachdem, ob das im jeweiligen Bundesstaat die regionalen Vorgaben zuließen –, über eine PlayoffBubble 2021 spricht niemand mehr. Die Hoffnung dürfte sein, dass der furiose US-Impfsprint bis zum Start der Postseason am 22. Mai die Corona-

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Pandemie nicht nur weiter ausgebremst hat, sondern auch viele Profis bereits immunisiert sind. „Wir haben nicht vor, unseren Spielern vorzuschreiben, dass sie sich impfen lassen müssen“, sagt Silver. „Wenn eine Vielzahl der Spieler geimpft werden soll, kann das nur in Absprache mit der Spielergewerkschaft geschehen. Momentan sind wir dabei, über die Impfung aufzuklären. Aber unsere Vorsichtsmaßnahmen sind auch sehr belastend, ich könnte mir vorstellen, dass sich der Großteil der Spieler impfen lassen wird.“ Mit jeder Immunisierung eines direkten Beteiligten sinkt das Risiko des

eingangs beschriebenen sportlichen Horrorszenarios, auch wenn es natürlich nicht komplett verschwinden wird. Die NBA wird ihre CovidSicherheitsvorkehrungen trotz Impfungen beibehalten und schon bis zu den Playoffs sukzessive mehr Fans in die Arenen der USA lassen. So stünde dann auch einem regulären Start der Saison 2021/22 Ende Oktober nichts im Wege. Einzig Vorbereitungspartien im Ausland werden 2021 keine stattfinden. Was wäre, wenn im Herbst 2021 zumindest in der NBA alles wieder so sein könnte, wie wir es kennen? Wenn die Normalität zurückgekehrt wäre?


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Fotos: Dylan Buell/Ezra Shaw/Sean Gardner/Getty Images


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DER TOD DER NCAA?

RECHTE-REKORD? Ein Grund, warum die NBA-Bosse eher doch keiner zeitnahen Expansion zustimmen dürften: Der Rubel rollt bald auf neuem Rekordniveau! Und wo gibt es am meisten Kohle? Richtig. Bei den TV-Rechten. 2026 beginnt ein neuer TV-Vertrag in den USA, der bald fixiert werden dürfte. Als dies zuletzt der Fall war, zeigte sich Ethan Strauss von „The Athletic“ als Prophet. Er prognostizierte den damaligen Rekorddeal sehr genau. Jetzt sieht der Journalist einen weiteren Megadeal in der Zukunft der Association. Von 2,7 Milliarden USDollar jährlich sollen die Einnahmen der NBA allein aus dem Verkauf der US-TVRechte auf 4,0 Milliarden Dollar steigen. Strauss ist mit seiner Prognose sogar noch recht konservativ unterwegs. Der Sender CNBC geht von einer Steigerung auf 7,0 Milliarden Dollar aus. Was das mit dem Basketball auf dem Parkett zu tun hat? Diese Einnahmen bestimmen unter anderem die Höhe des Salary Caps. Beim Abschluss des aktuellen TV-Vertrags konnten sich Liga und Spielergewerkschaft nicht darauf einigen, den zu erwartenden Anstieg des Salary Caps für die Saison 2016/17 auf mehrere Jahre zu verteilen. Die Folge: Die Golden State Warriors hatten genug Platz unter der Gehaltsobergrenze, um Free Agent Kevin Durant zu verpflichten.

ZEITRAUM 2026-2034 2016-2025 2008-2016 2002-2008 1998-2002 *Schätzung

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EINNAHMEN 4,0 Mrd. pro Jahr* 2,7 Mrd. pro Jahr 0,9 Mrd. pro Jahr 0,8 Mrd. pro Jahr 0,6 Mrd. pro Jahr

Überall auf der Welt kann ein junger talentierter Basketballer einen Profivertrag unterschreiben – er muss noch nicht mal die Schule beendet haben. Im Falle der NBA ist das anders. Ein Jahr müssen US-Talente aus der Highschool raus sein, bevor die Association sie zur Draft zulässt oder als Free Agents aufnimmt. Dieses „Age Limit“, also ein Mindestalter, gilt für Spieler aus der ganzen Welt und wurde von der Liga sowie der Spielergewerkschaft verhandelt. Unter 19 Jahren geht nichts in Sachen NBA. Da das von beiden Seiten unterschriebene Collective Bargaining Agreement allerdings nur die Statuten in der NBA regelt und nicht im Rest der Basketballwelt, gibt es natürlich für wechselwillige Teenager auch andere Möglichkeiten. Sie können – wenn sie nicht in der NCAA auf Korbjagd gehen wollen, ohne dafür Geld zu bekommen – ins FIBA-Ausland wechseln oder sich seit 2018 dem „NBA G-League Ignite“Programm anschließen. Letzteres bildet im Rahmen der G-League talentierte HighschoolAbgänger aus, die als Team dann gegen andere Mannschaften der Farmliga Freundschaftsspiele austragen, gegen Nationalmannschaften antreten und allerlei Seminare besuchen, die der Entwicklung der Youngsters zuträglich sein sollen. So wollte die NBA ursprünglich die Zeit bis zu einer etwaigen Abschaffung des Mindestalters umschiffen und früher in die Entwicklung großer Talente eingreifen. Seit Anfang März jedoch ist diesem Plan – genau wie der so lange allmächtigen College-Dachorganisation

NCAA – ein gefährlicher Gegner erwachsen: die OTE … die Overtime Elite. Dahinter steht mit Overtime ein Medienunternehmen, das in diversen sozialen Netzwerken Konten bespielt, die zusammen über 40 Millionen Follower haben. Dort zeigt Overtime Highlights, aber auch selbst produzierte Inhalte, die im Monat 1,7 Milliarden Mal aufgerufen werden – vor allem Inhalte von Highschool-Talenten. „Elitäre Athleten versuchen das System zu hacken“, erklärt OTEPräsident Aaron Ryan. „OTE wird eine globale Superliga und ein akademischer Beschleuniger. Wir wollen drei Dinge schaffen: basketballerische Entwicklung, Bildung und – das ist für uns der wirkliche Game Changer – finanzielle Selbstbestimmung der Athleten.“ Genau davor dürfte die NCAA Angst haben. Denn die OTE will diesen September bis zu 30 Athleten aufnehmen, die in einer noch nicht genannten Stadt leben und in Teams eingeteilt werden. Um Spielpraxis zu sammeln, werden diese Mannschaften gegen nationale und internationale Konkurrenz antreten. „Es ist ein professioneller Weg“, erklärt Dan Porter, CEO von Overtime. „Aber anders als bei einem Farmsystem wird es hier Wettbewerb geben. Wir erwarten, dass viele Millionen Menschen sich das anschauen wollen. Warum wir das denken? Weil sie es jetzt schon auf unseren Plattformen tun.“ Gleichzeitig besuchen die Teenager Seminare, die sie auf ein Leben als Sportprofi vorbereiten … unter anderem zu den Themen Finanzplanung und Medientraining. „Viele Athleten sind nicht genügend darauf vorbereitet, was es bedeutet, ein Profi zu sein“, erklärt Portland Trail Blazer Carmelo Anthony, der im OTE-Vorstand sitzt. „Wir müssen die nächste Generation besser vorbereiten auf das, was kommt, damit sie erfolgreich ist. OTE wird hier führend sein, weil wir die Talente vollumfänglich zu Athleten entwickeln wollen. Es geht nicht nur um Basketball-Skills, sondern auch um Bildung, finanzielle Selbstbestimmung und


Fotos: OTE/Jamie Squire/Garrett W. Ellwood/NBAE via Getty Images

das Kreieren einer eigenen Marke.“ Ebenfalls derzeit finanziell an dem Projekt beteiligt und/oder im Vorstand sind Kevin Durant, Jay Williams und Avery Johnson. Liest sich wie das Ziel des „NBA G-League Ignite“-Programms? Ja, und mit dem wird OTE ab Herbst auch in direkter Konkurrenz stehen. Damit OTE bestehen kann, bekommt jeder Akteur, der sich für das Programm entscheidet, garantiert 100.000 Dollar Gehalt, eine alle Ausgaben deckende Krankenversicherung sowie 100.000 Dollar für ein Studium, sollte sich doch gegen den Traum einer Sportkarriere entschieden werden. Die Spieler werden außerdem an den Erlösen aus Trading Cards, Videospielen oder Trikots und sogar aus der Liga selbst beteiligt. Auch individuelle Verträge mit Ausrüstern können die Spieler unabhängig von der OTE abschließen. Wenn sich dieses Konzept durchdacht liest, dann ist das kein Zufall … denn das ist es auch. Sogar so durchdacht, dass der verstorbene NBA-Commissioner David Stern als einer der ersten Investoren der OTE an Bord kam. Der riet zu Beginn davon ab, eine eigene Liga zu starten, half aber 2017 dabei, 2,4 Millionen Dollar für Overtime einzusammeln – und änderte seine Meinung. „Er sagte mir: ‚Ich denke nicht nur, dass ihr Jungs diese Liga gründen könnt … ich glaube, ihr müsst das tun‘“, erinnert sich Dan Porter. Sterns Nachfolger Adam Silver kennt natürlich das Projekt, welches eben auch mit dem eigenen in der G-League konkurriert. „Es ist gut, mehrere Optionen zu haben“, sagt er. „Wir in der NBA wollen aber derzeit keine Teenager bezahlen.“ Genau das dürfte sich aber eher früher als später ändern. Funktioniert die OTE, hat Silver kaum Argumente gegenüber den Teameignern, sollten diese eine Abschaffung des Mindestalters fordern – und so der OTE das Wasser weitgehend abgraben. Auf jeden Fall dürfte aber die NCAA bei den besten Jungtalenten außen vor sein. Natürlich werden sich immer noch gute Spieler für ein Studium entscheiden, aber wenn die Besten der Besten künftig nicht mehr die Unis besuchen … das Basketballsystem der USA könnte sich bald von Grund auf ändern.

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George, Rudy Gobert und auch Gordon Hayward die Liste der fähigsten Free Agents 2021 – sie verlängerten bei ihren Klubs (Hayward wurde im Anschluss nach Charlotte getradet). Gibt es angesichts eines solchen Aderlasses denn überhaupt noch eine Super-Free-Agency? Jein. In Sachen vertragsfreie Stars geht dieses Jahr wenig. Die unvollständige Liste der besten NBA-Free-Agents 2021 liest sich so:

DIE „SUPER-FREEAGENCY 2021“

2021. Es gab nicht wenige Fans und sicherlich auch einige NBA-Manager, die mit diesem Datum sehr große Hoffnungen verbanden. Im kommenden Sommer sollte eine Super-Free-Agency anstehen, der zuvor bereits eine Super-Draft vorausgehen sollte. In letzterer sollten nach Abschaffung des Mindestalters nicht nur die besten Spieler des diesjährigen NCAAJahrgangs in die Association kommen, sondern auch die größten HighschoolTalente, die nun nicht mehr den Umweg über das College, die FIBA oder G-League nehmen müssten. Doch das NBAMindestalter wurde nicht gekippt (noch nicht), also gibt es auch keine Super-Draft. Fragt sich: Gibt es die Super-Free-Agency, die die Kräfteverhältnisse der Association nachhaltig verändert? Die Hoffnungen auf einen Umbruch waren groß und zuallererst mit Giannis Antetokounmpo verbunden. Seit der potenzielle Free Agent 2021 jedoch vor dieser Saison für fünf Jahre und 228 Millionen Dollar bei den Milwaukee Bucks verlängerte, war der prominenteste Name der anstehenden Transferperiode bereits de facto vom Tisch. Und er war nicht der einzige … Neben dem zweifachen MVP verließen auch LeBron James, Paul

Kawhi Leonard (Spieleroption) Chris Paul (Spieleroption) Jrue Holiday (Spieleroption) Spencer Dinwiddie (Spieleroption) Montrezl Harrell (Spieleroption) Norman Powell (Spieleroption) DeMar DeRozan (Unrestricted) Victor Oladipo (Unrestricted) Mike Conley (Unrestricted) Kyle Lowry (Unrestricted) Dennis Schröder (Unrestricted) Kelly Oubre (Unrestricted) Andre Drummond (Unrestricted) John Collins (Restricted) Lonzo Ball (Restricted) Lauri Markkanen (Restricted) Jarrett Allen (Restricted) Duncan Robinson (Restricted) Wie viele Franchise-Player finden sich in dieser Aufzählung? Einer: Kawhi Leonard. Wird er die Clippers via Spieleroption verlassen? Was genau im Kopf des introvertiertesten NBA-Superstars vorgeht, weiß im Endeffekt niemand. Könnte ein weiterer enttäuschender

DEUTSCHE IN DER DRAFT? Fotos: Atiba Jefferson/ Jamie Squire/Jim McIsaac/Getty Images

So langsam nehmen die diversen Mockdrafts 2021 im Internet an Fahrt auf. Das mag vor der Auslosung der NBA-Lottery und der offiziellen Anmeldung der Youngsters zur Talentziehung etwas voreilig sein – aber einen ungefähren Überblick, wer derzeit auf dem Radar der Association ist, geben diese Vorhersagen trotzdem. Aus deutscher Sicht erfreulich: Gleich drei Jugendnationalspieler tauchen in den diversen Mockdrafts auf – was aber natürlich noch nicht bedeutet, dass sie auch gezogen werden. Franz Wagner (Forward, 2,06 Meter, 19 Jahre) von der University of Michigan wird durch

NAME Franz Wagner Oscar da Silva Ariel Hukporti

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die Bank weg als Erstrundenpick sowie unter den ersten 20 gehandelt. In der zweiten Runde werden die anderen beiden DBB-Nachwuchsspieler verortet: Ariel Hukporti (Center, 2,13 Meter, 19 Jahre), der derzeit bei KK Nevežis Kedainiai in Litauen spielt, und Oscar da Silva (Forward, 2,06 Meter, 22 Jahre), der von der Uni in Stanford zu den RIESEN nach Ludwigsburg wechselte. Ebenfalls noch nicht fix ist das Datum der diesjährigen Draft. Wie die NBA-Mannschaften die individuellen Workouts mit den Talenten regeln, steht noch nicht fest. Vor allem für Hukporti und da Silva wäre die Vorstellung bei den Teams extrem wichtig.

MPG FG% 3P% RPG APG BPG PPG 31,6 57,9 35,7 6,5 3,0 1,0 12,8 32,3 61,9 31,1 6,7 2,4 1,0 18,5 21,9 41,4 31,2 7,3 1,2 1,3 10,0


Auftritt in den Playoffs den Abschied von „The Klaw“ zur Folge haben? Würde er wirklich seine Heimat Los Angeles verlassen? Nach all dem Drama, um überhaupt erst aus San Antonio mit dem Umweg über den Titel in Toronto dorthin zu kommen? Unwahrscheinlich … Bleiben einige sehr gute Spieler, aber eben keine Franchise-Player – sowie einige interessante junge Restricted Free Agents, deren Klubs aber mit jedem Angebot von außen gleichziehen und ihre Akteure so halten können. Warum also wird überhaupt noch von einer Super-Free-Agency 2021 gesprochen? Weil in der Regel der Begriff „Free Agency“ mit „Transferperiode“ gleichgesetzt wird. Die beinhaltet auch Trades, und hier wird die Sache dann doch interessant … Es gibt einige aktuelle oder kommende Superstars, die wohl unter Umständen zu haben sind, wenn die Saison 2020/21 beendet ist. Entweder weil ihre Teams einen schon länger anhaltenden Status quo aufbrechen wollen, diese Spieler nicht in die Kaderstruktur passen (etwa weil ein anderer Akteur dieselbe Position spielt), ein Neuaufbau forciert werden soll etc. „Nach einer Runde Telefonate mit einigen NBA-Entscheidern ist eine Sache extrem klar geworden: Die Teams haben zur Deadline keine Angebote gemacht, weil im Sommer einige unfassbare Spieler zu haben sein werden“, schreibt der extrem gut vernetzte NBA-

Journalist Henry Abbott auf seiner Seite Truehoop.com. Welche Stars dies sein könnten? Darüber schweigt sich Abbott bisher noch aus, aber mit einem Blick auf die Kader der Franchises und die sich zum Teil schon etwas länger haltenden Gerüchte um einige Spieler lässt sich die folgende kleine Liste zusammenstellen: Bradley Beal, Wizards Ben Simmons, 76ers Jaylen Brown, Celtics Brandon Ingram, Pelicans Russell Westbrook, Wizards Michael Porter Jr., Nuggets Kristaps Porzingis, Mavericks Myles Turner, Pacers Domantas Sabonis, Pacers Al Horford, Thunder Kevin Love, Cavaliers John Wall, Rockets Sollen diese Stars um jeden Preis getradet werden? Mit Sicherheit nicht. Es ist gut möglich, dass keiner von ihnen vor der Spielzeit 2021/22 den Klub wechselt. Gleichzeitig dürften sie nicht unverkäuflich sein, und zum Teil finden sich diese Namen bereits seit Monaten in der seriösen Ecke der Gerüchteküche. In Kombination mit den verfügbaren Free Agents und einer Liga, in der zwölf Teams mindestens 19 Millionen Dollar an Platz unter dem Salary

Cap haben werden (Knicks, Thunder, Spurs, Raptors, Hornets, Heat, Grizzlies, Mavericks, Bulls, Pistons, Cavs und Pelicans), ist es dann doch wieder eine potenzielle „Super-Free-Agency“. Außerdem gibt es derzeit in der Liga gleich mehrere Teams, die bereit sind, den nächsten Schritt auf absolutes Favoritenniveau zu machen. Allen voran die Denver Nuggets sind hier zu nennen, die mit Michael Porter Jr. den vielleicht interessantesten jungen Spieler im Kader haben, der in Kombination mit einem besser verdienenden Veteranen getradet werden könnte. In Philadelphia wird Manager Daryl Morey sicher nicht leichtfertig einen seiner Stars traden. Gleichzeitig ist er jemand, der in seiner bisherigen Laufbahn immer der Abteilung Attacke vorstand. Die Meisterschaft ist das Ziel, und wenn er zu dem Schluss kommt, dass Ben Simmons und Tobias Harris zwar exzellente Spieler sind, aber das Team mit anderem Personal besser wäre … er würde nach reiflicher Überlegung zuschlagen. Und was ist mit den Mavericks? War an den vielen Berichten um einen Trade von Kristaps Porzingis gar nichts dran? Dallas dementierte auf allen Kanälen heftig, und der Lette lieferte nach Anfangsproblemen auf hohem Niveau ab. Dennoch dürften Macher Donnie Nelson und Boss Mark Cuban sehr genau den Markt sondieren. Der Sommer wird gleich auf mehrere Arten sehr spannend werden.

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KOMMEN DIE SONICS ZURÜCK?

Fotos: Luca Micheli/Steph Chambers/Getty Images

Kommt sie wirklich? Gerüchte über eine erneute Expansion der NBA gehören seit Jahren zum Grundrauschen in der Basketballwelt. Vor allem seit die Seattle SuperSonics 2008 aus dem USBundesstaat Washington nach Oklahoma City umsiedelten und in „Thunder“ umbenannt wurden. Der Verkauf der Franchise sowie der Abschied danach hinterlassen bis heute einen faden Beigeschmack. Bis heute gibt es eine starke Lobby, um Profibasketball zurück in die Emerald City zu bringen. 2004 begrüßte die Liga zuletzt eine neue Mannschaft: die Charlotte Bobcats (heute Hornets). 17 Jahre ohne Expansion … in der Geschichte der NBA gab es noch nie eine vergleichbare Durststrecke. Bevor die Bobcats an den Start gingen, hatte es neun Jahre kein neues Team gegeben – was damals ein neuer Rekord war. Der Geschäftsmann Robert

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Johnson musste 300 Millionen Dollar Aufnahmegebühr zahlen. Warum seitdem nichts passierte in Sachen Expansion? Mit 30 Franchises waren die Teambesitzer und auch das Ligabüro sehr zufrieden. Die NBA boomte, die von der Liga weltweit generierten Einnahmen wurden unter den 30 Vereinen und damit deren Bossen aufgeteilt. Warum den Kuchen freiwillig in 32 Stücke schneiden? Die Antwort: Corona. „Ich denke, dass ich immer gesagt habe, dass es so etwas wie das Schicksal der Liga ist, an einem bestimmten Punkt wieder zu expandieren“, sagte NBA-Commissioner Adam Silver im Dezember 2020. „Ich würde sagen, dass die Pandemie dafür gesorgt hat, dass wir die alten Analysen über die wirtschaftlichen und wettbewerblichen Folgen einer Expansion mal wieder auf den neuesten Stand gebracht haben. Wir haben da ein wenig mehr Zeit investiert, als wir das vor der Pandemie gemacht haben. Es ist aber nicht so, dass eine Expansion ganz oben auf der Tagesordnung steht.“ Aufgrund der Pandemie soll die Liga 2019/20 eine Milliarde Dollar verloren haben. Hinzu kamen die Ausfälle im China-Geschäft im Zuge eines Pro-Hongkong-Tweets vom damaligen Rockets-Manager Daryl Morey. Da die 30 Besitzer der Teams (bzw. Besitzergruppen) auch in ihrem „richtigen“ Leben finanzielle Einbußen ihrer Unternehmen hinnehmen mussten,

dürften sie über jede kurzfristige Finanzspritze recht froh sein. Wie teuer wäre es also, die Seattle SuperSonics wiederauferstehen zu lassen? Teuer. ESPNs Brian Windhorst berichtete im Januar, dass eine Aufnahmegebühr von 2,5 Milliarden US-Dollar pro Team im Gespräch sei und dass die Aufnahme von zwei neuen Klubs intern geprüft werden würde. Silver wiederum erklärte während einer Veranstaltung der Sportfinanzseite Sportico.com, er glaube, dass ein neues NBA-Team wohl mehr als „nur“ 2,5 Milliarden Dollar kosten würde. Der Grund: Mit dem Erwerb einer Franchise kaufen die neuen Besitzer quasi ein Zweiunddreißigstel der NBA – einer Liga, die bereits wieder boomt, sodass der Wert ihrer Klubs weiter steigen sollte. Auch wenn es in Seattle, Las Vegas, Kansas City, Vancouver, Montreal oder Mexico City Interesse und finanzkräftige Investoren geben sollte … eine Expansion der NBA scheint nicht unmittelbar bevorzustehen. In den USA sind schon wieder Fans in den Hallen, das Leben normalisiert sich – und damit auch die Einnahmen der Bosse. „Der Hauptgrund für eine Expansion sollte sein, den Kuchen insgesamt größer zu machen“, erklärt Silver, „und nicht, dass man in der Gegenwart Anteile verkauft, um an Geld zu kommen, das man künftig auch so verdienen kann.“ Sorry, Seattle …


DIE DREIER-REFORM

Werden in der NBA zu viele Dreier genommen? Ja. Sind zu viele dieser Versuche kaum zu entschuldigen und einfach gewissenlos? Ja. Würde sich irgendwer darüber aufregen, wenn statt eines solchen Dreiers mal ein herauslaufender Verteidiger per Wurffinte getäuscht wird, dann eine Penetration folgt, die eine Hilfe zieht und zu einem Pass zu einem Mitspieler führt, was eine Rotation der Defensive zur Folge hat und am Ende einen freien Abschluss, egal von wo im Halbfeld? Nein. Letzteres wäre die ideale Lösung für die Inflation von Downtown. Doch das würde voraussetzen, dass die Teams mehr trainieren und besseren Basketball spielen … und selbst dann wäre da immer noch die mathematische Wahrheit, dass ein Dreier halt bei den aktuell geworfenen Quoten in der Regel der sinnvollere Wurf ist, egal ob der nun schön herausgespielt wurde oder nicht. Was also tun? Vorschläge gibt es einige: die Dreierlinie weiter vom Korb wegverlegen, den Eckendreier (der kürzeste Dreier im Spiel) abschaffen, einen Vierpunktewurf einführen und … die Anzahl der Dreier begrenzen. Wait … what? „Man möchte im Sport oder anderswo, wo Wettbewerb herrscht, eine Balance zwischen Maßnahmen und Gegenmaßnahmen“, sagte 76ersManager Daryl Morey unlängst bei ESPN. „Momentan scheint der NBA diese Balance abhandengekommen zu sein, vor allem weil die Belohnung für einen getroffenen Dreier eben um 50 Prozent größer ist als für einen Zweier.“ Kevin Arnovitz zitiert im selben Bericht einen NBA-Insider, der vorschlägt, dass jedes Team in den ersten 42 Minuten einer Partie nur 20 Dreier zur Verfügung hat. Beide Mannschaften dürfen natürlich auch 30-mal von hinter der 7,24-Meter-Linie abdrücken, doch nach dem 20. Versuch zählt ein Treffer von dort auch nur zwei Punkte. Erst in den letzten sechs Minuten des vierten Viertels und in der Verlängerung heißt es dann wieder: Feuer frei von Downtown! Diese radikale Idee hat zwar ihren eigenen strategischen Charme und würde mit Sicherheit einige der ekligsten Dreier aus dem Spiel verschwinden lassen. Sie würde aber auch das Spiel weiter verkomplizieren.

Und vielleicht braucht es auch gar keine großen Regeländerungen. „Was die vielen Dreier vor allem hervorbringt, ist die Penetration“, weiß Pistons-Coach Dwane Casey. „Wenn du niemanden anfassen darfst, dann gibst du einen Drive ab.“ Und diese Drives führen dann zu einer Hilfe, die zu freien Spielern an der Dreierlinie führt.

Ein bisschen mehr Handchecking also als Allheilmittel, plus mehr Coaching? Ein Anfang wäre es auf jeden Fall. Vielleicht dann auch noch die Dreierlinie von Seitenlinie zu Seitenlinie laufen lassen und eben nicht in die Ecken. Das würde die Hilfe von dort stark erleichtern und den effizientesten Dreier aus dem Spiel nehmen. dre@fivemag.de

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DIE BESTEN NICHT-ALL-STARS DER NBA-GESCHICHTE

Aufgrund zweier Ausfälle konnte Mike Conley 2021 endlich das Prädikat ablegen, das er schon lange nicht mehr haben wollte. Fragt sich: Wer gilt nun als bester Nicht-All-Star der NBA-Geschichte? Wir präsentieren eine (subjektive!) Top Ten. Text: Ole Frerks 34


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s kann wehtun, wenn der Anlass für eine Themenidee sich kurz nach dem Entstehen dieser Idee mehr oder weniger in Luft auflöst – es kann aber auch ein Anlass zum Feiern sein. Wie in diesem Fall! Es mussten zwar zwei Spieler der Western Conference verletzungsbedingt ihre Teilnahme absagen, aber sei’s drum: Mike Conley hat 2021 erstmals am All-Star-Game teilgenommen! Endlich. Commissioner Adam Silver – ihm gebührt die Ehre, für verletzte Protagonisten andere nachzunominieren – sei Dank. Mit 33 Jahren ist Conley zwar nicht der älteste erstmalige All Star (Nat Clifton, Sam Cassell, Anthony Mason und Kyle Korver waren bei ihrer Premiere noch älter), von solchen Auszeichnungen hat Conley allerdings wohl ohnehin genug. Er schleppte schließlich nun schon seit Jahren einen Titel mit sich herum, für den er sich nie beworben hatte. Conley galt als bester aktiver Spieler, der nie am All-Star-Game teilgenommen hat. Immer wieder klopfte er mit starken Leistungen bei den Memphis Grizzlies an, immer wieder war die brutale Western Conference ein kleines bisschen zu brutal besetzt. Mit der Zeit schien sich Conley mit diesem Schicksal schon fast abzufinden, auch wenn er zugab, wie sehr ihn die Tatsache frustrierte. Mit der Zeit hatte Conley auch den Zusatz des „aktiven“ Spielers abgelegt – irgendwann wurde einfach akzeptiert, dass er der beste Nicht-All-Star der NBAGeschichte war. Nachdem er dies nun nicht mehr ist, drängt sich also die folgende Frage auf: An wen geht dieser Titel über? Deswegen müssen wir auch nicht traurig sein, dass sich der Anlass für die Themenidee aufgelöst hat. Wir müssen sie nur modifizieren.

Fotos: Rocky Widner/Elsa/Getty Images

ZUNÄCHST BRAUCHT ES LOGISCHERWEISE EIN PAAR GRUNDREGELN: • Keine Spieler aus den Gründungsjahren der Liga: Wir setzen die Grenze mal beim Merger mit der ABA (1976), da es vor allem in den 50er und 60er Jahren so wenige Teams gab, dass regelmäßig zwei bis drei All Stars pro Team abgestellt wurden. Don Nelson wird als bester NichtAll-Star der grauen Vorzeit deswegen nur hier erwähnt. Sorry, Nellie! • Mindestens fünf NBA-Jahre sind bei aktiven Spielern Pflicht: Es ist zu früh zu lamentieren, dass Ja Morant oder Shai Gilgeous-Alexander noch keine All Stars waren. Ihre Zeit kommen, sie wird … wie Yoda sagen würde. • Das Gesamtwerk der Karriere zählt – aber Peak Value ist ebenso wichtig. Gab

es Jahre, in denen der jeweilige Spieler hätte All Star sein müssen? Warum hat es nicht geklappt? Da All Stars für eine jeweilige Spielzeit bestimmt werden, werden Ausreißer-Saisons entsprechend gewichtet. Das schadet beispielsweise einem Sam Perkins, der vom Gesamtwerk her eine tolle Karriere hingelegt hat, aber nie über 16,5 Punkte hinauskam.

• Andre Miller (die gleiche Tendenz – auch wenn er in seiner dritten Saison die NBA bei den Assists anführte. Sein „Standing“ zum damaligen Zeitpunkt wurde dadurch verdeutlicht, dass Miller in der Offseason trotzdem getradet wurde)

• Wenn jemand also aufgrund von Verletzungen oder anderen Umständen eine kurze Karriere hatte, in dieser Zeit aber extrem starke Saisons hinlegte, kann er hier vorkommen. Nennen wir es schweren Herzens die „Mozart-Exception“ … ihr werdet noch sehen, warum.

• Richard Jefferson (war über Jahre ein konstant guter Scorer, aber nie das Aushängeschild seiner Teams. Seine besten Jahre verbrachte er neben Jason Kidd und Vince Carter, die seinerzeit sämtliche Anerkennung für sich beanspruchten)

APROPOS EXCEPTION:

Vor den Honorable Mentions muss ein Spieler hier gesondert erwähnt werden. C.J. McCollum hat mittlerweile sieben NBA-Saisons auf dem Buckel, und fünf davon fanden auf einem Niveau statt, das ihn ohne Zweifel zum All Star hätte machen können – in der Eastern Conference. In der laufenden Saison, seiner achten, schien McCollum dann auch im Westen den Schritt zu machen – 26,7 Punkte bei 62 Prozent True Shooting waren jeweils Career-Highs und Superstar-Zahlen –, doch er verletzte sich nach nur 13 Spielen. Vielleicht ja nächstes Jahr! Unter den aktiven Veteranen dürfte McCollum nun jedenfalls den Titel von Conley übernehmen, aber für ihn ist der Zug ebenso wenig abgefahren wie etwa für Malcolm Brogdon oder auch Jamal Murray, die beide 2020/21 ihre fünfte NBA-Saison absolvieren.

DIE FOLGENDEN HONORABLE MENTIONS GEHÖREN AUSSERDEM ERWÄHNT: • Jason Terry (das Perkins-Problem: viele gute Jahre, kein überragendes, hatte seine besten Jahre als Bankspieler in der Western Conference, vor allem bei den Mavs)

• Sam Perkins (siehe oben)

• Marcus Camby (hätte Defense einen etwas höheren Stellenwert, wäre der Center wohl mehrmals All Star gewesen, immerhin war er DPOY und viermaliger All-DefensiveTeamer. Sein bestes Scoring-Jahr hatte Camby als Rookie (14,8 Punkte), danach schaffte er nie mehr mindestens 13 Zähler im Schnitt. Und er wurde vor allem in jungen Jahren immer wieder von Verletzungen ausgebremst, weshalb er selten volle Saisons absolvieren konnte) • Andrew Bogut (schaffte es 2009/10 sogar ins All-NBA Third Team, aber nicht ins All-StarTeam … unter anderem deshalb, weil damals David Lee als Ersatz für den verletzten Allen Iverson nachrückte – diese Entscheidung ist nicht gut gealtert. Davor und danach hatte Bogut verletzungsbedingt nie wieder Ansprüche auf den Platz im All-Star-Game, doch hier hätte es eigentlich passieren müssen) • Monta Ellis (abgesehen von McCollum hat kein hier aufgeführter Spieler einen höheren Karriereschnitt als Ellis (17,8 Punkte), ohne jemals All Star gewesen zu sein. Legte in aufeinanderfolgenden Jahren 25,5 und 24,1 Punkte auf, trotzdem reichte es nicht – obwohl Monta „alles hatte“. Er tat sonst einfach nicht genug für das Spiel) • Josh Smith (in Atlanta-Zeiten füllte fast niemand den Boxscore so komplett, einzigartig und spektakulär wie „J-Smoove“ … seine Wurfauswahl war allerdings eine Frechheit) • Byron Scott (in seiner besten Saison legte der Shooting Guard der (vor allem) Lakers fast 22 Punkte auf und war auch defensiv ein essenzieller Bestandteil von drei Meisterschaften. Doch was passiert, wenn man fast die ganze Karriere über mit Magic, Kareem und Worthy zusammenspielt? Man wird übergangen) Und nun zur Top Ten! >>>>>

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N i c h t- A l l - S t a r s

8. JALEN ROSE 10. MIKE BIBBY

Fotos: Harry How/Rocky Widner/Sam Forencich/Andy Hayt/Ken Levine/Danny Bollinger

KARRIERE: 14,7 PPG, 3,1 RPG, 5,5 APG ÜBER 1.001 SPIELE (14 SAISONS) BESTE SAISON: 2003/04 (18,4 PPG, 3,4 RPG, 5,4 APG, 56,4 TS%, 113,0 ORTG, 3,3 VORP, 19,3 PER)

Die Kings der frühen 2000er Jahre galten schon damals als „everybody’s favorite team“, und im Lauf der Zeit hat sich dieser Status sogar noch bestätigt. Bibby war ab 2001 ein entscheidender Teil dieser Mannschaft und schaffte es dennoch – im Gegensatz zu Vlade Divac, Chris Webber, Peja Stojakovic und später sogar THC-Connaisseur Brad Miller – nicht, wenigstens einmal gewählt zu werden. Gerade bei Webber und Stojakovic ist das insofern gut verständlich, als ihr Peak Value höher war als der von Bibby, beide tauchten zu unterschiedlichen Zeitpunkten sogar mal in der MVPKonversation auf. Das galt für Bibby nicht, trotzdem war er über Jahre der konstanteste Spieler des Teams. Und derjenige, der die Partien am Ende dann oft entscheiden sollte. Im Gegensatz zu Webber scheute der Point Guard die großen Momente nicht, und in den Playoffs hing es oft an ihm, das Duell mit den Stars im Westen anzunehmen. Zweimal toppte er auch in der Postseason 20 Punkte im Schnitt, in der Regular Season waren 21,1 Zähler (2005/06) der Höchstwert. Bibby gehörte dabei zu den Spielern, die sehr früh ein hohes Volumen und auch eine gute Effizienz von Downtown an den Tag legten. Er war unheimlich konstant – aber er konnte das Spiel gleichzeitig nicht so kontrollieren wie die Guards, die zu seiner besten Zeit den Westen unsicher machten. Als er 2008 in den Osten getradet wurde, sackte seine eigene Produktion schnell in den Keller.

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KARRIERE: 14,3 PPG, 3,5 RPG, 3,8 APG ÜBER 923 SPIELE (13 JAHRE) BESTE SAISON: 2000/01 (20,5 PPG, 5,0 RPG, 6,0 APG, 53,0 TS%, 105,0 ORTG, 2,7 VORP, 17,8 PER)

9. DRAZEN PETROVIC KARRIERE: 15,4 PPG, 2,3 RPG, 2,4 APG ÜBER 290 SPIELE (5 SAISONS) BESTE SAISON: 1992/93 (22,3 PPG, 2,7 RPG, 3,5 APG, 60,5 TS%, 116,0 ORTG, 2,5 VORP, 17,3 PER)

Wir sind bei der Mozart-Exception angekommen – denn so richtig komplett wäre eine solche Liste ohne den „Mozart des Basketballs“ einfach nicht. Petrovic spielte zwar nur fünf Jahre in der NBA, seine fünfte und letzte Saison allerdings war fraglos eine mit All-Star-Kaliber, weshalb er an ihrem Ende ja auch folgerichtig ins All-NBA Third Team gewählt wurde. Sprechen wir nur über die besten Saisons, die nicht mit einer All-StarNominierung honoriert wurden, gehört diese Spielzeit mit erwähnt, eigentlich sogar noch weiter vorne. Aber wie zuvor beschrieben gehört auch das Gesamtwerk mit in die Kalkulation. Petrovic brauchte in der NBA etwas Anlaufzeit und vor allem einen Tapetenwechsel, doch in New Jersey zeigte er dann einen Großteil der Fähigkeiten, die ihn in Europa schon als Mittzwanziger zur Legende gemacht hatten. Allen voran seine Scoring-Skills und sein Wurf – zwei Jahre in Folge toppte Petrovic damals 44 Prozent von Downtown, bei der Schwierigkeit seiner Würfe fast unerhört. Mark Price, Michael Jordan, Joe Dumars und Isiah Thomas schafften es 1993 ins All-Star-Team des Ostens, alle vier hatten einen mehr als soliden Case. Zum damaligen Zeitpunkt ahnte logischerweise auch noch niemand, dass es die letzte Chance sein würde, Petrovic vor seinem tragischen Ableben in das Spiel der Besten zu wählen.

Rose gehört zu der Sorte von Spielern, die etwas zu früh in die Liga kamen. In der heutigen NBA würden sich viele Coaches nach seiner Vielseitigkeit und der Fähigkeit, auf vier verschiedenen Positionen spielen zu können, vermutlich verzehren. Mitte der 90er wussten diejenigen, die das Sagen hatten, hingegen vorerst nichts mit ihm anzufangen. Die ersten fünf Jahre seiner Karriere verbrachte das Fab-Five-Mitglied damit, um seinen Platz in der Rotation zu kämpfen, bevor 1999/00 dann der Durchbruch folgte. Unter Headcoach Larry Bird avancierte Rose auf einmal zum Vollzeit-Starter und wurde prompt „Most Improved Player“ – vier Jahre nacheinander sollten nun folgen, in denen seine Zahlen All-Star-Niveau hatten. Bird machte Rose zu einem Point Forward, der bei den Pacers von allem etwas machte. Er hatte mit 2,03 Meter eine starke Übersicht, war in seinen besten Jahren zudem dynamisch auf dem Weg zum Korb und konnte von draußen gut werfen. Star des Teams war Reggie Miller, tatsächlich legte Rose aber auch in der Saison, in der Indiana die Finals erreichte, mehr Punkte auf als der Shooting Guard. Sein bestes Scoring-Jahr folgte dann 2002/03 bei den Chicago Bulls, wo er 22,1 Punkte im Schnitt erzielte. Rose konnte sich jedoch nie bei den Wählern durchsetzen. In seiner besten Saison reichte es selbst dann nicht, als drei Spieler der Eastern Conference verletzungsbedingt ausfielen, stattdessen Latrell Sprewell, Dikembe Mutombo und Antonio Davis nachnominiert wurden. Womöglich schadete es ihm auch hier, dass nicht jedem klar war, für welche Position man Rose eigentlich wählen sollte.


7. ARVYDAS SABONIS KARRIERE: 12,0 PPG, 7,3 RPG, 2,1 APG ÜBER 470 SPIELE (7 JAHRE) BESTE SAISON: 1997/98 (16,0 PPG, 10,0 RPG, 3,0 APG, 58,1 TS%, 112,0 ORTG, 3,8 VORP, 20,9 PER)

Es ist kein Geheimnis, dass „Sabas“ seine beste Zeit nicht in der NBA hatte. Der Litauer kam erst mit 31 Jahren in die Liga, als diverse Verletzungen ihn seiner zuvor eindrucksvollen Athletik beraubt hatten. Die Version, die es dann nach Portland schaffte, war wesentlich langsamer als der Spieler, der die Sowjetunion unter anderem zu Olympia-Gold 1988 geführt hatte. Wie würde man über Sabonis sprechen, wenn er schon damals in der NBA gespielt hätte? Vermutlich würde er auf ganz anderen Listen auftauchen als dieser, nicht zu Unrecht ist Sabonis ja Hall of Famer und gilt als einer der besten Center der Basketball-Geschichte – nur eben nicht der NBA-Geschichte. Auch dort war er aber mit über 30 Jahren weit mehr als Durchschnitt. Sabonis hatte körperlich eine unheimliche Präsenz und verstand das Spiel besser als nahezu jeder andere Big Man. Er konnte werfen, aufposten, natürlich auch passen – er besaß ein modernes Skillset in einem Oldschool-Körper. In jedem seiner NBA-Jahre hatte er einen eindeutig positiven Einfluss auf seine Teams, selbst mit limitierter Mobilität. Vor allem die Advanced Stats liebten Sabonis: Bei den Win Shares pro 48 Minuten schaffte er es in seinen ersten fünf NBA-Jahren jeweils in die Top 8 der Liga, viermal landete er in der Top 18 beim Player Efficiency Rating, fünfmal in der Top 20 beim Box Plus/Minus, zweimal in der Top 20 beim VORP. Die Counting Stats hielten da nicht ganz mit, sein Output war insbesondere 1997/98 dennoch stark. Das Problem damals: Die volle Western Conference … an Shaquille O’Neal und David Robinson als Center gab es kein Vorbeikommen. Im Osten hätte das gegen Dikembe Mutombo und vor allem Rik Smits womöglich anders ausgesehen.

6. TONI KUKOC

5. LAMAR ODOM

KARRIERE: 11,6 PPG, 4,2 RPG, 3,7 APG ÜBER 846 SPIELE (13 JAHRE) BESTE SAISON: 1995/96 (13,1 PPG, 4,0 RPG, 3,5 APG, 58,9 TS%, 125,0 ORTG, 4,0 VORP, 20,4 PER)

KARRIERE: 13,3 PPG, 8,4 RPG, 3,7 APG ÜBER 961 SPIELE (14 JAHRE) BESTE SAISON: 2010/11 (14,4 PPG, 8,7 RPG, 3,0 APG, 58,9 TS%, 118,0 ORTG, 3,7 VORP, 19,4 PER)

Es wäre falsch, die Karriere der „Spinne von Split“ nur durch das All-Star-Prisma zu betrachten – dann ließe sich nämlich die Folgerung aufstellen, dass er zur falschen Zeit am falschen Ort war, und das wäre schlichtweg Unsinn. Er hat schließlich in seinen ersten fünf NBA-Jahren dreimal den Titel geholt, weil er beim vielleicht besten Team der Geschichte landete. Individuell musste Kukoc dafür indes tatsächlich Opfer bringen. Der variable Kroate hätte eine größere Rolle einnehmen können, für die Bulls war er jedoch dann am wertvollsten, wenn sie ihn von der Bank bringen konnten, um viel Offensive über ihn laufen zu lassen. 1995/96 perfektionierte er diese Rolle und wurde folglich zum „Sixth Man of the Year“ ernannt. Kukoc machte das Feld breit (damals 40,3 Prozent Dreier), war mit seinen Passfähigkeiten ein hervorragender Spieler für die Triangle-Offense und scheute auch die großen Würfe nicht – ähnlich wie Sabonis war auch er bei Zahlen wie den Win Shares pro 48 Minuten sehr beliebt (1995/96: 6. Platz in der NBA). Die nackten Zahlen waren jedoch nicht laut genug. Allein beim Scoring hatte Kukoc fünf produktivere Saisons als die, die hier als seine beste gilt. Hätte er Jordan und Pippen die Würfe wegnehmen sollen? Nein. Seine Stärke bemaß sich vor allem daran, dass er im Bulls-System perfekt seine Rolle ausfüllte. Dass auch mehr ging, zeigte er unter anderem 1998/99, als er für ein dezimiertes Chicago-Bulls-Team mit 18,8 Punkten, 7,0 Rebounds und 5,3 Assists die erste Geige mimte – es war jedoch nicht seine Paraderolle.

In vielerlei Hinsicht war Odom die logische Weiterentwicklung von Kukoc mit einer vergleichbaren Karriere. Auch Odom opferte eine größere Rolle für den Teamerfolg und ging dafür auch auf die Bank, auch Odom bestach durch seine Vielseitigkeit (im Gegensatz zu Kukoc auch defensiv), auch Odom war als Point Forward seiner Zeit voraus und nicht ideal für die Rolle als erste Geige geeignet. Es gab natürlich auch Unterschiede – unter anderem den, dass Odom zu Beginn seiner Karriere durchaus als erste Option seiner Teams fungierte. Von seinem Rookie-Jahr bis 2007/08 legte er im Schnitt 15,6 Punkte, 8,9 Rebounds, 4,4 Assists sowie 1,0 Steals und 0,9 Blocks auf – nur Kevin Garnett und Chris Webber wiesen diese Zahlenkombination in diesem Zeitraum ebenfalls auf. Mehr als wohl jeder andere Forward zu dieser Zeit wechselte er zudem fließend zwischen den Positionen, konnte der primäre Ballhandler und Playmaker sein, aber auch selbst Plays abschließen. Allerdings tat er all dies im goldenen Zeitalter der Power Forwards, neben den schon genannten Spielern liefen im Westen damals unter anderem noch Tim Duncan und Dirk Nowitzki auf. Sein Nirwana fand der Leftie erst, als er bei den Lakers landete und diese nicht nur Kobe Bryant, sondern ab 2008 auch noch Pau Gasol im Kader hatten. Odom musste nicht der primäre Fokus der Offense sein, sondern vorne wie hinten alle Lücken stopfen, die sich irgendwo auftaten. Das war nicht so sexy wie die ScoringOrgien von Kobe, aber einen riesigen Anteil an den Titeln von 2009 und 2010 hatte Odom zweifelsohne trotzdem.

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N i c h t- A l l - S t a r s

2. ROD STRICKLAND KARRIERE: 13,2 PPG, 3,7 RPG, 7,3 APG ÜBER 1.094 SPIELE (17 JAHRE) BESTE SAISON: 1997/98 (17,8 PPG, 5,3 RPG, 10,5 APG, 50,1 TS%, 107,0 ORTG, 3,7 VORP, 19,6 PER)

4. RON HARPER

Fotos: Focus on Sport/Rocky Widner/NBAE via Getty Images

KARRIERE: 13,8 PPG, 4,3 RPG, 3,9 APG ÜBER 1.009 SPIELE (15 JAHRE) BESTE SAISON: 1988/89 (18,6 PPG, 5,0 RPG, 5,3 APG, 57,0 TS%, 112,0 ORTG, 4,8 VORP, 19,8 PER)

In seiner zweiten Karrierehälfte musste sich Harper bei den Bulls und Lakers als langarmiger Defensivspezialist neu erfinden, nachdem ihm mehrere Verletzungen die Athletik und Explosivität geraubt hatten – mit großem Erfolg, schließlich war er so Teil von gleich fünf Meisterteams. Zu Beginn seiner Karriere war er jedoch auf einer anderen Trajektorie unterwegs. Harper kam als „Walking Bucket“ in die Liga – als Rookie legte er für Cleveland 23-5-5 plus 2,5 Steals im Schnitt auf und begeisterte die NBA mit seiner Athletik, die ihn eigentlich zum langjährigen MJ-Kontrahenten hätte machen sollen. Er besaß zunächst keinen guten Wurf, ansonsten aber so ziemlich alle Tools, die man sich von einem Flügel in der NBA hätten wünschen können. Harpers erster Karriereabschnitt war jedoch vor allem von Pech gezeichnet. In seiner zweiten Saison verletzte er sich erstmals, nach zweimaligem Aus in der ersten Playoff-Runde (gegen die Bulls) lösten die Cavs dann ihr talentiertes Team mit unter anderem Harper, Price, Ehlo und Daugherty auf und schickten den Off-Guard in die Wüste alias zu den Clippers. Dort absolvierte Harper zwar drei volle Saisons mit zwischen 18 und 20 Punkten im Schnitt, das reichte jedoch nie, um ein All Star zu werden – und dann verabschiedeten sich die Knie nach mehreren Operationen. Er hat sein Glück danach zwar noch gefunden, seine Karriere hätte jedoch auch völlig anders verlaufen können.

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3. DEREK HARPER KARRIERE: 13,3 PPG, 2,4 RPG, 5,5 APG ÜBER 1.199 SPIELE (16 JAHRE) BESTE SAISON: 1989/90 (18,0 PPG, 3,0 RPG, 7,4 APG, 56,1 TS%, 115,0 ORTG, 5,0 VORP, 19,8 PER)

Der heutige TV-Experte bei den Mavs weist über seine Karriere einige Parallelen zu Mike Conley auf, auch statistisch: Seine 9,9 Win Shares aus der Saison 1989/90 etwa gehören zu den besten Point-GuardSaisons der Geschichte, die nicht für das All-Star-Game reichten – Conley hat mit 10,0 Win Shares (2016/17) und 9,9 (2012/13) auch zwei davon im Repertoire. Harper war über viele Jahre einer der besseren Point Guards der Liga, zweimal erreichte er das All-Defensive Team. Dazu fungierte er als Kopf der ersten guten Mavs-Mannschaften – also auch der Truppe, die es 1987/88 bis in die Conference-Finals schaffte. Man könnte dafür argumentieren, dass Harper der wichtigste Spieler dieses tiefen Teams war, unter anderem aus positionellen Gründen waren es jedoch Mark Aguirre und Center James Donaldson (mit 7,0 Punkten im Schnitt!) sowie später Rolando Blackman, die das All-Star-Game erreichten. Für Harper reichte es in einer Western Conference mit unter anderem den Johnsons (Magic und Kevin), John Stockton oder Fat Lever auch in seinen besten Jahren nie. Dabei legte er in seiner besten Zeit in Dallas über sieben Jahre zwischen 16,0 und 19,7 Punkte sowie zwischen 5,4 und 7,9 Assists auf, und überdurchschnittlich effizient war er auch.

Wir haben uns hier für die 1997/98er Saison entschieden, weil Strickland in dieser Spielzeit die Liga bei den Assists anführte und am Ende ins All-NBA Second Team gewählt wurde (er bekam sogar ein paar Stimmen bei der MVP-Wahl), was ein Stück weit verdeutlicht, wie hoch sein Standing zu diesem Zeitpunkt in der Association war. Man hätte sich aber auch etliche weitere Saisons aus seiner Prime heraussuchen können. Der Point Guard hatte nicht nur ein ähnlich feines Handling wie sein Patenkind Kyrie Irving – er war auch ein Floor General im wahrsten Sinne des Wortes und gehörte vor allem offensiv zu den besten Guards seiner Zeit, der jeden Abend für 18 Punkte und neun Assists gut war. Ihm fehlte jedoch der Teamerfolg, lediglich zweimal gewannen seine Teams eine Playoff-Runde, obwohl Strickland vor allem in Portland teils sehr starke Playoff-Leistungen zeigte. Das dürfte ihm in Sachen All-Star-Konversation ebenso geschadet haben wie sein späterer Status als Wandervogel – insgesamt lief Strickland für stolze neun verschiedene Teams auf. Das All-Star-Game 1998 ist dennoch einen weiteren Blick wert – und (mal wieder) ein gutes Argument dafür, bei diesem Spiel grundsätzlich die Positionen wegzulassen. Geschenkt, dass MJ, die beiden Hardaways (Penny und Tim) und Reggie Miller in den Backcourt gewählt wurden (auch wenn Penny in der Saison nur 19 Spiele absolvierte). Aber historisch betrachtet ist Center Jayson Williams (Karriere: 7,3 PPG) mit seinen damals 12,9 Punkten für immer ein All Star, während Strickland dafür argumentieren kann, der beste Nicht-AllStar überhaupt zu sein. Auch wenn er hier nicht den Spitzenplatz bekommt.


1. CEDRIC MAXWELL KARRIERE: 12,5 PPG, 6,3 RPG, 2,2 APG ÜBER 835 SPIELE (11 JAHRE) BESTE SAISON: 1978/79 (19,0 PPG, 9,9 RPG, 2,9 APG, 67,6 TS%, 121,0 ORTG, 3,8 VORP, 19,9 PER)

Ein Stück weit litt Maxwell am ByronScott-Problem: Er stand mit Akteuren wie Larry Bird, Kevin McHale, Robert Parish, Dennis Johnson oder Nate „Tiny“ Archibald auf dem Court, die verhinderten, dass „Cornbread“ die ihm zustehende Aufmerksamkeit bekam. Es gab jedoch einen gravierenden Unterschied in Form einer individuellen Auszeichnung, die wichtiger war als das All-Star-Prädikat. In den 1981er Finals war es nicht etwa Bird, sondern Maxwell, der sich mit einer überragenden Two-Way-Performance gegen die Rockets den Award als FinalsMVP sicherte. Neben seinen 17,7 Punkten und 9,5 Rebounds war es vor allem die überragende Quote von 56,8 Prozent aus dem Feld, die dabei ins Auge stach. Das war für Maxwell wiederum kein Zufall: Der physische Swingman hatte keinen Distanzwurf, war jedoch unheimlich gut darin, sich in Korbnähe zu arbeiten und dort auch gegen Kontakt abzuschließen. Er zog Freiwürfe wie ein Superstar und führte die NBA als Forward zweimal nacheinander bei der True Shooting Percentage an – außerdem gehörte er zu den besten Flügelverteidigern seiner Zeit. Zwei Dinge haben ihm in Sachen All-Star-Game geschadet. Zum einen war die Forward-Konkurrenz in der Liga und insbesondere im Osten groß. Zum anderen stieß im Sommer nach Maxwells produktivster Saison in Sachen Counting Stats ein gewisser Bird zur Mannschaft, der einige Würfe beanspruchte. In diesem Konstrukt der Celtics wurde Maxwell dann mehr und mehr zum perfekten Rollenspieler als zu einem Star. Zum Glück gibt es aber die 1981er Serie, um daran zu erinnern, dass er auch selbst dem Rampenlicht standhalten konnte. redaktion@fivemag.de

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Eine Frage des Respekts Trae Young ist in seiner dritten NBA-Saison zu einer polarisierenden Figur geworden – offenbar auch unter seinen Kollegen. Was macht den Guard der Atlanta Hawks so streitbar? Und wie gut ist er wirklich? Text: Ole Frerks

Fotos: Cato Cataldo/Alex Menendez/Kyle Sudu

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as sich innerhalb eines (ausgedehnten) Jahres so alles ändern kann. Anfang 2020 wurde nicht nur das Wort „Corona“ primär mit einem mexikanischen Bier mitsamt kleinem Limettenschnitz am Flaschenhals in Verbindung gebracht, es wurde auch über den einen oder anderen NBA-Spieler noch völlig anders gedacht, gesprochen und berichtet als im Spätwinter 2021. Trae Young ist dafür womöglich das Paradebeispiel. Anfang 2020 debütierte der Point Guard der Atlanta Hawks beim All-Star-Game und durfte dabei sogar starten – genau wie sein Jahrgangskollege Luka Doncic, mit dem er aufgrund des Trades zur Draft 2018, der beide die Teams wechseln ließ, bis in alle Ewigkeit verbunden sein wird. Die vorherrschende Meinung damals wie heute war, zumindest außerhalb von Atlanta, dass Doncic der bessere Spieler sei – aber dass Young offensiv ein ähnlich transformatives Talent sein könnte. Auch er sollte eines der künftigen Gesichter der Liga werden, und beim Spiel sah der 21-Jährige mit zehn Punkten und zehn Assists in nur 16 Minuten keineswegs aus, als wäre er unter den besten Spielern der Liga fehl am Platz. Ein Jahr später musste Doncic beim nächsten All-Star-Game dagegen ohne seinen Kumpel auskommen, der es diesmal auch nicht als Reservist ins Spiel schaffte, obwohl dieses sogar

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in seiner „Heimat“ Atlanta stattfand. Die zusätzliche Konkurrenz durch beispielsweise James Harden war dafür nur ein Faktor – unter anderem erhielt Young von seinen Kollegen, den Spielern, nur die elftmeisten Stimmen aller Guards in der Eastern Conference. „Ich mache mir da nicht viel draus. Ich weiß, dass ich nicht der elftbeste Guard im Osten bin. Ich fühle mich nicht angegriffen“, kommentierte Young diesen Umstand zwar – ein solcher Absturz in Sachen Reputation war dennoch bemerkenswert. Seine Statistiken sind im Vergleich zu 2019/20 etwas zurückgegangen, doch nur durch Zahlen lässt sich dies nicht erklären. Young ist an einem komischen Punkt angekommen, an dem die Reputation anscheinend nicht mehr komplett mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Beziehungsweise: an dem die Leistungen, die er auf dem Court zeigt, nur noch einen Teil des Diskurses über ihn bestimmen. Wie ist es dazu gekommen?

Nervt die Schinderei?

Einerseits macht Young eine Erfahrung, die schon viele junge Spieler machen mussten, die einen gewissen Hype erleben, aber nicht unmittelbar genug gewinnen. Bei Devin Booker etwa wurde mal ein Punkt erreicht, an dem viele Beobachter es ihm negativ auslegten, dass er mal 70 Punkte in einem Spiel erzielt hatte, weil das nicht die richtigen Prioritäten demonstrierte.

Bei fast jedem Spieler wird früher oder später der Fokus weniger auf das gerückt, was er gut macht, sondern immer mehr auf die Schwächen. Das ist der etwas fade, aber gleichzeitig gewohnte Rückkopplungsprozess aus Hype, Gegenhype und „Nein, einfach nur genießen ist nicht in Ordnung“, der den Sport immer wieder begleitet. Bei Young kommt aber noch mehr hinzu. Da ist das Thema „Ref-Baiting“: Nets-Coach Steve Nash sprach vielen aus der Seele, als er Youngs Schinderei mit den Worten „Das ist kein Basketball“ kommentierte. Dieser ist zwar bei Weitem nicht der einzige Spieler in der NBA, der bei jeder Gelegenheit selbst Kontakt mit dem Verteidiger herstellt, so auffällig wie er ist dabei allerdings niemand (bei Redaktionsschluss hatte Young die meisten Freiwürfe 2020/21 getroffen). Dass ihn das nicht unbedingt beliebter macht, ist Young offenbar bewusst – aber (richtigerweise) egal. „Wenn es ein Team so sehr frustriert, weil es das nicht stoppen kann, dann ist das befriedigend. Ich weiß, dass es Mannschaften frustriert, aber es ist gut für uns, und das ist alles, was für mich zählt“, sagte er nach den Nash-Kommentaren zu „The Athletic“. Auch dieser letzte Zusatz wird aber in Frage gestellt.

Der Coach-Killer?

Schon lange bevor Lloyd Pierce am 01. März bei den Hawks als Headcoach entlassen wurde, kursierten Gerüchte


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über eine ziemlich schlechte Chemie in Atlanta. Wochen zuvor drang an die Öffentlichkeit, dass sich John Collins in einem Team-Meeting darüber echauffiert hatte, dass Young die Offensive seiner Meinung nach falsch leiten würde. Wobei der vermutlich problematischere Aspekt dieser Kritik war, dass sie es überhaupt nach draußen schaffte. Im Zuge dieser Entlassung entstand ebenfalls ein eher uneinsichtiges Bild von Young, der mit seinem bis dahin einzigen NBACoach wohl schon lange nicht mehr auf einer Linie gewesen war und dessen Vorstellungen nur bedingt umsetzte. Damit war er allem Anschein nach nicht der einzige Spieler bei den Hawks, aber er war und ist eben der wichtigste. Es würde zu weit führen, Young deswegen als „Coach-Killer“ zu bezeichnen, aber tatsächlich soll er sich beim Management für eine neue Stimme in der Kabine starkgemacht haben. Ein späteres Lob für den Nachfolger Nate McMillan ließ in jedem Fall tief blicken: „Er gibt uns allen Selbstvertrauen. Und ich denke, die Hauptsache ist, dass er uns allen sagt, dass wir wir selbst sein sollen.“ Genau das Gegenteil wurde Pierce von vielen Spielern anscheinend nachgesagt, auch wenn Young diesen nie offen kritisiert hatte … auch nicht nach dessen Entlassung. Für die Reputation spielt es ohnehin nicht immer eine Rolle, ob ein Prädikat wie „Coach-Killer“ fair verteilt wird oder nicht. Pierce genießt viel Respekt in der Liga, bei Young verhält sich die Sache nicht so eindeutig. Wie dem auch sei: Bei jeder Franchise der Liga (ausgenommen San Antonio und Miami) würde die Entscheidung im Zweifel immer zugunsten des Stars getroffen werden, zumal der sportliche Erfolg sich unter Pierce eben nicht eingestellt hat. Inwieweit dies wiederum Young anzulasten ist, ist die nächste komplizierte Frage.

Fotos: Scott Cunningham/NBAE via Getty Images

Ambitionen vs. Realität

Atlanta ging mit großen Ambitionen in die 2020/21er Saison, nachdem in der Offseason viel Geld für Neuverpflichtungen (darunter Danilo Gallinari und Bogdan Bogdanovic) in die Hand genommen wurde und der junge All Star damit endlich einen vernünftigen Supporting Cast an seiner Seite hatte. Die Playoffs sollten erstmals seit 2017 unbedingt wieder erreicht werden. Es gab viele Faktoren dafür, dass dies zunächst nicht klappte (die Hawks standen bei einer Bilanz von 14-20 zum Zeitpunkt der Pierce-Entlassung), und Young konnte längst nicht alle davon beeinflussen. Die Hawks wurden von Verletzungen heimgesucht. In den ersten Wochen entpuppte sich Zweitjahresprofi De’Andre Hunter (und nicht einer der Neuen) als zweitbester Spieler des Teams, bevor dieser anschließend ebenfalls

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„WAS WIR VON IHM SEHEN, IST EINE EVOLUTION.“ TRAVIS SCHLENK ___

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ausfiel. Atlanta hatte schnell wieder die exakt gleichen Probleme wie in der Vorsaison, nur mit (teilweise) anderem Personal und weniger Geduld. Komplett aussagekräftig waren diese Wochen also nicht. Wenn sie überhaupt etwas aufzeigten, dann die Tatsache, dass Young sein Team nicht im Alleingang auf Kurs halten konnte. Das ist kein Wunder, auch wenn die Hawks das sicherlich gehofft hatten. Im Prinzip hat Young in Atlanta nämlich diesen Stellenwert: Er soll der Heilsbringer sein – seit seiner Ankunft in

der Liga. Young wurden bereits als Rookie die Schlüssel in einer Art und Weise übergeben, wie es bei jungen Guards sonst nahezu unerhört ist. Er hat den Ball häufiger und länger in der Hand als fast jeder andere NBA-Spieler. Als Sophomore und auch aktuell hat er die siebtmeisten Touches pro Spiel, bei der „Time of Possession“ stehen sogar nur drei Spieler vor ihm. Zwei davon sind Harden und Damian Lillard, Spitzenreiter ist ironischerweise der Spieler, für den Young an seinem Draft-Abend getradet wurde: Doncic.

Unterschiede und Parallelen

Es mag aktuell fast vermessen wirken, auf die Ähnlichkeiten zwischen dem dritten und dem fünften Pick von 2018 hinzuweisen, schließlich sind die Unterschiede so groß: Doncic hat einen anderen Einfluss auf das Spiel – nicht zuletzt deshalb, weil er körperlich völlig andere Voraussetzungen mitbringt als sein Konkurrent Young. Doncic ist offiziellen Angaben zufolge 2,01 Meter groß und 101 Kilo schwer, Young liegt bei 1,85 Meter und bringt 20 Kilo weniger auf die Waage.


Das ist nicht trivial, denn diese Maße haben direkte Auswirkungen darauf, wie die beiden Jungstars mit ihren Schwächen fertigwerden. Doncic kann (wie vor dieser Saison geschehen) die Entscheidung treffen, dass er einen stärkeren Fokus auf seine Defense legen will, und binnen kurzer Zeit zu einem Plus-Verteidiger werden. Young kann es hoch und heilig schwören, Kerzen anzünden oder in der Kathedrale des heiligen Rodman meditieren, er wird trotzdem immer physisch unterlegen und einer der schlechteren Verteidiger der NBA bleiben. Auch offensiv hat Young gemäß seiner Figur ein anderes Wurfprofil als Doncic. Als Finisher am Ring etwa bestehen für ihn Limitierungen, die ein größerer und robusterer Akteur so einfach nicht hat, weshalb er beispielsweise vermehrt mit Floatern arbeiten muss. Ähnlich ist dafür die Tatsache, dass beide zu oft aufhören zu spielen, wenn sie den Ball nicht mehr in der Hand halten. Ein Off-Ball-Game hat Young (wie Doncic) bisher nahezu gar nicht gezeigt, was erklärt, warum er fast keine Eckendreier nimmt und pro Partie nur läppische 1,5 Catch-and-Shoot-Versuche verzeichnet. Young versucht nahezu keine einfachen Würfe, die ihm irgendjemand außer ihm selbst verschafft hat – was ihn einerseits wieder mit Doncic verbindet und es andererseits besonders beeindruckend macht, dass sein Einfluss auf Atlantas Offense dennoch so eindeutig positiv ist.

dabei gar nicht gerecht – aktuell 36,5 Prozent von draußen sind schon ein Career-High. Wie bei vielen anderen Schützen vor ihm ist es aber zu einem gewissen Anteil auch die Bereitschaft, die den Einfluss ausmacht. Youngs Wurf muss von überall auf dem Court zumindest respektiert werden, was wiederum Freiräume für alle anderen bedingt. Er wird gedoppelt, getriplet, nicht selten wird auch er mit einer Box-and-One verteidigt – dann spielen vier Verteidiger eine Zone, während sich Young einer Manndeckung erfreut. Der Wurf ist das Aushängeschild von Youngs Spiel – seine derzeit größte Stärke ist aber das Passspiel. Young hat trotz der angeblichen Unstimmigkeiten eine sehr gute Chemie mit Collins und auch Clint Capela, in der gesamten Liga gibt es kaum einen besseren LobPasser als ihn. Young auf Collins (2. Platz) und Young auf Capela (5.) waren

Einfluss eines Superstars

Die Kritikpunkte überstrahlen mittlerweile oft, dass Young für sein Team auch viel im positiven Sinne bewegt. Atlanta ist in seiner Spielzeit um 11,5 Punkte besser, womit er laut „Cleaning the Glass“ im 94. Perzentil rangiert (2019/20 war er im 90.). Das NetRating der Hawks in seinen Minuten (5,3) ist das eines 54-Siege-Teams. Young ist kein perfekter Offensivspieler, er leistet sich viele Turnovers und ist als Scorer nicht sonderlich effizient. Er hat hier sogar einen Rückschritt gemacht, doch sein Einfluss ist nicht von der Hand zu weisen. In seinen Minuten hat Atlanta ein elitäres Offensivrating (116,6), in den Minuten ohne ihn steht dieser Wert bei 101,7 – volle drei Punkte schlechter als die schlechteste Offense der Liga (Cleveland). Aufgrund seiner Fähigkeit, selbst tiefste Dreier zu treffen, ist er ein Spieler, für den Coaches ganz spezielle Pläne schmieden müssen, wie LakersCheftrainer Frank Vogel kürzlich sagte: „Man muss ihn verteidigen wie einen Steph Curry oder Dame Lillard, weil er aus dem Dribbling von so weit draußen werfen kann.“ Seine Anziehungskraft auf Verteidiger, seine „Gravity“, ist real. Seine tatsächlichen Quoten von der Dreierlinie werden der Reputation

zu Redaktionsschluss zwei der Top-5Assist-Kombinationen dieser Spielzeit. Den Löwenanteil seiner Assists verzeichnet Young aus dem Pick-andRoll, wo er schon jetzt das Prädikat „Maestro“ verdient. Lediglich Doncic läuft dieses Play noch minimal häufiger, und ähnlich wie der Slowene kann es Young auf jede erdenkliche Weise auflösen. Er verzeichnet die zweitmeisten Assists in der Restricted Area direkt am Ring und hat bisher die siebtmeisten Dreier vorbereitet. Zwar produziert er nach wie vor viele Ballverluste, das ist bei seinem hohen Volumen an Pässen aber kein Wunder – und er trifft, obwohl ihm so viel Aufmerksamkeit zuteilwird, wesentlich mehr gute als schlechte Entscheidungen. Dass er außerdem so viele Fouls zieht, macht ihn zusätzlich schwer zu verteidigen. Unter Ballhandlern, die mehr als zehn Pick-and-Rolls pro Spiel laufen, zieht nur De’Aaron Fox mehr ShootingFouls des Gegners.

Atlanta ist noch nicht fertig

Young befindet sich noch mitten in seiner Entwicklung – er ist ebenso wenig „fertig“ wie perfekt. Das wissen auch die Hawks. „Was wir von ihm sehen, ist eine Evolution“, sagte General Manager Travis Schlenk kürzlich. „Defensiv sehen wir, dass er mehr Charges annimmt, mehr aushilft und generell mehr Aufwand an diesem Ende betreibt. Sein WurfVolumen ist etwas reduziert, weil er lernt, seinen Teamkollegen mehr zu vertrauen. Er ist ein 22-Jähriger, der noch Raum für Wachstum hat.“ Das ist alles korrekt, und es überrascht nicht, dass es zu diesem Zeitpunkt noch Lücken in seinem Spiel gibt. Zumal das auch für den Kader gilt, der ihn umgibt. Bisher ist es Schlenk noch nicht gelungen, Young ein Team an die Seite zu stellen, das seine Stärken optimal fördert und seine Schwächen bestmöglich kaschiert. Die 2020er Offseason und insbesondere die Draft sind Beispiele dafür. Mit Onyeka Okongwu wurde ein Big Man gedraftet, obwohl Capela, Collins und später auch Gallinari den Weg für konstante Minuten natürlich blockierten – dabei wäre mit Tyrese Haliburton noch ein Spielertyp zu haben gewesen, der mit seinen basketballerischen Fähigkeiten sowie seiner Länge ein perfekter Fit neben Young hätte sein können. Es liegt nahe, von Young zu fordern, dass er sich ohne Ball in der Hand mehr bewegt, weil seine Gravity ihn ähnlich wie viele andere Shooter auch ohne Ball zu einer legitimen Waffe machen könnte. Mehr einfache Würfe sollten eine höhere Effizienz bedingen, und so könnte Young endgültig den Schritt zu einem der besten Offensivspieler der NBA machen. Es gehört aber eben auch mit dazu, dass Atlanta bisher nur in der Theorie Spieler hat, die ihn, wenn er den Ball abgibt, wirklich einsetzen können. Young ist nicht der Einzige, der noch Hausaufgaben zu erledigen hat, er ist als Franchise-Player nur logischerweise derjenige, der dabei am stärksten im Fokus steht. Dass die Hawks (und auch er selbst) ihn etwas frühzeitig zu einer Art Heilsbringer deklariert haben, macht ihn zusätzlich ein wenig streitbar. Kann Rayford Trae Young mit seinen physischen Limitierungen also der beste Spieler eines Titelfavoriten in der NBA sein? Noch ist es zu früh für die Antwort. Das All-Star-Game 2021 dürfte trotzdem eher Ausnahme denn Regel sein. Beliebt oder nicht – es gibt schon jetzt nicht viele Spieler, die eine Partie offensiv so vollumfänglich prägen können wie er. Und dabei ist sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. redaktion@fivemag.de

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Point Forwards

ON POINT P o i n t

F o r w a r d s

Der Begriff des „Point Forward“ existiert noch nicht lange, und es gab bisher recht wenige in der NBA. Aber selbst ein Praktikum auf der Eins half in der Vergangenheit einigen Superstars in ihrer Entwicklung. Aktuellstes Beispiel dafür? Zion Williamson. Text: Jan Hieronimi

Fotos: Stacy Revere/Jesse D. Garrabrant/Andrew D. Bernstein/NBAE via Getty Images

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s gibt viele Wege, zum NBA-Superstar zu werden. Einige reifen unerkannt in relativer Abgeschiedenheit heran. Schrauben unbemerkt ihre Produktion in immer höhere Sphären, nur ein Geheimtipp für Eingeweihte, bis die Basketballwelt eines Tages endlich ihren kollektiven Erweckungsmoment hat und bemerkt, dass hier ein Ausnahmespieler längst auf dem Weg Richtung Olymp unterwegs ist. Kawhi Leonard von den Clippers ist so ein Fall. Andere kommen hochdekoriert in die Liga, jedoch überschattet von noch größeren Namen in ihrem Draft-Jahrgang, abgeschrieben zu Stars zweiter Klasse mit offenkundigen Schwachstellen, um dann plötzlich unverhofft große Wellen zu schlagen und auf diesen bis in die Beletage der NBA zu surfen. Damian Lillard zum Beispiel. Steph Curry auch. Nur selten aber – alle Jubeljahre einmal – rauscht ein Ausnahmetalent mit maximalem Medien-Hype auf die Liga zu wie ein Tsunami, wird schon in der Highschool oder am College mit Superlativen überhäuft, betritt das NBA-Parkett als „First Overall Pick“ mit endlosen, schier unerfüllbaren Erwartungen – nur um dann selbst den absurdesten Vorschusslorbeeren gerecht zu werden.

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Diese Liste ist kurz. Shaquille O’Neal, Allen Iverson, LeBron James stehen darauf – und nun auch Zion Williamson. Erst Internet-Hype, dann AllAmerican, Duke Blue Devil, First Overall Pick, in der NBA umgehend Träger des meistverkauften Trikots der Liga, durch eine Knieverletzung nur Vize-„Rookie of the Year“, doch nun in seinem zweiten Jahr bereits NBA-All-Star – als viertjüngster Spieler der Geschichte nach Kobe, LeBron und Magic Johnson. Zion hat viel erreicht in seinen kaum anderthalb Jahren. Die Pointe dabei ist: Was, wenn er all das erreicht, ohne auf der für ihn richtigen Position zu spielen?

Point Zion

Ein Spiel im Februar 2021. Die Indiana Pacers gastieren in New Orleans. Nach dem Sprungball und dem ersten Angriff der Pacers wirft Pelicans-Center Steven Adams den Ball nicht etwa auf den etatmäßigen Aufbau Lonzo Ball ein, sondern auf Power Forward Zion Williamson, der in der Folge im besten Chris-Paul-Stil gemächlich seinen Teamkollegen hinterhertrabt. Auf Höhe der Dreierlinie jedoch explodiert der Flügelspieler unverhofft über seine rechte Seite, lässt Gegenspieler Domantas Sabonis im Staub zurück und legt souverän den Layup ins Netz.

Zwei Angriffe später ist es wieder Zion, der den Ballvortrag übernimmt, Lonzo Ball stellt dieses Mal einen Block für seinen bulligen Teamkollegen. Zion dribbelt, übergibt per Dribble-Handoff an Eric Bledsoe, der den Ball sofort wieder zum abrollenden Zion für „easy two“ ablegt. Zwei Situationen, die seit einiger Zeit keine Ausreißer mehr darstellen: Immer wieder trägt der massige Vierer den Ball nach vorne, führt das Leder im Pick-and-Roll mit seinen kleineren GuardKollegen als Blockstellern oder schlägt seinen Gegenspieler von außerhalb der Dreierlinie im direkten Eins-gegen-eins. Kommt die Hilfe gegen seine Penetration, findet Zion die offenen Werfer oder die Big Men in Korbnähe. Nicht für das ganze Spiel, aber wieder und wieder ist Zion Williamson ein Point Forward. Die New Orleans Pelicans sind alles andere als ein perfektes BasketballTeam. Es mangelt an vielen Stellen. Doch wenn die „Pels“ eines eigentlich nicht haben, dann einen Mangel an Ballhandlern. Da ist Lonzo Ball, einst der zweite Pick seiner Draft, dessen Inselbegabung darin liegt, den Ball selbstlos durch die eigenen Reihen zu flippern und aus Pickand-Roll- oder Fastbreak-Situationen wieder und wieder Pässe mit RückspulGarantie zu spielen.


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„WENN JEMAND WIE ICH ALS SPIELMACHER AGIEREN KANN, GIBT DAS DEINEM TEAM EIN ANDERES GESICHT. DIE MEISTEN TEAMS SIND NICHT DARAN GEWÖHNT, DASS EIN FLÜGELSPIELER DIE OFFENSE DIRIGIERT.“ GRANT HILL ___

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Da ist Brandon Ingram, 2,03 Meter groß, mit einem fiesen Spiel aus der Mitteldistanz, unwiderstehlichem Zug zum Korb und der 31.-höchsten Usage Rate der Liga – er hat den Ball also recht häufig in den Händen. Dann Eric Bledsoe, einst eines der vielversprechendsten Aufbautalente der USA, der nun als etatmäßiger Zweier nach mehr Playmaking-Aufgaben lechzt. Auch Backup Josh Hart gefällt sich mit dem Ball in der Hand. Rookie Kira Lewis Jr. braucht als „klassischer“ Spielmacher ebenfalls den Spalding. Man sollte annehmen, dass Coach Stan Van Gundy schon mit dem beschriebenen Überangebot an Spielgestaltern seine liebe Not hat. Umso beeindruckender ist es, dass Van Gundy seinen offiziell 129 Kilogramm schweren Forward wieder und wieder als Quasi-Einser einsetzt. Zu Beginn der Saison selten, dann im weiteren Verlauf immer öfter, bis Zion im Februar im Schnitt elf Mal pro Spiel den Ball über die Mittellinie trug. Und seine Aufbau-Pflichten enden nicht mit dem Ballvortrag: Über die Saison hinweg fand er sich in den ersten zehn Spielen der Saison zunächst nur 2,6 Mal pro 100 Ballbesitze in Blockenund-Abrollen-Situationen, dann 4,3 Mal in Spiel 11 bis 20, dann augenöffnende 16,5 Mal in Spiel 21 bis 30. Nach Ingram und den beiden Aufbauspielern Ball und Lewis Jr. ist das der vierthöchste Wert bei den „Pels“. Zudem nutzt Williamson auch die Möglichkeiten, die sich aus seiner etatmäßigen Rolle als Power Forward ergeben – mal kreiert er aus dem DribbleHandoff heraus, mal verteilt er den Ball aus dem Highpost. 4,6 Assists im Schnitt stellte Zion in den Spielen 21 bis 35 der Saison zu. Eine bemerkenswerte Steigerung gegenüber den 2,1 Vorlagen in seinem Rookie-Jahr. Trotz größerer Verantwortung verliert der Youngster den Ball seltener als in seiner Rookie-Saison. Wichtiger noch: Die Offensive der Pelicans hob in dem zugegebenermaßen kurzen Zehn-SpieleFenster, in dem Zion den Ball vermehrt in seinen Händen hatte, auf absolutes Elite-Level ab. Mit 124,3 Punkten pro 100 Possessions waren die Pelicans die zweiteffektivste Offensive der Liga.

Fotos: Jonathan Daniel/Allsport

Freie Fahrt zum Ring

Die Vorteile der neuen Rolle liegen auf der Hand: Als Ballführender, der mit Anlauf auf Höhe der Dreierlinie attackiert, kann Williamson seine athletischen Vorteile gegen die oftmals limitierten Gegenspieler optimal ausspielen. Oft genug läuft er der staksigen Konkurrenz einfach davon. Noch unfairer wird das Matchup, sobald seine Power-Forward-Kollegen sich in der ungewohnten Kunst der Blockbekämpfung versuchen – sich über Picks zu kämpfen oder unter Picks

herzutauchen, sind viele seiner Verteidiger schlichtweg nicht gewohnt. So stürzen Zions Drives die gegnerische Defensive regelmäßig in Verwirrung, oftmals steht er nach Switches leichteren und kleineren Gegenspielern gegenüber, die er auf dem Weg zum Korb beiläufig huckepack nimmt. Selbst wenn der ursprüngliche Verteidiger den Weg zurück zu Williamson findet, hat der zu diesem Zeitpunkt bereits Fahrt aufgenommen und penetriert mit Anlauf in die entstandenen Lücken. Wie der explosive und bullige Vierer durch unsortierte Verteidigungslinien pflügt, erinnert ältere Semester an die Fahrt der Blues Brothers durch ein voll besetztes Einkaufszentrum. Das US-Portal „The Ringer“ untermalte seine Drives zuletzt mit Miley Cyrus’ „Wrecking Ball“ (Abrissbirne). Passend. Und so ist immer wieder Endstation Korbanlage: Kaum ein Spieler in der Historie der Liga konnte bisher derart hochprozentig am Brett scoren wie Zion mit seiner rekordverdächtig komprimierten Masse und seinen 114 Zentimetern Sprungkraft. Kein Spieler in der NBAGeschichte nahm bisher einen derart hohen Anteil seiner Wurfversuche direkt in der „Restricted Area“. Zudem reboundet er den höchsten Prozentsatz der eigenen „Misses“ in der ganzen Liga. War er zuvor für solche Wurfgelegenheiten oft auf kluge Durchstecker im Pick-and-Roll oder saubere Alley-Oop-Anspiele angewiesen, kann er sich nun selbst seine Wurfchancen kreieren und den Weg ins Innere suchen, wo er dann absolut einzigartig abschließt. „Seine Strategie, erst mal hochzuspringen und sich den Rest dann zu überlegen, sobald er da oben angekommen ist ... es gibt niemanden in diesem Sport, der damit durchkommt, und er macht es jeden Abend und trifft 65 Prozent seiner Würfe“, staunt Teamkollege J.J. Redick.

Point-Guard-Praktikum?

Sehen wir also derzeit eine Sneak Preview zur Zukunft der Liga? Ist „Point Zion“ das Schicksal des Ausnahmespielers? Oder ist der Ausflug auf die ungewohnte Position nur ein Fortbildungsprojekt auf dem Weg zum absoluten Superstar-Status? Ein solches Quasi-Praktikum auf der Eins wäre nicht ohne historisches Vorbild. Im Gegenteil, immer wieder haben Starspieler für begrenzte Zeit das Steuer als Aufbauspieler übernommen – mal aus Mangel an Alternativen, mal aus strategischem Kalkül. Kobe Bryant beispielsweise lief 1996/97 als Frischling in der Liga zunächst als Backup auf der Eins auf, lange bevor er als Off-Guard Legendenstatus erlangte. Die L.A. Lakers waren damals gut besetzt in der Ersten Fünf mit Nick Van Exel, Eddie Jones und Cedric Ceballos im Backcourt, die allesamt über 35 Minuten pro Spiel verbrannten. Coach Del Harris

entschied sich dafür, den selbstbewussten 18-Jährigen auf der Eins einzusetzen. Bryant zahlte beim Ballvortrag allabendlich Lehrgeld, verlor das Leder durch Verstöße gegen die (damals noch) Zehn-Sekunden-Regel und tat sich schwer gegen die Full-Court-Bewachung durch gegnerische Einser. Bei allem Ausnahmetalent war die „Black Mamba“ weit entfernt davon, bereits all die Tiefen des Spiels zu erfassen. Del Harris galt nicht als Fan des Hypes um seinen Jungstar. Dessen Ego einen Dämpfer zu versetzen, mag Teil seines Kalküls gewesen sein. Auf jeden Fall beschleunigte Harris auf diese Weise die Lernkurve Bryants: Die ersten zwei Jahre als Backup in L.A. lieferten neben einer Portion Bodenhaftung und Motivation auch eine Menge Lektionen in Basketball-Ingenieurwesen, die sich Jahre später auszahlen sollten, wann immer Kobe aus dem Egoshooter-Modus in den Vorbereiter-Modus schaltete. Gerade in der zweiten Phase seiner Karriere an der Seite von Pau Gasol trat er oftmals als Passgeber aus dem Pick-and-Roll auf. „Damals dachte ich: ,Nun, ich spiele nicht, was kann ich also anders machen? Ich muss besser werden.‘ Ich musste irgendwann an einen Punkt kommen, wo klar war: ,Du musst mich spielen lassen, weil ich so effizient bin‘“, erinnerte Kobe sich später. Ein Jahr zuvor hatte ein anderer Jordan-Nachfolger bereits unter anderen Vorzeichen die Spielmacheraufgaben übernommen: Small Forward Grant Hill war als dritter Pick der Draft 1994 nach Detroit gekommen und hatte sich dort mit 19,9 Punkten, 6,4 Boards und 5,0 Assists pro Spiel die Ehre als Co-Rookie des Jahres 1994/95 verdient. Dann heuerte mit Doug Collins jener Cheftrainer in Detroit an, der einst einen jungen Michael Jordan gecoacht hatte. „Doug legte den Ball in meine Hände, und das genoss ich“, erinnert Hill sich heute. „Wenn jemand wie ich als Spielmacher agieren kann, gibt das deinem Team ein anderes Gesicht. Die meisten Teams sind nicht daran gewöhnt, dass ein Flügelspieler die Offense dirigiert.“ Das Konzept des „Point Forward“ war dank Vorreitern wie Marques Johnson (der für sich in Anspruch nimmt, den Begriff erfunden zu haben), Rick Barry (der behauptet, der Erste seiner Art gewesen zu sein), Magic Johnson oder Larry Bird zwar nicht unbekannt, aber weiterhin exotisch. Hill blieb als Scorer auf dem gleichen Level wie als Rookie (20,2 und 21,4 Punkte im Schnitt), steigerte sich aber in den Folgejahren als Passgeber (erst 6,9 Assists, dann 7,3). Leider war die Beziehung zu Coach Collins nicht allzu harmonisch, der Erfolg wollte sich bei den Pistons nicht einstellen – Collins wurde nach nur zweieinhalb Jahren gefeuert.

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Hill kehrte in der Folge zunehmend zur „klassischen“ Rolle als Flügelspieler zurück, wo er weiterhin seine Spielmacherfähigkeiten ausspielte.

Fotos: Jonathan Bachman/Alex Goodlett/Getty Images

Allen und Allen

Andere Stars und Superstars sollten dem Beispiel von Hill oder Bryant folgen. Allen Iverson – größenmäßig wie gemacht für die Eins, doch dank seiner juckenden Wurfhand eher als Shooting Guard eingesetzt – wurde parallel zu Kobe in seinen ersten beiden Spielzeiten als Aufbau aufgestellt. Zum einen reflektierte diese Rolle den Zeitgeist: Kleinere Guards wurden als Aufbauspieler gesehen, mehr als einen Spieler dieses Typs leistete sich kein Team in der Ersten Fünf – in einer Ära, in der das körperliche Spiel, vor allem das „Handchecking“, noch erlaubt war. Zum anderen hofften die Philadelphia 76ers, der wilde Rookie würde durch die Verantwortung als Spielgestalter verstehen, welch komplexe Mechanismen über Erfolg und Misserfolg eines Basketball-Teams entscheiden. Zunächst ging die Rechnung nicht auf. Nach zwei Spielzeiten wechselte Iverson auf die Zwei, wo er sich ganz seinen Scoring-Instinkten widmen konnte. Mit Eric Snow, einem bulligen Aufbau, der bereitwillig Ballvortrag und Spielgestaltung übernahm, stand die perfekte Ergänzung parat. In der Rolle als Shooting Guard trug „A.I.“ die 76ers 2000/01 sensationell bis ins NBA-Finale. Immerhin: Auch auf dieser Position war Iverson für vier bis fünf Assists im Schnitt gut – dass die Erfahrung als Aufbau dabei eine gewichtige Rolle spielte, ist anzunehmen. Von 2004 bis 2007 kehrte „The Answer“ in Philly nochmals auf die Eins zurück. Mit über 30 Punkten im Schnitt, aber auch über sieben Vorlagen pro Partie interpretierte er seine Rolle sehr offensiv – die große Kunst, die ideale Balance zwischen selbstbewusstem Dauerfeuer und selbstlosem Passspiel zu finden, meisterte er jedoch bis zu seinem Karriereende nicht wirklich. Wer weiß, wie es ohne sein „Praktikum“ ausgesehen hätte … Auch Ray Allen – heute als purer Dreier-Experte und NBA-Champion aus Boston und Miami in Erinnerung – kam in Seattle zu unverhofften Ehren, als er sich nach dem Trade von den Milwaukee Bucks zu den SuperSonics auf einmal auf der Spielmacherposition wiederfand. All-Star-Aufbau Gary Payton war im Tausch für Allen nach Milwaukee gewechselt, es mangelte schlicht an Alternativen auf der Eins. Allen teilte sich die Rolle mit Forward-Kollege Brent Barry, legte nach dem Trade 5,9 Assists auf, in seiner ersten vollen Saison als Sonic immer noch 4,8. Danach beendete ein junger Aufbau namens Luke Ridnour das Experiment. Und dann ist da noch das wohl prominenteste Beispiel für die Strategie,

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Ausnahmetalente durch den Wechsel auf die Aufbauposition in ihrer Entwicklung schneller voranzubringen: Giannis Antetokounmpo. Der 2,11 Meter lange „Greek Freak“ hatte bereits einen rasanten Reifeprozess und zwei NBA-Saisons hinter sich, als Coach Jason Kidd den damals erst 21-Jährigen sensationellerweise auf die Eins schickte. Mit einem akzeptablen Ballhandling, seinem legendären Eurostep und der außergewöhnlichen Mischung aus Länge und Athletik stellte Giannis ohnehin bereits einen Matchup-Albtraum dar – was, wenn dieser Ausnahmespieler die strategische Seite des Basketballs meistern und seine Kollegen noch klüger einzusetzen lernen würde? Als Playmaker würde Giannis den Ball so häufig wie möglich in den Händen haben und somit die Verteidigung allein durch seine Skills als Eins-gegeneins-Spieler maximal unter Druck setzen. Kidd – als Spieler einer der besten Point Guards der Ligageschichte – machte die Umschulung seines Stars zur Chefsache. Er kletterte damals im Training immer wieder auf einen Klappstuhl, um den besonderen Blickwinkel seines überdimensionierten Aufbaus auf die Defense nachzuvollziehen und die richtige Lesart der Verteidigung lehren zu können. Die Parallelen zu Zion sind augenfällig: Giannis war damals ähnlich alt, steuerte in der Rolle als Aufbau mit 4,3 Assists im Schnitt ähnliche Statistiken bei. Heute ist er etatmäßig auf seine Position als Forward zurückgekehrt, übernimmt jedoch immer wieder Spielmacheraufgaben und liefert inzwischen knapp sechs Vorlagen im Schnitt. Als zweifacher Liga-MVP wäre Giannis sicherlich keine schlechte Blaupause ...

Anfang einer Ära?

Spieler mit Starpotenzial auf der Eins auflaufen zu lassen und sie auf ein neues Niveau zu heben – immer wieder haben Trainer auf diese Karte gesetzt. Auch Zions Entwicklung beschleunigt sich erkennbar durch die Playmaker-Rolle. Doch muss sein Weg dort bald wieder enden? Ist Zion wie Kobe, der seine wahre Position woanders fand, jedoch jederzeit in den Werkzeugkoffer des Point Guards greifen konnte? Ist er Giannis, der beständig zwischen allen fünf Positionen rotiert, vom Ballverteiler im Halbfeld zum Ein-MannFastbreak zum abrollenden Innenspieler? Oder ist Zion doch eher wie LeBron James oder Nikola Jokic, also ein Aufbau im Körper eines Big Man? Das letztgenannte Szenario ist nicht unwahrscheinlich. Denn für Zion schließt sich mit den Ausflügen auf die Eins ein Kreis. Vor der Draft, vor Duke, vor dem Hype, vor allem aber vor einem ordentlichen Wachstumsschub im Sommer zwischen achter und neunter Klasse lief der spätere Überflieger als Point Guard der Johnakin Middle School auf.

Schon mit fünf Jahren hatte Williamson seinem Stiefvater Lee Anderson und seiner Mutter Sharonda Sampson (früher als Hochspringerin aktiv und wahrscheinlich für seine „Hops“ verantwortlich) eröffnet, dass er es eines Tages in die NBA schaffen wolle. Mutter und Vater trainierten den Nachwuchsballer fortan mit großem Eifer, bald spielte er als Fünfjähriger in einem AAU-Team mit Neunjährigen – und war zwischen den Großen naturgemäß für die Ballverteilung zuständig. „Er war ziemlich gut“, erinnert sich seine Mutter. „Von Tag eins wurde er dafür trainiert, als Guard zu spielen. Darum ist er heute so vielseitig. Er war ein typischer ,Pass first‘-Aufbau. Wenn er frei war, warf er auf den Korb, aber am liebsten setzte er andere ein.“ Als Zion im Sommer auf einmal in die Höhe schoss und beständig Masse auf die Waage packte, war das Ergebnis ein Spieler mit den Fertigkeiten eines Point Guards in einem der bald massivsten Körper der NBAGeschichte – John Stockton innen, Karl Malone außen. „Er ist ein Außenspieler, der auch aufposten kann“, so nennt es Coach Stan Van Gundy. Zion liegt die neue Rolle. „Ich liebe es, so zu spielen. So bin ich aufgewachsen. Ich glaube, ich bin in dieser Rolle schwerer zu verteidigen. Ich kann einfacher Plays machen, ich sehe das Feld einfach besser“, sagt er. Was zuvor nur im Training zu sehen war, ist nun fester Bestandteil der Pelicans-Offense. Die Optionen, Zion ins Spiel einzubinden, haben sich vervielfacht. Als Blocksteller ist der kantige Vierer ohnehin schon einer der effektivsten Offensivspieler der Liga. 1,4 Punkte resultieren im Schnitt aus seinen Picks, der vierthöchste Wert in der NBA. Derzeit erhält er jedoch nur in 19 Prozent dieser Situationen als abrollender Spieler den Ball – ein Frevel, den Coach Van Gundy abstellen wird. Die neue Rolle als Spielmacher eröffnet weitere Gelegenheiten für Williamson, und hier ist er erst am Anfang seiner Reise. „Langfristig möchte ich ihn mehr auf der Point-Guard-Position einsetzen“, sagt Van Gundy. „Er muss aber erst die dafür nötige Kondition aufbauen. Wir nutzen ihn bisher nach Einwürfen und Freiwürfen als Aufbauspieler, und er hat gezeigt, dass er das leisten kann. Bis er jedoch das macht, was Lonzo Ball macht, also bei jedem Einwurf den Ball abholen und ihn nach vorne bringen … das wird dauern. Aber langfristig ist das meine Vision für ihn.“ Bald wird Zion beweisen müssen, dass er – egal in welcher Rolle – seine „Pels“ in Richtung Playoffs hieven kann. Bis dahin freuen sich die Fans darüber, einem Superstar beim Wachsen zusehen zu können. Zu was auch immer er am Ende heranwächst. redaktion@fivemag.de


„LANGFRISTIG MÖCHTE ICH IHN MEHR AUF DER POINT-GUARD-POSITION EINSETZEN. ER MUSS ABER ERST DIE DAFÜR NÖTIGE KONDITION AUFBAUEN. WIR NUTZEN IHN BISHER NACH EINWÜRFEN UND FREIWÜRFEN ALS AUFBAUSPIELER, UND ER HAT GEZEIGT, DASS ER DAS LEISTEN KANN.“ STAN VAN GUNDY ___

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DeMar DeRozan

D e R o z a n

DIE VERWANDLUNG Fotos: Logan Riely/NBAE via Getty Images

Vom eindimensionalen Shooting Guard bei den Toronto Raptors zum dreierwerfenden Power Forward bei den San Antonio Spurs? DeMar DeRozan hat zweifellos über seine Karriere eine beachtliche Entwicklung vollzogen. Bei genauerer Betrachtung ist seine Verwandlung aber vielschichtiger und nuancierter. Text: Manuel Baraniak

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ls DeMar DeRozan eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich auf dem Parkett zu einem das Spielfeld spacenden StretchBig verwandelt. Literaturaffinen Lesern dürften diese Zeilen bekannt vorkommen. Andere erinnern sich vielleicht an ihren Deutsch-Grundkurs zurück. In leicht abgewandelten Zeilen beschreibt Franz Kafka so die Transformation des Tuchhändlers und Geschäftsreisenden Gregor Samsa zu einem „ungeheuren Ungeziefer“. Was Gregor Samsa, Hauptfigur einer Kafka-Novelle, und DeMar DeRozan, viermaliger NBA-All-Star, gemeinsam haben? „Die Verwandlung“, so auch der Titel von Kafkas Buch. In ihrem Ende dürften sich beide Geschichten deutlich unterscheiden – wenn es manchmal auch bei DeRozan etwas kafkaesk wirken mag. DeMar DeRozans Unheil kündigt sich durch die Wälder an. Ein lautes Stampfen in der Winterlandschaft, die Bäume neigen sich, zum Vorschein kommt der riesige „Trade-Raptor“. Nach Jakob Pöltl verschluckt das Ungeheuer auch den am Marterpfahl befestigten DeRozan. Noch eine Draft-Kugel in den Schlund geworfen, rülpsend einen Schuh

ausgespuckt, und der „Trade-Raptor“ zieht wieder von dannen. Auch der hinterhereilende Kyle Lowry kann daran nichts ändern. In jeder Satire steckt immer ein Kern Wahrheit, mitunter eine bitterböse. „Bitte, ich tue alles, was ihr wünscht – ich werfe mehr Dreier“, schreit DeRozan vor Verzweiflung Richtung Lord Ujiri, bevor er verschluckt wird. „Ich werfe von überall, ich werfe von hinter der Mittellinie.“ Auf diese Weise beschreibt eine grandiose „Game of Zones”-Folge den Trade von DeMar DeRozan. In der Offseason 2018 geht es für den bisherigen Franchise-Spieler der Toronto Raptors zu den San Antonio Spurs, zusammen mit Jakob Pöltl und einem Erstrundenpick. Im Gegenzug sichert sich die kanadische Franchise die Dienste von Kawhi Leonard. 2009 von den Raptors an neunter Stelle gezogen und sich kontinuierlich mit seinem Team gesteigert, bis hin zu einem Franchise-Rekord von 59 Siegen in der Saison 2017/18 – und damit seiner letzten in Kanada –, muss DeRozan nach neun Jahren Toronto verlassen. Oder sollten wir lieber „LeBronto verlassen“ schreiben? Denn an LeBron James bissen sich die Dinos immer wieder die Zähne aus. In drei Playoff-Runden in Folge scheiterten die Raptors an den Cleveland Cavaliers um James: 2016 nach sechs Spielen im Eastern-Conference-Finale, 2017 und 2018 gar per Sweep in der zweiten Runde.

Der Motherf***er

„Ich wusste, dass etwas passieren würde: dass der Coach gefeuert, dass Kyle Lowry oder ich getradet werden würde“, blickt DeRozan im „All The Smoke“-Podcast von Matt Barnes und Stephen Jackson zurück. Diese Befürchtung legte sich zunächst wieder – als James Cleveland und damit die Eastern Conference verlassen hatte, um sich den Los Angeles Lakers anzuschließen. „Das hat uns erst mal wieder beruhigt, weil er der einzige Motherf***er war, an dem wir nicht vorbeigekommen sind“, führt DeRozan aus. Schließlich musste der Guard doch gehen – was ihn vor allem wegen eines Umstands gestört hat: „Ich wollte noch einen Versuch haben, in die Finals einzuziehen – vor allem, nachdem LeBron den Osten verlassen hatte. Diese Chance nicht zu bekommen, hat mich mehr verletzt, als getradet zu werden.“ Dieser „Motherf***er“, der einem im Weg steht … in der Geschichte der Eastern Conference kennen viele Spieler diese Situation nur allzu gut. „Das Frustrierendste war: Die Leute haben das Ganze so betrachtet, als wäre ich die ganze Zeit das Problem gewesen“, antwortet DeRozan auf die Frage, wie er die Meisterschaft Torontos in der ersten Saison nach seinem Trade wahrgenommen habe.

Um Titel zu gewinnen, braucht es Spieler für die großen Momente. Diese Clutch-Fähigkeiten werden die RaptorsVerantwortlichen bei DeRozan aber in Frage gestellt haben. Mitunter zu Recht: In den Spielzeiten 2014/15 und 2015/16 traf DeRozan in solchen Situationen keine 40 Prozent aus dem Feld. An der Freiwurflinie präsentierte er sich etwas wackelig, zudem musste bei ihm – als Ballhandler – das ausbaufähige Assist-TurnoverVerhältnis bemängelt werden. DeRozan wurde in dieser Zeit oftmals eine gewisse Eindimensionalität vorgeworfen: kein Dreier im Repertoire, zu viele Versuche aus der Mitteldistanz. Und gerade die Duelle gegen LeBron James deckten das „LeBronto“-Syndrom auf: In den drei angesprochenen Playoff-Serien gegen die Cavs nahm DeRozan in den insgesamt 14 Spielen nur 16 Dreier – und verwandelte dabei keinen einzigen. Während die Raptors im vierten Spiel 2018 gegen Cleveland – und damit DeRozans letztem im Trikot Torontos – mit 35 Punkten Differenz untergegangen waren, erlebte DeRozan persönlich schon davor eine gewisse Demütigung: In der dritten Partie, die James mit seinem Buzzerbeater entschied, saß DeRozan die letzten 14 Minuten auf der Bank. „Die drei Jahre, in denen wir gegen dieses Team antreten mussten, waren hart für uns. Vielleicht haben sie uns einfach durchschaut“, resümierte DeRozan damals. Was auch auf DeRozan persönlich zutraf, sich aber mittlerweile geändert hat. Denn bei den Spurs ist der 31-Jährige in entscheidenden Momenten nicht wegzudenken. „Er ist unser Klebstoff. Wir wären in großen Schwierigkeiten, wenn er nicht unser Anker wäre“, erklärt Spurs-Headcoach Gregg Popovich. In der vergangenen Saison netzte DeRozan 50 Prozent seiner Feldwürfe in Clutch-Situationen ein, von Spielern mit mindestens 60 Wurfversuchen trafen lediglich drei Akteure besser! Und von jenen Spielern wies DeRozan außerdem das mit Abstand beste Assist-TurnoverVerhältnis auf (6,5:1). Schon in seinen letzten Jahren in Toronto agierte DeRozan in der Crunchtime aus dem Feld effizienter. In dieser Saison trifft er immerhin 45,7 Prozent. Vor allem ist beeindruckend, wie DeRozan in diesen Situationen den Weg an die Linie findet und sich dort nervenstark präsentiert. „Er ist unglaublich, wenn es darum geht, durch die Zone zu manövrieren und mit Step-Throughs und Pumpfakes zu arbeiten“, findet Teamkollege Jakob Pöltl. So wie gegen die Houston Rockets Anfang Februar: 100:100 steht es drei Minuten vor Schluss, ehe DeRozan zweimal an die Linie geht und per AndOne erfolgreich ist. Sieben Punkte in 99 Sekunden legt er auf, und die Spurs haben sich auf fünf Punkte abgesetzt.

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Seine Fähigkeit, vor allem per Pumpfake Gegenspieler zu narren und so an die Linie zu kommen, begründet DeRozan mit seiner Erfahrung, „Angewohnheiten zu verstehen sowie die Positionen der Spieler auf dem Feld und die Zeit auf der Uhr zu lesen. Da kommen einfach meine Urinstinkte durch.“ DeRozans Distanzwurf mag eine Baustelle bleiben – auch wenn SpotupAbschlüsse bei ihm nie eine größere Rolle gespielt haben als 2020/21 –, doch ausgerechnet im Duell mit seinem Ex-Team Toronto zu Saisonbeginn bringt DeRozan San Antonio per Dreier in der Schlussminute auf einen Punkt heran, ehe die Spurs mit 119:114 gewinnen. Letztlich trifft DeRozan drei seiner vier Würfe von Downtown. Und gegen Minnesota erzielt DeRozan die letzten neun Punkte San Antonios in den letzten 89 Sekunden des Schlussviertels. Beim 125:122-Erfolg nach Verlängerung stellt er mit 38 Zählern schließlich einen persönlichen Saisonbestwert auf. Ein Kinderspiel für DeRozan. „Du siehst dir das Ganze wie bei ‚Vier gewinnt‘ an“, was DeRozan gerne mit seinen beiden Töchtern spielt. „Du musst verstehen, welche Aktionen dich in die beste Position bringen, wenn die freien Spalten immer weniger werden.“

Fotos: David Dow/NBAE via Getty Images

Power Forward

In der zuvor erwähnten Partie gegen die Rockets beenden und gewinnen die Spurs das Spiel mit einem Lineup aus Dejounte Murray, Patty Mills und Derrick White auf den Außenpositionen, DeRozan auf der Vier sowie Jakob Pöltl bzw. Rudy Gay als Center. Mit Einsatzzeiten als Power Forward hat DeRozan eine weitere Verwandlung vollzogen – die sich vor allem in der Bubble im vergangenen Jahr gezeigt hat. Damals ohne LaMarcus Aldridge und Trey Lyles antretend, musste Popovich zwangsläufig umstellen. Bei seinem Experiment mit DeRozan als Starter auf der Vier und einem DreiGuard-Lineup aus Murray, White und Lonnie Walker machte Popovich bereits klar, dass es „keine Point Guards gibt, sondern nur Flügelspieler“. Und auch DeRozan stand der Transformation offen gegenüber. „Es ist so, als würde man an den Punkt gelangen, an dem Basketball irgendwie positionslos ist“, äußerte sich DeRozan damals gegenüber der Tageszeitung „San Antonio Express-News“. „Solange du Basketball auf die richtige Art und Weise spielst, ist es nicht wirklich wichtig, auf welcher Position du das tust. Du machst immer noch die gleichen Dinge – nur auf einer anderen Position.“ Wobei DeRozan vor allem in einer Sache nicht mehr das Gleiche tut: viele Mitteldistanzwürfe nehmen. Mit diesem Offensivprofil während seiner Zeit in Toronto noch als eindimensionaler Scorer verschrien, stellt sich DeRozan nunmehr

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„SOLANGE DU BASKETBALL AUF DIE RICHTIGE ART UND WEISE SPIELST, IST ES NICHT WIRKLICH WICHTIG, AUF WELCHER POSITION DU DAS TUST. DU MACHST IMMER NOCH DIE GLEICHEN DINGE – NUR AUF EINER ANDEREN POSITION.“ ___

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vielseitiger und damit auch effizienter auf (die vergangene und diese Saison sind die zwei besten hinsichtlich seiner TrueShooting-Quote). In den sieben Spielzeiten seit seiner ersten All-Star-Saison 2013/14 befand sich DeRozan bei den Wurfversuchen aus der Mitteldistanz pro Spiel stets in den Top 6, zweimal führte er die Liga sogar an. Doch durchschnittlich traf er nur 40,1 Prozent dieser Mitteldistanzwürfe, nur in einer Saison kam er auf über 42,5 Prozent. Wie sich das Bild aber zum Positiven gewandelt hat: In der aktuellen Saison nimmt er nur 4,2 Versuche aus der Mitteldistanz, gleich 18 Spieler werfen häufiger. Doch DeRozan überzeugt bei diesem Karrieretiefstwert mit einem persönlichen Bestwert: 51,8 Prozent Trefferquote! Nur drei Spieler mit mehr Wurfversuchen als DeRozan treffen besser: LaMarcus Aldridge, Kevin Durant und Chris Paul – eine gute Gesellschaft! Hat dies auch etwas mit seiner Power-Forward-Rolle zu tun? Nicht ganz. Basketball-Reference.com führt DeRozan zwar mit 68 Prozent seiner Minuten als Power Forward und mit nur 32 Prozent als Small Forward, diese Werte sind aber


zu hinterfragen. Denn häufig agieren DeRozan und Keldon Johnson zusammen als Forwards. Dabei übernimmt jedoch Johnson defensiv den Vierer, während DeRozan auch offensiv – als Ballhandler auf dem Flügel – mehr als Small Forward oder sogar Guard zu führen ist. Steht DeRozan mit drei reinen Guards zusammen auf dem Parkett und ist damit eindeutig als Power Forward zu verorten, dann agieren die Spurs ungemein effizient, weil vor allem offensivstark: Diese vier Lineups weisen Net-Ratings von +13 bis +24 auf, wenn auch mit maximal 14 Minuten in etwas kleinen Stichproben. Das Spiel eines Power Forwards im Körper eines Shooting Guards lässt sich bei DeRozan dennoch skizzieren: Denn agiert er mit dem Gesicht zum Korb und wählt den Drive, tut er dies oftmals gemächlich, das Spiel beobachtend –

so vielen Abschlüssen pro Spiel agieren nur zwei effizienter! Der eine ist mit Robin Lopez ein Center, der andere ist mit Kevin Durant … nun … eben Kevin Durant. Wie versiert DeRozan am Zonenrand operiert, wird auch in der Partie gegen die New Orleans Pelicans ersichtlich: dem ersten von drei Spielen in Folge, in denen DeRozan elf Assists verteilt! Neunmal in dieser Saison (Stand Ende März) verbucht DeRozan zweistellige Assistwerte. In seinen neun Jahren in Toronto ist ihm dies insgesamt nur dreimal gelungen! Mitte des ersten Viertels machen die Spurs komplett die Seite frei, DeRozan geht vom Faceup mit dem obligatorischen Spinmove ins Postup über. Er setzt den Ball einmal auf und sucht mit seinem Rücken den Kontakt zum Gegenspieler, den Blick immer auf die andere Seite

pro Partie in dieser Saison hat er seinen Karrierewert in etwa verdoppelt. Von den ligaweit 66 Akteuren mit einer Usage Rate von mindestens 24,0 hat ein einziger eine bessere Assist-Ratio: James Harden. Derweil wird DeRozans Assist-Turnover-Verhältnis (4,1:1) von keinem anderen Spieler mit solch prominenter Offensivrolle überboten. DeRozan mag über die Jahre vom Shooting Guard – die Bezeichnung hat schon etwas Eindimensionales – ein bis zwei Positionen hochgerutscht sein, doch nie war er als Ballhandler im Pick-and-Roll besser. Nur Shai GilgeousAlexander, Damian Lillard und Kyrie Irving weisen effizientere Werte auf als DeRozan (bei Spielern mit mindestens sieben Possessions pro Partie). Ein Spieler, der sich über seine Karriere nervenstärker präsentiert, der zwischen den Forward-Positionen

und nicht mit der Brechstange (sprich: Speed über alles). Dann sucht DeRozan den Kontakt, dreht sich mit dem Rücken in seinen Gegner hinein, setzt zum Turnaround zur Baseline für den Fadeway an oder bedient per beidhändigem, gut getimtem Pass die Schützen. In der teaminternen Entwicklung zu einem moderneren Spiel samt mehr Dreiern (ist zu beobachten), mehr Drives (ebenso) und einer höheren Pace (nicht mehr so) mag DeRozan bei den Spurs seine Anteile am Zonenrand etwas heruntergeschraubt haben – doch auch dies geht mit einer Steigerung der Effizienz einher: 1,20 Punkte pro Possession erzielt DeRozan nach Postups – von den 42 Akteuren mit mindestens

gerichtet. Als das Doppeln von oben kommt, ist DeRozan direkt mit dem Kickout zur Stelle. „Diesen Skill besitzt er einfach, das ist wichtig für uns“, schätzt Popovich seinen Go-to-Guy. „Er ist ein Spieler, der zudem penetrieren und die Defense auf sich ziehen kann. In der heutigen NBA ist das der Schlüssel – weil es Dreier generiert.“ Während DeRozan in seinen letzten Jahren in Toronto vielleicht zu Unrecht als Clutch-Schwachstelle kritisiert wurde und seine Rolle als Power Forward nur punktuell zum Tragen kommt, so ist seine Verwandlung als Playmaker vielleicht die beeindruckendste. Mit 7,1 Assists

rangiert und der immer besser als Playmaker agiert – es wird Zeit, LeBron James und DeMar DeRozan anders in Beziehung zu setzen. Natürlich nicht, indem man beide Akteure auf eine Stufe stellt, aber zumindest in ihrer Rolle als Offensivmittelpunkt. Und es geht um Anerkennung. Eine Interpretation auch für Franz Kafkas Novelle. Bei Gregor Samsa findet man zudem eine Andersartigkeit vor, die schon immer vorhanden gewesen, aber durch die Verwandlung erst so wirklich sichtbar geworden ist. Ebenso bei DeMar DeRozan. Dessen Geschichte, blickt man auf seine Entwicklung als Spieler, ist aber eine mit Happy End und ohne böses Erwachen. redaktion@fivemag.de

Playmaker

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Ty r e s e H a l i b u r t o n

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T YRESE HALIBURTON

Er hat nicht den Style von LaMelo Ball, den Body von James Wiseman oder die Athletik von Anthony Edwards. Erst mit dem zwölften Pick ging Tyrese Haliburton in der Draft 2020 zu den Sacramento Kings. Der Hype gehört anderen. Wenn wir in einigen Jahren über den besten Spieler der Draft diskutieren, könnte Haliburtons Name dennoch fallen. Text: Peter Bieg

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ir können in ein paar Jahren auf diese Draft zurückschauen und sehen, ob es jemanden gibt, der es bereut, andere Spieler vor mir gezogen zu haben.“ Das sagt Tyrese Haliburton im Oktober 2020 zu Marc Stein in einem Artikel für die „New York Times“. Es ist eine Prophezeiung, die er bisher übererfüllt hat. 12,5 Punkte, 5,2 Assists und 3,5 Rebounds bringt der Rookie derzeit für die Sacramento Kings. Zumeist von der Bank,

wohlgemerkt. „Schon in seinem allerersten Spiel in der Liga musste er gegen Denver mit uns in die Verlängerung. Es ist hart, in Denver zu spielen. Tyrese hat gezeigt, dass er für solche Herausforderungen gemacht ist. Er versteht das Spiel so gut. Er läuft das Pick-and-Roll extrem gut, er ist ein guter Werfer. Er kann uns in jeder Hinsicht sehr helfen.“ Die Begeisterung über seinen neuen Teamkollegen ist De’Aaron Fox, dem designierten Franchise-Spieler der Kings, deutlich anzuhören. Bereits in seiner ersten Profipartie – die Kings gewinnen am 23. Dezember 2020 zum Auftakt bei den Nuggets – ist Haliburton da: mit zwölf Punkten, vier Assists, zwei Rebounds und einem Block in 30 Minuten Einsatzzeit. Schon jetzt, nur gut ein halbes Jahr nach seiner Draft, gibt es NBAEntscheider, die sich dafür verfluchen und vor ihren jeweiligen Teambesitzern rechtfertigen müssen, Tyrese Haliburton nicht mit einem der ersten elf Picks gewählt zu haben. Erst an zwölfter Stelle ruft Commissioner Adam Silver den Namen des Rechtshänders, die Kings sichern sich die Rechte am Point Guard von Iowa State. Zwei Jahre verbringt der 1,96 Meter große US-Amerikaner zuvor dort, legt als Sophomore 15,2 Punkte, 6,5 Assists, 5,9 Rebounds und 2,5 Steals pro Spiel auf, bei Karriere-Wurfquoten von 50,9 Prozent aus dem Feld, 42,6 Prozent aus der Distanz

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DIE BESSERE WAHL

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und 77,5 Prozent von der Freiwurflinie. Keine absoluten Fabel-Statistiken, aber ein eindrucksvolles Zeugnis von Vielseitigkeit. Zumal die Iowa State Cyclones außer Haliburton kein weiteres NBA-Talent in ihren Reihen wissen. Dass er auch unter ähnlich talentierten Spielern durchaus auffällt, zeigt Haliburton in einem anderen Kontext, nämlich bei der FIBAU19-WM in Griechenland. Dort holt er an der Seite von Spielern wie Jalen Green, Cade Cunningham und Scott Barnes souverän den Titel. 7,9 Punkte erzielt Haliburton im Schnitt, dazu 2,4 Rebounds und 6,9 Assists – letzterer ist der Turnierbestwert. Dazu kommt eine absurde Feldwurfquote von 68,8 Prozent, die viel über seine Effizienz aussagt. Das Trio Green, Cunningham und Barnes zählt zu den Favoriten auf eine hohe Draftposition im kommenden Sommer, alle sind etwas jünger als Haliburton. Dieser ist zum Zeitpunkt der NBA-Draft im November 2020 schon fast 21 Jahre alt. Ein Grund, warum er nicht an erster, sondern erst an zwölfter Stelle seinen Namen hört? Mit Sicherheit, denn noch immer setzt eine große Zahl der Entscheider bei hohen Draftpicks auf Potenzial statt auf aktuelle Substanz. Im Vergleich zum reifen Neu-King schneiden Picks wie Isaac Okoro (5. Pick, Cavaliers), Onyeka Okongwu (6., Hawks) Obi Toppin (8., Knicks), Deni Avdija (9., Wizards) bisher sehr bescheiden ab. Hätten es die Teams, die Haliburton verschmähten, besser wissen können? Vielleicht hätten sie genauer hinschauen müssen. Ein zentraler Aspekt, will man Tyrese Haliburton und seinen Wert verstehen.

Fotos: Rocky Widner/NBAE via Getty Images

Oshkosh B’Gosh

Oshkosh, Wisconsin. Dass Kings-Rookie Tyrese Haliburton nicht aus New York City, sondern aus Oshkosh kommt, ist so bezeichnend wie passend. Oshkosh ist ein Städtchen mit knapp 70.000 Einwohnern im Nordosten der Vereinigten Staaten. Nahezu völlig unbedeutend, nicht groß oder gar glamourös. Oshkosh liegt an der Mündung des Fox River in den Lake Winnebago. Nach

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Fotos: Rocky Widner/Thearon W. Henderson/Getty Images

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Ty r e s e H a l i b u r t o n

Milwaukee sind es anderthalb Stunden mit dem Auto, nach Chicago drei. Oshkosh ist benannt nach einem Indianerhäuptling, dessen Name „Kralle“ bedeutet. Einmal im Jahr findet hier ein Treffen von Hobby-Piloten statt. Unternehmen aus den Bereichen Luftfahrt, Kinderkleidung und LKW bilden das wirtschaftliche Rückgrat des Ortes. Und der prominenteste Sohn der Stadt? Das ist Tyrese Haliburton. Obwohl er erst am 29. Februar 2000 das Licht der Welt erblickt, ist er das Berühmteste, was Oshkosh bisher produziert hat. In Sachen Glamour muss auch Haliburton Abstriche machen. Der Style von LaMelo Ball, das Handling, die Pirouetten – da kommt er nicht ran. Sein Wurf sieht etwas unrund aus, seine Ballbehandlung ist zweckdienlich, seine Haare sind schlicht geschoren. Der Body von James Wiseman, schier unendlich lang, mit der Spannweite eines Kondors, koordiniert und explosiv – auch da hat Haliburton das Nachsehen. Er wiegt bei 1,96 Meter nur 83 Kilogramm und sieht aus, als wären es höchstens 65. Ein schlaksiges Hemdchen, die Armspannweite mit gut zwei Metern bestenfalls solide. Die Hops des ersten Picks Anthony Edwards, die Tomahawk-Dunks mit dem Kopf auf Ringhöhe – Haliburton muss die Gesetze der Schwerkraft deutlich strikter einhalten. Er kann dunken, klar. Er tut das im Fastbreak konsequent. Aber zum Slam-DunkContest wird ihn keiner einladen. Haliburton startet bisher nicht mal für die grottigen Sacramento Kings. Trotzdem könnte er recht behalten, als er zur „New York Times“ vor der Draft 2020 sagt: „Ich denke, ich sollte der erste Pick sein, aber ich bin nicht derjenige, der die Entscheidungen trifft.“ Haliburtons Sprungwurf etwa sieht seltsam aus, kommt statisch und recht langsam daher. Seinen Wurfarm führt er beim Follow-Through eher nach vorn als nach oben, zudem hält er den Ellbogen recht weit oben, sodass ein unrunder, schleudernder Gesamteindruck entsteht. Doch die Quoten geben ihm recht: Haliburton trifft bisher starke 42,3 Prozent seiner 5,3 Dreierversuche pro Partie. Das ist der Bestwert im Kings-Kader und ein Top-25-Wert in der gesamten NBA. Aus dem Zweierbereich sind es gute 54,4 Prozent Trefferquote, obwohl er mehr Distanzwürfe nimmt, als am Korb oder aus der verpönten Mitteldistanz abzuschließen. Und Haliburton kommt auf eine beachtliche Reichweite mit seinem Schleuderwurf. Bis zu 23,75 Fuß (7,24 Meter) ist die NBA-Dreierlinie vom Korb entfernt, in den Ecken sind es 22 (6,70 Meter). Aus der Entfernung zwischen 20 und 24 Fuß trifft Haliburton sehr starke 47,8 Prozent seiner Versuche. Aber auch aus 25 bis 29 Fuß (8,84 Meter) sind es noch über 40 Prozent Trefferquote bei bisher über 100 Wurfversuchen.

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Auch aus den Ecken ist der Neuling sicher, ob aus der linken (48,3 3P%) oder der rechten (45,0 3P%) – Haliburton ist gefährlich, wenngleich er einen Großteil seiner Dreier nicht von dort nimmt. Sondern häufig früh im Angriff aus dem Dribbling und ebenfalls mit überdurchschnittlichem Erfolg (41,5 3P% bei 123 Versuchen). Auch wenn seine Dunks im Fastbreak oder nach Drives nicht allzu spektakulär ausfallen, macht es Spaß, Haliburton zuzuschauen: Beispielsweise wenn er seine teils langen Floater auspackt, die er ebenfalls zuverlässig trifft. Seine Verteidiger müssen jederzeit hellwach sein, denn das Leichtgewicht ist immer bereit, sie zu narren: mit Hesitation-Moves, Kopf- und Balltäuschungen, Geschwindigkeits- und Richtungswechseln. All das nicht zu fancy oder flashy, eher oldschool. Solides, routiniert verrichtetes Handwerk. Haliburton weiß, wie er wann wohin kommen kann und muss. Er hat Übersicht und ist sehr reaktionsschnell, liefert 5,2 Assists pro Partie in fast 30 Minuten Einsatzzeit als Sacramentos Sixth Man. Erst drei Spiele durfte Haliburton nach etwas mehr als der Hälfte der Saison für Headcoach Luke Walton starten. Noch ist der Backcourt relativ fest in der Hand von De’Aaron Fox und Buddy Hield, wenngleich nur vier Kings länger auf dem Feld stehen als Haliburton (29,5 Minuten pro Partie). Der Rookie hält stets den Kopf oben, wenn er die Offensive zu organisieren versucht und nach Passwegen Ausschau hält. Der 21-Jährige liest das Spiel wie ein Veteran – was sich in einer exzellenten Assist-to-Turnover-Ratio äußert (3,4 Assists pro Ballverlust) und auch defensiv gilt. 1,4 Steals pro Spiel sind teaminterner Bestwert und Resultat von viel Druck am Ball sowie einer guten Antizipation gegnerischer Passbemühungen.

Starting Five?

Längst wollen die Fans der Kings Haliburton in der Startformation sehen. Doch der junge Mann aus Oshkosh macht sich keinen Druck. „Ich nehme es auf mich, lautstark auf der Bank zu sein und von dort aus Energie zu bringen“, sagte Haliburton im März zur Tageszeitung „The Sacramento Bee“. „Ich mache, was von mir gebraucht wird. Von der Bank zu kommen, ist für mich momentan der beste Weg, um dem Team zu helfen.“ Aber falls Coach Walton sein Lineup ändern möchte, wird das an Haliburton nicht scheitern: „Ich bin absolut vorbereitet, für jede andere Rolle.“ Der umstrittene Walton – die Kings lagen bei Redaktionsschluss mit einer 15-24-Bilanz auf dem 13. Platz der Western Conference – nimmt Fans, die sich mehr Spielzeit für den Rookie wünschen, sogar Wind aus den Segeln. „Wir wollen mehr Einsatzzeit für ihn, aber es ist, wie es ist. Mit den vielen Spielen, die auf uns

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„Du würdest denken, dass er in seinem zweiten oder dritten Jahr in der Liga ist, so wie er spielt. Die Rookies in diesem Jahr hatten keine Summer League, ein kurzes Training Camp und nur einen Monat Zeit, bevor es losging. Das sind jede Menge Hindernisse, die du überwinden musst.“ De’Aaron Fox ___

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zukommen, und aufgrund der Tatsache, dass er schon jetzt mehr gespielt hat als in einer kompletten College-Saison, gibt es eine Grenze für ihn“, so der Coach. Die Sportwissenschaftler der Kings haben Haliburton für den Rest der Saison ein Minutenlimit verordnet. Wo es genau liegt, ist unklar. „Er muss seinen Körper erst an diese aufreibende Saison gewöhnen, Abend für Abend bereit sein. Deshalb werden wir für den Rest der Spielzeit vorsichtig mit ihm sein“, kündigte Walton an, nachdem Haliburton mit kleineren Verletzungen vor dem All-StarBreak ausgefallen war. Nicht nur diese kleineren Blessuren – geschwollene Knie, eine Schulterverletzung – werden wohl dafür sorgen, dass Tyrese Haliburton trotz seiner starken Leistungen nicht mehr in das Rennen um die Auszeichnung als „Rookie of the Year“ wird eingreifen können. Zu stark präsentiert sich Konkurrent LaMelo Ball, der dritte Pick der Charlotte Hornets. Mit seinem Team liegt Ball einerseits noch im Rennen um die Playoff-Plätze, andererseits produziert er regelmäßig Highlights und sehr starke

Statistiken (15,8 Punkte, 6,3 Rebounds, 6,0 Assists). Ball ist zwar deutlich weniger effizient (44,9 Prozent Feldwurfquote) als Haliburton, hat als Starter aber auch eine andere, anspruchsvollere Rolle. Jahrgangs-Kollegen wie James Wiseman (Golden State) und Anthony Edwards (Minnesota) ist Tyrese Haliburton jedoch derzeit meilenweit voraus. Unter dem Radar zu fliegen, ist er gewohnt. Sicher, er führte seine Oshkosh North Highschool einst zur ersten Staatsmeisterschaft in Wisconsin. Aber trotz 22,9 Punkten, 6,2 Assists, 5,1 Rebounds, 3,5 Steals und 1,7 Blocks pro Partie blieb der Briefkasten seiner Eltern vergleichsweise leer. Die Top-Colleges wollten andere Jungs, die etablierten Recruiting-Dienste vergaben im Schnitt nur drei von fünf maximal möglichen Sternen für den Schlaks mit dem etwas unrunden Wurf. Dieses scheinbar ewige Nischendasein … es ist dabei, sich zu ändern. Die bisherigen Auszeichnungen zum NBA-Rookie des Monats im Westen gingen alle an Tyrese Haliburton. Seinen etablierten Kollegen im Backcourt wundert

das nicht. „Er war bisher einfach großartig. Du würdest denken, dass er in seinem zweiten oder dritten Jahr in der Liga ist, so wie er spielt. Die Rookies in diesem Jahr hatten keine Summer League, ein kurzes Training Camp und nur einen Monat Zeit, bevor es losging. Das sind jede Menge Hindernisse, die du überwinden musst“, sagt De’Aaron Fox im Podcast von Ex-King Matt Barnes über Haliburton. Der Youngster revanchiert sich im Podcast von J.J. Redick prompt: „Neben ihm zu spielen, ist großartig. Er ist jung, fühlt sich aber wie ein Veteran. Er ist nur drei Jahre älter als ich, weiß aber so viel mehr.“ Das Duo Fox und Haliburton versteht sich blendend, gute Aussichten für die Zukunft der Franchise aus Kalifornien. Wie realistisch ist es, dass sich Tyrese Haliburtons Prophezeiung erfüllt und er eines Tages als derjenige Spieler genannt wird, der in der NBA-Draft 2020 an erster Stelle hätte gewählt werden müssen? Mittelmäßig realistisch. Aber viele Manager mit einem Lottery-Pick hätten wohl besser etwas genauer hingeschaut – und auf den Jungen aus Oshkosh, Wisconsin, gesetzt. redaktion@fivemag.de

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Jonathan Bender

J o n a t h a n

B e n d e r

Jonathan erfindet sich neu Jonathan Bender war ein Einhorn, bevor es Einhörner gab. Doch dem Mega-Athleten mit Jumpshot blieben nur wenige Jahre, um die Fans als Pacer und Knickerbocker zumindest gelegentlich zu begeistern. Kaputte Knie verhinderten eine große Karriere, sind aber auch der Grund für ein verrücktes Happy End. Text: Peter Bieg

Fotos: Ron Hoskins/NBAE/Getty Images

V

ergesst Kevin Durant. Giannis. Embiid. Porzingis. Oder gar Chris Boucher. Wenn ihr das Ur-Einhorn der NBA kennenlernen wollt, hilft nur YouTube. Obwohl die Karriere von Jonathan Bender schon fast vorbei ist, als das Videoportal 2005 an den Start geht. Noch zwei Spiele macht „JB“ in der Saison 2005/06 für die Indiana Pacers, bevor er aufgrund von Knieproblemen fast vier Jahre (!) aussetzt. Obwohl Jonathan Bender bereits am 30. Januar 1981 im Städtchen Picayune, Mississippi, auf die Welt kommt und seine Zeit in der NBA beginnt, bevor es YouTube gibt, finden sich heute genau dort etliche Zeugnisse des damaligen Hypes. Videos, die Benders einstigen Status als Mega-Talent belegen, wenn auch nicht in Full HD. „Broken Dreams“ etwa, ein Clip von „TheKingMisiek“, einem Pionier im Bereich der Basketball-Mixe. Das Video, hochgeladen im Jahr 2009 und unterlegt mit melancholischen Klängen, wirft viele Konjunktive auf: Wie gut hätte Jonathan Bender werden können, hätten seine Knie gehalten? Würden wir heute von ihm als erstem Einhorn sprechen, wäre er gesund geblieben? Wäre der 5. Draftpick, mit dem die Toronto Raptors Bender im Jahr 1999 auswählten, irgendwann gerechtfertigt gewesen? In dem 1:59 Minuten langen Clip sehen wir einen 2,13-Meter-Schlaks, der

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über Gegenspieler stopft. Der mit 2,26 Meter Spannweite gegnerische Würfe ins Aus schmettert. Gegen Yao Ming im Postup punktet. Dribbeln kann. Den offenen Dreier swisht. Athletisch, agil, aggressiv spielt. Ein echtes Einhorn eben.

Mr. Basketball

Wer verstehen will, wann und weshalb der Stern von Jonathan Bender aufgeht, muss erneut YouTube bemühen. Seit dem Jahr 2018 ist dort ein Zusammenschnitt einer ESPN-Übertragung verfügbar: das McDonald’s Highschool All-American Game des Jahres 1999. Bei dieser ShowVeranstaltung kommen alljährlich die besten Highschool-Spieler der USA zu einem Kräftemessen zusammen. In diesem Spiel bricht Bender, von der völlig unbekannten Picayune Memorial High, den 1981 von Michael Jordan aufgestellten Punkterekord. Bender, zweimaliger „Mr. Basketball“ des Bundesstaates Mississippi, zeigt gegen die talentiertesten Altersgenossen mit 31 Punkten das komplette Paket. Er holt zehn Rebounds, von denen er einige gleich zurück in den Korb stopft. Er blockt etliche gegnerische Versuche, zeigt einen sauberen Sprungwurf, zahlreiche Flugeinlagen und sichert sich den Punkterekord mit Nervenstärke an der Freiwurflinie. Jonathan Rene Bender wird MVP des Auswahlspiels, sein Rekord

besteht bis heute. Das Hilton Coliseum in Ames, Iowa, liegt dem Riesen zu Füßen, als er unter lautem Jubel von fast 11.000 Menschen seinen finalen Freiwurf versenkt. Trotz namhafter Konkurrenten – auch die späteren NBA-Spieler Carlos Boozer, Nick Collison, Mike Dunleavy, Casey Jacobsen und Jason Richardson spielen mit – ist an diesem Abend nur ein Name in aller Munde: der von „JB“. 24 Punkte, 14 Rebounds und fünf Blocks im Schnitt legt er in seinem Senior-Jahr an der Highschool auf, erhält die Auszeichnung zum „Mr. Basketball“ der gesamten USA. Doch erst der Auftritt beim McDonald’s All-American Game gibt Bender den entscheidenden Schub. Trotz einer verbalen Zusage an die Mississippi State University meldet er sich anschließend für die NBA-Draft an. Jonathan Bender möchte den Hype nutzen – und diese Entscheidung zahlt sich aus: Donnie Walsh, General Manager der Indiana Pacers, ist längst bis über beide Ohren verliebt. Verliebt in Benders Fähigkeiten, dessen Potenzial, die Vorstellung eines Dreier treffenden und den Fastbreak einleitenden Sevenfooters. Er muss Bender einfach haben! Deshalb tauscht er am DraftAbend 1999 seinen Center Antonio Davis – einen zukünftigen All Star – gegen den Teenager aus Mississippi. Die sogenannte „Prep-to-Pro“-Welle, bei der zahlreiche Youngsters direkt von der Highschool in


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Jonathan Bender

„DAS WAR MENTAL WIE PHYSISCH EINE HERAUSFORDERUNG. REHA, ZURÜCK AUFS SPIELFELD, REHA, ZURÜCK AUFS SPIELFELD, REHA … IMMER UND IMMER WIEDER.“

Fotos: David Dow/Ron Hoskins /Rocky Widner/Barry Gossage/NBAE/Getty Images

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die NBA wechseln und die Jahre später dazu führen wird, dass die Liga genau das verbietet, nimmt gerade richtig Fahrt auf. Jonathan Bender soll in Indiana zu nicht weniger als dem Nachfolger von Reggie Miller aufgebaut werden, ist also zum Franchise-Spieler auserkoren. Zumindest bei seinem NBADebüt enttäuscht er die Erwartungen nicht: Zehn Punkte erzielt Jonathan Bender am 10. Dezember 1999 gegen die Cleveland Cavaliers. Damit wird er zum ersten direkt aus der Highschool gedrafteten Spieler, der bei seiner Premiere in der Association zweistellig punktet. Im Saisonverlauf gelingt ihm das jedoch nur noch ein einziges weiteres Mal. Die vereinzelten Highlights – krachende Dunks, saubere Sprungwürfe, gut getimte Blocks – werden sich nie zu einer konstanten Kette stabiler Leistungen verbinden. Das verhindern insbesondere Jonathan Benders Knie … denn die kommen beim rasanten Wachstum seines Körpers nicht hinterher und behindern den Teenager seit Tag eins bei den Pacers.

Mr. Glas

Die Folge sind ständige Zwangspausen, über Jahre hinweg, immer wieder. Bender bekommt Spritzen, verbringt teils Wochen am Stück in der Reha – doch so recht fruchtet keine Maßnahme. Nur 24 Spiele

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macht „JB“ in seiner Rookie-Saison, steht im Schnitt nur etwas mehr als fünf Minuten pro Partie auf dem Feld. Er erzielt 2,7 Punkte im Schnitt, holt 0,9 Rebounds und trifft miserable 32,9 Prozent aus dem Feld sowie 16,7 Prozent aus der Distanz. Denn neben allen Knieproblemen ist Bender alles andere als ein fertiger Spieler. Seine Dominanz an der Highschool basiert mehr auf herausragenden körperlichen Anlagen als auf harter Arbeit. Um in der NBA auf Dauer und konstant auch gegen Veteranen abzuliefern, braucht er mehr als nur gesunde Gelenke. Zuverlässige Postmoves etwa, Abgeklärtheit, eine klügere Entscheidungsfindung. Das zweite Jahr in Indiana bringt kaum Besserung: Bender macht zwar 59 Spiele und kann seinen Minutenschnitt fast verdoppeln, das bedeutet aber noch immer weniger als zehn Minuten Einsatzzeit pro Partie, bei weitgehend stagnierenden Statistiken. Jahr drei, die Saison 2001/02, bringt dann so etwas wie den „Durchbruch“ für Jonathan Bender. Er macht 78 von 82 möglichen Spielen in der regulären Saison, steht im Schnitt mehr als 21 Minuten auf dem Parkett, trifft 36,0 Prozent seiner Distanzwürfe und kommt auf 7,4 Punkte sowie 3,1 Rebounds pro Spiel. Wohlgemerkt: Das sind die

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Statistiken eines als Wunderkind gefeierten Highschoolers, eines hohen Lottery-Picks. Zur selben Zeit erzielt Antonio Davis, den die Pacers für Bender geopfert haben, in Toronto 14,5 Punkte und 9,6 Rebounds in fast 40 Minuten Spielzeit pro Partie. Nicht nur 78 Spiele macht Jonathan Bender 2001/02 für Indiana, sogar die Teilnahme am Slam-DunkContest erlauben seine Knie: Bender dankt es unter anderem mit einem linkshändigen Dunking von der Freiwurflinie – damals ein Novum. Die Athletik und die nahezu perfekten Anlagen sind noch da. Theoretisch zumindest, denn in der Folge macht Bender noch 76 Spiele für die Pacers – verteilt über vier Spielzeiten! „Dauerverletzt“, kein Adjektiv beschreibt das vorläufige Ende der NBA-Karriere von Jonathan Bender treffender und trauriger. Zu seinem Glück unterschreibt er nach der Saison 2001/02 eine Vertragsverlängerung über vier Jahre und 28,5 Millionen US-Dollar. Ein schwacher Trost für die folgenden vier Spielzeiten, in denen insbesondere sein rechtes Knie nahezu permanent geschwollen ist. Bender verbringt erheblich mehr Zeit in Arztpraxen, auf OP-Tischen und in Reha-Zentren als auf dem Basketballfeld. „Das war mental wie physisch eine Herausforderung“, sagt er in einem


Interview mit der „Sports Illustrated“ aus dem Jahr 2014. „Reha, zurück aufs Spielfeld, Reha, zurück aufs Spielfeld, Reha … immer und immer wieder.“ Der Frust wächst, der Glaube an eine gesunde, stabile Zukunft schwindet. Auch bei den Verantwortlichen der Pacers: Sie entlassen den Spieler, den Donnie Walsh zum neuen Reggie Miller auserkoren hatte, am 14. Juni 2006. Jonathan Bender hat zum damaligen Zeitpunkt 237 Spiele in der NBA gemacht und im Schnitt 5,6 Punkte erzielt. Bereits im Jahr 2005 führt ihn die „Sports Illustrated“ als einen der zwanzig größten Reinfälle der Draft-Geschichte.

Mr. Düsentrieb

Im Sommer 2006 ist Jonathan Bender raus aus der NBA. Ein Bust. Sportinvalide. Gescheitert. Bis es ihm gelingt, zurück in die Erfolgsspur zu finden, soll es Jahre dauern. Jahre, in denen er sich als Immobilien-Investor versucht, Konzerte veranstaltet, ein Musik-Label gründet … und seine in der NBA verdienten Millionen dahinschmelzen. Mehr als zehn Familienmitglieder finanziell zu versorgen, fordert seinen Tribut und treibt Jonathan Bender immer weiter in Richtung Bankrott. Bis zu einem denkwürdigen Tag im Jahr 2009. Denn Jonathan Bender gelingt es tatsächlich, sich buchstäblich neu zu erfinden. „Ich kam aus einer sehr kleinen Stadt“, erinnert er sich in der „Sports Illustrated“. „Ich kannte keine Geschäftsleute. Alles, was ich sah, waren Menschen, die arbeiteten. Jeder in meiner Familie hatte einen Job.“ Benders Mutter arbeitet als Kassiererin bei Walmart, sein Vater ist Koch. In Indiana lernt Bender echte Unternehmer kennen. Mel Simon etwa, den damaligen Teambesitzer der Pacers, einen schwerreichen Kaufhaus-Magnaten. Benders Bewunderung für Simon geht so weit, dass er mehrfach mit seinem Auto an dessen Haus vorbeifährt – ohne auszusteigen. Der geschäftliche Erfolg zieht Bender an. Und er soll seine eigene Chance erhalten. An einem Nachmittag des Jahres 2009 sitzt Bender in einem Park in Houston und beobachtet Passanten, als ihn der Geistesblitz trifft. Die „Erleuchtung“, wie er später sagt. Ein Trainingsgerät zur Stärkung der Bein- und Rumpfmuskulatur beim normalen Gehen – das ist es! „Ich brauchte fünf Minuten, um den Prototyp zusammenzubauen“, so Bender. Die Einzelteile besorgt er in einem lokalen Shop: Gurte, Bänder und Ösen als Verbindungsstücke. „Ich habe das Teil anprobiert, und es hat genau so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt hatte. Da habe ich mir gesagt: ‚Wenn ich ein Produkt schaffen kann, das mir hilft, dann wird es auch anderen Menschen helfen können.‘“ Benders Erfindung, der „JBIT MedPro“, sieht aus wie umgedrehte

Hosenträger: Von einem über der Hüfte getragenen Gurt zieht sich an jedem Bein auf der Rückseite ein elastisches Band zum Fußknöchel, wo es mit einer Manschette unter Spannung fixiert ist. Monatelang tüftelt Bender an dem Gerät, das Druck von den Gelenken nimmt und zugleich die Muskulatur der Oberschenkel, Kniesehnen und Waden bei jedem Schritt kräftigt. Er lässt den „JBIT MedPro“ von Freunden testen, zieht Sportmediziner der Purdue University hinzu, bevor der finale Härtetest ansteht: Benders Comeback in der NBA! Der Kontakt zu Donnie Walsh – dem Mann, der Bender einst in die NBA holte – ist auch nach seiner Entlassung bei den Pacers nie abgerissen. Im Jahr 2009 arbeitet Walsh als General Manager für die New York Knicks. Und Bender kann ihn davon überzeugen, ihm ein Tryout zu organisieren, auf das er sich monatelang mit seiner Erfindung vorbereitet. Bender überzeugt dermaßen, dass ihn die New York Knicks mitten in der Saison 2009/10 unter Vertrag nehmen. Nach mehrjähriger Pause spielt Jonathan Bender weitere 25 Spiele in der NBA. 4,7 Punkte liefert er in 11,7 Minuten Spielzeit. Eine andere Statistik sorgt jedoch für mehr Aufsehen: Bei den obligatorischen Leistungstests stellen die Ärzte der Knicks fest, dass Bender von allen Spielern die beste Beinkraft hat. Dem „JBIT MedPro“ sei Dank! Es läuft so gut für Bender, dass ihm die Knickerbockers einen Anschlussvertrag anbieten. „Obwohl ich wusste, dass das gutes Geld bedeutet hätte, dachte ich, dass das ein Rückschritt für mich wäre“, sagt Bender in der „Sports Illustrated“. Sicher, er hat allen Zweiflern bewiesen, dass er noch immer in der NBA spielen kann. Doch vor allem hat er sich selbst bewiesen, dass seine Erfindung kein Hirngespinst ist. Im Jahr 2013 geht der „JBIT MedPro“ schließlich in Serie, kommt auf den Markt – und übertrifft alle Erwartungen seines Erfinders. Einen Umsatz von 500.000 US-Dollar für das erste Jahr nimmt sich Jonathan Bender vor. Bereits nach einer Woche hat er mehr als 50.000 Dollar mit seinem Produkt umgesetzt. Inzwischen hat sich der Beintrainer von Jonathan Bender längst etabliert und ist im Handel erhältlich. 279 Dollar kostet Benders Trainingsgerät, welches er auch über das Internet vertreibt. Zahllose Sets, hergestellt in China, stapeln sich in seiner heimischen Garage. Die Geschäfte erledigt der Businessman Bender weitgehend von seinem Laptop aus. Für einen Unternehmer ohne Uni-Abschluss hat es der ExPosterboy weit gebracht. Aufgrund seiner nahezu beispiellosen Leidensgeschichte kennt Bender allerdings auch mehr Ärzte und Physiotherapeuten, als ihm lieb ist. Wenn auch nicht auf dem Court, so endet die Geschichte vom Ur-Einhorn mit einem Happy End. redaktion@fivemag.de

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F o t o s t r e c k e

Schattendunks Ihr kennt MJ von der Freiwurflinie oder Vince mit dem Honey Dip. Wir haben die besten Fotos der Dunks, die oft zu Unrecht im Schatten dieser Jams stehen.

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Fotos: Noah Graham/Adam Hagy/Gary Dineen/Layne Murdoch/Bill Baptist/Elsa/Jesse D. Garrabrant/Nathaniel S. Butler/Garrett Ellwood/ Andrew D. Bernstein/Ron Koch/Rocky Widner


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Fotostrecke


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Euroleague F i n a l

Final Four 2021

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Stühlerücken vor leeren Sitzen

Auch weitgehend ohne Fans in den Hallen präsentiert sich die Euroleague so spannend wie selten. Vermeintliche Favoriten stolpern, letztjährige Mauerblümchen – wie die Bayern – blühen auf. Wir schauen uns die Auf- und Absteiger der vergangenen Monate an und erklären, wer beim Final Four in Köln die besten Karten hat. Text: Peter Bieg 68


All-Euroleague Overachievers Team

Fotos: Pedro Salado/Quality Sport Images/Aykut Akici/Borja B. Hojas/Sergey Grachev/Panagiotis Moschandreou/Aitor Arrizabalaga/ Alius Koroliovas/Euroleague Basketball via Getty Images

Iffe Lundberg

Point Guard, ZSKA Moskau, 26 Jahre Stats: 7,2 PPG, 2,0 RPG, 1,0 APG, 46,2 FG%, 42,1 3P% Ist er der vorzeitige Nachfolger von Mike James? Offiziell hat dieser zwar noch Vertrag bis 2023, doch nach den jüngsten Querelen erscheint es mehr als fraglich, ob James über diese Saison hinaus in Moskau bleibt. Inmitten der Saison entbrannte ein Streit darüber, ob James trotz der Pandemie zur Beerdigung seines Großvaters reisen dürfte. Moskaus Topscorer kappte daraufhin kurzerhand alle Verbindungen zum Team, entfernte ALLE seine Follower bei Instagram und ging nicht mehr ans Telefon. In den folgenden Tagen konnten beide Seiten die Wogen zwar glätten, ein Klub wie ZSKA wird sich aber wohl nicht darauf verlassen, dass der Vulkan James nicht wieder ausbricht … Iffe Lundberg heißt die Nachverpflichtung, welche James ersetzen könnte. Ein weniger athletischer, aber dafür strukturierterer Combo-Guard. In seinen ersten beiden Einsätzen für ZSKA punktete der 1,93 Meter große Lundberg auf Anhieb zweistellig und zeigte sich als sicherer Distanzschütze (42,1 3P%). Panathinaikos Athen soll Mike James für die kommende Saison bereits ein gut dotiertes Angebot unterbreitet haben …

Achille Polonara

Flügel, TD Systems Baskonia Stats: 11,1 PPG, 6,2 RPG, 1,6 APG, 55,4 FG%, 44,2 3P% DIE Entdeckung der Saison. Personifizierter Hustle. „Hard work beats talent, if talent fails to work hard“, dieses Klischee ziert als Tattoo den muskulösen Oberarm des Italieners Polonara. Und er lebt es. Seine je 1,1 Steals und Blocks pro Partie sprechen eine deutliche Sprache in Sachen Einsatz und Vielseitigkeit. Der 29-Jährige spielt bei Baskonia die mit Abstand beste Saison seiner Karriere. Es sieht – bis auf seine patentierten Putback-Dunks – zumeist nicht allzu schön aus, doch Polonara ist sehr häufig genau dort, wo er gebraucht wird. Die Achillesferse von Achille? Freiwürfe! Er trifft nur lausige 56,9 Prozent. Da ist noch viel harte Arbeit gefragt.

Mateusz Ponitka

Flügel, Zenit St. Petersburg Stats: 8,3 PPG, 5,0 RPG, 3,2 APG, 58,3 FG%, 32,3 3P% Für eine Neubesetzung von „White men can’t jump“ wäre Mateusz Ponitka rein optisch ein guter Cast. Und besonders hoch springen kann der Pole auch nicht. Trotzdem liefert er solide Zahlen für Zenit St. Petersburg. Sein Wert drückt sich aber nicht unbedingt in diesen Statistiken aus. Der 27-jährige Ponitka ist erst auf den dritten Blick ein spannender Spieler: verdammt clever nämlich, mit einem Gefühl für Cuts und überraschende Pässe. Sehr kontrolliert, mit einer geringen Fehlerquote. Und sehr mannschaftsdienlich. Wie er oder seine Aktionen aussehen, ist ihm schnuppe. Nur der Sieg zählt.

Youssoupha Fall

Oded Kattash

Coach, Panathinaikos Athen Eigentlich müsste hier der Name von Andrea Trinchieri stehen. Doch im Gegensatz zum Israeli Kattash, der zuvor ausschließlich in seiner Heimat aktiv war, ist Trinchieri bereits ein etablierter Coach in der Euroleague. Aber das sollte der von „Pana“ nachverpflichtete Kattash noch werden. Er präsentiert extrem kreative Bigball-Lineups, eine feine Arroganz gegenüber den Referees und das Mienenspiel eines Leichenbestatters. Eine Bereicherung für die Liga.

Center, TD Systems Baskonia Stats: 7,6 PPG, 3,3 RPG, 0,6 APG, 0,7 BPG, 64,3 FG% Wer sagt, dass echte Center ausgestorben sind? Die 2,21 Meter, mit denen der Senegalese Youssoupha Fall gelistet wird, sind trotzdem eine Lüge. Selbst Tibor Pleiß, ebenfalls mit 2,21 Meter gelistet, überragt Fall um mindestens einen halben Kopf. Fängt Fall den Ball in Korbnähe, ist es für jeden Verteidiger zu spät. Ein DefensivAnker ist er außerdem, nach Switches im Pick-and-Roll jedoch sehr anfällig … aber auch stark verbessert an der Freiwurflinie (77,9 FT%). In seinen Leistungen ist Fall schwankend, was allen Konkurrenten nur recht sein kann. Seine Saisonbestwerte (20 Punkte, 8 Rebounds, 4 Assists, 3 Blocks) lesen sich ordentlich, aber es gab auch gleich fünf Partien, in denen der Hüne keinen einzigen (!) Punkt erzielte.

Marius Grigonis

Flügel, Zalgiris Kaunas Stats: 14,2 PPG, 2,3 RPG, 3,1 APG, 52,5 FG%, 46,8 3P% Bis zuletzt hielt Marius Grigonis seinen Klub in Playoff-Reichweite. Und wie: Mit sehr guten Statistiken und absurden 96,4 Prozent von der Freiwurflinie gelang Grigonis der finale Durchbruch. Der ExBerliner, ein 1,98 Meter großer Flügel mit Playmaking-Fähigkeiten, ist angekommen. Der Litauer ist kaltschnäuzig, kreativ und inzwischen ein gefürchteter „Closer“. Bayern München und Valencia besiegte Zalgiris’ Star per Gamewinner.

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Euroleague

Final Four 2021

All-Euroleague Underachievers Team

Mike James

Scottie Wilbekin

Point Guard, Maccabi Tel Aviv Stats: 14,5 PPG, 2,5 RPG, 4,1 APG, 48,3 FG%, 33,2 3P% Im vergangenen Jahr einer der dominantesten Guards der Liga, verlor Wilbekin in den letzten Monaten nahezu völlig sein Mojo und leistete sich sogar mehrere Nullnummern. Aus einem Volume-Scorer ist ein Volume-Shooter geworden – der allzu oft kein Scheunentor trifft. Wilbekin hat weder sein eigenes Spiel noch den Angriff von Maccabi in den Griff bekommen.

Dzanan Musa

Flügel, Anadolu Efes Istanbul Stats: 0,0 PPG, 0,5 RPG, 0,3 APG, 0,0 FG%, 0,0 3P% Vier Spiele, null Punkte, 2:56 Minuten Spielzeit pro Partie. Diesen Wechsel versteht, außer Musas höchst einflussreichem Agenten Misko Raznatovic, wohl kein Mensch. Musa bräuchte Spielzeit, Anadolu brauchte Siege – das konnte nicht passen. Es erscheint zweifelhaft, dass sich die Situation des 20-Jährigen ausgerechnet in den Playoffs verbessert.

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Point Guard, ZSKA Moskau Stats: 19,6 PPG, 3,2 RPG, 5,8 APG, 51,1 FG%, 35,8 3P% Klar, da sind die 19,6 Punkte und 5,8 Assists, welche Mike James pro Spiel produziert. Doch dazu kommen drei Ballverluste pro Partie und bloß 43,0 Prozent Feldwurfquote. Zudem die Stinkstiefel-Attitüde, mit der James über das Parkett läuft. Die Blicke in Richtung Schiedsrichter, Mit- und Gegenspieler sowie zum Trainerstab. Sein selbst gewählter Spitzname „The Natural“ („Das Naturtalent“) sagt viel über sein Selbstverständnis aus. James’ ZSKA-Tage könnten gezählt sein. Spieler wie Johannes Voigtmann dürfen an der Seite eines echten Spielmachers auf bessere Zeiten hoffen.

Ante Zizic

Center, Maccabi Tel Aviv Stats: 8,4 PPG, 5,2 RPG, 0,7 APG, 0,6 BPG, 56,0 FG% Mit großen Hoffnungen in die NBA gegangen, mit großen Hoffnungen aus der NBA zurückgekehrt, bei Tel Aviv weitgehend enttäuschend. Das war nicht die Saison des 22-jährigen Kroaten. Seine Zahlen sind gemessen an den Erwartungen zu wenig. Zizic hat in seiner Zeit bei den Cleveland Cavaliers an Leichtigkeit verloren.

Alexey Shved

Point Guard, Khimki Moskau Stats: 19,2 PPG, 3,7 RPG, 8,1 APG, 43,8 FG%, 33,5 3P% Hässlich, hässlicher, Khimki Moskau. Die Russen lieferten trotz eines zu Saisonbeginn millionenschweren Kaders – der dann aufgrund von Misserfolg und Zahlungsschwierigkeiten auseinanderbrach – eine der schlechtesten Spielzeiten der Geschichte. Sinnbildlich für den Grottenzock ist der vermeintliche Superstar Shved. Ein sehr talentierter Mann, allerdings leidlich undiszipliniert, nicht für Kampfeinsatz bekannt und schlicht kein Gewinner. Sollte Khimki finanziell implodieren, darf man gespannt sein, wer sich Shved ans Bein bindet. Next Stop: China?

Ioannis Sfairopoulos

Coach, Maccabi Tel Aviv Der einstige Erfolgscoach von Olympiakos Piräus hatte in Tel Aviv zuletzt wenig zu lachen. Maccabi verpasste die Playoffs klar. Und der um den Egomanen Wilbekin konstruierte Kader passte hinten und vorne nicht zusammen. Wenn Maccabi nicht die Kurve kriegt, ist die kommende Saison seine letzte in Tel Aviv.


Kandidaten-Kür für Köln Ende Mai geht in Köln das Euroleague Final Four über die Bühne – mit einem Jahr Verspätung und voraussichtlich ohne Zuschauer. Bei Redaktionsschluss stand noch nicht fest, welche acht Teams die Playoffs und damit die Plätze im Final Four unter sich ausspielen. Dennoch lassen sich anhand der bisherigen Eindrücke vier Top-Favoriten ausmachen, denen wir an dieser Stelle entsprechend mehr Platz einräumen.

Fotos: Seffi Magriso/Angel Martinez/Ivan Korzhenevskiy/Aykut Akici/Seffi Magriso/Panagiotis Moschandreou/Alex Caparros/Mikhail Serbin/Euroleague Basketball

ZSKA Moskau

FC Barcelona Lassa

Nicht erst mit der Nachverpflichtung des inzwischen 40-jährigen Pau Gasol das nominell beste Team der Euroleague. Barcelona beendete die Hauptrunde wohl als Tabellenerster und dominierte die Konkurrenz, von wenigen Ausrutschern abgesehen. Die Katalanen stellen die beste Verteidigung der Liga und haben mit Nikola Mirotic, Nick Calathes, Cory Higgins, Alex Abrines sowie Headcoach Sarunas Jasikevicius und nun Gasol auch in Sachen Starpower die Nase vorn. Dazu kommen Super-Shooter Kyle Kuric (59,3 3P% bei 2,7 Versuchen), NBA-Draftee Leandro Bolmaro, DefensivAss Adam Hanga sowie der hölzernclever-uneigennützige Big Man Pierre Oriola. Gegen die anderen Favoriten gewann Barça, bloß gegen Efes setzte es zwei Niederlagen. Kann sich das Starensemble nur selbst schlagen? Nein. Erstens sorgt der K.o.-Modus im Final Four immer wieder für Favoritenstürze. Zweitens ist es an der Spitze der Liga extrem eng. Drittens ist Nick Calathes immer wieder für Aussetzer gut – und für ihn steht kein adäquater Ersatz bereit. Viertens hat auch Barcelona klare Schwächen: Es mangelt an Top-Athleten im Kader, was sich beim Rebounding und der Rim Protection negativ bemerkbar machen kann. Fünftens sind die Katalanen in der Crunchtime recht abhängig von Mirotic, der gegnerische Verteidigungen zwar sehr gut liest, auf den jedoch auch (zu) viele Plays zugeschnitten sind.

Die Schulterverletzung von Star-Center Nikola Milutinov (Saisonende), das DauerHickhack um Mike James – die Zeiten an der Moskwa waren schon einmal ruhiger. Doch unterschätzen sollte den amtierenden Champion – denn ZSKA gewann die Euroleague im Jahr 2019, im vergangenen Jahr gab es keinen Meister – definitiv niemand. Dafür sorgt Headcoach Dimitrios Itoudis, der die Mannschaft mit Nervenstärke, Disziplin und inzwischen beträchtlicher Erfahrung auf Kurs hält. Dazu tragen auch zwei Neuzugänge bei: zum einen der 26-jährige Däne Gabriel „Iffe“ Lundberg (1,93 Meter) als Ballhandler. Ein korbgefährlicher, smarter Spieler, vom Skillset ähnlich ausgestattet wie Mike James. Zum anderen der Nigerianer Michael Eric (32 Jahre, 2,10 Meter). Ein echter Brocken unter dem Korb, mit großer physischer Präsenz, allerdings beschränktem Offensiv-Arsenal. Dennoch bildet der Frontcourt das Prunkstück von ZSKA. Hier steht Itoudis mit Johannes Voigtmann, Thornike Shengelia, Joel Bolomboy, Nikita Kurbanov und Eric eine ganze Reihe an fähigen, vielseitigen und sich gut ergänzenden Akteuren zur Verfügung. Aber die Konstanz fehlt im Spiel der Russen. Auf der Habenseite steht zwar etwa eine zwischenzeitliche 12-Spiele-Siegesserie inklusive einer 100:65-Lehrstunde für Anadolu Efes. Aber dann sind da auch zwei klare Niederlagen gegen Barcelona, die 70:100-Rückspiel-Klatsche gegen Efes sowie Schlappen gegen Belgrad und Berlin. Zu häufig fehlen auf hohem Niveau der letzte Flow, Leidenschaft und Harmonie. Das Offensivspiel dreht sich zu oft um Alleinunterhalter James, der äußerst fähige Komplementärspieler wie Shengelia, Darrun Hilliard oder Voigtmann zu Statisten degradiert. Eine De-facto-Titelverteidigung von ZSKA wäre nach dieser Hauptrunde eine kleine Sensation.

AX Armani Exchange Milano

Wenn es ein Team gibt, das im „Win now“Modus ist, dann die Truppe aus Mailand. Ob mit Ettore Messina (61 Jahre) an der Seitenlinie oder Spielern wie Kyle Hines (34), Luigi Datome (33), Sergio Rodriguez (34), Vladimir Micov (35) oder Michael Roll (33) – Milano spielt mit einem Kader im fortgeschrittenen Alter. Obwohl einzelne zentrale Akteure wie Kevin Punter (27), Zach LeDay (26) oder Shavon Shields (26) zumindest etwas jünger sind, setzt kaum ein Team mehr auf geballte Erfahrung. Der Erfolg in der Hauptrunde gibt der Vereinsführung um den schwerreichen Modedesigner Giorgio Armani recht: Mailand erspielte sich das Heimrecht in den Playoffs. Angeführt von Mastermind Messina und den Veteranen steuerten die Italiener sehr souverän und stabil durch die vergangenen Monate – nie verlor Mailand mehr als zwei Partien in Folge. Bis auf die zwischenzeitliche 71:87-Klatsche in Barcelona konnte AX zudem alle Partien knapp gestalten – Kennzeichen eines disziplinierten, sehr gut vorbereiteten Teams. Sowohl bei der True-ShootingPercentage (50,9 TS%, 5. Platz) als auch in Bezug auf die Assist-to-Turnover-Ratio (1,49, 3.) und die Anzahl der Ballverluste (10,9 TPG, niedrigster Wert) steht Milano sehr gut da. Probleme haben die alten Herren dagegen insbesondere beim Rebound (30,4 RPG als Team, 14. Platz), wo sich fehlende Länge und nachlassende Athletik nachteilig bemerkbar machen.

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Euroleague Anadolu Efes Istanbul

Fotos: Anatoly Medved/BSR Agency/Getty Images

Unterschätze niemals das Herz eines Fast-Champions! So oder so ähnlich lässt sich das Auftreten von Anadolu Efes Istanbul beschreiben. Die Türken kamen äußerst bescheiden aus den Startlöchern, verloren acht ihrer ersten 15 Partien. Der Frust über die durch den Saisonabbruch 2019/20 verpasste Meisterschaft trotz der Fabelsaison von Shane Larkin und der unangefochtenen Tabellenführung saß tief. Trotz eines kaum veränderten Kaders tat sich Efes schwer, in die Gänge zu kommen. Der vor Saisonbeginn an beiden Knien operierte Larkin suchte seine Form sehr lange. Die Big Men Tibor Pleiß und Bryant Dunston verpassten verletzt zahlreiche Spiele. Doch dann kam Efes. Und wie! Im Jahr 2021 entwickelten die Türken einen starken Rhythmus und spielten nicht nur beim Sieg gegen ZSKA Moskau im Februar (100:70) „perfekten Basketball“ (Headcoach Ergin Ataman). Da war er wieder, dieser schnelle, jederzeit brandgefährliche Offensivstil, mit dem Efes im vergangenen Jahr dominiert hatte. Und auch Shane Larkin (14,7 PPG, 4,4 APG, 39,5 3P%) fand seinen Groove rechtzeitig wieder. Während Larkin zwischenzeitlich schwächelte, hatten jedoch auch andere Spieler Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu spielen. Vasilije Micic schickte erneut Bewerbungsvideos in Richtung Philadelphia – die 76ers halten seine Draftrechte – und präsentierte sich mehrfach in Galaform. Mit 37 Punkten (6/6 Dreier) gegen Fenerbahce etwa. Oder mit 33 Zählern (5/7) gegen Panathinaikos. Und dann ist da ja noch Sertac Sanli. Sertac wer? Der Backup vom Backup auf der Centerposition spielte teils ganz groß auf. Neben diesen vier Top-Favoriten hatten bei Redaktionsschluss Fenerbahce Beko Istanbul, Zenit St. Petersburg, Real Madrid und der FC Bayern Basketball die besten Playoff-Chancen. Zenit, zum Abbruch der vergangenen Saison ein Kellerkind der Liga, erlebte einen überraschenden Aufschwung. Xavi Pascual impfte dem Team

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Final Four 2021

eine defensive Identität ein, obwohl es an überragenden Individualverteidigern weitgehend fehlt. Offensiv spielt Zenit kalt und berechnend, attackiert sehr häufig aus dem Pick-and-Roll, während gleichzeitig gefährliche Distanzschützen wie K.C. Rivers (38,8 3P%) und Billy Baron (44,7) Stellung beziehen. Mit Arturas Gudaitis, Euroleague-Rookie Alex Poythress und dem nachverpflichteten Tarik Black verfügen die Russen außerdem über eine der schlagkräftigsten Center-Riegen. Fenerbahce brauchte ähnlich wie Stadtrivale Efes einige Zeit, ehe der Rhythmus da war. Doch dann gab es unter Star-Coach Igor Kokoskov (ehemals Phoenix Suns) kaum noch ein Halten: Zehn Spiele in Serie gewann Fenerbahce, ehe dieser beeindruckende Run ausgerechnet gegen Anadolu Efes sein Ende fand – mit einer 74:106-Zurechtweisung in eigener Halle. Neuen Schwung in die Millionenmetropole brachten besonders die Nachverpflichtungen Marko Guduric – nach einem recht erfolglosen Ausflug zu den Memphis Grizzlies – sowie NBA-Veteran Kyle O’Quinn. Inzwischen gehört der Kader von Fenerbahce zu den interessantesten der Liga, da er erfolgsentscheidende Komponenten vereint: nämlich Starpower (Nando de Colo, Jan Vesely, Marko Guduric, Lorenzo Brown), fleißige Komplementärspieler (Edgaras Ulanovas, Dyshawn Pierre, Melih Mahmutoglu, Ahmet Duverioglu) sowie mit Ali Muhammed – alias Bobby Dixon – einen inzwischen 37-jährigen X-Faktor. Danilo Barthel hat trotz zwischenzeitlicher Einsätze in der Starting Five insbesondere offensiv (7,4 PPG, 3,1 RPG, 21,1 MPG) noch keine konstante Rolle gefunden. Gleiches gilt für Mikrowelle Jarrell Eddie. Bei Real Madrid läuft es nicht: Insbesondere die Langzeitverletzung von Anthony Randolph (Achillessehnenriss) sowie die ständigen Verletzungen bei Sergio Llull und der Abgang von Facundo Campazzo schwächen das Team von Headcoach Pablo Laso empfindlich. So

kommen immer wieder die Youngsters Carlos Alocen (20 Jahre) und Usman Garuba (19) zum Einsatz, die Dominanz vergangener Jahre lässt Real dabei vermissen. Das liegt nicht nur an den Verletzungen, sondern auch am Alter: Während Rudy Fernandez (36 Jahre), Felipe Reyes (41), Jaycee Carroll (38) oder zunehmend auch Fabien Causeur (33) nicht mehr in der Lage sind, konstant und über viele Minuten Entlastung zu geben, dauert es bei Spielern wie Alocen, Garuba oder Alberto Abalde (25) noch ein bisschen, bis sie so weit sind. Center-Schrankwand Walter Tavares ist offensiv zu limitiert, um Real von Sieg zu Sieg zu tragen. Auch Edel-Komplementärspieler wie Jeffery Taylor und Trey Thompkins zeigen angesichts der Ausfälle, dass sie eben nicht mehr sind als DeluxeErgänzungen. Vieles spricht dafür, dass Real die begonnene Verjüngung im Sommer konsequent weiterführen muss. Sollten es die Madrilenen ins Final Four schaffen, sind sie dort aufgrund von Taktiker Laso, dem Turniermodus und Stars wie Tavares oder Llull auf keinen Fall zu unterschätzen. Zu den Auftritten und Erfolgen der Bayern in dieser Euroleague-Saison ist bereits vieles gesagt worden. Die historische Qualifikation für die Playoffs ist ein Ausrufezeichen – für die eigenen Ambitionen, aber auch für die gestiegene Qualität der BBL. „Weckt mich nicht auf, weckt mich nicht auf“, sagte Star-Coach Andrea Trinchieri nach einem der vielen EL-Siege seines Teams zu den Journalisten. Die Wahrscheinlichkeit, dass er mit seinen Bayern in den anstehenden Playoffs von einem Top-Favoriten unsanft geweckt wird, ist hoch. Traumhafte Monate haben Trinchieri und seine Truppe den deutschen Fans aber längst beschert. Zumindest rechnerische Playoff-Chancen hatten bei Redaktionsschluss auch noch Baskonia (spielstark, kreativ, streaky Team), Olympiakos (wenig Talent, viel Kampf und Moral), Kaunas (smart, variabel, eingeschworen) und Valencia (ausgeglichen, kampfstark, unberechenbar). redaktion@fivemag.de


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bbl-taktik

B o n n s S y s t e m u n t e r W i l l Vo i g t

BONNS SYSTEM UNTER WILL VOIGT

In der zweiten Saison in Folge hat Will Voigt bei den Telekom Baskets Bonn als Headcoach übernommen. In dieser Spielzeit hat er offensiv einen klaren Anführer im Team und defensiv ein interessantes Konzept im Playbook. Text: Manuel Baraniak

Fotos: wolterfoto.de/Jörn Wolter/Telekom Baskets Bonn

W

enn man großzügig ist, könnte man den Coaching-Tree von NBA-Trainerlegende Gregg Popovich bis in die BBL fortführen. Eine Verästelung: Will Voigt, aktueller Headcoach der Telekom Baskets Bonn, von 1999 bis 2001 als Videokoordinator bei den San Antonio Spurs tätig. Voigts Karriereweg danach verlief alles andere als geradlinig: die erste Stelle als Headcoach in Norwegen angetreten, mal in der US-amerikanischen Minor League ABA, mal als Assistant Coach in China aktiv. Und seine Stelle als Cheftrainer des G-LeagueTeams aus Bakersfield erhielt Voigt, als er von Journalisten und Jahreskarteninhabern aus zehn Kandidaten in die Top 3 gewählt worden war, wo er sich durchsetzte. Nachdem Voigt die Nationalmannschaft Nigerias 2015 zur Afrikameisterschaft und damit zu den Olympischen Spielen 2016 geführt hatte, übernahm er ein Jahr später als Nationaltrainer Angolas. Dieses Amt bekleidet der USAmerikaner noch heute – was auch für sein Engagement in Bonn relevant ist. „Will Voigt hat in der vergangenen Spielzeit gezeigt, dass er flexibel mit einer nicht von ihm zusammengestellten Mannschaft arbeiten und diese besser machen kann“, erklärte Bonns Sportmanager Michael Wichterich zur Verpflichtung im Januar dieses Jahres, als Voigt für Igor Jovovic übernahm – nachdem Voigt bereits in der vergangenen Saison aufgrund einer Entlassung (der von Thomas Päch) ins Rheinland gekommen war. In der Offseason hatten sich beide Seiten (noch) nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen können.

45 Grad übernimmt der Weakside-Verteidiger von der Ecke den ziehenden Offensivspieler, und der vorherige „On Ball“-Verteidiger geht auf den Offensivspieler in der Ecke. Im Konzept der „Peel Switches“ können mehrere solcher Rotationen hintereinander folgen, womit wie bei einer Uhr gegenseitig ausgeholfen wird. In Chris Olivers „The Basketball Podcast“ erklärt Voigt seinen Gedankengang dazu: Die Strecke der Help-DefenseRotationen soll verkürzt werden. In vielen Verteidigungssystemen kommt die Hilfe beispielsweise von der Weakside-Ecke. Doch den hierbei gefährlichen Diagonalpass können heutzutage viele Ballhandler anbringen. Weiterhin möchte man nicht zwei Verteidiger am Ball haben, was beim Recovern schon mal passiert. Oftmals ist es gar nicht so einfach, diese „Peel Switches“ zu erkennen. Zumal es in Pick-and-Roll-Situationen häufig zu „normalen“ Switches kommt. Die Bonner switchen unter Voigt nicht nur gerne, sie werfen auch immer wieder eine Zonenverteidigung ein – wie eine 2-3-Zone nach vorheriger 2-1-2-Zonenpresse. Dazu sieht man immer wieder das „Run-and-Jump“-Element: das Blitzen und kurzzeitige Doppeln an der Mittellinie, sobald der gegnerische Aufbauspieler ins Vorfeld gedribbelt ist. Auch wenn die „Peel Switches“ nach Voigts Amtsantritt nicht immer klappten und die Rotationen teils holprig verliefen: Zum einen ist dieses Defensivprinzip aus neutraler Sicht spannend zu beobachten, zum anderen verteidigen die Bonner de facto effizienter. 5,2 Punkte weniger pro 100 Possessions gestatten die Bonner dem Gegner laut InStat unter Voigt im Vergleich zu Vorgänger Jovovic.

Defense: „Peel Switches“

Offense: „Ghost Screens“

Doch nicht nur durch diese Flexibilität hinsichtlich des Kaders hatte Voigts Engagement als Nationaltrainer einen Einfluss, auch taktisch: Denn bei den Baskets hat Voigt ein Defensivkonzept implementiert, das er mit den sogenannten „Peel Switches“ auch bei Angola pflegt. Dabei hatten die angolanischen Nationalspieler von sich aus diese Rotationen bereits in Trainingseinheiten angedeutet. Voigt gefiel, was er da sah, übernahm die Idee und verfeinerte sie. Das Hauptprinzip: Wird ein Verteidiger vom gegnerischen Offensivspieler per Zug zum Korb geschlagen, übernimmt der Verteidiger, der am nächsten zu diesem Drive steht. Der vorherige Verteidiger am Ball dreht dann sozusagen zu einem anderen Offensivspieler ab („to peel off“ im Englischen). Am einfachsten an einem Beispiel zu erklären: Bei einem Drive von der Birne oder von

Mit der Verpflichtung von Voigt gingen auch personelle Änderungen einher: In Alex Hamilton kam ein athletischer Combo-Guard, der Josh Hagins ersetzte. Zudem verpflichteten die Bonner mit Jalen Hudson einen nicht weniger athletischen Flügelspieler, als Deividas Gailius verletzt ausfiel. Außerdem kam mit Isaiah Philmore ein Stretch-Big, der mit guter Fußarbeit unter Voigt auch immer wieder auf die Drei rutscht – womit Benjamin Lischka leider teils ganz aus dem Kader fiel. Offensiv zeigt sich der Trainerwechsel in einem schnelleren Spiel – was mit Blick auf die Neuzugänge Sinn ergibt. Entfielen unter Jovovic nur 7,4 Prozent aller Offensivaktionen auf die Transition, sind es unter Voigt 11,9 Prozent. Derweil sind die Außenspieler durch etwas mehr Pick-and-Roll- und IsolationAktionen stärker in den Fokus gerückt – was

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einem Oldschool-Center wie Leon Kratzer nicht so gut zu Gesicht steht. Derweil sind Kratzer und James Thompson alles andere als Komplementärspieler. Ohne Distanzwurf ausgestattet, können die Bonner mit ihnen kein Pick-and-Pop spielen (nur 2,8 Prozent Anteil an allen Abschlüssen). Während Thompson der deutlich athletischere Spieler und ein dankbarer Alley-Oop-Abnehmer ist, geht Kratzer eigentlich gerne im Postup zu Werke – unter Voigt aber seltener. Stattdessen überzeugt hier ein Power Forward wie Strahinja Micovic, der sogar den Flamingo-Fadeaway im Repertoire hat. Micovic wird gerne auch mal über einen Flare Screen geschickt. Denn mit einer Dreierquote von 43,3 Prozent und 4,3 Distanzwürfen pro Spiel ist Micovic die potenteste Downtown-Gefahr Bonns. Voigts mit am häufigsten genutztes Play involviert aber einen Außenspieler als Blocksteller (siehe Spielzug rechts). Vor allem Chris Babb wird in jenem Play gerne in Szene gesetzt. Rotiert ein Außenspieler zum Ballführer, stellt dieser jedoch keinen Block, sondern rotiert weiter. Im Fachjargon spricht man hierbei häufig von einem „Ghost Screen“ – da der Block eben nur angetäuscht wird. Der Verteidiger am Ball mag den Block erwarten, kurz innehalten und womöglich seine Position verändern – die Möglichkeit für den Ballführer zur Attacke. Die Zone ist nämlich oftmals offen, da der verteidigende Big Man durch den anschließenden Flare Screen diese Aktion im Blick haben muss und somit nur spät aushelfen kann. Babb wurde schon zu seinen Ulmer Zeiten als Blocksteller eingesetzt, unter Thorsten Leibenath gerne aus einer Horns-Formation und einem wirklich gestellten Block. Der Guard steht auch in Bonn – und in diesem Check – im Fokus. Als „beste und effektivste Lösung“ hatte Bonns Präsident Wolfgang Wiedlich Voigts Rückkehr umschrieben und damals klargemacht, dass er es dem Team unter ihm zutraue, „sich noch in die obere Tabellenhälfte vorzukämpfen“. Doch bei Redaktionsschluss hatten die Bonner nur gegen Hamburg mal einen dafür notwendigen Statement-Sieg hingelegt. Zudem verletzte sich Babb an der Schulter. Die Spurs unter Popovich waren ein Playoff-Dauergast, ehe ein rekordwürdiger Lauf in der Bubble ein Ende nahm. Die Bonner verpassten von 1996/97 bis 2014/15 in 19 Jahren nur zweimal die Playoffs. In den fünf Spielzeiten danach fand genauso oft eine Endrunde ohne Bonner Beteiligung statt – was sich auch unter Voigt wiederholen dürfte. Das ändert aber nichts an der taktischen Qualität. redaktion@fivemag.de


SPIELZUG A 3

2

5

4

1

Depth Chart 2020/ 2021 Pos. Spieler

PG

T.J. DiLeo

Xavier Pollard

SG

Alex Hamilton

Jalen Hudson

SF

Chris Babb

Deividas Gailius

Kilian Binapfl

PF

Isaiah Philmore

Strahinja Micovic

C

Jason Thompson

Leon Kratzer

Gabriel de Oliveira

Einen „klassischen“ Point Guard haben die Bonner nicht, dafür mit den Neuzugängen Hamilton und Hudson mehr Athletik auf den Außenpositionen. Philmore kann auf der Drei agierend die Lineups vergrößern. Eine konstante Starting Five sucht Voigt derweil noch. Benjamin Lischka fiel teils ganz aus dem Bonner Zwölferkader.

T.J. DiLeo (1) bringt den Ball und dribbelt in Richtung Spielfeldmitte. Strahinja Micovic (4) stellt einen Pin Down für Chris Babb (3), der nach oben rotiert …

Spieler im Fokus:

CHRIS BABB Bei Chris Babb weiß man, was man hat. Von 2015 bis 2017 trug der Guard zwei Spielzeiten lang das Trikot von ratiopharm Ulm und war dabei Teil des legendären Teams, das 27 Spiele in Folge gewann – bis heute BBL-Rekord. Babb zeichnete sich dabei als „Two-Way-Player“ aus, der in der Defensive mit Physis agierte und in der Offensive Gefahr von außen ausstrahlte sowie fehlerloses, sekundäres Playmaking ablieferte. Und genau dieses Paket bringt er vier Jahre später auch bei den Telekom Baskets Bonn aufs Parkett. „Er soll einer der Eckpfeiler des neuen Teams werden und mit seiner Erfahrung allen Stabilität geben“, hatte sich Bonns Sportmanager Michael Wichterich bei der Verpflichtung verhofft – was durchaus eingetreten ist. Bei Redaktionsschluss stellte Babb mit 16,2 Zählern nicht nur den Topscorer des Teams, sondern ligaweit den fünftbesten Punktesammler. Babb hat dabei die Lizenz zum Schießen – mit 8,5 Distanzwürfen pro Spiel führt er die Liga an (zuletzt wurden 2004/05 mehr Dreier im Schnitt genommen). Babb wirft in der Early Offense, wenn er an der Seite per Handoff den Ball erhält, um die Screens läuft oder als Ballhandler den Re-Screen seines Big Man nutzt. Seine Wurfbewegung mag technisch

PLAY-TYPE spotup P&R ballhandler off-screen isolation transition handoff Summe

FREQ% 26,6 23,5 12,6 10,5 10,5 7,4 100,0

PPP 1,24 1,07 0,94 0,73 1,27 1,29 1,08

nicht sehr sauber aussehen, sein Release ist aber recht schnell, und Babb paart dies mit großer Reichweite beim Dreier. Wie heiß Babb laufen kann? Nun, im Auswärtsspiel gegen Chemnitz brachte er mit vier Dreiern im letzten Viertel sein Team zurück – das ist aber die Ausnahme: In den ersten drei Spielabschnitten einer Partie trifft Babb 38,6 Prozent seiner Dreier – im vierten Viertel samt Overtime sind es nur 26,9 Prozent. Eine sinkende Wurfquote im Lauf eines Spiels mag wegen Müdigkeit normal sein – doch solch eine hohe Diskrepanz? Kollektiv agierten die Bonner im Saisonverlauf recht ineffizient, womit viel an Babb hing. Vielleicht zu viel? Mit den Neuzugängen und unter einem neuen Coach könnte sich dies ändern. Denn auch die Play-TypeVerteilung spricht eigentlich für ein ausgeglichenes Offensivspiel – dem ein wenig mehr Unterstützung guttun würde. Seine 30 Jahre sieht man Babb an, wenn es ihm schwerfällt, bei Drives an seinen Gegenspielern vorbeizuziehen. Und auch an die Linie kommt er für seine hohe Nutzungsrate nicht sehr oft. Doch in einem Saisonendspurt könnte der Guard umso wichtiger werden – um dem Team dann auch wieder Stabilität zu geben.

FG% 43,8 41,8 40,0 32,1 48,1 47,4 43,0

FT FREQ% 0,0 4,5 0,0 0,0 6,7 4,8 5,0

TO FREQ% 0,0 4,5 2,8 6,7 6,7 0,0 6,0

Die Play-Type-Stats für Chris Babb aus seinen BBL-Spielen 2020/21. Legende: Freq% – Prozentsatz der Abschlussart an allen Abschlüssen des Spielers, PPP – Punkte pro Abschluss, FG% – Feldwurfquote, FT Freq% – Wie häufig zieht der Spieler Freiwürfe, TO% Freq – Wie häufig produziert der Spieler einen Ballverlust; Daten: InStat

B1 2 4 5 3 1

… als würde er für DiLeo einen Ball Screen stellen. Doch Babb täuscht diesen nur an, rotiert weiter auf den Flügel und nutzt dabei einen Flare Screen von James Thompson (5). DiLeo kann nun attackieren oder Babb für den Off-Screen-Dreier bedienen.

B2

4 2

5 3 1

Sind diese beiden Optionen nicht möglich, dreht sich Thompson und stellt einen weiteren Off-Ball-Screen für Babb. Erneut kann Babb zum Dreier hochsteigen oder um den Block curlen und in die Zone ziehen.

B3 4

2

1

5

3

Als letzter Ausstieg bietet sich ein High-Pick-and-Roll zwischen DiLeo und Thompson an.

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interview K o n r a d

Konrad Wysocki

W y s o c k i

„Ich wünschte, ich hätte alles etwas mehr genießen können“ Als Konrad Wysocki wie aus dem Nichts auf die große Bühne des Basketballs trat, ging alles ganz schnell. Er stieg mit Ulm in die Bundesliga auf, legte zwei gute Jahre hin, wurde plötzlich Nationalspieler und fand sich bei den Olympischen Spielen in Peking wieder. Seit 2019 ist er Basketball-Rentner. Im Interview mit FÜNF spricht Wysocki unter anderem über die Schwierigkeit, sein Architektur-Studium an der Elite-Uni Princeton und den College-Sport unter einen Hut zu bringen, seine Aufgabe als Security für Dirk Nowitzki bei Olympia – und über einen Kinobesuch mit den Klitschkos. Interview: Tobias Feuerhahn 76

F

ÜNF: Hallo, Konrad. Spricht man deinen Nachnamen eigentlich „Wysocki“ oder „Wysotzki“ aus? Konrad Wysocki: „Wysotzki“ ist die polnische Variante, aber mittlerweile hat sich das eingedeutscht als „Wysocki“. Menschen, die den Namen überkorrekt aussprechen, sagen „Wysotzki“, ansonsten ist es in Basketball-Deutschland „Wysocki“. Du bist seit 2019 BasketballRentner. Was machst du seitdem? Ich habe ja das Glück, dass ich zwei große Leidenschaften im Leben habe. Das ist zum einen Basketball und zum anderen die Architektur. Ich habe recht schnell Anschluss gefunden und zwei Monate nach meinem letzten Spiel einen Job als Architekt bei der Stadt Crailsheim bekommen. Mittlerweile bin ich bei der Stadt in Heidenheim. Ich habe kurze Wege, fahre fünf Minuten nach Hause und arbeite daran, meine Architektenzulassung zu bekommen. Das sollte Ende dieses Jahres dann durch sein. Was heißt das genau? Wie sieht dein Tag momentan aus? Wahrscheinlich anders, als er früher als Basketball-Profi aussah. Ja genau, ich stehe morgens auf, gehe ins Büro. Ich habe keine festen Zeiten, zu denen ich an bestimmten Orten sein muss. Und dann habe ich meine Projekte, meine Baustellen, die ich betreue. Das sind zum Teil Hallenumbauten. Etwa der Einbau von neuem Boden oder neuer Beleuchtung in Sporthallen. Aber auch so etwas wie ein Neubau eines Kindergartens, der an eine Turnhalle oder an eine Schule angeschlossen wird. Also wir unterhalten sämtliche städtischen

Gebäude und gucken danach, dass alles auf dem neuesten Stand ist. Und wenn etwas neu gebraucht wird, dann planen wir das. Mit Hallenböden müsstest du dich ja auskennen. Zumindest habe ich schon viel darauf gespielt. Aber jetzt weiß ich auch noch, wie die Böden eigentlich aufgebaut sind. Das ist schon spannend. Das unterscheidet sich natürlich vom Alltag eines Profisportlers. Da lebt man von Spiel zu Spiel, von Saison zu Saison. Nach der letzten Partie gibt es einen kurzen Urlaub, und dann beginnt schon die nächste Vorbereitung. Ist es leicht, aus diesem Rhythmus herauszukommen? Na ja, der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier. Ob man aus dem Rhythmus leicht herauskommt, ist wahrscheinlich bei jedem etwas anders. Den Ablauf, zwei Mal am Tag zu trainieren und in der Halle zu sein, vermisse ich nicht. Das war zum Ende hin wirklich anstrengend. Gerade wenn man dann älter wird und die Knochen nicht mehr so mitmachen. Das Einzige, was ich vermisse, ist der Wettkampf. Dieser Ehrgeiz, den man hat, dann doch mal wieder vor Publikum im Rampenlicht zu stehen und den entscheidenden Dreier zu werfen oder hier mal ein gutes Play zu machen. Ansonsten ist mein Tag jetzt ähnlich. Ich gehe eben nicht zum Training, sondern zur Arbeit. Am Anfang war das hart, weil es eben acht Stunden am Stück waren. Bis man da den Rhythmus gefunden hat – das ist schwer. Kommen wir zu einem anderen Thema: Du bist in Polen geboren und dann im Alter von vier Jahren nach Deutschland gekommen. Da


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Fotos: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images


interview

Konrad Wysocki

hatte der Basketball ja auch etwas mit zu tun, oder? Indirekt schon. Mein Vater hat als Profi in Gießen gespielt. Es war dann einfach eine Familienzusammenführung. Er hat uns mit rübergenommen, und so haben wir dann unser Leben in Deutschland angefangen. Das heißt, du bist so etwas wie ein polnischer Hesse? (lacht) So ungefähr, ja. 1998, im Alter von 16 Jahren, bist du dann nach North Carolina gegangen … Genau, das war so ein typisches Austauschjahr. Zehnte Klasse. Was macht man? Man geht in die USA. Natürlich mit dem Hintergedanken, da irgendwo auf eine Basketball-Schule zu kommen, groß entdeckt und irgendwann ein NBA-Star zu werden. Aus dem einen Jahr sind dann zwei in der Highschool geworden. Ich habe meinen Abschluss bekommen. Und dann werden die Sportler in den USA ja von den Colleges rekrutiert. Ich stand vor der Entscheidung: Gehe ich zurück nach Deutschland und werde hier irgendwo Profi, oder mache ich die Ausbildung fertig? Du hast dich dafür entschieden, nach Princeton zu gehen. War das für dich eine schwierige Entscheidung? Ja, weil ich fest davon überzeugt war, dass ich Basketball-Profi werden will. Aber meine Gasteltern haben mir damals gesagt, die Chancen, nach Princeton zu gehen, stünden eins zu einer Million. Diese Möglichkeit sollte ich doch nutzen. Und dann habe ich das gemacht.

Fotos: Christian Ciamillo-Castoria/Alex Grimm/Mario Vedder/Bongarts/Getty Images

Da müssen auch deine akademischen Leistungen gestimmt haben. Princeton ist ja auch nicht irgendeine Uni … Ja, die waren ganz gut. Abgesehen von Princeton: Welche Unis hatten dich denn noch auf dem Zettel? Da waren keine großen dabei. Es waren viele aus North Carolina. Eine große Uni dort, die mich haben wollte, war Clemson. Aber das waren jetzt keine Colleges, bei denen ich gesagt habe: „Boah, tolles Basketball-Programm, da gehe ich hin.“ Hätten jetzt UNC oder Duke angefragt, hätte das sicher anders ausgesehen. Das war aber nicht so. Daher war das Thema College für mich eigentlich recht schnell abgeschlossen. Bis mir dann eben klargemacht wurde, dass Princeton doch eine Ausnahme ist. Studieren in den USA ist teuer. Hattest du ein Vollstipendium? In der Ivy League, in der Princeton spielt, gibt es keine Stipendien. Aber es wurde darauf geachtet, dass ich trotzdem keine finanziellen Hürden überwinden musste (lacht). Das ging dann als „Financial Aid“ durch, war aber dem Stipendium ähnlich. Ich habe also zum Glück nichts bezahlen müssen. Auch das Essen lief

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über die Uni. Zudem hatte ich einen Job auf dem Campus. Ich habe in der Bibliothek gearbeitet, saß da am Empfang, habe Bücher ein- und ausgecheckt und eingeräumt. Was man in einer Bibliothek halt so macht (lacht). Das hat auch noch mal ein bisschen Geld gebracht. Wie teuer wäre das sonst geworden? Ich glaube, damals, also im Jahr 2000, als ich nach Princeton gekommen bin, hat das schon knapp 40.000 Dollar pro Semester gekostet. Das sind 80.000 im Jahr. Und das bei vier Jahren Studium – herzlichen Glückwunsch. Nun trainieren College-Athleten beinahe unter Profibedingungen, haben weite Reisen zu Auswärtsspielen. Trotzdem müssen sie ihr Studium auf die Reihe kriegen. Hast du das gut unter einen Hut bekommen? In Princeton sind die akademischen Anforderungen ja höher. Das war schon hart. Ich kann mich daran erinnern, dass wir KrafttrainingsEinheiten um fünf Uhr morgens hatten. Danach warst du so platt, dass du es kaum geschafft hast, in die Vorlesung zu gehen. Und Architektur ist jetzt auch kein Fach, bei dem die Studenten mal durch eine Vorlesung durchschlafen können. Da gab es auch lange Nächte, in denen ich an Modellen gearbeitet habe. Das war schon nicht einfach. Die Partys und das ganze Drumherum nicht zu vergessen. Da willst du natürlich auch noch mitmachen.

„ICH SEHE MICH ZWAR AUF DEN GANZEN FOTOS, ABER DIESE WIRKLICH REALEN MOMENTE, AN DIE KANN ICH MICH KAUM ERINNERN, WEIL DAS ALLES SO SCHNELL HINTEREINANDER KAM.“ ___

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Bei den Partys warst du dann auch noch anwesend? Oder hast du dir ein Sofa gesucht und Schlaf nachgeholt? Soweit es ging, war ich auch da anwesend. Die NCAA und die Unis machen mit ihren Sportprogrammen einen Haufen Geld. Die Athleten dürfen aber neben ihrem Stipendium nichts annehmen. Da flammen immer wieder Diskussionen auf. Was meinst du: Sollten die College-Sportler finanziell beteiligt werden, oder reicht die Gratis-Ausbildung aus? Ich glaube, die Ausbildung ist doch schon einmal ein Riesenbatzen. Wenn man überlegt, was Erstligaspieler in Deutschland oder überhaupt verdienen, dann müssten die ein paar Jahre mehr spielen als die vier am College, um auf die Summen zu kommen, die ein Studium in den USA kostet. Wenn man jedoch

Deine sportliche CollegeLaufbahn endete ein wenig holprig. In deinem Abschlussjahr hast du für die Princeton Tigers nur noch zehn Spiele gemacht. Da gab es auch Stress mit dem Trainerstab … Richtig, der Coach war damals John Thompson. Ich hatte eigentlich einen guten Start, war 2001 „Rookie des Jahres“ in der Ivy League, aber dann gab es immer mehr Probleme. Ich musste dem Architektur-Studium mehr Zeit widmen, und dann habe ich irgendwann für mich die Entscheidung getroffen, dass mir mein

Arbeitsvisa, das die USA für Ausländer ausstellen, war für dieses Jahr aber erschöpft. Ich hätte also ein ganzes Jahr warten müssen, um meine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Dort blöd herumsitzen wollte ich aber nicht. Deshalb bin ich wieder zurück nach Deutschland. Dann habe ich wieder angefangen, Basketball zu spielen. Als Profi. Bezahlt. Und das hat mir gefallen. So gut, dass ich nach der ersten Saison gesagt habe: „Gut, dann gucke ich mal, wie weit ich als Profi-Basketballer kommen kann.“ Den Architekturjob hatte ich ja in der Hinterhand, falls alle Stricke reißen sollten.

bedenkt, dass die College-Ligen teilweise ja beliebter sind als die Profi-Ligen, ist das noch einmal etwas anderes. Das ist nun aber schon so lange so gelaufen. Daraus hat sich eine Tradition entwickelt, und an der sollte man nicht rütteln. Nun werden aber nicht alle CollegeAthleten später Profis. Und wenn unter dem vielen Training das Studium leidet, kann das ja auch hinderlich sein. Auf jeden Fall. Aber das muss ja auch jeder für sich selbst entscheiden. Entweder man hat den Ehrgeiz und zieht das durch, oder man geht dann eben doch einen Schritt zurück und konzentriert sich auf die Schule.

Abschluss erst mal wichtiger ist. Den Sport und das Studium unter einen Hut zu bekommen, war schier unmöglich. Zudem war ich jetzt auch nicht superglücklich in der Mannschaft. Und dann habe ich gesagt: „Ich höre auf und mache meinen Abschluss fertig.“

In Deutschland hast du dann 2004 zunächst in Düsseldorf in der zweiten Liga gespielt. Wie lief das ab? Du bist ja sicherlich nicht einfach zum Training gegangen und hast gesagt: „Hier bin ich. Gebt mir einen Vertrag!“ Nein, das lief natürlich über Agenten und Tryouts. Das übliche Hin und Her. Zum Vorspielen war ich, glaube ich, irgendwann mal in Portugal und irgendwo in der Schweiz. Ich habe schon ein paar Tryouts durchgemacht. Die richtige Truppe hat sich aber nie gefunden. Düsseldorf hat Interesse gezeigt und ist es dann auch geworden.

Hattest du dann für dich eine ProfiKarriere erst einmal abgehakt und entschieden, dass du dich auf die Architektur konzentrierst? Genau. Nach der Uni wurde mir ein Job in Fort Myers, Florida, angeboten. Ich habe dort auch angefangen zu arbeiten. Allerdings brauchte ich ja ein Arbeitsvisum. Das Kontingent an

Damals warst du dann 22 Jahre alt, was immer noch jung ist für einen Profi. Aber wie ist das für dich, wenn du heute auf die BBL schaust und da 17- oder 18-Jährige mitzocken? Ich finde das super. Wenn man als so junger Spieler die Möglichkeit hat, BBLMinuten zu bekommen, ist das grandios. Oder zu sehen, wie die Jungs etwa in Berlin

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Fotos: Dennis Grombkowski/Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images

schon in der Euroleague mitspielen. Das ist etwas ganz Besonderes. Zu meiner Zeit war das anders. Da hat jeder, der im Basketball etwas auf sich gehalten hat, versucht, in die USA zu kommen und dort Fuß zu fassen. Mittlerweile hat sich das ja geändert. Da kommen die Amerikaner nach Europa, um sich die vielen jungen Talente anzusehen. Im Jahr 2006 bist du dann in Ulm gelandet – und danach ging alles ruckzuck. Ihr seid in die Bundesliga aufgestiegen, du hast zwei wirklich gute Saisons gespielt, wurdest All Star und plötzlich auch Nationalspieler. Ein ziemlicher Schnelldurchlauf, oder? Das ist die Zeit, an die ich mich am wenigsten erinnere, weil das alles so schnell an mir vorbeigelaufen ist. Ich war zwar dabei, aber irgendwie habe ich das gar nicht richtig wahrnehmen können. 2006 war ziemlich erfolgreich, und ich kann mich noch erinnern, dass ich mich mit Jeff Gibbs (ein ehemaliger Teamkollege in Ulm, Anm. d. Red.) um die Rebound-Krone gestritten habe. Diese internen Duelle haben richtig Spaß gemacht. Dann rief plötzlich Bundestrainer Dirk Bauermann an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, für die Nationalmannschaft zu spielen. Und ehe du dich versiehst, bist du plötzlich Nationalspieler,

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stehst sogar in der Ersten Fünf, weil Ademola Okulaja ausfällt. Diese paar Jahre waren wirklich unfassbar. Darauf blicke ich auch gerne zurück. Aber wenn ich dann überlege – auch gerade im Hinblick auf Olympia –, wünschte ich, ich hätte das etwas mehr genießen können. Ich sehe mich zwar auf den ganzen Fotos, aber diese wirklich realen Momente, an die kann ich mich kaum erinnern, weil das alles so schnell hintereinander kam. Du hast dein Debüt in der Nationalmannschaft gegen Polen gegeben, gegen dein Geburtsland. Warum hast du nicht für Polen gespielt? Dort hättest du womöglich auch eine etwas größere Rolle spielen können. Oder war das egal? Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht, wenn ich ehrlich bin. Es stand nie zur Debatte, dass ich überhaupt für irgendein Land in der Nationalmannschaft spiele. Nach dem guten Jahr bei ratiopharm Ulm kam eben die Anfrage von Dirk Bauermann, und da war für mich klar: Wenn er mich fragt, dann spiele ich. Dann machen wir das so. Ich habe auch nie daran gezweifelt, dass ich im falschen Nationalteam bin. Es war eben so. Die Olympischen Spiele in Peking kamen 2008, kurz nach

deinem Länderspieldebüt. Deine Nominierung für das Turnier erinnert ein wenig an die von David Odonkor, der 2006 etwas überraschend für die Fußball-Nationalmannschaft an der WM teilnahm. Den hatte auch kaum jemand auf dem Radar, er konnte aber dennoch seine Impulse setzen – genau wie du. Das war Olympia. Aber es gab ja vorher auch noch die Qualifikation, in der ich ein paar Spiele hatte, die ganz okay waren. Es war einfach eine tolle Truppe damals. Wenn man überlegt, was da für Jungs dabei waren, das war schon lustig. Wie war das denn mit den Jungs? Zur Mannschaft zählte damals ja auch so ein großer blonder Typ, der schon eine ganz gute Karriere in der NBA hingelegt hatte ... und ich meine nicht Chris Kaman. Die kannten sich natürlich alle schon seit Jahren. Die waren eingespielt. Steffen Hamann und Demond Greene, Patrick Femerling und Sven Schultze. Und dann kam irgendwann noch der große Dirk Nowitzki dazu. Das war für mich natürlich auch ein Riesending. Ich kannte ihn ja nur aus dem Fernsehen, und wie jeder, der ihn zum ersten Mal sieht, war ich ein bisschen baff und wusste nicht, was ich sagen sollte. Und auf einmal spielst du dann an seiner Seite. Das war schon cool und hat echt Spaß gemacht.


„GANZ LEICHT IST DAS NICHT. ICH SASS DA UND DACHTE: ‚GUT, DAS WAR ES. UND JETZT?‘“ ___

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Musstet ihr in China dann auch ein bisschen Security für Dirk Nowitzki spielen? Der Hype um seine Person war ja schon extrem. Ja, Peking war ganz schlimm! Ich wollte nicht mit ihm tauschen. Er war ständig umzingelt von einer Traube von Menschen, die Autogramme und Fotos wollten. Wir haben ihn dann manchmal wirklich in unsere Mitte genommen, damit wir überhaupt von A nach B kamen, weil alle zwei Meter jemand rief: „Nowitzki, Nowitzki – Foto, Foto.“ Das war unfassbar. Ich glaube aber, er hat sich bei uns ganz wohl gefühlt und auch immer Bescheid gesagt, wenn er dann keinen Bock mehr hatte. Wobei er natürlich trotzdem unglaublich viele Autogramme gegeben und Fotos gemacht hat. Ich glaube, ich hätte das so nicht durchgehalten.

hätte ich vielleicht auch noch Angebote von anderen, größeren Mannschaften bekommen. Aber so war es eben damals. Ich habe zugesehen, dass ich den bestmöglichen Vertrag kriege, und so bin ich in Frankfurt gelandet. Ich habe da dann wenig gespielt, bin mit Coach Murat Didin nicht zurechtgekommen – so war die Saison verkorkst. Das war also nicht ganz so gut. Dennoch gibt es keine Station in meiner Karriere, die mich nicht irgendwie weitergebracht hat.

Du hast gesagt, dass es dir schwergefallen ist, die ganzen Eindrücke richtig aufzusaugen. Gibt es trotzdem ein paar Schlaglichter, die hängen geblieben sind? Natürlich gibt es da Momente. Das hat ja alles auch schon viel früher angefangen. Da war zum Beispiel die Vorbereitung in Hamburg. Wir haben trainiert wie die Idioten, und irgendwann bekamen wir einen Abend frei. Da haben wir uns entschieden, ins Kino zu gehen. Wir saßen dann da, und ein paar Reihen weiter saßen die Klitschko-Brüder. Dirk Nowitzki war auch dabei, und so hatten wir natürlich gleich einen Kontakt. Und dann sitzt du da plötzlich zusammen mit den Klitschkos und guckst in irgendeinem Kino irgendeinen Film. Das sind natürlich Erlebnisse – ohne Nowitzki wäre das nicht passiert. Auch das Einlaufen im Stadion war ein Riesending. Dann stehst du da, und plötzlich kommen die ganzen NBA-Größen eingelaufen. Kobe, LeBron und so weiter. Und die begrüßen erst mal Dirk. Ich habe mit und durch Dirk viele Sachen erleben dürfen, die ein Normalsterblicher in Peking und auch bei den Olympischen Spielen wahrscheinlich nicht mitbekommen würde.

Das stimmt. Aber wurmt es dich trotzdem, nie etwas gewonnen zu haben? Oder sind andere Erfolge – wie etwa der Klassenerhalt mit Crailsheim in deinem letzten Jahr – emotional genauso wertvoll wie eine Meisterschaft? Das wurmt mich schon. Du spielst, um Titel zu gewinnen. Aber mehr als der Vizetitel ist es eben nicht geworden, und damit ist das für mich auch okay. Es kann ja auch nicht jeder Meister werden. Auch wenn ich es gerne geworden wäre. Dafür habe ich genügend Sachen erlebt, die andere, die vielleicht Meister geworden sind, nie erleben durften.

Noch mal zu den Klitschkos: Welchen Film habt ihr denn gesehen? Keine Ahnung. Das weiß ich nicht mehr. Das war auch zweitrangig. Aber es war sicher irgendwas mit Superhelden. Nach den Olympischen Spielen warst du etwas stärker auf dem Radar als davor. Hattest du danach mehr und vielleicht auch bessere Angebote? Du bist ja dann von Ulm nach Frankfurt gewechselt. Das war vielleicht so die Station in meiner Laufbahn, die ein wenig unüberlegt war. Das war so ein typischer RookieMistake: dem Geld hinterherlaufen, nur um zu schauen, dass man möglichst viel verdient. Hätte ich da noch ein Jahr gewartet und noch mal eine vernünftige Saison aufs Parkett gelegt,

Einen Titel hast du allerdings in deiner Karriere nie gewonnen ... Nein, aber ich bin 2013 Vizemeister geworden, mit Oldenburg. Wir haben 0-3 verloren, in der Serie aber nur sieben Punkte weniger gemacht als Bamberg. Das knappste deutliche Finale aller Zeiten.

Zum Beispiel? Olympia! In deinem allerletzten Spiel hast du mit den Crailsheim Merlins in der Saison 2018/19 den Klassenerhalt in der Bundesliga geschafft. Wie war der Tag danach? Hast du sofort realisieren können, dass es jetzt vorbei ist? Oder dauert das eine Weile? Ganz leicht ist das nicht. Ich saß da und dachte: „Gut, das war es. Und jetzt?“ (lacht) Du musst dich dann erst mal neu sortieren und schauen, dass du alles in die Wege leitest, damit dein Leben weitergeht. Es kam aber nicht überraschend für mich. Mein Karriereende war ja geplant. Hat ja auch alles ganz gut funktioniert. Du bist also niemand, dem es nach der aktiven Karriere extrem schwerfällt, vom Sport loszulassen? Gar nicht. Ich habe die Zeit sehr genossen, und ich habe dem Basketball viel zu verdanken. Ich freue mich aber auch auf die Zeit danach. Ich bin jemand, der vorausblickt auf das, was als Nächstes kommt, und wie er da genauso viel herausholen kann wie aus dem Basketball. Und wenn es mir auch nur annähernd gelingt, als Architekt genauso erfolgreich zu sein wie als Basketballer – na dann ... redaktion@fivemag.de

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interview J o h n

John Patrick

P a t r i c k

„Unsere Kultur produziert diesen Enthusiasmus“ John Patrick von den MHP RIESEN Ludwigsburg ist der dienstälteste Headcoach der BBL – der wie kein Zweiter für Verteidigung steht. Im Interview erklärt der USAmerikaner den Ursprung seiner „40 Minutes of Hell“ und warum er keine Spieler verpflichten möchte, die in der NCAA Full-Court-Defense spielen. Außerdem spricht Patrick über die Herausforderung, seine Söhne zu trainieren, Gemeinsamkeiten mit Henrik Rödl und die Bedeutung japanischer Kultur. Interview: Manuel Baraniak

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Fotos: Tatjana Klee

ÜNF: Ich möchte gerne mit einem Zitat einsteigen. Bobby Knight hat einmal gesagt: „Basketball ist ein Spiel von Fehlern.“ Was halten Sie von diesem Zitat? John Patrick: Das sage ich auch oft. (schmunzelt) Natürlich wollen wir keine Fehler machen, aber wir lernen aus Fehlern – wenn wir selbstkritisch und ehrlich miteinander sind. Wenn man eine Balance findet zwischen Kreativität sowie Selbstvertrauen und der Bereitschaft, selbstkritisch zu sein, dann hat man eine Chance, sich dynamisch zu verbessern. Der größte Fehler, den eine Mannschaft in einem Angriff machen kann, ist es, einen Ballverlust zu begehen. Ihr Team weist in dieser Saison – wie schon in der vergangenen Spielzeit – die geringste Turnover-Rate der BBL auf. Wie schafft Ihr Team das? Das war schon ein Teil der Philosophie meines Highschool-Coaches Morgan Wootten und besonders meines CollegeCoaches Mike Montgomery: Unser Ziel war es, maximal zehn Ballverluste pro Spiel zu begehen. Ein solches Ziel hatte

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auch mein ehemaliger Coach Patrick Ryan, unter dem ich in Japan gespielt habe. Damals hat unsere SmallballMannschaft – ohne Forward oder Center – die Liga dominiert. Wir waren alle klein, aber das war der Schlüssel. Du kannst Ballbesitze mit Offensivrebounds und Cuts abseits des Balles stehlen und indem du eigene Turnovers minimierst sowie Ballverluste des Gegners forcierst. Natürlich ist es immer gut, das Spielgerät zu bewegen – aber wenn man keine Ballverluste begeht, hat man die Chance, gegen jedes Team zu gewinnen. Inwieweit spielt es hierbei auch eine Rolle, dass Ihr Team offensiv im Ligavergleich häufiger das Eins-gegen-eins sucht? Das ist natürlich der Fall, wenn man ein Mismatch hat. Ich würde sagen, dass wir nicht eins-gegen-eins spielen „wollen“ – aber das Ziel von jeder Offensive ist es, einen Vorteil zu generieren. Ob das durch ein Pick-and-Roll, ein Pick-and-Pop, eine „Pistol-Action“ oder was auch immer ist. Wir suchen gerne SchnelligkeitsMismatches und wollen den Ball jemandem geben, der nicht nur scoren, sondern auch passen kann. In der vergangenen

Saison haben bei uns Nick Weiler-Babb, Marcos Knight oder Thomas Walkup auf der Vier gespielt, teilweise sogar Jaleen Smith. In der Vergangenheit hatten wir in Ludwigsburg jemanden wie Elgin Cook. Und während meiner Zeit in Göttingen hat mit Charles Lee – übrigens nun Assistant Coach für Mike Budenholzer bei den Milwaukee Bucks – auch ein Guard auf der Vier gespielt. Wenn du einen Guard hast, der den gegnerischen Vierer verteidigen kann, der aber von diesem Vierer im Face-up nicht verteidigt werden kann, dann ist das ein Riesenvorteil. Das Ergebnis: Wir haben einen ganz klaren Schnelligkeitsvorteil, den man durch gutes Spacing ausnutzen kann. Dadurch ziehen wir Fouls, wir spielen mit einer höheren Pace als unsere Gegner. Manchmal ist es effektiver, diese Schnelligkeits-Mismatches statt Größenvorteile zu haben. Sie haben Jaleen Smith erwähnt. Vor eineinhalb, zwei Jahren war er noch ein Zweitligaspieler, nun ist er ein MVPKandidat in der ersten Liga. Sie hatten ihn im Sommer 2019 erst mal nur mit einem Tryout-Vertrag ausgestattet. Wie hat sich Smith so rasant entwickeln können? Ist er


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John Patrick

unter dem Radar geflogen, hat er so stark an sich gearbeitet? Es ist eine Kombination aus beidem. Erst mal war Jaleen als Highschool-Spieler unbekannt. Er kommt aus Freeport, Texas, das ist mitten im Niemandsland. Josh King, mein jetziger Assistent in Ludwigsburg, hat ihn früh beobachtet. Josh hat als Assistant Coach mit Jaleen in New Hampshire zusammengearbeitet. New Hampshire ist ein Programm, in dem richtig langsamer Inside-OutBasketball gespielt wird. Hier kommt meine Philosophie des Recruitings ins Spiel: Wenn eine College-Mannschaft eine langsame Pace spielt und nur 60 Punkte pro Spiel macht, und in diesem Team erzielt Jaleen 15 Zähler und sechs Rebounds, dann hat das einen versteckten Wert. Ich schaue immer auf Spieler jener Programme, die besonders langsam spielen, denn diese sind verteidigungsorientiert. Das war auch bei Taylor Rochestie, der sein erstes Profijahr bei mir in Göttingen gespielt hat, während seiner Zeit bei Washington State so. Rochesties damaliger Coach Tony Bennett ist jetzt bei Virginia, dort sind sie so fokussiert auf ihre „Pack Defense“. Dieser Basketball ist nicht besonders schön anzuschauen, aber als BasketballNerd ist es sehr interessant. Wenn du in einem solchen System Statistiken produzieren kannst, ist das etwas Besonderes. Bei Virginia wären Malcolm Brogdon oder Anthony Gill zu nennen. Als Profis in einem modernen europäischen System explodieren diese Spieler dann. Im Gegensatz zu einer Conference wie der Big East: Das ist Run-and-Gun, ja fast schon Streetball. Wenn ein Spieler dort Stats produziert, wirst du nicht wirklich wissen, wie dieser Spieler in einem halbwegs strukturierten System agieren wird.

Fotos: Tatjana Klee

Was kam im Fall von Jaleen Smith noch zum Tragen? Jaleen hat einen relativ unbekannten und unerfahrenen Agenten. Ich glaube aber, dass er sehr glücklich sein kann, nach Heidelberg in die ProA gegangen zu sein. Er spielte dort in einem relativ freien System und hatte mit Frenki Ignjatovic einen Coach, der sehr viel Erfahrung mit USAmerikanern hat. Jaleen ist „soft-spoken“. Ich glaube, bei anderen Teams hätte er sich nicht diesen Swagger aneignen und sich dieses Selbstvertrauen aufbauen können. Er war in seinem ersten Jahr bei uns anfangs vielleicht nur die zweite, dritte oder vierte Option. Aber er hat im Saisonverlauf gemerkt, dass er genauso gut, wenn nicht sogar besser als unsere anderen Spieler ist. In der vergangenen Saison fiel beim Bubble-Turnier in München auf, wie viel Energie von der Ludwigsburger Bank ausgeht. Vor leeren Rängen ist dies auch in dieser Spielzeit entscheidend: als Team aus sich selbst heraus Energie zu entwickeln. Wie gelingt Ihnen das? Unsere Kultur produziert diesen

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Enthusiasmus. Ohne die Außeneinwirkung von Fans kann man sogar auswärts einen „Heimvorteil“ haben. Chris von Fintel war vergangene Saison ein absolutes Musterbeispiel dafür, wie man auf der Bank Stimmung macht. Eigentlich verstehen das all unsere Spieler. Unsere beiden „G-League-Akteure“ haben es vielleicht noch nicht zu 100 Prozent begriffen, wie es in Europa läuft. (lacht) Das ist aber nicht böse gemeint und auch verständlich, sie sind natürlich auch auf sich fokussiert. Bei uns hat vom ersten Tag an das Aufbauen einer Mannschaftskultur Priorität. Ich war der erste Coach in Deutschland, der eine Orientierungswoche eingeführt hat. Seit meiner Zeit in Göttingen mache ich das jedes Jahr. In dieser Woche – wenn eh die medizinischen Tests anstehen – befinden wir uns selten auf dem Feld. Wir reden stattdessen darüber, wie wir uns gegenseitig beeinflussen und wer wen. Für uns ist es sehr wichtig, dass alle verstehen, dass jeder in der Mannschaft einen positiven Einfluss haben kann – selbst der Teammanager ist sehr wichtig. Auch dank dieser Kultur haben Sie es bis Mitte März dieses Jahres geschafft, 18

„WENN EINE COLLEGEMANNSCHAFT EINE LANGSAME PACE SPIELT UND NUR 60 PUNKTE PRO SPIEL MACHT, UND IN DIESEM TEAM ERZIELT JALEEN 15 ZÄHLER UND SECHS REBOUNDS, DANN HAT DAS EINEN VERSTECKTEN WERT.“ ___

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Siege in Serie einzufahren. In welchen Punkten hat das Ihre Arbeit als Coach verändert? Ist man entspannter in brenzligen Situationen eines Spiels? (lacht) Nein, überhaupt nicht. Ich bin sogar mehr unter Stress, wenn wir gewinnen – weil die Erwartungen steigen. Und weil die Gefahr besteht, dass man locker wird und denkt, man hätte schon etwas erreicht. Die Beziehung zwischen Spielern und dem Coach ist eine dynamische Sache, das habe ich schon sehr früh an der Highschool verstanden. Es ist wichtig, dass die Veteranen verstehen, was der Coach möchte. Und es ist wichtig, dass wir uns immer weiterentwickeln. Vor ein paar Tagen gab es eine ganz coole Situation: Alle wussten zwar, dass wir auf dem ersten Platz stehen, aber niemand wusste, wie viele Siege wir hintereinander oder wie viele Siege wir überhaupt eingefahren hatten – außer Lukas Herzog, der wusste alles. (schmunzelt) Das fand ich gut. Wir wollen natürlich die Bundesliga und die gegnerischen Spieler kennen, aber wir sollten nicht zu sehr auf unsere Ergebnisse oder Statistiken blicken – das ist nicht so wichtig.

kleinen Schwester geholfen haben. Dann geht es direkt zum Training, wo ich nicht nur der Boss, der Coach sein muss – sondern ich muss auch den anderen Spielern zeigen, dass ich meine Söhne nicht bevorzuge. Das ist natürlich auch für meine Söhne nicht immer einfach. Das war aber auch schon immer so, weil ich sie bereits als kleine Kinder gecoacht habe. Ich bin überhaupt sehr direkt, auch mit Jaleen Smith, Jamel McLean oder Tremmell Darden. Die besten Spieler sind die, die ich am meisten kritisiere. Zudem ist die Corona-Situation für viele Kinder schwierig, wenn sie keine Privatsphäre haben. Auf der anderen Seite sind Jacob und Johannes sehr engagiert bei der Sache. Ich glaube, wenn sie wollen, können sie auf einem hohen Niveau spielen. Letztlich ist die Situation für beide womöglich schwieriger als für mich. Aber vielleicht werden sie später froh sein, schon früh die erwachsene Sportwelt kennengelernt zu haben, und dass ich als Vater-Coach nicht zu weich gewesen bin. Aber vielleicht sprechen wir in ein paar Jahren auch nicht mehr miteinander. (schmunzelt)

In dieser Saison sehen Ihre Söhne Jacob und Johannes immer wieder Rotationsminuten. Worin besteht die größere Herausforderung: Für Sie als Coach, dass Sie Ihre Söhne trainieren und ihnen nichts durchgehen lassen? Oder für Sie als Vater, dass Sie zu Hause auch mal vom Basketball und vom Trainersein loslassen können? Das ist nicht einfach. Ich möchte zu Hause nicht der Coach, der Boss sein. Da hilft mir meine Frau. Aber trotzdem frage ich natürlich, ob meine Söhne ihre Hausaufgaben erledigt oder den Müll rausgebracht haben, mit dem Hund Gassi gegangen sind oder ihrer

Auch in dieser Saison stellt Ihr Team eine der besten Verteidigungen der Liga. Ihre oft als „40 Minutes of Hell“ bezeichnete Philosophie konnte man schon zu Ihrer Zeit in Göttingen beobachten. Woher kommt eigentlich Ihre Begeisterung für Defense? Ich weiß nicht, ob ich als Spieler so begeistert war, wie ich es jetzt bin. (lacht) Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich als Kind zu Morgan Woottens Camps an der DeMatha und St. John’s gegangen bin. Das habe ich jeden Sommer getan, seitdem ich zehn Jahre alt gewesen bin. Ich habe dort später auch als Coach gearbeitet. Für Morgan Wootten habe

ich schließlich auch gespielt. Jeden Tag ging es um schnelle Defense, Full-Court, Run-and-Jump – etwa 80 Prozent unseres Trainings an der Highschool bestand aus Defense. Die Philosophie dabei ist: Wenn du gut verteidigst, kreierst du Gewohnheiten, die sich auch in die Offensive übertragen. Ich nenne das die „upward spiral“, die Aufwärtsspirale von Verteidigung. Wenn du als Mannschaft gut verteidigst, dann musst du im Training auch sehr gut in der Offensive sein, um zu punkten. Jedes Jahr bauen wir das wie ein Haus auf. Das fängt mit ganz einfachen körperlichen Dingen an wie Fußarbeit und Handarbeit, auch Spacing und Vision. Aber es geht auch um so etwas wie Stolz in der Verteidigung. Ich würde sagen, dass mindestens die Hälfte mit Einstellung und nicht mit Talent zu tun hat. Egal, welche Philosophie von Defense man hat – wenn ein Spieler keinen Bock auf Verteidigung hat, wird er kein guter Verteidiger sein. Bei Ihnen sticht unter anderem die FullCourt-Defense heraus. Wie sind Sie auf dieses System gekommen? Das war auch bei DeMatha. Morgan Wootten ist letztes Jahr gestorben. Er und John Wooden sind für mich die zwei „Godfathers“ des US-amerikanischen Basketballs. Morgan Wootten hat übrigens auch Dean Smith diese Elemente gelehrt: Full-Court, Run-and-Jump, Run-andSwitch. Als ich vor ein paar Jahren mit Henrik Rödl gesprochen habe, war das ganz interessant: Er am College (Rödl hat in North Carolina unter Dean Smith gespielt, Anm. d. Red.) und ich an der Highschool haben im Training die gleichen Übungen gemacht. (lacht) Das Verteidigungskonzept bei Morgan Wootten war insgesamt relativ konservativ. Im Eins-gegen-eins ging es um „don’t get beat“. Gleichzeitig war es wichtig, den Gegner zu stören, aber ohne zu foulen. Es war dennoch ein System über das ganze Feld. Wenn eine Mannschaft nur einen Ballhandler hatte, dann war es schon vorbei. Über das ganze Feld verteidigt haben wir auch, als ich in Japan für Patrick Ryan bei Marubeni gespielt habe. Patrick Ryan wiederum hat unter Rick Pitino an der Hawaii University gelernt und gespielt. Unter Patrick Ryan hatten die ersten vier, fünf Wochen überhaupt keinen Spaß gemacht: nur Laufen, nur Defense. Aber dann haben die Spiele begonnen, und wir haben Teams mit NBA-erfahrenen Spielern wie Tom Hovasse, Dexter Boney oder Hubert Henderson auseinandergenommen. Wir hatten zwei US-amerikanische Guards, einer davon war ich, und ansonsten nur japanische Guards. Das waren die „40 Minutes of Hell“. Nach dem Spiel haben wir mit den amerikanischen Spielern des Gegners abgehangen, und die sagten: „Oh Mann, das ist die Hölle. Wir können den Ball nicht mal bis ins Halbfeld bringen.“ Es dauert natürlich, bis man dieses System verinnerlicht hat und man wirklich gut darin ist. Aber ich bin zu 100 Prozent überzeugt,

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dass man auch mit kleineren und offensiv weniger talentierten Spielern Partien gewinnen kann. Bei anderen Teams in Europa oder vor allem bei G-League-Mannschaften wird weniger über das ganze Feld verteidigt als bei Ihnen in Ludwigsburg. Dies stelle ich mir bei der Spielerrekrutierung nicht einfach vor – zu evaluieren, ob Spieler in diesem System funktionieren werden. Das ist ein guter Punkt. Das klingt vielleicht jetzt ein wenig arrogant: Aber die Mannschaften, die in den USA pressen, tun das ohne Regeln, dort wird teilweise mit Triple- oder Quadruple-Teams verteidigt. Ein Coach wie Shaka Smart war zwar durchaus erfolgreich, aber wenn du diese Mannschaften beobachtest, dann ist das komplett wild und chaotisch. Spieler von solchen Mannschaften, die unkontrolliert pressen, möchte ich gar nicht in meinem Team haben. Vielmehr möchte ich Spieler, die in Teams mit gewissen Regeln im Halbfeld und mit einer eher konservativen Verteidigung gespielt haben – weil sich diese Spieler auf Regeln konzentrieren können. In einem Full-CourtDefensivsystem wie dem unsrigen benötigt man zwar auch Athletik, aber Basketball-IQ und mentale Präsenz sind viel wichtiger. Würde der jetzige Headcoach John Patrick eigentlich den damaligen Spieler John Patrick rekrutieren?

(lacht) Ich glaube, ich könnte unter mir spielen. Ich hatte als Coach ein paar Spieler in meinen Teams, die mir geähnelt haben, wie beispielsweise Thomas Walkup. Er hat eine ähnliche Statur und Einstellung auf dem Feld. Ich war zwar mehr ein Shooter und ein Point Guard, aber ich habe auch gegen Power Forwards verteidigt – weil ich diese Football-Mentalität hatte. Ich habe an der Highschool auch Football gespielt und war für einen weißen Guard relativ athletisch und physisch.

„DAS KLINGT VIELLEICHT JETZT EIN WENIG ARROGANT: ABER DIE MANNSCHAFTEN, DIE IN DEN USA PRESSEN, TUN DAS OHNE REGELN.“ ___

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Sie haben eben Ihre Zeit unter Patrick Ryan bei Marubeni angesprochen. Warum sind Sie als Spieler überhaupt nach Japan gegangen? Meine Geschichte ist nicht einfach, ich bin so etwas wie ein „Rolling Stone“. (lacht) Als wir am College das NIT-Turnier in New York gewonnen hatten, bin ich mit meiner Mannschaft zurück nach Stanford gereist, habe aber unsere Meisterschaftsfeier verpasst – weil ich am nächsten Tag in Krakau, Polen, sein musste. Ich habe International Studies studiert, mein Auslandssemester habe ich in Krakau an der Jagiellonen-Universität gemacht. Dort habe ich auch für einen polnischen Klub gespielt. Zu der Zeit habe ich von Derek Bruton und Erik Reveno – zwei ehemaligen, etwas älteren Teamkollegen in Stanford, die mittlerweile in Japan spielten – einen Anruf bekommen. Sie hatten eine Verbindung zu einem Trainer dort, der einen USamerikanischen Guard suchte. Und so habe ich ein Angebot als Profispieler von einem Verein aus Osaka erhalten. Sie haben insgesamt 13 Jahre in Japan gelebt. Wie hat die japanische Kultur Sie als Mensch geprägt? Das ist eine gute Frage, die ich so genau gar nicht beantworten kann. Es ist eine andere Welt. Ich habe meine Zeit dort genossen und reise jedes Jahr – bis auf das letzte, wegen der Corona-Pandemie – nach Japan. Dann besuche ich auch immer meinen „japanischen Vater“, Kamuro Sensei, der in meinen ersten beiden Jahren in Japan auch mein Trainer an der KindaiUniversität in Osaka gewesen ist. Manche Leute reisen nach Hawaii, manche auf die Kanarischen Inseln – ich reise eben nach Japan, esse dort japanisches Essen und gehe durch die Provinzen. Das beruhigt mich sehr, die Pace des Lebens in Japan ist ein wenig langsamer. Klingt so, als könnte sich die westliche Welt eine Scheibe davon abschneiden. Welche Tipps haben Sie für unsere Leser, wenn das Reisen nach Japan wieder unkompliziert möglich sein wird? Ich würde jedem empfehlen, eine drei- oder vierwöchige Fahrradtour oder Shinkansen-Tour (Name des japanisches Streckennetzes der Hochgeschwindigkeitszüge, Anm. d. Red.) zu machen. Das Nonplusultra ist es, der „Hanami“ – der Kirschblüte – zu folgen. Die beginnt etwa Mitte Februar in Okinawa, ganz im Süden Japans, geht langsam weiter nach Norden, bis Mitte Mai in Sapporo, Hokkaido. Es ist sehr schön, wie sie in Japan den Frühling mit traditioneller Musik feiern.

Fotos: Tatjana Klee

Sie hatten früher mit Hiroyuki Maeda einen japanischen Videokoordinator, mit Tetsuro Miyazaki aktuell ebenfalls – was im europäischen Basketball eher ungewöhnlich ist. Liegt das daran, dass Sie noch Verbindungen nach Japan

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pflegen? Oder weil Sie einfach gerne japanische Mitarbeiter im Staff haben? Beides. Ich habe 13 Jahre lang dort gelebt und besitze eine Affinität zu Japan. Ich spreche die Sprache und bin von der ganzen Kultur begeistert: wie man kommuniziert, wie hart die Leute arbeiten – aber ohne Ego. Es ist alles für die Mannschaft, in Japan allgemein. Das trifft sowohl auf Maeda als auch auf Tetsuro zu. Tetsuro hat unter meinem guten Freund Rikukawa San an der Tokai-Universität gelernt und war dort für vier Jahre sein Assistant Coach. Für gewöhnlich gehe ich auch jeden Sommer nach Tokai und mache dort eine Clinic. Es gibt wenige Leute in Japan, die Interesse haben oder mutig genug sind, ins Ausland zu gehen. Aber Tetsuro ist bereits als Student auf die Philippinen gegangen und hat dort Englisch gelernt. Letztes Jahr ist er als ehrenamtlicher Coach hierhergekommen, hat trotzdem die ganze Zeit gearbeitet und dabei Deutsch gelernt. Es ist toll zu sehen, wie offen er der Sprache und dem europäischen Basketball gegenüber ist. Es ist immer wieder beeindruckend, wie die japanische Arbeitsmentalität ansteckt. Tetsuro geht nicht von Punkt A nach Punkt B – er läuft. (lacht) Manchmal bekomme ich Videoclips von unserem Training oder unseren Spielen um fünf Uhr morgens – was bedeutet, dass er die ganze Nacht gearbeitet hat. Maeda hat dies auch getan. Die Arbeit umfasst dabei viel mehr als nur Videoarbeit, wir führen auch unsere eigenen Metriken ... Meinen Sie so etwas wie Deflections (abgefälschte Pässe), um die Verteidigungsleistung Ihres Teams zu evaluieren?

Deflections haben wir vor Jahren ausgewertet, das haben wir bereits am College gemacht. Das ist auch wichtig. Aber es geht uns gar nicht so sehr um Statistiken, sondern um qualitative Videoclips. Manche sind mit Stats, andere mit Kommentaren unterlegt, was als Lernmaterial wichtig ist. Es kann sein, dass ein Videokoordinator eines anderen Klubs, welcher auch gut in der Verteidigung ist, keine Ahnung haben wird, was wir bewerten oder warum bei uns etwas falsch gewesen ist. Für die FIVE #176 habe ich mit Crailsheims Trainer Tuomas Iisalo gesprochen. Er hat geschildert, wie er sich von anderen Sportarten inspirieren lässt. Können Sie das ebenfalls, auch hinsichtlich Verteidigung? Ja, absolut. Ich habe früher selbst Leichtathletik gemacht und American Football, Baseball sowie Fußball gespielt. Ich bin immer noch ein großer Sportfan, mit meinen Söhnen zusammen schaue ich gerne die Champions League an. Bei erfolgreichen Mannschaften erkennt man oft eine Strategie, im American Football in diesem Jahr beispielsweise bei Tampa Bay oder Kansas City. Hier finde ich die Balance zwischen Aggressivität und konservativer Verteidigung interessant. Das Blitzing im American Football ist wie Pressing im Basketball. Und wenn man die Fußarbeit von Offensive und Defensive Linemen betrachtet, dann hat dies Ähnlichkeiten zu Martial Arts oder Judo. Auch dort nutzt man es aus, wenn der Gegner aus der Balance gerät. Man kann generell von jeder Sportart lernen: wie sich Athleten individuell vorbereiten, wie sie sich auf ein Spiel fokussieren,

danach aber Druck ablassen, um ihn dann wieder aufzubauen. Das finde ich auch im Biathlon interessant, was ich gar nicht verfolgt habe, ehe ich nach Deutschland gekommen bin: diese Kombination aus Konzentration, Stille und Athletik. Ihre Basketballkarriere zeichnet sich auch dadurch aus, wie eine Philosophie stets weitergegeben wird: von Rick Pitino über Patrick Ryan zu Ihnen. Welchem Ihrer ehemaligen oder aktuellen Spieler würden Sie zutrauen, als Coach einzusteigen und dann vielleicht eine solche „Defense first“-Mentalität zu implementieren? Vielen. Aktuell natürlich David McCray, der für mich gespielt hat und nun mein Assistant Coach ist. Das Gleiche trifft auf Josh King zu. Beide könnten sehr gute Headcoaches sein: weil sie auf hohem Niveau gespielt haben und Basketball lieben – und zwar die Sportart an sich, sie wollen in einer Sporthalle sein. Generell kann jeder, der aus den richtigen Gründen Basketball liebt und sich für Spieler und deren Entwicklung interessiert, ein guter Coach werden. Jon Brockman könnte ein toller Coach sein: Er ist ein sehr positiver Mensch und harter Arbeiter. Thomas Walkup, Taylor Rochestie würde ich auch nennen. Viele meiner ehemaligen Spieler sind schon Coaches: Coby Karl macht sein Ding in der G-League sehr gut. Er ist auch sehr positiv eingestellt, eine „people person“, und hat durch seine Krebserkrankungen schon viele Herausforderungen gemeistert. Charles Lee, den ich zuvor erwähnt habe, und John Little bei den Wisconsin Herd sind weitere Beispiele. Der „Coaching Tree“ wächst jedes Jahr ... (grinst) redaktion@fivemag.de

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interview Tr a e

Tr a e B e l l - H a y n e s

B e l l - H a y n e s

„Wir sind nicht mehr wir selbst“ Trae Bell-Haynes ist mit den HAKRO Merlins Crailsheim auf Playoff-Kurs und spielt eine bemerkenswerte Saison. 17,9 Punkte und 7,8 Assists pro Partie machen ihn zu einem MVP-Kandidaten in der BBL. FÜNF hat mit dem 25-Jährigen über seine Entwicklung, Basketball in seiner Heimat Kanada und Skills am Herd gesprochen. Interview: Peter Bieg

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ÜNF: Trae, ihr hattet einen großartigen Saisonstart mit den Crailsheim Merlins, habt von den ersten zehn Spielen acht gewonnen und euch an der Tabellenspitze gezeigt. Sogar den FC Bayern München habt ihr besiegt – nach Verlängerung, nicht zuletzt dank 31 Punkten und dem Gamewinner von dir. Doch gerade steckt ihr in einem kleinen Tief, habt nur zwei der vergangenen sechs Spiele gewonnen. Warum? Trae Bell-Haynes: Wir sind ein bisschen davon abgekommen, die kleinen Dinge zu tun, die uns in der ersten Saisonhälfte erfolgreich gemacht haben. Ein paar kleine Angewohnheiten. Wir sind nicht mehr wir selbst. In den nächsten Tagen müssen wir das Training nutzen, um zum Merlins-Basketball zurückzufinden. Da geht es um harte Arbeit, Defense und einen Blick für Details. Welche Details meinst du? (überlegt) Kleine Dinge, wie Blöcke für den ballführenden Spieler des Gegners nicht ordentlich zu bekämpfen. Oder bei Rotationen spät dran zu sein. Ich weiß nicht, wie sehr ich hier ins Detail gehen will, denn das sind Dinge, an denen wir jeden Tag arbeiten. Jedes Team hat eine Identität, Dinge, die man nicht zulassen will. In dieser Phase aktuell haben wir uns davon ein bisschen entfernt. Jetzt ist es Zeit, das wieder zu ändern. Wo stehen die Merlins am Ende? Wir werden in den Playoffs spielen. Wir denken, dass wir definitiv zu den besten

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Mannschaften der Liga gehören. Wir werden in den Playoffs sein, gegen die besten Teams der BBL antreten. Auf welcher Position wir sein werden? Ich bin mir nicht sicher. Aber wir werden definitiv da sein. Du gehörst zu einem kleinen Kreis von MVP-Kandidaten in der BBL. Interessiert dich diese Diskussion? Natürlich. Ich denke, kein Spieler sollte etwas anderes behaupten. Ich bin geschmeichelt, dass mein Name da genannt wird. Zugleich weiß ich, dass es meine Priorität ist, dem Team zu Siegen zu verhelfen. Die Merlins müssen weiter gewinnen, das ist das Wichtigste. Du hast schon einmal in der BBL gespielt, in der Saison 2018/19. Das war deine erste Saison als Profi, bei den Frankfurt Skyliners. 6,1 Punkte sowie je 2,6 Assists und Rebounds hast du in 16,0 Minuten Spielzeit pro Partie erzielt. Was hat sich seither verändert? Als Rookie in Deutschland zu spielen, ist nicht einfach. Ich hatte meine Schwierigkeiten, als ich das erste Mal in Europa war. Jetzt bin ich ein viel selbstbewussterer Spieler. Und auch mein Skillset ist ein bisschen runder. Ich bin ein besserer Werfer als damals. Aber vor allem geht es um Selbstvertrauen. Zudem habe ich jetzt Trainer und Mitspieler, die mir uneingeschränkt vertrauen. Sie lassen mich tun, was ich tun muss. Ich darf auf dem Court einfach ich selbst sein. Das ist der wichtigste Grund für meinen Erfolg.

Woran arbeitest du, um dieses Skillset noch runder zu machen? An allem! Aber um spezifisch zu werden: vor allem am Wurf. Das Shooting aus dem Dribbling ist etwas, worauf ich mich fokussiere. Außerdem möchte ich das Pick-and-Roll noch besser lesen. Ich will ein besserer Passgeber werden. Ich will wissen, wo die Lücken und meine Mitspieler sind. Wie sehen deine Ziele für die nächsten Jahre aus? Da will ich jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Ich will besser werden, im Endeffekt in allen Aspekten des Spiels. Und ich möchte künftig auf dem höchsten Niveau spielen. Wenn ich weiter besser werde und Erfolg habe – so wie hoffentlich dieses Jahr weiterhin in Crailsheim –, dann werde ich höher und höher aufsteigen. Ob das dann die Euroleague ist oder der Eurocup, egal. Solange ich mein Potenzial ausreize, bin ich zufrieden. Vor einiger Zeit haben wir auch ein langes Interview mit deinem Coach Tuomas Iisalo geführt. Was zeichnet ihn aus Sicht seines wichtigsten Spielers aus? Die Energie, die er jeden Tag bringt. Er lässt uns nie selbstzufrieden werden. Er gibt uns immer das Gefühl, dass es etwas zu verbessern gibt. Egal ob wir verlieren oder gewinnen. Er erinnert uns daran, wie Mannschaften besser werden: durch Training, harte Arbeit, jeden Tag. Nur so können wir besser werden als die Mannschaften um uns herum. Das und


diese Detailverliebtheit, die er mitbringt, das sind seine besten Attribute. Da du Kanadier bist: Wieso boomt der Sport bei euch dermaßen? Es gibt gefühlt immer mehr talentierte Spieler aus deiner Heimat. Zu Saisonbeginn standen in der NBA nicht weniger als 17 Spieler aus Kanada in den Kaderlisten. Die Raptors haben einen großen Anteil daran, dass Basketball in Kanada derart wächst. Ihr Erfolg in den vergangenen fünf, sechs Jahren war ein Katalysator dieser Entwicklung. Unsere Spieler waren schon immer so gut. Bloß bekommt unser Land jetzt erst die Aufmerksamkeit, die es verdient, wenn es um Basketball geht. Spieler werden jetzt etwas häufiger entdeckt, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Fotos: Marc Bauer/www.dielichtbuilder.de

Die Klubs und die Scouts schauen einfach genauer auf kanadischen Basketball? Exakt. Der Respekt für Kanada ist deutlich größer geworden. Entsprechend reizvoll ist es, für die Nationalmannschaft aufzulaufen. Auf deinem Profilbild bei WhatsApp trägst du das Trikot mit dem Ahornblatt und dem „Canada“-Schriftzug. Ja. Ich habe einige Spiele für Team Canada gemacht, letztes und vorletztes Jahr. Dieses Jahr habe ich mich aufgrund der Pandemie dagegen entschieden, dorthin zu fahren. Aber es ist etwas, worauf ich stolz bin. Das Land zu vertreten und mit so vielen großartigen Spielern zu spielen. Wir haben eine gute Chance,

bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Ob ich dann nochmal eine Chance bekomme, weiß ich nicht. Vergangenen Sommer hieß es, dass ich zumindest in einem etwaigen Trainingscamp Teil der Vorbereitung sein dürfte. Ich hoffe, dass ich die Gelegenheit bekomme und es dann auch ins Team schaffe. Aber egal, was ich tun soll: Solange es der Mannschaft hilft, werde ich Team Canada unterstützen. Wer ist der beste Kanadier aller Zeiten? Für mich definitiv Steve Nash. Alle kanadischen Spieler schauen zu ihm auf, weil er auf dem allerhöchsten Level gewonnen hat. Er war ein All Star. Wie sehr interessiert dich die NBA? Ich bin ein großer Fan der Toronto Raptors. Ich komme aus Toronto und bin seit meiner Kindheit Raptors-Fan. Von ihnen versuche ich so viele Spiele wie möglich zu sehen. Hast du Vorbilder in der NBA? Ja. Mein wohl größtes Vorbild ist Tony Parker, obwohl er nicht mehr in der NBA spielt. Mein aktueller Lieblingsspieler ist Damian Lillard. Aber auch Stephen Curry und LeBron mag ich. Außerdem Kyle Lowry, weil er eben der Point Guard der Raptors ist. Apropos: Bist du ein Fan von Drake? (lacht) Ich bin ein großer Fan! Ich mag seine Musik sehr. Und er hat die Raptors auf der ganzen Welt bekannt gemacht. Das gefällt mir noch mehr. Er ist definitiv ein guter Botschafter für Basketball.

Du hast bereits Erfahrungen mit der National Basketball Association gemacht, in der Summer League 2018 bist du für die Milwaukee Bucks aufgelaufen. Wer war der beste Spieler, der dir dort über den Weg gelaufen ist? Ich habe mit Christian Wood zusammengespielt. Er ist jetzt bei den Houston Rockets, und wir standen auch in der G-League zwischenzeitlich im selben Team. Zu dem Zeitpunkt war er bereits sehr dominant. Wenn du siehst, was er jetzt in Houston leistet, weißt du, wie gut er wirklich ist. Wie vertreibst du dir die Zeit in Deutschland, wenn du nicht gerade Basketball spielst oder konsumierst? Ich schaue viel Fernsehen, nehme mir aber auch die Zeit, um leckere Gerichte zu kochen. Das ist wahrscheinlich mein liebster Zeitvertreib. Insbesondere an freien Tagen, wenn ich mich da voll drauf konzentrieren kann. Kochen ist die Nummer eins auf meiner Liste. Ansonsten die kleinen Dinge: entspannen, Musik hören, mit meiner Familie zu Hause in Kontakt bleiben. Was ist dein bestes Gericht? (lacht) Wahrscheinlich Lachs, mariniert mit Zitrone und Olivenöl. Dazu Reis und Gemüse. Also nichts allzu Verrücktes. Magst du deutsches Essen? (lacht) Ich denke, die Deutschen wollen lieber nicht, dass ich diese Frage beantworte … (lacht laut) redaktion@fivemag.de

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BBL J a n

Jan Niklas Wimberg

N i k l a s

W i m b e r g

Endlich angekommen Jan Niklas Wimberg wurde lange als großes Talent gehandelt, doch seine Entwicklung stagnierte zwischenzeitlich. In Chemnitz ist der Flügelspieler zum echten BBL-Profi gereift. Text: Torben Rosenbohm

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Die richtigen Lehren

Die Realität aber lautet: Wimberg hat den Sprung in den A-Kader von Bundestrainer Henrik Rödl geschafft, ist Leistungsträger beim BBL-Aufsteiger aus Chemnitz – und Corona dominiert auch im Frühjahr 2021 unbarmherzig die Szenerie. Der 25-Jährige, dem zwischendrin mal eine NBA-Karriere und mal ein Versauern in der Zweitklassigkeit prognostiziert wurde, ist endlich angekommen. Das hat auch mit

Übergroße Erwartungen

In Oldenburg, wo Ralph Held als Nachwuchskoordinator aktiv war, musste Wimberg viele Erwartungen schultern. Zu viele möglicherweise. Die eigenen, die der Mitspieler, der Trainer, der Eltern, der Fans. Als Kind der Stadt steht ein talentierter Basketballer stets im Mittelpunkt des Interesses, schließlich eint alle Beteiligten allerorten der Traum, einen aus dem eigenen Nachwuchs zum Profi reifen zu lassen. Das ist auch in „Pauldingburg“ nicht anders, dieser kleinen Großstadt, in der die Bundesliga-Basketballer die populärsten Sportler der Stadt sind, die 2009 sogar mal

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Fotos: NINERS Chemnitz

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s sind verrückte Zeiten im Winter 2021, auch für Jan Niklas Wimberg. Kaum ist er von seinen Einsätzen für die deutsche Nationalmannschaft zurückgekehrt, müssen er und seine Teamkollegen von den Chemnitz 99ers in Quarantäne. Ein Akteur ist positiv getestet worden, das Gesundheitsamt verordnet der Mannschaft eine Zwangspause. Das sogar schon zum zweiten Mal, Stillstand mitten im Spielbetrieb. Was ist an alledem eigentlich am verrücktesten, wenn man die Zeit mal ein wenig zurückdreht und die Gegenwart aus der Vergangenheit heraus betrachtet? Dass Wimberg für Deutschland aufläuft? Dass er in zentraler Rolle in der Bundesliga spielt? Dass dort keine Zuschauer dabei sind und ein Virus die Schlagzeilen bestimmt? Vor einigen Jahren jedenfalls wäre das alles wohl in unterschiedlicher Ausprägung ins Reich des Märchenhaften verwiesen worden.

Lehren aus der Vergangenheit zu tun – und den wichtigen Schlüssen, die er daraus für sich persönlich gezogen hat. „Ich habe mein Tun immer ehrlich reflektiert“, sagt Wimberg. Das gelte auch und gerade für seine Zeit in Oldenburg, als Spielzeit und Entwicklung nicht mehr mit großen Schritten vorankamen. „Die Rahmenbedingungen waren eigentlich perfekt“, erinnert er sich an die Situation in seiner Geburtsstadt. Doch der Raum für noch mehr Entfaltungsmöglichkeiten für Youngsters wie ihn erwies sich als begrenzt, erfolgsorientiert sei die Ausrichtung gewesen. Ein Faktor, den Wimberg explizit niemandem zum Vorwurf macht. „Klar hatte ich gehofft, mehr Chancen zu bekommen. Aber … da bin ich ehrlich … ich hätte selbst noch mehr dafür machen, noch aggressiver, noch motivierter auftreten müssen.“ Dass er überhaupt bis zu diesem Punkt gekommen ist, liegt auch am guten Blick anderer. Wimberg war in einer Basketball-AG entdeckt worden, danach ging alles schnell. Er schloss sich dem Oldenburger Turnerbund an, wurde intensiv gefördert, machte in der Jugend Basketball Bundesliga ebenso von sich reden wie in der Nachwuchs Basketball Bundesliga. 2014 gewann er die Meisterschaft in der ProB, 2015 sollte dieser Coup sogar ein zweites Mal gelingen. Bestens in Erinnerung hat bis heute Ralph Held diese Entwicklung, der damals nicht nur Co-Trainer der Bundesliga-Basketballer in Oldenburg, sondern auch Lehrer am Gymnasium Eversten war, wo Wimberg zur Schule ging. Der ehemalige Sportdirektor des Deutschen Basketball Bundes beobachtet Wimbergs Entwicklung bis heute mit großem Interesse: „Es freut mich zu sehen, dass er angekommen zu sein scheint. Er bekommt viel Spielzeit und wird langsam zu dem, der er vom Potenzial her werden kann.“ Den Höhepunkt der Entwicklung sieht auch Held noch nicht erreicht: „Er ist noch nicht am Ende. Dass er jetzt auf diesem Level spielt, hat natürlich Gründe. Jan Niklas hat ein überragendes Spielverständnis, er ist ein sehr flexibler Akteur.“ Entscheidend sei natürlich die Spielzeit, die er bekommt. „Nur so kann man sich entwickeln“, betont Held.


BBL

Jan Niklas Wimberg

„ALS NIKLAS VOR ANDERTHALB JAHREN NACH CHEMNITZ KAM, WAR ER OFFEN FÜR NEUES UND HAT UNSEREM PLAN VERTRAUT, IHN ZU EINER ART POINT FORWARD ZU ENTWICKELN.“ RODRIGO PASTORE

Fotos: NINERS Chemnitz

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„“

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deutscher Meister wurden und praktisch ununterbrochen in den Playoffs auflaufen. Der Sprung in den festen Kader der EWE Baskets aber, so muss das Urteil im Rückblick lauten, gelang ihm letztlich nicht. Am Ende der Saison 2014/15, in deren Verlauf Mladen Drijencic das Ruder an der Seitenlinie von Sebastian Machowski übernahm, konnte er auf fünf Einsätze zurückschauen, kaum mehr als vier Minuten stand er dabei im Schnitt auf dem Parkett. 2015/16 waren es immerhin 21 Spiele, doch viel mehr als fünf Minuten pro Partie kamen nicht zusammen. 2016/17 schließlich waren es erneut 21 Partien, etwas mehr als sechs Minuten wurden ihm durchschnittlich zugestanden. Konnte das auf Dauer genug sein für einen, der zum Jordan Brand Classic eingeladen wurde? Der MVP in der NBBL war? Dem ein Talent nachgesagt wurde, das in manchen Aussagen bis zum Himmel zu reichen schien? Intensiv im Blick hat Wimbergs Entwicklung natürlich auch Mladen Drijencic. Er coachte Wimberg zunächst in der ProB, dann in der BBL. „Als ich Jan Niklas kennenlernte, war er körperlich ein Spargel“, erinnert er sich schmunzelnd. Stück für Stück galt es, Wimbergs Körper zu entwickeln. „Das Talent für die Ballbehandlung, das Talent für das Spiel an sich – das war alles da, von Beginn an! Aber es ist schwer, gegen die Natur anzuarbeiten.“

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Inzwischen sei Wimberg auch in diesem Bereich auf dem notwendigen Niveau: „Er hat jetzt das physische Level erreicht, um in der BBL bestehen zu können, und die mentale sowie athletische Anpassung geschafft.“ Und eben das erkläre den aktuellen Leistungsstand, den Drijencic mit Freude zur Kenntnis nimmt. In einem sind sich Wimberg und sein damaliger Trainer einig: die Entscheidung, aus Oldenburg fortzuziehen, sei die richtige gewesen.

Zwei Abstiege

Diese Entscheidung fiel 2017. Die Zeit für einen Perspektivwechsel war nach drei Jahren im erweiterten BasketsKader gekommen. „Vor der abgelaufenen Saison war es mein Ziel, mich in der BBL zu etablieren und wichtige Minuten zu spielen. Dies hat leider nicht geklappt, und manchmal muss man sich verändern, um am Ziel anzukommen“, sagte Wimberg damals, als er seiner Heimatstadt den Rücken kehrte. Er ließ all die Erwartungen, die ihn hier auf Schritt und Tritt verfolgten, hinter sich und wechselte zu den Oettinger Rockets nach Gotha. Die waren gerade in die Bundesliga aufgestiegen und verpflichteten Wimberg als jungen deutschen Spieler mit Perspektive. Persönlich konnte er am Ende der Saison durchaus zufrieden sein, denn in nun 16 Minuten pro Partie kam in 26 Begegnungen das in seine Vita, was am Ende die härteste

Währung ist: Spielzeit. Das ganze Bild aber war getrübt – den Abstieg konnte auch er nicht verhindern. 2018/19 kehrte Wimberg in den Nordwesten der Republik zurück, schloss sich den Eisbären Bremerhaven an. Bei den Nordseestädtern erhielt er wieder eine wichtige Rolle, durfte in 31 Spielen rund 18 Minuten pro Partie mitwirken, das Spielzeitkonto wuchs – doch er stieg am Ende wieder ab. Erneut blieb es zudem bei einem einjährigen Engagement, denn im Sommer 2019 zog es ihn wieder in den Osten, nach Chemnitz. Mal hier, mal dort, nie irgendwo für länger? Es kam anders, denn genau dieser vermeintliche Schritt zurück erwies sich wohl als Grundstein für den Durchbruch Wimbergs.

Leistungsträger

„Als Niklas vor anderthalb Jahren nach Chemnitz kam, war er offen für Neues und hat unserem Plan vertraut, ihn zu einer Art Point Forward zu entwickeln“, erklärt 99ers-Trainer Rodrigo Pastore. „Er hat


großartige Spielmacherqualitäten, und wir sehen den Ball gern in seinen Händen. Nicht zuletzt deshalb, weil Niklas seine Vielseitigkeit in der laufenden BBL-Saison schon mehrfach unter Beweis gestellt hat und auf verschiedenen Positionen sehr effektiv für uns war.“ Mit den Chemnitzern spielte Wimberg 2019/20 eine starke Saison in der ProA, half in durchschnittlich 21 Minuten und mit über zehn Punkten pro Zweitligaspiel entscheidend dabei mit, den Klub in Richtung Bundesliga zu bringen. Da Corona die Saison durcheinanderwirbelte, blieb den Chemnitzern das Zittern in den Playoffs erspart, der Aufstieg durfte schließlich nach kurzer Hängepartie endlich

da – auch dank eines jungen Spielers, der seinen Weg gegangen und nun offenbar angekommen ist. Es sind nicht nur die Punkte und Rebounds, die er sammelt, es ist auch sein ganzes Auftreten, das mit dem aus Oldenburger Zeiten kaum mehr vergleichbar ist. „Ich bekomme hier viel Vertrauen und fühle mich sehr wohl“,

Im ersten Bundesliga-Jahr treten die Schützlinge von Trainer Rodrigo Pastore Spiel für Spiel besser auf, beanspruchen einen festen Platz in der Eliteliga. Auch Corona kann das Team nicht ausbremsen, im Februar gelingt sogar ein Sieg gegen den FC Bayern. Und Wimberg? Ist auch sein nicht immer geradliniger Weg „unfinished“? Und wo führt er möglicherweise noch hin?

deutet er selbst einen Schlüssel für die positive Entwicklung an. Und für das Selbstvertrauen: Sieht er die Lücke zum Korb, schnappt er sich den Ball und stopft ihn durch die Reuse. Er trifft von außen, kämpft und rackert und ist nach zwei Dritteln der Saison der Chemnitzer mit der durchschnittlich meisten Spielzeit. Dazu kommen geblockte Würfe, Leidenschaft, der Blick für den Mitspieler. Sprich: das komplette Paket. Das hat ihm inzwischen folgerichtig auch Einsätze im A-Kader beschert. Bundestrainer Henrik Rödl betont: „Jan Niklas ist bei uns schon lange im Fokus, er hat ja auch im Nachwuchsbereich alle Nationalteams durchlaufen, zuletzt die A2 und jetzt die A-Nationalmannschaft. Er ist ein guter Junge und hat sehr viel Talent.“ Rödl sieht den Wechsel nach Chemnitz als Schlüsselfaktor für Wimbergs Entwicklung: „In Chemnitz zeigt er zum ersten Mal und jetzt auch schon seit längerer Zeit konstant, was er draufhat. Er hat sich zu einem sehr soliden, vielseitigen Spieler mit viel Spielzeit entwickelt. Ich glaube, dass er noch weitere Schritte machen kann. Wie weit das dann führen wird, wird man sehen.“

„Jeder Spieler hat seine Träume und seine Ziele“, gibt er zu, fügt aber gleich an: „Ich mache mir darüber aber eigentlich keine Gedanken. Wann immer ich mich mit der Zukunft beschäftigen werde … es wird schon das Richtige dabei herauskommen.“ Seine volle Konzentration gelte ohnehin der laufenden Saison, die er mit seinem Team zu einem guten Ende – das Minimalziel ist der Klassenerhalt – bringen möchte. Der Grundstein dafür war Mitte März auf jeden Fall gelegt. Auch Trainer Pastore traut Wimberg noch mehr zu: „Er ist geradezu ein Basketball-Student, der enorm viel Zeit damit verbringt, Videos von anderen Teams und Spielern anzuschauen, von denen er etwas lernen kann. Natürlich gibt es noch Bestandteile seines Spiels, die er verbessern kann, unter anderem den Abschluss nach Kontakt. Aber angesichts der Fortschritte, die Niklas in den letzten anderthalb Jahren bei uns gemacht hat, bin ich überzeugt, dass er auch in Zukunft noch besser wird. Seine Kombination aus Talent und Arbeitseinsatz kann ihn in seiner Karriere wirklich sehr weit bringen.“ Und die verrückten Zeiten? Die dürfen dann gerne ein bisschen normaler werden, schließlich macht das Fortschreiben einer positiven Entwicklung vor Zuschauern auf den Rängen noch eine ganze Menge mehr Spaß. „Die Fans fehlen“, sagt auch Wimberg. „Sie machen einen Riesenunterschied und können einen in schwierigen Situationen tragen.“ Für den Rest ist man als Spieler selbst verantwortlich. Das hat Jan Niklas Wimberg ganz offensichtlich verstanden. redaktion@fivemag.de

Blick nach vorne gefeiert werden. Klar war auch: Der Klub hielt bei seiner Kaderplanung an ihm fest, eine entsprechende Option hatten sich die 99ers schon im Sommer 2019 gesichert. Wimberg zahlt das Vertrauen zurück – und wie. Im März 2021 stehen die 99ers für einen Liga-Neuling glänzend

„Unfinished Business“ prangt auf den Trikots der Chemnitzer. So heißt ein Dokumentarfilm, der im Anschluss an die Aufstiegssaison entstanden ist. Damit ist gewiss aber auch gemeint, dass noch lange nicht Schluss ist mit der Entwicklung des Profibasketballs in der Kulturhauptstadt Europas 2025.

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in-dre-ssant

Foulschinderei

In-Dré-ssant Das ist kein Basketball!

Die NBA hat ein Problem. Glücklicherweise kann sie es selbst schnell lösen … wenn sie es denn will. Text: André Voigt 94


G

olden State zu Gast bei den Mavericks. Ein ganz normales NBA-Spiel Anfang Februar 2021. Keine Zuschauer, dafür Luka Doncic und Steph Curry. ESPN überträgt in den USA landesweit mit Mike Breen, Mark Jackson und Jeff Van Gundy. Get your popcorn ready! Dallas startet mit 10:2. Rebound Doncic. Er treibt den Ball nach vorn. Andrew Wiggins nimmt ihn in der eigenen Hälfte auf. Der Slowene täuscht den Drive an, sein Verteidiger weicht bis zur Freiwurflinie zurück. Doncic stoppt, nimmt einen Schritt hinter die Dreierlinie, geht zum Wurf … oh, doch nicht. Wiggins fällt auf die Täuschung rein, springt nach oben und etwas nach vorn. Der Warrior realisiert, dass er Opfer einer Fake geworden ist. Noch in der Luft zieht er die Arme herunter, landet gute 20 Zentimeter vor „Luka Magic“. Und der? Springt nach vorn in den gerade landenden Wiggins hinein. Pfiff. Drei Freiwürfe. Ende März. Die Lakers empfangen zur europäischen Prime Time die Atlanta Hawks. LeBron James, Trae Young, Dennis Schröder … 30,4 Sekunden vor Schluss bekommt „DS17“ einen Pass von Markieff Morris in der linken Ecke hinter der Dreierlinie. Er täuscht den Wurf an. Sieht Atlantas John Collins rechts an sich vorbeifliegen. Dann springt er nach rechts in den Big Man der Hawks. Pfiff. Drei Freiwürfe. Zwei Szenen, ein Problem. Eines, das in jeder Partie der Association, ja wahrscheinlich im Weltbasketball meist achselzuckend hingenommen wird – von Spielern, Coaches, Fans, Schiedsrichtern und Funktionären. Warum? Und viel wichtiger: wie lange noch?

Fotos: Ronald Cortes/Michael Owens/Getty Images

Nicht clever … Offensivfoul!

Die oben beschriebenen Aktionen haben nichts mit Cleverness zu tun. Sie sind entweder gar kein Foul oder ein Offensivfoul, werden aber genau andersherum geahndet. Warum? Der Hintergrund ist auf den ersten Blick verständlich: Warum sollte ein Angreifer einem Verteidiger ausweichen, wenn der klar außer Kontrolle gerät und einen Kontakt mit ihm auslöst? Richtig: Das sollte er nicht. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn ein Spieler an der Dreierlinie den Wurf nur antäuscht und dann zum Schuss hochgeht, wenn er den Verteidiger in sich hineinrauschen sieht. Schlechte Defense gehört natürlich bestraft. Mit Freiwürfen oder noch besser einem And-One. Warum also werden Szenen als Defensivfoul geahndet, in denen der Angreifer offensichtlich den Kontakt initiiert? Schwer zu bewerten sind diese

Situationen nicht. Sie passieren in der Regel an der Dreierlinie, wo die Sicht selten versperrt ist. Auch zeitlich ist es recht eindeutig: Fake, Sprung des Verteidigers, dann die Bewegung des Angreifers in seinen Mann hinein. Alles, was ein Referee jetzt noch bewerten muss, ist, wer für den Kontakt verantwortlich ist. Und das ist … EINFACH. Es dürfte in den allermeisten Fällen noch nicht mal eine verlangsamte Wiederholung oder einen längeren Plausch am Anschreibetischmonitor brauchen, um das zu entscheiden. Gibt es auch Grenzfälle? Natürlich, die gibt es immer. Aber um diese 50/50-Entscheidungen geht es nicht. Basketball ist voll davon. Es geht um die Szenen, die einen kopfschüttelnd auf den Bildschirm starren lassen. Es geht um die offensichtliche Respektlosigkeit gegenüber den Regeln, die aus solchen Aktionen spricht, und die Gleichgültigkeit, mit der die Referees diese hinnehmen.

Adam Silver, bitte übernehmen!

Trotzdem ist es nicht Aufgabe der Frauen und Männer in Grau, dieses Übel im Alleingang zu beheben. Steve Kerr hat

recht, wenn er sagt: „Ich mache den Refs keinen Vorwurf, dass sie diese Fouls pfeifen. Ich mache der Liga einen Vorwurf, dass sie den Spielern diese Pfiffe schenkt. Unsere Jungs bekommen sie auch. Wenn du anderthalb Meter nach vorne springst, denke ich nicht, dass du ein Foul verdient hast.“ Genau mit diesen Worten kommentierte er die eingangs beschriebene Szene von Luka Doncic und Andrew Wiggins. Jeff Van Gundy sagte bei ESPN darüber: „Ich mag diesen Pfiff einfach nicht. Es ist schlechte Defense von Wiggins, aber Doncic taucht einfach in ihn hinein. Warum ist es okay, dass er nach vorne geht … und beim Verteidiger ist es das nicht?“ Die NBA muss den Referees den klaren Auftrag geben, die Regeln so zu interpretieren, dass ein vom zuvor stillstehenden Werfer initiierter Kontakt mit einem Verteidiger entweder gar nicht oder als Offensivfoul zu ahnden ist. Die Statuten müssen dafür noch nicht mal geändert werden. Wenn die Schiedsrichter in der NBA morgen damit beginnen würden, so zu pfeifen … das Problem wäre innerhalb weniger Wochen keines mehr. Die Hoffnung stirbt zuletzt. dre@fivemag.de

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ivan beslic Grand mama

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reunde, wann habt ihr das letzte Mal einer Oma beim Stopfen zugeschaut? Und ich rede hier nicht von Sonntagsbraten oder Socken, sondern Slam Dunks! Macht’s euch gemütlich, heute erzähle ich euch die Geschichte von Larry Johnson aka der Mama von „Uncle Drew“. Larry wurde 1969 in Texas geboren und galt schon vor der NBA als Legende. Der McDonald’s Highschool All American wurde am Odessa Junior College als einziger Spieler überhaupt zweimal in Folge zum Spieler des Jahres gewählt, woraufhin sich die UNLV sein Talent sicherte. Zum Dank führte er die „Runnin’ Rebels“ direkt im ersten Jahr zur NCAAMeisterschaft und heimste sich nebenbei eine „National Player of the Year“-Auszeichnung ein. Der Dude dominierte nach Belieben und wurde heißer gehandelt als Pokemon-Glitzerkarten auf dem Schulhof. #1Edition Die Charlotte Hornets zogen 1991 das Gewinnerlos in der Lottery und wählten Johnson mit ihrem ersten Pick. Neben der neuen Hornets-Cap boten sie dem Frischling dazu noch einen 20-Millionen-Dollar-Deal für sechs Jahre. #gekauftWiegesehen Richtige Entscheidung! Mit 19,2 Punkten und 11,0 Rebounds pro Spiel legte er stabile Zahlen auf. Er war zwar nur 1,98 Meter groß, aber breiter gebaut als das große Billy-Bücherregal von Ikea, und seine toughe Spielweise war kein Pappenstiel für Defender. Besonders seine kranke Athletik und explosive Sprungkraft sorgten regelmäßig für Augenreiben in den Top Ten. Jetzt fehlte dem „Rookie des Jahres“ noch der Teamerfolg. Dank der schlechten Bilanz des Vorjahres konnte Charlotte wieder hoch draften, und so kam mit Alonzo Mourning als zweiter Pick noch eine weitere Kante ins Hornissennest. #Gameready Zusammen mit ihrem Sidekick Muggsy Bogues und Shooter Dell Curry (Stephs Vater) brachten Larry und „Zo“ das Team auf die Erfolgsspur. Es ging erstmalig in die Playoffs,

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wo erst in der zweiten Runde gegen Pat Ewings New York Knicks Ende war. Der sympathische Power Forward mit einrasiertem Mittelscheitel und Goldzahn wurde ins All-NBA Team gewählt. Die Hoffnung war groß für einen Signature-Sneakerdeal mit Nike. Aber die wollten ihn nicht, da sie „LJ2“ wegen seiner relativ geringen Größe auf Dauer nicht für NBA-tauglich hielten. #Stupid Pech gehabt! Converse grätschte rein und schnappte sich den Superstar. Was folgte, waren die vielleicht coolsten Basketball-Commercials ever. Mithilfe eines Blümchenkleids und einer grauen Perücke wurde aus dem NBA-Profi „Grandmama Johnson“. Eine rüstige Rentnerin mit losem Mundwerk und Hangtime, die trotz Lesebrille genau wusste, wo der Korb hängt. Larrys „Cons React Sneaker“ sahen fresh aus und waren bei den Ballern eine Zeit lang die beliebtesten nach den Air Jordans. Finanziell lief es auch dufte! Charlotte plante langfristig und bot der fliegenden Oma 1993 eine zwölf Jahre laufende Vertragsverlängerung für 84 Millionen Dollar an, so geht Altersvorsorge! Larry war damals sogar so angesagt, dass die „SLAM“ ihn 1994 auf das Cover der ersten Ausgabe des Magazins druckte. Money, Werbedeals und Fame. Läuft … also außer sportlich. Denn: Johnson hatte Rücken, und da Alonzo zudem auch länger verletzt war, gab es keine Playoffs. Apropos Mourning: Zwischen den beiden zogen dunkle Wolken auf. Beide zeigten starke Leistungen, aber es war klar Larrys Team, was oft zu Streitereien führte. Dazu kritisierte „Zo“ öffentlich Johnsons hoch dotierten Vertrag und verlangte auch eine angemessene Lohnerhöhung. Aufgrund der angespannten Stimmung und mangels einer finanziellen Einigung wurde der Unruhestifter letztendlich nach Miami geschickt. Trotz besserem Arbeitsklima machte LJs Rücken immer öfter Probleme. Da Johnson nicht nur über die Athletik kam, sondern auch

über einen respektablen Jumpshot verfügte, stimmten zwar die Stats, doch die Explosivität war weg. Und so entschied sich Charlotte für einen Umbruch und fädelte 1996 einen Trade ein, der Johnson für Anthony Mason zu den New York Knicks schickte. #MasonRIP Mit Spielern wie Patrick Ewing, Allan Houston oder John Starks galten die Knicks seit Jahren als Titelaspirant, und aufgrund des starken Kaders wurde der Star zum Rollenspieler degradiert. Eine neue Situation, die er ohne zu mucken akzeptierte – und in fünf Knicks-Jahren steuerte er immerhin 12,3 Punkte im Schnitt bei. #Ehrenmann Die Jahre zogen ins Land, bis Johnson bei dem Wiedersehen mit einem alten Freund 1998 wieder für Schlagzeilen sorgen sollte. Die Knicks und die Miami Heat trafen in den 90er Jahren in vier Playoffs am Stück aufeinander, was zu einer der hitzigsten Rivalitäten der NBA-Geschichte führte. Die Serie 1998 war von harten Fouls geprägt und bot Wrestling vom Feinsten. In Spiel vier kam es dann zu einer deftigen Hauerei zwischen den alten Homies, bei der alle anderen freudig mitmischten. Dabei kam Knicks-Coach Jeff Van Gundy wortwörtlich unter die Räder, als er sich im Eifer des Gefechts an Mournings linkem Bein festhielt. #Wadenbeisser Ein Jahr später ließ Johnson dann anstelle von Fäusten wieder den Ball sprechen. In Spiel drei der Conference-Finals gegen die Pacers lag NYC bei verbleibenden 5,7 Sekunden mit drei Punkten zurück, als „Grandma“ nach einer Pumpfake einen Dreier reinlötete und dabei noch ein Foul zog. #forTheWin Sein legendäres Four-Point-Play hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die Knicks unerwartet bis in die Finals durchmarschierten. Doch mit einem verletzten Patrick Ewing auf der Bank war gegen die „Twin Towers“ aus San Antonio leider kein Kraut gewachsen. 2001 beendete der zweimalige All Star seine NBA-Karriere aufgrund chronischer Rückenprobleme. In zehn Jahren legte er im Schnitt 16,2 Punkte und 7,5 Rebounds auf. Ich hab „Grandma Johnson“ immer wegen seinem Game und Style gefeiert. Die lilablauen Hornets-Jerseys, seine Rolle bei „Space Jam“ oder sein Signature-„L“, das er nach Körben mit Faust und Ellbogen formte … that’s why I love this Game! Freunde, hebt nicht zu schwer, sonst kriegt ihr noch Rückenschmerzen. Und Streit ist doof, vertragt euch! Peace, Ivan


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