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Face to Face

Zwei Menschen, zwei Sichtweisen: Dr. Dietmar Bartsch (65), Bundestagsabgeordneter der LINKEN aus Rostock und für acht Jahre Vorsitzender der Bundestagsfraktion seiner Partei, sowie Philipp Amthor (31), Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern im Deutschen Bundestag, diskutierten auf Einladung von NORDMETALL über Industriepolitik in Deutschland, dem Nordosten und die Herausforderungen der EU-Dual-Use-Verordnung für deutsche Unternehmen.

Standpunkte: Der Bundeswirtschaftsminister hat Ende Oktober seine Eckpunkte einer Industriestrategie vorgestellt. Jetzt ist mit dem Strompreispaket für produzierendes Gewerbe nachgelegt worden. Ist das aus Ihrer Sicht konsequente Industriepolitik?

Philipp Amthor: Nein, von konsequenter Politik kann bei dieser Ampel keine Rede sein. Im Gegenteil: Nachdem Habeck seinen „Brückenstrompreis“ nicht durchsetzen konnte, gibt es für die energieintensive Industrie jenseits der allgemeinen Stromsteuersenkung – eine von der Union übernommene Forderung – keine echten Entlastungen. Völlig unerklärlich ist zudem, warum die Ampel immer nur über Subventionen diskutiert, statt – im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft – die Angebotsseite zu stärken, indem beispielsweise die Fehlentscheidung des Ausstiegs aus der Kernenergie korrigiert wird. Und im Übrigen bleibt das Grundübel, dass die Unternehmen in Deutschland viel zu hohe Steuern und Abgaben zahlen, weshalb wir eine für Personen- und Kapitalgesellschaften einheitliche Unternehmenssteuer in Höhe von maximal 25 Prozent fordern.

Dr. Dietmar Bartsch: Zunächst ist es vernünftig, dass überhaupt wieder über Industriepolitik diskutiert wird. Fakt ist doch, dass insbesondere das produzierende Gewerbe unter den hohen Energiekosten ächzt. Die sind ein echter Standortnachteil. Deswegen bin ich mit dem Vorgehen der Bundesregierung zutiefst unzufrieden. Robert Habeck hat eine Analyse vorgelegt, aber die Regierung erhöht gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf Gas, für die Gastronomie und im Januar die CO2-Steuer. Es ist richtig, dass jetzt zumindest die Stromsteuer für energieintensive Unternehmen auf das EU-Mindestmaß abgesenkt wird. Ich fordere dies seit Monaten. Die Ampel darf hier aber nicht stehen bleiben. Die Energiepreise sind für alle Verbraucher im Land zu hoch, sie müssen konsequent runter.

Dr. Dietmar Bartsch (Foto: Deutscher Bundestag/Inga Haar)
… wurde 1958 in Stralsund geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst und machte eine Aspirantur an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Moskau, wo er 1990 zum Dr. oec. promovierte. Ab 1991 war er Bundesschatzmeister und später viele Jahre lang Bundesgeschäftsführer der PDS bzw. der LINKEN. Von 1998 bis 2002 und erneut seit 2005 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und war seit 2015 einer der Vorsitzenden der Linksfraktion.

Standpunkte: Teilen Sie den Ansatz Habecks, die Schuldenbremse zu lockern, um den Industriestrompreis oder gar eine Steuerreform zu finanzieren?

Bartsch: Diese Debatte ist Unfug. In besonderen wirtschaftlichen Situationen kann die Regierung davon jederzeit abweichen, wie in den zwei Corona-Jahren ja geschehen. Und längst wird die Schuldenbremse zum Teil am Parlament vorbei mit sogenannten Sondervermögen ausgehebelt.

Amthor: Die Ampel ist in der Tat eine haushaltspolitische Trickser-Koalition. Dagegen hat meine Unionsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Aber auch politisch muss doch jedem klar sein, dass sich die Probleme unserer Volkswirtschaft nicht durch zusätzliche Schulden auflösen lassen. Mehr Staatsschulden wären nämlich auch ein Treiber für mehr Inflation. Statt immer mehr Schulden auf Kosten künftiger Generationen aufzunehmen, müssen wir bei den Ausgaben ansetzen. Im Moment erhalten allein arbeitsfähige Ausländer jeden Monat mehr als 400 Millionen Euro an Bürgergeld. Das muss aufhören.

Bartsch: Da haben wir noch ganz andere Probleme, denken Sie an die aus dem Ruder laufenden Rüstungsprojekte – Stichworte ungeeignete Funkgeräte, die für 1,3 Milliarden Euro einfach bestellt worden sind. Und wir müssen auch über mehr Einnahmen bei den Vermögenden reden.

Standpunkte: Habeck hat überaschenderweise auch ins Spiel gebracht, dass die Deutschen länger freiwillig arbeiten können sollten. Was halten Sie davon?

Amthor: Wenn Menschen freiwillig länger arbeiten wollen, sollte der Staat sie nicht daran hindern. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat deshalb den klugen Vorschlag der Aktiv-Rente auf den Weg gebracht, die es ermöglichen soll, ab einem bestimmten Alter steuerfrei hinzuzuverdienen. Leistung muss sich mehr lohnen – auch im Alter.

Philipp Amthor (Foto: Foto: Jens Oellermann)
… wurde 1992 in Mecklenburg-Vorpommern geboren und studierte Rechtswissenschaften an der Universität Greifswald . Er ist Jurist und seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist er Vorsitzender der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern, Fachsprecher für Staatsorganisation und Staatsmodernisierung sowie Mitglied des Fraktionsvorstands. Innerhalb der CDU Deutschlands ist er unter anderem Mitglied der Grundsatzprogrammkommission.

Bartsch: Die LINKE war und ist gegen ein höheres generelles Renteneintrittsalter, auch das mit 67. Aber auf Freiwilligenbasis kann es natürlich vermehrt Einkommensanreize für Ältere geben, da hat ja auch die Regierung Merkel schon einiges erleichtert.

Standpunkte: Lassen Sie uns mal auf Mecklenburg-Vorpommern schauen. Die seit Langem angekündigte Industriestrategie des Landes liegt immer noch nicht vor. Beim wesentlichen Industriekomplex, der Werftindustrie, versuchen nun tkMS und Lürssen die Küstenstandorte zu entwickeln. Und in Wettbewerben um relevante neue Industrieansiedlungen hat Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren kaum Erfolg – bewegt sich in Sachen Industriepolitik zu wenig im Nordosten?

Bartsch: Da stimme ich Ihnen nicht zu. Schon unter Ministerpräsident Ringstorff haben wir viel Geld und Zeit investiert, um Autobauer ins Land zu bekommen. Dass das damals und auch bei späteren Projekten nicht gelungen ist, liegt am extrem harten Wettbewerb in diesen komplexen Prozessen. In Sachen Werftenrettung haben einflussreiche Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern viel Gutes bewirkt. Nichtsdestotrotz muss klar sein: Wir brauchen eine solide Industriepolitik. Die Landesregierung ist hier in einer Bringschuld. Mecklenburg-Vorpommern wird nie ein Industrieland wie NRW oder Sachsen werden, aber das Beispiel Bayern zeigt, dass man es auch mit kluger Landespolitik in wenigen Jahrzehnten vom Agrarstaat zum Industrieland bringen kann.

Standpunkte: Von der CSU lernen, heißt siegen lernen, sagt der Linke Bartsch?

Bartsch: Das habe ich so nicht gesagt!

Amthor: Das Lob von Dietmar Bartsch für die Arbeit der CDU-Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern im Deutschen Bundestag in der Werftenproblematik der vergangenen Jahre nehme ich sehr gern an. Was Bayern angeht: Franz Josef Strauß würde sich im Grabe umdrehen, wenn er die Wirtschafts- und Industriepolitik in Mecklenburg-Vorpommern erleben müsste. Rot-Rot ist ein massiver Standortnachteil für das Land. Ein beredtes Beispiel dafür war die unselige Diskussion über die Ansiedlung von Rheinmetall in Mecklenburg-Vorpommern. Die Landesregierung zerstritt sich im Sommer, die LINKE hat blockiert – bei der Neuschaffung von Arbeitsplätzen! Da ist es kein Wunder, dass der Nordosten beim Wirtschaftswachstum das Schlusslicht der ostdeutschen Bundesländer darstellt. Im Jahr 2022 sind die ostdeutschen Bundesländer im Durchschnitt um drei Prozent gewachsen, Mecklenburg-Vorpommern nur um 0,2 Prozent.

Bartsch: Rot-Rot ist selbstverständlich kein Standortnachteil, sondern das Gegenteil. In Thüringen stellen wir seit Jahren den Ministerpräsidenten – und das Land floriert. Und was die Ansiedlung von Rüstungsunternehmen betrifft, sagen wir: Wir wollen weltweite Abrüstung. Wir wollen die Ausgaben für Militär reduzieren. Und wir machen uns das nicht leicht: In Wolgast ist die linke Fraktion im Streit um ihre Haltung zum Bau von Schnellbooten für Saudi-Arabien auf einer Werft in der Stadt zerbrochen. Letztlich kann eine LINKE niemals Rüstungsunternehmen begrüßen.

Standpunkte: Es gibt Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern, wie etwa Airsense in Schwerin, die über äußerst schleppende Ausfuhrgenehmigungen klagen, weil ihre Produkte von deutschen Behörden sehr restriktiv im Sinne der EU-Dual-Use-Verordnung beurteilt werden. Wie kann man dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium und den nachgeordneten Stellen da Beine machen?

Bartsch: Ich finde das inakzeptabel. Ausfuhrgenehmigungen für Geräte, die auch militärisch genutzt werden könnten, müssen gut abgewogen werden und dürfen auch mal verweigert werden, wenn das gewünschte Zielland problematisch ist. Aber dieser Prozess darf nicht Monate oder Jahre dauern.

Amthor: Es gibt leider ein bizarres Missverhältnis zwischen einem oft geringen rüstungspolitischen Risiko und der dem gegenüberstehenden Dichte und Rigorosität der Regulierung. Da braucht es eine bessere Balance. Dual-Use-Güter sind teilweise stark überreguliert. Das führt am Ende dazu, dass bei Rüstungsgütern und im vorgelagerten Dual-Use-Bereich nicht mehr „Made in Germany“, sondern „German Free“ als Qualitätssiegel gilt. Auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage müssen wir das ändern.

Standpunkte: Woran liegt es, dass die gleiche EU-Dual-Use-Verordnung in anderen europäischen Ländern wirtschaftsfreundlich ausgelegt und schnell angewendet wird und bei uns nicht?

Bartsch: Deutschland hat da aus historischer Sicht eine besondere Verantwortung. Aber die darf nicht dazu führen, dass Entscheidungen ewig liegenbleiben.

Amthor: Ich will ehrlich sagen, dass da auch aus unserer Regierungszeit noch Überregulierung vorhanden ist. Wir müssen bei einer Novellierung des Rüstungsexportgesetzes deshalb dafür sorgen, dass die zu Recht beschworene Wiederherstellung der Wehrhaftigkeit Deutschlands auch durch eine stärker geförderte Wehrindustrie erreicht wird.

Standpunkte: Wir danken für das Gespräch!

Aufgezeichnet von Alexander Luckow

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