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Termin beim Chef
Oliver Burkhard von thyssenkrupp Marine Systems (tkMS)
Oliver Burkhard ist das, was man in der angelsächsischen Welt ein „political animal“ nennt: „Die Neu-Kalibrierung des sicherheitspolitischen Narrativs hat mit der ‚Zeitenwende‘ zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Verteidigungsindustrie und Politik geführt“, konstatiert der Spitzenmanager ganz gelassen. Und dann erklärt der CEO von thyssenkrupp Marine Systems, warum das für den Kieler U-Bootbauer und weit darüber hinaus für die gesamte deutsche Verteidigungsindustrie eine mehrfache Chance darstellt: „Wir wollen keine Kriege. Wir stellen Produkte her, mit denen sie verhindert werden sollen. Angesichts der aktuellen Angriffskriege erwächst daraus die Chance, unsere gut 7.500 Arbeitsplätze an der Küste und weltweit mindestens zu halten, die Verselbstständigung der tkMS voranzutreiben sowie an der deutschen und europäischen Konsolidierung des grauen Marineschiffbaus zu arbeiten“.
Was Burkhard im schlichten Werft-Konferenzraum am Kieler Ostufer vor einem Dutzend Modell-U-Booten in aller Ruhe in einem Satz zusammenfasst, beschäftigt Konzernlenker, Admiräle und Verteidigungsminister in Deutschland und Europa seit Jahrzehnten. Und dennoch wirkt es ganz und gar nicht vermessen, wenn der Spitzenmanager so formuliert. Das liegt nicht nur am gedämpften Ton und zurückhaltenden Auftritt Burkhards. Vielmehr ist es seine Vita, die ihm große Glaubwürdigkeit und geerdetes Charisma verleiht.
Die ungewöhnliche Karriere des heute 51-jährigen Frankfurters startete Ende der 1980er-Jahre mit einer Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Danach wirkte Burkhard beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, und studierte nebenbei Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Mainz. 1997 wechselte das SPD-Mitglied in die Frankfurter IG-Metall-Zentrale und avancierte zum Politischen Sekretär des Bundesvorstands – in Zeiten des eher glücklosen Gewerkschaftsvorsitzenden Klaus Zwickel durchaus eine Herausforderung.
Gewerkschaftsgestählt
„Die IG Metall war für mich eine großartige Schule: Man lernt zu kämpfen, auch mit harter Kritik umzugehen und langfristig zu denken“, resümiert Burkhard seine Jahre in der hessischen Metropole, an deren Rand er heute noch mit Frau und Kindern lebt. Anfang der Nullerjahre ging er für zwei Jahre als Tarifsekretär in die IG-Metall-Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, kehrte dann nochmals als Funktionsbereichsleiter Tarifpolitik in die Frankfurter Zentrale zurück, bevor er 2007 zum jüngsten Bezirksleiter aller Zeiten der Gewerkschaft in Düsseldorf aufstieg.
Im Herbst 2012 dann der Paukenschlag: Burkhard, den manche nach erfolgreichen Tarifkampagnen schon auf dem Weg an die Gewerkschaftsspitze sahen, wechselt die Seiten, geht zum Beginn des Folgejahres als Arbeitsdirektor zu thyssenkrupp in Essen. Die IG Metall verliert einen Hoffnungsträger, thyssenkrupp gewinnt einen „Diamanten, in allen Facetten geschliffen“, schwärmte damals der Gesamtbetriebsratschef des Stahlriesen. Die Begeisterung ebbte im Laufe der Jahre etwas ab, weil der neue Personalvorstand den angeschlagenen Konzern mit harter Hand umgestalten musste: „Ich habe in elf Jahren 13.000 Stellen abgebaut, ohne eine einzige betriebsbedingte Kündigung und natürlich gegen Widerstände, aber immer so, dass ich mit der Gewerkschaft sprech- und geschäftsfähig geblieben bin“, sagt Burkhard heute rückblickend über seinen Job als Arbeitsdirektor in Essen, den er bis heute noch ausfüllt. Sein Mantra dabei: „Bei der IG Metall habe ich meinen Job für die Mitglieder gemacht, ohne die Unternehmen zu vergessen. Jetzt mache ich den Job für ein Unternehmen, aber ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu vergessen.“
Anfang 2022 kam dann das Angebot, zusätzlich an der tkMS-Spitze zu wirken – eine Herausforderung, die Burkhard angesichts der Zerlegung der alten thyssenkrupp-Strukturen und der geplanten Verselbstständigung des Marine-Systems-Geschäfts nicht ausschlagen konnte.

U-Bootbauer-Verselbstständigung
„Wir gehen davon aus, dass wir bis zum Ende des Jahrzehnts eine Verdoppelung bis Verdreifachung unseres Marktes sehen werden. Um diesen Wachstumspfad zu beschreiten, verselbstständigen und stärken wir tkMS entweder durch den Einstieg eines Finanzinvestors oder wir gehen per Spin-off eigenständig an die Börse“, so der Werftchef. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verkündete bei einem Besuch an der Förde im September Überlegungen des Bundes, mit 25 Prozent bei den Kielern einzusteigen – dem Vernehmen nach sind die Verhandlungen auf gutem Wege und sollen bis zum Jahresende abgeschlossen werden. „Wir arbeiten an der Schnittstelle von Politik, Verteidigung und Industrie, da ist es vernünftig, über solche Beteiligungen zu sprechen“, sagt Burkhard.
Bis zum Ende des Jahrzehnts werden wir eine Verdoppelung bis Verdreifachung unseres Marktes sehen.
Sein Optimismus für die künftige Auftragsentwicklung ist begründet, läuft doch das tkMS-Kerngeschäft des U-Bootbaus sehr gut, ganz ohne von der vielbeschworenen Zeitenwende abzuhängen: In der nagelneuen Schiffbauhalle am Förde-Ostufer werkeln Dutzende der gut 3.100 Kieler tkMS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter am ersten Druckkörper von vier Booten für die Norwegische Marine. Auch die Deutsche Marine hat schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine zwei vom Typ 212 CD bestellt. Der Gesamtauftragswert liegt allein für diese sechs hochmodernen Tauch-Kampfschiffe bei 5,5 Milliarden Euro. Kaufoptionen für insgesamt zehn weitere Boote hält man sich in Berlin und Oslo offen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Deutsche Marine sie zieht, ist angesichts der sechs veralteten U-Boote im Bestand hoch – zwei werden gerade bei tkMS überholt, Oliver Burkhard zeigt sie uns später beim Rundgang über das Werftgelände.
„Es ist das erste Mal, dass zwei NATO-Nationen die neue gemeinsame Projektierung eines so großen Marine-Vorhabens hinbekommen haben“, sagt er nicht ohne Stolz über den Typ 212 CD. Dagegen würden sich die europäischen Marinen bis heute allein 26 verschiedene Fregatten-Typen leisten. Diese Fragmentierung sei perspektivisch weder finanziell noch rüstungspolitisch sinnvoll. Ein Trend, der auch für die Industrie gilt: Werfteigner Peter Lürssen sprach vor Kurzem in einem Zeitungsinterview von einer „Konsolidierung unter den richtigen Vorzeichen“, die die als „Generalunternehmer“ geeigneten Naval Vessels Lürssen (NVL), tkMS sowie den Reparateur und Zulieferer German Naval verbinden würden. Burkhard mag das nicht öffentlich kommentieren, weiß aber wohl, dass die Branche das schon lange diskutiert. Zwar kommen 70 Prozent aller NATOU-Boote von tkMS, aber sie sind es nicht allein, die das insgesamt 13 Milliarden Euro dicke Auftragsbuch der Werft füllen: „Wir haben neun Neubauverträge für Fregatten und Korvetten, wir sind durch unsere Tochter NXTGEN im zivilen Marinebereich unter anderem mit Angeboten für unbemannte Über- und Unterwasserfahrzeuge zum Schutz kritischer Infrastruktur, für Seevermessungen oder zur Detektion und Entsorgung von Altlasten im Meer sehr erfolgreich. Wir können unseren Kunden die ganze technische Bandbreite liefern und begreifen uns als Systemhaus, das Unter- und Überwassertechnik und hochmoderne Elektronik in seinem Portfolio vereint“, fächert Burkhard die Vielfalt der tkMS auf. Kein Wunder, dass sich die Kieler auch die alte MV Werft in Wismar gesichert haben, um Kapazitäten für weitere erwartete Aufträge vorzuhalten.
Komplexe Flexibilisierung
Oliver Burkhard, ein bekennender Anhänger der sozialen Marktwirtschaft und ihr aktiver Verteidiger als Präsidiumsmitglied des SPD-Wirtschaftsforums, hat als erfahrener Gewerkschafter auch vor der Debatte über die Vier-Tage-Woche keine Angst, die seine alten Kolleginnen und Kollegen jetzt führen: „Die Fragen nach zeitgemäßen Arbeitsformen sind aus meiner Sicht nicht so trivial, wie es in manchen Debatten scheint – insbesondere im Kontext globaler und wirtschaftlicher Krisen. Grundsätzlich würde ich mich da aber nicht hektisch machen lassen: Von der Forderung bis zur Einführung der 35-Stunden-Woche hat es auch ein gutes Jahrzehnt gebraucht. Und die richtige Frage in der nächsten Tarifrunde lautet doch: Wie schaffen wir mehr Flexibilität nicht nur im Office, sondern auch in der Produktion? Eine schlichte Vier-Tage-Woche hilft da nicht, das braucht komplexere Modelle – und ich glaube, die Gewerkschaft weiß das.“ Oliver Burkhard, das political animal, spricht aus Erfahrung.
Eine schlichte Vier-Tage-Woche hilft nicht.
Alexander Luckow
Fotos: Christian Augustin
tkMS
thyssenkrupp Marine Systems arbeitet an zehn deutschen Standorten mit den Schwerpunkten in Kiel, Hamburg, Wedel, Bremen, Wismar und Emden. Das Unternehmen geht auf die 1838 gegründete Eisengießerei Howaldtswerke Deutsche Werft zurück und hat seit 1960 Verträge über 160 U-Boote und 150 Marineüberwasserschiffe geschlossen und abgearbeitet.