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Fachgespräch Fachkräftezuwanderung

Ein Experte mit vielen verschiedenen Themen im Spezialbereich, den er oder sie vertreten – das ist das Szenario des Standpunkte-Fachgesprächs. Wir drucken es im unregelmäßigen Wechsel mit dem Debattenformat „Face to Face“. Unsere Expertin diesmal: Rechtsanwältin Bettina Offer (53), seit 2005 Partnerin bei OFFER & MASTMANN, einer auf Fachkräftezuwanderung spezialisierten Kanzlei in Frankfurt am Main.

Standpunkte: Migrationspaket, Fachkräftestrategie, Chancen-Aufenthaltsrecht – nicht nur die Wirtschaft, auch die Politik beschäftigt sich derzeit intensiv mit dem Thema Fachkräfteeinwanderung. Wird Deutschland dadurch für ausländische Fachkräfte tatsächlich attraktiver?

Bettina Offer: Die Ampelregierung kommt ihrer Aufgabe ganz gut nach, einen Paradigmenwechsel für die Einwanderung nach Deutschland einzuläuten. Das gibt Pluspunkte für die Attraktivität nach außen.

Standpunkte: Im Innern liegt jedoch einiges im Argen. So sind zum Beispiel immer noch viel zu viele Institutionen daran beteiligt, Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ändert daran nichts.

Offer: Ja, leider, muss man sagen. Wir sehen hier eine gewisse Mutlosigkeit der Regierung. Wir haben in der Fachkräftemigration das Problem, dass wir stark auf die kommunalen Ausländerbehörden angewiesen sind. Ein anderer Teil ist zudem dezentral bei den jeweiligen Auslandsvertretungen angesiedelt. Beide Strukturen sind der Menge der Zuwandernden nicht mehr gewachsen. Beim Auswärtigen Amt hat die Regierung schon reagiert und das Bundesamt für auswärtige Angelegenheiten geschaffen. Es fungiert als Backoffice für derzeit knapp 30 Auslandsvertretungen. Das ist noch nicht genug, aber weist in die richtige Richtung.

Bettina Offer, LL.M.

… erhielt nach dem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Gießen, Warwick (UK) und Wisconsin-Madison (USA) im Jahr 2000 ihre Zulassung als Rechtsanwältin. Danach startete sie ihre Karriere als Associate in der Kanzlei Baker & McKenzie in Frankfurt am Main. 2001 wechselte sie in gleicher Position zu Ashurst Morris Crisp. Gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Gabriele Mastmann eröffnete sie 2005 die ebenfalls in Frankfurt am Main ansässige Kanzlei OFFER & MASTMANN Rechtsanwälte. Die Spezialistin für Fachkräftezuwanderung spricht regelmäßig auf Fachtagungen, ist Mitherausgeberin eines Kommentars zur Beschäftigungsverordnung und wird als Expertin zu politischen Anhörungen geladen. / Foto: Jens Braune del Angel

Standpunkte: Und wie sieht es bei den Ausländerbehörden aus?

Offer: Bei den Ausländerbehörden tut sich leider nichts. Die fallen in die Verantwortung der Bundesländer. Es ist fast schon katastrophal zu nennen, dass sich einige Bundesländer der Idee zentraler Ausländerbehörden schlichtweg verweigern. Im Norden hat etwa Mecklenburg-Vorpommern noch keine zentrale Ausländerbehörde. Als Praktiker können wir das nicht nachvollziehen.

Standpunkte: Korreliert das mit der Tatsache, dass Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern im bundesweiten Vergleich relativ wenig Interesse an Fachkräften aus dem Ausland haben?

Offer: Nicht generell. In Baden-Württemberg oder Hessen haben die Unternehmen einen sehr hohen Fachkräftebedarf. Und diese Bundesländer verweigern sich auch. Wenn ich rundherum sehe, dass die Ausländerbehörden und die Auslandsvertretungen extrem lange Wartezeiten haben, scheint mir das keine gangbare Lösung für mein Fachkräfteproblem – gerade als kleines oder mittelständisches Unternehmen. Da muss Deutschland in die Infrastruktur investieren. Insofern enttäuscht mich das Fachkräfte-Eckpunktepapier der Bundesregierung, weil im administrativen Bereich einfach keine schlagkräftigen Neuerungen zu erwarten sind.

Standpunkte: Im Fachkräfteeinwanderungsgesetz gibt es ein beschleunigtes Verfahren. Wie gut ist das in der Praxis angekommen?

Offer: Das beschleunigte Verfahren war eine erste Idee des Gesetzgebers, die Erwerbsmigration von der Fluchtmigration administrativ sehr deutlich zu trennen. Insofern war es ein guter Versuch, aber viel zu kompliziert – ein bürokratisches Monster, juristisch nicht gut genug durchdacht. Letztes Jahr im Dezember haben wir ein beschleunigtes Verfahren angestoßen. Das Visum ist schlussendlich dieses Jahr im November erteilt worden. Die Behörden sind mit den Prozessen überfordert, die das beschleunigte Verfahren mit sich bringt. Und der Arbeitgeber hat leider keinerlei Möglichkeit, auch nur die Beschleunigungsgebühr von 411 Euro zurückzuerlangen, wenn das mit der Beschleunigung schiefgeht. Dieses Verfahren hat eine große Unwucht in sich.

Standpunkte: Woran liegt das?

Offer: Das hat vielfältige Gründe. Es gibt Ausländerbehörden, die die Entgegennahme eines beschleunigten Verfahrens aus Personalnot ablehnen. Das sollte so nicht sein. Man hat ein Recht auf dieses Verfahren. Die Personalnot der Ausländerbehörden ist dramatisch. Da wird alles, was extra schwierig ist, erstmal zur Seite gelegt. Entsprechend haben wir andere Ausländerbehörden, die die Anträge zwar entgegennehmen, aber über Monate nicht bearbeiten. Ich will hier kein Bashing betreiben. Die Kollegen tun, was sie können. Es ist die schiere Not. Und wir haben Auslandsvertretungen, die das beschleunigte Verfahren als solches gar nicht realisieren und sich Prüfungskompetenzen anmaßen, die ihnen nach den fachlichen Weisungen gar nicht zustehen. Auch hier die schiere Not.

Standpunkte: Was muss sich also aus Ihrer Sicht ändern?

Offer: Mein Vorschlag zur Lösung wäre ein sponsorgestütztes Antragsverfahren, für das wir eine zuständige Bundesbehörde benennen. Ob das das Bundesamt für auswärtige Angelegenheiten unter der Oberhoheit des Auswärtigen Amtes, ob es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter der Oberhoheit des Innenministeriums oder ob es die Bundesagentur für Arbeit unter der Oberhoheit des Ministeriums für Arbeit und Soziales ist, müssen die drei unter sich klären. Wir brauchen aber eine inländische Behörde, die zuständig wäre, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an eine Fachkraft von einem Arbeitgeber entgegen zunehmen und ihm als Ansprechpartner zu dienen. Andere Einwanderungsländer wie die Niederlande, Neuseeland oder Kanada verwenden Mechanismen, in denen der Arbeitgeber der Antragsteller im Verwaltungsverfahren ist, schon lange. In Deutschland haben wir die seltsame Situation, dass der Arbeitgeber in der Erwerbsmigration kaum auftritt. Er hat Pflichten, aber keine Rechte. Das müssen wir dringend ändern.

Mein Vorschlag zur Lösung wäre ein sponsorgestütztes Antragsverfahren.

Standpunkte: Besteht in einem solchen Verfahren nicht die Gefahr, dass die Bundesagentur für Arbeit komplett außen vor ist?

Offer: Ich würde sie auf keinen Fall außen vor lassen. Sie ist unser wichtigster Ansprechpartner. Der Knackpunkt ist bei uns weniger die Bundesagentur für Arbeit, die die Arbeitsbedingungen zu Recht prüft. Flaschenhals sind die Sicherheitsbehörden im In- und Ausland, die sich nicht einig werden, wie bestimmte Tatbestände zu bewerten sind. Diese Doppelprüfungen kosten Zeit und Nerven. Da müssen die Behörden unseren Arbeitgebern Vertrauen entgegen bringen.

Standpunkte: Eine Art Zuverlässigkeitsprüfung des Arbeitgebers, wie sie andere Verfahren in Deutschland auch vorsehen. Da klingt das Thema Haltung an. Der leitende Ökonom in der Abteilung für internationale Migration der OECD, Dr. Thomas Liebig, hat gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt: „Wer gut Deutsch spricht und nicht schon auf die Rente zugeht, ist auf jeden Fall willkommen.“ So eine Haltung würde vieles in Deutschland erleichtern. Sehen Sie das auch so?

Offer: Ich verstehe, was er sagt. Und es stimmt natürlich. Wir reden mittlerweile von einem Arbeitskräftemangel, nur nicht mehr von einem Fachkräftemangel. Unsere Blickrichtung zielt aber immer noch zu sehr auf den einzelnen Migranten. Das internationale Talent, das viel Zeit und Mühe in den Lebenslauf investiert hat, damit er oder sie attraktiv für einen industriellen Arbeitsmarkt wie unseren ist, wird in der politischen Betrachtung direkt neben den Flüchtling gesetzt, der völlig ohne Sprachkenntnisse übers Mittelmeer gekommen ist, ganz drastisch nur mit seinen Kleidern am Leib und dem Handy in der Hand. Diese beiden Personengruppen sind nicht vergleichbar –in ihren Bedürfnissen nicht und in ihren Ansprüchen auch nicht. Nur weil beide keinen deutschen oder EU-Pass haben, heißt das noch lange nicht, dass wir beide in die selbe Verwaltungsbehörde und auf denselben Verwaltungsweg schicken sollten. Menschlich wollen wir da keinen Unterschied machen, aber wirtschaftlich betrachtet handelt es sich hier um zwei völlig verschiedene Sachverhalte.

Standpunkte: Braucht es dann eine komplett neue Behörde?

Offer: Das wäre mein Wunschtraum. Wir brauchen zumindest eine Behörde, die sich auf Fachkräfte konzentriert und die Entscheidung über den ersten Aufenthaltstitel fällt. Die Annahme, dass Ausländer eine Behörde vor Ort brauchen, trifft für Erwerbsmigranten in keinster Weise zu. Sie sind hoch mobil – auch technisch. Da wäre eine Zentralbehörde wesentlich effektiver.

Standpunkte: Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die Digitalisierung der Verwaltung?

Offer: Im Moment eine unselige. Mit dem Onlinezugangsgesetz sind die Verwaltungen eigentlich verpflichtet, bis zum Jahres ende die digitale Antragstellung zu ermöglichen. Wir haben aber mehr als 540 Ausländerbehörden in Deutschland und jede Behörde, jede Stadt und jeder Kreis darf sich selbst für ein Computersystem entscheiden. Es gibt noch keinen „Industriestandard“ für Ausländerbehörden. In einigen bekommt man nicht mal eine Eingangsbestätigung, wenn man Anträge hochlädt. Das ist sehr schlecht, weil mit der Einreichung des Antrages eine rechtliche Wirkung eintritt, dass nämlich der bisherige Aufenthaltstitel nach Ablauf weiterbesteht. Und wenn ich diese Wirkung nicht nachweisen kann, weil ich keine Eingangsbestätigung bekomme, habe ich ein Problem. Also machen wir Anwälte im Moment Screenshots. Das ist digital betrachtet unwürdig.

Standpunkte: Stichwort Punktesystem. Ist es ein positives Zeichen, dass abgesehen von der fachlichen Qualifikation auch das Potenzial einer künftigen Fachkraft eine stärkere Rolle spielen soll?

Offer: Ich bin kein großer Freund eines Punktesystems. Dahinter steckt zu viel politische Rhetorik. Es ist ein Testballon, der scheitern wird, wenn wir keine Termine auf den Auslandsvertretungen bekommen. Der Dreh- und Angelpunkt im Moment ist nicht das materielle Recht, da ist schon alles da. Aber wir kämpfen jeden Tag darum, in der Administration den nächsten Schritt weiterzukommen. Das ist unser Problem.

Standpunkte: Was raten Sie Unternehmen, wenn sie zurzeit Fachkräfte aus dem Ausland einstellen möchten?

Offer: Zeit mitzubringen und Geduld. Habe ich den kompletten Unterlagensatz auf dem Tisch, braucht es von da ab drei Monate – im Moment sogar rund sechs Monate. Auf jeden Fall sollte man es jedoch wagen. Meine Bitte an alle Arbeitgeber: Machen Sie sich bei den politischen Entscheidern dafür stark, dass wir ein anderes Verfahren bekommen. Ein Verfahren, das die Arbeitgeber mehr in den Blick nimmt.

Standpunkte: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Aufgezeichnet von Birte Bühnen und Anton Bauch

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