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Mein Standpunkt: Ampelausfall

Ampelausfall

„Fortschrittskoalition“ taufte sich das Berliner Ampel-Bündnis nicht ganz unbescheiden zum Auftakt. Das war vor einem guten Jahr. Da hielt die Freude über das Ende der bleiernen Ära mehrerer Großer Koalitionen noch an. Ein recht ausgewogen verhandelter Koalitionsvertrag verhieß, dass nun in Berlin bisher unvereinbare politische Strömungen auf faire Art und Weise zusammenfinden würden. Wie zum Zeichen dafür, wurden eifrig Selfies führender Grüner und Liberaler in trauter Runde gelikt.

Zwölf Monate später ist von dieser Aufbruchsstimmung nichts mehr übrig. Die aktuelle Bundesregierung ist nicht nur weithin unbeliebt. Sie liefert politisch auch zu spät und zu schlecht. Debatte und Prozess um die Rückkehr zur Kernkraft oder das sogenannte Bürgergeld sind abschreckende Beispiele dafür. Als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den ersten Entwurf vorlegte, war rasch klar: Seine Vorstellungen von ausgedehnten Schonzeiten und -vermögen sowie reduzierten Pflichten der Bürgergeldempfänger halfen zwar der sozialdemokratischen Traumaaufarbeitung von Hartz IV, bildeten aber nicht den Koalitionsvertrag ab. Die Liberalen mühten sich redlich um Besserung, kamen aber nicht weit. Erst die Union zwang die Koalition mit ihrem Nein im Bundesrat in den Vermittlungsausschuss, wo das Gesetz vom Kopf wieder auf die Füße gestellt wurde.

Auch die dringend nötige Wiedereingliederung der Kernkraft in den deutschen Energiemix, ohne die es keine Versorgungssicherheit in diesem Winter gibt, wurde erst durch einen angeblichen Stresstest monatelang verzögert, dann brauchte es ein Kanzler-„Machtwort“, um wenigstens alle drei aktiven Meiler bis zum Frühjahr wieder ans Netz zu bringen – dabei wäre doch der Weiterbetrieb bis 2025 mindestens sinnvoll, womöglich mit weiteren Kernkraftwerken.

So oder ähnlich kontrovers und schleppend geht es in vielen Bereichen: Mangelhafte Neuordnung der Fachkräftezuwanderung, eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes mit zu viel Raum für übermäßig restriktive Maßnahmen der Bundesländer, lahmende Wiederaufrüstung der Bundeswehr trotz 100-„Zeitenwende“-Milliarden oder zu schwache Unterstützung für die Ukraine – kein signifikanter Fortschritt nirgendwo.

Nur beim Bauen von LNG-Terminals hat die Ampel mal den Turbo eingelegt, unter hilfreicher Umgehung eines überbürokratisierten Planungs- und Mitspracherechts. Täte sie das öfter, stünde sie nicht für Ampelausfall.

Alexander Luckow, „Standpunkte“- Chefredakteur

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