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Nach langer Krankheit zurück in den Job
Im Mai 2004 hat der Gesetzgeber das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) in das Sozialgesetzbuch aufgenommen. Arbeitgeber sind seither verpflichtet, Beschäftigten, die länger als sechs Wochen während eines Jahres krankheitsbedingt arbeitsunfähig waren, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Das Ziel: Schritt für Schritt ins Arbeitsleben zurückzukehren.
Peter Meier (Name von der Redaktion geändert) ist Staplerfahrer in der Produktion der Danfoss Power Solutions in Neumünster. Das Unternehmen ist Teil der dänischen Danfoss Gruppe und produziert am Standort in Schleswig-Holstein mit rund 950 Beschäftigten Pumpen, Motoren und Komponenten für Hersteller von Landmaschinen und Arbeitsfahrzeugen. Im Jahr 2011 erleidet Peter Meier mit Anfang 40 unverschuldet einen Motorradunfall. Unterhalb des Knies sind die Knochen zertrümmert, erst nach aufwendigen Operationen kann er wieder zurück an den Arbeitsplatz. Doch die Verletzung ist nur scheinbar behoben. Ärzte diagnostizieren, dass sich die Knochen unzureichend neu gebildet haben. Bei jeder größeren Belastung droht ein Bruch des Beines. Reha-Maßnahmen und weitere Operationen werden eingeleitet. Die Leidensgeschichte zieht sich über mehrere Jahre. Während des eingeleiteten BEM-Verfahrens bringt der Arbeitgeber den Mitarbeiter mit Betriebsrat, Personalverantwortlichen und Vertretern der entsprechenden Sozialversicherungsträger und Ämter an einen Tisch. Am Ende wird Meiers Arbeitsplatz so modifiziert, dass er wieder Stapler fahren kann. Für Wencke Bushell, Mitarbeiterin in der Personalabteilung von Danfoss Power Solutions, verdeutlicht das Beispiel, wie das BEM zum Nutzen von Beschäftigten und Arbeitgebern eingesetzt werden kann. „Unser Ziel ist es, die Kollegen wieder zurück an den Arbeitsplatz zu holen und falls das nicht geht, ihnen Arbeitsplatzalternativen anzubieten. Das ist uns in diesem Fall gelungen.“
Bewährtes Verfahren
Schon vor geraumer Zeit hat Danfoss in Neumünster ein achtköpfiges Integrationsteam installiert, das paritätisch mit Vertretern des Betriebsrates und der Arbeitgeberseite besetzt ist. Eine Betriebsvereinbarung fasst alle Vorgehensweisen zusammen, die Unternehmen und Betroffene beachten müssen. Für HR-Generalist Bushell ist das Eingliederungsmanagement inzwischen zu einem alltäglich genutzten Instrument geworden, das oft in Anspruch genommen wird. „Bei uns gibt es einige Arbeitsplätze, an denen körperlich schwere Arbeiten anfallen. So kommt es häufiger zu Muskel- und Skeletterkrankungen, die mitunter zu Einsatzbeschränkungen führen können. Entsprechend oft laden wir Mitarbeiter zum BEM ein.“ Für die Personalerin ist es wichtig, dass die Belegschaft Vertrauen in das BEM hat. Deshalb sei es unerlässlich, die Regularien zuverlässig einzuhalten. „Dazu gehört unter anderem auch der Datenschutz; die Mitarbeiter müssen sichergehen können, dass ihre Fälle in einem geschützten Raum besprochen werden und nichts nach außen dringt. Deshalb können wir unser Beispiel auch nur in anonymisierter Form darstellen“, sagt sie. Zugleich müsse man sich permanent auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen halten. Deshalb hat Bushell Anfang April das Seminar „BEM intensiv – Herausforderungen für den Arbeitgeber“ besucht, zu dem der Arbeitgeberverband NORDMETALL mehr als 140 Firmenvertreter online begrüßen konnte.
Aktuelle Gerichtsurteile
Die Danfoss-Personalerin war vor allem mit der Erwartung in das Seminar gegangen, zu Fristen, Formulierungen und neuen Urteilen etwas zu erfahren. Sie wurde nicht enttäuscht: „Es gibt eine ganze Reihe von Neuerungen, beispielsweise die Verlängerung der Rückmeldefrist von zwei auf drei Wochen oder die Möglichkeit, dass der Mitarbeiter eine Vertrauensperson mit ins Gespräch bringen kann. Ich habe sehr viel mitgenommen und fand insbesondere die Referentin Angela Huber klasse.“ Die Rechtsanwältin und CDMP (Certified Disability Management Professional) gab den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wichtige Hinweise zu jüngsten Gerichtsurteilen und sparte auch nicht mit Anmerkungen zu Formulierungen und praktischen Vorgehensweisen innerhalb des BEM-Prozesses. Dabei kam ihr zugute, dass sie das Instrument nicht nur aus juristischer Sicht betrachtete. „Frau Huber ist in ihrer Funktion als Disability Manager in einer Querschnittsdisziplin aktiv. Sie hat Bereiche wie Sozialrecht, Medizin, Gesundheitswissenschaften, Betriebswirtschaft und Psychologie miteinander verknüpft, kam authentisch rüber und hat das gesamte Gebiet anschaulich dargestellt. Das hat mir persönlich sehr gut gefallen“, resümiert Bushell.
Arbeitsplätze sichern
Auch Sandra Schumacher-Hansen, als Leiterin des betrieblichen Gesundheitsmanagements im Luftfahrtkonzern Airbus verantwortlich für das BEM und die Gesundheitsvorsorge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, war angetan vom NORDMETALL-Seminar. „Am liebsten würde ich Frau Huber in mein Team holen“, sagt sie. Muss sie aber gar nicht, denn ihr Team „Occupational Health & Operations“ ist personell und organisatorisch ohnehin gut aufgestellt. „Wir haben neun Gesundheits- und Rehabilitationsberater, die für die Standorte Hamburg-Finkenwerder, Stade, Bremen und Buxtehude verantwortlich sind“, berichtet sie. Im angegliederten Team Operations arbeiten sechs weitere Spezialisten an der Aufgabe, den Airbus-Beschäftigten Angebote zur Prävention und gesundheitlichen Aufklärung zu machen. Für kleine und mittlere Unternehmen hört sich das nach purem Luxus an, jedoch beschäftigt der weltweit führende Flugzeugbauer allein an seinen deutschen Standorten rund 22.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon rund ein Drittel in der Produktion. „Im Verhältnis dazu relativiert sich die Größe meines Teams deutlich“, bemerkt Schumacher-Hansen. Tatsächlich haben die Airbus-Gesundheits- und Rehabilitationsberater im Jahr 2021 rund 8.500 Beratungen durchgeführt, wobei mehr als zwei Drittel in die Kategorie BEM fielen. „Das zeigt die Bedeutung des Instruments für unser Unternehmen“, betont Schumacher-Hansen. Gesundheit sei einer der prägenden Faktoren, die das Arbeitsleben und die gesamte Lebensgestaltung beeinflussen. Das BEM könne gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte im Arbeitsleben unterstützen und ihren Arbeitsplatz sichern. „Es ist strukturell geeignet, die Prävention im Betrieb und damit die Beschäftigungsqualität und -vielfalt für alle Beschäftigten und in besonderem Maße für Menschen mit einer Schwerbehinderung zu fördern“, sagt die Airbus-Führungskraft.

Sandra Schumacher-Hansen, Leiterin des betrieblichen Gesundheitsmanagements bei Airbus
Foto: Bengt Lange
Formaler Ablauf
Der Aufbau des BEM bei Airbus startete im Jahr 2009 und war mit zahlreichen Herausforderungen versehen. So mussten einige vertrauensfördernde Maßnahmen ergriffen werden, um Ängste und Misstrauen auf Arbeitnehmerseite abzubauen. „Diese Phasen haben wir gemeistert und können heute sagen, dass das BEM bei Airbus ein von allen Seiten anerkanntes Instrument geworden ist“, sagt Schumacher-Hansen. Dazu tragen vor allem die professionellen und gut ausgebildeten Gesundheits- und Rehabilitationsberater (GRB) bei, die den Großteil der Beratungsgespräche führen und im intensiven Austausch mit den Mitarbeitenden stehen. Silvia Wendt ist eine der Airbus-GRB. Sie zählt auf, welche Eigenschaften bei ihrer Tätigkeit vor allem gefragt sind: „Kommunikationsfähigkeit und Empathie, Freude im Umgang mit Menschen, Stressresistenz und Lebenserfahrung sind wichtig. Ebenso das Interesse an einer langfristigen Aufgabe, denn zum Teil muss ich Kolleginnen und Kollegen über Jahre hinweg begleiten.“ Hilfreich sei neben einem guten internen Firmennetzwerk auch ein medizinischer Hintergrund. Den bringt Wendt als gelernte Krankenschwester mit. Und last but not least: Die GRB sind neutral und unterliegen in jeder Hinsicht der Schweigepflicht. „Wir sind weder der Anwalt des Mitarbeiters noch der des Arbeitgebers, quasi die Schweiz in diesem Prozess“, betont Wendt. Formal verlangt das BEM die Einhaltung bestimmter Fristen und Vorgaben. Wichtig sind die Freiwilligkeit und die umfassende Information. Niemand kann zum BEM gezwungen werden und der Arbeitgeber muss umfassend über Grund, Ziele und Aufgaben des BEM informieren. Beschäftigte, die während eines Zeitraums von zwölf Monaten mindestens sechs Wochen arbeitsunfähig waren, werden zu einem Gespräch eingeladen, zu dem sie eine Vertrauensperson mitbringen können. In diesem Gespräch werden gemeinsam Aktionen besprochen und geplant. Da das BEM vom Gesetzgeber als ergebnis- und verlaufsoffen angelegt ist, können viele Optionen gezogen und durchgeführt werden. Wesentlich ist, dass ohne die Zustimmung des Arbeitnehmers das BEM nicht durchgeführt werden kann. Zusätzlich zu Vertrauensperson, Betriebsrat und einem Vertreter der Personalabteilung können gegebenenfalls weitere Experten wie Ärzte und Sachbearbeiter der Sozialversicherungsträger herangezogen werden. Bei all dem ist zu beachten: Es geht weniger um den Grund der Arbeitsunfähigkeit, als vielmehr um die sich ergebenden Leistungseinschränkungen, also zum Beispiel kein schweres Heben, Vermeiden von längerem Sitzen oder ähnliches. Der Prozess endet, wenn die vereinbarten Aktionen (etwa Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Befreiung von bestimmten Schichtarbeiten, Kur- bzw. Reha-Maßnahmen) umgesetzt sind. „Bei Airbus organisieren wir dann ein Abschlussgespräch. Wenn der Beschäftigte wieder am Arbeitsplatz ist, ist der Prozess beendet“, sagt Wendt. Nach etwa drei bis sechs Monaten lädt der Airbus-GRB in der Regel dann noch einmal zu einem Nachhaltigkeitsgespräch, um die langfristige Wirkung der Maßnahmen zu prüfen.

Silvia Wendt, Gesundheits- und Rehabilitationsberaterin bei Airbus
Foto: Bengt Lange
Arbeitsbedingungen verbessern
Heiner Otte, Leiter Personalbetreuung bei M. Jürgensen aus Sörup bei Flensburg, kann sich bei seinen BEM-Aktivitäten nicht auf ein vergleichbares Team stützen. Dafür ist das Gießerei- und Maschinenbauunternehmen mit 290 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im äußersten Norden Deutschlands nicht groß genug. Der Mittelständler stellt Zylinderlaufbuchsen aus Grauguss her. Ein Prozess, der vor allem durch schwierige äußere Bedingungen wie Hitze, Staub und schwere körperliche Arbeit geprägt ist. Das schlägt sich auch auf den Krankenstand nieder. „Wir werten regelmäßig die Krankmeldungen aus und laden dann zum BEM-Gespräch ein“, berichtet Otte. Dabei holt der Personaler immer den Betriebsrat mit ins Boot und sorgt so für eine hohe Akzeptanz innerhalb der Belegschaft. „Unsere Mitarbeiter sehen das BEM als Angebot, das dazu dient, echte Hilfen anzubieten“, erklärt er. Deshalb sei auch die Quote der Ablehnungen mit zwei bis vier Prozent äußerst gering.
Experten hinzuziehen
Mitunter nutzten die Beschäftigten das Angebot auch als eine Art Kummerkasten, meint der Personalmann. Das sei aber auch gut fürs Unternehmen. „So können wir unsere Schwachstellen identifizieren und die Arbeitsbedingungen verbessern“, fügt er an. Aufgrund mancher Gespräche seien bereits Lüftungssysteme und Absaugeinrichtungen installiert und Hebevorrichtungen sowie Automatisierungslösungen eingeführt worden. Auch Otte setzt beim BEM auf das Hinzuziehen von Betriebs- und Fachärzten sowie auf Experten aus Integrations- und Versorgungsämtern. „Am Ende haben wir immer eine Lösung gefunden, sei es durch Umsetzung des Betroffenen an einen anderen Arbeitsplatz, durch Anerkennung eines Schwerbehinderungsgrades oder Modifikationen am Arbeitsplatz“, zählt er auf. Letztlich müsse sich das BEM aber auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechnen. „Es wäre sicher einmal interessant, eine Untersuchung zum Return on Invest des BEM bei den Unternehmen zu initiieren“, regt er an.
Lothar Steckel