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Krieg verschärft Long-Covid-Folgen

Die Frühjahrs-Konjunkturumfrage zeigt keine Entspannung der Lage: „Statt einer Erholung nach der Pandemie erleben wir eine Verschärfung der Long-Covid-Folgen in den Betrieben durch den Ukraine-Krieg“, bilanziert NORDMETALL-Präsident Folkmar Ukena die Befragung.

Zum sechsten Mal seit Beginn der Coronakrise haben NORDMETALL, der AGV NORD sowie der Arbeitgeberverband Oldenburg ihre Betriebe zu deren Geschäftsaussichten befragt. 176 Unternehmen mit rund 123.000 Beschäftigten nahmen im April und Mai in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, dem nordwestlichen Niedersachen und Schleswig-Holstein an der Konjunkturumfrage teil. 23 Prozent der Unternehmen in Norddeutschland bezeichnen ihre Geschäftslage als unbefriedigend oder schlecht, acht Prozent mehr als in der vorigen Konjunkturumfrage vom vergangenen Winter. Spitzenreiter ist hier Bremen mit fast einem Drittel unzufriedener Betriebe. Stark oder sehr stark einschränken mussten ihre Produktion infolge der Coronakrise 31 Prozent der Unternehmen im Norden, ein Plus von acht Prozent. Am häufigsten betroffen sind die Firmen im nordwestlichen Niedersachsen mit 39 Prozent.

Stark erhöhte Krankenstände

„Die starke Verbreitung des Virus in den vergangenen Monaten hat zu erhöhten Krankenständen geführt“, konstatiert Folkmar Ukena, NORDMETALL-Präsident und geschäftsführender Gesellschafter der LEDA-Werke in Leer, Ostfriesland. Eine Rückkehr zur Normalität erwarten 34 Prozent der Firmen bis zur Jahresmitte, 22 Prozent bis zum Jahresende, während 44 Prozent angesichts der unsicheren Gesamtlage überhaupt keine Prognose wagen. Besonders zurückhaltend zeigen sich hier erneut die Betriebe im nordwestlichen Niedersachsen, von denen mehr als die Hälfte gar keine Vorhersage machen können.

Kostenexplosion und Lieferkettenprobleme

Bei der Einschätzung der als erschwerend eingestuften Wirtschaftsfaktoren hat sich seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine in den Geschäftsführungen im Norden ein wesentlicher Wandel vollzogen: 90 Prozent der Unternehmen leiden unter stark gestiegenen Materialkosten, im vergangenen Winter gaben dies nur 81 Prozent an. Ganze 82 Prozent beklagen explodierende Energiekosten, vor rund einem halben Jahr erklärten dies nur 53 Prozent. 64 Prozent empfinden die internationale Politik mit der Ukraine-Krise als Belastung, ein gutes Drittel mehr, als in der vorherigen Befragung. Folkmar Ukena analysiert: „Die Material und Energiekostenexplosion sowie die rund um Russland, die Ukraine und China blockierten Lieferwege belasten die norddeutsche Wirtschaft schwer.“ Obwohl immer noch elf Prozent der norddeutschen M+E-Betriebe Kurzarbeit fahren, wollen 41 Prozent die Zahl ihrer Mitarbeiter in den kommenden drei Monaten erhöhen. Das könnte sich theoretisch auf eine Zahl von rund 3.200 zusätzlichen Beschäftigten in Norddeutschland summieren – wenn da nicht der eklatante Personalmangel wäre: 73 Prozent der Unternehmen beklagen mittlerweile die mangelnde Verfügbarkeit geeigneter Fachkräfte und 63 Prozent qualifizierter Azubis. Spitzenreiter beim Azubi-Mangel ist Hamburg mit 73 Prozent.

Folkmar Ukena, Präsident NORDMETALL

Folkmar Ukena, Präsident NORDMETALL

Foto: Christian Augustin

Fachkräftenotstand nimmt zu

„Der Fachkräfte- und Azubi-Mangel verschärft sich zum Notstand: Den Unternehmen fehlen an allen Ecken und Enden die Menschen, um hohe Auftragsbestände abzuarbeiten und eine starke Kapazitätsauslastung auch in wachsende Umsätze zu verwandeln“, so NORDMETALL-Präsident Folkmar Ukena. Rund 60 Prozent der Betriebe beschäftigen mittlerweile außereuropäische Fachkräfte, an der Spitze liegt hier Bremen mit 76 Prozent. Der eklatante Mangel an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Auszubildenden wird dadurch jedoch kaum gelindert, berichten zahlreiche Geschäftsleitungen.

Berufsorientierung stärken

Julian Bonato, Vorstandsvorsitzender AGV NORD

Julian Bonato, Vorstandsvorsitzender AGV NORD

„Die Berufsorientierung in Schulen muss nach dem weitgehenden Ausfall während der Pandemie dringend gestärkt werden, ebenso der Stellenwert der dualen Berufsausbildung“, fordert der AGV-NORD-Vorsitzende Julian Bonato von der Politik. Personalmangel, Lieferprobleme, explodierende Kosten und fortwirkende Covid-Folgen führen schließlich zu deutlich geminderten Geschäftserwartungen: Eine schlechtere Entwicklung der Geschäftslage in den kommenden sechs Monaten befürchten 22 Prozent der norddeutschen M+E-Betriebe, im vergangenen Winter waren es im Norden nur acht Prozent. Besonders pessimistisch sind die Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern: 33 Prozent erwarten einen Negativtrend. „Die norddeutsche Industrie schaut angesichts der höchst ungewissen internationalen Lage, der hausgemachten Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt und der mangelnden Unterstützung aus der Politik beim Abbau von Belastungen und Bürokratie sehr skeptisch nach vorn“, bilanziert Julian Bonato. Der geschäftsführende Gesellschafter der MHG Heiztechnik in Buchholz in der Nordheide appelliert an die Politik: „Die norddeutschen Landesregierungen und die Bundesregierung sollten dringend eine Entlastungsoffensive zugunsten der mittelständischen Wirtschaft starten, um den Industriestandort Norddeutschland zu sichern und zu stärken.“ Alexander Luckow