Textbuch (dt.)

Textbuch (dt.)
Musik von ANDREW LLOYD WEBBER
Gesangstexte von GLENN SLATER
ZusÀtzliche Gesangstexte von CHARLES HART
Buch von BEN ELTON
Nach dem Roman âThe Phantom of Manhattanâ von FREDERICK FORSYTH
Deutsch von WOLFGANG ADENBERG
BĂŒhnenvertrieb:
Musik und BĂŒhne Verlagsgesellschaft mbH
BahnhofstraĂe 44-46 | 65185 Wiesbaden
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Christine Daaé, Operndiva (Sopran bis zum hohen B)
Das Phantom, ein Komponist und Zauberer, bekannt als das Operngespenst (Rocktenor bis zum hohen B / C)
Raoul, Vicomte de Chagny, die Jugendliebe von Christine, jetzt ein Stoiker und funktionierender Alkoholiker (Tenor bis As)
Madame Giry, die Ballettmeisterin und Mutter von Meg (KontraAlt)
Meg Giry, die Tochter von Madame Giry, Mitglied des Balletts, Christines beste Freundin (Mezzosopran)
Gangle, mystische Figur, die die Geschichte kommentiert (Tenor/Bariton)
Squelch, mystische Figur, die die Geschichte kommentiert (Tenor/Bariton)
Fleck, mystische Figur, die die Geschichte kommentiert (Mezzosopran)
Gustave, Christines Sohn (Starke knabenhafte Stimme bis zum hohen Fis)
Ensemble
Showgirls, Showboys, 3 Fotografen, 3 AutogrammjĂ€ger, 3 Reporter, Mrs. Astor, Vanderbilt, 2 Zuschauer (am Pier 69), Barkeeper, Inspizient, 3 BĂŒhnenarbeiter, Chor
1. SO SEHR FEHLT MIR DEIN GESANG
EIN JAHRZEHNT
(Die BĂŒhne wird plötzlich hell, und wir sehen einen Mann, der manisch auf einer Orgel spielt. Es ist das PHANTOM. Frustriert schlĂ€gt er mit dem linken Ellenbogen auf die Tasten. Das PHANTOM dreht sich langsam um, so dass das Publikum seine Maske sehen kann. Dann fĂ€hrt er mit dem Komponieren fort. Er hebt das Notenblatt hoch und studiert es. Angeekelt knĂŒllt er es zusammen und wirft es auf den Boden.)
LEBE ICH SINNLOS VOR MICH HIN.
EIN JAHRZEHNT
QUĂLâ ICH MICH AB MIT SCHALL UND RAUCH. TIEF IN MIR KLINGT MUSIK, ĂBERIRDISCH UND STRAHLEND. DOCH ICH WEISS, OHNE DICH KOMMT SIE NIEMALS EMPOR. OH, CHRISTINE. OH, CHRISTINE. SO WEIT FORT. SO WEIT FORT.
(In der Dunkelheit hinter ihm erwacht langsam ein Bild zum Leben. Es ist Christine, so gekleidet wie wir sie zum letzten Mal vor zehn Jahren gesehen haben, in einem strahlenden, fast atmenden PortrÀt.)
DER TAG KOMMT, DER TAG GEHT, SCHWER WIE BLEI. UND DIE NACHT NIMMT IHREN GANG. IM DUNKELN HIER FLIEHT SELBST DER SCHLAF VOR MIR. MIR FEHLT DEIN GESANG.
UND TAGE UND WOCHEN
GEHN VORBEI. UND DIE ZEIT WIRD MIR SO LANG. DEIN PLATZ BLEIBT LEER, UND MIR GELINGT NICHTS MEHR. SO SEHR FEHLT MIR DEIN GESANG.
NUR MANCHMAL, IM DUNKELN, IM TRAUM BIST DU MIR NAH.
DOCH WENN ICH ERWACH, IST NUR DIE KĂLTE DA.
DIE JAHRE VERGEHN ALS STUMMER SCHREI. MEINE WELT BLEIBT OHNE KLANG. UND ALL DIE ZEIT LEB ICH IN EINSAMKEIT. SO SEHR FEHLT MIR DEIN GESANG.
UND DEINE MUSIK KLINGT MIR RAUSCHHAFT SĂSS IM OHR UND ZEIGT MIR NOCH MEHR, WAS ICH MIT DIR VERLOR.
UND ALL MEINE TRĂUME
SIND ENTZWEI. NICHTS HAT NOCH FĂR MICH BELANG. NUR DU ALLEIN KANNST DIE ERLĂSUNG SEIN. SO SEHR FEHLT MIR DEIN GESANG.
(Sein Bild verschwindet ins Dunkel. Aus dem DÀmmerlicht materialisiert sich ein seltsames Trio von Zirkusgeschöpfen: FLECK, SQUELCH und GANGLE.)
2. CONEY-ISLAND-WALZER
GANGLE
CONEY ISLAND⊠FARBIG FLIRRT UND FLIMMERT ES. GRELL UND WILD, LICHTERFĂLLT.
GANGLE & SQUELCH
CONEY ISLAND⊠GOLDEN STRAHLT UND SCHIMMERT ES. WEIT UND GROSS, RUHELOS.
WO MAN FANTASIEN ZEIGT.
SODOM, DAS DEM MEER ENTSTEIGT
(Wir begeben uns nach Coney Island, 1907. Langsam, glimmend nimmt es um das Trio herum Gestalt an. Nach und nach erscheinen weitere Zirkusleute.)
TRIO
WUNDER UND MYSTERIEN.
TAUSEND ATTRAKTIONEN.
ZAUBER UND PHANTOME UND GROSSE SENSATIONEN. NICHTS WAR SO AUFREGEND SEIT JAHRMILLIONEN.
TRIO & CHOR
CONEY ISLAND! NIMMERMĂDER RUMMELPLATZ.
LAUT UND SCHNELL, STRAHLEND HELL.
NEHMT NUR TEIL
AN DEM GROSSEN TUMMELPLATZ!
SPIEL UND SPASS
OHNE MASS.
SEID WILLKOMMEN, FRAU UND MANN, HIER BEIM TANZ AUF DEM VULKAN.
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
(Das Orchester ĂŒbernimmt. Das Trio macht mit uns einen Rundgang durch die Wunder von Coney Island. Ein schaurig-schönes Kaleidoskop aus Schauwerten und Nervenkitzel.)
CHOR
CONEY ISLAND! NIMMERMĂDER RUMMELPLATZ.
LAUT UND SCHNELL, STRAHLEND HELL.
NEHMT NUR TEIL
AN DEM GROSSEN TUMMELPLATZ!
SPIEL UND SPASS
OHNE MASS.
SEID WILLKOMMEN, FRAU UND MANN, HIER BEIM TANZ AUF DEM VULKAN.
SEID WILLKOMMEN, FRAU UND MANN.
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
SEID WILLKOMMEN!
(Der Walzer wird von einem Trommelwirbel ĂŒber schrĂ€gen Akkorden unterbrochen.)
3. ALLES, WAS EUCH GEFĂLLT
(Das Theater im Phantasma. SQUELCH, FLECK & GANGLE kommen durch den Vorhang und wenden sich ans Publikum.)
TRIO
Mr. Y heiĂt Sie herzlich willkommen im Phantasma!
GANGLE
Gestatten: Dr. Gangle, der Zeremonienmeister!
FLECK
FrÀulein Fleck, die fabulöse Luftakrobatin!
SQUELCH
Der unglaubliche Squelch, der stÀrkste Mann der Welt!
GANGLE
Und hier kommt geradewegs aus Paris, FrankreichâŠ
FLECK
Coney Islands Ooh-la-la-Girl!
SQUELCH
Miss
Meg Giry!
ALLE DREI
(Das Trio geht ab.)
MEG
SEID WILLKOMMEN, ALLE HIER. HEUTE PRĂSENTIEREN WIR,
(Zwei Showgirls erscheinen.)
MEG & SHOWGIRLS WAS EUCH BESTENS UNTERHĂLT!
MEG
WAS EUCH PACKT UND FASZINIERT, UND AUCH MANCHES, WAS SCHOCKIERT.
(Zwei weitere Showgirls erscheinen.)
MEG & SHOWGIRLS ALLES, WAS EUCH GEFĂLLT!
MEG
HIER IN UNSERM ZAUBERREICH
AUF DER BĂHNE SEHT IHR GLEICH
(Zwei weitere Showgirls erscheinen. Alle sechs Showgirls flankieren jetzt den Star.)
MEG & SHOWGIRLS
ALLE WUNDER DIESER WELT!
MEG
JEDE LAUNE DER NATUR, OHNE JEGLICHE ZENSUR!
MEG & SHOWGIRLS
ALLES, WAS EUCH GEFĂLLT!
(Weitere Ensemblemitglieder treten nach und nach auf, darunter das Trio.)
SHOWGIRLS
WENN IHR SPANNUNG UND VERZAUBERUNG UND NERVENKITZEL SUCHT, SEID IHR HIER BEI UNS GENAU AM RECHTEN ORT.
DENN IHR HABT HEUT EINE REISE IN DIE WUNDERWELT GEBUCHT. UND DIE WIRKLICHKEIT VERGESST IHR HIER SOFORT!
MEG
WENN DAS LEBEN EUCH ZU GRAU IST, UND DIE FRAU IST SCHLECHT GELAUNT,
MEG & SHOWGIRLS
DAFĂR HABEN WIR DIE BESTE MEDIZIN.
AMĂSIERT EUCH, ANIMIERT EUCH, VERLUSTIERT EUCH HIER UND STAUNT
ĂBER UNSERE SPEKTAKEL, DIE VERBLĂFFENDEN MIRAKEL. DAMIT KĂNNT IHR EURER ALLTAGSWELT ENTFLIEHN!
SHOWBOYS
WESEN, DIE NOCH KEINER SAH, UND GETIER AUS FERN UND NAH.
SHOWBOYS & SHOWGIRLS ALLES KNURRT UND KRĂHT UND BELLT.
SHOWBOYS
UND EIN TEUFELSGEIGER AUCH. WENN ER SPIELT, ERZEUGT ER RAUCH.
SHOWBOYS & SHOWGIRLS
ALLES, WAS EUCH GEFĂLLT.
SHOWGIRLS
ALLES, WAS MAN SEHEN KANN, VON PERU BIS PAKISTAN,
SHOWBOYS & SHOWGIRLS
SOLLT IHR SEHN FĂR EUER GELD. ES IST BESTENS INVESTIERT, DENN WIR BIETEN GARANTIERT ALLES, WAS EUCH GEFĂLLT.
SOVIEL RUMMEL UND TRARA! SO WAS WAR NOCH NIEMALS DA UNTERM GROSSEN HIMMELSZELT.
ARM UND REICH UND JUNG UND ALT, KOMMT, WIR ZEIGEN EUCH HIER BALD ALLES, WAS EUCH GEFĂLLT.
UND NUN GEHT DER VORHANG AUF.
DENN IHR WARTET SCHON DARAUF, DASS DIE BĂHNE SICH ERHELLT.
MISTER Y HAT GANZ BESTIMMT
DAS, WAS EUCH DEN ATEM NIMMT. ALLES, WAS EUCH GEFĂLLT!
TRIO
HEUTE PRĂSENTIEREN WIR ETWAS, WAS EUCH ALLEN HIER
MĂNNER & FRAUEN
GEFĂLLT!
(Das gesamte Ensemble bildet unter donnerndem Applaus ein Tableau. Als sie sich auflösen und ablaufen, dreht sich die BĂŒhne wieder, und wir befinden uns nun Backstage. Im Hintergrund sehen wir noch das Trio, das mit dem Publikum spricht.)
GANGLE
Meine Damen und Herren, Miss Meg Giry!
FLECK
Das Ooh-la-la-Girl!
SQUELCH
FĂŒnf Shows tĂ€glich!
FLECK
Nur hier im Phantasma!
(Wir blenden uns langsam bei Meg hinter der BĂŒhne ein.)
GANGLE
Und freuen Sie sich jetzt schon auf das groĂartige FrĂ€ulein Fleck,
SQUELCH
Die fabulöse Luftakrobatin!
GANGLE
Halb VogelâŠ
Halb Frau!
SQUELCH
GANGLE
Doch sehen Sie nun zuerst: Squelch, den stĂ€rksten Mann der Welt und seine unglaublicheâŠ
(In der Gasse hinter der BĂŒhne stehen die Showgirls plaudernd herum. Madame Giry geht durch sie hindurch zu ihrem BĂŒro.)
MADAME GIRY
Beeilung, Herrschaften. Ihr habt noch vier Vorstellungen heute! Keine Zeit zu vertrödeln!
(Meg kommt hereingelaufen und stĂŒrzt geradewegs auf sie zu.)
MEG
MUTTER, WAR ICH GUT? MUTTER, WAR DAS SCHĂN? MUTTER, SAG MIR, HAT ER IM VERBORGâNEN ZUGESEHN?
ICH WAR SCHRECKLICH AUFGEREGT, HABâ GEZITTERT UNENTWEGT, UND MEIN KOPF WAR VĂLLIG LEER. ABER PLĂTZLICH FĂHLTE ICH EINE AURA RINGS UM MICH.
MIR WAR KLAR, DAS WAR ER. JA, ICH WEISS, DASS HIER UND DA NOCH NICHT ALLES RICHTIG WARâŠ
Meg!
(Grimmig knallt Giry vor ihrer Tochter eine Zeitung auf den Tisch.)
GIRY
MEG
Mutter? Stimmt etwas nicht?
GIRY
Eine AnkĂŒndigung von Mr. Oscar Hammerstein⊠Christine DaaĂ© hat heute Morgen Paris verlassen, um bei der Eröffnung seines neuen Manhattan Opera House zu singen.
(Aufgeregt nimmt Meg die Zeitung und geht damit zur Seite. Giry bleibt in Gedanken versunken am Schreibtisch sitzen.)
MEG
CHRISTINE, CHRISTINEâŠ
CHRISTINE.
GIRY
EIN JAHRZEHNT, UND JETZT KOMMT SIE HIERHER.
EIN JAHRZEHNT, WĂHREND DESSEN SIE SCHWIEG.
BETEN WIR, DASS SIE SICH HIER BLOSS FERNHĂLT VON UNS, IHM UND SEINER MUSIK.
MEG
Was meinst du?
GIRY
IN PARIS, ALS ER SCHON UMZINGELT WAR, WER WAR DA?
WIR WARâN DA! WO WAR SIE BEI BEDRĂNGNIS UND GEFAHR? SIE LIEF FORT. WIR WARâN DORT. WER HAT IHN IN DUNKLER NACHT HEIMLICH NACH CALAIS GEBRACHT? AUF EIN SCHIFF NACH ĂBERSEE?
MEG
UND WAS SOLL DABEI SEIN? DAS IST LĂNGST VERGANGEN.
GIRY
WER HALF IHM BEIM KAUF SEINER BĂHNE?
MEG
Mutter, hör auf!
GIRY
UND WER LIEF AUF ALLE ĂMTER?
MEG
Das ist doch vorbei.
GIRY
WER HAT GELDGEBER GEBRACHT? NEIN, NICHT SIE!
WIR BLIEBEN BEI IHM, UM IHM BEIZUSTEHEN.
HABEN MIT IHM FREUD UND LEID GESEHEN.
SIE VERRIET IHN, LIESS IHN UNTERGEHEN.
SIE NAHM RAOUL, DER SICH MIT IHR VERSCHWOR. ZOG SCHĂNHEIT UND JUGEND DER SCHĂPFERKRAFT VOR.
NAHM DIE WELT VON RUHM UND GELD. FLOH VOR DEM MEISTER, DER ALLES VERLOR.
MEG
ES KOMMT MIR WIE JAHRZEHNTE VOR, SEIT DU UND ICH IM OPERNCHOR TANZTEN SEIT AN SEIT, VOLLER LEICHTIGKEIT.
NUN BIST DU AUF DEM WEG ZU MIR. NICHT LANGE MEHR, UND DANN SIND WIR WIEDER SEIT AN SEIT, WIE IN ALTER ZEIT.
MEG & GIRY
AH, CHRISTINE! LANG ISTâS HER. ICH SAH ZU, WIE DU AUFSTIEGST ZUM STAR. AH, CHRISTINE! WIE VERSCHIEDEN DER WEG FĂR UNS WAR.
AH, CHRISTINEâŠ
MEG
DU SCHEINST SO WEIT ENTFERNT ZU SEIN, DOCH LĂUFT DEIN SCHIFF SCHON BALD HIER EIN, TRĂGT DICH ĂBERS MEER, BRINGT DICH ZU MIR HER.
UND ICH ZEIG DIR NEW YORK BEI NACHT. MANHATTANS LĂRM UND CONEYS PRACHT. DU UND ICH ZU ZWEIT, WIE IN ALTER ZEIT. WIE VOR LANGER ZEIT.
SZENE 4 â PIER 69
4. CHRISTINE GEHT AN LAND
(Hoch ĂŒber der BĂŒhne erscheint das Phantom. Es liest die Schlagzeile, lĂ€sst dann die Zeitung fallen und eilt davon. Und plötzlich sind wir am Dock, wo die Passagiere eines riesigen Ozeandampfers aussteigen. Eine kleine Willkommenskapelle steht an der Seite und spielt laut.)
(Manhattan. Vor den Toren der Zollstation. Reporter, Fotografen, Angehörige und Zuschauer drĂ€ngen sich, um die an Land gehenden Passagiere zu begrĂŒĂen.)
FOTOGRAF 1
Sind die Passagiere schon von Bord gegangen?
FOTOGRAF 2
Ja, sie sind gerade bei der Passkontrolle.
AUTOGRAMMJĂGER 1
Da kommen sie!
(Die ersten Passagiere kommen durch das Tor: Eine korpulente Dame mit einem Federhut.)
REPORTER 1
Hey, da ist Mrs. Astor.
FOTOGRAF 1
Hallo, Mrs. Astor! Hier drĂŒben!
MRS. ASTOR
Da drĂŒben, Lucille!
AUTOGRAMMJĂGER 1
Wie war Ihre Reise, Maâam?
AUTOGRAMMJĂGER 2
Ist das die neueste Pariser Mode?
(Mrs. Astor dreht sich um, und Blitzlichter flammen auf. Sie wirft ihnen eine Kusshand zu und wird zu ihrer wartenden Kutsche geleitet.)
REPORTER 1
Da ist Colonel Vanderbilt!
FOTOGRAF 1
Hallo, Colonel! Kann ich ein Foto haben?
FOTOGRAF 2
Danke, Colonel!
REPORTER 1
Hey, Colonel, ist Christine Daaé noch an Bord?
VANDERBILT
Ich glaube schon, junger Mann.
AUTOGRAMMJĂGER 3
Was macht sie denn so lange? Auf den Dirigenten warten?
ZUSCHAUER 1
Hey, Christine, wo bist du? Jodelahiti!
FOTOGRAF 2
Da! Da kommt sie ja!
(Alle Augen wenden sich dorthin. Plötzlich, eingerahmt im Durchgang, steht Christine DaaĂ© dort. Sie ist hinreiĂend, eine Ikone, jeder Zoll ein Star.
In einem Moment ehrfĂŒrchtigen Schweigens saugen die Zuschauer diese Vision in sich auf. Dann bricht ein Tumult los. Blitzlichter flammen auf, als die Menge sich um sie schart.)
REPORTER & FOTOGRAFEN
Christine DaaĂ©! Christine DaaĂ©! Hier drĂŒben! Hierher!
(Christine, noch immer schweigend, zieht Gustave beschĂŒtzend nĂ€her an sich heran. Dann:)
RAOUL
Ihr Name⊠ihr Name ist Madame de Chagny! Gehen Sie zur Seite. Zur Seite!
(Ihr Ehemann erscheint. Gutaussehend und elegant, brĂŒsk, wĂŒtend.)
Gustave, komm hierher. Keine Bilder, hören Sie? Keine Bilder von dem Jungen!
(Aber in dem Trubel wird er ignoriert.)
ZUSCHAUER 2
Hey, Christine, singen Sie mal was!
REPORTER 1
Ihr erster Auftritt seit Jahren. Wieso singense denn nichâ an der Met?
RAOUL
Die Vicomtesse wurde von dem renommierten Impresario Mr. Oscar Hammerstein engagiert, um sein neues Manhattan-Opernhaus zu eröffnen.
REPORTER 3
Wie konnte er denn die groĂe Christine DaaĂ© ĂŒberhaupt hierher locken?
ZUSCHAUER 2
Na, mit Geld, oder etwa nicht? Mit guten alten amerikanischen Dollars!
ZUSCHAUER 1
Hey, wie wĂ€râs, wenn sie das singt: âYankee Doodle Dollarsâ!
(Die Menge johlt.)
RAOUL (erbost)
Meine Frau ist KĂŒnstlerin!
FOTOGRAF 2
Ja, und in Frankreich heiĂt es, ihre Kunst besteht darin, die Spielschulden ihres Mannes zu bezahlen.
REPORTER 1
Haben Sie wirklich Ihr gesamtes Vermögen beim Roulette in Monte Carlo verloren?
RAOUL
Sie unverschÀmter Parasit! Was erlauben Sie sich?
REPORTER 3
Hey, Kleiner, was ist das fĂŒr ein GefĂŒhl, so âne berĂŒhmte Mutter zu haben?
REPORTER 1
Bist du zum ersten Mal in Amerika?
FOTOGRAF 1
Die Oper eröffnet erst in zwei Wochen. Was machst du bis dahin?
FOTOGRAF 3
Siehst du dir die Freiheitsstatue an?
ZUSCHAUER 2
FĂ€hrst du mit der neuen U-Bahn?
FOTOGRAF 2
Gehst du zum Baseball?
GUSTAVE (schĂŒchtern)
Ich⊠ich möchte nach Coney Island. (Belustigung und Zustimmung der Menge.)
Und schwimmen lernen.
(Die Menge lacht und johlt, und der Junge sieht verwirrt um sich. Dann, mit plötzlichem Interesse, tritt er nach vorne.)
5. ANKUNFT DES TRIOS
MUTTER, SCHAU,
DIE KUTSCHE DA!
WIE SONDERBAR SIE AUSSIEHT!
GUSTAVE (deutet mit dem Finger)
(Alle Augen wenden sich dorthin, als eine prĂ€chtige in Dampf gehĂŒllte Kutsche erscheint.)
ZUSCHAUER 2
Seht euch das an! Die fÀhrt ja ohne Pferde!
ZUSCHAUER 1
So was VerrĂŒcktes habâ ich noch nie gesehen!
AUTOGRAMMJĂGER 2
Wie geht denn das?
REPORTER 1
Da wird ja der Hund in der Pfanne verrĂŒckt.
REPORTER 2
Nicht zu glauben!
(Die TĂŒren der Kutsche öffnen sich, und das Trio steigt aus.)
GANGLE
SEID GEGRĂSST BEI UNS IN AMERIKA.
ALLE DREI
HIER HINEIN. STEIGT NUR EIN.
SQUELCH
BITTE SEHR. MR. HAMMERSTEIN ERWARTET SIE.
ALLE DREI
KOMM HERAN, KLEINER MANN.
(Gangle hebt Gustave in die Kutsche.)
CHRISTINE Gustave!
RAOUL
Wo ist Mr. Hammerstein? Uns wurde zugesagt, er wĂŒrde uns persönlich hier empfangen.
GUSTAVE (verzaubert)
WIE IM TRAUM FĂHLâ ICH MICH HIER.
WELCHE DINGE ZEIGT IHR MIR?
GANGLE
HIERHER, PRIMADONNA!
FORT VON DIESEN SCHAREN.
(Christine steigt in die Kutsche.)
SQUELCH
WERTER HERR, MR. HAMMERSTEIN SAGT, WIR SOLLâN SIE FAHREN.
RAOUL
Ich gebâs auf. Bringen Sie uns zu Hammerstein!
(Raoul steigt in die Kutsche.)
GUSTAVE
MELODIEN VOLL MAGIE KLINGEN TIEF IN MIR. FANTASIEN, FREMD UND SCHĂN, ZEIGEN SICH MIR HIER
TRIO
LASSEN SIE SICH DARAUF EIN.
ALLES KANN HIER MĂGLICH SEIN.
(Als sich die KutschentĂŒr schlieĂt, ertönt ein lauter Donnerschlag. Die Kutsche rollt gerĂ€uschlos davon, wĂ€hrend die Zuschauer sprachlos dabeistehen. Plötzlich erscheint das Phantom geheimnisvoll von oben.)
PHANTOM
ICH BIN DEIN ENGEL DER MUSE. KOMM ZU MIR, ENGEL DER MUSE.
6. DIE FAHRT NACH CONEY ISLAND (OPTIONAL)
7. DIESE DRECKSSTADT HIER
(Eine gerĂ€umige Hotelsuite. Abend. Ein groĂes Fenster mit kunstvollen VorhĂ€ngen, eine Chaiselongue, einige StĂŒhle und Tische und ein Klavier, auf dem NotenblĂ€tter stehen. Raoul schĂ€umt vor Wut und lĂ€uft mit einem Drink in der Hand im Zimmer auf und ab. Christine lĂ€sst seinen Ausbruch ĂŒber sich ergehen.)
RAOUL
DIESE DRECKSSTADT HIER!
DIESES RATTENLOCH!
DIESES LAND OHNE JEDEN GESCHMACK HIER!
SO ZUR SCHAU GESTELLT
WIE IM ZIRKUSZELT
VOR DEM GANZEN KULTURLOSEN PACK HIER! WAS GLAUBT ER, WEN ER VOR SICH HAT?
(Gustave kommt mit einer Spieluhr herein. Raoul nimmt einen Schluck Brandy und knallt das Glas hin.)
VATER, KOMM
UND SPIEL MIT MIR.
SCHAU MAL HIER, WAS ICH DA HABâ.
RAOUL
GOTT, WAS FĂLLT IHM EIN?
SOLL DAS KOMISCH SEIN, ZUM EMPFANG MISSGEBURTEN ZU SCHICKEN?
FĂR SEIN BLĂDES GELD
AUS DER NEUEN WELT
SOLLEN WIR UNSERN STOLZ UNTERDRĂCKEN?
UNVERSCHĂMTHEIT,
EIN GLATTER SCHLAG INS GESICHT!
DAS VERZEIHâ ICH IHM NICHT!
FAHREN WIR DOCH GLEICH WIEDER HEIM UND LASSEN SCHULDEN SCHULDEN SEIN.
IST UNSâRE WĂRDE SCHON SO KLEIN?
(Raoul fĂŒllt sein Glas wieder auf.)
GUSTAVE
VATER, KOMM UND SPIEL MIT MIR.
RAOUL
Gustave, es reicht. Ich sagte Nein.
CHRISTINE
SEI NICHT EMPĂRT, SCHATZ. ICH GLAUB, MR. HAMMERSTEIN DACHTE NICHT, DASS ES DICH STĂRT, SCHATZ.
RAOUL
UNS DERART ZU BRĂSKIEREN.
WARUM SIND WIR NUR GEKOMMEN?
CHRISTINE
UNS FEHLT DAS GELD DOCH. LEIDER.
DARUM LIEF SO VIEL VERKEHRT, SCHATZ.
RAOUL
DAS IST MAL WIEDER TYPISCH, DASS ICH JETZT DRAN SCHULD BIN.
CHRISTINE
MACHEN WIR KEHRT, SCHATZ. WENN DU NACH HAUS WILLST, KANN ICH DAS VERSTEHN. LASS DEN SCHMERZ VERGEHN.
(Seine Wut legt sich, als sie ihn besÀnftigt. Raoul und Christine umarmen sich. Gustave spielt etwas aus den Noten, die auf dem Klavier stehen.)
CHRISTINE
Was spielst du da, Gustave?
GUSTAVE
Ich weià nicht. Es lag hier auf dem Klavier. Schön, oder?
CHRISTINE
Ja, Liebling. Aber nicht jetzt. Du bist doch bestimmt mĂŒde von der Reise. Komm, sag Vater gute Nacht.
GUSTAVE
Gute Nacht, Vater.
RAOUL
(sieht die Spieluhr an)
SIEH DOCH BLOSS. WIE MAKELLOS.
GUSTAVE
UND PASS MAL AUF, WAS JETZT GESCHIEHT. WENN MAN HIERAN DREHT UND ZIEHT, SPIELT ES GANZ VON SELBST EIN LIED.
RaoulâŠ
Was ist das?
(Das Aufziehspielzeug beginnt zu spielen. Die Melodie lĂ€sst Christine erstarren. Es ist die Musik, die das Phantom in Paris fĂŒr sie geschrieben hat.)
CHRISTINE
(Bevor irgend etwas geschehen kann, klopft ein Page an die TĂŒr und ĂŒberbringt einen Brief auf einem Tablett.)
RAOUL
(Raoul öffnet den Brief und liest. Der Page geht ab.)
CHRISTINE
Was denn?
RAOUL
Von Hammerstein. Er will sich in der Hotelbar mit mir treffen. Allein.
CHRISTINE
Allein?
RAOUL
Tja, es mag ihm an Höflichkeit mangeln, aber wennâs um den Ort fĂŒr ein GeschĂ€ftstreffen geht, zeigt er ein gewisses Savoirfaire.
(Er geht zur TĂŒr.)
CHRISTINE
Raoul, bitte nicht
RAOUL (dreht sich an der TĂŒr um) Nicht was?
CHRISTINE Nichts.
(Die TĂŒr knallt zu.)
GUSTAVE
WARUM SPIELT ER NIE MIT MIR?
LIEBT ER MICH GAR NICHT?
8. FRAGE DEIN HERZ
CHRISTINE
Ach, mein SchatzâŠ
LIEBE MACHT ES DIR SCHWER.
SIE HĂLT SICH OFT VERSTECKT.
SCHAU NICHT AN IHR VORBEI.
SONST BLEIBT SIE UNENTDECKT.
DOCH FRAGE DEIN HERZ, DANN WIRST DU VERSTEHN.
DAS HERZ SIEHT VIEL MEHR ALS AUGEN JE SEHN.
ES ZEIGT DIR GENAU DEN WIRKLICHEN WERT.
FRAGE DEIN HERZ. ES MACHT NICHTS VERKEHRT.
LIEBE IST AUF DEN ERSTEN BLICK NICHT IMMER SCHĂN.
DRUM SCHLIESSE GANZ FEST DIE AUGEN, UND DANN
FRAGE DEIN HERZ, WEIL NUR ES ALLEIN
DIE LIEBE SEHN KANN.
(CHRISTINE)
(plötzlich ernst)
GLAUB MIR, ICH WEISS ES GUT, WIE FALSCH DER SCHEIN SEIN KANN.
LIEBE, DIE MAN VERKENNT, BEREUT MAN IRGENDWANN.
(Sie schweift ab, vielleicht in Erinnerungen verloren. Nach einer langen Zeit:)
GUSTAVE (sie zurĂŒckholend)
FRAGE DEIN HERZ. UND DAS IST GENUG. DAS HERZ MACHT NICHTS FALSCH.
CHRISTINE
DAS HERZ IST ZU KLUG.
GUSTAVE
MISSTRAUE DEM SCHEIN.
CHRISTINE
ER IST OFT NICHT WAHR.
GUSTAVE & CHRISTINE
FRAGE DEIN HERZ. ES SIEHT IMMER KLAR.
GUSTAVE
LIEBE IST AUF DEN ERSTEN BLICK NICHT IMMER SCHĂN.
CHRISTINE
DRUM SCHLIESSE GANZ FEST
DIE AUGEN, UND DANN
FRAGE DEIN HERZ, WEIL NUR ES ALLEIN
DIE LIEBE SEHN KANN.
(Christine umarmt Gustave fest und kĂŒsst ihn.)
CHRISTINE
Und jetzt ab ins Bett, Gustave. Ich komme gleich nach.
(Gustave ab. Das Spielzeug spielt dieselbe rĂ€tselhafte Melodie. Nach und nach erkennen wir, dass sich das Phantom hinter dem Fenster materialisiert hat. Die BalkontĂŒren springen auf und geben den Blick auf das Phantom frei. Christine fĂ€hrt herum â und Christine und das Phantom sehen einander zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder in die Augen. Dann:)
CHRISTINE
WAR ALSO ALLES NUR BETRUG?
EIN LETZTER GROSSER ZAUBERTRICK?
MACHST DEINEN TOD ZUM SCHLUSSAKKORD? KEIN NĂCHSTES MAL UND KEIN ZURĂCK?
UND PLĂTZLICH WAGST DUâS, HIER ZU STEHN, UND DU BEDRĂNGST MICH NOCH EINMAL.
PHANTOM
HĂTTEST DU MEINEN SCHMERZ GESEHN, DU WĂSSTEST, MIR BLIEB KEINE WAHL. MEINE CHRISTINE.
CHRISTINE
DEINE CHRISTINE?
EINE EINZIGE NACHT WAR ICH DEIN, LANG ISTâS HER. UND WIE KĂNNTâ ICH ES JE WIEDER SEIN?
PHANTOM
AH, CHRISTINE.
KAMST DU NICHT DAMALS ZU MIR? IN JENER NACHT SCHIENEN WIR FĂR IMMER VEREINT.
9. IN RABENSCHWARZER NACHT
PHANTOM
MONDLOS WAR DIE NACHT. UND NIRGENDWO EIN LICHT. IM DUNKELN SAHEN WIR DIE HAND VOR AUGEN NICHT.
CHRISTINE
ICH STAHL MICH ZU DIR. VERWIRRT, BESCHĂMT UND BANG. WIE BLIND, DOCH AUFGEWĂHLT VON DEINER STIMME KLANG. UND ICH FAND DICH.
PHANTOM
UND ICH HIELT DICH.
CHRISTINE & PHANTOM UND MUSIK DER SEHNSUCHT HĂRTEN WIR.
CHRISTINE
DEIN HERZ, DAS HEFTIG SCHLUG.
PHANTOM
DEIN ATEM NEBEN MIR.
CHRISTINE
DICH ZU HALTEN,
DICH ZU FĂHLEN,
DICH UMARMEN,
DICH BERĂHREN,
PHANTOM
CHRISTINE
PHANTOM
CHRISTINE & PHANTOM
WELCHE GLUT HAST DU IN MIR ENTFACHT.
CHRISTINE
KEIN AUGE HATâS GESEHN.
PHANTOM
KEIN MUND HAT MICH VERLACHT.
CHRISTINE & PHANTOM
NUR FĂHLEN UND VERSTEHN, IN RABENSCHWARZER NACHT.
CHRISTINE
MIT SEELE UND LEIB ERTASTETE ICH DICH. ICH SAH DIR TIEF INS HERZ UND SAH DEIN WAHRES ICH.
PHANTOM NICHTS HIELT UNS ZURĂCK IM DUNKEL RINGSUMHER.
EIN MANN UND EINE FRAU, NICHT WENIGER, NICHT MEHR. DICH ZU KĂSSEN,
CHRISTINE
DICH LIEBKOSEN,
PHANTOM & CHRISTINE
ENDLICH BLIEB UNS NICHTS DAVON VERSAGT. IM DUNKEL TATEN WIR, WAS WIR SONST NIE GEWAGT.
PHANTOM
DICH ZU SPĂREN, CHRISTINE DICH ZU KĂSSEN,
PHANTOM
DICH BESITZEN, CHRISTINE
DICH EMPFANGEN
PHANTOM & CHRISTINE
HAT UNS BEIDEN SOLCHES GLĂCK GEBRACHT. UND LUST UND RAUSCH UND QUAL SIND WILD IN UNS ERWACHT. NOCHMAL UND DANN NOCHMAL IN RABENSCHWARZER NACHT.
PHANTOM
DANN WAR ES VORBEI, NOCH VOR DEM MORGENLICHT, DA PACKTE MICH DIE SCHAM, DU SĂHEST MEIN GESICHT.
UND WĂHREND DU SCHLIEFST, ERHOB ICH MICH GANZ SACHT UND GLITT ZURĂCK INS NICHTS, IN RABENSCHWARZER NACHT.
CHRISTINE ES WAR LIEBE, TIEFE LIEBE. ICH WĂR DIR GEFOLGT AN JEDEN ORT. DOCH DANN BIN ICH ERWACHT, UND DU WARST EINFACH FORT.
PHANTOM ES WAR LIEBE.
CHRISTINE ES WAR LIEBE.
PHANTOM UND DOCH GING ICH.
TIEFE LIEBE.
CHRISTINE
PHANTOM
DENN DAS GLĂCK LAG NICHT IN UNSâRER MACHT.
CHRISTINE
IN UNSâRER MACHT.
PHANTOM & CHRISTINE
BEREUEN WERD ICHâS NIE. ES WAR UNS ZUGEDACHT. UND NIE VERGESS ICH SIE, DIE RABENSCHWARZE NACHT.
PHANTOM
UND JETZT?
CHRISTINE
DU REDEST NOCH VON JETZT?
FĂR UNSâŠ
(Sie bricht ab.)
GIBT ES KEIN JETZT.
10. EINST IN EINER ANDERâN ZEIT
(Sie eilt auf den Balkon hinaus, und er folgt ihr. Dort stehen sie zusammen, sich gegen den Nachthimmel abhebend, die Welt zu ihren FĂŒĂen, und doch unĂŒberbrĂŒckbar voneinander entfernt.)
CHRISTINE
EINST IN EINER ANDERâN ZEIT FING UNSâRE GESCHICHTE ERST AN. DOCH DU TRAFST DEINE WAHL AUS EIGENEM ENTSCHLUSS.
EINST IN DIESER ANDERâN ZEIT ZERBRACHEN WIR BEINAH DARAN. DOCH NOCH IM TIEFSTEN TAL, DA TUT MAN, WAS MAN MUSS.
MAN LEBT, MAN LIEBT, MAN GIBT DAS, WAS MAN GIBT, GANZ GLEICH, WAS MAN DAFĂR ERHĂLT.
PHANTOM
EINST IN EINER ANDERâN ZEIT, ALS UNSERE LIEBE BEGANN, SAH ICH IHR ENDE SCHON UND WAGTE NICHT DEN SCHRITT.
WĂRâ NOCH DIESE ANDâRE ZEIT, DANN HIELTâ ICH DIE ZEIT EINFACH AN. DOCH JETZT FEHLT MIR DIE KRAFT. JETZT REISST DIE ZEIT UNS MIT.
PHANTOM & CHRISTINE
MAN LEBT, MAN LIEBT, MAN GIBT DAS, WAS MAN GIBT, GANZ GLEICH, WAS MAN DAFĂR ERHĂLT. MAN LEBT, MAN LIEBT, MAN GIBT DAS, WAS MAN GIBT, GANZ GLEICH, WAS MAN DAFĂR ERHĂLT. EINST IN EINER ANDERN ZEITâŠ
PHANTOM
EIN JAHRZEHNT DER SEHNSUCHT HAB ICH NUR DAVON GETRĂUMT, WIE DIESES WUNDERWERK, DIES INSTRUMENT IN DIR EINMAL NOCH FĂR MICH SINGT UND DEN GEIST BANNT, DER MICH QUĂLT UND DURCHDRINGT⊠ACH, CHRISTINE.
Ich weiĂ, was Hammerstein dir bezahlt. Ich verdoppele den Betrag fĂŒr einen einzigen Auftritt. Hier - in meinem Konzertsaal.
CHRISTINE
Nein.
PHANTOM
Nur ein Auftritt, Christine. Ein Lied. Mehr verlange ich nicht.
CHRISTINE
Warum sollte ich? Zehn Jahre lang hast du mich glauben lassen, du wÀrst tot. Und jetzt lockst du uns hierher und erwartest, dass ich auf dein Angebot eingehe - mich dir wieder unterwerfe? Das werde ich nicht tun. Ich schulde dir gar nichts!
(Gustave stĂŒrmt herein und zerstört die Stimmung. Er vergrĂ€bt sein Gesicht im Kleid seiner Mutter.)
11. MAMA, ICH HABâ ANGST
GUSTAVE
MAMA, ICH HABâ ANGST.
DIESER TRAUM - EIN SCHLIMMER TRAUM! JEMAND BĂSES KAM, PACKTE UND ERTRĂNKTE MICH.
(Der Junge fĂŒhlt eine weitere PrĂ€senz im Zimmer, wendet sich von seiner Mutter ab und sieht zum ersten Mal das Phantom.)
CHRISTINE
Schsch, Gustave. Es ist alles gut, Liebling. DAS HIER IST EIN FREUND VON MIR.
PHANTOM (dĂŒster, aber freundlich) SEI BEGRĂSST IN MEINER WELT.
GUSTAVE (zaghaft)
Ihre Welt? Wo sind wir hier?
PHANTOM
Wir sind in Phantasma, kleiner Vicomte. Auf Coney Island. Eine Welt der Phantasie. Wo die Illusion herrscht.
(Die frostige AtmosphÀre ist greifbar, aber Gustave ist sich ihrer nicht bewusst. Das Phantom hebt Gustave auf das BalkongelÀnder.)
WOHIN WĂRDEST DU GERN GEHN? UND WAS WĂRDEST DU GERN SEHN? (zu Christine) ICH BESTEH DRAUF, MADAME.
GUSTAVE (schĂŒchtern)
ICH MĂCHTâ ALLES SEHN, WAS MAN IN PHANTASMA SEHEN KANN. DAS, WAS DUNKEL IST UND WILD UND VON ZAUBEREI ERFĂLLT.
PHANTOM
Morgen wirst du alles sehen. Mehr noch: Ich selbst werde es dir zeigen. Versprochen.
CHRISTINE
Jetzt aber zurĂŒck ins Bett, Gustave.
GUSTAVE
Warum trÀgt er eine Maske, Mama? Ist er ein Zauberer?
CHRISTINE
Ja, SchÀtzchen. Auf seine Art.
(Er geht ins Schlafzimmer ab. Das Phantom wendet sich an Christine.)
PHANTOM
Was fĂŒr ein Kind. Voller Leben. Voll von dir. Meine Christine.
HILF MIR AUS DER TIEFE, TU NUR DAS FĂR DEINEN MENTOR, (plötzlich die Stimmung Ă€ndernd)
DENN SONST KĂNNTE NOCH
DEIN HEISSGELIEBTER SOHN
VERLOREN GEHN AUF CONEY ISLAND, AUS VERSEHN AUF CONEY ISLAND. ACH, CHRISTINE.
CHRISTINE
Was? Was sagst du da? Wie kannst du nur? Nach allem, was zwischen uns war? Wer bist du?
PHANTOM
Ich bin dein Engel der Muse! Ich sterbe, Christine! Ich ersticke hier in der Finsternis! Hauch mir wieder Leben ein! Sing fĂŒr mich! Oder ich werde dir alles wegnehmen, was du jemals geliebt hast.
CHRISTINE
Nein. Nein, das kannst du nicht!
PHANTOM
Oh, und ob ich das kann. Ein Mensch so abstoĂend wie ich, glaub mir, der ist zu allem fĂ€hig.
CHRISTINE
WAS WILLST DU, DAS ICH SING?
PHANTOM (nimmt die Noten vom Klavier) EIN LIED, VERFASST VON MIR.
CHRISTINE
UND DANN LĂSST DU UNS GEHN?
PHANTOM
MIT FĂRSTLICHEM GEHALT. ICH SCHWĂR ES DIR. DEINE WAHL HAT GEWICHT. BLEIBT ER HIER ODER NICHT?
(Das Phantom hĂ€lt Christine die Noten hin. Sie zögert. Dann reiĂt sie sie ihm akzeptierend aus der Hand. Er geht auf den Balkon und verschwindet. Sie sieht sich die Noten an und beginnt zu summen. Als sie von der Musik ĂŒberwĂ€ltigt wird, ĂŒbernimmt das Orchester und lĂ€sst die Musik aufblĂŒhen. Christine geht wie versteinert zum Balkon, ĂŒber den das Phantom gerade verschwunden ist. Da kommt plötzlich Raoul zurĂŒck und zerstört den Moment.)
RAOUL
Er ist nirgendwo zu sehen. Was fĂŒr eine UnverschĂ€mtheit!
CHRISTINE (geistesabwesend)
Wer?
RAOUL
Hammerstein. Was zum Teufel geht nur vor an diesem Ort?
CHRISTINE (ruhig)
LieblingâŠ
Christine?...
RAOUL (beunruhigt)
CHRISTINE (noch ruhiger)
Es hat sich etwas geÀndert, Raoul.
12. UNSER WIEDERSEHN
(Hinter der BĂŒhne des Phantasma. Am nĂ€chsten Tag. Meg und andere TĂ€nzer und TĂ€nzerinnen proben hinten ihren Auftritt. Wir sehen sie von hinten, wie sie die Nummer durchgehen.)
MEG, TĂNZERINNEN & TĂNZER BADENIXE!
SEHT EUCH AN, WIE SIE TRĂUME ERFĂLLT!
LĂSST SICH BESCHEINEN, VOM KOPF BIS ZU DEN BEINEN!
STRECKT SICH UND DEHNT SICH, UND JEDER MANN HIER SEHNT SICH!
WELCH EIN ENTZĂCKEN!
DENN ES BLEIBT DEN BLICKEN BEIM BADE NIX MEHR VERHĂLLT!
BADENIXE, SAG
HALLO!
MEG
(Der Song klappert, als Meg fast von den TĂ€nzern fallengelassen wird.)
GIRY
Meine Herren, das war mir nicht prÀzise genug. Arbeitet noch mal mit Meg daran. MÀdchen, kommt, wir gehen die Port de Bras noch mal durch. MÀnner, denkt an das Plié vor der Hebung, und dann ein bisschen mehr Kontrolle, bitte, ja?
(Gustave jagt Fleck auf die BĂŒhne, dann folgen Christine und Raoul, begleitet von Squelch und Gangle.)
CHRISTINE
Langsam, Gustave. Hier wird gearbeitet. Pass auf!
GUSTAVE
Aber ich will zu Mr. Y und die Insel sehen.
CHRISTINE
Er lÀsst dich bestimmt holen, wenn er soweit ist.
RAOUL
Wer ist dieser Mr. Y ĂŒberhaupt? Was macht er? Abgesehen davon, dass er absurde Summen fĂŒr seichte Unterhaltung ausgibt?
GUSTAVE (aufgeregt)
Vater, schau mal da drĂŒben!
(Gustave und Fleck ab.)
RAOUL
Gustave, langsam!
(Raoul geht Gustave in die Gasse nach. Gangle und Squelch folgen ihm. Christine steht rechts und liest ihre Noten.)
CHORMĂDCHEN (unter dem Dialog) BADENIXE,BRAUNGEBRANNT, BADENIXE,SAG HALLO! SO VERFĂHRERISCH SONNT SIE SICH. SIE IST KĂSTLICH KNACKIG UND KNUSPERIG. UND WIE SIE SICH BEWEGEN KANN, DA KRIEGT JEDER MANN EINEN SONNENSTICH! BADENIXE!
SEHT EUCH AN, WIE SIE TRĂUME ERFĂLLT!
(Meg tritt auf. Sie bleibt abrupt stehen und starrt Christine an.)
MEG
HIMMEL, KANN DAS MĂGLICH SEIN? DA FĂLLT MIR JA NICHTS MEHR EIN!
CHRISTINE
KENNEN WIR UNS?
MEG
OFFENSICHTLICH JA.
CHRISTINE WIRKLICH?
MEG
ĂBERLEGST DU NOCH?
CHRISTINE
WARTE! NEIN, DAS GIBTâS NICHT!
MEG
DOCH!
CHRISTINE
MEG, MEIN GOTT, DAS IST JA WOHL NICHT WAHR!
MEG
SIEH DICH AN, CHRISTINE. SCHĂN ZUM NIEDERKNIEN, SO KĂNIGLICH.
CHRISTINE
MEG, IST DAS EIN TRAUM? ICH HAB DICH JA KAUM ERKANNT.
MEG & CHRISTINE
DICH HIER ZU SEHN! WIEDER NEBEN MIR ZU SEHN!
CHRISTINE
ES IST EWIG HER.
MEG
JETZT BIST DU DA. ICH FREU MICH SEHR.
CHRISTINE
WIE WUNDERBAR,
DICH SO ZU SEHN!
MEG & CHRISTINE
DICH GESUND UND FROH ZU SEHN!
CHRISTINE
WAS MACHT DER BERUF?
MEG
ES LĂUFT BRILLANT.
CHRISTINE & MEG
ICH BIN GESPANNT, WIEâS DIR ERGING.
CHRISTINE (sieht sich um)
JETZT BIN ICH HIER.
MEG
UND SIEHST DICH UM?
CHRISTINE
ICH SING.
(Sie werden durch das Wiedererscheinen der Showgirls unterbrochen. Eine entdeckt Christine und schreit auf.)
SHOWGIRLS
Das ist Christine Daaé!
(Sie alle kreischen und umringen sie, als Giry wieder hereinkommt.)
GIRY
SIE!
DAS SIND JA SIE!
RAOUL (verblĂŒfft)
GIRY
DAS GLAUBT MAN NIE.
RAOUL
NACH ALL DER ZEIT. DIE WELT IST KLEIN.
GIRY WAS FĂHRT SIE HER?
RAOUL (zeigt einen Umschlag) WAS DENKEN SIE?
(Die Showgirls kichern und lachen.)
CHRISTINE. SIE SINGT JA HIER.
GIRY
ICH HABâS GEHĂRT. FĂR HAMMERSTEIN.
RAOUL
DAS IST VORBEI. JEMAND ZAHLT MEHR.
GIRY
ACH JA? UND WER?
RAOUL
HIER, DER VERTRAG. SEHN SIE NUR HER.
(Die Showgirls lassen Meg und Christine allein.)
MEG
AUGENBLICK, WAS SAGST DU DA? DU SINGST HIER?
CHRISTINE SCHON MORGEN, JA.
MEG
NEIN, DAS MUSS EIN MISSVERSTĂNDNIS SEIN. DAS WAR DOCH GEPLANT FĂR MICH. DA SING ICH.
CHRISTINE
ANSCHEINEND NICHT.
MEG
DIESER AUFTRITT SOLL MEIN DURCHBRUCH SEIN.
CHRISTINE
ACH, DAS, WAS ICH SING, IST NUR GANZ GERING. EIN LIED, NICHT MEHR.
MEG (ihre EnttÀuschung weglÀchelnd) WAS IST SCHON DABEI, WENN WIR ALLE ZWEI DA STEHN?
GIRY & MEG
JETZT SEH ICH ES.
NACH UND NACH VERSTEH ICH ES. JEMAND WURDE DA WOHL ĂBERSEHN.
RAOUL
JA, OFFENBAR. DAS KANN GESCHEHN. DOCH SAGEN SIE, DARF ICH SIE WAS FRAGEN, DIESER MR. Y, DER UNS HIER BUCHT, SO GUT BETUCHT, WER IST DENN DER?
GIRY
SIE WISSENâS NICHT?
RAOUL
OH NEIN, WOHER?
NA, ER!
ER?
GIRY
RAOUL
GIRY
JA, GANZ GENAU.
RAOUL
SIE DIENEN IHM?
GIRY
WIE JETZT AUCH SIE.
RAOUL
DANN LEBT ER NOCH. UND MEINE FRAU IST AHNUNGSLOS.
GIRY
DAS WEISS MAN NIE.
(Raoul ist wie vom Donner gerĂŒhrt. Er stĂŒrmt zu Christine.)
CHRISTINE
LIEBLING, GEHT ES DIR AUCH GUT?
(Raoul packt sie fest.)
RAOUL
DIESES LIED FĂR MORGEN, WER HAT ES GESCHRIEBEN?
CHRISTINE
NICHT SO FEST. WIE WEH DAS TUT.
RAOUL
GLAUBST DU DENN, DU KANNST MICH SO BEISEITE SCHIEBEN?
(WĂ€hrend sie sprechen, fĂŒhren Meg und Madame Giry flĂŒsternd ihre eigene Unterhaltung.)
MEG
WAS SOLL DAS HIER?
GIRY
ER HECKT WAS AUS.
GIRY & RAOUL
DAS FINDEN WIR SCHON NOCH HERAUS.
(Alle vier bemerken die Blicke der anderen und nehmen sofort wieder ihre gesellschaftlichen Posen ein.)
CHRISTINE & RAOUL
EUCH HIER
ZU SEHN!
WIEDER NEBEN MIR ZU SEHN!
GIRY
CHRISTINE, WIE SCHĂN!
MEG
VICOMTE, BONJOUR!
CHRISTINE
NICHT ZU VERSTEHN.
RAOUL WAS WILL ER NUR?
ALLE
WIE SEHT IHR DAS?
SAGT MIR MAL, VERSTEHT IHR DAS?
GIRY & MEG EUCH HIER, EUCH HIER ZU SEHN! HIER ZU SEHN, ZU SEHN.
RAOUL & GIRY
IST DAS NUR EIN WITZ?
MEG & CHRISTINE
EIN DUMMES SPIEL?
ALLE
WAS IST SEIN ZIEL?
WO FĂHRT DAS HIN?
ICH MUSS GESTEHN, DASS ICH GANZ RATLOS BIN.
MEG (zu Giry)
DAS GEHT ZU WEIT.
GIRY (zu Meg)
DA FEHLT DER SINN.
CHRISTINE
ICH BRAUCHE ZEIT.
RAOUL
ICH BRAUCH âNEN GIN.
ALLE
WAS MACHT ER NUR?
HĂCHSTWAHRSCHEINLICH LACHT ER NUR.
CHRISTINE
DAS IST DOCH IRR.
MEG
ICH BIN VERDUTZT.
GIRY
ICH FĂHL MICH WIRR.
RAOUL
UND ICH BENUTZT.
ALLE
TROTZ ALLEDEM SOLLTEN WIR UNS GUT VERSTEHN.
GIRY
DAS KLĂRT SICH NOCH AUF.
RAOUL
JA, IRGENDWANN.
ICH WARTE DRAUF.
MEG
ALLE
JETZT KOMMTâS DRAUF AN,
CHRISTINE & RAOUL
NICHT SCHWARZ ZU SEHN, SONDERN UNS INS HERZ ZU SEHN!
SCHLIESSLICH IST DAS HIER EIN WIEDERSEHN NACH LANGER ZEIT. DENN ES IST SCHĂN,
ALLE
EUCH ZWEI ZU SEHN, EUCH VON MISSGUNST FREI ZU SEHN.
GIRY
HEBEN WIR DAS GLAS.
CHRISTINE
JA, AUF EUCH ZWEI.
RAOUL
AUF MISTER Y.
AUFS WOHLERGEHN.
MEG
ALLE
GIRY & MEG
NICHT SCHWARZ ZU, SCHWARZ ZU SEHN, HERZ ZU SEHN, ZU SEHN.
DAS IST HIER WIEDERSEHN. LANGER ZEIT. ES IST SCHĂN,
AUF SYMPATHIE UND UNSER WIEDERSEHN! (Sie erheben die GlĂ€ser.) WIE SCHĂN!
RAOUL
Nichts fĂŒr ungut, aber ich brauche jetzt etwas StĂ€rkeres.
CHRISTINE Raoul!
RAOUL
Madame, wir sehen uns morgen Abend beim Konzert. Wo ihr euch alle beide sicherlich ĂŒbertreffen werdet. Guten Tag.
(Raoul geht ab. Christine ruft ihm hinterher.)
CHRISTINE
Raoul, bitte⊠Ich kann das erklĂ€ren! Oh, Liebling⊠es tut mir leid. Meg, wĂŒrdest du vielleichtâŠ
(Sie sieht sich nach Gustave um.) Gustave?
(Aber der Junge ist verschwunden.)
MEG
Stimmt was nicht?
CHRISTINE
Mein Sohn! Er war bei⊠Gustave! Gustave!
(Sie eilt davon.)
MEG
Christine, warte!
(Sie dreht sich schlieĂlich um und geht ab, wĂ€hrend sich die BĂŒhne verwandelt.)
13. WIE SCHĂN
(Der Adlerhorst. Fleck, Squelch und Gangle erscheinen ganz oben und fĂŒhren Gustave ĂŒber eine schmale Treppe in den Adlerhorst.)
GANGLE
KOMM, MEIN KLEINER, GEH MIT UNS.
FLECK
UNSER RUNDGANG STARTET.
SQUELCH
SEI GESPANNT UND GEH MIT UNS.
ALLE DREI
KOMM, DER MEISTER WARTET.
ZĂGâRE NICHT UND GEH MIT UNS, WENN DU WILDES BLUT HAST.
MACH DIE ODYSSEE MIT UNS.
KOMM, WENN DU DEN MUT HAST.
(Sie kommen in einen schwach beleuchteten Raum. Ein Kronleuchter schimmert im Dunkeln.)
GUSTAVE (sieht sich verzaubert um)
WO SIND WIR HIER?
(Das Phantom erscheint.)
PHANTOM
DIES IST MEIN REICH DER UNWIRKLICHKEIT, DER KUNST, DER MUSIK UND DER SCHĂNHEIT GEWEIHT. Einen Moment noch, kleiner Vicomte, wĂ€hrend ich unser Abenteuer vorbereite.
(Durch ein rÀtselhaftes Verlangen wird Gustave von einem Klavier angezogen.)
GUSTAVE
Darf ich?
PHANTOM
Der junge Vicomte spielt Klavier?
Was ist das?
(Gustave beginnt zu spielen. Ein einfaches, aber unheimliches Lied.)
(interessiert:)
GUSTAVE
NUR EIN LIED IN MIR DRIN.
PHANTOM
Spiel weiter.
(Gustave spielt das Lied noch einmal.)
GUSTAVE
WIE SELTSAM SCHĂN DAS KLINGT. WIE JEDER TON SACHTE SCHWEBT, WIE ER DANN FĂLLT UND ERSTIRBT, SO WIE DIE NACHT. WIE SCHĂN DAS KLINGT.
PHANTOM (fasziniert)
Dieser JungeâŠ
GUSTAVE
WIE WUNDERSCHĂN DAS KLINGT!
PHANTOM
Diese MusikâŠ
GUSTAVE
UND ES KOMMT GANZ WIE VON SELBST.
14. WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT
(Das Phantom hört verzĂŒckt zu, als die Melodie des Jungen plötzlich schrecklich vertraut wird. Er ist wie vom Donner gerĂŒhrt.)
PHANTOM
Spiel das noch mal. NEIN.
DIESE MUSIK! ER KANN SIE HĂREN.
GUSTAVE (ebenso erschĂŒttert)
DIR, DIR GEHTâS WIE MIR. DU KANNST SIE HĂREN.
(Die Musik steigert sich. Mit plötzlicher Dringlichkeit zieht das Phantom den Jungen aus dem Adlerhorst.)
PHANTOM
Und jetzt sing! Sing fĂŒr mich!
GUSTAVE
AAAAHHH
AAAAHHH
(Als wĂŒrde er vom Klang der Musik getrieben, fĂŒhrt das Phantom den Jungen auf einen Rundgang durch die Wunder und die Schrecken von Coney Island. Die BĂŒhne ist plötzlich voll mit den Menschen von Coney, ĂŒbersprudelnd, sinnlich, betrunken, lĂŒstern. Das Phantom zieht den faszinierten Jungen mit sich.)
PHANTOM
HAST DU JE DAHIN GESTREBT, WO DAS UNERFORSCHTE LEBT? WEIT, WEIT FORT AN DEN ORT, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT?
ZIEHT DAS DĂSTERE DICH AN?
SCHLĂGT ES DICH IN SEINEN BANN?
TREIBT DEIN SINN DICH DORTHIN, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT?
KANNST DU FĂHLEN, WIE ES IHR GELINGT, DICH AUFZUWĂHLEN?
SPĂRST DU, WELCHE DINGE SIE GESCHEHN LĂSST?
WELCHE WUNDER SIE DICH SEHN LĂSST UND VERSTEHN LĂSST?
SIE ERKENNT DAS DUNKLE, DAS IN DIR IST. WILLST DU SEHN, WO ALL DAS DUNKLE HIER IST?
GUSTAVE
JA, SOLANGE DU BEI MIR BIST.
PHANTOM
HĂRST DU AUCH MUSIK IN DIR, TAG UND NACHT, UND FOLGST DU IHR
WIE GEBANNT IN DAS LAND, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT?
IST DEIN SEHNEN AUCH SO TIEF?
DEINE GIER SO INTENSIV?
SUCHST AUCH DU IMMERZU, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT?
PHANTOM
DU BESITZT SIE.
CHOR
KOMM UND SIEH! KOMM UND SIEH! KOMM UND SIEH! KOMM UND SIEH!
WO SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT.
KOMM UND FĂHL! KOMM UND FĂHL! KOMM UND FĂHL! KOMM UND FĂHL! WO SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT.
UND AUS JEDEM DEINER BLICKE BLITZT SIE. ES GIBT ORTE, DA KANNST DU SIE SPĂREN, UND ICH KANN DICH DAHIN FĂHREN.
GUSTAVE
JA, ICH SPĂR SIE.
UND EMPFINDE SOLCHE LIEBE FĂR SIE.
ALS OB SIE MEIN LEBEN LANG SCHON DA WĂR
PHANTOM
OH, WAS GĂBâ ICH, WENN DAS WAHR WĂR!
(Nun ĂŒbernimmt Gustave die FĂŒhrung und zieht das Phantom aufgeregt zu sich heran.)
GUSTAVE
WIE WUNDERSCHĂN DAS IST!
WIE SELTSAM SCHĂN DAS IST.
BUNT UND GEWALTIG UND REICH.
PHANTOM
WIE REIN UND SCHĂN ER IST!
OB ER NICHT ZU SCHĂN IST?
NEIN, MEIN VERDACHT KANN NICHT SEIN. DOCH TROTZ DEM ĂUSSEREN SCHEIN EMPFINDEN WIR GLEICH!
(In ekstatischer Verzauberung betrachten der Junge und das Phantom die Erscheinungen ringsum â und einander, wĂ€hrend sie gemeinsam singen.)
CHOR
ETWAS ZWINGT DICH.
UND DER SOG DER DUNKELHEIT DURCHDRINGT DICH.
KANNST DU SPĂRâN, WAS SIE MIT DIR GESCHEHN LĂSST? WELCHE WUNDER SIE DICH SEHN LĂSST?
GUSTAVE
ICH WILL MEHR SEHN!
ALL DAS UNENTDECKTE UM MICH HER SEHN!
PHANTOM
KANNST DU ES ERTRAGEN, DANN BEGINN ICH. BIST DU STARK GENUG?
GUSTAVE
DAS BIN ICH!
ALLE
LASS DICH LEITEN.
UND DU WIRST DIE SCHWELLE ĂBERSCHREITEN.
SIEH DIR AN, WAS NIEMAND ANDRER SEHN SOLL.
LASS GESCHEHEN, WAS GESCHEHN SOLL.
(Jetzt wird die Menschenmenge lichter. Das Phantom bringt den Jungen an einen noch dunkleren und seltsameren Ort, um allein zu sein.
Sie kommen in der berĂŒhmtesten Attraktion des Phantasma an: dem Spiegellabyrinth. Das Phantom starrt Gustave unglĂ€ubig an.)
ALSO SEI ES!
JA!
KOMM NĂHER.
JA!
PHANTOM
GUSTAVE
PHANTOM
GUSTAVE
PHANTOM
WAG DICH HIN, WO DIE SCHĂNHEIT
SICH VERBIRGT.
AH!
DU ERKENNST SIE.
GUSTAVE
PHANTOM
GUSTAVE
JA!
DU ERSTREBST SIE.
PHANTOM
JA!
CHOR
AMOR NUMQUAM, AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
GUSTAVE
PHANTOM
DU VERSTEHST, WO DIE SCHĂNHEIT
SICH VERBIRGT.
IHRE GRĂSSE.
IHRE GRĂSSE,
GUSTAVE
PHANTOM
IHRE WĂRDE.
GUSTAVE WĂRDE!
PHANTOM
ĂBERALL, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
GUSTAVE
DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH
AH
(CHOR)
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
(CHOR)
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH
AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH
AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
DU BEJAHST SIE!
Ja!
DU ERSTREBST SIE!
PHANTOM
GUSTAVE
PHANTOM
GUSTAVE
Ja!
PHANTOM
KOMM UND SIEH, WO DIE
SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
IHRE GRĂSSE.
GRĂSSE.
IHRE WĂRDE.
GUSTAVE
PHANTOM
(CHOR)
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
IHRE WĂRDE!
GUSTAVE
PHANTOM
ĂBERALL, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH
AH
GUSTAVE
DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
PHANTOM
DU BEJAHST SIE!
Ja!
DU UMARMST SIE!
Ja!
GUSTAVE
PHANTOM
GUSTAVE
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
(CHOR)
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH
AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR AH AH AH
(Als er Gesicht an Gesicht mit Gustave steht, nimmt das Phantom die Maske ab.)
PHANTOM
KOMM UND SIEH, WO DIE
SCHĂNHEIT SICH VERâŠ
NUMQUAM
AH AH AH MORIâŠ
(Gustave sieht das Gesicht des Phantoms und schreit vor Entsetzen auf. Der Augenblick ist zerstört.
Das Phantom wendet sich schnell ab und verbirgt sein Gesicht.)
15. DAS PHANTOM STELLT CHRISTINE ZUR REDE
(Die Schreie von Gustave hallen durch das Theater. Christine und Meg kommen hereingestĂŒrmt.)
CHRISTINE & MEG
Gustave! Gustave! Gustave!
GUSTAVE
Es ist schrecklich! Schrecklich!
CHRISTINE (wiegt ihn)
Schsch, Gustave. Es ist alles gut. Ich bin ja hier. Keine Angst.
PHANTOM (tritt vor Christine hin, heftig:)
HAST DU GEGLAUBT, ICH SEH ES NICHT, WAS DU VERBERGEN WILLST VOR MIR?
SAG MIR DIE WAHRHEIT INS GESICHT. ICH WILL SIE WISSEN, JETZT UND HIER!
CHRISTINE (zu Gustave)
Hör mal, Liebling, ich möchte, dass du mit Miss Giry ins Hotel zurĂŒckgehst. Tust du das? Ich muss kurz mit Mr. Y alleine reden.
(zu Meg)
Meg, macht es dir etwas aus?
(Meg nimmt den Jungen an der Hand und geht mit ihm weg. Das Phantom und Christine bleiben alleine.)
CHRISTINE
EINST IN EINER ANDERâN ZEIT LIESST DU MICH ALLEINE ZURĂCK. UND DENNOCH NICHT ALLEIN. ZURĂCK BLIEB AUCH EIN SOHN.
UND IN DIESER GANZEN ZEIT WAR ER MEIN VERBORGENES GLĂCK.
ICH SCHLOSS ES IN MIR EIN, ES BLIEB IN DER EHE GEHEIM. SO HAB ICH JAHRE SCHON GELEBT,
PHANTOM (verzaubert) EIN SOHN!
CHRISTINE GELIEBT,
PHANTOM MEIN SOHN!
CHRISTINE GEGEBEN, WAS ES GIBT, GANZ GLEICH, WAS ICH DAFĂR ERHIELT.
PHANTOM (voller Qual) Vergib mir.
ER SIEHT MICH UND SCHAUDERT, WIE EINST AUCH DU. NIMM IHN NUN, UND DANN MACHT KEHRT. GEHT FORT VON HIER, DOCH EINES SCHWĂRE MIR. DASS ER ES NIEMALS ERFĂHRT.
CHRISTINE (tief bewegt) ICH SCHWĂRâS DIR, UND NOCH EINES SCHWĂR ICH UNBEIRRT. DASS DEINE MUSIK NICHT UNGEHĂRT SEIN WIRD. MUSIK VOLLER SEHNSUCHT UND LEIDENSCHAFT. DEINE KUNST UND MEIN GESANG.
PHANTOM & CHRISTINE EIN LETZTES MAL WIRD UNSER TRAUM REAL.
PHANTOM
DAS HAB ICH ERSEHNT,
CHRISTINE SO LANG.
(Sie dreht sich um und geht. Das Phantom sieht ihr nach. Dann, gedankenverloren:)
AUS ALL DER HĂSSLICHKEIT SOLCH GLANZ, AUS DER ENTSTELLTHEIT SOLCH EIN LICHT. WAS IN MIR FALSCH IST, MACHT ER GANZ. DOCH MICH ZU SEHN, ERTRĂGT ER NICHT.
BIN ICH AUCH SCHAUERLICH FĂR IHN, JAG ICH IHM AUCH ABSCHEU EIN, MUSS ICH VOR IHM INS DUNKEL FLIEHN, SO SOLL ER DOCH MEIN SEGEN SEIN.
DENN, CHRISTINE, AH, CHRISTINE, NUR DURCH IHN FĂNGT MEIN LEBEN NEU AN!
AH, CHRISTINE, UNSERM SOHN GEB ICH, WAS ICH NUR KANN!
AH, CHRISTINE! WAS ICH ERSCHUF AUF DER WELT, ICH WILL, DASS ER ES ERHĂLT. ALLES IST SEIN!
Alles ist sein?
(Triumphierend dreht er sich um und verschwindet nach hinten. Plötzlich tritt aus den Tiefen des Adlerhorstes Madame Giry hervor - verstört und wĂŒtend. Sie hat alles gesehen.)
EIN JAHRZEHNT, UND NUN STĂSST ER UNS WEG. EIN JAHRZEHNT, UND DAS IST NUN DER LOHN.
ALL DIE ZEIT DER BITTERKEIT, UND DANN GEHT DOCH ALLES NUR AN DIESES KIND.
ALL DIE HOFFNUNGEN LIEGEN IM STAUB. ALL DIE TRĂUME UND PLĂNE ENTFLOHâN. NICHTS IST MEHR SO WIE VORHER, WEIL WIR NUN VERSTOSSEN UND AUSSORTIERT SIND.
ALLES, WAS ZWISCHEN UNS WAR, IST VERLORâN. FORT MIT DER ZUNEIGUNG, DIE WIR IHM SCHWORâN. WIR WĂREN REICH, WĂR DER BASTARD NUR NIEMALS GEBORâN!
(Beim Höhepunkt zerbersten die Spiegel. Dunkel.)
- ENDE DES ERSTEN AKTES -
16. ENTRâACTE
SZENE 1 â DIE BAR
17. WELCHEN GRUND HAT SIE?
Noch einen.
(In einer trostlosen, verkommenen Bar am Ende des Piers von Coney Island. Ein langer schmieriger Spiegel verlĂ€uft an der RĂŒckwand der Bar und reflektiert den leeren Raum.
RAOUL sitzt alleine auf einem Barhocker, immer noch in den zerknitterten Kleidern vom Vorabend. Vor ihm stehen mehrere leere GlÀser. Er ist offensichtlich die ganze Nacht hier gewesen.)
RAOUL
BARKEEPER
He, mein Freund, glauben Sie nicht, Sie haben genug? Es ist schon fast Morgen.
RAOUL
Noch einen, habâ ich gesagt!
BARKEEPER
Ja, ist ja schon gut.
(GieĂt ihm einen Drink ein.)
Meine Schicht ist sowieso um. Ich kassier dann mal ab, ja?
(Raoul wirft eine Handvoll MĂŒnzen auf den Tresen.)
Junge, Sie sind aber mies drauf. Noch schlimmer als die meisten, die hier stranden.
(Eine TĂŒr hinter dem Tresen öffnet sich.)
Da kommt die Morgenschicht. Vielleicht weiĂ der, was er mit Ihnen anstellen soll.
(Er nimmt seinen Mantel und geht ab, als ein anderer Barkeeper auftritt.)
RAOUL
Ja, was soll man mit mir anstellen? Das ist die Frage, oder? Das war schon immer die Frage, von Anfang an.
SIE MĂCHTE ZUWENDUNG.
ICH GEB IHR KĂLTE.
SO WIE ICH HINGEBUNG MIT ZORN VERGELTE.
ICH SCHWOR, ICH WĂRDE NIE
IHR HERZ BETRĂBEN.
DOCH WELCHEN GRUND HAT SIE, MICH NOCH ZU LIEBEN?
SIE STREBT NACH DINGEN, DIE
DEN GEIST ERHEBEN.
MUSIK UND POESIE
KANN ICH NICHT GEBEN.
ICH HAB DIE HARMONIE AUS IHR VERTRIEBEN.
GOTT, WELCHEN GRUND HAT SIE, MICH NOCH ZU LIEBEN?
(Er wendet sich an die Gestalt hinter der Bar.)
NOCH EIN DRINK, SIR.
DEN BRAUCH ICH JETZT, UND ZWAR FLINK, SIR. (wendet sich ab.)
LASS DEN SCHMERZ VERGEHN. Haben Sie nicht gehört? Noch ein Drink!
(Wortlos schenkt der Barkeeper ein Glas ein und schiebt es Raoul hin.)
SIE SAH IN MIR FĂR SICH
DEN MANN DES LEBENS.
SIE SUCHT MEIN FRĂHâRES ICH.
SIE SUCHT VERGEBENS.
HINTER DER MASKE HIER IST NICHTS GEBLIEBEN.
WIE NUR GELINGT ES IHR, MICH NOCH ZU LIEBEN?
UND WAS NUN, SIR?
SAGEN SIE, WAS SOLL ICH TUN, SIR?
LASS DEN SCHMERZ VERGEHN.
(Plötzlich fliegt die TĂŒr auf. Meg tritt auf. Sie trĂ€gt einen Badeanzug. Ihr Haar ist nass. Sie war schwimmen.)
MEG
MORGEN, BERNIE!
EIN KAFFEE!
SCHNELL, MIR TUT DIE KĂLTE WEH. MACH IHN STARK UND SCHWARZ.
(Meg sieht Raoul und bleibt wie angewurzelt stehen. Raoul dreht sich erstaunt um.)
MEG
Vicomte⊠Was machen Sie denn hier?
(Raoul steht auf, im Versuch, die WĂŒrde zu bewahren.)
RAOUL
Miss Giry.
MEG
Sie ertrÀnken Ihren Kummer, was?
RAOUL
Im Gegenteil. Ich feiere ein Wiedersehen mit alten Freunden. Von denen ich dachte, sie wÀren lÀngst tot und begraben. Und Sie?
MEG
Ich? Ich war schwimmen.
RAOUL
Aha?
MEG
NEW YORK IST SCHMUTZIG UND GEMEIN. DA BLEIBT KAUM EIN GEWISSEN REIN. JEDER SCHAM BERAUBT. ALLES IST ERLAUBT.
SO KOMM ICH JEDEN MORGEN HER, WASCHE ALLES AB IM MEER, TAUCHE TIEF HINEIN, STILL UND UNGESEHN, WASCH MICH WIEDER REIN, MACH ES UNGESCHEHN, LASS DEN SCHMERZ VERGEHNâŠ
RAOUL
Miss Giry?
MEG
Was glauben Sie, wird geschehen, Vicomte? Beim Konzert? Haben Sie sich das mal ĂŒberlegt? Wenn er sie wieder singen hört? Wenn sie singt.
RAOUL
Tja, Miss Giry. Ich wĂŒnschte, ich wĂŒsste es. Aber ich fĂŒrchte, ihre Musik ist mir immer ein RĂ€tsel geblieben.
MEG
Aber es geht um mehr als die Musik, Monsieur. Glauben Sie mir. Ich habe es gesehen. Irgend etwas⊠Ich weià nicht. Bringen Sie sie von hier weg. Sofort. Um unser aller Willen.
GEHN SIE FORT MIT IHR. BLEIBEN SIE NICHT STEHN.
FLIEHEN SIE VON HIER, OHNE HINZUSEHN.
RAOUL
Was soll das heiĂen? Wovon reden⊠(Sie da?)
MEG
Vertrauen Sie mir, Monsieur. Sie dĂŒrfen sie nicht singen lassen. Sobald er von ihrer Seele Besitz ergreift, gibt es nichts, was sie nicht fĂŒr ihn tun wĂŒrde.
SCHNELL, SIE MĂSSEN GEHN.
(Sie geht ab.)
RAOUL
Miss Giry! (ruft ihr hinterher.) Miss Giry! Er ist kein Mephisto, glauben Sie mir! Letzten Endes ist er nichts weiter als ein Zirkusmonster. Ich habe keine Angst vor ihm!
18. WER VERLIERT, GEHT UNTER
(Er dreht sich um, um wieder in die Bar zu gehen, und steht Auge in Auge dem Phantom gegenĂŒber.)
RAOUL
Nein! Das kann nicht sein!
PHANTOM
Keine Angst vor mir, sagen Sie?
RAOUL
Keinen Schritt nĂ€her. Oder ich bring Sie um, das schwörâ ich Ihnen!
PHANTOM
Impertinenter Laffe. Sie glauben, Christines Seele ist Ihnen nÀher als mir?
RAOUL
Sie ist meine Frau! Sie mag von Ihrer Musik betört sein, aber ihr Herz wird immer mir gehören.
PHANTOM
Glauben Sie? Glauben Sie das wirklich? Ihnen gehören? Mit all Ihren VorzĂŒgen?
PHANTOM
SIE STEHN DA, JĂMMERLICH, VOLL MIT SCHNAPS, OHNE GELD.
WETTEN WIR, SIE UND ICH? WER VERLIERT, GEHT UNTER.
RAOUL
SIE STEHN DA, TEUFELSBRUT, EKELHAFT, DEFORMIERT. WETTEN WIR! ALSO GUT! WER VERLIERT, GEHT UNTER.
PHANTOM
LASSEN WIR
CHRISTINE DIE WAHL,
RAOUL
ABER GERN.
PHANTOM
WEN VON UNS SIE LIEBT.
RAOUL
ABSOLUT.
PHANTOM
WENN SIE SINGT, HEUT NACHT IM SAAL,
RAOUL
WIRD SIE NICHT.
PHANTOM
DANN GEHN SIE FORT.
RAOUL
Gut!
OHNE WORT.
Gut!
PHANTOM
RAOUL
UND WENN SIE SCHWEIGT HEUTE NACHT?
PHANTOM
MACHâ ICH EUCH SCHULDENFREI.
RAOUL FABELHAFT. ABGEMACHT.
PHANTOM & RAOUL (geben sich die Hand) WER VERLIERT, GEHT UNTER!
PHANTOM
ALTES SPIEL, NEUES GLĂCK. JEDER ZUG FOLGENSCHWER.
KEINE TRICKS, KEIN ZURĂCK. EINEN ZIEHTâS HINUNTER.
SPIELEN WIR, SIE UND ICH, NOCH EINMAL, SO WIE EINST. UND AM SCHLUSS ZEIGT ES SICH: WER VERLIERT, GEHT UNTER.
RAOUL (gleichzeitig)
SIE GLAUBEN OFFENBAR, SIE WĂREN MIR VORAUS
UND KONTROLLIERâN DAS SPIEL.
DAS TREIBâ ICH IHNEN AUS. ICH WETTE JEDEN PREIS UND LEGE NOCH WAS DRAUF. ICH BIN VOLL VERTRAUâN.
DENN ICH GEWANN CHRISTINE FĂR MICH
VOR LANGER ZEIT.
ICH WETTE, SOGAR JETZT GEWINNâ ICH SIE ERNEUT.
DANN WERDEN WIR JA SEHN. WER VERLIERT, GEHT UNTER.
PHANTOM & RAOUL ENDLICH HAT
CHRISTINE DIE WAHL, WEN VON UNS SIE LIEBT.
RAOUL
UNS VERBINDET UNSER SOHN.
PHANTOM
ISTâS IHR SOHN?
Wa�
RAOUL
PHANTOM
WER WEISS DAS SCHON?
RAOUL
Was soll das heiĂen?
PHANTOM
DIESES KIND, SCHICKSALSSCHWER, SO BEGABT, VOLL MUSIK. WEM VON UNS GLEICHT ES MEHR? WER VON UNS GEHT UNTER?
RAOUL (erbleichend) Sie lĂŒgen!
PHANTOM
ZWEIFELN SIE
DOCH EIN STĂCK AN CHRISTINE UND DEM KIND?
SPIELâN WIR JETZT UM IHR GLĂCK!
RAOUL (gleichzeitig)
SIE WĂRDE NIE
SIE KĂNNTE NIE
EINEN WIE SIEâŠ
SIE SIND IRR!
DANN SPIELâN WIR JETZT UM MEIN GLĂCK!
PHANTOM & RAOUL
WER VERLIERT, GEHT UNTER!
PHANTOM
SPIELEN SIE UNGENIERT. HOFFEN SIE.
BETEN SIE.
WER GEWINNT, TRIUMPHIERTâŠ
SIE BLUFFEN NUR.
RAOUL (gleichzeitig)
ICH SPIELE MIT.
DANN SEHN WIR JA, WER VON UNS ZU GUTER LETZT TRIUMPHIERTâŠ
RAOUL & PHANTOM
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
PHANTOM
Wenn sie geht, gehen Sie gemeinsam. Die Taschen voll. Die Schulden getilgt. Wenn sie singt, gehen Sie allein. (Er stöĂt Raoul weg und verschwindet. Aus dem Nichts ertönt ein bedrohliches FlĂŒstern.)
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
(Raoul starrt auf die leere Stelle, wo eben noch ein Mann gestanden hat. Dann wird ihm die Gewaltigkeit der Wette klar, die er eben eingegangen ist.)
RAOUL
Mein Gott! Was habâ ich getan? Vielleicht verliere ich sie fĂŒr immer. Meine Christine!
(Er stolpert aus der Bar in Richtung Strand.)
19. EINLADUNG ZUM KONZERT
SEID GEGRĂSST!
(Auf der BĂŒhne des Phantasma. Das schrĂ€ge Trio in seinen seltsam formalen KostĂŒmen wendet sich an uns.)
SQUELCH
GANGLE (mit dem Finger zeigend) SIE, MEIN HERR.
FLECK (ebenso) UND SIE, MEIN FREUND.
TRIO
ALLEN HIER
RATEN WIR:
LASSEN SIE SICH NICHT ENTGEHN, WAS SIE HEUTE BEI UNS SEHN.
SQUELCH
WUNDER UND MYSTERIEN. TAUSEND ATTRAKTIONEN.
GANGLE
ZAUBER UND PHANTOME UND GROSSE SENSATIONEN.
SQUELCH UND DAS FINALE IST BESSER DENN JE.
FLECK & SQUELCH FRISCH AUS PARIS UND MIT WELTRENOMMĂE.
TRIO
DIE STRAHLENDE, HIMMLISCHE CHRISTINE DAAĂ!
FLECK
Doch fĂŒr die unter Ihnen mit dem etwas bodenstĂ€ndigeren GeschmackâŠ
SQUELCH
âŠhier nun zuerst Phantasmas berĂŒhmtes Oh-la-la-Girl!
GANGLE
Die unvergleichlicheâŠ
TRIO
Meg Giry!
20. BADENIXE
(Ein Vaudeville-Prospekt in fröhlichen Farben entfaltet sich: die stilisierte VaudevilleVersion eines Badestrandes. Showgirls in BadeanzĂŒgen kommen auf die BĂŒhne gelaufen und nehmen ihre PlĂ€tze ein. Ein Tusch. Meg erscheint mit einem Sonnenschirm.)
MEG
ICH MACHTE EINE FAHRT NACH CONEY ISLAND UND PACKTE MEINEN BADEANZUG EIN. DOCH WELCHER SOLLTâ ES SEIN?
DIE AUSWAHL WAR NICHT KLEIN. SO PACKTE ICH GLEICH ALLE MIT HINEIN.
DANN KAM ICH SCHLIESSLICH AN AUF CONEY ISLAND UND FAND AUCH EINEN SCHĂNEN PLATZ IM SAND.
DOCH WOHIN ICH AUCH SAH, KEIN ORT ZUM UMZIEHâN DA. DRUM GINGEN MEINE MĂDELS MIR ZUR HANDâŠ
MĂ€dels?
(Die MĂ€dchen halten strategisch HandtĂŒcher hin, so dass nur Megs Kopf, Schultern und Beine zu sehen sind. Mehrere gaffende MĂ€nner treten auf.)
MĂDCHEN
AAAAH! UUUUH! BADENIXE, DU BIST WUNDERSCHĂN!
(Sie senken die HandtĂŒcher und enthĂŒllen Meg in einem knappen Badeanzug. Sie beginnen zu tanzen, mit Meg in der Mitte.)
MEG & MĂDCHEN
BADENIXE, BRAUNGEBRANNT, BADENIXE, SAG HALLO! ALLERSCHĂNSTE
HIER AM STRAND, BADENIXE, MACH UNS FROH! SO VERFĂHRERISCH SONNT SIE SICH, SIE IST KĂSTLICH KNACKIG UND KNUSPERIG. UND WIE SIE SICH BEWEGEN KANN, DA KRIEGT JEDER MANN EINEN SONNENSTICH!
MĂDCHEN & MĂNNER
BADENIXE, SEHT EUCH AN, WIE SIE TRĂUME ERFĂLLT. WELCH EIN ENTZĂCKEN!
DENN ES BLEIBT DEN BLICKEN BEIM BADE NIX MEHR VERHĂLLT!
MĂDCHEN
BADENIXE, BRAUNGEBRANNT!
Karos!
ALLERSCHĂNSTE HIER AM STRAND!
MEG
(Die Wellen legen sich und enthĂŒllen Meg in einem karierten Badeanzug.)
MĂNNER
MEG
Streifen!
MĂDCHEN & MĂNNER BADENIXE! BADENIXE!
MEG PĂŒnktchen?
MĂDCHEN & MĂNNER PĂŒnktchen? PĂŒnktchen? PĂŒnktchen?
MĂNNER
PĂŒnktchen?
MEG (mit breitem unschuldigen LĂ€cheln) PĂŒnktchen?
ALLE
PĂŒnktchen!
BADENIXE, SEHT EUCH AN, WIE SIE TRĂUME ERFĂLLT!
LĂSST SICH BESCHEINEN,
MEG
VOM KOPF BIS ZU DEN BEINEN!
ALLE
STRECKT SICH UND DEHNT SICH
MEG
UND JEDER MANN HIER SEHNT SICH!
ALLE
WELCH EIN ENTZĂCKEN!
MEG
DENN ES BLEIBT DEN BLICKEN
ALLE
BEIM BADE NIX MEHR VERHĂLLT!
BADENIXE, SAGâŠ
HALLO!
MEG
(Meg zieht ihr letztes KleidungsstĂŒck aus und steht nackt hinter dem Sonnenschirm. Der Vorhang des Phantasma fĂ€llt.)
GANGLE
Meine Damen und Herren, Miss Meg Giry, das Oh-la-la-Girl! In nur wenigen Augenblicken wird Christine DaaĂ©, das berĂŒhmteste Singvögelchen der Welt, ihr amerikanisches DebĂŒt hier bei uns im Phantasma geben. (Doch sehen Sie zuerst eine Darbietung von unvorstellbarer Muskelkraft: den MĂ€chtigen Squelch!)
(Unsere Aufmerksamkeit richtet sich nach und nach auf das Geschehen hinter der BĂŒhne.)
21. HAST DU DAS GESEHEN?
(Madame Girys BĂŒro. Madame Giry geht unruhig hin und her. Meg kommt hereingerannt, in einem Bademantel, vor Aufregung ĂŒbersprudelnd.)
MEG
HAST DU DAS GESEHâN?
JETZT HAB ICHâS GESCHAFFT!
MUTTER, MEINE NUMMER LIEF SO UNBESCHREIBLICH GUT!
ANFANGS HAB ICH MICH GEFRAGT, IST DAS NICHT ETWAS GEWAGT, WENN MAN KAUM WAS ANBEHĂLT?
DOCH JETZT HĂR DIR DAS NUR AN: JEDER KLATSCHT, SO LAUT ER KANN. WEIL ES ALLEN GEFĂLLT!
GIRY
MegâŠ
MEG
UND DER MEISTER HATâS GESEHN UND FANDâS SICHER AUCH SO SCHĂN. MUTTER, WAS HAT ER GESAGT?
GIRY
Meg, hör aufâŠ
MEG
SOGAR IHM IST JETZT WOHL KLAR: VOR IHM STEHT SEIN NEUER STAR!
GIRY
LIEBE MEG, DU HAST ALLES GETAN. CHARME UND KĂNNEN, UND DOCH NICHT GENUG.
MEG (gerĂ€t in Panik) Was soll das heiĂen?
GIRY
ALLES WAR GANZ WUNDERBAR, DOCH ER GAB DARAUF NICHT IM MINDESTEN ACHT.
MEG Er war nicht mal da?
GIRY
ARMES MĂDCHEN, WO WAR ER DENN WOHL?
JA, GENAU, ALL DIE ZEIT NUR BEI IHR.
MEG
Bei Christine?
NUN ZĂHLT DOCH
GIRY
SEIN SOHN NUR NOCH. AN DICH HAT ER KEINE SEKUNDE GEDACHT.
Sein Sohn?
Hör auf!
MEG (fast schon hysterisch)
GIRY
ALL DEINE KUNST, DEINE LOYALITĂT,
MEG
GIRY
WAS DU IHM GABST, HAT ER EINFACH VERSCHMĂHT.
MEG
Sag das nicht!
GIRY
JETZT HAT ER SIE⊠(traurig)
UND FĂR UNS IST NUN ALLES ZU SPĂT.
(Madame Giry geht mit einer Aura der EndgĂŒltigkeit ab.)
MEG (mit einem Aufschrei der Verzweiflung) Nein!!!
22. VOR DER VORSTELLUNG
(Christine macht sich vor dem Spiegel fertig. Gustave sitzt an ihrem Schminktisch, fasziniert davon, wie sie sich schminkt.)
CHRISTINE
Gustave, gibst du mir bitte die Ohrringe? Die Saphire da links.
(Gustave gibt ihr gehorsam die Ohrringe, und sie zieht sie an: das letzte i-TĂŒpfelchen.)
CHRISTINE
So! Wie seh ich aus?
GUSTAVE (voller Bewunderung)
MAMA, WIE SCHĂN DU BIST.
WIE WUNDERSCHĂN DU BIST.
EINER KĂNIGIN GLEICH.
CHRISTINE (liebevoll)
WIE SCHĂN DU SELBER BIST.
WIE WUNDERSCHĂN DU BIST.
NACH DIESER VORSTELLUNG HEUT HABEN WIR BEIDE VIEL ZEIT.
NUR ICH UND DU.
(Es klopft an der TĂŒr. Sie öffnet sich. Raoul tritt ein. Mit ihm ist eine groĂe VerĂ€nderung vorgegangen. Tadellos gekleidet, elegant und gutaussehend. Sein Gesicht zeigt keine Spur seines ĂŒblichen Missmuts.)
GUSTAVE
Vater! Sieht Mutter heutâ Abend nicht wunderschön aus?
RAOUL
Allerdings. So wunderschön wie beim ersten Mal, als ich an ihre GarderobentĂŒr kam.
CHRISTINE (deutlich berĂŒhrt)
Und sieh nur dich an, Raoul. Du siehst aus wie der hĂŒbsche Junge in der Opernloge, der mir immer eine rote Rose zuwarf.
RAOUL (freundlich)
ACH, GUSTAVE, ES WĂRE NETT, WENN DU KURZ NACH DRAUSSEN GINGST.
GUSTAVE
Aber Mutter singt doch gleich. Das wollen wir doch nicht verpassen.
CHRISTINE
WARTE KURZ NOCH DRAUSSEN, SCHATZ.
PAPA HOLT DICH GLEICH DORT AB. Ihr könnt beide hinter der BĂŒhne zusehen. (Gustave ab.)
RAOUL
SCHON SEIT LĂNGâRER ZEIT GIBT ES ZUVIEL STREIT.
CHRISTINE
RaoulâŠ
RAOUL (geht ĂŒber ihren Einwand hinweg, allerdings sanft)
UND ICH HABâ MICH OFT SCHEUSSLICH BENOMMEN.
CHRISTINE
Wir haben beideâŠ
RAOUL (lÀsst sich nicht unterbrechen)
ICH HABâ NUR VERLANGT, HABâ DIR NICHTS GEDANKT.
UNSâRER LIEBE IST DAS NICHT BEKOMMEN. ICH HABâ KEIN RECHT, DAS AHNE ICH, ABER TU BITTE EINS FĂR MICH, WENN DU MICH LIEBST, SO WIE ICH DICH.
CHRISTINE
Alles, LieblingâŠ
RAOUL (sammelt sich)
SING NICHT DAS LIED, SCHATZ.
CHRISTINE Was? Aber RaoulâŠ!
RAOUL
GLAUB MIR, DU WEISST JA NICHT, WAS DANN GESCHIEHT, SCHATZ.
CHRISTINE (bestĂŒrzt)
ICH HAB MICH VERPFLICHTET. DAS WĂRâ DOCH NICHT RICHTIG.
RAOUL
ER IST EIN TEUFEL, DER AN UNS ZWEI SEINE RACHE VOLLZIEHT, SCHATZ.
CHRISTINE
LASS MICH DAS VOLLENDEN. BITTE, ES IST WICHTIG!
RAOUL
DAS, WAS DIR WICHTIG IST IN DEINEM LEBEN, HAST DU SO LANG VERMISST. ICH WILLâS DIR GEBEN.
ICH SCHWĂRE, DASS ICH DICH NIE MEHR BETRĂBE.
NUR LASS UNS GEHN, FLEH ICH. FĂR UNSâRE LIEBE!
(Sie kĂŒssen sich.)
CHRISTINE
Aber Liebling, ich muss in zehn Minuten auf die BĂŒhne. Wie soll ich dennâŠ
RAOUL
Bitte. Ich flehe dich an. Ich habe fĂŒr uns drei eine Passage nach Cherbourg auf der Atlantic Queen gebucht. Sie legt heute Abend ab. Lass uns das Schiff nehmen, um unser beider Willen. Und fĂŒr Gustave.
LASS UNS BITTE GEHN.
CHRISTINE
Geh und such Gustave. Sag dem Inspizienten, er soll mich nicht stören. Ich brauche ein bisschen Zeit.
(Sie kĂŒssen sich noch einmal, und Raoul geht. Christine steht auf, um das Zimmer zu verlassen, aber als sie die TĂŒr öffnen will, ist diese auf geheimnisvolle Weise verschlossen.
Plötzlich materialisiert sich das Phantom aus den Schatten hinter ihr. Sie erstarrt in plötzlicher Angst.)
DU WEISST ES SELBER NUR ZU GUT. ALL SEINE LIEBE REICHT NICHT AUS. IN DIR FLIESST GLĂHENDERES BLUT. DU BIST IHM HIMMELWEIT VORAUS.
LASS IHN FĂR IMMER HINTER DIR. NUN IST ES ZEIT, DU SELBST ZU SEIN. DU KANNST DEN WEG NUN GEHN MIT MIR UND DIE MUSIK IN DIR BEFREIâN.
(PHANTOM)
BALD STEHST DU IM HELLEN
LICHTERGLANZ.
BEIFALL BRAUST, DIR ZUM EMPFANG. ES IST SOWEIT.
UND DANN, NACH ALL DER ZEIT
FĂLLT DEN SAAL NUR DEIN GESANG!
(Das Phantom holt wie von Zauberhand ein Halsband hervor und legt es Christine um. Die Vision ist vollstÀndig.)
UND UNSâRE MUSIK FLUTET AUF UND STRAHLT UND BLĂHT, WIE ZWEI MELODIEN, VEREINT IN EINEM LIED.
ERHĂH UNS!
ERLĂS UNS!
MACH UNS GANZ!
BINDE UNS EIN LEBEN LANG.
GLAUB FEST DARAN UND NIMM DEIN SCHICKSAL AN.
ALL DAS MACHT NUR DEIN GESANG!
(Er verschwindet in den Schatten und lĂ€sst sie erschĂŒttert zurĂŒck. Der Inspizient klopft an die TĂŒr, öffnet sie.)
INSPIZIENT
FĂŒnf Minuten, Miss DaaĂ©.
CHRISTINE
WIE STEHT MIR DER SINN?
WAS FANGE ICH JETZT AN?
ICH KANN MICH NICHT ENTZIEHN, SO SEHR ICH ES AUCH WILL⊠OH GOTTâŠ
RAOUL (OFFSTAGE)
CHRISTINE, CHRISTINE, ICH WEISS, WAS ICH VERLANG.
PHANTOM (OFFSTAGE)
DOCH HĂNGEN SIEG UND UNTERGANG
NUN VON DIR AB.
23. WER VERLIERT, GEHT UNTER (QUARTETT)
(Hinter und auf der BĂŒhne des Phantasma. Gustave erscheint und wandert sorglos umher, in Unkenntnis des Dramas, das sich um ihn herum entwickelt. Er sieht der GeschĂ€ftigkeit hinter der BĂŒhne zu. Beim Gehen singt er wortlos vor sich hin.)
INSPIZIENT
SchnĂŒrboden bereit?
BĂHNENARBEITER 1
SchnĂŒrboden bereit!
RAOUL
SINGT SIE HEUT
DIESES LIED?
ODER FLIEHT
SIE MIT MIR? WAS WIRD SEIN? WAS GESCHIEHT? WER VERLIERT, GEHT UNTER.
INSPIZIENT
BĂŒhne bereit?
BĂŒhne bereit!
BĂHNENARBEITER 2
RAOUL
BLEIBT SIE HIER?
KEHRT SIE UM?
DOCH WARUM SOLLTE SIE?
OH, CHRISTINE, BLEIBE STUMM. WER VERLIERT, GEHT UNTER.
PHANTOM (gleichzeitig)
TU, WAS DU FĂHLST UND SING FĂR MICH. DU WILLST ES SO. BLEIB UND SEI MEIN AUF EWIGLICH. WER VERLIERT, GEHT UNTER.
RAOUL & PHANTOM
TRIFF DIE WAHL!
ES IST SOWEIT. TUâS FĂR UNSERN SOHN.
PHANTOM
DENK GUT NACH!
RAOUL VERGISS, WAS WAR.
ES WIRD KLAR BEIM ERSTEN TON.
RAOUL & PHANTOM
Graben bereit?
Graben bereit!
RAOUL
BLEIBT SIE HIER?
KEHRT SIE UM?
DOCH WARUM
SOLLTE SIE?
OH, CHRISTINE, BLEIBE STUMM.
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
BĂHNENARBEITER 3
PHANTOM
TU, WAS DU FĂHLST UND SING FĂR MICH. UND SING FĂR MICH.
DU, ICH, DAS KIND, AUF EWIGLICH.
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
BLEIBT SIE HIER?
KEHRT SIE UM?
DOCH WARUM
SOLLTE SIE?
OH, CHRISTINE, BLEIBE STUMM.
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
TU, WAS DU FĂHLST UND SING FĂR MICH. UND SING FĂR MICH.
DU, ICH, DAS KIND, AUF EWIGLICH.
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
GIRY
VIELLEICHT VERSAGEN IHR DIE NERVEN HEUTE NACHT.
VIELLEICHT HAT IHRE STIMME NICHT DIE ALTE MACHT.
UND MEG UND ICH BEKOMMEN, WAS UNS ZUGEDACHT.
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
VIELLEICHT VERSAGEN IHR DIE NERVEN HEUTE NACHT. VIELLEICHT HAT IHRE STIMME NICHT DIE ALTE MACHT.
UND MEG UND ICH BEKOMMEN, WAS UNS ZUGEDACHT.
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
ALLES STEHT
NUN AUF DEM SPIEL. UND ES IST SOWEIT.
VOR UNS LIEGT
DER LETZTE SCHRITT, UND DAMIT
WEISS ICH BESCHEID.
(Gustave wird von einem BĂŒhnenarbeiter in eine Gasse der BĂŒhne geleitet. Giry huscht neben das Phantom.)
GIRY (mit Grabesstimme)
Ich hoffe nur, Christine ist deiner wĂŒrdig. Ich hoffe, ihr Gesang macht wieder gut, was deine Blindheit Meg und mir angetan hat.
(In der gegenĂŒberliegenden Gasse legt Meg lĂ€chelnd einen Arm um den Jungen.)
MEG
WER VERLIERT, GEHT UNTER.
Und⊠Vorhang!
(Das Orchester wird leiser und verstummt dann.)
INSPIZIENT
(Stille.)
(Auf der BĂŒhne des Phantasma. Der Vorhang öffnet sich: Christine steht da, in einem atemberaubenden Kleid. Das Orchester spielt Christines Einsatz. Eine quĂ€lende Pause â und dann singt Christine das Lied, das das Phantom fĂŒr sie geschrieben hat.)
WO KOMMT DIE LIEBE HER?
WIE FĂNGT DIE LIEBE AN?
AUF EINMAL IST SIE DA, EH MANâS BEGREIFEN KANN.
SIE STIEHLT SICH IN DEIN HERZ. DIE SEELE FĂLLT SIE DIR.
SIE ĂBERRUMPELT DICH. UND DANN GEHĂRST DU IHR.
WEHRE DICH NICHT.
IHRE MACHT IST ZU GROSS.
WENN DICH DIE LIEBE PACKT, LĂSST SIE DICH NIE MEHR LOS.
LIEBE STIRBT NIE.
LIEBE VERGEHT NIE.
IHRE VERSPRECHEN
MACHT SIE WAHR. WAS AUCH GESCHIEHT, LIEBE VERWEHT NIE.
HERZEN ZERBRECHEN.
SIE BLEIBT DA. HERZEN ZERBRECHEN. SIE BLEIBT DA.
WENN DU DICH IHR ERGIBST, HEILLOS, MIT HAUT UND HAAR, IST NICHTS MEHR AUF DER WELT SO WIE ES VORHER WAR.
SIE TUT DIR SCHRECKLICH WEH. SIE LĂSST DICH SELIG SEIN. SIE ĂBERFLUTET DICH, SIE HAUCHT DIR LEBEN EIN.
LIEBE BRINGT LEIDEN UND LIEBE BRINGT GLĂCK.
MAG BEIDES AUCH VERGEHN, SIE BLEIBT DOCH ZURĂCK.
IHRE VERSPRECHEN
MACHT SIE WAHR.
LIEBE STIRBT NIE.
LIEBE VERGEHT NIE.
HERZEN ZERBRECHEN. SIE BLEIBT DAâŠ
(Mit groĂer WĂŒrde dreht Raoul sich um und geht. Christine sieht ihn fortgehen und bricht ab. Sie will die Hand nach ihm ausstrecken, ist aber nicht fĂ€hig dazu. Sie wendet sich wieder dem Publikum zu, einem Publikum, das keine Ahnung davon hat, was gerade geschehen ist.)
HERZEN ZERBRECHENâŠ
LIEBE STIRBT NIE.
LIEBE VERGEHT NIE.
WOHIN DAS LEBEN UNS AUCH TREIBT. WAS AUCH GESCHIEHT, ENDLOS BESTEHT SIE.
FLIEHT AUCH DAS LEBEN, LIEBE BLEIBT.
(Dann findet sie Mut in der Entscheidung, die sie getroffen hat. Sie nimmt sich mit aller Kraft zusammen und singt mit jeder Faser ihres Körpers.)
FLIEHT AUCH DAS LEBEN, LIEBE BLEIBT.
(Alleine auf der BĂŒhne, nimmt Christine erschöpft den tosenden Applaus, den Blumenregen, die Rufe und Bravos entgegen.)
25. AH, CHRISTINE
(Christine kommt in ihre Garderobe. Das Phantom ist dort und erwartet sie.)
PHANTOM
AH, CHRISTINE!
AH, CHRISTINE!
WELCHES GLĂCK HAST DU MIR HEUT BESCHERT!
AH, CHRISTINE!
ALL DIE JAHRE DES LEIDS WAR ES WERT!
AH, CHRISTINE!
CHRISTINE
DAS LIED WAR WUNDERSCHĂN. ES KLANG SO WUNDERSCHĂN.
JEDER TON, JEDES WORT. ICH FAND ES WUNDERSCHĂN, FĂHLTE MICH WUNDERSCHĂN!
PHANTOM & CHRISTINE
WIEDER IM BANN DER MUSIK, DIE HĂCHSTE HĂHEN ERSTIEG, LEBENDIG UND FREI!
(Sie kĂŒssen sich. Auf ihrem Schminktisch sieht sie eine einzelne rote Rose und einen Brief. Sie öffnet den Brief und liest.)
CHRISTINE
âMeine geliebte FrauâŠâ
(Im Hintergrund erscheint Raoul in einer Lichtinsel und singt die Worte, die sie liest.)
RAOUL
âLIEBES LOTTCHEN, ICH BITTâ DICH, VERGIB MIRâŠâ
CHRISTINE
Raoul, nein!
RAOUL
âLIEBES LOTTCHEN, ACH, WIE JUNG WAREN WIR,â
RAOUL & CHRISTINE (Christine stimmt ein)
âWIE NAIV, LANG ISTâS HER,â
CHRISTINE
ââŠIN PARIS, IN DER OPERâŠâ
RAOUL (spricht ĂŒber das Vorherige) Romantische Narren.
CHRISTINE(liest den Brief weiter.)
âDIESE ZWEI GIBT ES NICHT MEHR.â
RAOUL & CHRISTINE
âNUN MUSS ICH GEHN, MEIN SCHIFF FĂHRT SCHON BALD. DIE OPER IST VORBEI, DIE MUSIK IST VERHALLT.
ICH VERTRAU DICH DEM ENGEL DER MUSE NUN AN. ER GEBE DIR DAS, WAS ICH NICHT GEBEN KANN.â
RAOUL
Der Deine, mit dem gröĂten BedauernâŠ
CHRISTINE âRAOUL.â
(Sie bricht ab, und Raoul verschwindet. Christine bleibt gedankenverloren zurĂŒck. Dann, mit einem Ruck:) Gustave!
PHANTOM (Böses ahnend) Was hast du?
CHRISTINE (mit plötzlicher Angst) Gustave!
PHANTOM
Was ist mit ihm?
CHRISTINE
Ich sagte ihm, er soll auf Raoul warten. Bevor er mich bat⊠Aber das wĂŒrde er doch nichtâŠ
PHANTOM (heftig)
DIESER HEIMTĂCKISCHE SCHUFT!
ICH ZERREISS IHN IN DER LUFT! NIMMT SICH EINFACH DAS KIND, DAS NICHT DAS SEINE IST.
(Augenblicklich erscheint Squelch.)
Herr? DER VICOMTE DE CHAGNY GING GANZ ALLEIN, HERR. HABâ ES SELBST GESEHN, HERR. ES WAR NIEMAND BEI IHM.
WAR VIELLEICHT JEMAND ANDERS NOCH HIER?
PHANTOM
MADAME GIRY, SIE WAR HIER, MIT DEN AUGEN VOLLER GIER UND DEM BĂSEN GESCHWĂTZ, DIESE FALSCHE SCHLANGE OHNE HERZ!
SCHAFFT SIE SCHNELLSTENS HER ZU MIR!
ICH WILL MEINEN JUNGEN HIER!
DIESE HEXE BĂSST DAFĂR!
(Gangle erscheint in der TĂŒr. Er stöĂt Madame Giry vor sich her.)
GIRY (aufgebracht)
Was hat das zu bedeuten? Was fÀllt deinen Zirkusmonstern ein, mich so zu behandeln?
PHANTOM (packt sie grob)
Der Junge, Weib! Was hast du mit ihm gemacht?
GIRY
Der Junge? Du denkst, ich habe den Jungen entfĂŒhrt? Warum sollte ich so etwas tun? (Tadelnd) Glaubst du, ich weiĂ nicht, wer er ist?
(Fleck erscheint aus dem Schatten.)
FLECK (leise)
Herr?
ALS ICH IN MEGS ZIMMER SAH, WAR ES LEER UND NIEMAND DA. NUR DER SPIEGEL WAR VĂLLIG ZERSPLITTERT UND ZERSTĂRT.
GIRY (in Panik)
GOTT, SIE WAR SO FASSUNGSLOS. DIE ENTTĂUSCHUNG WAR ZU GROSS. DUMMES KIND, WAS TUT SIE BLOSS?
CHRISTINE
Mein armer Gustave!
GIRY
DOCH NIEMALS WĂRDE MEG IHM ETWAS ANTUN.
(Das Phantom ist sehr still geworden.)
PHANTOM (mit plötzlicher Entschlossenheit) Ich weiĂ, wo sie hingeht. Aber wir mĂŒssen uns beeilen!
(Das Theater löst sich auf und wird zu dem Tollhaus, das Coney Island bei Nacht darstellt.)
26. DIE STRASSEN VON CONEY ISLAND
(Die StraĂen von Coney Island. Ăberall Menschenmassen, ein riesiger unwirklicher Zirkus.)
MENGE
KOMM UND SIEH!
KOMM UND SIEH!
KOMM UND SIEH, WO SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
KOMM UND FĂHL!
KOMM UND FĂHL!
KOMM UND FĂHL, WO SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
ETWAS ZWINGT DICH.
UND DER SOG DER DUNKELHEIT DURCHDRINGT DICH.
KANNST DU SPĂRâN, WAS SIE MIT DIR GESCHEHN LĂSST?
WELCHE DINGE SIE DICH SEHN LĂSST?
(Meg tritt auf. Hand in Hand mit dem begeisterten Gustave schlÀngelt sie sich durch die Menge.)
MEG
LASS UNS GEHN, SCHATZ.
DU HAST SO VIEL HIER NOCH NICHT GESEHN, SCHATZ. EIN GEHEIMNIS WARTET NOCH, DAS SPĂR ICH. KOMM SCHNELL MIT MIR, UND ICH FĂHR DICH.
GUSTAVE
BITTE FĂHR MICH
ZU DEN ORTEN, DIE NOCH UNENTDECKT SIND UND VOR DENEN ANDERE ERSCHRECKT SIND.
MEG
KOMM UND SIEH, WO SIE VERSTECKT SIND.
MENGE
GEHN, SCHATZ! SEHN, SCHATZ! SPĂR ICH! FĂHR DICH! AAAH AAAH AAAH AAAH
MENGE
ETWAS ZWINGT DICH.
UND DER SOG DER DUNKELHEIT DURCHDRINGT DICH.
KANNST DU SPĂRâN, WAS SIE MIT DIR GESCHEHN LĂSST?
WELCHE DINGE SIE DICH SEHN LĂSST UND VERSTEHN LĂSST?
DENN SIE WEISS, DASS JEDER TRAUM DAHIN IST, WEISS, DASS KEINE SCHĂNHEIT IN DIR DRIN IST UND DASS ALLES OHNE SINN IST.
(Meg drĂ€ngt sich an den schattenhaften Gestalten vorbei. Sie und der Junge werden von der Menge verschluckt, die sich hinter ihnen schlieĂt.)
MENGE
SO GESCHIEHT ES.
GEH NĂHER.
WAG DICH HIN, WO DIE SCHĂNHEIT
SICH VERBIRGT. NUN ERKENN SIE!
UND ERJAG SIE!
SUCH DEN ORT, WO DIE SCHĂNHEIT
SICH VERBIRGT.
VOLLER GRĂSSE.
VOLLER GRĂSSE,
VOLLER STĂRKE
STĂRKE!
MENGE 1
MENGE 2
MENGE 1
MENGE 2
MENGE 1
ĂBERALL, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
MENGE 2
DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
MENGE AKZEPTIER SIE!
UND DANN WAG SIE!
SIEH DIR AN, WO DIE SCHĂNHEIT
SICH VERBIRGT!
IHRE GRĂSSE!
MENGE 1
CHOR
AMOR NUMQUAM, AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM AH AH AH
MORITUR! AH AH AH
AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM AH AH AH
MORITUR! AH AH AH
AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH
AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM AH AH AH
GRĂSSE!
IHRE STĂRKE!
IHRE STĂRKE!
MENGE 2
MENGE 1
MENGE 2
MENGE 1
GEH DORTHIN, WO DIE SCHĂNHEIT
SICH VERBIRGT!
MENGE 2
DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT!
MENGE
NUN BEGRĂSS SIE!
UND ERTRAG SIE!
DU BIST DA, WO DIE SCHĂNHEIT
SICH VERBIRGT!
MORITUR! AH AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM, AH AH AH
AMOR NUMQUAM AH AH AH MORITUR! AH AH AH AH
SZENE 10 â DER PIER
27. ACH, MISS GIRY
(Ăbergang zum heruntergekommenen Pier. Meg tritt auf. Sie zieht Gustave hinter sich her. Er windet sich, aber sie hĂ€lt ihn in einem schraubstockartigen Griff.)
GUSTAVE
ACH, MISS GIRY. ICH MĂCHTE ZURĂCK ZU MEINER MUTTER.
MEG (ihn ignorierend)
DAS MEER IST STILL, DAS MEER IST KLAR.
WĂSCHT ALLES FORT, WAS JEMALS WAR.
(Sie hat ihn ans Ă€uĂerste Ende des Piers gebracht. Dunkles Wasser schĂ€umt unter ihnen.)
GUSTAVE
Bitte, Sie tun mir weh. Ich kann nicht schwimmen.
MEG
Keine Angst. Es ist bald vorbei. TIEF, GANZ TIEF HINEIN, STILL UND UNGESEHN. UND DORT SCHLĂFT MAN EIN, LĂSST ES RUHIG GESCHEHN. LĂSST DEN SCHMERZ VERGEHN.
(Plötzlich:)
CHRISTINE
Gustave!
(Das Phantom, Christine und Giry sind herangekommen. Beim Klang der Stimme seiner Mutter sieht Gustave auf.)
GUSTAVE
Mutter?
(Meg stöĂt Gustave bis ans Ende des Piers.)
PHANTOM
Lass den Jungen los!
(Das Phantom winkt die anderen zurĂŒck und geht auf Meg zu.)
MEG (wild)
KOMM MIR NICHT ZU NAH!
PHANTOM (mit zusammengebissenen ZĂ€hnen)
Lass ihn los, MĂ€dchen.
MEG
KEINEN WEITâREN TON!
ICH HAB SO GEWOLLT, DASS DU MIR ZUSIEHST. JETZT SIEH ZU!
(Meg zieht Gustave zurĂŒck.) (klagend)
ICH MACHTE EINE FAHRT NACH CONEY ISLAND. NUR DEINETWEGEN KAM ICH DOCH HIERHIN.
ICH TAT, WAS MUTTER SAGT UND HABâ NICHT VIEL GEFRAGT.
ICH DACHTE MIR, ES HAT SCHON SEINEN SINN.
(MEG)
DOCH ES IST NICHT SO LEICHT AUF CONEY ISLAND, WEIL DU HIER OHNE GELD VERLOREN BIST.
SO GAB ICH ALLES HER.
UND BALD BLIEB MIR NICHTS MEHR.
JETZT SIEH NUR, WAS AUS MIR GEWORDEN IST. (mit Selbsthass)
BADENIXE, STADTBEKANNT, BADENIXE IST FĂR ALLE DA. KENNT IM DUNKELN
JEDEN ORT, JEDEN MUND, JEDEN SCHOSS, JEDES BETT!
GIRY (voller Entsetzen)
Meg, meine kleine Meg!
MEG
UND WER SANG WEITER, UM DIR ZU GENĂGEN?
TANZTE WEITER, ANDERN ZUM VERGNĂGEN?
WER STARB WEITER, UND DU LIESST SIE LINKS LIEGEN?
(Meg stöĂt Gustave wieder an den Rand des Piers. Alle schreien auf.
Meg zieht Gustave reumĂŒtig zurĂŒck und stöĂt ihn zu Christine. Dann zieht sie eine Pistole, richtet sie zuerst auf das Phantom und hĂ€lt sie sich dann selbst an den Kopf.)
JETZT HABE ICH DEINE AUFMERKSAMKEIT.
AUF ZUM FINALE, UND DANN KANNST DU GEHN.
PHANTOM (sanft, mit steigender IntensitÀt)
ALLES WIRD GUT, MEG.
GIB MIR DIE WAFFE, DEN SCHMERZ UND DIE WUT, MEG.
GIB MIR DIE SCHULD DAFĂR, DASS ICH NICHT SAH, WAS IHR TUT, MEG.
ALLES WIRD GUT, MEG.
GIB MIR DIE CHANCE, DICH ENDLICH KLAR ZU SEHN.
MEG (will ihm glauben)
ENDLICH KLAR ZU SEHN.
PHANTOM
DU BIST WĂTEND UND VERLETZT, FĂHLST DICH NICHT VON MIR GESCHĂTZT.
DAS TUT WEH, DOCH ICH SEH, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT.
JaâŠ
MEG (schwankend)
PHANTOM (geht nÀher an sie heran)
JA, ICH HAB DICH IGNORIERT, WEGGESCHOBEN UND BRĂSKIERT.
DOCH MIR WAR
IMMER KLAR, WO DIE SCHĂNHEIT SICH VERBIRGT.
MEG (wie hypnotisiert, entspannt sich) Ja...!
PHANTOM (kommt noch nÀher heran)
SELBST EIN DIAMANT GLĂNZT NICHT,
STEHT ER NICHT IM RECHTEN LICHT.
WEM IST SCHON DIE GUNST VERLIEHâN, SO ZU GLĂNZEN WIE CHRISTINE?
MEG (plötzlich wĂŒtend)
CHRISTINE!
CHRISTINE! IMMER CHRISTINE!
(Es kommt zu einem Gerangel zwischen Meg und dem Phantom, und plötzlich geht mit einem erschreckend lauten Knall die Pistole los.)
28. FINALE
(Alle erstarren.
Dann sinkt Christine langsam zu Boden Meg lÀuft auf sie zu, schreiend vor Reue.)
PHANTOM
Nein! Bleib weg von ihr! Giry! Holen Sie Hilfe! Schnell!
(Meg rennt weg, sofort gefolgt von Madame Giry.)
GIRY
Meg!
GUSTAVE
Vater! Wo ist Vater?
CHRISTINE
GustaveâŠ
Dein VaterâŠ
(Zum Phantom, nach einer Pause:)
Nein!
PHANTOM (erkennend)
CHRISTINE
Ich weiĂ. Ich habe es versprochen. Aber du bist jetzt alles, was er noch hat. Er muss die Wahrheit erfahren.
PHANTOM (verzweifelt)
Christine⊠neinâŠ
(Seine Hand fĂ€hrt an sein Gesicht, als wolle er die Maske dort fĂŒr immer festzementieren.)
CHRISTINE
Gustave, dein Vater⊠dein wirklicher Vater⊠ist hier.
(Gustave sieht mit weit aufgerissenen Augen zum Phantom empor.)
CHRISTINE
FRAGE DEIN HERZ, DANN WIRST DU VERSTEHN.
(Zögernd streckt das Phantom die Hand aus, um ihn zu trösten. Gustave weicht instinktiv zurĂŒck.)
DAS HERZ SIEHT VIEL MEHR ALS AUGEN JE SEHN.
GUSTAVE
Nein!
(Gustave rennt davon.)
CHRISTINE
Gustave!
(Sie bricht ab und fĂ€llt ihn Ohnmacht. Sie liegt in den letzten ZĂŒgen.)
PHANTOM
Gustave! Gustave!
(Er kommt nÀher.)
EINST IN EINER ANDERâN ZEIT, ALS UNSâRE GESCHICHTE BEGANN, WAR MIR GANZ KURZ VERGĂNNT, DAS GRĂSSTE GLĂCK ZU SEHN.
UND NUN BLEIBT UNS KEINE ZEIT. DABEI FING ES GERADE ERST AN. UND WAS WIRD AUS GUSTAVE? WAS SOLL NUN GESCHEHN?
CHRISTINE
NUN LEB UND LIEB.
DAS, WAS DU KANNST, DAS GIB. UND NIMM DAS GLĂCK, DAS DU VERDIENST.
CHRISTINE & PHANTOM
NUN LEB UND LIEB UND GIBâŠ
(Sie bricht ab, unfÀhig fortzufahren.)
PHANTOM
ICH GEBE, WAS ICH KANN, UND NEHME JEDES SCHICKSAL AN.
CHRISTINE
KOMM NĂHER, KOMM ZU MIR. KOMM GANZ NAH. VERGISS NICHT, LIEBE STIRBT NIE. KĂSS MICH NOCH EINMAL.
(Die Musik schwillt an. Sie kĂŒssen sich. Dann löst das Phantom sich von Christines leblosen Lippen.)
PHANTOM
Nein!
(Gustave tritt mit Raoul auf. Gustave legt sich hin und umarmt Christine Das Phantom erkennt, dass es endlich eine Familie hat.
Raoul kommt heran und tauscht mit dem Phantom den Platz. Er hÀlt nun seine tote Frau im Arm. Wieder allein, geht das Phantom zum Ende des Piers. Er bricht vor Trauer zusammen.
Gustave tritt zaghaft an das Phantom heran und legt ihm dann eine Hand auf die Schulter.
LIEBE STIRBT NIE. LIEBE VERGEHT NIE. WOHIN DAS LEBEN UNS AUCH TREIBT. LIEBE STIRBT NIE. EWIG BESTEHT SIE.
(Gustave wirft sich in die Arme des Phantoms. Er nimmt ihm die Maske ab und berĂŒhrt sein Gesicht. Vorhang.)
29. APPLAUSMUSIK
ALLE
LIEBE STIRBT NIE. LIEBE VERGEHT NIE. IHRE VERSPRECHEN
MACHT SIE WAHR. WAS AUCH GESCHIEHT, LIEBE VERWEHT NIE. HERZEN ZERBRECHEN. SIE BLEIBT DA. HERZEN ZERBRECHEN. WAS AUCH GESCHIEHT, ENDLOS BESTEHT SIE.
FLIEHT AUCH DAS LEBEN, LIEBE BLEIBT. FLIEHT AUCH DAS LEBEN, LIEBE BLEIBT.
30. PLAYOUT