Textbuch (dt.)
Musik von
GISLE KVERNDOKK
Buch und Gesangstexte von ØYSTEIN WIIK

Nach dem Film von INGMAR BERGMAN
Deutsch von
ELKE RANZINGER und ROMAN HINZE
Textbuch (dt.)
Musik von
GISLE KVERNDOKK
Buch und Gesangstexte von ØYSTEIN WIIK
Nach dem Film von INGMAR BERGMAN
Deutsch von
ELKE RANZINGER und ROMAN HINZE
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Musik und Bühne Verlagsgesellschaft mbH
Bahnhofstraße 44-46 | 65185 Wiesbaden -----------------------------------------------------------------
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HELENA EKDAHL geb. Mandelbaum, Witwe, ehemalige Schauspielerin –Mezzosopran
OSCAR EKDAHL ihr ältester Sohn, Schauspieler und Direktor des Theater s –leichter Bariton
EMILIE EKDAHL seine Frau, Schauspielerin – Mezzosopran (Belt)
CARL EKDAHL Helenas zweiter Sohn, Professor – hoher Bariton oder Tenor
LYDIA EKDAHL seine Frau, eine Deutsche – Mezzosopran
GUSTAV ADOLF EKDAHL Helenas dritter Sohn, Restaurantbesitzer – Bariton
ALMA EKDAHL seine Frau – Mezzosopran
EDVARD VERGERUS Bischof – Tenor
BLENDA VERGERUS Mutter des Bischofs
HENRIETTA VERGERUS Schwester des Bischofs
ISAK JACOBI Freund der Familie Ekdahl, jüdischer Geschäftsmann –Bariton
ALEXANDER 10 Jahre, Sohn von Oscar und Emilie – Mezzosopran
FANNY 8 Jahre, Tochter von Oscar und Emilie – Mezzosopran
JENNY 8 Jahre, Tochter von Gustav Adolf und Alma – Sprechrolle
ARON RETZINSKY / MIKAEL BERGMAN 20 Jahre, Isaks Neffe – Bariton / junger Schauspieler – Sprechrolle
ISMAEL RETZINSKY 16 Jahre, Isaks Neffe – Mezzosopran/Countertenor
PETRA EKDAHL
18 Jahre, Gustav Adolfs und Almas Tochter – Sprechrolle
JUSTINA / ROSA Dienstmädchen beim Bischof – Sprechrolle / Dienstmädchen bei den Ekdahls, 20 Jahre – Sprechrolle
MAJ Kindermädchen bei Emilie und Oscar – Sprechrolle
DR. FÜRSTENBERG / GANTELIUS Arzt der Familie – Sprechrolle / Polizeikommissar – Sprechrolle
FILIP LANDAHL / ELSA BERGIUS Schauspieler / Tante des Bischofs (männliche Besetzung möglich) – Sprechrolle
Seite ii
THEATER DER FAMILIE EKDAHL
VILLA EKDAHL
STADTHAUS DER FAMILIE EKDAHL
DOMKIRCHE DER STADT
BISCHOFSSITZ
SOMMERHAUS DER FAMILIE EKDAHL
HAUS VON ISAK JACOBI
Seite iii
VOR DEM VORHANG
ALEXANDER EKDAHL läuft durch den Zuschauerraum auf die Bühne. Vor dem Vorhang steht eine in Weihnachtsgeschenkpapier eingepackte Schachtel.
ALEXANDER EKDAHL
(liest)
Für Alexander! Frohe Weihnachten von Großmutter!
Er packt das Geschenk aus. So etwas hat er sich lange gewünscht. Er holt er st ein Laternbild aus der entsprechenden Schachtel, öffnet dann den Apparat, zündet den Docht der Petroleumlampe an und schiebt das Laternbild hinein. 1 Verschiedene Bilder aus ALEXANDERs Leben erscheinen auf dem Vorhang.
ALEXANDER
DIE LATERNA MAGICA:
DIE WELT IN TAUSEND BILDERN
GLASPLATTEN UND PARAFFIN, DIE TRAUMVISIONEN SCHILDERN IM FLACKERLICHT DER ZAUBERLAMPE TANZEN MÄRCHEN WUNDERBAR.
DIE LATERNA MAGICA: DIE WELT EIN GROSSES SPIEL, DIE WELT IM KERZENSCHEIN, DIE WELT, DIE EINMAL MEI-NE WAR
Ein Bild der gesamten FAMILIE EKDAHL erscheint auf dem Vorhang. Der Vorhang geht auf.
Finale des traditionellen Krippenspiels. Von der Hinterbühne aus betrachtet. Hektische Aktivität.
Zwei Bühnenarbeiter hängen einen Zug ein, der am Stall, in dem die Heilige Familie Zuflucht gefunden hat, einen weißen Engel und zwei kleine Engelchen vom Himmel herunterlässt. Das GESAMTE ENSEMBLE ist auf der Bühne.
ALEXANDER rennt auf die Bühne und ein ANKLEIDER hilft ihm in ein Engelskostüm.
IM THEATER DER FAMILIE EKDAHL, WEIHNACHTEN 1907
Nr. 1a. „Halleluja – Frohes Fest“
ENSEMBLE
HALLELUJA! HALLELUJA! HALLELUJA!
DER ENGEL (EMILIE EKDAHL)
SO ENDET UNSER SPIEL.
ES ENDET GUT MIT FREUDEN VIEL:
DER RETTER UNS GEBOREN IST, GOTTES SOHN, HERR JESUS CHRIST.
ALEXANDER
NIEMAND MUSS IM DUNKELN GEH’N.
ALEXANDER/EMILIE/OSCAR/ENSEMBLE FROHES FEST!
DER ENGELSCHOR STIMMT EIN UND NIEMAND SOLL HEUT’ EINSAM SEIN.
ENSEMBLE
Bravo!
In einer Loge auf der rechten Seite sitzt EDVARD VERGERUS, der Bischof der Stadt. Er erhebt sich, um zu applaudieren.
EDVARD VERGERUS
Bravo! Bravo!
Er zieht EMILIE EKDAHLs Blick auf sich. Dann geht er.
VOR ISAKS HAUS UND LADEN
ISAK JACOBI macht sich auf den Weg zur Feier der Familie Ekdahl.
Nr. 1b. „Gut’ Nacht, Aron“
ISAK JACOBI
GIB ISMAEL ERST SEIN ABENDESSEN, SCHLIEß DIE TÜR, LÖSCH DAS LICHT.
VERGISS ES NICHT!
ARON RETZINSKY legt seinem Onkel einen Schal um die Schultern. ARON
DAS WERD’ ICH MACHEN, ONKEL ISAK.
ISAK JACOBI
GUT’ NACHT, ARON. ARON
GUT’ NACHT.
ISAK geht mit einem Geschenk unterm Arm zum Haus von HELENA EKDAHL. Zugleich findet im Theater die Weihnachtsfeier statt.
AUF DER HINTERBÜHNE DES THEATERS
Alle Angestellten des Theaters haben sich auf der Bühne versammelt. GUSTAV ADOLF EKDAHL unterstützt die Kellner dabei, allen Angestellten Punsch auszuschenken. ALMA EKDAHL, seine Frau, und PETRA EKDAHL, di e Tochter des Paares, verteilen an alle Weihnachtsgeschenke. Der Theaterleiter OSCAR EKDAHL stellt sich neben den Stall der Heiligen Familie, um eine Rede zu halten. Während er redet, nimmt er seine Perücke und den falschen Bart ab, zieht das Kostüm aus und wird wieder einfach Oscar.
Nr. 1c. „Uns’re kleine Welt“
OSCAR EKDAHL
WENN WEIHNACHTEN KOMMT, ERGREIF ICH DAS WORT.
ABER MIR FEHLT DAFÜR EIGENTLICH JEDES TALENT.
HAB’S SO OFT VERSUCHT, DOCH HEUT’ BIN ICH VERWIRRT, GERÜHRT, MEINE RUHE IST FORT.
ICH BIN FROH UND BEKÜMMERT IM SELBEN MOMENT, UND MIR IST AUCH ... KOMISCH!
OSCAR vergisst, was er sagen will, wird blass und schwitzt. Jeder sieht, dass es ihm schlecht geht, aber niemand lässt sich etwas anmerken.
JA, MIR IST ... KOMISCH ... UND FEIERLICH.
ICH HAB’ NUR EIN TALENT: MEIN HERZ SCHLÄGT FEST UND LAUT FÜR UNS’RE KLEINE WELT HIER, AUS WORT UND SPIEL ERBAUT.
DIE GROßE WELT HAT MIT SICH SELBST WEIß GOTT GENUG ZU TUN.
DOCH HIER IN UNSRER KLEINEN WELT DARF SIE GETROST MAL RUH’N.
WIR SCHAFFEN EINEN ORT, DER MENSCH UND SCHICKSAL ZEIGT, WENN’S LEBEN SICH VERDUNKELT UND WENN DAS GLÜCK MAL SCHWEIGT.
DANN TRÄUMEN WIR DAS LEBEN, UND WIR LEBEN MANCHEN TRAUM. ES SPIEGELN UNSRE HERZEN SICH IM LICHTEN BÜHNENRAUM.
HOCH LEBE DAS THEATER UND WIR, DIE WIR ES EHR’N. DIE WIRKLICHKEIT BRAUCHT KÜNSTLER, WER SOLL SIE SONST ERKLÄR’N?
ENSEMBLE
Frohe Weihnachten! Und Bravo! Bravo und Frohe Weihnachten! Alle umarmen einander.
VILLA EKDAHL
Nr. 2. „Weihnachten“
ISAK erreicht die Villa Ekdahl. HELENA EKDAHL sitzt allein im Wohnzimmer. ISAK schleicht sich an.
ISAK JACOBI
Ähem.
HELENA schreckt hoch, steht auf und kommt ISAK entgegen. Frohe Weihnachten!
Schenkt ihr eine Silberrose mit eingelegten Rubinen. HELENA sieht sich kurz um und gibt ISAK einen leidenschaftlichen Kuss.
HELENA EKDAHL
Danke, lieber Isak.
Aus dem Off hört man Stimmen. HELENA macht sich aus ISAKs Umarmung los, ordnet sich die Haare und streckt den Rücken durch. Da kommt meine Familie!
ISAK JACOBI
Das höre sogar ich!
HELENA läuft zum Fenster und blickt hinaus. Stellt sich anschließend in die Mitte des Zimmers.
Die FAMILIE EKDAHL betritt in einem langen Zug die Bühne. Einer nach dem anderen begrüßt HELENA. ALEXANDER küsst ihr die Hand.
ALEXANDER
Danke, Großmutter!
JENNY, FANNY und PETRA rennen zu dem Berg von Geschenken unter dem Weihnachtsbaum. Packen aus. ALEXANDER läuft auf die Vorbühne, wo noch immer die Laterna magica steht. Holt ein neues Laternbild aus der Schachtel.
GUSTAV ADOLF
MAMA, WIE SCHÖN DU HEUT’ BIST!
ALMA
LIEBE SCHWIEGERMUTTER!
OSCAR
MEINE LIEBE MAMA!
HELENA streicht OSCAR über die Stirn.
FROHES FEST!
EMILIE
HELENA
Na, jetzt fehlen nur noch Carl und Lydia, und dann können wir ... Ein fürchterliches Geschimpfe von draußen unterbricht sie.
HALT’S MAUL!
ABER CARL ...
WEIB!
CARL EKDAHL
LYDIA EKDAHL
CARL
LYDIA
WIR SIND SPÄT DRAN ...
HALT’S MAUL!
ABER CARLCHEN ...
WEIB!
MEIN LIEBLING ...
MAMA!
CARL
LYDIA
CARL
LYDIA
CARL
CARL EKDAHL und seine Frau LYDIA EKDAHL erscheinen in der Tür. Ihm steht der Schweiß auf der Stirn, eine Zigarre paffend wankt er auf seine Mutter zu, umarmt sie.
HELENA
… dann können wir zu Tisch gehen.
Alle außer ALEXANDER, der ein weiteres Laternbild in den Apparat steckt, setzen sich. Die Familie um den Tisch erstarrt in einem Bild. ALEXANDER schiebt das Laternbild weiter, und das Bild um den Weihnachtstisch wechselt jedes Mal, wenn er weiterschiebt. Dann läuft er zu seinem Platz, und in dem Moment, da er sich hinsetzt, erwacht das Bild wieder zum Leben, und das Ende der Mahlzeit ist erreicht. Alle erheben die Gläser zu einem letzten Toast.
Nr. 2a. „Schluck! Schluck! Schluck!“
ALLE
SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERI FADERULLAN DEI!
SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERULLAN DEI!
UND WER NICHT ALLES TRINKEN KANN, DER FÄNGT AM BESTEN GAR NICHT AN.
SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERULLAN DEI!
Alle stehen auf und verlassen den Tisch.
VILLA EKDAHL
Das Abendessen ist vorbei, und die Familie hat sich an den Händen gefasst und tanzt Polonaise durch alle Räume der großen Ekdahl’schen Villa. GUSTAV läuft hinter MAJ. Versucht die ganze Zeit, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. An der Spitze ist FRAU EKDAHL und am Ende der Schlange ISAK.
Nr. 2b. „Weihnachten ist es nun“
WEIHNACHTEN IST ES NUN, JA, WEIHNACHTEN IST ES NUN, UND GLEICH DANACH KOMMT AUCH SCHON OSTERN!
WEIHNACHTEN IST ES NUN, JA, WEIHNACHTEN IST ES NUN, UND GLEICH DANACH KOMMT AUCH SCHON OSTERN!
DOCH NEIN, DAS IST NICHT WAHR, NEIN, NEIN, DAS IST NICHT WAHR, DENN ZWISCHENDURCH MUSS MAN NOCH FASTEN!
DOCH NEIN, DAS IST NICHT WAHR, NEIN, NEIN, DAS IST NICHT WAHR, DENN ZWISCHENDURCH MUSS MAN NOCH FASTEN!
Von einer Tür verborgen zieht GUSTAV ADOLF MAJ aus der Polonaise und presst sie an sich. Sie lachen und kichern. Alle anderen tanzen weiter.
ALMA EKDAHL
(laut, aber ohne Eifersucht)
Siehst du, wie Gustav die kleine Maj hofiert?
Macht dich das nicht wütend?
EMILIE EKDAHL
ALMA EKDAHL
Nein, warum denn? Ich finde es süß. ALLE
WEIHNACHTEN IST ES NUN, JA, WEIHNACHTEN IST ES NUN, UND GLEICH DANACH KOMMT AUCH SCHON OSTERN!
WEIHNACHTEN IST ES NUN, JA, WEIHNACHTEN IST ES NUN, UND GLEICH DANACH KOMMT AUCH SCHON OSTERN!
DOCH NEIN, DAS IST NICHT WAHR, NEIN, NEIN, DAS IST NICHT WAHR, DENN ZWISCHENDURCH MUSS MAN NOCH FASTEN!
DOCH NEIN, DAS IST NICHT WAHR, NEIN, NEIN, DAS IST NICHT WAHR, DENN ZWISCHENDURCH MUSS MAN NOCH FASTEN!
GUSTAV ADOLF
Was hielte Fräulein Maj denn von einem kleinen Besuch auf ihrem Zimmer später am Abend?
MAJ
Das könnte lustig werden.
MAJ macht sich los und reiht sich wieder in die Polonaise ein. Auch GUSTAV ADOLF hängt sich wieder an, diesmal Hand in Hand mit ALMA. Der Tanz geht weiter, aber OSCAR muss abbrechen und sich auf die Treppe setzen. Leichenblass und glänzend vor Schweiß bleibt er allein sitzen.
ALLE
WEIHNACHTEN IST ES NUN, JA, WEIHNACHTEN IST ES NUN, UND GLEICH DANACH KOMMT AUCH SCHON OSTERN!
DOCH NEIN, DAS IST NICHT WAHR, NEIN, NEIN, DAS IST NICHT WAHR, DENN ZWISCHENDURCH MUSS MAN NOCH FASTEN!
DOCH NEIN, DAS IST NICHT WAHR, NEIN, NEIN, DAS IST NICHT WAHR, DENN ZWISCHENDURCH MUSS MAN NOCH
ZWISCHENDURCH MUSS MAN NOCH FASTEN, MUSS MAN FASTEN, MUSS MAN FASTEN!
Der Tanz endet, und die Familie nimmt zum Durchatmen im Salon Platz. Die Dienstmädchen räumen nach dem Fest auf. GUSTAV ADOLF verfolgt MAJ mit lüsternem Blick.
VILLA EKDAHL – TREPPENAUFGANG
Nr. 3. „Eine Fanfare aus Luft“
CARL EKDAHL
Psst, psst Kinder! Euer Onkel Carl wird jetzt für euch ein irrsinniges Weihnachtsfeuerwerk abfackeln!
Er nimmt zwei Kerzenleuchter und marschiert voran, aus dem Wohnzimmer und ans obere Ende des Treppenhauses. FANNY, JENNY, ALEXANDER und PETRA stellen sich auf.
Jetzt kriegt ihr was zu sehen! KINDER
Ja!
Er vollführt auf der Treppe gymnastische Übungen. Der erste Akt!
CARL presst einen schallenden Furz heraus. Die KINDER verstummen vor Faszination und Bewunderung.
Und nun: der exotische, vollklingende Zwischenakt. Er pupst wieder, im Takt mit der Musik. Und jetzt ist es an der Zeit für den dritten Akt! Mit Jerichos Trompeten! Alexander, die Kerzen!
Trommelwirbel. Die KINDER halten die Kerzen ein paar Zentimeter von CARLs Hintern entfernt. Er lässt eine Ladung fahren, und die Kerzen verlöschen.
VILLA EKDAHL – FANNY UND ALEXANDERS SCHLAFZIMMER
Nr. 4. Underscore Akt I, Szene 7
Die KINDER haben ihre Schlafanzüge angezogen, eine wilde Kissenschlacht ist im Gange. Auch MAJ ist daran beteiligt. Ein Kissen zerreißt und Federn stieben durchs Zimmer. Da erscheinen ALMA und EMILIE in der Tür, um gute Nacht zu sagen. MAJ wird verlegen und versucht verzweifelt, die Federn auf eine Handkehrschaufel zu kehren.
EMILIE
Ist schon gut, Maj.
MAJ richtet sich auf und geht zur Tür. ALMA hält sie auf. Gibt ihr eine Ohrfeige.
ALMA
Frohe Weihnachten, Maj. Ich habe ein Geschenk für dich. In deinem Zimmer. MAJ geht. Die KINDER legen sich hin und falten die Hände über der Bettdecke.
EMILIE
Kinder!
Nr. 4a. „Abendgebet“
EMILIE, ALMA UND DIE KINDER LIEBER GOTT IM HIMMEL, HAB DANK FÜR DEN TAG.
HILF MIR DABEI, IMMER LIEB ZU SEIN. LASS ENGLEIN BEWACHEN MICH IN DER NACHT. LIEBER GOTT, BESCHÜTZE MICH UND JEDEN DER FAMILIE.
OPA UND OMA, OSCAR UND EMILIE, MICH SELBST UND DIE GESCHWISTER UND MEINE KUSINEN, ONKEL UND TANTEN, FRÄULEIN VEGA, FRÄULEIN ESTER, MAJ UND ONKEL ISAK UND UNSRE GANZE WELT. AMEN.
Die MÜTTER umarmen ihre KINDER, sagen gute Nacht und gehen. Die MÄDCHEN schlafen sofort ein, ALEXANDER liegt wach und lauscht der Musik, dem Gelächter und den Gesprächen der Erwachsenen unten. Die Tür geht langsam auf, und MAJ kommt herein. Sie trägt ein schönes blaues Kleid. Sie dreht sich im Kreis, tanzt mit hinkenden Schritten vor ALEXANDER.
MAJ
Pssst! Schau, was ich von Frau Ekdahl bekommen habe! Bin ich nicht schön? Jetzt sehe ich doch aus wie eine richtige Dame!
Sie dreht an der Lampe das Licht wieder dunkler, beugt sich über ALEXANDER und flüstert ihm zu.
Heute Nacht kann Alexander nicht bei mir schlafen, Maj bekommt nämlich Besuch, und Maj kann doch nicht mehrere Männer auf einmal in ihrem Bett haben, das verstehst du doch? Aber Alexander ist Majs Liebling, das darfst du nicht vergessen.2 Sie versucht ALEXANDER zu umarmen, der sich aber wegdreht. Sie steht auf und geht. ALEXANDER bleibt einen Augenblick lang unbeweglich liegen und lauscht der Musik und dem Gelächter aus dem Salon seiner Großmutter. Dann schleicht er aus dem Bett und holt den Laterna-magica-Apparat, entzündet die Flamme darin, und öffnet die Schachtel mit den Laternbildern. Richtet das Licht aus der Linse an die Wand des Zimmers. Vorsichtig steckt er ein Laternbild in den Apparat. Es erscheint eine junge Frau, die ausgestreckt auf einem Bett liegt.
ALEXANDER
SO LIEGT SIE DA, DIE SCHÖNE ARABELLA, GANZ ALLEIN, WAS QUÄLT IHRER SEELE FRIEDEN?
VATER IST TRINKER, MUTTER SCHON VERSCHIEDEN.
SIE JAMMERT: OH, OH, OH!
FANNY ist aufgewacht, durchs Zimmer getapst und steht jetzt neben ihm.
ALEXANDER nimmt das Laternbild mit Arabellas Bild heraus, während er langsam ein neues hineinschiebt. Jetzt schwebt eine schöne ätherische Gestalt auf Mondstrahlen herein. Sie hält einen Stab aus funkelnden Sternenlichtern in der Hand.
WER KOMMT DENN DA
BEIM ZWÖLFTEN SCHLAG DER GLOCKE?
AUF MONDLICHTSTRAHLEN GLEITET DIE GESTALT
ZU MEINEM BETT:
MEIN’ ARME MUTTER IST’S, DIE VATER EINST SCHLUG TOT.
SIE HOLT DER TOCHTER SEELE NACHHAUS’ INS ABENDROT.
JENNY
(ist aufgewacht und schreit vor Angst)
Ahhhhhhhh!
ALEXANDER pustet schnell die Lampe aus, versteckt die Laterna magica und schlüpft unter die Bettdecke, bevor seine Mutter in weißem Nachthemd in der Tür erscheint. Durch das Dunkel bekommt JENNY erneut Angst und schreit wieder. FANNY und ALEXANDER liegen mäuschenstill und mit geschlossenen Augen in ihren Betten.
EMILIE
Schluss jetzt, Kinder! Jetzt wird geschlafen!
JENNY
Ich habe ein Gespenst gesehen, hier im Zimmer.
EMILIE
Gespenster gibt es nicht.
Seite 11
JENNY
Aber ich habe eines gesehen, es ist hier durchs Zimmer geschwebt.
EMILIE
(hebt JENNY aus dem Bett)
Willst du bei mir schlafen?
JENNY
Ja, Tante Emilie, bitte.
EMILIE trägt sie hinaus und macht die Tür zu. Kurz darauf steht OSCAR im Zimmer. Er hat ein Glas Wein in der Hand und ist gut gelaunt.
OSCAR
Na, schlaft ihr schon, ihr Racker?
ALEXANDER und FANNY setzen sich grinsend im Bett auf. (lacht leise)
Na, was treibt ihr?
Nur in Schlafanzughose tapst er herum und lässt sich auf einen Kinderstuhl fallen.
FANNY
Nicht! Der Stuhl bricht zusammen, wenn du dich draufsetzt.
OSCAR
Ups!
OSCAR steht auf und hebt den Kinderstuhl mit einer Hand in die Höhe.
Ja, der sieht zerbrechlich aus, aber der Schein trügt. Schaut genau hin, dann seht ihr, dass er leuchtet. Soll ich euch erzählen, warum?
FANNY UND ALEXANDER
Ja!
OSCAR
Pst, nicht so laut. Wer Geheimnisse ausplaudert, ist des Todes! Schwört ihr, zu schweigen?
FANNY UND ALEXANDER
Wir schwören!
OSCAR
Pst, sonst erwischt uns eure Mutter, und dann ist Schluss mit der Vorstellung.
OSCAR stellt den kleinen Stuhl auf den Tisch, streicht mit der Hand darüber und trinkt einen Schluck Rotwein.
Seite 12
HELENA EKDAHLS SALON / KINDERZIMMER / CARLS UND LYDIAS SCHLAFZIMMER / MAJS DACHKAMMER
Die vier Spielorte wechseln einander während des gesamten Bildes ständig ab.
a. EKDAHLS SALON
HELENA hat Kaffee gekocht, ISAK auf dem Sofa ist am Einnicken.
Nr. 5. „Wir spielen uns’re Rollen“
HELENA
Hier bitte, einen richtig starken Kaffee. Wie spät ist es?
ISAK sucht nach seiner Uhr, aber HELENA ist schneller.
Zehn nach drei. Wir können also noch zwei Stunden beieinandersitzen, bevor ich mich für die Weihnachtsfrühmesse umziehen muss, während du ins Bett gehen kannst, mein lieber alter Isak.
ISAK
Ja, ja.
HELENA
Wie schön, dich hier zu haben! Was würde ich ohne dich nur machen?
STATT FREUDE SPÜR’ ICH TRÄNEN, DIESES WEIHNACHTEN BETRÜBT MICH.
DAS ALTER FORDERT LANGSAM NUN
VIELLEICHT SEINEN TRIBUT.
MEIN ISAK, SAG, IST HELENA
ZUR ALTEN FRAU GEWORDEN?
HAB NACHSICHT, WENN ICH WEINEN MUSS, ICH GLAUB’, MIR GEHT’S NICHT GUT.
ISAK
Ja, ja.
HELENA hält einen Augenblick inne und wartet aufs Weinen.
HELENA
Oscar sieht schlecht aus, er arbeitet sich im Theater noch zu Tode.
ISAK
Ja, ja.
b. KINDERZIMMER
Nr. 6. „Die Geschichte eines Stuhls“
OSCAR
SEHT EUCH DIESEN STUHL AN, ER LEUCHTET WIE VON INNEN.
DAS WAR DER STUHL DER GÖTTLICHSTEN
VON CHINAS KAISERINNEN.
ZU IHREM WIEGENFEST
BEKAM SIE DEN VON IHREM MANN. VON DA AN SAß SIE STÄNDIG DRAUF
IHR GANZES LEBEN LANG.
ER IST AUS GOLD GEGOSSEN, REICH VERZIERT MIT STERNRUBINEN
UND SO VIEL WERT WIE ALLES GOLD AUS SALOMONSENS MINEN.
DOCH JEDER STIRBT, SELBST KAISERINNEN GEH’N DEN LETZTEN GANG.
IM SITZEN TRUG MAN SIE ZU GRAB, DERWEIL GANZ CHINA SANG.
c. EKDAHLS SALON
HELENA
Carl hat mich schon wieder um ein Darlehen gebeten. Ich habe Nein gesagt. Wenn er deswegen zu dir kommt, darfst du ihm nichts geben.
ISAK
Nein, nein. Auf keinen Fall.
HELENA
Und seine schreckliche deutsche Ehefrau, ich fass’ es nicht ...
d. SCHLAFZIMMER VON CARL UND LYDIA
CARL läuft ruhelos im ehelichen Schlafzimmer herum.
CARL
Ich werde mich noch erkälten. Warum heizen wir nicht? Es ist eiskalt hier!
LYDIA
Wir schulden dem Holzhändler Geld und haben keinen Kredit mehr bei ihm, mein Carlchen
CARL
Verflucht auch, nenn mich nicht immer „mein Carlchen“, seit unserer Hochzeit muss ich mir das anhören!
LYDIA
Tut mir leid, mein Carlch... mein Schatz.
CARL
Ich habe Mama gebeten, mir etwas zu leihen. Sie zeigte mir ein Papier, dass ich ihr schon siebenunddreißigtausend Kronen schulde.
Du musst zu Isak gehen.
LYDIA
CARL
Da war ich schon. Und er verlangt Wucherzinsen. Er droht mir damit, Mama den Schuldschein zu zeigen, wenn ich nicht pünktlich zahle.
Ich habe etwas Schmuck.
LYDIA
CARL
Dummkopf! Soll Professor Ekdahl zum Pfandleiher rennen?
LYDIA
Komm, setz dich zu mir, Carlchen.
CARL
Du stinkst, hast du aufgehört, dich zu waschen? Oder verwest du schon?
LYDIA
Ich rieche gewiss nicht schlecht, mein Liebling.
CARL kaut an den Nägeln, bis es blutet, erschreckt sich und geht zu LYDIA.
CARL
Ich blute.
Soll ich einen Umschlag machen?
Nein, danke!
Du tust mir so leid, Carlchen.
e. EKDAHLS SALON
Nr. 7. Underscore Akt I, Szene 8
LYDIA
CARL
LYDIA
HELENAs und ISAKs Gespräch geht weiter, als hätte es keine Pause gegeben.
HELENA
Es muss etwas Erotisches sein.
Was?
Zwischen Carl und Lydia.
Erotisch? Sicher, sicher.
Du hörst mir nicht zu!
Doch doch.
ISAK
HELENA
ISAK
HELENA
ISAK
HELENA
Carl und Gustav Adolf sind beide übererotisch.
ISAK
Übererotisch?
Das haben sie von ihrem Vater.
HELENA
Seite 15
ISAK Ja, ja.
HELENA
Gustav Adolf ist am schlimmsten.
f. MAJS DACHKAMMER
GUSTAV ADOLF
klopft an MAJs Dachkammer. Kuckuck! Kuckuck!
g. EKDAHLS SALON
HELENAs Monolog geht nahtlos weiter.
HELENA
Dass Alma all die Seitensprünge von Gustav Adolf erträgt. Sie vergibt ihm nur, weil er ein lieber und guter Ehemann ist.
ISAK
Ja, ja.
HELENA
Was Gustav zu viel hat, hat Oscar zu wenig ... Eine Tragödie für eine heißblütige Frau wie Emilie. Aber auch sie führen eine gute Ehe.
ISAK
Eine gute Ehe, ja ja.
HELENA
Macht es dich traurig, dass du alt bist, Isak?
ISAK
Nein, wahrhaftig nicht. Es ist gut, bald tot zu sein.
HELENA
Du bist ein Weltverächter, Isak, ich denke da ganz anders.
ISAK
Gott sei Dank.
HELENA
Nur weinen möchte ich, aber es geht nicht. Ich trinke wohl besser noch ein wenig Cognac.
h. KINDERSCHLAFZIMMER
ALEXANDER
Dürfen wir die Pagen im Hamlet spielen?
Ja!
Da müsst ihr eure Mutter fragen.
FANNY
OSCAR
Seite 16
ALEXANDER
Aber du bist doch der Theaterdirektor.
OSCAR
Ja, aber eure Mutter entscheidet, was gemacht wird.
FANNY
Erzähl mehr von der Kaiserin.
Ja!
Die Kaiserin, tja ...
ALEXANDER
OSCAR
Nr. 8. „Die Geschichte eines Stuhls“ Teil 2
(OSCAR)
SIE SAß IN IHREM GR AB UND STAUBTE ZU, ES WAR ‘NE SCHANDE!
DA KAMEN VIERZIG RÄUBER, EINE WILDE DIEBESBANDE.
SIE ÖFFNETEN DIE KRYPTA, RÄUMTEN RASCH DAS GRABMAL LEER.
SO FUHR DER STUHL MIT IHNEN ÜBER JEDES WELTENMEER.
FANNY
Oh!
OSCAR
ER WURDE FEILGEBOTEN AUF BEDEUTENDEN AUKTIONEN.
ER STAND AM HOF VON FRANKREICH ÜBER ZEHN GENERATIONEN.
IN ONKEL ISAKS LADEN KAM ER ÜBER WIEN UND PRAG.
DER SCHENKTE EURER GROßMAMA
DEN STUHL ZUM HOCHZEITSTAG.
OSCAR deckt die KINDER zu, nimmt das Weinglas und geht zur Tür. (OSCAR)
Gute Nacht, ihr Racker!
Gute Nacht.
FANNY UND ALEXANDER
OSCAR macht die Tür hinter sich zu.
Nr. 8a. „Geh aus, klein’ Kerzelein“
ALEXANDER
AUS, AUS, GEH AUS, KLEIN’ KERZELEIN!
DAS LEBEN IST EIN FLÜCHTIGES WANDERSCHATTENSPIEL, EIN ARMER GAUKLER, DER EINE STUNDE ZAPPELT AUF DER BÜHNE
Seite 17
UND SCHON VERGESSEN IST. 3
FANNY
Wann hast du das gelernt?
ALEXANDER
Ich kann die ganze Rolle, ich habe mir überlegt, als Macbeth zu debütieren.
FANNY
Du?!
Stell dir vor, ja, Plattfuß-Pavlova4!
Pfft!
i. EKDAHLS SALON
ALEXANDER
FANNY
HELENA stellt das Cognacglas ab und bricht in Lachen aus.
ISAK
Worüber lachst du?
Nr. 9. „Wir spielen uns’re Rollen“ Teil 2
HELENA
WEIßT DU NOCH? HIER WAR ES: WIR BEDECKTEN UNS MIT KÜSSEN.
DIE BLUSE STAND MIR OFFEN, UND DU BRANNTEST LICHTERLOH.
EIN BRÜLLEN! PLÖTZLICH RISS MEIN MANN
DEN VORHANG HARSCH ZUR SEITE.
DA STANDEN WIR ZU DRITT, ALS WÄR’S EIN LUSTSPIEL VON FEYDEAU 5
ICH SCHRIE, UND DU VERSUCHTEST, DURCH DIE TÜR HINAUS ZU FLÜCHTEN.
ER HOLTE DIE PISTOLE, UND ICH HING AN SEINEM BEIN.
DOCH DANN HAT SICH DAS SPIEL GEDREHT: ER WURD’ DEIN FREUND FÜRS LEBEN. DIES UNVERHOFFTE ENDE KONNTE NIEMAND PROPHEZEI’N.
ISAK
Dein Mann war ein großzügiger Mensch.
HELENA wischt eine Träne weg.
HELENA
DA ENDLICH SIND DIE TRÄNEN, UM ALLES, WAS VERLOR’N IST. DAS LEBEN STARRT UNS AN, UND SEINE AUGEN SIND EISKALT.
KÜSS MIR DIESE TRÄNE
Seite 18
VON DER WANGE UND BERÜHR MICH. ICH BITTE DICH, SAG MIR, ICH BIN ZUM KÄMPFEN NICHT ZU ALT.
ISAK umarmt HELENA und küsst sie leidenschaftlich. Sie reißt sich los. Nein, mein Herr, das schickt sich nun wirklich nicht. Ich werde mich jetzt zurechtmachen und meine Rolle als gefasste Großmutter einnehmen.
(HELENA)
WIR SPIELEN UNS’RE ROLLEN, UND ICH SPIELE SIE MIT SORGFALT.
DIE FRAU, DIE SICH NACH LIEBE SEHNT, DIE DARF NICHT JEDER SEH’N.
Gibt ISAK einen Kuss auf die Wange. DU HAST FÜR MICH DEN LIEBHABER UND AUCH DEN FREUND GEGEBEN. IN BEIDEN ROLLEN WAR’S UM MICH DURCH DEINEN WITZ GESCHEH’N.
j. MAJS DACHKAMMER
Nr. 10. „Majs Konditorei/Ta ngo amoroso“
Kuckuck!
GUSTAV ADOLF
GUSTAV ADOLF klopft an MAJs Tür. MAJ macht auf, sie trägt über weißer Spitze einen Morgenmantel. Er ist in Unterhose, hat aber sein weißes Hemd, Fliege, Jackett und Hose über dem Arm. Beschwipst und albern.
Champagner!
Kichernd kommt er ins Zimmer, in der einen Hand einen Champagnerkübel, in der anderen eine Platte mit Austern. Austern!
Er richtet sich auf und hebt die Arme hoch.
UND ONKEL GUSTAV, DER GROßE UND DER KLEINE, IN IHRER GANZEN PRACHT!
Sie kriechen aufs Bett. GUSTAV füttert MAJ mit Champagner und Austern.
Iss, mein Kind! Ein Löffelchen für den König und einen für Gustav Adolf. Und der hat in seinem Spritzbeutel mehr als nur ein Sahnehäubchen. Dein Onkel Gustav hat eine ganze Konditorei voll Torten mit Sahnehäubchen über Sahnehäubchen, mit Gebäck, Geleefrüchten, Konfekt!
Er öffnet ihr Oberteil und blickt auf ihre Brüste.
Oh, und deine Brüste, mein Wonneproppen, lass mich mal richtig sehen. Du machst mich verrückt, völlig verrückt! Eine Zu-Zu-Zuckerbäckerei! Und du bist dort die Chefin, was sagst du?
(GUSTAV ADOLF)
KLEINE MAJ, SCHNAPP DIR MEIN SILVESTERGESCHOSS, DANN SCHENK’ ICH DIR ‘NE ZUCKERBÄCKEREI.
GLAUB NUR NICHT, DASS JEDE MEINE LIEBE GENOSS .
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DU BIST NICHT NUR ’NE KLEINE SCHWÄRMEREI.
MAJS KONDITOREI, GIBT’S EINEN SÜßEREN REFRAIN?
MITGELIEFERT WIRD EIN HIMMELBETT MIT WÄSCHE AUS SATIN.
NIEMAND IN DER STADT
WIRD VERGNÜGTER SEIN ALS DU.
WIR SEH’N UNS MITTWOCHS UM HALB DREI UND SAMSTAGS AUF EIN RENDEZVOUS.
SEI MEINE GELIEBTE
UND MEIN LIEBLINGSSEITENSPRUNG!
SPIEL MIT MIR HOPPE-REITER
BIS ZUR MORGENDÄMMERUNG!
Mit einem überraschenden Griff bringt er sie unter sich.
(GUSTAV ADOLF)
Keine Angst, mein Kind. Ich bin ein fantastischer Liebhaber. Das sagen alle Frauen!
Kriecht nach unten und hebt ihr Kleid hoch.
[Markierter Text: optionaler Strich ]
(GUSTAV ADOLF)
SEI NICHT SCHEU,
SO ROT WIE DEIN HAAR IST DEIN BUSCH!
NEAPEL SEH’N UND STERBEN!
WELCHE PRACHT!
ERST BLÄST DIR KLEIN-GUSTAV
EINEN LEIDENSCHAFTSTUSCH,
DANN WIEGE ICH DEIN HERZ
DIE GANZE NACHT
MAJS KONDITOREI, GIBT’S EINEN SÜßEREN REFRAIN?
BALD SCHON TUN WIR ES IM HIMMELBETT IN WÄSCHE AUS SATIN!
ALMA IST MEIN WEIB, DIE ZEIT ZU FREI’N FÜR MICH VORBEI!
ABER GIB ZU, DAS WÄR’ NICHT SCHLECHT:
’NE EIG’NE ZUCKERBÄCKEREI!
SEI MEINE GELIEBTE
UND MEIN LIEBLINGSSEITENSPRUNG!
SPIEL MIT MIR HOPPE REITER
BIS ZUR MORGENDÄMMERUNG!
MAJ
Wenn der Direktor mich erst auf den Rücken gelegt hat, vergisst der Direktor bestimmt, was er versprochen hat.
GUSTAV ADOLF
Was? Glaubst du etwa, ich bin ein Mann, der nicht zu seinem Wort steht? Singt mit Nachdruck.
BRING PAPIER UND TINTE,
HIER KOMMT DEIN VERTRAG. ALLES, WAS ICH VERSPRACH, DAS SCHREIB ICH AUF.
Er schreibt wie ein Irrer und mit ausladenden Bewegungen.
ICH ... GUSTAV ADOLF ...
STEH ... ZU ... DEM, ... WAS ... ICH ... VER...SPRACH.
Gibt MAJ stolz das Blatt.
HIER HAST DU EIN PAPIER, DAS ES BEWEIST: Während des letzten Refrains tanzt er sie mit Tangoschritten zum Bett.
MAJS KONDITOREI,
GIBT’S EINEN SÜßEREN REFRAIN?
NÄCHSTES JAHR AM WEIHNACHTSABEND KUSCHELN WIR UNS IN SATIN.
WÄHREND DIE FAMILIE SCHLÄFT, BAU’N WIR AN UNSRER KLEINEN WELT.
SIND NICHT SCHÄFERSTÜNDCHEN PFLICHT FÜR
JEDEN HIRTEN AUF DEM FELD?
DU, MEINE GELIEBTE
UND MEIN LIEBLINGSSEITENSPRUNG, SPIEL MIT MIR HOPPE REITER
BIS ZUR MORGENDÄMMERUNG!
MAJ
Der Direktor muss aufpassen, dass es mich nicht schnappt.
GUSTAV ADOLF lacht und überhäuft MAJ mit Liebkosungen, packt sie an den Beinen und zieht sie unter sich.
GUSTAV ADOLF
Also, unschuldig bist du nicht! So viel steht fest, ha ha...
HATTEST DU SCHON MAL
SO ‘NEN SCHWENGEL, MEIN SCHATZ?
MEIN KLEINER GUSTAV FREUT SICH WIE NOCH NIE!
HOPPLA, VERDAMMT AUCH!
DAS GING JETZT RATZEFATZ, MEINE RAKETE SCHOSS DAVON ZU FRÜH!
(GUSTAV ADOLF)
Ja, ja, so was kommt in den besten Familien vor. War das nicht herrlich! Lacht laut.
MAJ
Der Direktor ist ein richtiger Bock.
Gustav Adolf wälzt sich auf den Rücken.
GUSTAV ADOLF
MAJS KONDITOREI, GIBT’S EINEN SÜßEREN REFRAIN?
DU HAST MIR DEIN PARADIES GEZEIGT, BALD GIBT’S DAFÜR SATIN.
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Zieht MAJ plötzlich an sich.
SETZ AUF ONKEL GUSTAV DICH NUN DRAUF, WENN’S DICH NICHT STÖRT!
UND DANN STOPF DEN KLEINEN PRINZEN REIN, WO DER PRINZ HINGEHÖRT!
MAJ
Der Direktor ist ganz unmöglich.
GUSTAV ADOLF
DU, MEINE GELIEBTE
UND MEIN LIEBLINGSSEITENSPRUNG, SPIEL MIT MIR HOPPE REITER
BIS ZUR MORGENDÄMMERUNG!
Während des letzten Teils des Refrains ist die Vögelei wieder voll im Gange.
(GUSTAV ADOLF)
HOPPE-REITER! HOPPE-REITER!
HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE, HOPPE,
Das Bett bricht unter den Vögelnden zusammen. GUSTAV ADOLF heult vor Lachen. Er zuckt erst und bleibt dann wie tot liegen. MAJs Kopf ruht auf seiner Brust.
MAJ
Himmel, wie Ihr Herz schlägt!
GUSTAV ADOLF
Ich habe ein fantastisch gutes Herz.
MAJ
Jetzt muss mir der Direktor ein neues Bett kaufen.
GUSTAV ADOLF
Du sollst alles auf der Welt bekommen. Du bist Gustav Adolf Ekdahls Geliebte!
MAJ
Sie sind dumm.
Was?
Sie sind dumm, sage ich.
Ich bin dumm?
Ja, ein richtiger Dummkopf.
Ich bin gewiss kein Dummkopf.
GUSTAV ADOLF
MAJ
GUSTAV ADOLF
MAJ
GUSTAV ADOLF
MAJ
Doch, sind Sie, wenn Sie sich einbilden, dass ich von Ihnen etwas haben will.
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Wie bitte?
GUSTAV ADOLF
MAJ
Merken Sie nicht, dass ich Sie auf den Arm nehme?
GUSTAV ADOLF
Wie bitte? Auf den Arm?
Jetzt werden Sie doch nicht wütend!
MAJ
GUSTAV ADOLF
Ich mag es nicht, wenn man mich wie einen Idioten behandelt. Hör auf zu lachen!
MAJ
Aber ich finde, Sie sind lustig. Beleidigt zieht sich GUSTAV ADOLF an und setzt sich auf einen Stuhl in der Ecke. MAJ kniet sich vor ihn und streicht ihm übers Haar. Er schubst sie weg.
GUSTAV ADOLF
Ich mag es nicht, wenn man über mich lacht.
k. CARLS UND LYDIAS SCHLAFZIMMER
Nr. 11. „Wie kam’s dazu?“
CARL
WIE IST DAS PASSIERT?
WIE WURD’ ICH MITTELMÄßIG?
WIE KAM’S DAZU, DASS ICH VERLOR, WAS MIR GEBÜHRT?
ICH WURD’ ABSERVIERT.
HÄTT’ ICH MEHR GIER, DIE WELT BESÄß’ ICH!
BIS MAN MIR ALLES STAHL, WAR ICH DER KRONPRINZ, DER DAS REICH REGIERT.
WEIßT DU, ICH VERACHTE DICH, WEIL DU EIN SPIEGEL BIST FÜR MICH.
DEIN BLICK SAGT MIR:
ICH BIN GEMEIN UND BÖSE, DUMM UND FEIG’!
ACH, LEBEN! SCHMACH UND NOT!
ERNIEDRIGUNG UND TOD!
IST NUR DAS SINN UND INHALT
VON PROFESSOR EKDAHLS WELT?
IST NUR DAS SINN UND INHALT
VON PROFESSOR EKDAHLS WELT?
LYDIA
Wenn du willst, dann mach ich dir einen warmen Grog.
CARL
Sei nicht so verdammt servil! Deine Lippen sind immer feucht, das ist ekelhaft. – Ich will eigentlich nicht gemein sein.
Ja, ich weiß, mein Liebling.
Warum bin ich so verdammt feige?
LYDIA
CARL
CARL bricht völlig zusammen und legt sich aufs Bett.
ACH, LEBEN! SCHMACH UND NOT!
ERNIEDRIGUNG UND TOD!
IST NUR DAS SINN UND INHALT
VON PROFESSOR EKDAHLS WELT?
IST NUR DAS SINN UND INHALT
VON PROFESSOR EKDAHLS WELT?
BLACKOUT.
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IN DER WOHNUNG VON GUSTAV ADOLF UND ALMA
GUSTAV ADOLF kommt kleinlaut nach Hause zu seiner Familie, müde, verkatert und mit schlecht geknoteter Fliege. PETRA tritt durch eine Seitentür.
GUSTAV ADOLF
Guten Morgen, Petra!
Sie beachtet ihn nicht und verlässt das Zimmer. Kriege ich keinen Kuss?
Sie knallt die Tür zu. GUSTAV ADOLF fährt zusammen. ALMA kommt herein. Sie trägt über einem weißen Spitzenkorsett und einem Unterrock einen Morgenmantel. Geht zu der anderen Tür und ruft nach PETRA.
ALMA
Petra, machst du bitte drei Spiegeleier mit Schinken für Papa?
(zu GUSTAV ADOLF)
Was möchtest du trinken?
GUSTAV ADOLF
Matt und mit gesenktem Kopf.
Bier.
ALMA
Petra, und ein Porter aus dem Eisschrank! Ein Porter ist dir doch am liebsten?
GUSTAV ADOLF
Danke.
ALMA setzt sich und zieht demonstrativ die Seidenstrümpfe hoch. Befestigt sie an den Hüfthaltern. GUSTAV verfolgt ihre Bewegungen genau.
ALMA
Wie geht es dir?
Cognac!
GUSTAV ADOLF
ALMA
Ich hab’ dir etwas zum Anziehen herausgelegt, und das Wasser ist warm, falls du baden möchtest.
Holt ihm Cognac.
Danke, sehr nett.
GUSTAV ADOLF
Kippt den Cognac hinunter. ALMA zieht den Morgenmantel aus und setzt sich vor den Spiegel. Die nackten Arme und die weiße Spitze machen GUSTA V ADOLF scharf.
Du bist noch immer verdammt attraktiv.
Nr. 12. Akt I Szene 9 Underscore (Reprise „Majs Konditorei“)
ALMA
Und du bist ein Lump.
Komm mit mir ins Bett, du ...
GUSTAV ADOLF
ALMA
Ich habe mir gerade die Haare gerichtet.
GUSTAV ADOLF
Dann machen wir’s eben im Stehen, was meinst du?
ALMA
Petra kommt gleich mit dem Frühstück.
GUSTAV ADOLF
Schließ die Tür ab.
ALMA steht auf und schließt ab, steigt aus dem Unterrock.
ALMA
Ups. Dann mach aber schnell.
ALMA beugt sich vor, legt den Oberkörper aufs Bett, stützt die Hand unters Kinn und reckt GUSTAV ADOLF den Hintern entgegen. Er steht hinter ihr und fummelt an sich herum, gibt plötzlich auf.
GUSTAV ADOLF
Es klappt nicht. Da stimmt was nicht.
Du bist doch nicht krank, Gustav?
ALMA
GUSTAV ADOLF
Nein, alles bestens, mir geht’s gut.
Komm dahin!
ALMA
Sie hilft ihm, sich auf den Rücken zu legen, streicht ihm über die Haare. Dass ich dich nicht schon längst umgebracht habe!
Sie küsst ihn auf den Mund. GUSTAV zieht sie an sich, plötzlich wieder viril. Rollt sich auf sie und lacht laut.
GUSTAV ADOLF
Na, was sagst du jetzt? Hm? Hast du schon mal so einen Prachtkerl gespürt?
PETRA kommt mit dem Frühstückstablett, sieht die geschlossene Tür und hört die Geräusche. Geht mit dem Tablett wieder ab.
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AUF DEM WEG ZUR KIRCHE/AUF DER KANZEL
ALEXANDER steckt eine neue Laternplatte in die Laterna magica. In einem Spot wird BISCHOF VERGERUS sichtbar. In vollem Festgewand hält er die Predigt bei der Weihnachtsfrühmesse. Kein traditionelles Gemeindehaus, sondern man sieht vielmehr die Gemeinde mit brennenden Kerzen und Fackeln auf die Bühne strömen. Das Bild findet eher in ALEXANDERs Kopf statt.
Nr. 13. Akt I, Szene 10 – „An der Himmelspforte“
ENSEMBLE
HALLELUJA! HALLELUJA! HALLELUJA! EDVARD VERGERUS
WEIHNACHTSZEIT IST WONNENZEIT, BRINGT LICHT UND GROßE FREUDEN.
DOCH JESUS, UNSER HERR, KOMMT NICHT MIT REICHTUM ODER PRACHT. WER GOTTLOS DEM BEGEHREN FOLGT, DEM DROH’N VERDERB UND LEIDEN. ÜBERFLUSS HAT VIELE MENSCHEN SCHON ZU FALL GEBRACHT.
SELIG SIND DIE, DIE ARM SIND, DIE NICHTS IHR EIGEN NENNEN. DER SCHRIFT GEMÄß
BEFOLGEN SIE DAS ARMUTSIDEAL. SIE GEH’N DEN WEG VON JESUS, FÜR DEN UNS’RE HERZEN BRENNEN. HABGIER FÜHRT UNS GERADEWEGS INS EW’GE HÖLLENTAL.
STEINIG IST DER WEG IN GOTTES WUNDERBAREN GARTEN, WEIL ALLZU LEICHT DER MENSCH AUF EINEN FALSCHEN PFAD GERÄT.
DOCH WER IN NOT UND ARMUT LEBT, DARF GOTTES LOHN ERWARTEN, WENN ER ALS ARMER BETTLER AN DER HIMMELSPFORTE STEHT.
ENSEMBLE
WER IN NOT UND ARMUT LEBT, DARF GOTTES LOHN ERWARTEN, WENN ER ALS ARMER BETTLER AN DER HIMMELSPFORTE STEHT.
HALLELUJA! HALLELUJA! HALLELUJA!
ALEXANDER steckt eine neue Platte in den Apparat. Ein Bild des Theaters erscheint.
THEATER DER FAMILIE EKDAHL – EINEN MONAT SPÄTER
Ein Teil des Ensembles probt Hamlet, die Szene zwischen Geist und Hamlet im ersten Akt (Szene 5). Das übrige Ensemble spielt Karten, quatscht in den Kulissen oder sieht der Probe zu. OSCAR spielt voll aus, auch wenn er am Rande der Erschöpfung ist.
Bereit? Bitte!
FILIP LANDAHL
OSCAR
So ward ich schlafend und durch Bruderhand Um Leben, Krone, Weib mit eins gebracht, In meiner Sünden Blüte hingerafft, Ohn Abendmahl, ohn Beicht, ohn letzte Rechnung...
Ölung!
SOUFFLEUSE
OSCAR
Ohn letzte Ölung, die Rechnung nicht geschlossen...
Ins Gericht!
SOUFFLEUSE
OSCAR
Ins Gericht, mit aller Schuld auf meinem Haupt ...
MIKAEL BERGMAN/HAMLET O schaudervoll! O schaudervoll, höchst schaudervoll!
OSCAR
Hast du Natur in dir, so leid es nicht, Lass Dänmarks königliches Bett kein Lager Für Blutschand und verruchte Wollust sein! 6
OSCAR hört zu sprechen auf und bleibt sich windend knien. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt ...
FILIP LANDAHL
Oscar, du stehst auf und gehst hinten ab.
OSCAR geht nach hinten und stürzt plötzlich.
Wo bin ich?
OSCAR
MIKAEL BERGMAN
Herr Ekdahl, Sie sind hier, im Theater.
EMILIE läuft zu ihm, kniet sich zu OSCAR.
EMILIE
Wir gehen besser nach Hause und ruhen uns ein wenig aus.
OSCAR
Was ist geschehen?
EMILIE
Du warst auf einmal ein bisschen müde.
MIKAEL BERGMAN
(flüstert EMILIE zu)
Soll ich den Krankenwagen rufen?
OSCAR
Was tu ich hier?
Du spielst Theater.
EMILIE
OSCAR
Warum spiele ich Theater?
Komm jetzt, Oscar.
Muss ich sterben?
EMILIE
OSCAR
EMILIE
Könnt ihr mir bitte mal ein bisschen helfen?
Das Ensemble hebt OSCAR hoch und trägt ihn von der Bühne.
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Nr. 14. Akt I, Szene 12: „Wenn ich für immer geh’“
Der ganze Clan mit Ausnahme von FANNY und ALEXANDER hat sich vor dem Zimmer versammelt, in dem OSCAR liegt. In gebührendem Abstand sind auch die SCHAUSPIELER anwesend, allen voran FILIP LANDAHL. HELENA EKDAHL begrüßt sie.
FILIP LANDAHL
Wie geht es dem lieben Oscar?
Wir können nur hoffen.
HELENA
DER DOKTOR kommt aus dem Zimmer. Sieht sich um. DOKTOR FÜRSTENBERG
Kann jemand die Kinder holen?
ALMA geht, um FANNY und ALEXANDER zu holen. Der DOKTOR tritt zu GUSTAV ADOLF und CARL.
Es ist eine Frage von Stunden, oder Minuten.
EMILIE und LYDIA kommen aus dem Zimmer. LYDIA rennt weinend davon. EMILIE ringt um Fassung. EMILIE nimmt FANNY mit. ALEXANDER will nicht, aber HELENA führt ihn bestimmt ins Krankenzimmer. Er versteckt sich in ihrer Armbeuge.
HELENA
Komm, Alexander, komm jetzt.
Die Türen gehen auf, und wir sind bei OSCAR. Die anderen ziehen sich diskret zurück.
EMILIE
Komm her, Fanny.
Sie gehen zu OSCAR, er nimmt FANNYs Hand.
OSCAR
Sag Alexander, dass es nichts Schlimmes ist.
Ich sag’s ihm.
(lacht leise)
FANNY
OSCAR
Jetzt wäre ich richtig gut in meiner Rolle ... als Geist.
WENN ICH FÜR IMMER GEH’, DANN WIRD UNS DAS NICHT TRENNEN. ICH REICH’ DIE HAND EUCH, UND IHR WERDET SIE ERGREIFEN KÖNNEN.
WENN ICH INS LICHT EINGEH’,
WERDE ICH NICHT VERSCHWINDEN, WEIL UNS DIE BÄNDER TIEFER LIEBE
ALLE ZEIT VERB INDEN.
ICH GLAUB’, DER TOD BRINGT UNS EINANDER NÄHER ALS DAS LEBEN.
ICH SEH UM MICH KEIN DUNKEL, SONDERN TAUSEND LICHTER SCHWEBEN.
WENN ICH IM JENSEITS BIN, WERD’ ICH TROTZDEM NOCH NAH SEIN. DIE LIEBE ZWISCHEN UNS WIRD IMMER, IMMER, IMMER DA SEIN.
(OSCAR)
Ich möchte jetzt Alexander sehen …
FANNY
Vater sagt, es ist nicht schlimm, Alexander.
HELENA
Komm jetzt, mein Schatz.
Beinahe schleifen HELENA und EMILIE ALEXANDER zum Totenbett seines Vaters. OSCAR streckt die Hand aus und greift ALEXANDER am Arm. Hält ihn richtig fest, dann bekommt er Krämpfe, einen neuen Anfall und stirbt, während er sich weiter an ALEXANDER klammert. Der reißt sich los und kauert sich in eine Ecke des Zimmers. EMILIE stößt einen langen, herzzerreißenden Schrei aus.
EMILIE
Aahhh!
Schwarzgekleidete BESTATTER tragen einen Sarg herein. OSCAR wird in den Sarg gelegt, der im Zimmer stehen bleibt, während sich die Szene rundherum in den Friedhof verwandelt. EMILIE schreit ihre Trauer heraus, während der Szenenwechsel vonstatten geht. ALEXANDER und FANNY betrachten den Sarg, lauschen dem Schrei ihrer Mutter.
Aehhh! Ah! Aeeehhh!
AUF DEM FRIEDHOF
Nr. 14a. „Von Erde bist du genommen“
Der BISCHOF wirft drei Schaufeln Erde auf den Sargdeckel.
EDVARD VERGERUS
Von Erde bist du genommen. Zu Erde sollst du werden. Aus Erde wirst du dereinst auferstehen.
Der Sarg sinkt in die Erde, während die Verwandten, Freunde und Kollegen singen. EMILIE hakt sich bei BISCHOF VERGERUS ein.
Nr. 14b. „Geh aus, klein’ Kerzelein “ Reprise
ALLE
AUS, AUS, GEH AUS, KLEIN’ KERZELEIN!
DAS LEBEN IST EIN FLÜCHTIGES WANDERSCHATTENSPIEL, EIN ARMER GAUKLER, DER EINE STUNDE ZAPPELT AUF DER BÜHNE
UND SCHON VERGESSEN IST.
ALEXANDER
(gleichzeitig)
PISS PISS SCHEIß SACK
PISS HÖLLE SCHEIß SCHWANZ
FURZ KACK PISS FURZ
PIMMEL MÖSE TEUFEL SCHEIßEN
KACKE PISS ARSCH DRECK
PISS PISS SCHEIß SACK
ALEXANDER bleibt, während alle anderen gehen. Bilder der Laterna magica zeigen, wie die Zeit vergeht. Es wird Sommer.
VILLA EKDAHL, SOMMER 1908
ALEXANDER rennt herein, den Ranzen auf dem Rücken. Seine Mutter erwartet ihn.
EMILIE
Alexander, es gibt etwas, worüber ich mit dir sprechen möchte. Der Ton der Mutter ängstigt ALEXANDER.
ALEXANDER
Was hab’ ich getan?
Das weißt du selbst am besten.
EMILIE
Sie öffnet die Tür zur Bibliothek des Hauses. Drinnen steht EDVARD VERGERUS, schwarzgekleidet und mit dem großen Goldkreuz auf der Brust. Sein Aussehen flößt ALEXANDER Angst ein.
EDVARD VERGERUS
Guten Tag, Alexander.
Guten Tag.
ALEXANDER
EDVARD VERGERUS
Wir sind uns schon einmal begegnet, du und ich. Als ich deinen Vater beerdigt habe. Eine schwere Stunde.
ALEXANDER
Ja.
EDVARD VERGERUS
Seither kam deine Mutter mit ihren Sorgen zu mir. Das ist ganz natürlich, schließlich bin ich der Seelsorger der Gemeinde.
EMILIE
Der Bischof war sehr gut zu mir, Alexander. Ich hätte es ohne seine Stütze und seinen klugen Rat niemals ausgehalten.
EDVARD VERGERUS
Wir haben auch über dich gesprochen, mein Junge.
EMILIE
Ich habe erzählt, wie stolz ich auf dich und Fanny bin. Der BISCHOF nagelt ALEXANDER mit seinem intensiven grellblauen Blick fest.
EDVARD VERGERUS
Du bist tüchtig in der Schule und schreibst gute Noten, stimmt’s?
ALEXANDER
Ja.
EDVARD VERGERUS
Keine Angst, Alexander. Ich bin dein Freund und meine es gut mit dir, verstehst du das?
Ja.
Er tätschelt ALEXANDERs Nacken mit fester, knochiger Hand.
ALEXANDER
(den Tränen nahe. Für sich:)
Der BISCHOF setzt sich.
EDVARD VERGERUS
Aber gute Noten reichen nicht, man muss auch selbst gut sein.
ALEXANDER
(flüstert)
Verdammter Mistscheiß.
Das hat der BISCHOF offensichtlich gehört, er macht eine lange Pause.
Nr. 15. „Lüge und Wahrheit“
Hör dem Bischof zu, Alexander!
Das tut er gewiss.
EMILIE
EDVARD VERGERUS
ICH FRAG DICH, ALEXANDER: WAS IST LÜGE, WAS IST WAHRHEIT?
KANNST DU DEN UNTERSCHIED
ZWISCHEN BEIDEN DEFINIER’N?
ALEXANDER antwortet nicht, starrt nur auf den Teppich.
DIR SCHEINT DIE FRAGE DUMM?
DANN SAG MIR EINS IN ALLER KLARHEIT: WAS, GLAUBST DU, KANN JEMANDEN ZUR UNWAHRHEIT VERFÜHR’N?
ALEXANDER
MANCHMAL IST VIELLEICHT
DIE WAHRHEIT GAR NICHT MAL SO WICHTIG?
EDVARD VERGERUS
SCHLAU GESAGT, UND DOCH GEIRRT.
DIE ANTWORT REICHT MIR NICHT.
EIN MENSCH MUSS UNTERSCHEIDEN KÖNNEN
ZWISCHEN FALSCH UND RICHTIG
DENK NOCH EINMAL NACH,
DENN WAS DU SAGST, FÄLLT INS GEWICHT.
Nr. 15a. „Papa, wo bist du?“
ALEXANDER
PAPA, WO BIST DU?
KANNST DU IHN NICHT VERJAGEN?
DU HAST VERSPROCHEN, DU BLEIBST DA.
JETZT BRAUCHE ICH DICH!
PAPA, MICH SCHWINDELT, PAPA, ER WIRD MICH SCHLAGEN!
WAS KANN ICH TUN, DAMIT ER NICHT VERFÜGT ÜBER MICH?
EDVARD VERGERUS
Ich habe Zeit, Alexander. Warum will man die Wahrheit nicht erzählen?
ALEXANDER
(weiter für sich)
ICH LÜGE, WEIL’S SO LEICHTER FÄLLT, DIE SCHMERZEN DURCHZUSTEH’N.
DOCH SO WIE ER DIE FRAGEN STELLT, KANN ER AUCH BÖSE UND GUT VERDREH’N.
PAPA, WO BIST DU?
WARUM BIST DU VERSCHWUNDEN?
DU HAST VERSPROCHEN, DU BLEIBST DA, DOCH LÄSST MICH IM STICH.
OSCAR wird jetzt im Zimmer sichtbar, ALEXANDER schaut ihn an und gewinnt daraus Kraft.
Nr. 15b. „Lüge und Wahrheit“ Teil 2
(ALEXANDER)
MAN LÜGT WOHL, WEIL MAN GLAUBT, MAN ZÖGE EINEN VORTEIL DARAUS.
EDVARD VERGERUS
WAS IST DER VORTEIL, WENN MAN ÜBER SEINE MUTTER LÜGT?
ALEXANDER
ICH ...
EDVARD VERGERUS
HÜTE DEINE ZUNGE WOHL, DU HAST GENUG GELOGEN!
EMILIE
EIN BRIEF VON DEINER SCHULE: WORT FÜR WORT WIRST DU ZITIERT:
Emilie liest aus dem Brief vor.
MUTTER GIBT MICH WEG AN EINEN ZIRKUS AUS MARBELLA.
KRIEGT GELD, DASS ICH IN DEN FERIEN TANZ’ ALS HOCHSEILAKROBAT.
ICH REISE MIT DER SCHLANGENFRAU, DER SCHÖNEN ARABELLA, DIE ZÄHNE HAT AUS GOLD VON ÜBER VIERZIG KARAT.
ALEXANDER blickt zu Boden und schweigt. Die Musik hört auf. Man hört das Ticken einer Wanduhr.
EDVARD VERGERUS
Du begreifst gewiss, wie traurig und verzweifelt du deine Mutter damit gemacht hast?
EMILIE
Der Bischof wollte mit dir darüber reden. Wir sollten dankbar sein, dass sich der Bischof dafür Zeit nimmt, nicht wahr?
EDVARD VERGERUS
So, mein Freund Was für einen Vorteil glaubtest du aus der Behauptung zu ziehen, deine Mutter würde dich an einen Zirkus verkaufen?
ALEXANDER
Ich weiß es nicht.
EDVARD VERGERUS
Ich glaube, du weißt es wohl, du schämst dich aber. Jetzt wirst du deine Mutter für all den Kummer und all die Sorgen, die du ihr bereitet hast, um Verzeihung bitten. Hörst du, Alexander?
ALEXANDER sieht zu OSCAR, der milde nickt und mit den Achseln zuckt.
ALEXANDER ballt die Fäuste und tritt auf seine Mutter zu.
ALEXANDER
Verzeihung. Ich verspreche, ich tu’s nie wieder.
EMILIE umarmt ALEXANDER. Er blickt über ihre Schulter zu seinem Vater, der sich entfernt.
EDVARD VERGERUS
Gut, Alexander, dann wäre das geklärt. Fantasie ist ein Gottesgeschenk, das nur die großen Künstler verwalten.
Der BISCHOF tätschelt ALEXANDER wiederholt heftig den Nacken. EM ILIE hat die Tür aufgemacht, und FANNY kommt herein.
EMILIE
Ich habe euch etwas Wichtiges mitzuteilen.
ALEXANDER sieht von der MUTTER zum BISCHOF. Sieht, wie sie sprechen, hört aber nicht, was sie sagen. Sieht zu OSCAR, der an der Wand lehnt und lächelt.
Nr. 16. „Papa, wo bist du?“ Teil 2
ALEXANDER
PAPA, WO BIST DU?
WARUM BIST DU VERSCHWUNDEN? DU HAST VERSPROCHEN, DU BLEIBST DA, DOCH LÄSST MICH IM STICH.
EMILIE
Ich habe zu lange allein gelebt. Und ihr braucht einen Vater und eine starke Hand. Aber natürlich wird sich vieles ändern.
EDVARD VERGERUS
Möge Gott gnädig auf unsere kleine Familie blicken.
ALEXANDER hört seinen Vater lachen. EMILIE umarmt ihre KINDER
Ich möchte, dass wir uns hinknien und miteinander beten.
Seite 36
Sie knien sich hin.
Nr. 16a. „Fürbitte“
(EDVARD VERGERUS)
HERR SEI UNS GNÄDIG, SCHÜTZE DIESE FAMILIE, UND SEGNE DIESE KINDER, LASS SIE DEINE GNADE SEH’N.
LASS MICH WIE EIN FELSEN SEIN FÜR MEINE EMILIE.
LASS MICH DIE KINDER LEHREN, DEN RECHTEN WEG ZU GEH’N.
ALEXANDER stürzt hinaus, FANNY sieht die Mutter an und läuft hinterher.
EMILIE
Kinder!
EDVARD VERGERUS
Lass sie! Wir haben noch genug Zeit. Ich habe eine Bitte an dich, Emilie, einen einfachen Wunsch.
Ja?
Du meinst, nackt?
EMILIE
EDVARD VERGERUS
Ich möchte, dass du ohne jegliche Besitztümer zu mir kommst. Ich möchte, dass du dein Zuhause verlässt, deine Kleider, deinen Schmuck ... dein früheres Leben. Komm zu mir wie ein Kind aus seines Mutters Leib.
EMILIE
EDVARD VERGERUS
Ich meine es ernst, Geliebte. Tritt in dein neues Leben ein wie ein Neugeborenes.
Und die Kinder? Die Kinder auch.
Die Kinder auch.
Ihre Spiele, Puppen, Bücher?
EMILIE
EDVARD VERGERUS
EMILIE
EDVARD VERGERUS
Sie müssen etwas für das Glück ihrer Mutter opfern.
Du bist jetzt schon böse. Küss mich.
Ich bin nicht im Geringsten böse.
EMILIE
EDVARD VERGERUS
EMILIE
Ich werde sie schon auf meine Seite bekommen.
EDVARD VERGERUS
Überlege gut, Emilie.
Das habe ich schon.
EMILIE
VILLA EKDAHL
Nr. 17. „Still in deinen Armen“
EMILIE
LANGE HATT’ ICH ZWEIFEL, OB ALLES MIT MIR RICHTIG WAR. ICH SPÜRTE NIEMALS FREUDE, MICH RÜHRTE NICHT MAL TIEFSTES LEID.
EDVARD VERGERUS
LANG’ HAB’ ICH GEWARTET, BIS ICH DIR ENDLICH WICHTIG WAR. EIN GEIST, EIN FLEISCH WIR BEIDE, VEREINT IN GOTT UND EWIGKEIT.
BEIDE
HALT MICH JETZT, GELIEBTE/R, BIRG MICH SANFT IN DEINEN ARMEN. ICH BIN DIR ERGEBEN, HAB’ ALS ZUFLUCHT DICH ERKOR’N.
KÜSS MICH JETZT, GELIEBTE/R, FLÜSTRE UNSRER LIEBE NAMEN. SCHENKST DU MIR DEIN LEBEN, WERDEN WIR ZWEI NEU GEBOR’N.
EMILIE
ICH BIN SCHIER VERZWEIFELT, WEIL JEDER TAG EIN WETTLAUF WAR. UND ICH KONNT’ NIE GEWINNEN, DIE WELT DREHT SICH ZU SCHNELL FÜR MICH.
EDVARD VERGERUS
DESHALB MEINE FRAGE: BRINGST DU FÜR UNS DIES OPFER DAR? WOLL’N WIR UNS NEU BESINNEN IN GOTTES GEIST AUF EWIGLICH?
BEIDE
HALT MICH JETZT, GELIEBTE/R, BIRG MICH SANFT IN DEINEN ARMEN. ICH BIN DIR ERGEBEN, HAB’ ALS ZUFLUCHT DICH ERKOR’N.
KÜSS MICH JETZT, GELIEBTE/R, FLÜSTRE UNSRER LIEBE NAMEN. SCHENKST DU MIR DEIN LEBEN, WERDEN WIR ZWEI NEU GEBOR’N.
EMILIE
LIEBE WIE DIE UNSRE
IST AUS SEHNSUCHTSGARN GEWOBEN, AUS DEM WUNSCH NACH EINEM NEUEN LEBEN, SCHLICHT UND REIN.
EDVARD VERGERUS
SIE IST IRDISCH-GOLDENEN GEFÄNGNISSEN ENTHOBEN.
LASS UNS UNSER LEBEN
GOTTES MACHT UND WEISHEIT WEIH’N.
Während des letzten Refrains kommt das GESAMTE ENSEMBLE auf die Bühne, gekleidet für die Feier einer Hochzeit.
EDVARD VERGERUS UND EMILIE
HALT MICH JETZT, GELIEBTE/R, BIRG MICH SANFT IN DEINEN ARMEN.
ICH BIN DIR ERGEBEN, HAB’ ALS ZUFLUCHT DICH ERKOR’N.
KÜSS MICH JETZT, GELIEBTE/R, FLÜSTRE UNSRER LIEBE NAMEN. SCHENKST DU MIR DEIN LEBEN, WERDEN WIR ZWEI NEU GEBOR’N.
Der PRIESTER segnet das Brautpaar.
HALT MICH FEST, GELIEBTE! / HALT MICH FEST! WIR WOLLEN MANN UND FRAU SEIN. ICH WILL MEIN WORT DIR GEBEN, WIE IN FREUDE SO IN NOT.
KÜSS MICH JETZT, GELIEBTE/R, MAG DIE WELT AUCH KALT UND RAU SEIN. ICH SCHENK’ DIR MEIN LEBEN ALLE TAGE BIS ZUM TOD.
EDVARD und EMILIE stehen auf, FANNY und ALEXANDER treten hinter sie, und so geht die neugegründete Familie von der Villa Ekdahl in den düsteren Bischofssitz. Mit leeren Händen. ALEXANDER schmuggelt einen Teddybären mit.
Tja, glaubt ihr, das geht gut?
Ich denke an die Kinder.
ALMA
LYDIA
Hast du nicht gesehen, wie glücklich Emilie war?
HELENA
GUSTAV ADOLF
Die werden sich schon dran gewöhnen.
ALMA
Ich glaube, ich muss gleich ein bisschen weinen.
HELENA
Sie hätten eine Hochzeitsreise machen sollen.
GUSTAV ADOLF
Ja, ich wollte sie in unser Haus in der Provence einladen, aber Emilie hat ab gelehnt.
ALMA
Kein Wunder. Sie hat höllischen Respekt vor diesem Mann.
LYDIA
Ein stattlicher Kerl ist er ja, da kann man sagen, was man will.
PETRA
Bestimmt hat er falsche Zähne.
HELENA
So etwas Dummes habe ich ja noch nie gehört, Petra. Seine Mutter war bezaubernd.
CARL
Seine Schwester ist ein ziemlicher Drachen.
HELENA
Wie auch immer. Ich glaube, wir werden Emilie wiederbekommen. Ziemlich bald.
ALLE
Seite 40
In scharfem Kontrast zum farbenfrohen Ekdahl’schen Haus erscheinen der Bischofssitz und die Menschen dort streng und farblos fad. Die erste gemeinsame Mahlzeit der Familie verläuft in peinlichem Schweigen. Das Klirren des Bestecks auf den Tellern ist enervierend.
EDVARD VERGERUS
So sitzen wir also zum ersten Mal alle gemeinsam um den Tisch versammelt, um zu essen. Meine Frau und meine Kinder, meine Schwester Henrietta, meine Mutter Frau Blenda und die liebe Tante Elsa.
TANTE ELSA
Ahhrgg!
Tante ELSA BERGIUS sitzt zwischen Frau BLENDA VERGERUS und HENRIETTA VERGERUS, gestützt von Kissen. Sie ist extrem übergewichtig und muss gefüttert werden.
HENRIETTA
Haben die Kinder den Appetit verloren?
EMILIE
Sie sind nervös, Henrietta. So vieles ist neu für sie, das musst du verstehen.
HENRIETTA
Vielleicht schätzen sie aber auch das gute Brot und die wohlschmeckende Mahlzeit nicht.
EDVARD VERGERUS
Heute Abend wollen wir fröhlich sein, Henrietta.
HENRIETTA
Ich möchte die gute Stimmung nicht zerstören, aber künftig verlässt niemand diesen Tisch, bevor er nicht aufgegessen hat.
TANTE ELSA
Ahhrgg!
EMILIE
Über meine Kinder bestimme ich, und ich werde ganz sicher (meine) ...
HENRIETTA
In diesem Haus gibt es eine Grundregel, gegen die niemand verstoßen darf, auch du nicht, liebe Emilie, und das ist der Respekt vor Gottes guten Gaben.
TANTE ELSA
Ahhhhrggg!
EMILIE
Ich glaube, du hast hier etwas Wesentliches missverstanden. Aber wir sollten diese Diskussion auf eine passendere Gelegenheit verschieben.
HENRIETTA
Was ich wohl aber noch sagen darf: In diesem Haus stehen wir früh auf, jeden Tag. Auch sonntags. Wir versammeln uns pünktlich um sechs Uhr zum Morgengebet in Edvards Arbeitszimmer.
Ahhrgg!
TANTE ELSA
HENRIETTA
Wir machen unsere Betten und räumen unsere Zimmer auf. In diesem Haus herrschen Pünktlichkeit, Sauberkeit und Ordnung.
FRAU BLENDA
Es ist gut jetzt, Henrietta.
HENRIETTA schweigt auf der Stelle. Aus tödlicher Angst vor ihrer Mutter. FANNY und ALEXANDER rühren in der Suppe, essen aber nicht.
TANTE ELSA
Aggrh!
HENRIETTA
Verzeih, liebe Emilie, ich vergesse mich, verzeih! Edvard hat mich hundertmal ermahnt. Es ist nicht so leicht, einzusehen, dass man unnütz geworden ist.
EDVARD VERGERUS
Henrietta, möchtest du den Kindern zeigen, wo sie wohnen werden?
Die KINDER ergreifen die Gelegenheit, um aufzustehen. Auch HENRIETTA erhebt sich.
FRAU BLENDA
Lasst euch nicht erschrecken, Kinder. Meine Tochter meint es nicht so schlecht, wie es sich vielleicht anhört. Fürs Erste nehmen wir es mit einem Lächeln.
Die KINDER und HENRIETTA gehen.
EMILIE
Ich verstehe nicht ganz, was Frau Blenda meint. Falls damit beabsichtigt ist, irgendwelche Erziehungsmethoden einzuführen ...
FRAU BLENDA
Bestimmt nicht, liebe Emilie, bestimmt nicht. Ich bin mir sicher, die Kinder werden Spaß daran haben, ihre P flichten auf sorgsame Weise zu erfüllen. Es soll wie ein Spiel sein.
EMILIE
Ich glaube, meine Kinder interessieren sich für solche Spiele nicht. Und ich auch nicht.
FRAU BLENDA
Das wird die Zukunft zeigen, meine liebe Emilie.
Seite 42
Nr. 18. „Abendgebet“ Reprise
ALEXANDER und FANNY sind bereits in ihren Nachthemden. Die Einrichtung des Zimmers ist nüchtern. Ein Bücherregal, in dem ALEXANDER stöbert, und ein Puppenhaus, das FANNY inspiziert.
FANNY
Das Puppenhaus! Von wem ist das?
JUSTINA
(sieht sich verstohlen um, spricht nur zögerlich)
Von den Töchtern des Bischofs ...
ALEXANDER
Haben sie in diesem Zimmer gewohnt, bevor sie ertrunken sind?
JUSTINA
Ja. Sie und ihre Mutter. Jetzt aber ins Bett mit euch!
FANNY
Was, wenn die hier spuken?
Pst! Eure Eltern kommen.
JUSTINA
Die KINDER hüpfen ins Bett und legen sich unter die Decke. EMILIE und EDVARD kommen herein.
EMILIE
Lasst uns das Abendgebet sprechen.
ALLE
LIEBER GOTT IM HIMMEL, HAB DANK FÜR DEN TAG.
HILF MIR DABEI, IMMER LIEB ZU SEIN. LASS ENGLEIN BEWACHEN MICH IN DER NACHT. LIEBER GOTT, BESCHÜTZE MICH UND JEDEN DER FAMILIE. OPA UND OMA, OSCAR UND EMILIE ...
EMILIE
Edvard!
FANNY UND ALEXANDER EDVARD UND EMILIE.
ALLE
AMEN.
EMILIE
Justina, ich muss mit dir über etwas sprechen.
EMILIE und JUSTINA verlassen das Zimmer. Der BISCHOF bleibt. ALEXANDER greift demonstrativ nach einem Buch und liest. FANNY spielt mit einer Puppe aus dem Puppenhaus.
Nr. 18a. „Was liest du da, Alexander?“
EDVARD VERGERUS
WAS LIEST DU DA, ALEXANDER?
ALEXANDER antwortet nicht, sondern starrt beharrlich in sein Buch.
ICH FRAGTE, WAS DU LIEST, ALEXANDER!
BITTE, WAS SOLL DAS SCHWEIGEN?
EDVARD nimmt ALEXANDER das Buch weg, blickt darauf und schleudert es zurück aufs Bett.
MEIN SOHN, GUTE NACHT!
EDVARD tätschelt ALEXANDER so fest den Nacken, dass es Schlägen ähnelt. Danach küsst er FANNY auf den Kopf.
GOTT BEHÜT’ DICH, MEINE TOCHTER!
ALEXANDER
(leise für sich)
PISSKOPF! DRECKSKOPF!
FANNY grinst. Der BISCHOF erstarrt.
EDVARD VERGERUS
WAS FLÜSTERT ALEXANDER DA?
WELCHE WORTE FÜHR’N DAZU, DASS HIER GELACHT WIRD?
ALEXANDER antwortet nicht.
ICH HÖR’ NOCH ZIEMLICH GUT, MEIN BESTER, MITUNTER FÜRCHTERLICH GUT.
EMILIE kommt zurück.
LIEBE KANN MAN NICHT ERZWINGEN, DOCH LEICHT WIRD GOTTES WORT BEFLECKT!
SÜNDE HAT DAS KIND AUF SICH GEHÄUFT, SEINEN ELTERN SCHULDET MAN RESPEKT.
EMILIE
Geh voraus, mein Lieber. Ich komme gleich nach EDVARD geht. EMILIE umarmt FANNY.
(EMILIE)
GUT’ NACHT, LIEBE FANNY.
FANNY
WARUM WURDEST DU SEINE FRAU?
ALEXANDER
DER MANN IST NIEDERTRÄCHTIG UND GEMEIN.
EMILIE
ETWAS GEDULD!
ICH WAR TRAURIG UND ALLEIN.
ALEXANDER
DER IST DOCH VERRÜCKT
UND BOSHAFT OBENDREIN.
EMILIE
ETWAS GEDULD!
DER BISCHOF HALF MIR IN DER NOT.
FANNY
DIESE TANTE IST EIN RIESEN-FLEISCHBERG.
ALEXANDER
UND SIE STINKT WIE ALTER SCHWEINEKOT!
EMILIE streckt die Arme nach ALEXANDER aus, aber der dreht ihr den Rücken zu.
EMILIE
ETWAS GEDULD!
ICH WAR TRAURIG UND ALLEIN.
ETWAS GEDULD!
GUT’ NACHT, ALEXANDER!
ALEXANDER
GUT’ NACHT, KÖNIGIN GERTRUD7!
EMILIE
LASS DAS, ALEXANDER!
ICH BIN NICHT DIE DÄNISCHE KÖNIGIN!
DAS WEIßT DU DOCH GANZ GENAU
ALEXANDER PISSKOPF, DRECKSKOPF!
EMILIE
UND EDVARD IST NICHT DER KÖNIG, UND WIR WOHNEN AUCH IN KEINEM SCHLOSS.
ALEXANDER
ER HAT PAPA BESTIMMT GETÖTET!
EMILIE
LASS DAS HAMLETSPIELEN, ALEXANDER!
ALEXANDER
SO PLÖTZLICH, WIE ER STARB ...
EMILIE
WICHTIG IST: WIR STEHEN ZUEINANDER!
ETWAS GEDULD!
BALD WIRD ALLES BESSER WERDEN.
ALEXANDER
ICH WILL HIER NICHT LEBEN.
FANNY
ICH WILL AUCH SCHNELL VON HIER WEG!
ALEXANDER
WARUM UNBEDINGT DEN?
Seite 45
VON ALLEN MÄNNERN HIER AUF ERDEN?
EMILIE
ETWAS GEDULD!
BITTE HABT DOCH ETWAS GEDULD. ES BLEIBT SICHER NICHT, WIE’S IST. EINIGES WIRD ZÜGIG, MANCHES LANGSAM GEH’N.
GUT’ NACHT!
GUT’ NACHT!
FANNY
EMILIE
GUT’ NACHT!
SCHON MORGEN SCHEINT DIE SONNE, WO WIR NOCH HEUTE WOLKEN SEH’N.
EMILIE steht auf und geht.
Scheiße der Hölle!
Er tritt ans Fenster.
ALEXANDER
Schau, Fanny, das Fenster kann man nicht aufmachen. Das ist eine Falle, aufgestellt von dem Pisskopf. Oder ...
ALEXANDER hält die Vorhänge zur Seite und zeigt FANNY das Eisengitter vorm Fenster.
Nr. 18c. „Es kommt dereinst der Tag“
(ALEXANDER)
Es kommt dereinst der Tag, da fällt der Dämm’rung Schleier, und aus Totenreiches Wüsten steigen sie auf wie Geier. Die Schwestern dir erscheinen in tiefes Schwarz gekleidet. Dein Blut gerinnt, wirst starr vor Schreck.
Niemand hört, wie dein Schrei die Luft durchschneidet. Und dann bist du weg!
ENDE DES ERSTEN AKTS
Seite 46
SOMMERHAUS DER FAMILIE EKDAHL
Ein arkadisches Idyll. Ein Nachmittag am Strand, der gesamte, hellgekleidete Ekdahl-Clan hat sich mit Picknickkörben und Decken versammelt. Wie Manets „Frühstück im Grünen“8. HELENA EKDAHL sitzt auf der Terrasse ein Stück abseits und nimmt am Picknick nicht teil. OSCAR ist bei seiner Mutter und hält ihre Hand.
Nr. 19. Akt II, Szene 1: „Im selben Augenblick“
CARL UND GUSTAV ADOLF
SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERI FADERULLAN DEI! SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERULLAN DEI!
HELENA
EINST WAR MEIN LEBEN WIE EIN SOMMERTAG, DER HIMMEL FREUNDLICH UND VOLL HEITERKEIT. DEIN TOD DURCHFUHR MICH WIE EIN KÄLTESCHLAG, SO SCHNELL ERFROR’N WAR DIE GEBORGTE ZEIT.
NOCH GESTERN WAR DIE SONNE SENGEND HEIß, DOCH WOLKEN ZOGEN AUF, NUN IST MIR KALT. DES SOMMERS SCHÖNHEIT FORDERT IHREN PREIS: SIE SCHWINDET HIN UND WEICHT DEM HERBST ZU BALD.
DAS GUTE LEBEN, WO IST ES HIN?
WO LIEGT IM WERDEN UND VERGEHEN SINN?
ICH STREICHLE ZÄRTLICH DEN FUNKEN GLÜCK, BIN KIND UND GREISIN IM SELBEN AUGENBLICK.
CARL UND GUSTAV ADOLF
UND WER NICHT ALLES TRINKEN KANN, DER FÄNGT AM BESTEN GAR NICHT AN. SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK! SING HEI FADERULLAN DEI!
ALMA
ER IST EIN FLATTERHAFTER SOMMERWIND, TOBT ÜBERS FELD NOCH IN DER DÄMMERUNG.
ICH LIEBE IHN, DOCH LIEB’ ICH IHN NICHT BLIND, ICH LACH’ UND WEIN’ BEI JEDEM SEITENSPRUNG.
DAS GUTE LEBEN, WO IST ES HIN?
EIN MEER TRENNT UNS UND ICH VERSINK’ DARIN. ICH STREICHLE ZÄRTLICH DEN FUNKEN GLÜCK, GELIEBT UND EINSAM IM SELBEN AUGENBLICK.
LYDIA
SELBST AN DEM WUNDERSCHÖNSTEN SOMMERTAG, WENN ALLES FRIEDLICH RUHT IM SONNENSCHEIN,
BRICHT ER VOM HIMMEL WIE EIN HAGELSCHLAG UND SCHLÄGT DIE ERNTE BLINDLINGS KURZ UND KLEIN.
DAS GUTE LEBEN, WO IST ES HIN? ER STÖßT MICH WEG, AUCH WENN ICH SELBSTLOS BIN. ICH STREICHLE ZÄRTLICH DEN FUNKEN GLÜCK, VERHÖHNT UND KOSTBAR IM SELBEN AUGENBLICK.
HELENA, ALMA UND LYDIA
DAS GUTE LEBEN, WO IST ES HIN?
LYDIA
VERHÖHNT UND KOSTBAR ...
ALMA
GELIEBT UND EINSAM ...
HELENA
BIN KIND UND GREISIN ...
HELENA, ALMA UND LYDIA IM SELBEN AUGENBLICK.
CARL UND GUSTAV ADOLF
UND WER NICHT ALLES TRINKEN KANN, DER FÄNGT AM BESTEN GAR NICHT AN. SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK! SING HEI FADERULLAN DEI!
HELENA
(zu OSCAR)
Ich kann mich noch an deine Kinderhand erinnern. Sie war klein, fest und trocken. Es war so aufregend, Mutter zu sein, dass ich liebend gern das Theater sausen ließ. Sind sowieso alles nur Rollen. Mutter, Julie, Hedda ... und plötzlich war ich Witwe und Großmutter. Ich habe nach deinem Tod fürchterlich um dich getrauert. Eine seltsame Rolle. Sie zerschlug die Wirklichkeit in tausend Stücke. Und die Scherben sind noch nicht wieder aufgesammelt und zusammengesetzt. Ich habe mich nicht darum gekümmert. Dieses Puzzle ist viel zu schwierig. Oscar, mein lieber Junge. Du siehst traurig aus.
OSCAR
Ja, Mutter, ich mache mir Sorgen.
Um die Kinder?
Ja.
HELENA
OSCAR
Es klopft an der Tür, OSCAR steht auf und geht.
Wer ist da?
Ich, Frau Ekdahl.
HELENA
MAJ
HELENA
Ach, liebe Maj, wie schön.
MAJ tritt ein. Eine gutgekleidete, schöne Schwangere.
MAJ
Ich hoffe, ich störe nicht.
HELENA
Natürlich störst du nicht. Du bist nicht beim Ausflug dabei?
MAJ
Mit meinem dicken Bauch?
Ist es wegen Alma?
Nein, Alma ist nett.
Dann wegen Lydia?
HELENA
MAJ
HELENA
MAJ
Ich möchte einfach keinen Krach. Das Ganze ist nicht so einfach.
HELENA
Möchtest du eine Tasse Schokolade?
Nein, danke.
Setz dich, Maj, was ist los?
MAJ
HELENA
MAJ
Vielleicht ist es töricht, sich Sorgen zu machen, aber ich habe den Kindern sieben Briefe geschrieben.
HELENA
Haben sie nicht geantwortet?
Ich habe eine Postkarte bekommen.
MAJ
Gibt HELENA die Postkarte. Sie liest.
HELENA
„Liebe Maj, uns geht es gut. Heute hat uns der Bischof mit in den Botanischen Garten genommen. Wir haben viel über seltene Blumen gelernt. Danke für die Briefe, ich schreibe dir, sobald ich Zeit habe. Dein Alexander.”
HELENA sinkt zusammen und starrt vor sich hin.
MAJ
Ich bin schon vor Fannys Geburt zur Familie gekommen. Das sind doch auch meine Kinder.
Steht auf.
Willst du schon gehen?
HELENA
Seite 49
MAJ
Ich habe versprochen, dass das Abendessen fertig ist, wenn sie nach Hause kommen. Ich muss den Braten in den Ofen schieben ...
MAJ beginnt zu weinen. HELENA nimmt sie in den Arm.
HELENA
Liebes Kind. Ist es so schwer?
Ja.
Ist es die Konditorei?
Die auch.
Gustav Adolf lässt nicht locker?
MAJ
HELENA
MAJ
HELENA
MAJ
Ich möchte ihn nicht verletzen, er ist doch so lieb. Aber vor allem sind es die Kinder. Entschuldigen Sie, dass ich weine.
MAJ reißt sich los und rennt hinaus. HELENA greift zum Telefon, bleibt mit dem Hörer in der Hand sitzen.
BLACKOUT.
Seite 50
Nr. 20. Underscore Akt II, Szene 2
Ein Schlüssel dreht im Schloss, und JUSTINA bringt das Abendessen für FANNY und ALEXANDER, die schon im Nachtgewand sind. Während dieser Szene sind von fern die Flötenübungen des BISCHOFs zu hören.
JUSTINA
Abendessen, und dann direkt ins Bett. Das Tablett kann bis morgen stehenbleiben.
FANNY
Wann kommt Mama zurück?
JUSTINA
Ich habe Seine Hochwürden gefragt, aber keine Antwort bekommen. Sie zieht etwas aus der Schürzentasche.
Hier, ein bisschen Kuchen, Fräulein Vergerus darf nicht erfahren, dass ihr so was von mir bekommt.
ALEXANDER
Mama kommt doch sicher heute Abend wieder?
JUSTINA
Was soll ich sagen?
JUSTINA seufzt schwer.
Möchtest du ein Stück Kuchen?
Danke, gern.
ALEXANDER
JUSTINA
Sie isst, als hätte sie lange nicht zu essen bekommen. Dann seufzt sie wieder.
ALEXANDER
Warum seufzt du die ganze Zeit?
JUSTINA
Ich bin noch nicht lange hier, aber es war auch zur Zeit der seligen Frau Bischof so, nur schlimmer. Arme Kinder.
ALEXANDER
Meinst du uns?
JUSTINA
Nein, ich meine die kleinen Töchter des Bischofs, die in dem kalten Fluss vorm Fenster ihren Tod gefunden haben. Die selige Frau hat noch versucht, sie zu retten, aber der Strom riss sie fort. Man fand sie alle miteinander an der Brücke unten. Fest aneinandergeklammert, sie waren wie ein einziger riesiger Körper. Man musste ihnen die Arme absägen, um sie in die Särge legen zu können.
FANNY
Gespenster gibt es nicht.
JUSTINA zeigt ihre rechte Hand, um die ein schmutziger Verband gewickelt ist.
JUSTINA
Da, schaut euch meine Hand an. Ich sollte dem Bischof Kaffee servieren. Als ich an den Türgriff fasste, klebte die Haut fest. Siehst du das rote Fleisch? Hinter meinem Rücken hat jemand gelacht, aber als ich mich umgedreht habe, war da niemand. Ich werde die Tür jetzt abschließen. Habt keine Angst. Morgen kommt eure Frau Mutter gewiss zurück, und dann wird euch Seine Hochwürden aus der Gefangenschaft entlassen.
JUSTINA schließt die Tür von außen.
ALEXANDER
Ich habe sie gesehen.
Wen?
Die toten Töchter des Bischofs.
FANNY
ALEXANDER
JUSTINA macht die Tür wieder auf, tritt ein und setzt sich. Das Flötenspiel endet.
JUSTINA
Ist das wahr?
Ich habe sie auch gesehen.
Aber diesmal sprach ihre Mutter.
FANNY
ALEXANDER
JUSTINA
Die selige Frau hat mit Alexander gesprochen?
ALEXANDER
Schwört, dass ihr nie irgendetwas von dem verratet, was ich euch jetzt erzähle. FANNY und JUSTINA nicken.
FANNY
Wo hast du sie gesehen?
ALEXANDER
Ich war in der Bibliothek und wurde deswegen von dem Mann, mit dem meine Mutter verheiratet ist, ausgeschimpft. Dann lief ich durchs Esszimmer. Die Sonne schien, und das Zimmer war in ein fast übernatürliches Licht getaucht. Plötzlich rannte eines der Mädchen an mir vorbei. Ihre Schritte machten kein Geräusch. Direkt hinter ihr lief ihre ältere Schwester, dunkelhaarig und mit großen Augen. Sie gab mir ein Zeichen, ich drehte mich um. Und da stand die Frau Bischof in einem schwarzen Kleid. Sie hatte eine Nachricht für mich:
ALEXANDER nimmt einen Bissen Brot und geht zum Fenster, als hätte er mit einem Mal kein Interesse mehr, weiterzuerzählen.
JUSTINA
Was hat sie gesagt? Gütiger Gott, was hat sie gesagt?
ALEXANDER
Ich möchte niemanden erschrecken, aber sie sagte das Folgende, und zwar Wort für Wort:
Nr. 20a. „Ich hielt sie fest im Arm“
„DÜSTERE GEHEIMNISSE
LAUERN IN DIESEM HAUS.
WAS NIEMAND BISHER WUSSTE, ERZÄHL’ ICH G’RADHERAUS.
ER HATTE UNS HIER EINGESPERRT, DEIN STIEFPAPA, MEIN MANN.
WIR DARBTEN OHNE ESSEN, OHNE WASSER TAGELANG.
ZUR FLUCHT VERBANDEN WIR ZUM SEIL
DIE LAKEN FEST MIT KNOTEN.
DAS FENSTER AUF, DAS SEIL HINAUS, DIE TÖCHTER RUTSCHTEN AB.
SIE FIELEN IN DEN DUNKLEN FLUSS, WO WILDE STRUDEL DROHTEN.
ICH SPRANG, UM SIE ZU RETTEN, DOCH DER STROM RISS UNS HINAB.
WIR KÄMPFTEN MIT DEM TOD, DER SCHNITTER FLETSCHTE SEINE ZÄHNE. SEIN MAUL GING AUF, ES GLÜHTE
SEIN ATEM HÖLLENWARM.
ICH ZOG DIE MÄDCHEN AN MEIN HERZ, ICH SPANNTE JEDE SEHNE.
SIE WANDEN SICH IM TODESKAMPF, UND ICH HIELT SIE IM ARM.
SIE HAUCHTEN IHRE SEELE AUS, UND ICH HIELT SIE FEST IM ARM.“
FANNY
(starrt ihren Bruder bewundernd an)
Das war teuflisch!
ALEXANDER
Wir teilen jetzt ein tiefes Geheimnis.
JUSTINA
Geht jetzt schlafen! Ich verschließe die Tür.
Wie spät ist es?
FANNY
JUSTINA
Kurz nach drei Uhr nachmittags. Seine Hochwürden hat mir verboten, mit euch zu sprechen. Ich darf euch nicht sagen, wie spät es ist.
(plötzlich wütend)
Geht ins Bett! Ich hab’ gesagt, geht ins Bett! Und seid still!
Sie knallt die Tür zu und dreht den Schlüssel um. Das Flötenspiel beginnt erneut.
JUSTINA läuft zum Büro des BISCHOFs. Hämmert an die Tür.
(JUSTINA)
Euer Hochwürden! Euer Hochwürden.
Der BISCHOF macht die Tür auf.
Ich muss Euch etwas erzählen.
Der BISCHOF lässt sie in sein Büro und schließt die Tür.
Seite 54
SOMMERHAUS DER FAMILIE EKDAHL
HELENA
Wer ist da?
Ich bin’s.
EMILIE
HELENA
Emilie. Sie umarmen einander.
Ich hatte solche Sehnsucht.
Hast du die Kinder mitgebracht?
Nein.
Geht es ihnen gut?
Nein. Das glaube ich nicht.
Arme Kinder, arme Emilie!
EMILIE
HELENA
EMILIE
HELENA
EMILIE
HELENA
EMILIE
Für die Kinder ist es schlimmer. Neulich hat sich Fanny geweigert, ihre Grütze zu essen. Sie musste den ganzen Abend davorsitzen. Sie hat sich auf den Teller erbrochen. Schließlich aß sie die Grütze. Frau Blenda zwang sie dazu.
HELENA
Und Alexander?
EMILIE
Ist verrückt vor Eifersucht. Aber er versteht nicht, dass die Eifersucht gegenseitig ist.
HELENA
Meine liebe, liebe Emilie.
EMILIE
Wie konnte ich mich in diesen Mann verlieben? Aus Mitleid? Aus Sehnsucht nach Nähe? Ich war so lange einsam. Seit Fannys Geburt. Oscar war mein bester Freund, und meine Trauer war aufrichtig, das weißt du. Aber du weißt auch, dass wir einander nie berührten.
Ich mache dir keinerlei Vorwürfe.
HELENA
Nr. 21. „Ein Leben schenk’ ich dir”
EMILIE
Ich wusste, dass Edvard einsam war, dass er von Angst und bösen Träumen gequält wurde. Wir wollten füreinander und für die Kinder da sein. Wenn er über uns redete, umgab ihn ein besonderes Leuchten.
„EIN LEBEN SCHENK’ ICH DIR“, SO HÖR’ ICH IHN NOCH SAGEN.
WARUM HAB’ ICH IHN NICHT DURCHSCHAUT?
DER SELBSTBETRUG LIEß MICH NICHT FRAGEN, OB ER WIRKLICH PASST ZU MIR.
„EIN LEBEN SCHENK’ ICH DIR “
VOR GOTT SCHWOR ER MIR HALT. JETZT HÄLT ER MICH GEFANGEN.
ER HERRSCHT MIT EISENHARTER HAND. DIE KINDER MUSSTEN ZU OFT BANGEN
VOR GOTTGEBOTENER GEWALT.
VOR GOTT SCHWOR ER MIR HALT.
„EIN LEBEN SCHENK’ ICH DIR.“
DIES LEBEN ZIEHT UNS ALLE IN DEN TOD.
VOR GOTT SCHWOR ER MIR HALT.
SCHON DER GEDANKE MACHT MIR ATEMNOT.
ICH HASSE IHN!
WIE MICH DIE SELBSTVERACHTUNG NIEDERRINGT, WEIL ICH MICH VON IHM BLENDEN LIEß, OBWOHL ER NUR ZERSTÖRUNG BRINGT.
HELENA
Du musst ihn verlassen, Emilie!
Ich erwarte ein Kind, Helena!
EMILIE
HELENA
Trotzdem! Du musst ihn trotzdem verlassen.
EMILIE
Ich habe ihn um Scheidung gebeten. Er verweigert sie mir.
ER IST IN SEINEM ZORN
SO STRENG WIE GOTT IM ALTEN TESTAMENT.
ER GIBT DEN GOTTESKRIEGER, DER DIE SAAT DES TEUFELS NIEDERBRENNT, BELAUERT ALEXANDER
WIE EIN RAUBTIER IN DER FINSTERNIS, SCHLÄGT ZU IM RECHTEN MOMENT, ERLEGT SEIN OPFER KALT MIT TÖDLICHEM BISS.
ER ZERRT MICH VOR GERICHT, DORT WIRD DAS RECHT ENTSCHEIDEN.
Seite
ER NIMMT MIR MEINE KINDER WEG. WER SEINEN MANN VERLÄSST, MUSS LEIDEN! WAS GOTT VERBAND, DAS BRICHT MAN NICHT. ER ZIEHT MICH VOR GERICHT.
(EMILIE)
Ich habe heimlich einem Freund geschrieben. Er ist Anwalt, und er hat mir Edvards Behauptung bestätigt. Wenn ich ihn verlasse, verliere ich die Kinder. Dem Bischof wird das alleinige Recht zugesprochen, sie aufzuziehen.
HELENA
Meine arme Emilie. Arme Fanny, armer Alexander.
EMILIE
Ich muss gehen! Es könnte etwas passieren, während ich weg bin. Alexander könnte den Bischof provozieren. Er begreift nicht, was für ein lebensgefährlicher Gegner sein Stiefvater ist. Wie kann etwas, das so schön war, so hässlich werden? Ich habe ihm geglaubt, als er sagte:
KÜSS MICH JETZT, GELIEBTE, FLÜSTRE UNSRER LIEBE NAMEN. SCHENKST DU MIR DEIN LEBEN, WERDEN WIR ZWEI NEU GEBOR’N.“
„
EMILIE umarmt HELENA ein letztes Mal und rennt hinaus. HELENA greift zum Telefon.
HELENA
Vermittlung? Verbinden Sie mich bitte mit Isak Jacobi? – Isak, ich bin’s. Ich brauche deine Hilfe. Jetzt.
BLACKOUT.
Seite 57
Die Tür ins Kinderzimmer wird jäh aufgerissen, und HENRIETTA tritt ein. Schüttelt ALEXANDER. Das unheilverkündende Flötenspiel des BISCHOFs ist zu hören.
Nr. 22. Das Flötenthema des Bischofs, Reprise
ALEXANDER
Was haben wir getan?
Das weißt du genau, Alexander!
HENRIETTA
Sie gehen zum Arbeitszimmer des BISCHOFs. Das Flötenspiel wird lauter. Als sie das Zimmer erreichen, legt der BISCHOF die Flöte weg und baut sich in seiner ganzen furchteinflößenden Gestalt auf.
EDVARD VERGERUS
Alexander, mein Junge, du hast mich des Mordes an meiner Frau und meinen Kindern beschuldigt.
ALEXANDER
Was?
Justina?
EDVARD VERGERUS
JUSTINA
Alexander hat behauptet, dass er die tote Frau Bischof und ihre Kinder gesehen hat. Sie hat angeblich mit ihm gesprochen und gesagt, dass Eure Hochwürden in blindem Zorn sie und die Kinder ohne Essen und Trinken im Schlafzimmer eingesperrt hat.
EDVARD VERGERUS
Kommt dir die Geschichte bekannt vor, Alexander?
ALEXANDER
Nein.
EDVARD VERGERUS
Du behauptest also, dass Justina lügt?
Vielleicht hat sie geträumt.
ALEXANDER
EDVARD VERGERUS
Justina ist bereit, ihre Geschichte unter Eid zu bestätigen. – Fanny, hast du Alexanders Geschichte gehört?
FANNY
Nein. Aber Fräulein Justina hat uns erzählt, dass die Töchter des Bischofs in den kalten Fluss vor unserem Fenster gesprungen sind. Dass die selige Frau Bischof noch versucht hat, sie zu retten, aber sie vom Strom fortgerissen wurden und man sie unten an der Brücke gefunden hat. Außerdem hat sie gesagt, dass man ihnen die Arme absägen musste, um sie in die Särge legen zu können.
EDVARD starrt JUSTINA an.
Das hast du gesagt, Justina?
Ja ...
EDVARD VERGERUS
JUSTINA
JUSTINA blickt zu Boden und nickt. EDVARD na gelt ALEXANDER wieder mit seinem Blick fest. Knallt eine große, dicke Bibel auf den Schreibtisch.
EDVARD VERGERUS
Alexander bleibt also dabei, dass Justina entweder lügt oder geträumt hat ?
ALEXANDER
Ja.
Nr. 23. „Der Schwur“
EDVARD VERGERUS
Lege deine linke Hand auf die Bibel und sprich mir nach: Ich, Alexander Ekdahl, schwöre bei der Heiligen Schrift und dem lebendigen Gott:
ALEXANDER reißt sich zusammen. Hat Mühe, die Worte herauszubekommen.
ALEXANDER
Ich, Alexander Ekdahl, schwöre bei der Heiligen Schrift und dem lebendigen Gott:
EDVARD VERGERUS
Dass alles, was ich gesagt habe, sage und sagen werde, die Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit.
ALEXANDER
Dass alles, was ich gesagt habe, sage und sagen werde, die Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit. – Kann ich jetzt gehen?
EDVARD VERGERUS
Du willst schon gehen, Alexander?
ALEXANDER
Es gibt nicht mehr zu sagen. Wie will Justina beweisen, dass sie nicht geträumt hat?
EDVARD VERGERUS
Bist du dir darüber im Klaren, dass ein falscher Schwur eine Todsünde ist? Man nennt das einen Meineid begehen.
ALEXANDER antwortet nicht, starrt den BISCHOF nur trotzig an.
Wie gefällt es Alexander bei uns im Bischofssitz?
Nr. 24. „Ich liebe dich, Alexander“
ALEXANDER
Wie einem Wurm in einem Ameisenhaufen. Nur schlechter.
EDVARD VERGERUS
Erinnerst du dich an unser Gespräch über das Lügen?
ALEXANDER
Ich erinnere mich, dass der Bischof redete und Alexander schwieg. Seitdem bin ich klüger geworden.
Seite 59
EDVARD VERGERUS
Du meinst, du lügst jetzt besser?
So in etwa.
ALEXANDER
EDVARD VERGERUS
Glaubst du, man kann die Ehre eines anderen Mannes ungestraft beflecken? Glaubst du, das Ganze hier sei ein Spiel, Alexander? Ein Theaterstück, in dem man seine Repliken aufsagt, wie es sich gerade ergibt?
ALEXANDER
Ich glaube, dass der Bischof Alexander hasst.
EDVARD VERGERUS
Ach so, das glaubst du also? Ich hasse dich nicht, Alexander. Ganz im Gegenteil.
ICH LIEBE DICH, ALEXANDER, MEINE LIEBE IST JEDOCH NICHT SCHWACH, NEIN, STARK BLEIBT SIE, ALEXANDER, VERLETZT DU MICH AUCH TAUSENDFACH
DIE LIEBE LÄSST, ALEXANDER, MICH VOR DIR ERSCHEINEN ALS TYRANN. DIR FEHLT MORAL, ALEXANDER, MIT ZUCHT NUR REIFT EIN KIND ZUM MANN.
ICH MERZ’ DIE LÜGE AUS IN MEINEM HAUS, AUCH WENN ES MIR DAS HERZ FAST BRICHT. MIT HÄRTE TREIB’ ICH DIR DIE SÜNDEN AUS. BARMHERZIGKEIT HILFT GEGEN BOSHEIT NICHT.
Hörst du, was ich sage, Alexander?
ALEXANDER Nein.
EDVARD VERGERUS
DU STELLST DICH STUR, ALEXANDER, PASS NUR AUF, ICH WERD’ DICH SCHON BEKEHR’N. ICH BIN BEREIT, ALEXANDER.
ALEXANDER
DASS IHR BEREIT SEID, GLAUB’ ICH GERN.
EDVARD VERGERUS
NUR WEITER SO, ALEXANDER, ES IST AUS, HAST DU’S NOCH NICHT ERFASST? BEKENNE NUN, ALEXANDER, DIE MISSETAT, DIE DU BEGANGEN HAST.
ALEXANDER
DIE MISSETAT TAT EINER VON UNS ZWEI, DARIN GEB’ ICH DEM BISCHOF RECHT.
EDVARD VERGERUS
DU WILLST DEN KAMPF, WAS AUCH DIE FOLGE SEI?
Seite 60
DU WIRST ERKENNEN, DIESE WAHL IST SCHLECHT.
ALEXANDER
NUN, LEIDER WEIß NUR ALEXANDER NICHT, WELCHE SÜNDE ER BEGANGEN HAT.
EDVARD VERGERUS
WELCH DREISTIGKEIT AUS DEINEN WORTEN SPRICHT!
WIE WILLST DU BUßE TUN FÜR DEINE TAT?
WILLST DU DEN TEPPICHKLOPFER? DER HILFT IMMER GUT.
ES GÄB AUCH RIZINUSÖL, WENN DU WILLST!
HAST FÜRS VERLIES IM KELLER DU DEN MUT?
DORT SCHNAPPEN RATTEN NACH DIR, BIS DU BRÜLLST!
ALEXANDER
ICH FRAG’ NUR EINES:
WARUM MUSS DIE STRAFE SEIN?
EDVARD VERGERUS
WEIL MEINE LIEBE KRAFTVOLL IST UND GUT.
DIE STRENGE ZUCHT WIRD RÜCKGRAT DIR VERLEIH’N, SIE MACHT DEN DRANG ZU WAHRHEIT ABSOLUT.
ALEXANDER
Wenn ich gestehe, was wird meine Strafe sein?
EDVARD VERGERUS
Das kannst du selbst entscheiden.
ALEXANDER
Ich gestehe, dass die Geschichte vom Bischof, der die Frau Bischof und seine Töchter eingesperrt hat, erfunden war.
EDVARD VERGERUS
Gestehst du auch, Meineid begangen zu haben?
Tu ich wohl.
ALEXANDER
EDVARD VERGERUS
DA IST DEIN SIEG, ALEXANDER.
WELCHE RIESENFREUDE MACHST DU MIR!
JETZT WARST DU STARK, ALEXANDER.
SAG NUN: WELCHE STRAFE WÄHLST DU DIR?
ALEXANDER
WIE OFT MÜSST’ ICH DEN TEPPICHKLOPFER SPÜR’N?
EDVARD VERGERUS
ES REICHT WOHL, WENN’S EIN DUTZEND SCHLÄGE SETZT.
ALEXANDER
NA, GUT ...
EDVARD VERGERUS
WILL ALEXANDER DEN PROBIER’N?
ALEXANDER
NA, GUT ...
EDVARD VERGERUS
DANN RUNTER MIT DER HOSE JETZT!
FRÄULEIN HENRIETTA nimmt Alexander und legt ihn übers Sofa, so dass sein Hintern zum BISCHOF zeigt. Sie bedeutet JUSTINA mit einem Kopfnicken, ihr zu helfen. Während der BISCHOF ALEXANDER schlägt, halten die BEIDEN FRAUEN ihn fest.
Eins! Zwei! Drei! Vier! Fünf! Sechs! Sieben! Acht! Neun! Zehn! Elf! Zwölf!
KOMM HER ZU MIR, ALEXANDER, NUR EIN WORT, UND ES IST SCHON GETAN.
ALEXANDER
NEIN!
EDVARD VERGERUS
BITT’ UM ENTSCHULDIGUNG, ALEXANDER.
ALEXANDER
NEIN!
EDVARD VERGERUS
NOCH WEIT’RE PRÜGEL SPÜR’N, IST DAS DEIN PLAN?
ERSPAR UNS BITTE NOCH MEHR ZÜCHTIGUNG, INDEM DU BITTEST, DASS ICH DIR VERZEIH’.
ALEXANDER
ICH BITT’ EUCH NIEMALS UM ENTSCHULDIGUNG!
EDVARD VERGERUS
DANN IST DIE SACHE LEIDER NICHT VORBEI.
Der BISCHOF nickt HENRIETTA und JUSTINA zu, die ALEXANDER wieder aufs Sofa legen. Der BISCHOF hebt den Teppichklopfer.
ALEXANDER
BITTE NICHT MEHR!
ALEXANDER!
EDVARD VERGERUS
BITT’ UM GNADE, WIE ICH’S DIR BEFAHL!
UND SPRICH MIR NACH, ALEXANDER.
DAMIT VERLÄSST DU REIN DAS SÜNDENTAL.
„ICH BITT’ DICH, VATER, UM ENTSCHULDIGUNG
FÜR MEINE LÜGEN, MEINE DREISTIGKEIT ...“
ALEXANDER
ICH BITT’ DICH, VATER, UM ENTSCHULDIGUNG
FÜR MEINE LÜGEN, MEINE DREISTIGKEIT ...
EDVARD VERGERUS
„... DEN MEINEID UND DIE FALSCHE SCHILDERUNG
UND JEDES ZUGEFÜGTE LEID.”
ALEXANDER
... DEN MEINEID UND DIE FALSCHE SCHILDERUNG
UND JEDES ZUGEFÜGTE LEID.
EDVARD VERGERUS
KÜSS MIR DIE HAND, ALEXANDER.
ENDLICH ZEIGT SICH MEINE LIEBE DIR.
JA, LIEBE NUR, ALEXANDER, ERWECKT GEFÜHLE DIESER ART IN MIR.
ALEXANDER
DARF ALEXANDER NUN ZUM SCHLAFEN GEH’N?
EDVARD VERGERUS
NUR EINS FEHLT DIR JETZT NOCH ZUM SELIGSEIN: DU MUSST NUR EINE PRÜFUNG ÜBERSTEH’N.
DAZU SPERR’ ICH DICH AUF DEM SPEICHER EIN.
So hast du Zeit, in aller Ruhe über alles nachzudenken. Abgemacht?
ALEXANDER
Ja, Euer Hochwürden. Vielen Dank, Euer Hochwürden.
JUSTINA macht einen Knicks und nimmt FANNY mit aus dem Zimmer. HENRIETTA führt ALEXANDER ab wie einen verurteilten Gefangenen. Der BISCHOF bleibt stehen.
Seite 63
SOMMERHAUS DER FAMILIE EKDAHL
HELENA blättert in einem Fotoalbum.
GUSTAV ADOLF
(aus dem Off)
SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERI FADERULLAN DEI! SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERULLAN DEI!
UND WER NICHT ALLES TRINKEN KANN, DER FÄNGT AM BESTEN GAR NICHT AN. SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERULLAN DEI!
Rufe und Gelächter. ALMA und GUSTAV ADOLF kommen vom Ausflug zurück.
GUSTAV ADOLF ist lüstern und macht seiner Frau den Hof.
(GUSTAV ADOLF)
Mama, hast du uns vermisst? Warst du einsam?
HELENA
Nein. Einsam überhaupt nicht. Ich bin gerne allein.
ALMA
Fräulein Vega wurde von einer Wespe gebissen!
GUSTAV ADOLF
Gestochen, Alma. Eine Wespe hat einen Stachel, genauso feurig wie die Dynamitstange von deinem Gusti.
Er kneift ihr in den Hintern.
Gusti, zwick mich nicht in den Hintern!
Alma, meine schöne Alma.
Hör auf mit dem Quatsch, Gusti.
ALMA
GUSTAV ADOLF
ALMA
GUSTAV ADOLF zeigt auf ein Bild im Album.
GUSTAV ADOLF
Und Mama wieder mit ihren Fotografien. Die Frau da erkenne ich. Eine von Papas kleinen Freundinnen!
HELENA
Das ist eine meiner Schulfreundinnen. Sie hat einen Grafen geheiratet, zwölf Kinder bekommen und ist breit geworden wie ein Scheunentor.
GUSTAV ADOLF
Ich habe Mama immer für ihren souveränen Umgang mit Papas Abenteuern bewundert.
Nr. 25. „Majs Konditorei“ Reprise
HELENA schiebt das Album weg. Nimmt die Brille ab und sieht ihren Sohn an.
HELENA
HÖR MAL HER, WAS TREIBST DU MIT UNSERER MAJ?
GUSTAV ADOLF
VERDAMMT, DER KLEINEN GEHT ES DOCH PERFEKT!
HELENA
SIE IST NICHT DEIN PÜPPCHEN UND KEIN TANDARADEI.
HELENA UND ALMA
DAS MÄDCHEN BRAUCHT MAL RUHE, ZEIG RESPEKT!
GUSTAV ADOLF
MAJS KONDITOREI – WAS HABT IHR DA ZU KRITISIER’N?
HELENA UND ALMA
WIE DU DIESES MÄDCHEN RUMSCHIEBST, KÖNNEN WIR NICHT AKZEPTIER’N.
GUSTAV ADOLF
WAS WOLLT IHR DENN VON MIR?
ALMA
DU MUSST EINSEH’N, MAJ WÄRE GERNE FREI.
GUSTAV ADOLF
IHR GEHT’S VERFLUCHT NOCH MAL NICHT SCHLECHT:
SIE HAT ’NE ZUCKERBÄCKEREI.
MAJ IST NUN FAMILIE
UND NICHT NUR EIN SEITENSPRUNG ...
HELENA
UND ZWAR, WEIL ALMA TOLERANT IST BIS ZUR SELBSTERNIEDRIGUNG.
Sie erwartet mein Enkelkind, Gusti. Das bedeutet aber nicht, dass du wie ein Diktator ihre Zukunft bestimmen darfst.
GUSTAV ADOLF
Was ist denn das für eine Verschwörung? Ich habe doch Alma und dich verdammt noch mal nicht darum gebeten, über Maj zu reden.
ALMA
Vor deiner Mutter wird nicht geflucht, Gusti. Hörst du?
GUSTAV ADOLF
IHR SCHLAGT MIR AUF DEN M AGEN, AU, ICH SPÜR’ SCHON MEIN GESCHWÜR.
IHR SCHIMPFT SO, DASS ICH AUCH MEINE LETZTEN HAARE NOCH VERLIER’.
ICH SORG’ SCHON FÜR MAJ, ICH WILL FÜR SIE DAS BESTE NUR.
MEISTENS HAT SIE SELBST BESTIMMT, HIER HERRSCHT DOCH KEINE DIKTATUR!
(GUSTAV ADOLF)
Ich bin lieb zu ihr, Alma ist lieb zu ihr, wir mögen sie gern. Sie wird geliebt wie Jenny und Petra, ja, vielleicht nicht ganz wie die anderen Kinder, aber fast. Sie ist lieb zu mir. Sie findet nicht, dass ich alt, eklig und fett bin, ja, das findet übrigens auch sonst keine.
ICH WILL’S NICHT VERHEHLEN, TJA, ICH BIN EIN RICHTIGER MANN. ICH LIEB’ NUN EINMAL DIE FRAUEN, WAS IST BITTE SCHLECHT DARAN?
ALMA
DU HAST KAMMERFLIMMERN, DU STEHST KURZ VOR EINEM SCHLAG.
GUSTAV ADOLF
SCHEIß AUF EUREN KATZENJAMMER
AN ’NEM SONST SO SCHÖNEN TAG!
VON DIR UND MAMA HÖR’ ICH NUR STÄNDIG NÖRGELEI’N.
IMMER HACKT IHR AUF MIR RUM, ICH HAB’ ES SATT, DER DEPP ZU SEIN!
Komm Alma, wir gehen jetzt nach Hause und essen Abendbrot. Gib mir einen Kuss, Mamachen. Ich will nicht, dass ihr miteinander über Majs Zukunft brütet. Das ist meine Sache. Also, ich meine, ihre.
ALMA
Ich komme später nochmal.
GUSTAV ADOLF
Das wirst du verdammt noch mal nicht, Alma.
HELENA
Du bist herzlich willkommen, egal, wie spät es ist.
ALMA
Komm jetzt, Gusti. Du hast ein knallrotes Gesicht.
Wen wundert’s?
GUSTAV ADOLF
Nr. 26. Bischofssitz
Guten Tag, Herr Jacobi.
HENRIETTA
ISAK
Fräulein Vergerus, ich hoffe, ich störe ni...
Worum geht es?
HENRIETTA
ISAK
Ich frage mich, ob Seine Hochwürden zu (sprechen)...
HENRIETTA
Er sitzt an seiner Predigt und möchte nicht gestört werden.
ISAK
Und die Frau Bischof?
Ihr geht es nicht gut.
Und möchte nicht gestört werden?
HENRIETTA
ISAK
HENRIETTA
Sie sind ein unangenehmer Mensch, Herr Jacobi. Ich habe weder Zeit noch Lust, mit Ihnen zu sprechen. Leben Sie wohl.
ISAK
Gut möglich, dass der Bischof ziemlich verärgert darüber (ist, dass) ...
HENRIETTA
Worum geht es?
Geld. Viel Geld. Darf ich eintreten?
Bitte.
ISAK
HENRIETTA
HENRIETTA macht die Tür auf.
ISAK
Danke, sehr freundlich. Darf ich mich setzen?
HENRIETTA
Zeigt auf einen Stuhl.
Da! Nein, nicht da. Da! – Schuldet Ihnen mein Bruder Geld?
ISAK
Im Gegenteil, liebes Kind, im Gegenteil.
HENRIETTA
Jetzt reicht es mir aber mit Ihren Rätseln.
Seite 67
ISAK
Der Bischof bot mir an, die Kiste dort zu kaufen. ISAK deutet auf eine prächtige Holzkiste.
Ich lehnte ab.
Sie lehnten ab.
HENRIETTA
ISAK
Aber ich bereue es. Ich möchte nichts lieber, als diese Kiste zu kaufen. Ich gäbe dafür fast alles. Fast.
HENRIETTA
Ich hole meinen Bruder.
Kaum ist HENRIETTA außer Sicht, springt ISAK auf und rennt durchs Haus. Untersucht Türen und findet eine verschlossene. Er zieht einen Schlüsselbund hervor und steckt einen merkwürdigen Schlüssel in s Schloss. Die Tür geht auf, und drinnen stehen FANNY und ALEXANDER.
ISAK
Bleibt, wo ihr seid, aber zieht eure Schuhe aus. Ich bin gleich zurück.
EDVARD VERGERUS
(aus der Distanz zu hören)
Ich habe dir gesagt, ich möchte nicht gestört werden. HENRIETTA murmelt etwas Unhörbares.
(EDVARD VERGERUS)
(noch immer aus der Distanz)
Er beißt sich fest wie eine Zecke.
ISAK schließt die Tür und fetzt zurück zur Halle. Der BISCHOF ist angekommen und mustert ISAK mit düsterer Miene. HENRIETTA schaut hinter seinem Rücken hervor.
ISAK
Entschuldigen Sie mich. Altherrenleiden. Guten Tag, Euer Hochwürden.
EDVARD VERGERUS
Sie wollen die Kiste kaufen?
Sehr richtig!
Und was bezahlen Sie?
ISAK
EDVARD VERGERUS
ISAK zieht einen Vertrag heraus.
Das steht auf diesem Papier.
EDVARD liest.
ISAK
EDVARD VERGERUS
Sie müssen es wirklich bereuen.
Ich habe vielleicht einen Interessenten.
Die Summe ist zu niedrig.
Dann tut es mir leid. Steht auf, um zu gehen.
ISAK
EDVARD VERGERUS
ISAK
Leben Sie wohl, Hochwürden.
EDVARD VERGERUS
Die Kiste ist das Doppelte wert.
ISAK Bestimmt.
Sie hauen mich übers Ohr.
EDVARD VERGERUS
ISAK
Sie können einfach Nein sagen.
Haben Sie das Geld dabei?
EDVARD VERGERUS
ISAK
Hier in der Brusttasche. In großen Scheinen.
EDVARD VERGERUS
Geben Sie mir das Geld, Jacobi.
ISAK
Aber natürlich, bitte. Könnte der Herr Bischof mir noch den Vertrag unterschreiben?
EDVARD VERGERUS
Soll geschehen, Herr Jacobi. Soll geschehen.
Er nimmt das Geld und den Vertrag und schließt sich in seinem Arbeitszimmer ein.
HENRIETTA
Würden Sie mich entschuldigen?
Sie werden mir fehlen.
ISAK
HENRIETTA
Ich setze voraus, dass Sie nur mitnehmen, was Ihnen zusteht.
ISAK
Ein Verdacht fällt auf den zurück, der ihn hegt.
HENRIETTA geht. ISAK stürzt zurück zum Kinderzimmer. Beeilt euch, jetzt muss es schnell gehen!
Er nimmt FANNYs Hand und zieht sie mit sich. ALEXANDER folgt ihnen auf den Fersen. ISAK öffnet die Kiste und flüstert den KINDERN zu, sie sollten hineinklettern. Im selben Augenblick geht die Tür auf. Der BISCHOF kommt herein, als ISAK gerade die Kiste schließt.
Möchte der Bischof sich versichern, dass ich nur mitnehme, was mir zusteht?
Seite 69
ISAK öffnet die Kiste. Bitte sehr!
(winkt ab)
EDVARD VERGERUS
Ich wollte nur den unterschriebenen Vertrag bringen.
ISAK macht die Kiste zu und setzt sich darauf. Der BISCHOF setzt sich neben ihn und lacht herzlich. ISAK lacht mit.
Was halten Sie von dem Gemälde dort?
ISAK
Ein echter van Meertens, nicht wahr?
EDVARD VERGERUS
Ich mache Ihnen einen guten Preis.
ISAK
Meine Ressourcen sind für den Moment ausgereizt. Wie geht es der Frau Bischof?
Jäh packt der BISCHOF ISAK am Kragen und schleudert ihn zu Boden.
Nr. 27. „Konfrontation“
EDVARD VERGERUS
MIESES JUDENSCHWEIN!
RÄUDIGER SCHAKAL!
WIE TIEF KANN MAN SINKEN?
FEHLT DIR JEGLICHE MORAL?
FEIGER PARASIT!
DREISTER ISRAELIT!
EHRLICH, DACHTEST DU, DU NIMMST, WAS MEIN IST, EINFACH MIT?
WART, SCHON BALD WIRST DU BEREUEN, DU KRUMMNASIGES STINKTIER!
ICH WERD’ DICH ZERTRETEN, MIT DEM KRUMMSTAB DICH VERBLEUEN!
DU GIERIGER, GEIFERNDER, STINKENDER ...!
Der BISCHOF nimmt ISAK in den Würgegriff und drückt zu. HENRIETTA und FRAU BLENDA stürzen herein. Durch die geöffnete Tür ist in einem Berg aus Kissen vage ELSA BERGIUS zu sehen. Sie brüllt.
ELSA BERGIUS
WAS GEHT DENN HIER VOR?
WAS GEHT DENN HIER VOR?
WAS GEHT DENN HIER VOR?
FRAU BLENDA
WAS GEHT DENN HIER VOR? WAS GEHT DENN HIER VOR?
HENRIETTA und FRAU BLENDA packen den BISCHOF und ziehen ihn von JACOBI weg.
EDVARD VERGERUS
Er stiehlt meine Kinder! Das Judenschwein stiehlt mir meine Kinder!
Er stürzt zur Kiste und macht den Deckel auf. Starrt hinein.
HENRIETTA
Das kann nicht sein! Ich habe den Schlüssel zum Kinderzimmer!
Der BISCHOF stürmt zum Kinderzimmer und reißt die Tür auf. Auf dem Boden liegen die KINDER, sie scheinen zu schlafen. Sie bewegen sich nicht. Der BISCHOF geht zu ALEXANDER und streckt die Hand aus.
EMILIE
Fass sie nicht an! Wenn du sie anfasst, bringe ich dich um!
EMILIE steht an der Treppe, hochschwanger und mit wirrem Haar, und blutigen aufgeschwollenen Lippen.
Der BISCHOF starrt EMILIE mit irrem Blick an. Geht zu ihr.
Nr. 27a. „Liebe dich – verfluche dich“
EDVARD VERGERUS
ICH LIEBE DICH, EMILIE.
NEIN, DU DARFST NICHT GEH’N!
MEIN AMT, MEIN LEBEN, EMILIE, WÜRDEN DAS NICHT ÜBERSTEH’N.
KOMM, BET’ MIT MIR, EMILIE, WIR SPRECHEN MIT NUR EINEM MUND.
DENN GOTT HAT UNS VEREINIGT
IM GESEGNETEN EHEBUND.
EMILIE schreit, und der BISCHOF schlägt ihr auf den Mund. Sie stürzt.
EMILIE
ICH VERFLUCHE DICH!
WIE ES MICH EKELT, DASS DEIN KIND IN MIR GEDEIHT!
WENN DAS BALG AUS MEINEM BAUCH KRIECHT, SCHICK’ ICH’S IN DIE EWIGKEIT!
FORTAN WERD’ AUF KNIEN
ICH NUR NOCH BETEN, DASS DU STIRBST UND DASS DER HIMMELSFÜRST
DIR KEINE QUAL ERSPAR’N WIRD!
UND BIST DU ENDLICH TOT, SORG’ ICH DAFÜR, DASS DEIN SCHICKSAL DEINER GANZEN HÖLLENSIPPSCHAFT
WIDERFAHR’N WIRD!
EDVARD VERGERUS
ICH LIEBE DICH, EMILIE.
EMILIE (versetzt)
ICH VERFLUCHE DICH!
ICH VERFLUCHE DICH!
EDVARD VERGERUS
ICH LIEBE DICH, EMILIE.
EMILIE (versetzt)
ICH VERFLUCHE DICH! VERFLUCHE DICH! VERFLUCHE DICH! VERFLUCHE DICH! VERFLUCHE DICH! VERFLUCHE DICH!
EDVARD VERGERUS
Emilie! Jetzt ziehen wir durch das Tal der Dürre und machen es zum Quellgrund.
Stirb, Edvard, stirb!
EMILIE
Der BISCHOF streckt den Rücken durch, ballt die Fäuste und verlässt türknallend das Zimmer. FRAU BLENDA geht, um ELSA zu füttern. HENRIETTA wirft noch einmal einen Blick in die Kiste, um sich zu versichern, dass sie leer ist. ISAK JACOBI ist aufgestanden, nimmt zwei Püppchen aus seinen Jackentaschen, angezogen wie FANNY und ALEXANDER. Er legt sie heimlich schnell in die Kiste und zeichnet dann mit dem Zeigefinger einen Kreis um die Kiste und murmelt dabei.
ISAK
VE GEDULAH! VE GEVURAH! JEHODVEH!
Zwei MÄNNER kommen und tragen die Kiste hinaus. Sie ist schwer. ISAK geht hinterher. Er sieht mitgenommen aus, wie nach einer Kraftanstrengung.
BLACKOUT.
Die MÄNNER stellen die Kiste in ISAKs Geschäftsräumen ab. Er zieht die Jalousien herunter. Das Geschäft ist voll mit allen möglichen seltsamen Gegenständen und Figuren. ISAK öffnet die Kiste, und die KINDER krabbeln verstört heraus. ISAK legt den Finger an den Mund.
ALEXANDER
Kann der Bischof uns zurückholen?
Im Augenblick besteht keine Gefahr.
Ich vermisse Mama.
ISAK streicht ihr übers Haar.
Geduld, Fräulein Ekdahl, Geduld.
Wie lange werden wir hierbleiben?
Vermutlich nicht das ganze Leben.
ISAK
FANNY
ISAK
ALEXANDER
ISAK
ALEXANDER
Ich bin müde, können wir schlafen gehen?
ARON ist gekommen. Er hat einen Topf Suppe dabei.
ISAK
Das ist Aron, mein Neffe. Aron, unsere Gäste sind müde. Ist das Zimmer fertig? Die Betten gemacht? Hast du Blumen hineingestellt?
ARON
Ich habe alles gemacht, was mein Onkel mir aufgetragen hat.
Nr.
Sie gehen Richtung Schlafzimmer. Das Haus hat viele geheimnisvolle Treppen und Zimmer. Überall gibt es Puppen und Masken, die einen ansehen. Als wären sie lebendig. In einem Zimmer steht ein Marionettentheater.
ISAK
Arons Puppentheater. Wenn ihr ihn lieb bittet, gibt er bestimmt eine Vorstellung für euch.
ARON nickt lächelnd. ISAK bleibt stehen und deutet auf eine Tür. Hat Ismael gegessen?
ARON
Er hat sein Essen um drei bekommen.
ISAK
Hinter dieser Tür wohnt Ismael. Er ist krank und darf dieses Zimmer nie verlassen. Die Tür muss immer abgeschlossen sein. Vergesst das nicht, Kinder.
Die KINDER nicken ernsthaft. Nachts singt er, aber das ist nicht gefährlich.
Sie haben das Schlafzimmer erreicht. ARON schöpft Suppe in zwei Teller und gibt sie den KINDERN
ARON
Ich werde nach Ismael schauen.
ARON streicht ALEXANDER über die Wange. Mustert ihn.
Ismael und ich sind Brüder. Unsere Eltern starben, als wir Kinder waren. Gute Nacht.
FANNY UND ALEXANDER
Gute Nacht.
ARON geht. Die KINDER setzen sich auf ihre Betten und essen.
ISAK
Das ist jetzt also fürs Nächste euer Zuhause. Ich hoffe, ihr fühlt euch wohl. Gute Nacht, und vergesst das Abendgebet nicht.
ALEXANDER
Geh nicht, bitte.
Ich soll ein Weilchen bleiben?
Ja, bitte.
Dann setz’ ich mich mal hier hin.
ISAK
ALEXANDER
ISAK
Er setzt sich in eine Ecke des Zimmers und holt die Brille und ein kleines, abgegriffenes Buch heraus.
ALEXANDER
Was ist das für ein Buch?
ISAK
Erzählungen, weise Worte und Gebete. Es ist auf Hebräisch.
FANNY
Kann Onkel Isak diese Sprache?
Soll ich euch etwas vorlesen?
Die KINDER nicken.
ISAK
ALEXANDER
Kann uns der Bischof auch sicher nicht holen, Onkel Isak?
ISAK
Sei unbesorgt, Alexander.
Jetzt lies.
FANNY
ISAK blättert im Buch und findet etwas zum Vorlesen.
Seite 74
Nr. 29 „Der Quell des Glücks“
ISAK
EIN MENSCHENSTROM FOLGT EINEM WEG, DER SICH ZIEHT DURCH ÖDES LAND.
UND FRAGST DU NACH, WOHIN SIE WOLL’N, IST’S NIEMANDEM BEKANNT.
VOM STAUB DIE KEHLE AUSGEDÖRRT
FRAGST DU DICH NACH DEM SINN: DAS ZIEL IST NICHT BEKANNT, DOCH JEDER WILL ALS ERSTER HIN.
DU KOMMST AN EINEN WALD MIT EINEM SEE, WO ENDLICH SCHATTEN IST.
NOCH BLIND VOM STAUB ERKENNST DU NICHT, WO DU GELANDET BIST.
DU STEHST DIREKT VORM QUELL DES GLÜCKS, NUR AHNST DU NICHTS DAVON.
DU FÜHLST DICH SEHR ALLEIN, DICH SCHRECKT DER QUELLE FLÜSTERTON.
DU EILST ZURÜCK ZUM AUSGEDÖRRTEN WEG,
DAS SCHEINT DIE SICH’RE WAHL.
DOCH HÄTT’ DER QUELL DICH RETTEN KÖNNEN AUS DES LEBENS QUAL.
DU DREHST DICH UM UND FRAGST ERSTAUNT:
WO WAR NUR DIESER QUELL?
EINMAL HAST DU IHN KURZ GESEH’N, DANN SCHLOSS DER WALD SICH SCHNELL.
DU KOMMST IM LEBEN IRGENDWANN ZUM QUELL DES GLÜCKS, GLAUB MIR. DOCH OB DU HÖRST, WAS ER DIR SINGT, LIEGT GANZ ALLEIN AN DIR.
DIE MEISTEN WÄHL’N STATT SEINES RUFS DEN ALTBEKANNTEN PFAD.
SIE HETZEN WEITER NACH DEM ZIEL, DAS KEINER JE GESEHEN HAT.
ISAK schlägt das Buch zu. Die KINDER sind eingeschlafen. Er steht auf, küsst sie auf die Stirn, bleibt einen Augenblick gedankenversunken stehen und verlässt dann das Schlafzimmer.
ISAK JACOBIS HAUS
Nr. 30. Reprise: „Wenn ich für immer geh’“/„Papa, wo bist du?“
Gesang ist zu hören, eine jüdisch inspirierte Vokalise, das ist ISMAEL RETZINSKY.
ISMAEL
AH-EH-SITRA ACHRAH YETZER HARA-AH-EH
ALEXANDER wird jäh von dem Gesang geweckt und setzt sich auf.
ALEXANDER
Ismael! Verdammt, ich muss pissen! Er sucht unter dem Bett nach einem Nachttopf, findet aber keinen. Dann macht er sich im Haus auf die Suche.
Ist nicht leicht, das Klo hier zu finden.
Auf dem Weg durchs Haus geht er an den Betten von ISAK und ARON vorbei. Beide schlafen tief und schnarchen.
ISMAEL
AH-EH-SITRA ACHRAH YETZER HARA-AH-EH
ALEXANDER findet einen Blumentopf, in den er pinkeln kann. Als er sich umdreht, steht OSCAR vor ihm.
OSCAR
WENN ICH IM JENSEITS BIN, WERD’ ICH TROTZDEM DIR NOCH NAH SEIN.
DIE LIEBE ZWISCHEN UNS
WIRD IMMER, IMMER, IMMER DA SEIN.
ALEXANDER
PAPA, ERZÄHL MIR:
PFEIFT GOTT AUF SEINE KINDER?
IST ER EIN EGOIST, DER NUR AN SICH UND SONST NICHTS DENKT?
OSCAR
NICHTS TRENNT UNS, ICH BIN HIER, WAR ES GESTERN, BIN’S HEUTE. DOCH ICH KANN LEIDER NICHTS FÜR DICH TUN
VON DER AND’REN SEITE.
ISMAEL
AH-EH-SITRA ACHRAH YETZER HARA-AH-EH
OSCAR
FANNY, DU, MAMA, ICH, DAS ALLES IST GEBLIEBEN.
WIR SIND UNS WIE FRÜHER NAH, WEIL WIR UNS NOCH LIEBEN.
ALEXANDER
PAPA, NUR EINS NOCH:
STEIG HINAUF IN DEN HIMMEL
UND BITTE GOTT, DASS ER MIR ERLAUBT, DEN BISCHOF TOTZUHAU’N!
ISMAEL
AH-EH-SITRA ACHRAH YETZER HARA
OSCAR
ALLES LIEF FALSCH, MEIN SOHN, ABER DU BIST NICHT SCHULDIG.
SPÜRST DU AUCH VERBITTERUNG, SEI GNÄDIG, SEI GEDULDIG.
Ein Zittern hebt an, und OSCAR entfernt sich. Das ganze Haus scheint zu beben, aber es sind ARONs Puppen, die wirken, als wären sie lebendig geworden.
ALEXANDER
Wer ist da?
Nr. 30a. „Ich bin dein Gott, Alexander“
EINE STIMME (ENSEMBLE)
ICH BIN DEIN GOTT, ALEXANDER.
ALEXANDER
WENN’S DICH WIRKLICH GIBT, DANN RAUS MIT DIR !
EINE STIMME (ENSEMBLE)
DU WEIßT BESTIMMT, ALEXANDER, WENN DU MEIN ANTLITZ SIEHST, IST’S AUS MIT DIR!
ALEXANDER
SAG, WAS DU WILLST!
EINE STIMME (ENSEMBLE)
ALEXANDER!
ALS BEWEIS DAFÜR, DASS ES MICH GIBT, ERSCHEIN’ ICH DIR, ALEXANDER, UND STRAFE DICH, WIE’S MIR BELIEBT.
ICH BIN DEIN HERR, ALSO EHRE MICH.
WER FRECH MICH LEUGNET, DEN FEG’ ICH WEG!
ICH ZEIG’ MICH DIR NUN UND BEKEHRE DICH.
ALEXANDER
OH GOTT, OH GOTT, ICH STERBE GLEICH VOR SCHRECK!
EINE STIMME (ENSEMBLE)
JETZT KOMM’ ICH RAUS, ALEXANDER!
DANN IST ES AUS, ALEXANDER!
JETZT KOMM’ ICH RAUS, KOMM’ ICH RAUS, KOMM’ ICH RAUS, IST ES AUS, IST ES AUS, IST ES AUS,
Seite 77
KOMM’ ICH RAUS, KOMM’ ICH RAUS, KOMM’ ICH RAUS, KOMM’ ICH RAUS, KOMM’ ICH RAUS!
Alle Puppen bewegen sich auf eine für ALEXANDER höchst furchteinflößende Weise. Eine Menge Staub. Eine riesige Gestalt zeigt sich. Weiße Haare und weißer Bart, roter Mantel über einer Tunika. Sieht biblisch aus. Die Gestalt stürzt in sich zusammen, und ARON wird sichtbar.
ARON
Gib zu, dass du Angst hattest!
Hatte ich überhaupt nicht.
ALEXANDER
ARON
„Oh Gott oh Gott, ich sterbe gleich vor Schreck!“
ARON lacht, und ALEXANDER gibt ihm eine Ohrfeige. Sie kämpfen kurz.
ALEXANDER fängt an zu weinen.
Weine nicht, Alexander. Ich wollte dich nicht erschrecken. Zumindest nicht stark.
ARON hebt die große Puppe hoch.
Nr. 31. „Die Mumie“
(ARON)
Ich habe die ganze Nacht an dieser Puppe gearbeitet und dich dann herumtapsen gehört.
Er hält inne und lauscht.
Hörst du? Ismael ist wach und singt.
ISMAEL
AH-EH-SITRA ACHRAH YETZER HARA-AH-EH9
ARON
Ismael hält die Menschen nicht aus. Manchmal wird er wütend. Dann ist er gefährlich.
ALEXANDER
Du hast gesagt, dass du die ganze Nacht an der Puppe gearbeitet hast, aber ich habe dich doch neben deinem Onkel schlafen sehen.
ARON
Es gibt so vieles, das man nicht erklären kann. Das wird einem besonders klar, wenn man sich mit Magie beschäftigt. Hast du unsere Mumie gesehen?
ALEXANDER
Nein.
Komm.
ARON
Sie gehen zwischen den seltsamen Puppen von ARON hindurch in eine Ecke. Dort liegt eine echte Mumie. Sie atmet.
Sie ist seit viertausend Jahren tot, und trotzdem atmet sie. Siehst du? Ich werde jetzt das Licht ausmachen.
Als ARON das Licht ausmacht, sieht man, dass die Mumie leuchtet.
Sie leuchtet!
ALEXANDER
ARON
Niemand kann das erklären. Das Unbegreifliche treibt die Menschen in den Wahnsinn. Komm jetzt mit.
ARON streckt eine Hand in Richtung der Mumie. Sie dreht den Kopf zu seiner Hand.
Onkel Isak sagt, wir seien umgeben von vielen Wirklichkeiten, eine um die andere. Es wimmle von Geistern, Gespenstern, Engeln und Teufeln. Alles ist am Leben, und alles ist Gott. Nicht nur das Gute, sondern auch das Erschreckendste. Was meinst du?
ALEXANDER
Wenn es einen Gott gibt, ist er ein Arsch und ein Pissgott, dem ich am liebsten in den Hintern treten möchte.
ARON
Eine interessante Theorie, Alexander, und ziemlich einleuchtend.
ISMAEL
AH-EH-SITRA ACHRAH YETZER HARA-AH-EH
ARON
Wollen wir Ismael sein Frühstück bringen?
Seite 79
BISCHOFSSITZ
EMILIE sitzt am Küchentisch. Sie hat sich eine Tasse warmer Bouillon gemacht. Neben ihr liegt ein Täschchen. Der BISCHOF betritt nach kurzem Zögern den Raum. An einem weniger erleuchteten Ort auf der Bühne liegt ELSA und gibt in unregelmäßigen Abständen Laute von sich. Eine Petroleumlampe brennt.
EDVARD VERGERUS
Willst du nicht ins Bett gehen? Es ist schon vier Uhr.
EMILIE
Ich kann nicht schlafen.
Ich auch nicht.
EDVARD VERGERUS
EMILIE
Ich habe nach Elsa gesehen. Ihr geht es sehr schlecht.
EDVARD VERGERUS
Morgen kommt der Doktor.
EMILIE führt die Tasse an den Mund.
Was trinkst du?
EMILIE
Bouillon. Die hilft gegen Schlaflosigkeit.
EDVARD VERGERUS
Kann ich etwas davon haben?
EMILIE zögert, dann schiebt sie ihm langsam die Tasse hin.
Kannst du mir vergeben?
EMILIE
(nach einer Pause)
Du verlangst, dass die Kinder zurückkommen. Dann ist es hoffnungslos.
EDVARD VERGERUS
Mich interessiert nur, was richtig ist.
Er führt die Tasse an den Mund.
Ich glaube, Elsa hat gerufen.
Ich sehe nach ihr.
EMILIE
EDVARD VERGERUS
EDVARD stellt die Tasse ab, steht auf und geht zu ELSA. EMILIE öffnet das auf dem Tisch liegende Täschchen und streut ein Pulver in die Bouillontasse.
Kann ich dir helfen, Tante?
Es ist so dunkel.
ELSA BERGIUS
Nr. 32. Reprise „Still in deinen Armen“
EDVARD stellt die Lampe neben ihr Bett und geht zu EMILIE zurück. Er nimmt die Tasse mit der Bouillon und trinkt sie aus.
EDVARD VERGERUS
DU SAGTEST MAL, DU TRUGST AUF BÜHNEN SCHON SO VIELE MASKEN, DASS DU IM WAHREN LEBEN NICHT MEHR WUSSTEST, WER DU BIST.
ICH HAB’ NUR EINE MASKE. SIE SITZT FEST, UND ICH FÜRCHTE, WENN ICH SIE RUNTERREIß’ , DASS DANN BLUT IN STRÖMEN FLIEßT. Er macht eine Pause, starrt auf die Tasse, blickt hinein.
ICH HABE STETS VON MIR GEDACHT, MAN KÖNNTE MICH NICHT HASSEN.
ICH GLAUBTE, HINTER MEINER MASKE STECKT EIN MENSCH, KEIN BIEST.
EDVARD wird schwindelig, er schluckt, als hätte er einen bitteren Geschmack im Mund, fasst sich an den Kopf, atmet schwer.
EMILIE
Ich hasse dich nicht, Edvard.
EDVARD VERGERUS
Wenn nicht du, dann Alexander. Er hasst mich so inbrünstig, dass ich mich vor ihm fürchte.
EMILIE steht auf und geht Richtung Tür. EDVARD versucht aufzustehen, muss sich aber wieder setzen. Er sieht EMILIE erbittert an.
Emilie?
EMILIE steht in der Tür und betrachtet ihren Ehemann.
EMILIE
DEINE SCHWESTER HENRIETTA
GAB MIR EIN MITTEL FÜR DEN SCHLAF, DREI DOSEN IN DIE SUPPE.
DIE WAR’N NICHT FÜR DICH GEDACHT.
MIR GEHT ES NICHT UM RACHE, JEDOCH, ICH GAB NOCH DREI HINZU, DA SAHST DU GERAD’ NACH ELSA. ICH GEH’ FORT NOCH HEUTE NACHT.
SAG LEBWOHL, GELIEBTER, DU UND ICH SIND NUN GESCHICHTE. DU NAHMST UNS DAS LEBEN, HAST DEM BÖSEN DICH VERSCHWOR’N.
BALD WIRST DU TIEF SCHLAFEN, WÄHREND ICH NACH HAUSE FLÜCHTE. HIER GIBT’S KEINEN SIEGER,
BEIDE HABEN WIR VERLOR’N.
EDVARD fährt aus dem Stuhl hoch, steckt sich die Finger in den Hals und erbricht sich.
EDVARD VERGERUS
ICH LIEBE DICH, EMILIE!
ICH KANN EIN AND’RER WERDEN.
HALT MICH IN DEN ARMEN, SCHENK DEM DUNKEL IN MIR LICHT.
EMILIE
DAS WIRD NIE GESCHEH’N, DU WILLST DEIN ANSEH’N NICHT GEFÄHRDEN.
RISSEST DU DIE MASKE AB, VERLÖRST DU DEIN GESICHT.
Sie verlässt die Küche und geht ins Schlafzimmer. Er folgt ihr schwankend. Sie zieht einen Mantel über ihr Nachthemd.
EDVARD VERGERUS
ICH ZERSTÖR’ DICH, WENN DU GEHST, VERGIFTE DEINE BRUT!
WOHIN DU DICH AUCH RETTEN WILLST, DU WIRST MIR NICHT ENTKOMMEN!
EMILIE
SCHLAF JETZT, DENN DU KLINGST, ALS WÄREST DU NICHT MEHR GANZ BEI SINNEN.
EDVARD VERGERUS
ICH BIN KLAR BEI SINNEN, HELLWACH, KLAR BEI SINNEN!
BITTE HILF MIR DOCH NOCH WENIGSTENS INS BETT!
ES DUNKELT, EMILIE!
ICH BIN WACH UND KLAR BEI SINNEN!
ICH KANN NICHTS MEHR SEH’N!
ICH BIN VERWIRRT!
EMILIE, BIST DU DA?
ICH KANN NICHTS MEHR SEH’N!
ICH KANN NICHTS MEHR SEH’N!
Der BISCHOF stolpert, stürzt zu Boden und krabbelt zum Bett. EMILIE sieht ihm reglos zu, dann bläst sie die Lampe aus und geht.
ISMAELS ZIMMER IN ISAKS HAUS
ALEXANDER steht neben ARON, der die Gittertür aufschließt, hinter der ISMAEL eingesperrt ist.
ARON
Guten Morgen, Ismael. Das ist Alexander, ein Freund.
ISMAEL
Lass uns allein, Aron. Ich werde ihn nicht auffressen, auch wenn er appetitlich ist.
ISMAEL streicht ALEXANDER zärtlich über die Wange.
Du kannst in einer halben Stunde wiederkommen.
ARON
Onkel Isak würde wohl kaum ...
ISMAEL
Onkel Isak ist ein alter Ziegenbock. Geh jetzt.
ARON küsst ISMAEL auf den Mund und geht. Schnell schließt er das Gitter hinter sich. ISMAEL reicht ALEXANDER seine Tasse.
ALEXANDER
Nein danke.
ISMAEL
Ich heiße Ismael, aber das weißt du ja schon. „Der Herr hat dein Elend erhört. Dein Sohn wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn.“10 Angeblich bin ich gefährlich und muss weggesperrt sein.
ALEXANDER
Wie, gefährlich?
ISMAEL lächelt und gibt ALEXANDER einen Stift und ein Stück Papier. Fixiert ihn mit seinem Blick.
ISMAEL
Schreib deinen Namen auf diesen Zettel. Schreib Alexander Ekdahl. ALEXANDER schreibt.
Jetzt lies, was du geschrieben hast.
Da steht: „Ismael Retzinsky“?!
ALEXANDER
ISMAEL lächelt und nimmt ALEXANDER das Papier ab.
ISMAEL
Vielleicht sind du und ich dieselbe Person? Wir fließen ineinander, grenzenlos, großartig.
ISMAEL starrt ALEXANDER ununterbrochen an.
Nr. 33 „Die Sonne rot, verkohlt ein Mensch“
(ISMAEL)
In dir sind entsetzliche Gedanken am Werk. Deine Nähe ist fast quälend. Weißt du, woran das liegt?
ALEXANDER
Ich weiß nicht, ob ich es wissen will.
ISMAEL
Man kann von jemandem, den man nicht mag, eine Puppe machen und Nadeln hineinstechen. Ziemlich umständlich, wenn man weiß, welche schnellen Wege böse Gedanken nehmen können.
ISMAEL beugt sich nah zu ALEXANDER. Du bist ein sonderbares Kerlchen, Alexander.
Packt ALEXANDER und zieht ihn an sich. Umarmt ihn.
(ISMAEL)
DICH QUÄLT DER WUNSCH NACH JEMANDES TOD.
ICH WEIß, AN WEN DU DABEI DENKST.
EIN GROßER MANN, DIE HAARE GRAU, DIE HAUT IST GLATT, DER BLICK STAHLBLAU.
ER SCHLÄFT ZWAR, DOCH HAT ATEMNOT.
EIN ALPTRAUM LÄSST IHM KEINE RUH’.
VERWEINT UND MIT GEBROCH’NEM STOLZ
KNIET ER VOR EINEM KREUZ AUS HOLZ.
DORT RUFT ER: GOTT, VERLÄSST DU MICH?
DOCH KEINE ANTWORT, GOTT BLEIBT STUMM.
ES DRINGT DURCH DIESE SCHICKSALSNACHT
KEIN WEINEN, NOCH WIE JEMAND LACHT.
ALEXANDER
Bitte hör auf! Hör auf so zu reden!
ISMAEL
DU REDEST SELBST, DENN ICH BIN DU.
ISMAEL streicht über ALEXANDERs Augen und schließt sie. Sobald die Augen geschlossen sind, tauchen an der Wand hinter ihnen Laterna-magica-Bilder auf. Gewaltige Bilder des Bischofssitzes. Bilder des schlafenden BISCHOFs und von ELSA VERGERUS, die sich nach der brennenden Petroleumlampe streckt.
ISMAEL berührt vorsichtig ALEXANDERs Nachthemd.
(ISMAEL)
Gib mir deine Hände. Das ist nicht notwendig, aber sicherer. Man wird die Türen aufstoßen, und ein Schrei wird durchs Haus tönen.
ALEXANDER
Ich will das nicht! Bitte lass mich gehen!
ISMAEL
FÜR ZWEIFEL IST ES JETZT ZU SPÄT.
NIMM MEINE HAND, UND ES WIRD GUT. BALD WIRD ES TAG, ICH STEH’ DIR BEI. HAB KEINE ANGST, UND DU WIRST SEH’N: WAS DU JETZT DENKST, IST SCHON GESCHEH’N.
ICH BIN DEIN ENGEL, WIR SIND EINS. ICH STÜTZE UND BESCHÜTZE DICH.
DIE SONNE ROT, VERKOHLT EIN MENSCH. (5x) DIE SONNE ROT!
Die jetzt projizierten Bilder zeigen die brennende ELSA, eine lebende Fackel, die zum Bett des BISCHOFs schwankt. Sie fällt darauf und setzt das Bett und den BISCHOF in Brand.
ALEXANDER
Ich will das nicht. Lass mich! Lass mich!
ALEXANDER macht die Augen auf, und mit einem Schlag verschwinden die Bilder. Für einen Augenblick steht er wie eingefroren. BLACKOUT.
EMILIE ruht völlig entkräftet auf einem Sofa in HELENAs Haus.
Emilie, die Polizei ...
Mit einer Kraftanstrengung setzt EMILIE sich auf. Ein POLIZEIBEAMTER in Zivil betritt das Zimmer.
Ihr Ehemann, der Bischof, kam heute Morgen ums Leben.
Er zeigt auf einen Stuhl. EMILIE nickt, und er setzt sich. Ich konnte das Geschehene rekonstruieren. Elsa Bergius lag in ihrem Bett. Ihre Nachttischlampe muss auf ihr Bett gestürzt sein, wo sie ihre Haare und Kleider in Brand setzte. Wie eine lebende Fackel rannte sie ins Schlafzimmer des Bischofs.
ALEXANDER ist vorsichtig ins Zimmer gekommen.
Der Bischof schlief ziemlich tief, weil Sie, Frau Vergerus, ihm ein Schlafmittel verabreicht hatten. Fräulein Bergius warf sich auf ihn und entzündete so Bettzeug und Kleider. Dem Bischof gelang es nicht, das Feuer zu löschen. Als die alte Frau Vergerus ihn fand, waren Körper und Gesicht verbrannt, und er brüllte, seine Schmerzen seien unerträglich.
Dass das Schlafmittel entscheidend für das Ausmaß des Unglücks war, ist nicht eindeutig gesichert. Und so lautet das Ergebnis unserer Untersuchungen: missliches Zusammentreffen besonders unglücklicher Umstände.
Der KOMMISSAR schlägt die Hacken zusammen. ALEXANDER rennt hinaus. HELENA und EMILIE sehen einander an.
VILLA EKDAHL
Nr. 34. „Wonnenland“
Eine Festtafel anlässlich der Taufe der fünf Monate alten Töchter von EMILIE und MAJ.
ALLE
SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERI FADERULLAN DEI! SCHLUCK! SCHLUCK! SCHLUCK!
SING HEI FADERULLAN DEI!
GUSTAV ADOLF
Liebe Freunde, liebe Schauspieler, Künstler, Theaterleute. Liebe Familie: Ich bin so schrecklich gerührt.
ICH DENKE ZIEMLICH EINFACH. DER GEISTESADEL MEINT, DAS SEI VERACHTENSWERT ALLTÄGLICH, DOCH DAS IST MIR VÖLLIG EINERLEI.
WIR SIMPLEN EKDAHLS SCHER’N UNS UM DIE GROßEN ZUSAMMENHÄNGE NICHT, WIR FREU’N UNS UNSRES LEBENS, UND WIR MÖGEN KÜHLE STRENGE NICHT.
WIR LIEBEN UNSRE KLEINE WELT, GERAD’ WEIL SIE LEICHT BEGREIFBAR IST. DAS KLEINE BIRGT VIEL WEISHEIT, WAS DIE GROßE WELT ZU GERN VERGISST.
TOD UND TRAUER KOMMEN RASCH, DAS WISSEN WIR, NA KLAR DOCH. WIR ABER KLAMMERN SORGEN AUS: WAS SOLL’S? DIE ERDE DREHT SICH NOCH.
WIR FREU’N UNS ÜBER BROT UND WEIN UND SEH’N DAS LEBEN POSITIV. DIE INTELLEKTUELLEN MEINEN WOHL, DAS WÄRE HÖCHST NAIV.
DOCH LIEBE KÜNSTLER, KEINE ANGST, ERST IHR MACHT UNSRE WELT KOMPLETT. THEATER MACHT UNS’RE ZIEMLICH SCHLICHTE BAUERNSCHLÄUE WETT.
NIEDERTRÄCHTIG IST DIE WELT, UND SCHLECHTIGKEIT WÄHRT EWIG. EIN HEUT’ GETAUFTES KIND SOGAR
BLEIBT NICHT VON SÜNDE VÖLLIG FREI.
PASS AUF, DASS DU SELBST GLÜCKLICH BIST, WENN DU DAS GLÜCK IM SCHMERZ VERMISST. UND HEUL AUS VOLLER KEHLE LOS, WENN WALZERKLANG DEIN HERZ ZERFRISST.
SCHÜTZ UNSRE KLEINE WELT, SEI GUT UND UNBEKÜMMERT WIE EIN KIND. BEGREIF DAS UNBEGREIFLICH GROßE IN DEM KLEINEN, DAS WIR SIND.
Wir Ekdahls sind nicht auf die Welt gekommen, um sie zu durchschauen! Glaubt das nur ja nie!
FREUNDE UND FAMILIE, JETZT BIN ICH ENDLICH FERTIG. WOMÖGLICH WAR’S AUCH FIRLEFANZ, VIELLEICHT GAR MINDERWERTIG,
DES HERRN DIREKTORS WORTERGUSS, EIN TIEFER GRIFF INS KITSCHREGAL!
ICH SAGE DAZU EINES NUR: DAS IST MIR SCHNURZPIEPSCHEIßEGAL!
SCHON GUT, MAMA, ICH SEHE JA, DU DENKST: WAS REDET DER FÜR’N STUSS?
NA GUT, ICH WERDE AUFHÖR’N. KOMMT, BETRACHTEN WIR MIT HOCHGENUSS ...
GUSTAV ADOLF geht zum Kinderwagen und hebt seine kleine Tochter hoch.
... EIN STÜCKCHEN WONNENLAND, EIN TIPPTOPP WONNENLAND, EIN NEUGETAUFTES, UNBERÜHRTES HÖCHSTE-WONNEN-LAND!
NOCH SCHLÄFT HIER DIE KAISERIN
GANZ SANFT AUF PAPAS ARM.
IRGENDWANN BEERBT SIE MICH
UND HERRSCHT MIT WITZ UND CHARME IM WONNENLAND ...
GUSTAV ADOLF UND ENSEMBLE
... DEM TIPPTOPP WONNENLAND, DEM NEUEN EKDAHLISCHEN SOMMER-SONNEN-WONNEN-LAND.
LEBEN IST EIN FESTMENÜ IM STERNERESTAURANT. WIR WOLL’N ES GENIEßEN!
HEBT DIE GLÄSER NONCHALANT
AUFS WONNENLAND, DAS EKDAHL-WONNENLAND!
IN DIESEM LAND SIND WIR DER LEGITIME ADELSSTAND, ZWEIFELSFREI DER ADELSSTAND
IM WONNENLAND.
GUSTAV ADOLF
LEBEN IST EIN FESTMENÜ IM STERNERESTAURANT.
GUSTAV ADOLF UND ENSEMBLE
WIR WOLL’N ES GENIEßEN!
HEBT DIE GLÄSER NONCHALANT
AUFS WONNENLAND, DAS EKDAHL-WONNENLAND!
IN DIESEM LAND SIND WIR DER LEGITIME ADELSSTAND, ZWEIFELSFREI DER ADELSSTAND
IM WONNENLAND.
ALEXANDER rennt vom Tisch weg. Vorne auf der Bühne steht die Laterna magica. Er setzt sich und steckt ein Laternbild hinein. Die Gesellschaft löst sich auf. EMILIE bleibt mit ihrer Tochter auf dem Arm zurück. ROSA, ein neues Dienstmädchen, tritt ein.
ROSA
Soll ich sie Ihnen abnehmen?
Danke. Wie gefällt es dir hier?
EMILIE
ROSA
Alle sind so nett. Besonders der Herr Direktor.
EMILIE
Ja, das ist er. Und besonders nett ist er zu jungen Mädchen. Sei lieber vorsichtig. Gute Nacht, Rosa.
ROSA geht. GUSTAV ADOLF und ALMA kommen. Er schwankt, will nicht ins Bett gehen und plumpst in einen Stuhl.
GUSTAV ADOLF
Champagner! Lass uns Champagner trinken!
ALMA
Du kannst noch ein Bier und ‘nen Schinken im Bett haben. Komm jetzt. Er ist fast schon überzeugt, da entdeckt er EMILIE.
GUSTAV ADOLF
Emilie will sicher mit Champagner auf unsere Töchter anstoßen.
EMILIE
Geh jetzt ins Bett, Gusti.
Ich bin so glücklich!
GUSTAV ADOLF
ALMA
Und morgen hast du dann Kopfschmerzen.
GUSTAV ADOLF
Dass wir wieder zusammen sind! Dass du wieder bei uns bist, Emilie! Er umarmt beide.
Seite 89
ALMA
Ich fahre morgen aufs Land hinaus. Soll ich irgendetwas für dich erledigen?
GUSTAV ADOLF
Hab’ ich nicht die beste Frau der Welt?
Eine bessere, als du verdienst.
EMILIE
GUSTAV ADOLF
Und die süßeste Geliebte der Welt. Ein richtiges Zuckerdings. Wenn ich dich ansehe, Emilie, möchte ich am liebsten vor Freude weinen.
EMILIE
Gute Nacht, Gusti.
Gute Nacht.
GUSTAV ADOLF
Jede Menge Ekdahl’sches Geküsse und Umarmen während des gesamten Dialogs.
EMILIE
Denk dran, dass Alma ihren Schlaf braucht.
GUSTAV ADOLF
Ja, ja. Ich weiß schon, was Alma braucht.
GUSTAV lacht und zieht ALMA mit sich. Lautes Lachen der beiden offstage. Als EMILIE sich umdreht, stehen da PETRA und MAJ mit ihrem Kind auf dem Arm.
PETRA
Tante Emilie?
Ihr Lieben, ihr seid noch wach?
EMILIE
PETRA
Wir wollen nach Stockholm ziehen. Wir hab en das Angebot, dort in einer Modeboutique zu arbeiten.
MAJ
Wir möchten das so gerne.
Fürchterlich gern sogar.
Aber wir kriegen es nicht hin. MAJ bricht in Weinen aus.
PETRA
MAJ
PETRA
Papa ist stur. Er will Maj unbedingt diese Konditorei kaufen.
MAJ
Er ist ja so nett. Weint weiter.
Seite 90
PETRA
Maj hält es nicht mehr aus, wie Papa sie bevormundet.
MAJ
Ich weiß nicht, was ich tun soll!
PETRA
Mama sagt, das dürfen wir Papa nicht antun.
MAJ
Es ist so fürchterlich.
PETRA
Du musst an dich selbst denken. Papa ist ja ein alter Mann. Nicht wahr, Emilie?
EMILIE
Ich werde mit Großmutter sprechen. Geht jetzt schlafen
Nr. 35. Übergang zu Akt II, Szene 13
Sie gehen, EMILIE geht zu HELENA.
[Markierter Text: optionaler Strich Takt 7 bis 11]
ALEXANDER steckt ein neues Laternbild ein. Mit einem Mal wird er gewahr, dass jemand hinter ihm steht. Er dreht sich um und starrt den BISCHOF an.
Der tritt die Laterna magica weg und geht über die Bühne. Dreht sich um und sieht ALEXANDER an, der den Apparat zusammensammelt.
EDVARD VERGERUS
Du wirst mich niemals los!
Seite 91
HELENA
Dann sind wir also, was Maj und Petra angeht, einer Meinung. Sie ziehen nach Stockholm, egal, ob Gustav Adolf das will oder nicht.
EMILIE
Aber da ist noch etwas.
HELENA
Ich weiß. Als Oscar im Sterben lag, hat er dich gebeten, dich um das Theater zu kümmern.
EMILIE
Das wird Gustav Adolf sehr verletzen.
HELENA
Was habt ihr nur immer mit diesem Gustav Adolf? Er hat keine Ahnung vom Theater. Es ist dein Theater, Emilie. Es ist an der Zeit, unserem kleinen Napoleon zu zeigen, dass er vor seinem Waterloo steht.
EMILIE
Ich wünschte, du würdest ein neues Stück von August Strindberg11 lesen.
HELENA
Pff, dieser Frauenhasser?
EMILIE
Ich dachte, wir beide könnten darin spielen.
HELENA
Ich habe nicht mehr auf der Bühne gestanden seit ...
EMILIE
Umso mehr.
Gibt HELENA ein Manuskript. Steht auf, um zu gehen. Jetzt sind wir die, die bestimmen. Gute Nacht, Liebste.
HELENA
Gute Nacht, mein kleines Mädchen.
Nr. 36. Finale Ultimo: „Laterna magica“ Reprise
HELENA bleibt in Gedanken sitzen. Sie nimmt das Manuskript, schlägt es auf und liest. ALEXANDER schleicht herein und setzt sich mit seinem Apparat zu ihren Füßen. Steckt ein neues Laternbild hinein.
(HELENA)
Alles kann geschehen. Alles ist möglich und wahrscheinlich. Zeit und Raum existieren nicht. Auf einem unbedeutenden wirklichen Grunde spinnt die Einbildung weiter und webt neue Muster.12
ENSEMBLE
DIE LATERNA MAGICA:
DIE WELT IN TAUSEND BILDERN.
GLASPLATTEN UND PARAFFIN,
DIE TRAUMVISIONEN SCHILDERN. IM FLACKERLICHT DER ZAUBERLAMPE TANZEN MÄRCHEN WUNDERBAR.
DIE LATERNA MAGICA: DIE WELT EIN GROßES SPIEL, DIE WELT IM KERZENSCHEIN, DIE WELT, DIE EINMAL MEI-NE WAR
ALEXANDER kriecht auf den Schoß seiner Großmutter HELENA und schläft ein. ENDE
Seite 93
1 Die Laterna magica , lat. für „Zauberlaterne“, war vom 17. bis 20. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet, insbesondere im 19. Jahrhundert. Zwischen die von einem Hohlspiegel verstärkte Lichtquelle und die Projektionslinsen wurden sogenannte Laternbilder eingeschoben, die mei st auf eine Leinwand projeziert wurden. Im Theater der Goethezeit diente Bühnennebel als Projektionsfläche, sodass der Eindruck von frei schwebenden Figuren , sogenannten Phantasmagorien, entstand – Ingmar Bergman gab seiner Autobiografie den Namen „Latern a magica. Mein Leben“.
2 Heute Nacht kann Alexander nicht bei mir schlafen ... – Die Anrede in der dritten Person, in Schweden bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts unter guten Bekannten ebenso gebräuchlich wie innerhalb der Familie, sogar zwischen Eltern und Kindern, klang förmlich und vertraut zugleich Mit „Sie“ wurden nur niedrig Untergebene angesprochen, was in Schweden bis heute als herablassend empfunden und nach Möglichkeit vermieden wird Die mittlerweile einheitliche Anrede mit „du “ setzte sich in den 1960er Jahren durch, einhergehend mit einem Erstarken der Sozialdemokratie. (Anmerkung von Renate Bleibtreu in ihrer Übersetzung der Romanvorlage, 2018)
3 Aus, aus, geh aus, klein Kerzelein .. Hier zitiert Alexander aus William Shakespeares Macbeth, 5. Aufzug, 6. Auftritt. (1606). In der Übersetzung von Friedrich Schiller lautet das Zitat:
Aus, aus, du kleine Kerze!
Was ist Leben? Ein Schatten, der vorüber streicht! Ein armer Gaukler, Der seine Stunde lang sich auf der Bühne Zerquält und tobt; dann hört man ihn nicht mehr.
Anna Pawlowna Pawlowa (1881-1931) war eine russische Meistertänzerin des klassischen Balletts.
4 Plattfuß-Pavlova
5 Georges Feydeau (1862-1921) war ein französischer Dramatiker, dessen Komödien als letzter Höhepunkt des Vaudeville gelten. In seinen letzten fünf Lebensjahren verarmte er und starb geistig umnachtet in einem Sanatorium.
6 So ward ich schlafend und durch Bruders Hand ... Dies ist die Schlegel-Übersetzung der folgenden Zeilen:
Thus was I, sleeping, by a brother’s hand Of life, of crown, of queen at once dispatched, Cut off even in the blossoms of my sin, Unhouseled, disappointed, unaneled. No reckoning made, but sent to my account With all my imperfections on my head. Oh, horrible, oh, horrible, most horrible! If thou hast nature in thee, bear it not. Let not the royal bed of Denmark be A couch for luxury and damnèd incest.
7 In Shakespeares Hamlet (1601/02) ermordet Claudius, der Bruder des Königs, den Herrscher, reißt die Krone an sich und heiratet Gertrud, die Witwe des Königs. Prinz Hamlet strebt danach, seinen Vater zu rächen, und stürzt dabei alle Beteiligten ins Unglück. Alexander zieht hier die Parallele zu seiner Mutter, die nach dem Tod ihres Manns den B ischof heiratet.
8 Édouard Manet malte Das Frühstück im Grünen 1863. Er bot es im selben Jahr dem Pariser Salon zur Ausstellung an. Es wurde von den 40 Juroren prompt abgelehnt. Eine nackte Frau bei zwei bekleideten Männern sitzend war ein zu gewagtes Motiv. Manet war aber nicht der einzige Maler, dem eine Absage erteilt worden war. Wie jedes Jahr protestierten die Abgewiesenen öffentlichkeitswirksam und da geschah etwas Unerwartetes: Kaiser Napoléon III. wies persönlich an, die vom Pariser Salon abgelehnten Bilder und Skulpturen in einem separaten Teil der Ausstellung zu zeigen. Das Publikum reagierte irritiert feindselig auf das Kunstwerk. Nicht zuletzt ist diese Reaktion wohl auf die Präsentation zurückzuführen: Der Salon war über ein Drehkreuz zu betreten, was zur damaligen Zeit an ein Kuriositätenkabinett erinnerte. Auch waren die Bilder auf ei ne provokante Art und Weise gehängt: Fast lückenlos füllten die unzähligen Bilder die Wände bis hin zur Decke.
9 Nach der Zohar-Auslegung des 1. Buch Mose (der Zohar gilt als das bedeutendste Schriftwerk der Kabbala) hat Gott vor der Schöpfung der gegenwär tigen Welt andere Welten erschaffen und diese wegen ihrer Unvollkommenheit wieder zerstört. Die Reste dieser Welten haben sich laut Zohar als Schalen (hebr. Qliphoth) erhalten und repräsentieren Götzendienst und spirituelle Unreinheit in der Welt (die „Hinterseite“, hebr. sitra achra = ‚andere Seite‘). Sie enthalten noch „Funken von Heiligkeit“.
Im Judentum bedeutet yetzer hara (hebräisch etwa: ‚Neigung zum Bösen‘) die den Menschen angeborene Neigung, Böses zu tun, indem der Wille Gottes verletzt wird. Der Begriff leitet sich aus dem Satz „Der Menschen Bosheit war groß auf Erden und alles Dichten und Trachten war nur böse immerdar“ ab, der im Alten Testament in Genesis 6:5 (Ankündigung der Sintflut) vorkommt
10 Mann wie ein Wildesel – Zitat aus Genesis 16:12. Im Zusammenhang lautet dieses:
10 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.
11 Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden u nd wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört.
12 Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase s etzen.
11 Der schwedische Schriftsteller August Strindberg (1849-1912) ist besonders für seine Dramen bekannt. Er war trotz seiner dominierenden Rolle in der schwedischen Literaturszene stets umstritten und oft in persönliche Konflikte verwickelt. 1895 geri et er nach seiner Trennung von seiner österreichischen Frau Frida Uhl in eine schwere psychische Krise („Inferno -Krise“), aus der er sich mit 25 Stücken innerhalb von sechs Jahren gewissermaßen „freischrieb“.
Er polemisierte gegen Feminismusideen, die ihm zu radikal erschienen, zum Beispiel war er sehr kritisch gegenüber Ibsens Nora oder ein Puppenheim . Bei anderer Gelegenheit schrieb er in Bezug auf die russische Mathematikerin Sofja Kowalewskaja, die durch Vermittlung des schwedischen Mathematikers Gösta Mittag-Leffler eine Privatdozentur an der Universität Stockholm erhalten hatte:
„Ein weiblicher Mathematikprofessor ist eine gefährliche und unerfreuliche Erscheinung, man kann ruhig sagen, eine Ungeheuerlichkeit. Ihre Einladung in ein Land, in dem es so v iele ihr weit überlegene männliche Mathematiker gibt, kann man nur mit der Galanterie der Schweden dem weiblichen Geschlecht gegenüber erklären.“
Strindbergs Verhältnis zu Frauen wird im Allgemeinen als kompliziert eingeschätzt, wovon schon seine drei gescheiterten Ehen Zeugnis geben. Er wurde oft als Frauenfeind dargestellt. Anlass dazu gab er unter anderem in Heiraten, worin die Kritik an der Familie als Gesellschaftsinstitution in ausgesprochene Frauenverachtung übergeht.
12 Alles kann geschehen ... Aus August Strindbergs Vorrede zu Ein Traumspiel (1902):
„Der Verfasser hat in diesem Traumspiel versucht, die zusammenhanglose, aber scheinbar logische Form des Traumes nachzuahmen. Alles kann geschehen, alles ist möglich und wahrscheinlich. Zeit und Raum existieren nicht; auf einem unbedeutenden wirklichen Grunde spinnt die Einbildung weiter und webt neue Muster: eine Mischung von Erinnerung en, Erlebnissen, freien Einfällen, Ungereimtheiten und Improvisationen. Die Personen teilen sich, verdoppeln sich, verdunsten, verdichten sich, zerfließen, sammeln sich. Aber ein Bewusstsein steht über allen, das des Träumers; für das gibt es keine Geheimnisse, keine Inkonsequenz, keine Skrupel, kein Gesetz. Er richtet nicht, er spricht nicht frei, referiert nur; und wie der Traum meist schmerzlich ist, weniger oft freudig, geht ein Ton von Wehmut und Mitleid mit allem Lebenden durch die schwindelnde Erzählung. Der Schlaf, der Befreier, tritt oft peinigend auf, aber wenn die Qual am stärksten ein, findet sich das Erwachen ein und versöhnt den Leidenden mit der Wirklichkeit, die, wie qualvoll sie auch sein kann, doch in diesem Augenblick ein Genuss ist, im Vergleich zu diesem quälenden Traum.“